Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis...

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Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 EnBW Energie Baden-Württemberg AG 1 EnBW Energie Baden-Württemberg AG Durlacher Allee 93 76131 Karlsruhe www.enbw.com EnBW-Innovationsbericht 2008

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Energie- und KlimakompassInnovationsbericht 2008

EnBW Energie Baden-Württemberg AG

1

EnBW EnergieBaden-Württemberg AG

Durlacher Allee 9376131 Karlsruhe www.enbw.com

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Energie- und KlimakompassInnovationsbericht 2008

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KernenergiePerspektiven der Kernenergie- Dr. Peter Fritz

› Best Practice› EnBW-Praxis

Politik und GesellschaftInternationale Treibhausgasmärkte – Tanz auf dem Vulkan?- Dr. Axel Michaelowa

› Best Practice› EnBW-Praxis

EnergieperspektivenEnergieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern- Dr. Annette Schavan

› Energiewelt von morgen

GlossarBildnachweisImpressum

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Innovationen für einen effektiven Klimaschutz- Hans-Peter Villis

Klima im WandelKampf dem Klimawandel- Dr. Peter Feldhaus

› Herkulesaufgabe für die Weltgemeinschaft

EnergieeffizienzDie Zukunft gehört der energieeffizienten Stadt- Prof. Albert Speer

› Best Practice› EnBW-Praxis

Inhalt

Erneuerbare EnergienDie Erneuerbaren schaffen Standortvorteile- Prof. Eicke Weber

› Best Practice› EnBW-Praxis

Fossile EnergienFossile Energien – Brennstoffe für die Zukunft- Dr. Michael Süß

› Best Practice› EnBW-Praxis

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Das ist aber erst der halbe Weg. Neue Erfin-dungen und Weiterentwicklungen bestehen-der Technologien müssen in erfolgreicheProdukte und Dienstleistungen umgemünztwerden. Erst wenn sie vom Markt und vonunseren Kunden angenommen werden, kön-nen sie ihre Wirkung entfalten. Das ist dieAufgabe einer integrativen Innovationspoli-tik, und die wird bei der EnBW groß ge-schrieben: Im Jahr 2007 betrugen die Auf-wendungen für Forschung & Entwicklungund Innovation 32,4 Millionen Euro. Im stra-tegischen Kernbereich waren 27 Mitarbeitertätig, konzernweit befassten sich rund 150Beschäftigte direkt mit F&E-Aktivitäten undInnovationsprojekten.

Vor dem Hintergrund der Herausforderun-gen, die der Klimawandel an die Innovati-onsfähigkeit unserer Gesellschaft stellt, hatsich die EnBW entschlossen, den Innovati-onsbericht 2008 auf das Thema Klimaschutzzu fokussieren. Mit diesem Bericht möchtenwir unseren Mitarbeitern, Geschäftspart-nern, Aktionären, Verbänden, Medien undder interessierten Öffentlichkeit beispielhaftzeigen, was unser Unternehmen in SachenForschung, Entwicklung und Innovation fürden Klimaschutz bereits leistet. Der Innova-tionsbericht ist jedoch keine Gesamtschauder EnBW-Aktivitäten, sondern zeigt exem-plarisch neue Entwicklungen in einzelnenBereichen auf.

Neben der Innenschau werfen wir einenBlick darauf, was sich außerhalb des Unter-nehmens in Forschungslaboratorien undVersuchsanlagen tut. Es war unser Ehrgeiz,mit diesem Bericht eine Art Nachschlage-werk zum Klimaschutz in der Energiewirt-schaft zu schaffen. Und zwar auf eine mög-lichst verständliche Art.

Wir haben außerdem Experten eingeladen,ihren persönlichen Blick in die Zukunft derEnergiewirtschaft zu werfen. Dadurch ist einweit gefächertes und vielschichtiges Pano-rama entstanden. Dass die formuliertenStandpunkte zum Teil kontrovers sind, liegtin der Natur der Sache. Fortschritt brauchtauch Debatte und Auseinandersetzung umden richtigen, weil erfolgversprechendstenKurs: Wie erreichen wir mit begrenzten Mit-teln den maximalen Erfolg? Das ist die Fra-ge, die den Diskurs in den nächsten Jahrenbestimmen wird.

Die EnBW möchte sich aktiv in diese Aus-einandersetzungen einbringen und sich alsguter Bürger der Gesellschaft lebhaft anden Diskussionen beteiligen. Wir hoffen,dass wir mit dieser Lektüre einen Beitragdazu leisten können und wünschen Ihnenviele neue Denkanstöße.

Ihr Hans-Peter VillisVorsitzender des Vorstands der EnBW Energie Baden-Württemberg AG

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Hans-Peter Villis

Vorsitzender des Vorstands der EnBW

Energie Baden-Württemberg AG

Innovationen für einen effektiven Klimaschutz

Der Schutz des Weltklimas steht seit gerau-mer Zeit ganz oben auf der Tagesordnungder internationalen und nationalen Politik:Im Jahr 2009 soll in Kopenhagen ein welt-weit wirksames Nachfolgeabkommen fürdas Kyoto-Protokoll verabschiedet werden,das – trotz weiter steigenden Weltenergie-bedarfs – gleichzeitig den Ausstoß von Treib-hausgasen bis 2020 reduzieren soll.

Die Energiewirtschaft ist davon in einem be-sonderen Maße betroffen. Es ist keine einfa-che Sache, die Freisetzung von Kohlendioxid– wie von der Bundesregierung gewollt – umbis zu 40 % zu drosseln, gleichzeitig aber dieEnergiesicherheit und die Wirtschaftlichkeitder Energieversorgung weiterhin zu gewähr-leisten.

Wir begreifen diese Aufgabe als Herausfor-derung an die Erneuerungsfähigkeit unseresUnternehmens wie auch der gesamtenEnergiebranche. Ohne wesentliche Innova-tionen in der Energieerzeugung und imEnergieverbrauch sind die sehr ehrgeizigenpolitischen Vorgaben allerdings nicht zu be-wältigen. Das betrifft die gesamte Paletteder Themen: vom effizienten Umgang mitEnergie über die erneuerbaren Energien undkohlendioxidarmen fossilen Energien bis hinzur Kernenergie. Gefordert sind zunächstForschung und Entwicklung an den Univer-sitäten, den Forschungseinrichtungen undin den Unternehmen – und zwar in engerZusammenarbeit aller Akteure.

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Der Klimawandel stellt die Welt vor eine

gewaltige Herausforderung. Um den Anstieg

der Erdtemperatur auf 2° C zu begrenzen,

muss der Ausstoß von Treibhausgasen massiv

reduziert werden. Neben einer Änderung der

Konsummuster sind vor allem neue und

innovative Technologien gefragt.› Klima im Wandel

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reichbar, wenn – bei einem Festhalten amKernkraftausstieg – zusätzlich der Energie-mix auf einen höheren Anteil erneuerbarerEnergien umgestellt wird. Dabei entstehenallerdings deutlich höhere durchschnittlicheVermeidungskosten von 32 Euro pro TonneCO2 in der Stromerzeugung und sogar 175Euro bei Biokraftstoffen. Eine Senkung derTreibhausgasemissionen um bis zu 40 % istbis 2020 nur durch politisch oder wirtschaft-lich schmerzhafte Kompromisse oder miterheblichen Mehrkosten möglich.

Nach 2020

Soll die globale Erwärmung wirksam undauf Dauer eingedämmt werden, so erfordertdies weitergehende Maßnahmen zur Emis-sionssenkung. Auch neue Methoden undTechnologien müssen zur Emissionsminde-rung beitragen, die heute noch gar nicht be-kannt sind oder derzeit entwickelt werden.Ein großer Hebel, der die jährliche Treib-hausgasemission bis 2030 um gut 100 Me-gatonnen senken könnte, ist die Abtrennung

und Einlagerung von CO2, das so genannteCarbon Capture and Storage (CCS). Die Ent-wicklung solcher Methoden wird Kraftaktein Forschung und Entwicklung, in der Schaf-fung rechtlicher Rahmenbedingungen undin der Aufklärung der öffentlichen Meinungnötig machen. Vor dem Hintergrund derGröße der zu bewältigenden Aufgabe istdeshalb eine vorurteilsfreie Diskussion überalle möglichen Hebel zur Reduzierung vonTreibhausgasemissionen unverzichtbar.

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Status quo

Spätestens seit dem 4. Bericht des Intergo-vernmental Panel on Climate Change (IPCC)kann es keinen Zweifel mehr geben: Die glo-bale Erwärmung ist die Folge eines steigen-den Anteils von anthropogenen Treibhaus-gasen in der Atmosphäre. Einige führendeIndustrienationen arbeiten deshalb daraufhin, ihre Treibhausgasemissionen zu redu-zieren. Die deutsche Bundesregierung bei-spielsweise hat ein ambitioniertes Ziel for-muliert: Die Treibhausgasemissionen inDeutschland sollen bis 2020 um 30 bis 40 %gegenüber 1990 reduziert werden. Eine Sen-kung um gut 30 % entspricht in etwa derGrößenordnung, die nach der aktuellen EU-

Dr. Peter Feldhaus kam 1999 zu

McKinsey & Company und ist

inzwischen Principal. McKinsey &

Company hat im Auftrag des BDI im

September 2007 eine Studie zu den

Vermeidungskosten des Klima-

wandels vorgelegt.

Kampf dem Klimawandel

Richtlinie für Deutschland vorgesehen ist.Auch die Wirtschaft wird aktiv: In Deutsch-land hat der Bundesverband der DeutschenIndustrie (BDI) McKinsey & Company beauf-tragt, in einer Studie zu ermitteln, wie undzu welchen Kosten die Ziele der Bundesre-gierung zu erreichen sind. Rund 70 Unter-nehmen, darunter die EnBW, haben darinmehr als 300 technische Maßnahmen zurVermeidung von Treibhausgasen beschrie-ben und deren Vermeidungspotenzial und -kosten analysiert.

2020

Das von der Bundesregierung anvisierte Reduzierungsziel von etwa 30 % gegenüber1990 ist bei Eintreten der angenommenRahmenbedingungen tatsächlich erreichbar.Um 26 % lassen sich die Treibhausgasemis-sionen in Deutschland bis 2020 gegenüberdem Niveau von 1990 mit Maßnahmen sen-ken, die bis zu 20 Euro pro Tonne vermiede-ner CO2-Emission kosten und überwiegend sogar Ersparnisse bringen. 31 % sind er-

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Allgegenwärtig: Die Gefahren des Klimawandels

Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhal-

ten. Selbst im irrealen Fall, dass der Ausstoß

von Treibhausgasen sofort gestoppt würde,

würden sich die globalen Durchschnitts-

temperaturen um weitere 0,64 Grad erhö-

hen, denn CO2 und Co. verbleiben über

lange Zeiten in der Atmosphäre und das

Erdklima ist ein träges System. In der Reali-

tät nehmen die CO2-Emissionen aber nicht

ab, sondern im Gegenteil weiter rasant zu.

Geht dies ungebremst weiter, könnte sich

die Erdatmosphäre im Extremfall um bis zu

6,4 Grad erhitzen. Der Klimawandel würde

unkontrollierbare und gefährliche Ausmaße

annehmen. Was dies bedeutet, führte der

Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim

Schellnhuber, der Klimaberater der Bundes-

kanzlerin ist, in einem Interview mit der

FAZ aus:

„Vier bis fünf Grad globale Mitteltempera-

tur, das ist der Unterschied zwischen einer

Eiszeit und einer Warmzeit. Wenn man fünf

Grad abzieht, reichen die Gletscher bis Ber-

lin. Wenn man fünf Grad addiert, wissen wir

nicht wirklich, was passieren würde, aber

möglicherweise wären wir dann außerhalb

des Bereiches, in dem das Klimasystem der

Erde sich immer wieder selbst stabilisiert.

(...) Regional betrachtet, würde mit großer

Wahrscheinlichkeit der komplette Mittel-

meerraum zur Wüste und eine Steppe wür-

de sich bis zur Ostsee erstrecken. Das kom-

plette Abschmelzen des Grönlandeises, der

Kollaps des Amazonasregenwaldes und ein

globales Korallensterben wären dann schon

fast garantiert.“

Global erwarten die Klimaforscher im Falle

eines ungebremsten „weiter so“ Millionen

von „Klimatoten“ und wirtschaftliche Schä-

den in schwindelerregender Höhe. Im

schlimmsten Fall würde der Meeresspiegel

langfristig um sieben Meter ansteigen. Zehn

Prozent der Weltbevölkerung leben in nied-

rig gelegenen Küstengebieten – das sind fast

650 Millionen Menschen, ansässig in zwei

Dritteln der größten Städte der Erde. Auch

ein großer Teil der Industrie konzentriert

sich in Küstenregionen. Die Umweltrisiken,

die mit wachsenden Sturmfluten einherge-

hen, sind leicht vorstellbar. Darüber hinaus

drohen weiten Teilen der Welt Wasserman-

gel und Nahrungsmittelknappheit.

Das 2°-Ziel: Wie es zu erreichen ist

Das IPCC plädiert deshalb eindringlich da-

für, die globale Erwärmung nicht über rund

2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten

anwachsen zu lassen. Nur in diesem Rah-

men seien die Folgen noch einigermaßen

beherrschbar. Sprengt der Temperaturan-

stieg diese Marke, droht der Klimawandel

gefährlich zu werden. Um den Anstieg der

Temperaturen zu bremsen, muss der Gehalt

von Treibhausgasen in der Atmosphäre

dringend begrenzt werden. Der Maßstab

hierfür sind sogenannte CO2-Äquivalente:

Die Klimawirksamkeit der Treibhausgase –

wie etwa Methan, Lachgas, Kohlendioxid –

ist sehr unterschiedlich. Zur Festlegung ei-

nes Grenzwerts werden sie auf die Wirksam-

keit des mengenmäßig wichtigsten Treib-

hausgases, des CO2, umgerechnet. Um das

Ziel von 2 bis 2,4 Grad einigermaßen sicher

zu erreichen, darf der Gehalt von CO2-Äqui-

valenten die Konzentration von 445 bis

490 ppm nicht überschreiten (ppm = parts

per Million = ein Teilchen auf eine Million

Teilchen). Heute liegt bereits der Gehalt von

CO2 alleine bei 381 ppm, zu vorindustriellen

Zeiten waren es noch 280 ppm. Wir sind

dem kritischen Punkt schon sehr nahe

gekommen.

Deshalb muss das Wachstum der Emissio-

nen in den nächsten 15 Jahren gestoppt

werden und bis zum Jahr 2050 müssen die

Emissionen um rund 50 % gegenüber 1990

(60 % gegenüber heute) gesenkt werden.

Spätestens hier zeigt sich die Dimension

der Herausforderung, vor der die Gesell-

schaft steht – besonders auch unsere Bran-

che, die Energiewirtschaft.

Eine Herausforderung: Der Energiehunger der Welt

Die Aufgabe ist umso gewaltiger, als sich die

Volkswirtschaften rund um den Globus teils

stürmisch entwickeln. Dynamisch entwick-

elt sich auch die Gefahr. Denn der Energie-

hunger der Welt ist immens. Nach Angaben

der Internationalen Energieagentur IEA ver-

braucht die Welt heute fast zweimal soviel

Energie wie zu Anfang der Siebzigerjahre

und bis 2030 soll der Verbrauch um noch

einmal mindestens die Hälfte steigen. In der

Folge würden die energiebedingten CO2-

Emissionen – bei „Business as usual“ – um

weitere 55 % steigen!

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Weltklima: Das Thema des Jahres 2007

Kein anderes Thema hat das Jahr 2007 so

dominiert wie die Debatte um das Weltkli-

ma. Und sie hat kaum etwas unberührt ge-

lassen: Unsere Sicht auf die Welt und ihre

Verwundbarkeit, unseren Umgang mit Ener-

gie, unsere Auffassung von der Rolle der

Wirtschaftsunternehmen in der Gesell-

schaft, die Erwartungen der Wirtschaft an

eine globale politische Rahmensetzung,

nicht zuletzt aber unsere Erwartungen an

eine internationale politische Zusammenar-

beit, die es so in der Weltgeschichte noch

nicht gegeben hat. Mit dem Klimawandel ist

die Erwartung und die Anforderung an In-

novationsprozesse in allen Lebensbereichen

verbunden, in denen Energie produziert

und verbraucht wird. Nicht selten war in

diesem Zusammenhang die Forderung nach

einem zweiten „Man-to-the-Moon-Projekt“

zu hören. Sie knüpft an die einzigartige

Anstrengung der USA in den 60er Jahren an,

in der in beispielhafter Fokussierung aller

Kräfte aus Wissenschaft, Forschung, Tech-

nik, Wirtschaft und Politik die Vorherrschaft

im All zurückerobert wurde. Weil die Diskus-

sion um die Rettung des Klimas maßgeblich

ist und in Zukunft verstärkt sein wird, sei

der Gang der Debatte ein wenig erläutert.

Wesentlicher Auslöser der wie nie zuvor auf-

geflammten Diskussion um eine andauern-

de und bedrohliche Erwärmung der Erdat-

mosphäre war der UN-Weltklimarat IPCC

(Intergovernmental Panel on Climate

Change). Er legte 2007 in mehreren Teil-

schritten seinen 4. Sachstandsbericht vor

und dieser fiel wesentlich eindeutiger und

zugleich düsterer aus als alle seine Vorgän-

ger. Demnach kann es am fortschreitenden

Wandel des Erdklimas keinen Zweifel mehr

geben. Dass der Mensch die globale Erwär-

mung durch die Emission von Treibhausga-

sen wie CO2 verursacht, hält das IPCC für

„sehr wahrscheinlich“. Das entspricht in der

Nomenklatur des Klimarats einer Sicherheit

von mindestens 90 %.

Herkulesaufgabe für die Weltgemeinschaft

Dem IPCC zufolge ist die weltweite Durch-

schnittstemperatur in den letzten 50 Jahren

doppelt so schnell gestiegen wie in den 100

Jahren zuvor. Der mittlere Temperaturan-

stieg betrug im vergangenen Jahrhundert

insgesamt 0,74 Grad Celsius. Elf der zwölf

Jahre von 1994 bis 2006 waren unter den

zwanzig wärmsten Jahren seit Beginn der

Temperaturaufzeichnungen. Der Meeres-

spiegel steigt an, seit den Neunzigerjahren

sogar beschleunigt, die Gletscher schmelzen

weltweit. Extreme Wetterereignisse wie

Hitzewellen, Dürren, Stürme und Stark-

regen treten häufiger auf. Geschwindigkeit

und Intensität des Klimawandels sind stär-

ker als bisher vermutet.

Der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre ist seit

vorindustriellen Zeiten ab 1750 um 35 % ge-

stiegen und hat den höchsten Wert der letz-

ten 650.000 Jahre erreicht. Zwischen 1970

und 2004 ist der weltweite Ausstoß von

Treibhausgasen um 70 % gestiegen, in den

letzten anderthalb Dekaden alleine um

28 %. Der Hauptgrund hierfür ist der wach-

sende Energiehunger der Welt, den wir mit

der Verbrennung fossiler Rohstoffe – wie

Kohle, Öl und Gas – befriedigen. Aber auch

die fortschreitende Entwaldung und die

Landwirtschaft spielen eine Rolle.

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Der Gipfel der acht größten Industrie-

staaten gemeinsam mit den fünf größten

Schwellenländern im Juni 2007 in Heiligen-

damm geriet zu einem der Höhepunkte der

Kanzlerschaft Angela Merkels. Als großer Er-

folg wurde gefeiert, dass die USA erstmals

seit vielen Jahren wieder eine konstruktive

Haltung bei Klimafragen einnahmen. Der

größte CO2-Emittent der Erde hatte sich im

Vorfeld noch wie gewohnt dagegen gewehrt,

in die Schlusserklärung verbindliche und

quantifizierte Reduktionsziele aufzuneh-

men. Das Rezept der US-Regierung lautete

stets: Stimulierung des technischen Fort-

schritts und unverbindliche internationale

Vereinbarungen zum Klimaschutz. Aller-

dings hatten sich die USA bereits 1992 nach

einem Gipfel in Rio de Janeiro durch Unter-

zeichnung der Klimarahmenkonvention

der Vereinten Nationen (UNFCCC) dazu ver-

pflichtet, 2000 keine höheren CO2-Emissionen

zu haben als 1990. In der Realität waren sie

bis 2005 um 16,3 % gestiegen.

An der Ostsee in Heiligendamm gab es nun

einen kleinen Durchbruch. Es wurde verein-

bart, die Halbierung der Treibhausgasemis-

sionen bis 2050 „ernsthaft in Betracht“ zu

ziehen. Dabei wurde zumindest auf die

jüngsten Berichte des Weltklimarates und

seine Empfehlungen verwiesen. Sie waren

damit auch von den USA als Grundlage des

weiteren Vorgehens anerkannt.

Wenige Monate nach Heiligendamm, im

September 2007, riefen die USA zu einer ei-

genen Klimainitiative nach Washington. Ge-

laden waren die 16 größten Verursacherstaa-

ten der Erderwärmung. Zusammen sind sie

für rund 80 % der globalen Treibhausgas-

emissionen verantwortlich. Diese Initiative

hatte ein erstaunliches Ergebnis. Am Ende

erkannte US-Präsident Bush die Führungs-

rolle der Vereinten Nationen bei diesem

Thema an, ohne freilich eine Zusage für ver-

bindliche Klimaziele zu geben. Hilfreich für

diese Haltung war vielleicht die Debatte in

der UN-Vollversammlung zum Klimawan-

del kurz vor dem Washingtoner Treffen

gewesen. Rund 80 Staats- und Regierungs-

chefs meldeten sich dort mit deutlichen

Plädoyers für eine wirkungsvolle Politik

zum Schutz der Erdatmosphäre zu Wort. Es

deutete sich an, dass die USA zunehmend in

Gefahr gerieten, sich mit ihrer Haltung in

der Weltgemeinschaft zu isolieren.

Und auch die Wirtschaft macht weltweit zu-

nehmend Druck in Sachen ehrgeiziges Kli-

maschutzprogramm. In Deutschland riefen

rund ein Dutzend Unternehmen, darunter

die EnBW, die Initiative „2° – Deutsche Un-

ternehmer für Klimaschutz“ ins Leben, de-

ren Name bereits Programm ist. Eine Klima-

gruppe beim Bundesverband der Deutschen

Industrie „Wirtschaft für Klimaschutz“ wur-

de gegründet, an der rund 50 Unternehmen

beteiligt sind, darunter auch die EnBW. Sie

beauftragte die Unternehmensberatung

McKinsey, die wirksamsten Hebel zur Re-

duktion von Treibhausgasemissionen zu

identifizieren und die Vermeidungskosten

darzustellen.

Weltklimagipfel auf Bali: Hart erkämpfte Lösungen

Diese Entwicklung weckte hohe Erwartun-

gen an den UN-Weltklimagipfel auf Bali, der

im Dezember 2007 terminiert war. Sie wur-

den noch gesteigert, als bekannt wurde, dass

das IPCC und der ehemalige US-Vizepräsi-

dent und Klimamahner Al Gore den Frie-

densnobelpreis 2007 erhalten würden. Da-

rüber freute sich auch die EnBW Energie

Baden-Württemberg AG, denn Al Gore war

der prominenteste Gast beim 2. Deutschen

Klimakongress in Berlin, der kurz nach Be-

kanntgabe der Nobelpreisträger stattfand.

Sowohl die eigentliche Konferenz als auch

die Abendveranstaltung, bei der Al Gore sei-

ne berühmte Präsentation hielt, konnten

sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht

beklagen.

Das galt in weit höherem Maße auch für

den UN-Klimagipfel auf der indonesischen

Insel Bali. Mehr als 10.000 Umweltpolitiker

und Experten aus 192 Ländern nahmen an

der Konferenz teil. Und es waren wieder

einmal die USA, die sich bewegten. Als klar

wurde, dass sich die Vereinigten Staaten mit

einer alles in allem ablehnenden Haltung

auf internationaler Bühne vollkommen

isoliert hätten, lenkte die amerikanische

Delegation in letzter Minute ein.

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Wesentliche Wachstumstreiber sind inzwi-

schen die Schwellenländer Indien, Brasilien,

Südafrika, Mexiko, Südkorea und, allen vor-

an, China, das jährlich zweistellige Raten

beim Wirtschaftswachstum vorweisen kann.

Der Energiebedarf wächst entsprechend ra-

sant mit und wird im Stromsektor haupt-

sächlich durch Kohlekraftwerke bedient.

Woche für Woche nimmt China im Durch-

schnitt ein neues kohlebefeuertes Groß-

kraftwerk in Betrieb. 80 waren es gar 2005.

Bis 2015 – so schätzt es die IEA – wird China

weitere Kraftwerke mit einer Leistung von

800 GW (Gigawatt) in Betrieb nehmen, so

viel wie die Gesamtleistung in der EU, 95 %

davon auf Kohlebasis. Folgerichtig wird

China die USA in Kürze als weltgrößter

Emittent von CO2 ein- und überholen.

Alle Schwellenländer zusammen werden

2030 rund die Hälfte der weltweiten CO2-

Emissionen auf ihrem Konto verbuchen.

Dazu kommt, dass weltweit immer noch 1,6

Milliarden Menschen ganz ohne Strom aus-

kommen müssen. Das bedeutet ein Leben

ohne Komfort, aber auch einen weitgehen-

den Ausschluss von Information und Kom-

munikation und von Teilhabe an Bildungs-

chancen. Und die Weltbevölkerung soll bis

2030 von 6 auf 8 Milliarden anwachsen.

Auch diese Menschen haben ein Anrecht

auf ausreichende Energieversorgung.

Alarmiert und aktiviert: Die internationale Politik

Der Weckruf des IPCC blieb nicht ungehört,

nicht in der allgemeinen Öffentlichkeit und

nicht auf der politischen Bühne. Ganz im

Gegenteil. Das Thema dominierte alle politi-

schen Gipfel, um über das Jahr hinweg an

Dynamik und Durchschlagskraft zu gewin-

nen. Angetrieben von dem Wunsch einer

breiten Öffentlichkeit, den Klimawandel

aufzuhalten, entschloss sich die Politik, ver-

bindliche politische Ziele vorzugeben, um

den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu be-

schränken.

Den Auftakt machte die EU beim Frühjahrs-

gipfel der europäischen Staats- und Regie-

rungschefs unter deutscher Ratspräsident-

schaft im März 2007. Der Europäische Rat

beschloss, dass die EU-Staaten ihre Klima-

gasemissionen im Alleingang bis 2020 um

20 % gegenüber 1990 reduzieren werden.

Verpflichten sich andere Industriestaaten

wie die USA in ähnlicher Größenordnung,

soll die Reduktion auf 30 % erhöht werden.

Gleichzeitig soll im selben Zeitraum der

Anteil der erneuerbaren Energien am Ge-

samtenergieverbrauch (Strom, Wärme und

Treibstoffe) auf 20 % anwachsen. Und die

Energieeffizienz soll sich gegenüber den

Prognosen um 20 % verbessern.

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Nach Bali, vor Kopenhagen:Bescheidener Optimismus

Falls bis Ende 2009 tatsächlich ein Post-

Kyoto-Abkommen mit den skizzierten Kon-

turen zustande kommen sollte und genü-

gend Staaten beitreten, um es in Kraft zu

setzen, darf man das getrost als eine Art

neues Weltwunder betrachten. Noch nie

zuvor in der Menschheitsgeschichte hätten

sich die Staaten völkerrechtlich verbindlich

zu so tiefen Eingriffen in ihr souveränes

staatliches Handeln verpflichtet. Sie sollen

auf individuelle kurzfristige wirtschaftliche

Vorteile verzichten, um mittel- und langfri-

stig dem Großen und Ganzen zu dienen.

Beim Klimaschutz geht es ums Ganze: Es

geht um die Zukunft der Energieversor-

gung, es geht um Strom und Wärme und

Kühlung, es geht um Verkehr, um Land- und

Forstwirtschaft. Spätestens hier wird klar:

Der Klimaschutz wird unsere Branche, die

Energiewirtschaft, erheblich verändern. Er

wird das Energieverhalten der Individuen

wie das der Gesellschaft erheblich verän-

dern. Bei diesem Prozess wird es Verlierer

geben, aber auch Gewinner. Neben dem Kli-

ma werden solche Akteure Gewinner sein,

die sich optimal – das heißt innovativ – auf

die neuen Anforderungen einstellen.

Man kann den Klimaschutz mit Fug und

Recht als Jahrhundertaufgabe bezeichnen,

Gelingen bislang noch ungewiss. Aber –

gute Nachricht in all den düsteren Szena-

rien – das IPCC ist optimistisch, dass das Ziel

erreicht werden kann. Die dazu notwendi-

gen Techniken seien bereits kommerziell

verfügbar oder würden ihre Serienreife in

den nächsten Jahrzehnten erreichen. Und es

sei zudem auch bezahlbar: Ein ambitionier-

ter Klimaschutz würde das weltweite Wirt-

schaftswachstum um jährlich weniger als

0,12 % bremsen. Je früher man mit ehrgeizi-

gen Klimaschutzmaßnahmen beginne, de-

sto geringer würden die Kosten ausfallen.

Den Kosten stehen wiederum positive

Effekte gegenüber: mehr Energiesicherheit,

bessere Luft, neue Arbeitsplätze in zu-

kunftssicheren Bereichen. Die Kosten des

Nichtstuns wären dramatisch höher. Der

frühere Chefökonom der Weltbank, Sir

Nicholas Stern, hat sie in einem Bericht für

die britische Regierung auf zwischen 5 und

katastrophalen 20 % des globalen Brutto-

inlandsprodukts beziffert.

Es gibt aber keinen Automatismus im Kli-

maschutz. Nur wenn es einen starken und

global wirksamen politischen Rahmen gibt,

kann er sich entfalten. Die Regierungen

müssen entsprechende Anreize für Investi-

tionen schaffen. Ganz wesentliche Punkte

sind dabei Forschung und Entwicklung und

eine wirksame Innovationspolitik. Die Tech-

nologiefelder sind klar:

› Es geht um einen sparsamen Umgang mit

Energie (Energieeffizienz),

› um erneuerbare Energien,

› um eine hocheffiziente Nutzung fossiler

Energien und um die Abtrennung und un-

terirdische Speicherung von CO2 aus den

Abgasen (Carbon Capture and Storage CCS)

› sowie um eine Weiterentwicklung der

Kernenergie.

Aber vieles steht erst auf dem Papier,

funktioniert bisher nur im Labor oder ist

in der Praxis schlicht und einfach noch viel

zu teuer. Viel Arbeit also für die Universitä-

ten, die Forschungsinstitute und die For-

schungs- und Entwicklungsabteilungen der

Unternehmen. Es gibt noch vieles zu erfin-

den und zu entdecken, technischer Fort-

schritt ist über die ganze Front der Energie-

produktion und des Energieverbrauchs ein

Schlüssel für ein klimaverträgliches Wirt-

schaften. Und schließlich müssen die neuen

Entwicklungen durch einen schlüssigen In-

novationsprozess noch in marktfähige und

erfolgversprechende Produkte und Dienst-

leistungen umgemünzt werden.

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Gemeinsame Aktivitäten: Die Bali-Roadmap

Was sind nun die wichtigsten Ergebnisse,

was ist im Gipfelbuch nachzulesen?

Fahrplan Es wurde ein verbindlicher Fahrplan (Road-

map) für die Aushandlung eines Post-Kyoto-

Abkommens vereinbart. Bis Dezember

2009 soll ein Langzeitprogramm zum

Treibhausgasabbau stehen. Dann findet

der Weltklimagipfel in Kopenhagen statt.

ZieleVerbindliche Ziele sind im Abschlussdoku-

ment nicht zu finden. Nur in einer Fußnote

wird auf den Sachstandsbericht des Weltkli-

marates IPCC verwiesen. Damit sind die

Ziele (2°; 50 bis 60 % Reduktion bis 2050)

zumindest indirekt in das Dokument ein-

geflossen. Die Unterzeichnerstaaten des

Kyoto-Protokolls haben in einem separaten

Papier für die Industriestaaten eine Redukti-

on von CO2-Äquivalenten von zwischen 25

und 40 % bis zum Jahr 2020 festgelegt.

SchwellenländerDie Schwellenländer haben sich in der Road-

map zu „angemessenen Klimaschutzaktio-

nen“ verpflichtet. Diese müssen mess- und

überprüfbar sein und es muss darüber be-

richtet werden. Das war bereits mehr als ur-

sprünglich erwartet worden war. Vor allem

die Rolle Chinas wurde als konstruktiv be-

wertet. Das mag daran liegen, dass das Land

die Folgen von Umweltverschmutzung und

Klimawandel bereits deutlich zu spüren

bekommt. So schmelzen die Gletscher und

bedrohen die Trinkwasserversorgung des

Riesenreichs und die Wüstenbildung schrei-

tet voran.

AnpassungsfondsFür die Entwicklungsländer wird ein Fonds

eingerichtet, mit dessen Mitteln sie sich

besser vor den Folgen des Klimawandels

schützen können. Er wird aus einer zwei-

prozentigen Abgabe auf die Emissionszerti-

fikate gespeist, die aus CDM-Projekten

gewonnen werden (Clean Development

Mechanism). Die Mittel sind beim Globalen

Umweltfonds der Weltbank angesiedelt und

fließen ab sofort. Bis 2012 stehen dadurch

etwa 400 Millionen Euro zur Verfügung.

Die Weltbank selbst schätzt die Kosten für

die Anpassung an den Klimawandel in den

ärmsten Ländern der Welt auf 35 Milliarden

Euro jährlich.

Schutz der WälderDie Abholzung von Wäldern ist für rund ein

Fünftel des Klimagasausstoßes verantwort-

lich. Erstmals wurde der Kampf gegen die

Entwaldung mit in die Klimaverhandlungen

aufgenommen. Ein konkretes Programm

soll bis Ende 2009 vereinbart werden.

TechnologietransferEs wurde ein Programm zur Förderung kli-

mafreundlicher Technologien angekündigt.

Darin geht es um die Definition von Projek-

ten und ihre Finanzierung aus einem Fonds.

Außerdem sollen entsprechende Schlüssel-

patente verfügbar gemacht werden.

14

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Ressourcen optimal einsetzen und mit

weniger mehr erreichen: Das ist das Ziel von

Energieeffizienz. Ob in Kraftwerken, im Verkehr

oder zu Hause – überall gibt es Verbesserungs-

möglichkeiten. Besonders in Gebäuden schlum-

mern große Einsparpotenziale. In Zukunft

werden sogar ganze Städte energieeffizient

optimiert sein.

17

› Energieeffizienz

16

Page 11: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

2050

Die größte Chance für die Zukunft liegt inder nachhaltigen, lebenswerten, innovativenStadtentwicklung. 2050 werden integrierteLösungen für die Stadtentwicklung den Pri-märenergieverbrauch, Treibhausgasemis-sionen und Kosten gleichzeitig reduzieren:Intelligente Häuser, energieeffiziente Städtemit Lösungen, die für jedes städtebaulicheProjekt individuell erarbeitet werden und sowohl die vielfältigen Möglichkeiten derEnergietechnik als auch die besonderenRahmenbedingungen und Bedürfnisse derMenschen vor Ort berücksichtigen. Genaudas ist jedoch nur möglich, wenn energie-wirtschaftliche, verkehrsplanerische undstädtebauliche Kompetenzträger frühzeitigim Stadtplanungsprozess zusammengeführtwerden und gemeinsam und fachbereichs-übergreifend nach optimalen Lösungen suchen.

Die EnBW hat mit der EnBW EnyCity-Metho-dik ein einmaliges und umfassendes Werk-zeug zur Optimierung der Energiesystemekomplexer urbaner Strukturen entwickelt.EnBW EnyCity basiert bewusst auf der Part-nerschaft mit Stadtplanern und bietet diedafür notwendigen Schnittstellen.

Diese Chance zur Partnerschaft will AS&Pzukünftig konsequent nutzen. Im Jahr 2007hat AS&P mit der EnBW vereinbart, auf demGebiet der nachhaltigen Stadtentwicklungeng zusammen zu arbeiten. Ziel dieser Kooperation ist es, gemeinsam die Umsetz-barkeit einer nachhaltigen, innovativen undlebenswerten Stadtentwicklung zu demons-trieren. Hierin sehen AS&P und die EnBWgroße Chancen für die Zukunft.

19

Status quo

Mit 3,3 Milliarden Menschen lebt 2008 erst-mals mehr als die Hälfte der Weltbevölke-rung in Städten. Heute gibt es weltweit be-reits über 130 Städte mit mehr als dreiMillionen Einwohnern und 27 Megacitys mitmehr als zehn Millionen Einwohnern. Gera-de in Städten und Gebäuden schlummernriesige Energiesparpotenziale. Deshalbspielen schon heute bei Stadtentwicklungs-projekten optimierte Energie- und Verkehrs-infrastrukturen eine große Rolle.

Prof. Albert Speer ist Stadtplaner und

Architekt. Sein Büro AS&P – Albert

Speer & Partner – verbindet

innovative Ansätze in Architektur,

Stadt- und Verkehrsplanung mit

über vierzigjähriger, internationaler

Planungs- und Bauerfahrung.

Die Zukunft gehört der energieeffizienten Stadt

2020

Der Aspekt der optimierten Energie- undVerkehrsinfrastruktur wird in den kommen-den Jahrzehnten bei der Stadtentwicklungnoch deutlich an Bedeutung gewinnen, ge-trieben durch das rasante wirtschaftlicheWachstum der Schwellenländer. So werdeneine Zunahme des globalen Energiebedarfsund der globalen Treibhausgasemissionenbis 2020 um ein Drittel sowie ein Anstieg derAnzahl der in Städten lebenden Menschenvon heute 3,3 Milliarden auf über vier Milli-arden erwartet. Bestehende Städte werdenwachsen und neue Städte werden gebautwerden. Jede Maßnahme, die den Energie-verbrauch der Städte von Morgen senkt,wird einen überproportionalen Beitrag zurLösung der globalen Energieprobleme leis-ten, weil genau in den urbanen Ballungs-räumen der größte Anteil der Energie ver-braucht wird. Über zwei Drittel der weltweitrund 60 Megastädte mit mehr als fünf Mil-lionen Einwohnern werden 2020 in Entwick-lungsländern liegen.

18

Page 12: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Die Vakuum-Dämmung funktioniert nach

dem Prinzip Thermoskanne, in deren dop-

pelwandiger Glasröhre ein Unterdruck er-

zeugt wird, der den Wärmefluss reduziert.

Die Theorie dazu ist banal: Je geringer die

Zahl der Gasmoleküle in der Dämmschicht

ist, umso weniger Wärme kann durch das

Material diffundieren. Ein Vakuum unter-

bindet die Diffusion sogar vollständig. Die-

ser Thermoskannen-Effekt soll nun auch

Häuser warm halten. Bester Wärmeschutz

wird auf diese Weise mit drastisch reduzier-

ten Wanddicken möglich: Die heutigen Va-

kuum-Materialien isolieren zehnmal besser

als konventionelle Dämmstoffe – und kön-

nen somit entsprechend dünner ausgelegt

werden. Gerade in Altbauten kann das sehr

interessant sein, weil dort oft der Platz fehlt

für Dämmstoffe von klassischer Dimension.

Ein sehr beliebter Stoff für die Vakuum-

Dämmung ist mikroporöse Kieselsäure. Die

Dämmplatten bestehen aus einem gepress-

ten Pulverkern aus äußerst fein strukturier-

ter Kieselsäure. Sie sind umhüllt mit spe-

ziellen „metallisierten Hochbarrierefolien”,

die ein Vakuum aufrecht erhalten. „Man

kann sich das vorstellen wie ein Paket Kaf-

fee, das vakuumverschweißt ist”, heißt es da-

zu im Bayerischen Zentrum für Angewandte

Energieforschung (ZAE) in Würzburg.

In der Praxis ist ein vollständig luftleerer

Raum freilich niemals zu erzielen. Aber bei

einem so erheblichen Unterdruck, wie er in

den Dämmplatten geschaffen wird, spricht

man üblicherweise bereits von einem Vaku-

um. In den derzeit entwickelten Systemen

wird der Luftdruck auf 0,1 bis 0,01 Millibar

reduziert, also auf ein Zehn- bis Hundert-

tausendstel des atmosphärischen Normal-

drucks.

Als eines der ersten Demonstrationsprojek-

te wurde im Jahr 2000 ein denkmalge-

schütztes Haus in Nürnberg-Schoppershof

saniert. Aufgrund des geringen Dachüber-

stands der Giebelseite hatte es dort vom

städtischen Denkmalschutzamt die Auflage

gegeben, dass höchstens sechs Zentimeter

dicker Dämmstoff aufgetragen werden darf.

Trotz dieser Vorgabe erreichte man einen

Wärmeschutz, der einem hochgedämmten

Niedrigenergiehaus entspricht: Der Wärme-

durchgangswert der Wand beträgt seither

nur noch 0,2 Watt pro Quadratmeter und

Kelvin.

Forscher fasziniert unterdessen ein weiterer

Aspekt: Die Dämmeigenschaften der Vaku-

um-Paneele sind steuerbar. Und so ist der

nächste Schritt ein System mit variablen

Dämmwerten. Vakuum-Materialien können

das nämlich leisten: Lässt man ein Gas in

die Dämmschicht hinein, wird der Stoff wär-

meleitend. Entleert man die Dämmschicht

wieder, ist der frühere Zustand wieder her-

gestellt. Das ZAE in Würzburg forscht an sol-

Gegenüber konventioneller Straßenbe-

leuchtung hat die LED-Technik erhebliche

Vorteile – zum einen natürlich den äußerst

geringen Stromverbrauch. Auch die Zeit der

Energiesparlampe dürfte mit der LED-Tech-

nik vorbei sein. Gegenüber einer klassischen

Glühbirne liegt die Einsparung mit LED bei

rund 85 %. Bei Ampeln zum Beispiel lässt

sich mit 6 Watt LED pro Farbelement die

gleiche Helligkeit erzielen, für die man mit

Glühbirnen 40 Watt benötigt.

Doch nicht alleine die Energieeinsparung

spricht für die Diodentechnik. Die LEDs ver-

ursachen geringere Wartungskosten, da sie

aufgrund ihrer Lebensdauer von 100.000

Stunden praktisch wartungsfrei sind. Die

Leuchtdiode ist ein Halbleiter-Bauelement,

das Licht abgibt, wenn Strom hindurch

fließt. Die Farbe ist abhängig vom Halbleiter

und nahezu monochrom – das heißt, sie

besteht aus Licht nur einer Wellenlänge.

Deswegen kann weißes Licht auch nur durch

additive Farbmischung erzeugt werden.

21

Wichtiger Hebel: Energieeffizienzauf allen Ebenen

Der wichtigste Hebel, die Klimaziele zu er-

reichen, ist die Energieeffizienz – das heißt,

möglichst viel (Leistung) aus möglichst we-

nig (Energie) heraus zu holen. Zahlreiche

Untersuchungen belegen, dass es noch gro-

ße Einsparpotenziale gibt. Problematisch ist

dabei, dass es keine großen Hebel gibt, um

die Einsparziele zu erreichen. Der Erfolg

wird durch eine Vielzahl kleiner Schritte er-

reicht, bis hinunter zu individuellen Kon-

zepten für einzelne Verbraucher. Das führt –

im Verbund mit weiteren Barrieren – dazu,

dass das Themenfeld politisch sehr schwer

zu handhaben ist. Zumal es durch seine

komplexe technische Natur wenig Sex-

appeal in der breiten Öffentlichkeit hat. Die

Einsparpotenziale verteilen sich gleicher-

maßen auf Industrie – hier geht es etwa um

sparsame Elektromotoren – und Haushalte,

um die es im Folgenden gehen wird.

Große Einsparpotenziale inAltbauten: High Tech-Dämmungdurch Vakuum

Das größte Energiesparpotenzial liegt in

den Altbauten verborgen. Während der jähr-

liche Heizbedarf in Neubauten heute längst

unter 70 Kilowattstunden pro Quadratme-

ter liegt, braucht das Durchschnittshaus in

Deutschland noch das doppelt bis dreifache.

Und manches alte Wohngebäude erreicht

sogar abenteuerliche Werte über 300 Kilo-

wattstunden pro Quadratmeter.

Dass die Bauwirtschaft inzwischen in der

Lage ist, auch in Altbauten vernünftige

Energiestandards zu erzielen, demonstrierte

die BASF mit der Sanierung eines Mehrfa-

milienhauses in einer Werksiedlung aus

den Dreißigerjahren im Ludwigshafener

Brunckviertel.

Für dieses so genannte „Drei-Liter”-Projekt –

also drei Liter Heizöl pro Quadratmeter –

setzte BASF den neuentwickelten Dämm-

stoff Neopor ein. Bei diesem handelt es sich

um einen Polystyrolhartschaumstoff, des-

sen Wärmedämmung nach Firmenangaben

annähernd doppelt so gut ist wie jene des

Styropors.

Best Practice

Zudem hat der Konzern einen neuartigen

Innenputz entwickelt, der wärmespeichern-

de „Mikrokapseln” enthält. Der so genannte

Latentwärmespeicher beruht darauf, dass

Paraffin, das im Baustoff enthalten ist, bei

Temperaturen zwischen 24 und 26 Grad

schmilzt. Durch diesen Phasenwechsel

nimmt das Material viel Wärme auf, ohne

dass seine fühlbare Temperatur ansteigt.

Nachts gibt das Material die Energie wieder

ab, wenn das Paraffin wieder in festen Zu-

stand übergeht. Zwei Zentimeter dieses Put-

zes speichern nach Daten der BASF so viel

Wärme, wie eine 20 Zentimeter dicke Hohl-

ziegelwand. Maxit bietet als erster Anbieter

bereits einen entsprechenden Gipsputz an.

Doch nicht nur mit neuen Schaumstoffen

und Speichermaterialien lässt sich der

Raumwärmebedarf erheblich senken. Auch

Naturstoffe wie Zellulose oder Kork sind

heute längst etabliert. Darüber hinaus gibt

es auch noch High-Tech-Varianten der Däm-

mung – zum Beispiel per Vakuum. Entspre-

chende Paneele zur Wohnraumisolierung

sind bereits auf dem Markt.

20

chen Systemen, die sich SWD nennen, was

für „Schaltbare Wärmedämmung” steht. Will

man etwa im Winter, wenn die Sonne auf

die Wand scheint, der Wärme den Weg ins

Haus gewähren, schaltet man einfach die

Dämmung frei.

LED: Das Ende der Glühbirne naht

Die Leuchtdiode wird bereits in naher Zu-

kunft die Beleuchtungstechnik revolutio-

nieren. Und erste Praxisbeispiele gibt es

bereits: Die nordrheinwestfälische Landes-

hauptstadt Düsseldorf hat die erste Stra-

ßenbeleuchtung auf LED-Technik umge-

stellt.

Page 13: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Unterdessen kann die Situation bei Fernse-

hern eine ganz andere sein. Denn bei Fern-

sehern führt die immer größer werdende

Bildschirmfläche und die höhere Bildauflö-

sung zu einem höheren Energiebedarf. Hin-

zu kommt, dass wegen des größeren Kontra-

stes und des größeren Farbspektrums oft

Plasmabildschirme gewählt werden, die sehr

viel Strom verbrauchen. So sind Fernseher

aus Umweltsicht ein Problemkind: Der

Stromverbrauch der Geräte steigt seit Jah-

ren, statt zu sinken. In Zukunft könnte je-

doch die Umstellung auf OLED-Technik, das

sind organische Leuchtdioden, deutliche

Stromeinsparungen bringen.

Allerdings gibt es schon heute große Unter-

schiede im Verbrauch, je nach Modell. Auch

beim Thema Stand-by: Effiziente Geräte

verbrauchen im Stand-by-Modus weniger

als 2 Watt, andere liegen dutzendfach höher.

Hier ist die Stromeinsparung oft nur eine

Frage des guten Willens der Konstrukteure:

Ein gut erreichbarer Netzhauptschalter, mit

dem das Gerät vollständig vom Stromnetz

getrennt werden kann, spart am meisten

Strom.

Auch Kühl- und Gefriergeräte sind Energie-

fresser. Denn sie laufen üblicherweise im

Dauerbetrieb, 24 Stunden täglich, 365 Tage

im Jahr. Und da summiert sich jedes Watt

übers Jahr gesehen zu ganz beträchtlichen

Summen. Der Stromverbrauch von Kühlge-

räten hängt im Wesentlichen von drei Fakto-

ren ab: vom Alter des Gerätes, der Größe

sowie der eingestellten Temperatur. Die

Klassifizierung der Energieeffizienz ist je-

doch etwas irritierend, weil Geräte der Klas-

se A längst nicht mehr Stand der Technik

sind, sondern solche mit A++. Ein guter

Kühlschrank mit Gefrierschrank kann ge-

genüber einem Durchschnittsprodukt etwa

150 Kilowattstunden Strom im Jahr sparen.

Waschmaschinen werden ebenfalls immer

sparsamer. Gute Maschinen mit 5-Kilo-

gramm-Trommel brauchen durch ausgeklü-

gelte Programme heute im Standardwasch-

programm maximal 0,95 Kilowattstunden

Strom. Trotzdem hängt bei der Umweltver-

träglichkeit einer Waschmaschine noch vie-

les am Nutzer, der durch unsinniges Verhal-

ten die beste Ökobilanz zunichte machen

kann: Eine stets gute Befüllung der Trom-

mel und möglichst niedrige Waschtempera-

turen sind nämlich entscheidend. Zwar gibt

es auch so genannte „intelligente Waschma-

schinen”, die über ein Display am Gerät das

Wäschegewicht beim Beladen anzeigen

und sogar eine Dosierempfehlung für das

Waschmittel geben – doch diese sind teuer.

Da die Waschtemperatur den Energiever-

brauch wesentlich beeinflusst, richtet sich

der Blick der Waschmittelindustrie auch

darauf, bei möglichst geringen Temperatu-

ren möglichst gute Ergebnisse zu erzielen.

Die Marke Ariel zum Beispiel wirbt damit,

„dank besonderer Technologien Reinheit be-

reits ab 20 Grad“ zu erzielen. Im Auftrag von

Ariel hat das Öko-Institut nachgewiesen,

dass sich bereits durch das Runterschalten

von 40 auf 30 Grad bis zu 40 % Energie pro

Waschgang sparen lassen. Einsparpotenzial

bietet sich zudem durch einen Anschluss

der Waschmaschine an eine Warmwasserlei-

tung, was bei modernen Maschinen heute

möglich ist.

Auch Spülmaschinen sind heute recht spar-

sam. Noch immer hört man den Mythos, es

sei günstiger, Geschirr von Hand zu spülen.

Doch das stimmt längst nicht mehr: Eine

moderne Maschine spült das Geschirr nicht

nur bequemer, sondern in der Regel auch

umweltfreundlicher und kostengünstiger.

Das zeigt ein direkter Vergleich, den das

Freiburger Öko-Institut mal aufgestellt hat:

Eine moderne Spülmaschine für zwölf Maß-

gedecke verbraucht heute durchschnittlich

rund 15 Liter Wasser – zusammen kosten

Wasser, Energie, Reiniger, Klarspüler und

Salz etwa 37 Cent pro Spülgang. Der durch-

schnittliche Handspüler verbraucht für die-

selbe Menge Geschirr im Durchschnitt rund

50 Liter Wasser und zahlt für Wasser, Ener-

gie und Handspülmittel etwa 66 Cent.

Ein immer größer werdender Stromver-

braucher ist jedoch die Informationstech-

nik. Zwar werden die Computer selbst,

gemessen an ihrer Leistung, immer effi-

zienter. So erklärte kürzlich die Strato AG,

einer der größten europäischen Webhoster,

durch energiesparende Hardware den Ver-

brauch pro Kunde in nur 18 Monaten um

30 % gesenkt zu haben. Energiesparendere

Prozessoren, oder auch eine energieeffizien-

te Kühlung, sind hier die wesentlichen

Faktoren.

Doch das Internet braucht immer mehr

Strom – vor allem, weil private DSL-Flatrates

die Nutzungsdauer und den Datentransfer

deutlich gesteigert haben. Der Stromver-

brauch einer Suchanfrage bei Google zum

Beispiel braucht so viel Strom wie eine

Energiesparlampe in einer Stunde. So hat

sich der Stromverbrauch der Computer-

technik binnen fünf Jahren verdoppelt –

und eine Trendwende ist nicht absehbar.

23

Anders als Energiesparlampen kommen die

Dioden ohne Quecksilber aus, und ihre Far-

be kann individuell ausgewählt werden –

etwa weißes Licht für den Gehweg und gel-

bes Licht für die Straße. Über die Lichtfarbe

kann auch das Anlocken von Insekten ver-

mieden werden. Zudem ist die LED unemp-

findlich gegenüber Erschütterungen und sie

erreicht deutlich kürzere Schaltzeiten.

Auch für die Wohnraumbeleuchtung wer-

den LEDs bereits in Einzelfällen eingesetzt.

Da sie im Gegensatz zu Glühlampen kaum

Wärmestrahlung abgeben, bieten sie ganz

neue architektonische Möglichkeiten, zum

Beispiel auch als Strahler im Fußboden.

Durch Kombination von LEDs in verschiede-

nen Farben, die je nach Bedarf angesteuert

werden, läßt sich auch die Farbe des Lichtes

über Schalter verändern. Daher werden

LEDs zur Wohnraumbeleuchtung derzeit

vor allem in Designerlampen eingesetzt.

Aber auch als Birnen mit gewöhnlichem

E 27-Gewinde gibt es die LEDs schon zu kau-

fen. Mit Preisen von knapp 30 Euro sind sie

allerdings noch deutlich teurer als heutige

Energiesparlampen, doch mit steigenden

Produktionsmengen werden die Preise

sinken.

Überall dort, wo kleine Lichtmengen benö-

tigt werden, sind Leuchtdioden seit nun-

mehr 40 Jahren im Einsatz. Für den großen

Durchbruch jedoch reichte die Leistungs-

stärke lange nicht aus. Auch bei der Farbge-

staltung brauchte man lange, bis auch LEDs

hergestellt werden konnten, die weißes

Licht abgeben. Die Klassiker strahlten stets

in rotem Licht.

Im vergangenen Jahr erhielten Forscher der

Firma Osram Opto Semiconductors und des

Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik

und Feinmechanik in Jena den Deutschen

Zukunftspreis für ihre Weiterentwicklung

der Leuchtdiode. Während die Halbleiter-

bauelemente bei Osram entstanden, haben

die Jenaer Forscher die Optik entwickelt.

Achtung Energiefresser:Haushaltsgeräte, Unterhaltungs-und Informationstechnik

Beim Energiesparen denken viele Menschen

zuallererst an Elektrogeräte im Haushalt.

Und in der Tat bieten diese ein großes Ein-

sparpotenzial. Elektrokleingeräte machen

immerhin rund 20 % des Stromverbrauchs

im Haushalt aus, weitere 20 % entfallen aufs

Kühlen und Gefrieren. Die Beleuchtung

kommt hingegen auf gerade 10 %, Fernseher

und Radio auf rund 7 bis 8 %.

Einsparen lässt sich zum Beispiel bei Com-

puterbildschirmen: Flachbildschirme ver-

brauchen im Vergleich zu Röhrenmonitoren

bis zu 70 % weniger Strom. Da sie zugleich

geringere Strahlungswerte aufweisen und

zudem flach und daher platzsparend sind,

werden Röhrengeräte heute praktisch nicht

mehr verkauft. Der geringere Energiever-

brauch rührt daher, dass die Flachbildschir-

me mit Flüssigkristallen arbeiten (LCD).

Wenn diese über Dünnschichtransistoren

angesteuert werden, spricht man von TFT-

Technik (thin film transistor) – das ist die

heute gängige Technik.

22

Page 14: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

gen sich zum überwiegenden Teil durch die

Energieeinsparung selbst und zudem wird –

gemäß der neuen DIN V 18599 – gleich ein

Gebäudeenergieausweis erstellt. Bei Schulen

ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit,

Schülern, Lehrern und Eltern das Thema

Energieeffizienz direkt und anschaulich

nahe zu bringen.

› Gemeinsam besser: Netzwerk Energieeffizienz

Energie effizienter nutzen, Kosten senken,

Umwelt und Klima schonen – das sind, grob

umrissen, die Ziele des „Netzwerks Energie-

effizienz“. 2005 stieß die EnBW als bundes-

weit erstes Energieversorgungsunternehmen

dieses Projekt an. Ein Jahr später erfolgte die

Gründung der Netzwerke in Ravensburg

und Mitteldeutschland; 2007 gingen Weser-

Ems, Franken-Oberpfalz und Donau-Alb an

den Start. Fachlich begleitet wird das Mo-

dell, das ohne öffentliche Förderung aus-

kommt, u. a. durch das Fraunhofer-Institut

System- und Innovationsforschung in Karls-

ruhe sowie vom Bereich Forschung und Ent-

wicklung der EnBW.

An einem solchen Netzwerk mit einer Lauf-

zeit von drei Jahren nehmen 10 bis 15 mit-

telständische Unternehmen unterschied-

lichster Branchen aus der selben Gegend

teil. Am Anfang jedes Projekts stehen indivi-

duelle Betriebsbegehungen, um über eine

Energieeffizienz-Diagnose Optimierungs-

potenziale aufzuspüren. Danach treffen

sich die teilnehmenden Firmen im viertel-

jährlichen Turnus. Auf den ersten beiden

Treffen werden die Ergebnisse der Energie-

effizienz-Diagnosen vorgestellt. Beim drit-

ten Mal legen die Unternehmen gemeinsam

ihre Energiesparquote fest; realistisch sind

zwischen 5 und 8 %. Weitere Programm-

punkte der Folgetreffen sind Diskussionen

über geplante oder umgesetzte Maßnah-

men sowie Vorträge etwa über Wärmeerzeu-

gung und -rückgewinnung, Druckluft, Elek-

troantriebe, Kraft-Wärme-Kopplung oder

Wirtschaftsthemen wie Wirtschaftlichkeits-

berechnung, Contracting oder CO2-Handel.

Zwischen den Gesprächsterminen führen

die Netzwerk-Teilnehmer in ihren Betrieben

die für sie relevanten Untersuchungen

und Analysen durch und realisieren die

identifizierten Effizienzverbesserungen.

Unterstützt werden sie dabei durch eine Be-

ratungshotline, die für die gesamte Projekt-

dauer zur Verfügung steht. Zusätzlich kön-

nen Einzelberatungen, Studien, Messungen

oder Informationen über die Beantragung

von Förderungen angefragt werden.

Die Ziele der ersten beiden Pilotprojekte in

Ravensburg und Mitteldeutschland können

sich sehen lassen: Nach deren Beendigung

im Jahr 2009 werden die beteiligten Unter-

nehmen ihre Energieeffizienz um insge-

samt rund 50 GWh pro Jahr verbessert ha-

ben. Dies entspricht einer Verringerung

der CO2-Emissionen von etwa 15 Mio. kg

jährlich.

Zudem unterstützt die EnBW ein For-

schungsprojekt der Deutschen Bundesstif-

tung Umwelt, das ein einheitliches Quali-

tätslevel für Energieeffizienz-Netzwerke

zum Ziel hat. Es soll künftig als Zertifizie-

rungsrahmen für mögliche Anbieter solcher

Projekte dienen sowie Mindestqualitätsan-

forderungen definieren. Als Basis dienen die

Erfahrungen, Methoden und Instrumente

aus den bisherigen Netzwerken.

› Optimal für Großkunden: Forum Energieeffizienz

Mit dem „Forum Energieeffizienz“ bietet die

EnBW ein speziell auf Großkunden zuge-

schnittenes Produkt an, das die Situation

eines Unternehmens fokussiert. Die Haupt-

verantwortung trägt ein vom Kunden einge-

setztes Projektteam; die EnBW unterstützt

im methodischen wie energietechnischen

Bereich und stellt Analyse- und Messverfah-

ren zur Verfügung. Auch hier ist das Spar-

potenzial bemerkenswert: Auf den 2007

durchgeführten Foren bei Mannesmann-

Röhren Mülheim GmbH in Mülheim, bei

der Walter Hundhausen GmbH in Schwerte

sowie Dieckerhoff Guss GmbH in Gevels-

berg wurden Einsparziele von 8 bis 10 %

festgelegt.

25

EnBW-Praxis

› Energiestadt der Zukunft: EnBW EnyCity

EnBW EnyCity ist ein innovatives modu-

lares Planungssystem für die städtische

Energieversorgung in der Zukunft. Das com-

puterbasierte Rechenmodell umfasst das

gesamte urbane Versorgungssystem mit

sämtlichen Rahmenbedingungen und

optimiert die komplette Kette von der

Energieerzeugung und Umwandlung über

Transport und Verteilung bis hin zum End-

verbraucher. Die Planer kombinieren erst-

mals bereits erprobte Systeme und Kompo-

nenten miteinander und beziehen das

gesamte Spektrum der regenerativen und

fossilen Technologien mit ein. Zudem sind

neue bauphysikalische Technologien und

Materialien zur Reduktion des Gebäude-

energiebedarfs Teil der Projektierung.

Neben ökologischen Aspekten – wie der Re-

duktion des Primärenergiebedarfs sowie der

Emissionen – stehen gleichberechtigt öko-

nomische Überlegungen: Die wirtschaftli-

che Bewertung der Gesamtkonzeption eines

urbanen Versorgungssystems berücksich-

tigt den gesamt- und den betriebswirt-

schaftlichen Aspekt sowie die Amortisati-

onsdauer der Investitionen. Damit haben

Entscheidungsträger wie Investoren eine zu-

verlässige Grundlage für eine vorausschau-

ende und nachhaltige Entwicklung urbaner

Räume.

Grundsätzlich kann das EnBW EnyCity-

Konzept auf jede beliebige Stadt angewandt

werden. Bei bestehenden gewachsenen städ-

tischen Strukturen, wie in Deutschland,

erfolgt die Planung auf Basis einer Analyse

des Bestandes. Die Forschungsstelle für

Energiewirtschaft (FfE) hat ermittelt, dass in

deutschen Städten mit mehr als 100.000

Einwohnern im Durchschnitt der Primär-

energiebedarf um 5 % durch die Umsetzung

einer EnBW EnyCity-Planung gesenkt wer-

den könnte. Größere Erfolge wären bei

Stadtneuentwicklungen zu erwarten. Ein

Beispiel hierfür ist der Entwurf einer neuen

Industriestadt an der Ostküste Chinas. Flä-

chenmäßig soll sie im Endausbau etwa dem

Großraum München entsprechen und zirka

850.000 Einwohner haben. Die EnBW hat

die Energieversorgung dieser Stadt in ver-

schiedenen Szenarien komplett durchge-

plant, um die Wirkung des EnBW EnyCity-

Ansatzes für Stadtneubauten zu ermitteln.

Die Planungen decken sowohl zentrale Ver-

sorgungsstrukturen mit Großkraftwerken

ab, als auch stark dezentrale Strukturen mit

vielen kleinen und hocheffizienten Kraft-

Wärme-Kopplungs-Anlagen. Zudem wurden

die regenerativen Potenziale der Region so-

wie Energieeffizienzmaßnahmen berück-

sichtig. Anhand dieses Beispiels konnte auf-

gezeigt werden, dass eine Planung mit dem

integrierten Ansatz des EnBW EnyCity-Kon-

zepts zu einer Energieversorgungsstruktur

mit einem um bis zu 25 % reduzierten Treib-

hausgasausstoß und einem um 30 % gerin-

geren Primärenergieverbrauch führt, vergli-

chen mit dem derzeit in China geltenden

Standard.

› Schulreif: Energiespar-Contracting

Das von der EnBW entwickelte Geschäfts-

modell für Energiesparmaßnahmen bezieht

sich auf kleinere kommunale oder gewerb-

liche Liegenschaften. Allein der Sanierungs-

bedarf bei Schulgebäuden ist groß – schät-

zungsweise 30 % der rund 18.000 Schulen

in Deutschland stehen in den kommenden

zehn Jahren an.

In einem Modellvorhaben wurden von der

EnBW im Verein mit der öffentlichen Hand

und mit wissenschaftlicher Begleitung drei

ausgewählte Schulen saniert mit dem Ziel,

den Energieverbrauch um bis zu 60 bis

80 % zu drosseln. Typische Maßnahmen

waren die Dämmung von Außenwänden,

Kellerdecke und Dach sowie der Ersatz der

Ölkessel durch Gas- oder Pelletheizung, der

Austausch der Heizkreispumpen und die

Optimierung der Heizungsregelung. Die

Modernisierung der Lüftungsanlagen und

der Einbau effizienter Leuchtmittel taten

ein Übriges. Nach dem Abschluss der Arbei-

ten garantiert die EnBW zudem die Ein-

haltung von Verbrauchsobergrenzen für

Brennstoff und Strom.

Auf der Datenbasis bereits realisierter Pro-

jekte können nun bei sanierungsbedürfti-

gen Gebäuden die Schwachstellen belastbar

analysiert, der notwendige Aufwand abge-

schätzt und das Energiesparpotenzial kalku-

liert werden. Das beauftragte Contracting-

Unternehmen übernimmt die Kosten für

Planung, Betreuung und Umsetzung aller

Sanierungsmaßnahmen. Die Finanzierung

des komplexen Dienstleistungspakets er-

folgt über eine längere Laufzeit durch einen

Teil der eingesparten Energiekosten.

Das moderne Finanzierungsmodell des

Energiespar-Contractings birgt diverse Vor-

teile für die Kommunen: Es ist ein Sanie-

rungsanreiz, die baulichen Maßnahmen tra-

24

Page 15: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› Neuer Ansatz: Intelligente Systemplattform fürEnergiedienstleistungen

Die „Intelligente Systemplattform für Ener-

giedienstleistungen“ ist eine Innovation, die

als Schnittstelle zwischen Kunde und Ver-

sorger erstmals Energie- und Datenflüsse

auf einer gemeinsamen Plattform zusam-

menführt. Damit werden Einzelsysteme wie

Mess- und Zählgeräte, Breitband-Kommuni-

kationstechnologien, Endgeräte eines Haus-

halts, Steuer- und Regelsysteme, das Inter-

net sowie Webtechnologien zu einer neuen

integrierten Lösung verbunden.

Der „Intelligente Zähler“, dessen Testphase

2007 mit 1.000 EnBW-Kunden begann, ist

der erste Baustein dieses innovativen Ge-

samtsystems. Er ist ein elektronischer

Stromzähler mit internetbasierter Kommu-

nikationsschnittstelle, der den aktuellen

Stromverbrauch eines Haushalts ermittelt

und in einem für den Kunden individuellen

und geschützten Internetportal sichtbar

macht.

Stromkunden haben das erste Mal Transpa-

renz in Sachen Energieverbrauch. Dieser

wird kontinuierlich gemessen und an das

Rechenzentrum der EnBW übermittelt. Die

Übertragung auf die Systemplattform er-

folgt vollkommen gesichert und unterliegt

dem Datenschutz. Im Rechenzentrum wer-

den die Daten in Echtzeit zu einem zeitlich

aufgelösten Verbrauchsprofil zusammenge-

fasst und mit dem jeweils gültigen Tarif des

Kunden verknüpft.

Über ein Internetportal der EnBW können

unsere Kunden ihren individuellen Strom-

verbrauch abrufen und analysieren. Da-

durch haben sie die Möglichkeit, Geräte mit

hohem Stromverbrauch ausfindig zu ma-

chen, sie auszuschalten oder gar durch effi-

zientere zu ersetzen. Zudem ermöglicht die

„Intelligente Systemplattform“, Steuerbefeh-

le an einzelne Geräte oder Gerätegruppen –

wie etwa Lampen in einem Raum – zu sen-

den. Auch ein optimales Raumklima bei

möglichst niedrigem Energieverbrauch

kann darüber geschaffen werden: Messda-

ten zur Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder

Helligkeit im Raum sind die Grundlage

dafür.

Darüber hinaus informiert die „Intelligente

Systemplattform“ über Schwankungen bei

der Stromnachfrage. Zeitflexible Tarife

schaffen einen Anreiz, den individuellen

Stromverbrauch in Zeiten geringerer Nach-

frage zu verlegen – und somit Kosten zu

sparen.

In dem Pilotprojekt „Preissignal an der

Steckdose“ wird dieser Ansatz der Selbst-

organisation der Kunden durch einen Preis-

anreiz verfolgt: Ein Preissignal versetzt sie

in die Lage, den Einsatz ihrer Geräte von

teuren Spitzenlastzeiten in Zeitfenster mit

günstigen Strompreisen zu verschieben.

Das Preissignal-Konzept besteht aus einem

„Intelligenten Zähler“ im Keller, einer funk-

gesteuerten Strompreisanzeige in der Woh-

nung und einem Internetportal. Bei diesem

Pilotversuch übermitteln wir den 1.000 aus-

gewählten Kunden über den Tag hinweg

dynamische börsenorientierte Stromtarife.

Erste Erfahrungen zeigen, dass diese trans-

parente Darstellung von Verbrauchs- und

Nachfragedaten das Verhalten des Einzel-

nen verändert. Der jährliche Stromver-

brauch eines Haushalts würde auf diese

Weise um rund 6 % sinken. Weiteres Spar-

potenzial bietet die Regelung von Wärme

und Kühlung im Haus sowie die Steuerung

des Stromverbrauchs durch die „Intelligente

Systemplattform“.

27

› Testen, verbessern, weitertesten: Brennstoffzellen

Bereits seit 2002 kooperiert die EnBW mit

den Brennstoffzellenherstellern Hexis, Vail-

lant, Baxi Innotech, Alstom und CFC Solu-

tions, um effiziente und umweltschonende

Lösungen zu entwickeln. In verschiedenen,

langfristig angelegten Testprogrammen bei

Kunden und Partnern wird die Eignung die-

ser Zukunftstechnologie zur Strom- und

Wärmeversorgung im häuslichen, gewerb-

lichen wie auch kommunalen Bereich er-

probt. Da es sich bei den Brennstoffzellen

für die Gebäude-Energieversorgung um un-

verkäufliche Pilotanlagen handelt, hat die

EnBW für diese Pionierkunden ein spezielles

Konzept entwickelt: Die Anlage bleibt im

Eigentum der EnBW und der Kunde bezahlt

nur die Wärmelieferung und einen einmali-

gen Innovationsbeitrag. Alle weiteren Ko-

sten für die Anlage, ihre Wartung, Instand-

haltung usw. zahlt die EnBW.

Brennstoffzellenheizgeräte der heutigen

Generation zeigen deutliche Fortschritte bei

der Lebensdauer des Brennstoffzellensta-

pels sowie bei Größe, Gewicht und Handha-

bung der Anlagen. Eines der Testgeräte, ein

Produkt des Schweizer Herstellers Sulzer

Hexis, erzielte mit fünf Jahren Testlauf und

fast 43.000 Betriebsstunden ein Rekorder-

gebnis. Es wird damit gerechnet, dass es ab

dem nächsten Jahrzehnt in die Serienferti-

gung gehen kann.

Auch die Ergebnisse mit mittelgroßen

Brennstoffzellen für den kommunalen und

industriellen Einsatz können sich sehen las-

sen. So erzeugte die mit Erdgas betriebene

Schmelzkarbonat-Brennstoffzelle im Miche-

lin-Reifenwerk Karlsruhe in drei Jahren mit

4 Mio. kWh eine Rekord-Strommenge für

diesen Anlagentyp, die lange Zeit nicht

übertroffen wurde.

Mit ihrem Engagement für die Brennstoff-

zelle für biogene Brenngase kombiniert die

EnBW zwei zukunftsträchtige Technologien

miteinander und schlägt so die Brücke zu

den erneuerbaren Energien. Ein erstes

Projekt mit weltweitem Pilotcharakter star-

tete im Oktober 2006 in der Vergärungs-

anlage in Leonberg bei Stuttgart mit einer

Schmelzkarbonat-Brennstoffzelle. Im Sinne

von Effizienz und Klimaschutz ist es in

mehrfacher Hinsicht wegweisend: So soll

der hohe elektrische Wirkungsgrad der An-

lage die Stromausbeute gegenüber einem

konventionellen Blockheizkraftwerk um et-

wa ein Viertel erhöhen – und das bei deut-

lich weniger Schadstoffemissionen. Außer-

dem wird auch die Abwärme der Anlage

sinnvoll genutzt: Sie dient zum Trocknen

der Gärreste – ein Prozess, der sonst mit

Heizöl durchgeführt würde.

Noch steht der Einsatz biogener Gase in

Brennstoffzellen technologisch am Anfang.

Schwefel und Spurengase im Brenngas stel-

len eine besondere Herausforderung dar.

Die EnBW möchte Erfahrungen sammeln

und Brennstoffzellen für neue Brenngase

qualifizieren. Deshalb beteiligt sie sich an

einem weiteren Pilotprojekt: In Stuttgart-

Möhringen wird seit November 2007 Klär-

gas aus Faulschlamm gewonnen und in

einer Brennstoffzellen-Anlage verstromt,

die drei bestehende Blockheizkraftwerke

ergänzt.

26

Page 16: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Wind, Sonne, Wasser, Erdwärme und Biomasse

– große Hoffnungen für den Klimaschutz

liegen in der CO2-freien Energieerzeugung

aus erneuerbaren Energien. Entsprechend

befinden sich zahlreiche innovative Produkte,

Technologien und Verfahren in der Entwicklung

und Erprobung. › Erneuerbare Energien

28 29

Page 17: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

besonders hohen Anteil erneuerbarer Ener-gien im Energiemix, die zwar wegen der An-fangsinvestitionen zunächst teurer sind alskonventionelle Energien, aber langfristigEnergie ohne laufende Brennstoffkosten lie-fern werden.

2020

Es ist zu erwarten, dass die Spitze der welt-weiten täglichen Fördermenge von etwa 100Mio. Fass Öl überschritten ist, und sich dieMenschheit auf zunächst langsam sinkendeÖlfördermengen einstellen wird. Diese zu-nehmende Verknappung, gepaart mit weitersteigendem Bedarf, wird den Ölpreis auf bis-her ungeahnte Höhe treiben. Daher wird dieVerfeuerung dieses wertvollen, flüssigenRohstoffes zur Energiegewinnung zuneh-mend unwirtschaftlicher. Er wird mehr undmehr nur noch für den Transportsektor sowieals Ausgangsstoff der organischen Chemieeingesetzt. Der hohe Ölpreis wird auch zuheftigen Erhöhungen der Preise von Gas,Kohle und Uran führen, da sich Preise amWeltmarkt nach Angebot und Nachfrage und

nicht nach den Kosten regulieren. Volkswirt-schaften, die sich ein gutes Polster an erneu-erbaren Energien geschaffen haben, werdenStandortvorteile genießen. Der globale Anteilan erneuerbaren Energien ist über 10 % ge-stiegen, ein Anteil von 20 % erscheint aberoptimistisch.

Bis 2020 werden sich in den entwickeltenLändern alle Formen der erneuerbaren Ener-gien, von der Windenergie über Biomasse,Geothermie und Photovoltaik bis zur solar-thermischen Energieerzeugung, einen hefti-gen Wettbewerb um die höchsten Wachs-tumsraten liefern. Wasserkraft wird verstärktgenutzt werden, da es ein idealer und flexi-bler Speicher zur Deckung von Tälern in derStromproduktion aus anderen Quellen ist. DieErzeugung erneuerbarer Energiesystemewird einen der global führenden Wirtschafts-zweige darstellen. Stromnetze werden intelli-gent werden, um die zeitlich fluktuierendeEinspeisung erneuerbarer Energien zu ver-kraften. Endverbraucher werden ihren Ver-brauch auf die zeitlich variierenden Strom-kosten einstellen.

31

Status quo

Erneuerbare Energien machen heute weni-ger als 10 % der globalen Energieerzeugungaus. Den größten Anteil davon haben Wasser-kraft und Biomasse. Zwei wesentliche Ent-wicklungen führen dazu, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren stark ver-ändern wird. Die Gefahr der globalen Klima-veränderung wird mehr und mehr deutlich. Dazu kommt die sich abzeichnende Ver-knappung fossiler Brennstoffe, allen vorandes Rohöls.

Diese Erkenntnis führte in den letzten Jahrenzu einer fundamentalen Änderung der öffent-lichen Meinung. Es wird nun in weiten Krei-sen erkannt, dass eine rasche Umstellungauf erneuerbare Energien das Gebot derStunde ist. In Deutschland wurde dies durchdie Einführung eines Einspeisetarifs politischbesonders effektiv umgesetzt. Er macht dieHerstellung erneuerbarer Energien finanziell

Prof. Eicke Weber ist Leiter des

Freiburger Fraunhofer-Instituts für

Solare Energiesysteme ISE. Mit sei-

nen 23 Jahren Forschungsarbeit in

den USA und seinen Arbeiten zu

Halbleitern hat er sich weltweit einen

Namen gemacht.

Die Erneuerbaren schaffen Standortvorteile

attraktiv, obwohl die Kosten der meisten er-neuerbaren Energien, besonders der Solar-energie, heute noch beträchtlich höher alsdie der fossilen Energien sind. Dies führtedazu, dass besonders Wind- und Solarener-gie in Form der Photovoltaik in Deutschlandeinen unerwarteten Aufschwung nahmen,der z. B. dazu führte, dass die Nachfragenach Solarmodulen die Produktion über-schritt. Die Herstellung des für die Solarzel-len bisher erforderlichen Reinstsiliziumskonnte mit der raschen Kapazitätsauswei-tung der Branche mit jährlichen Zuwachs-raten von 30 bis 50 % einfach nicht schritt-halten.

Durch diese günstigen politischen Rahmen-bedingungen hat Deutschland in den letztenJahren eine weltweit führende Stellung aufdiesem wichtigen Technologiesektor über-nommen. Daher können wir in den kommen-den Jahren einen doppelten Standortvorteilerwarten: als Ort der Innovation in diesemwichtigen Bereich, was sich in Arbeitsplätzebesonders auch im wirtschaftlich schwachenMitteldeutschland umsetzt, und durch einen

30

2050

Die Erdbevölkerung wird ihre Spitze von viel-leicht knapp unterhalb 10 Milliarden über-schreiten und in den folgenden Jahrzehntenzu sinken beginnen. Der Anteil erneuerbarerEnergien wird global auf 50 % oder sogardarüber gestiegen sein. Die genaue Zahlhängt wesentlich davon ab, wann der globaleKlimawandel zur großen Wende in der Auf-merksamkeit der Weltöffentlichkeit führt.Seine Folgen werden die Rettung des Plane-ten, wie wir ihn kennen, als Thema in denMittelpunkt rücken. Firmen und Konzerne,die sich auf die Erzeugung erneuerbarerEnergiesysteme spezialisiert haben, werdeneinen bemerkenswerten Anteil der globalenWertschöpfung erzielen. Einen rasch wach-senden Anteil wird dabei die direkte Nutzungder Sonnenenergie einnehmen, besonders inder Photovoltaik. Bis dahin wird sie durch ei-ne automatisierte Großproduktion bis in denTerrawatt-Maßstab hinein preiswert. Eineglobale Vernetzung der Stromsysteme –basierend auf Hochspannungsgleichstrom-und supraleitenden Leitungen – wird die Ver-

teilung der Solarenergie über weite Distanzenermöglichen. Energiespeichertechnologienwerden sowohl lokale wie dezentrale Energie-speicherung erlauben. Die Umwandlung vonSolarenergie in Wasserstoff wird im groß-technischen Maßstab begonnen haben. DieNutzung von Wind und geothermischer Ener-gie wird globaler Standard sein, ebenso dieenergetische Nutzung der Biomasse, beson-ders der Biomasse, die aus Abfallstoffen ge-wonnen wird. Bis heute noch nicht entdeckteProzesse werden möglicherweise die direkteErzeugung von flüssigen Treibstoffen aus derEnergie der Sonne ermöglichen. Dadurchwird es möglich werden, den globalen jährli-chen Ausstoß an klimaschädlichen Gasenzum Sinken zu bringen. Die entscheidendeAntwort auf die Frage, ob dies noch früh ge-nug geschieht, um einen unwiderruflichenWechsel des Erdklimas zu vermeiden, derdurch Veränderung kritischer Regelkreise wiez. B. der Monsunzyklen oder des Golfstromseintreten kann, ist allerdings aus heutigerSicht nur sehr schwer zu beantworten.

Page 18: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Maximalwirkungsgrad von 29,3 % kommt.

Neben den Siliziumzellen gibt es auch Zel-

len aus anderen Halbleitern, wie Gallium-

Arsenid oder Gallium-Indium-Verbindun-

gen. Diese Verbindungshalbleiter erlauben

die Herstellung von sogenannten „monoli-

thischen Tandemzellen“. Dazu muss man

wissen, dass jeder Halbleiter nur einen

begrenzten Bereich der Wellenlänge des

Sonnenlichts nutzen kann. Tandemzellen

kombinieren deshalb Halbleiter mit ver-

schiedenen Eigenschaften, um das Licht-

spektrum möglichst breit auszunutzen und

so eine maximale Ausbeute zu erzielen. Da-

bei werden Halbleiter mit verschiedenen

Energiebandlücken übereinander gestapelt.

Oben ist der Halbleiter mit der größten

Energielücke, der das Licht für die darunter

liegenden Schichten durchlässt. So können

theoretisch Wirkungsgrade von bis zu 50 %

erzielt werden, 40 % wurden in wissen-

schaftlichen Instituten erzielt. Allerdings

sind die Zellen so teuer, dass sie nur kleinflä-

chig eingesetzt werden können. Da sie aber

zugleich problemlos 500-fach verstärktes

Sonnenlicht nutzen können, bietet sich eine

Kombination der Zellen mit Konzentratoren

an, vor allem Fresnel-Linsen, benannt nach

dem französischen Physiker Augustin Jean

Fresnel (1788 - 1827). Das sind optische Lin-

sen, die das Licht stark bündeln können.

Unstrittig ist unter Experten, dass mittel-

fristig das Silizium weiterhin den Markt

dominieren wird. Zellen aus Dünnschicht-

Silizium werden dabei vermutlich zuneh-

men. Bei diesen wird das amorphe Silizium

auf Glas abgeschieden. Im Wirkungsgrad

kommen sie zwar nicht an ihre Pendants

aus gesägten kristallinen Siliziumscheiben

(Wafern) heran, doch aufgrund ihrer nied-

rigeren Produktionskosten sind sie gleich-

wohl attraktiv. Alternativ werden Dünn-

schichtzellen auch aus Kupfer-Indium-

Diselenid (CIS) gefertigt, sowie aus Kupfer,

Indium, Gallium und Selen (CIGS), oder

auch aus Kupfer, Indium, Gallium, Sulfid

und Selen (CIGSSe).

Visionäre hoffen unterdessen auf photovol-

taisch aktive Substanzen, die als eine Art

Lack einfach und billig auf passendem Un-

tergrund aufgetragen werden können. An-

dere setzen auf Solarzellen mit organischen

Farbstoffen. Bereits in den frühen Neunzi-

gerjahren hatte der schweizerische Profes-

sor Michael Grätzel mit Veröffentlichungen

zur Farbstoffzelle eine Euphorie verursacht,

die sich aber bald als verfrüht erwies. Denn

eine Hürde ist noch der Übergang von klei-

nen Zellen zu großen Modulen, eine andere

die Langzeitstabilität der Farbstoffe.

Einen deutlichen Preisrückgang der Silizi-

umzellen wird in Zukunft möglicherweise

auch die Verwendung „schmutzigen” Silizi-

Im sonnenreichen Südeuropa wird unter-

dessen die Solarstromerzeugung mittels so-

larthermischer Kraftwerke vorangetrieben.

Das sind Anlagen, bei denen die Sonnen-

wärme Dampf erzeugt, der eine klassische

Kraftmaschine antreibt. Das kann mit Para-

bolspiegeln („Solar-Dish”) oder mit Parabol-

rinnen geschehen. Eine attraktive Alternati-

ve könnten Fresnel-Kollektoren werden. Die

Parabolrinne wird dabei durch ein Feld von

der Sonne nachgeführten Flachspiegeln er-

setzt, das die Sonnenstrahlen auf die Sam-

melröhre konzentriert.

33

Wind: Die neuen Riesen

Über Jahre hinweg stand bei der Windkraft-

industrie vor allem die Größe im Fokus –

von Jahr zu Jahr wurden die Anlagen leis-

tungsstärker. Kleine Maschinen mit Leistun-

gen unter 100 Kilowatt standen in den

späten Achtzigerjahren am Anfang der

modernen Windkraft. 1996 überschritt der

Durchschnitt der neuen Maschinen erst-

mals die Marke von 500 Kilowatt, im Jahr

2000 erstmals die Megawatt-Grenze. Und

im Jahr 2007 dürfte die Leistung eines

durchschnittlichen neuen Rotors sogar bei

rund zwei Megawatt liegen, während die

weltgrößten Maschinen bereits eine Leis-

tung von sechs Megawatt erreichen. Bei Na-

benhöhen von über 130 Metern und Rotor-

durchmessern von bis zu 126 Metern gerät

die Technik damit jedoch langsam an die

Grenzen des Wachstums. Entsprechend ste-

hen zunehmend andere Ziele im Vorder-

grund als die schiere Größe.

So wird zum Beispiel weiterhin – mitunter

intensiver denn je – an den Flügelprofilen

gearbeitet, die noch lange nicht das physi-

kalische Optimum erreichen. Die Firma

Enercon aus Aurich, Marktführer in

Deutschland, brachte als Vorreiter bereits

modifizierte Rotorblätter auf den Markt, de-

ren Spitzen abgewinkelt sind. Damit nutzen

die Blätter den inneren Teil der Rotorkreis-

fläche besser aus, indem sie eine gleichmä-

ßige Umströmung auf der ganzen Länge des

Blattprofils sicherstellen. Auch sollen die

Rotorblätter weniger anfällig sein für Turbu-

lenzen, bei gleichzeitig geringeren Strö-

mungsgeräuschen. Von Mehrerträgen bis

zu 12 % allein durch die neuen Flügel ist bei

Enercon die Rede.

Auch die Antriebs- und Generatortechnik

entwickelt sich stetig weiter. Neben den

klassischen Maschinen mit Getriebe sind

seit Jahren auch getriebelose Anlagen auf

dem Markt. Bei diesen sind Rotornabe und

Generator direkt miteinander verbunden,

was von Anlagenbetreibern gerne gesehen

wird, weil das Getriebe ein verschleißanfälli-

ges Element ist.

Unterdessen ist in der Generatortechnik in

den letzen Jahren eine gänzlich neue Bauva-

riante aufgekommen. Bisher wurde in den

Generatoren der Stromfluss immer alleine

durch Elektromagneten induziert. Immer

häufiger setzen Ingenieure heute auf eine

Kombination von rotierendem Permanent-

magneten und feststehendem Elektro-

magneten. Diese permanenterregten Syn-

chrongeneratoren verfügen über bessere

Netzeigenschaften, sind um 30 bis 40 %

leichter als vergleichbare Maschinen her-

kömmlicher Bauart und zudem um ein

Viertel kleiner. Außerdem ist ihr Wirkungs-

grad noch einen Hauch besser.

Best Practice

Voraussetzungen für den Bau solcher Hoch-

leistungsmagneten waren neue Materialen

auf Basis so genannter Seltener Erden wie

Neodym, die erst in den vergangenen zehn

Jahren überhaupt hergestellt werden konn-

ten. Erst damit ließen sich Permanent-

magneten fertigen, die nicht nur eine aus-

reichend hohe Energiedichte mitbringen,

sondern auch noch ausreichend stabil sind

gegen Entmagnetisierung.

Die wohl größte Herausforderung für die

Windkrafttechnik ist jedoch der Schritt vom

Land aufs Meer. Neue Formen des Funda-

mentbaus müssen gefunden werden, die

Maschinen werden durch aggressive Salzluft

angegriffen, und der Wartungsaufwand ist

deutlich größer als an Land.

Mit einer kreativen Idee begegnet unterdes-

sen der Hersteller Multibrid dem Thema

Korrosion durch salzhaltige Luft: Am Turm-

fuß seiner Anlagen befindet sich ein Luft-

aufbereitungssystem, das Umgebungsluft

ansaugt und Feuchte und Salz abscheidet.

Mit der aufbereiteten Luft wird dann in

Turm und Gondel ein Überdruck aufgebaut

– so kann Salzluft gar nicht erst in die Ma-

schine eindringen.

Solarenergie: Kampf um niedrigerePreise und höhere Wirkungsgrade

Die Stromgewinnung aus Sonnenlicht wird

effizienter: Vor 25 Jahren erreichten die meis-

ten Solarmodule gerade einen Wirkungs-

grad von 8 %, heute nähern sich einige Seri-

enmodule bereits der 20-Prozent-Marke.

Am effizientesten sind die monokristallinen

Zellen, die aus einem einzigen großen Silizi-

umkristall gesägt werden, und damit über

keine Korngrenzen verfügen; sie kommen

derzeit auf einen Marktanteil von etwa ei-

nem Drittel. Weiter verbreitet, weil billiger

zu produzieren, sind die multi- oder polykri-

stallinen Zellen, die als Module heute Wir-

kungsgrade bis 15 % erreichen. Im Labor

werden höhere Wirkungsgrade erreicht, wo-

bei der Weltrekord der Siliziumzellen bei

24,3 % liegt. Doch der Aufwand wird immer

größer, je näher man dem theoretischen

32

ums bringen, wie es von Professor Eicke We-

ber und seiner Arbeitsgruppe vor wenigen

Jahren in Berkeley vorgeschlagen wurde.

Denn für die Ausbeute der Zellen ist nicht

entscheidend, wie viele Metallatome das

Silizium verunreinigen, sondern wie sie

verteilt sind. Auch Zellen mit einem hohen

Gehalt an Fremdatomen können noch eine

gute Stromausbeute erzielen, sofern die

Störsubstanzen auf wenige Stellen konzen-

triert werden. Mit der Verwendung von

„schmutzigem” Silizium ließen sich nicht

nur die Kosten deutlich senken, sondern

man könnte auch den Engpass an hochrei-

nem Silizium beseitigen.

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Gemeinsam ist den beiden Projekten Lan-

dau und Unterhaching, dass sie recht pro-

blemlos vorankamen, und gemeinsam ist

ihnen auch das Verfahren: Beide Kraftwerke

nutzen die hydrothermale Geothermie, also

Wasser aus den Tiefen der Erde. Alternativ

dazu gibt es das so genannte Hot-Dry-Rock-

Verfahren (HDR), das im Stil eines Durch-

lauferhitzers das heiße Gestein nutzt. Doch

diese Technik ist schwieriger zu realisieren.

Unterhaching nutzt Tiefenwasser aus 3.300

Meter Tiefe, das in Mengen von 150 Liter

pro Sekunde und mit Temperaturen von

120° C gefördert wird. Eine Dampfturbine,

die wegen der niedrigen Temperatur mit ei-

nem Ammoniak-Wasser-Gemisch läuft, soll

einen Teil der Wärme zu Strom machen.

Kalina heißt das Verfahren, es wird von

Siemens geliefert. Die elektrische Leistung

beträgt 3,4 Megawatt, während zugleich

Niedertemperaturwärme über ein Nahwär-

menetz in der Gemeinde verteilt wird, um

Wohnhäuser und Unternehmen mit Heiz-

energie zu versorgen.

Ähnlich ist die Situation in Landau in der

Pfalz. In 3.000 Meter Tiefe wurde Wasser

mit 155° C vorgefunden, womit das Kraft-

werk nun 2,5 Megawatt elektrische Leis-

tung erzeugen kann. In Landau wird ein so

genannter ORC-Prozess eingesetzt, was für

„Organic Rankine Cycle” steht. Dieser nutzt

ein organisches Medium als Wärmeträger.

Durch die EEG-Förderung können Erdwär-

mekraftwerke wirtschaftlich arbeiten – und

so werden weitere Anlagen folgen. Das Bun-

desumweltministerium spricht aktuell von

rund 150 Projekten, die in Deutschland ge-

plant sind; das Investitionsvolumen soll bei

4 Mrd. Euro liegen. Weltweit sind bereits

Geothermiekraftwerke mit zusammen

9.000 Megawatt elektrischer Leistung in-

stalliert, wobei Italien, die USA, die Philippi-

nen, Indonesien und Mexiko die größten

Erzeuger geothermischen Stroms sind.

Technologisch ist bei der Geothermie unter-

dessen so viel Neues nicht zu erwarten. Die

Bohrverfahren sind aus der Ölexploration

schon weit entwickelt, die obertägige Kraft-

maschinentechnik ist mit Kalina und ORC

auch weit fortgeschritten, wenngleich Kali-

na noch Betriebserfahrung braucht. Weil

hydrothermale Geothermiestandorte in

Deutschland nur 4 % des Potenzials ausma-

chen, besteht das Enwicklungspotenzial der

geothermischen Stromerzeugung darin, die

Verfahren für die Erschließung des übrigen,

standortunabhängigen Anteils weiterzuent-

wickeln und wirtschaftlich zu machen. Gro-

ße Erwartungen ruhen darauf, noch tiefere

Gesteinsschichten mit höheren Temperatu-

ren zu erschließen und gleichzeitig das Ge-

stein mit speziellen Verfahren noch durch-

lässiger zu machen.

Stromspeicherung: Von derBatterie bis zum Salzstock

Anders als die Geothermie sind die meisten

anderen erneuerbaren Energien abhängig

vom Wetter. Folglich denken Ingenieure

über vielfältige Speichertechniken für

Strom nach. Dazu zählen zum Beispiel neu-

artige chemische Batterietypen auf Vana-

diumbasis (Redox-Flow-Batterien), deren

Baugröße und damit Speicherkapazität fast

beliebig aufzustocken ist. Außerdem werden

Superkondensatoren entwickelt, und auch

supraleitende Spulen, in denen der Strom

widerstandsfrei zirkuliert – und damit ge-

speichert werden kann. Unterdessen werden

im Sektor der Notstromversorgung bereits

Schwungräder eingesetzt, die auf zigtau-

send Umdrehungen pro Minute beschleu-

nigt werden, um beim Abbremsen binnen

Sekundenbruchteilen Strom zu liefern.

Darüber hinaus gibt es die Variante, Wind

mittels Druckluft in norddeutschen Salz-

stöcken einzulagern. Ein solches Projekt ist

bei der EnBW in Planung. Und schließlich

steht natürlich immer wieder auch die Spei-

cheroption Wasserstoff im Raum. Die kos-

tengünstigste Art, große Leistungen und

auch große Energiemengen mit hohen Wir-

kungsgraden zu speichern, ist jedoch nach

wie vor die Nutzung der Wasserkraft in

Pumpspeicherkraftwerken. Doch auch hier

ist das Potenzial in Deutschland begrenzt.

Die Erzeugung von Strom in solaren Wär-

mekraftwerken (Solarthermie) kann durch

eine innovative Möglichkeit der Wärmespei-

cherung neuerdings auch in sonnenlosen

Stunden weiterlaufen. Dazu wird die Wärme

in Salzen gespeichert, die bei niedrigen

Temperaturen schmelzen. Die Salze können

die Wärme bei Bedarf wieder freisetzen.

Speicher können aber auch auf der Verbrau-

cherseite gefunden werden. Große Kühlhäu-

ser zum Beispiel – sie können über Stunden

ohne Strom auskommen, weil sie die Kälte

speichern – erhalten bevorzugt dann den

Strom, wenn er reichlich zur Verfügung

steht.

35

Biomasse: Speicherfähigkeit als großer Vorteil

Die Biomassenutzung wurde in Deutsch-

land zuletzt stark ausgebaut. Im Jahr 2006

wurden in Deutschland fast 17 Mrd. Kilo-

wattstunden Strom aus Biomasse gewon-

nen, darunter gut 10 Mrd. aus Holz, über 5

Mrd. aus Biogas, und rund 1 Mrd. aus Pflan-

zenöl. Der Anteil der Biomasse am nationa-

len Strommix lag zuletzt bei rund 3 %.

Auch technologisch ist die Nutzung von

Bioenergie inzwischen weit fortgeschritten.

Vor allem die Veredelung von Biogas zu Bio-

methan – also zu Gas mit der Qualität von

Erdgas – und die anschließende Einspeisung

des Gases ins konventionelle Erdgasnetz gel-

ten als zukunftsweisend. Eines der ersten

Beispiele dieser Art in Deutschland ist eine

Biogasanlage im bayerischen Pliening, die

seit Ende 2006 in Betrieb ist. Ein anderes

Beispiel ist eine Anlage in Zürich, die Grün-

abfälle aus der Biotonne vergärt, um das

Gas ins Verteilnetz der Gasversorgung

Zürich einzuspeisen.

Damit wird ein Manko vieler heutiger Bio-

gasanlagen behoben: Sie nutzen die anfal-

lende Wärme nur unzureichend, weil oft

nicht genügend Abnehmer vor Ort vorhan-

den sind. Wird das Gas jedoch über das Erd-

gasnetz zu einem Verbraucher geleitet, der

die anfallende Wärme komplett nutzen

kann, erhöht sich die energetische Gesamt-

ausbeute deutlich.

Die Aufbereitung des Biogases ist zwar heu-

te technisch gut beherrschbar, aber sie ist

aufwendig und lohnt sich somit nur bei

Großanlagen. Denn das Rohgas, das mit

rund 60 bis 65 % Methananteil aus dem

Gärreaktor kommt, muss auf Erdgasqualität

gereinigt werden. Hierzu wird vor allem CO2entfernt, das Gas entfeuchtet und von Spu-

rengasen wie Schwefelwasserstoff befreit.

Der Ausbau der Bioenergienutzung benötigt

viel Sensibilität – auch in anderer Hinsicht.

Denn durch die Flächenkonkurrenz von Bio-

energie und Nahrungsmitteln drohen Fehl-

entwicklungen. Um der Verknappung im

Lebensmittelsektor zu begegnen, denken

Forscher über neue organische Rohstoff-

quellen nach. Am Institut für Technische

Chemie des Forschungszentrums Karlsruhe

werden gleich zwei verschiedene Verfahren

entwickelt: Das eine setzt auf feste Biomas-

se, wie Stroh und Holz, und nutzt ein zwei-

stufiges Verfahren aus Pyrolyse und Ver-

gasung. Das andere soll feuchte Biomasse –

wie Klärschlämme, Abfälle aus der Nah-

rungsmittelindustrie, Algen und konta-

minierte organische Abwässer aus der In-

dustrie – auf dem Wege der Vergasung ver-

werten. Am Ende soll von der Biomasse vor

allem eines übrig blieben: Wasserstoff.

Geothermie: Erneuerbare Energie für die Grundlast

Die Geothermie hat grundsätzlich ein riesi-

ges Potenzial. Und die rein thermische Nut-

zung hat – zum Beispiel bei Thermalquellen

– auch eine lange Tradition. Schwieriger je-

doch ist die Stromerzeugung aus Erdwärme,

weil die Temperaturen häufig zu niedrig

sind für den effizienten Betrieb einer

Turbine.

Doch seit dem Jahr 2004, als im Erneuerba-

re-Energien-Gesetz (EEG) auch für Strom

aus Geothermie attraktive Fördersätze defi-

niert wurden, ist auch auf diesem Sektor ei-

niges in Bewegung geraten. Gleichwohl ist

die Tiefengeothermie nach wie vor ein

schwieriges Metier. Die Geologie ist nicht

so berechenbar, wie man es sich wünscht:

Fließt weniger Wasser im Untergrund als er-

hofft, oder sind die Temperaturen geringer,

ist die Wirtschaftlichkeit eines Projektes

schnell dahin. Oder es gibt Probleme, wie in

Basel, wo die Arbeiten an einem Geother-

miekraftwerk für unbestimmte Zeit ausge-

setzt wurden, nachdem sie mehrere Erd-

stöße ausgelöst hatten.

Doch es gibt auch erfolgreiche Projekte,

zwei sind bereits weitgehend vollendet: In

Landau in der Pfalz und in Unterhaching bei

München ging im Herbst jeweils ein Erdwär-

mekraftwerk in Betrieb. Es waren die ersten

beiden großen Projekte in Deutschland. Zu-

vor lieferte lediglich eine kleine Anlage

Strom, die im November 2003 mit 230 Kilo-

watt in Neustadt-Glewe in Mecklenburg-

Vorpommern ans Netz ging.

34

Page 20: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› Bestens erforscht: Soultz-sous-Forêts

Mit ihrem Engagement am Standort Soultz-

sous-Forêt im Oberrheingraben hat die

EnBW Zugang zu einem der wichtigsten

geothermischen Forschungsstandorte in

Europa. Nach 20 Jahren intensiver Erfor-

schung des Untergrunds begann dort im

Sommer 2007 der Bau des oberirdischen

Kraftwerks. Es wurde im Frühjahr 2008 in

Betrieb genommen.

In Soultz handelt es sich um ein EGS-System

(Enhanced Geothermal System, auch Hot-

Dry-Rock-Verfahren genannt). Es wurden

drei Bohrungen auf rund 5.000 Meter Tiefe

abgeteuft. Eine Bohrung dient zur Injektion

von Wasser, das – wie bei einem Durchlauf-

erhitzer – vom heißen Granitgestein auf et-

wa 200° C erwärmt und über Pumpen durch

die anderen zwei Bohrschächte wieder an

die Oberfläche gebracht wird. Da die Förde-

rung ein neuralgischer Punkt ist, schließlich

stellen Temperaturen, Förderraten und Mi-

neralgehalt höchste Ansprüche an Material

und Technik, kommen in Soultz-sous-Forêts

verschiedene Pumpsysteme zum Einsatz.

Damit sollen vielfältige Erkenntnisse zur

Weiterentwicklung dieser Technologie ge-

wonnen werden.

Als Kraftprozess wird ein „Organic-Rankine-

Cycle“ installiert, der für die Stromerzeu-

gung aus Niedertemperaturquellen opti-

miert wurde: Im Wärmetauscher gibt das

heiße Tiefenwasser seine Wärme an das or-

ganische Arbeitsmedium Isobutan ab, das

verdampft und in der Turbine entspannt

wird. Das Kraftwerk erzeugt eine elektrische

Leistung von 1,5 MW. Damit sollen schon

2008 etwa 3.500 elsässische Haushalte mit

Strom aus Erdwärme versorgt werden.

› Geologischer Glücksfall: Bruchsal

Im Januar 2008 wurde in Bruchsal der

Grundstein für das erste Geothermie-

Kraftwerk in Baden-Württemberg gelegt.

Es hat eine Leistung von 550 Kilowatt und

soll ab Herbst 2008 rund 1.000 Haushalte

mit CO2-frei erzeugtem Strom versorgen.

Das Gemeinschaftsprojekt von EU, Bund

und Land sowie der Energie- und Wasserver-

sorgung Bruchsal datiert ins Jahr 1983 zu-

rück. Die beiden Bohrungen erfolgten noch

im selben Jahr und 1984/85. Danach ruhte

das Vorhaben bis 2001 – da machte die För-

derungsmöglichkeit durch das Erneuerbare-

Energien-Gesetz geothermischen Strom

wirtschaftlich wieder interessant. 2005 kam

die EnBW mit ins Boot. Das Projekt hat ein

Gesamtinvestitionsvolumen von etwa 17

Mio. Euro; die EnBW beteiligt sich daran mit

rund 6,5 Mio. Euro.

Bruchsal ist ein geologischer Glücksfall: Bei

Bohrungen stieß man in 1.900 und 2.500

Meter Tiefe auf eine hydrothermale Quelle

mit einer Temperatur von rund 130° C.

Hydrothermale Systeme machen nur etwa

4 % des gesamten Erdwärmepotenzials in

Deutschland aus. Im Gegensatz zu anderen

Geothermie-Systemen kann man bei ihnen

auf das am Standort bereits vorhandene

Grundwasser zurückgreifen. Dafür stellt das

Bruchsaler Projekt die Betreiber vor Heraus-

forderungen anderer Art: Im Gegensatz zu

konventionellen Kreisläufen mit reinem

Wasser sowie auch Geothermie-Vorhaben

mit Thermalwasser ist das Bruchsaler Ther-

malwasser außerordentlich stark minerali-

siert und salzhaltig. Besonderes Augenmerk

gilt deshalb der Wasserchemie und der

Wechselwirkung zwischen Thermalwasser

und verwendeten Werkstoffen.

37

EnBW-Praxis

› Geothermie: Der Ofen unter unseren Füßen

Die Erdwärme kann wegen ihres hohen Po-

tenzials mittel- bis langfristig eine wichtige

Rolle für unsere Wärme- und Strombereit-

stellung spielen. Dies gilt für Baden-Würt-

temberg in besonderem Maß. Hier findet

man schon zirka 15 % aller deutschen Erd-

wärmeheizungen; dennoch ist das techni-

sche Potenzial bisher aber noch nicht ein-

mal zu 1 % ausgeschöpft.

Die EnBW möchte die Nutzung der Erdwär-

me zum Heizen in Theorie und Praxis wei-

terentwickeln. Entsprechend unterstützt sie

die Universität Karlsruhe mit einer Stif-

tungsprofessur für Geothermie. Darüber

hinaus will sie Erfahrungen bei der Errich-

tung und dem Betrieb von Geothermie-

Kraftwerken gewinnen und dazu beitragen,

dass Strom aus der Erde wirtschaftlich wird.

Die positiven Effekte dieses Engagements

liegen auf der Hand: Einsparung von Pri-

märenergie, Reduktion der CO2-Emissionen

und neue Arbeitsplätze im Land.

› Oberflächennah: Erdwärme zum Heizen

Im oberflächennahen Bereich – mittels Wär-

mepumpe mit Erdsonde, die zwischen 100

und 400 Meter tief reicht – gehört die Nut-

zung der Erdwärme quasi zum Tagesge-

schäft. Bei Neubauten der EnBW wird ihre

Umsetzung standardmäßig geprüft. So

erhielten sowohl das Logistikcenter in Her-

renberg als auch das neue Bürocenter in

Biberach jeweils 40 Erdwärmesonden zum

Heizen und Kühlen. Und die Erdwärme-

anlage der EnBW-City, dem künftigen Stutt-

garter Verwaltungsbau für rund 2.000 Be-

schäftigte, war zum Zeitpunkt ihrer Errich-

tung mit 13.000 Metern Sondenlänge die

größte in Deutschland.

Mit dem EnBW-Förderprogramm „Geother-

mie“ unterstützen wir die Verbreitung der

Erdwärmeheizung in Ein- und Zweifamilien-

häusern. Ende 2007 waren fast 1.800 Anträ-

ge bewilligt, 852 davon stammen aus dem

Jahr 2006. Mit einer Erdwärmeheizung kön-

nen durchschnittlich 1,8 t CO2 pro Jahr ein-

gespart werden. Eine Nummer größer, aber

mit Bohrtiefen unter 400 Metern auch zur

„Untiefen Geothermie“ zählend, sind die

Pilotprojekte „Kalte Nahwärme“ in March

Hugstetten oder die CO2-Sonde in Triberg.

Die innovative Versorgungslösung via Wär-

mepumpen im Neubaugebiet March um-

fasst 154 Häuser bzw. Wohneinheiten. Aus

einer dezentralen Brunnenanlage wird war-

mes Grundwasser zu den Häusern geführt

und dann wieder in die Erde zurückgeleitet.

Im Schwarzwaldort Triberg erprobt die

EnBW eine neuartige, mit CO2 gefüllte Erd-

sonde. Ihr besonderer Vorteil: Sie kommt –

im Gegensatz zu den bisherigen, mit Sole

gefüllten Sonden – ohne Umwälzpumpe

aus. Mit ihrer CO2-Befüllung ist sie beson-

ders umweltfreundlich und empfiehlt sich

speziell auch für Gebiete mit erhöhten An-

forderungen an den Grundwasserschutz.

› Heißes Eisen: Tiefengeothermie

Ganz andere Möglichkeiten – etwa die direk-

te Wärmenutzung oder die Stromerzeugung

– bietet die Tiefengeothermie mit Bohrun-

gen bis zu 5.000 Metern. Allerdings sind

auch die Herausforderungen größer: Ist das

Reservoir erst einmal erschlossen, stellen

Temperaturen, Förderraten und Mineralge-

halt des Thermalwassers hohe Anforderun-

gen an Pumpentechnik und Material. Auch

Rückschläge gehören zum Geschäft. Im

Geothermieprojekt Basel traten nach Fertig-

stellung der ersten Bohrung im Dezember

2006 beim Einpressen von Wasser Erdstöße

auf. Die Wasserinjektion zur Herstellung des

unterirdischen Wärmetauschers wurde un-

terbrochen und die Ursachenforschung ein-

geleitet. Die Untersuchungsergebnisse wer-

den gegen Ende des Jahres 2008 erwartet.

Die EnBW beteiligt sich an diesem Projekt

über ihre Tochtergesellschaft Energiedienst

Holding. Geplant ist ein geothermisches

Kraftwerk zum langjährigen, kommerziellen

Betrieb mit 6 MW elektrischer und 17 MW

thermischer Leistung samt Fernwärmeaus-

kopplung.

36

Page 21: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› Holzasche: Zurück zu den Wurzeln

Gemeinsam mit der Forstlichen Versuchs-

und Forschungsanstalt Baden-Württemberg

hat die EnBW 2007 ein dreijähriges Pilotpro-

jekt gestartet zur Weiterverwendung von

Feuerraum-Holzasche aus Biomasse-Heiz-

kraftwerken.

Asche aus Waldholz hat einen besonders ho-

hen Calcium-, Kalium- und Phosphorgehalt.

Mit Kalk vermischt, soll diese als Dünger

wieder im Wald ausgebracht werden. Damit

gelänge die Schließung des Nährstoffkreis-

laufs bei Waldholz in der energetischen Nut-

zung, kostspieliger Dünger würde gespart

und Biomassekraftwerke mit reinem Wald-

holzeinsatz hätten einen gesicherten Ent-

sorgungsweg.

› Strom auf Vorrat: Adiabater Druckluftspeicher

Die EnBW prüft unter anderem mit Unter-

stützung des Landes Niedersachsen die

Möglichkeit, den weltweit ersten adiabaten

Druckluftspeicher zu entwickeln und zu er-

richten. Die norddeutsche Tiefebene bietet

aufgrund ihrer Salzlagerstätten ideale geo-

logische Voraussetzungen für die Aushöh-

lung großer unterirdischer Speicherkaver-

nen für Druckluft. Wenn der Ausbau der

erneuerbaren Energien – im norddeutschen

und nordeuropäischen Raum vor allem der

Windkraft – mittelfristig die Integration ef-

fizienter und logistisch sinnvoller Energie-

speicher in das Versorgungssystem notwen-

dig macht, sind adiabate Druckluftspeicher

eine interessante Option.

Die Erzeugung von Energie aus Windkraft

ist nicht steuerbar. So kann es bei starkem

Wind und geringem Strombedarf zu einem

Ungleichgewicht zwischen Angebot und

Nachfrage kommen. Diese Unterschiede

werden künftig in dem Maße zunehmen,

wie das Angebot an Windstrom wächst.

Große Energiespeicher, wie adiabate Druck-

luftspeicher, könnten diese Diskrepanz

ausgleichen.

Erste Versuche, Strom in Form von Druck-

luft in Kavernen zu speichern, gibt es seit

den Siebzigerjahren. In diesen Speicher-

kraftwerken wird die gespeicherte Druckluft

als Verbrennungsluft zum Antrieb eines

Gasturbinenkraftwerks verwandt. Dabei

entstehen CO2-Emissionen, und der Wir-

kungsgrad liegt bei lediglich 54 %. Die

daraus resultierenden wirtschaftlichen

und ökologischen Nachteile stehen einer

Markteinführung dieser Anlagen im Wege.

Der adiabate Druckluftspeicher der EnBW

soll Strom in Form von Druckluft und Wär-

me speichern. Die Ausspeicherung des

Stroms erfolgt ohne CO2-Emissionen und

mit einem Wirkungsgrad von 70 %. Dabei

werden erstmals alle Systeme zur Luftkom-

pression, Wärmespeicherung, Druckluft-

speicherung und Stromerzeugung mit

Druckluft zu einer einzigen, technisch opti-

mierten Speicheranlage zusammengeführt.

39

Neuland ist auch die Kraftwerkstechnik:

Aufgrund der Thermalwassertemperaturen

soll mit dem Kalina-Prozess eine Technik

zum Einsatz kommen, die weltweit bisher

nur in ein paar Anlagen angewandt wird.

Während Dampfkreisläufe in konventionel-

len Kraftwerken mit Temperaturen bis zu

600° C arbeiten, steht das Bruchsaler Ther-

malwasser am Kraftwerk nur mit 118° C zur

Verfügung. Da sich Wasser als Medium für

einen Prozess mit so niedrigen Temperatu-

ren nicht eignet, zirkuliert statt dessen ein

Ammoniak-Wasser-Gemisch als Arbeits-

medium. Dieses minimiert die Wärmeüber-

tragungsverluste von Thermalwasser auf

den Kraftwerksprozess.

› Optimale Wertschöpfung: Erdgas aus Biomasse

Im Sommer 2007 begann die EnBW-Toch-

tergesellschaft Erdgas Südwest in Burgrie-

den bei Laupheim mit dem Bau der ersten

Anlage zur Biogaseinspeisung in Baden-

Württemberg. Eine Erzeugungsgemein-

schaft von 22 Landwirten der Region errich-

tete die zugehörige Biogasanlage mit einer

Jahreserzeugung von 5,1 Mio. m³ Biogas aus

Energiepflanzen und landwirtschaftlichen

Reststoffen. Die technische Basis für dieses

Pilotprojekt bilden Vorstudien über die ge-

samte Erzeugungskette von der Substrat-

über die Biogaserzeugung, den Gastrans-

port zur und von der Gasaufbereitung und

die Aufbereitung selbst. Sie wurden vom

Bereich Forschung und Entwicklung der

EnBW in Zusammenarbeit mit den Univer-

sitäten Hohenheim und Karlsruhe erstellt.

Seit dem Frühjahr 2008 werden 2,8 Mio. m³

biogenes Erdgas jährlich ins Netz einge-

speist. Diese Menge reicht zur Versorgung

von 1.000 Haushalten.

Das Projekt zeichnet sich durch eine be-

sonders nachhaltige und wirtschaftliche

Organisation der Wertschöpfungskette vom

Landwirt bis zum Biogasnutzer aus. Darüber

hinaus werden hier erstmals in Deutschland

die bei der Gasreinigung entweichenden kli-

maschädlichen Methangase aufgefangen

und – energiesparend – zur Heizung der

Fermenter genutzt. Die Gasreinigung er-

folgt über eine so genannte flammlose Oxi-

dation; ein Verfahren, das an der Universität

Stuttgart entwickelt wurde. Normalerweise

entweichen mit dem aus dem Biogas abge-

trennten Kohlendioxid auch geringe Men-

gen Methan, die in dieser schwachen Kon-

zentration nicht mehr brennbar sind. Durch

das neue Verfahren können selbst diese

Schwachgase mit Hilfe von kleinen Mengen

eines Zusatzbrennstoffes nachverbrannt so-

wie die Wärme energetisch genutzt werden.

Der Einsatz einer solchen Schwachgasver-

brennung ist die erste dieser Art in einer

Biogasaufbereitungsanlage.

38

Page 22: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Bei der Verbrennung fossiler Energien wie

Kohle und Gas werden klimaschädliche

Treibhausgase freigesetzt. Umso wichtiger ist

es, dass höhere Wirkungsgrade und neue

Brennstoffe die Kraftwerke effizienter machen.

Im Fokus ist auch die potenzielle Abspaltung

und Lagerung von CO2. Hier gibt es viel

Forschungsbedarf. › Fossile Energien

40 41

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Ausblick 2020

Zur Effizienzsteigerung kommt in einemzweiten wichtigen Innovationsschritt die weit-gehende Vermeidung von CO2-Emissionenbei der fossilen Stromerzeugung hinzu. Inden nächsten Jahren entstehen erste Pilot-und Demoanlagen, die das bei der Verbren-nung entstehende CO2 abtrennen und dasklimaschädliche Gas in unterirdische Lager-stätten, beispielsweise leere Gaskavernen,einbringen, wo es dauerhaft gespeichertwird. Diese Technik wird etwa ab dem Jahr2020 marktreif zur Verfügung stehen.

So lassen sich ab dem Jahr 2020 durch einenintelligenten Energiemix aus effizient undCO2-arm erzeugtem Strom von fossilenEnergieträgern, ergänzt durch einen hohenAnteil regenerativer Energien, die Emissions-grenzwerte einhalten, die notwendig sind, umdas so genannte „2 Grad“-Ziel zu erreichen.Darunter versteht man die durchschnittlicheErwärmung der Erde um nicht mehr als 2 Grad Celsius seit Beginn der Industriali-sierung.

Szenario 2050

Ein Leben ohne elektrische Energie ist nichtmehr vorstellbar. Strom als sicherer, effizien-ter und vor allem sauberer Energieträgerwird immer wichtiger. Bereiche wie Verkehrund Gebäudewärme, die heute noch direktfossile Energieträger nutzen, werden nahezukomplett auf elektrische Energie umsteigen.Der daraus folgende, enorme Energiebedarfdeckt sich dann aus unterschiedlichen Quel-len: Den Hauptanteil stellen weiterhin die fos-silen Kraftwerke. Mit einer serienreifen undim Markt durchgesetzten Technik zur Ab-scheidung und Lagerung von CO2 liefern sieden größten Beitrag zu einer klimafreundli-chen und zuverlässigen Energieversorgung.Weitere mögliche Energiequellen, wie zumBeispiel Methan, das in gefrorenem Wassereingelagert ist (so genanntes Methanhydrat)und von dem es große Mengen quer über dieWeltmeere verteilt gibt, sind zwar noch Ge-genstand erster Forschungsarbeiten, aber ihrPotenzial zur weltweiten Energieversorgungist heute bereits ebenso anerkannt wie dasvon anderen Energieträgern.

43

Ein größerer Bedarf an elektrischer Energie,der aus fossilen Ressourcen gedeckt wird,bedeutet nicht zwangsläufig auch eine größe-re Belastung der Umwelt und damit eine Be-schleunigung des Klimawandels. Schon mitder heute verfügbaren Technologie ist esmöglich, bei der Verbrennung von fossilenBrennstoffen erhebliche Mengen CO2 einzu-sparen. Und die Innovationskurve zeigt weitersteil nach oben. Ziel der Forschung ist, mitbesonders effizienten Kraftwerken einenmöglichst hohen Wirkungsgrad und damit eine maximale Energieausbeute zu erzielen.

Ein paar Beispiele in Zahlen: Lag der Wir-kungsgrad eines Braunkohlekraftwerks vor25 Jahren noch bei 36 %, so sind heute be-reits 43 % Standard. Für das Jahr 2020 wer-den bei Braun- und SteinkohlekraftwerkenWirkungsgrade von 50 % und mehr ange-strebt. Hohes Effizienzpotenzial haben vor al-lem Gas- und Dampfkraftwerke (GuD). DieKombination aus einer Gasturbine und einermit den heißen Abgasen angetriebenenDampfturbine ist bereits heute eine beson-ders effiziente Kraftwerkstechnik. Anlagen

Dr. Michael Süß ist Maschinenbauer

und leitet als Vorstandsvorsitzender

bei Siemens den Bereich „Fossil

Power Generation“. Er ist überzeugt,

dass fossile Energieträger mit inno-

vativer Technik künftig die weltweite

Energieversorgung klimafreundlich

sicherstellen.

Fossile Energien – Brennstoffe für die Zukunft

mit 58 % sind derzeit Stand der Technik undjedes Prozent mehr an Wirkungsgrad redu-ziert die CO2-Emissionen nochmals deutlich.Derzeit laufen beispielsweise Entwicklungs-arbeiten und Tests für eine GuD-Anlage mitüber 60 % Wirkungsgrad. Die zwei Prozent-punkte Effizienzsteigerung sparen künftig proAnlage bis zu 40.000 Tonnen CO2-Emissionenim Jahr. Diese Menge an CO2 entspricht denEmissionen von etwa 10.000 Mittelklasse-wagen bei einer jährlichen Fahrleistung von20.000 Kilometern!

Gasturbinen haben neben ihrer hohen Effi-zienz noch einen weiteren Vorteil: Sie sindsehr flexibel und liefern schnell Strom, etwawenn bei Flaute keine Windenergie zur Verfü-gung steht oder kurzfristig hoher Strombe-darf herrscht. Flexibilität und Effizienz sinddaher die Schlüsselbegriffe. Würden bei-spielsweise alle fossil befeuerten Kraftwerkeauf die derzeit verfügbare Technik mit hohemWirkungsgrad umgerüstet, so ließen sichweltweit etwa 2,5 Mrd. Tonnen CO2 pro Jahreinsparen, was in etwa der Hälfte der jähr-lichen Emissionen Chinas entspricht.

42

Fakt ist: Was die Evolution in geologischerVorzeit als „Energiekapital“ für uns Men-schen in der Erde hinterlassen hat, nutzenwir künftig mit der gebotenen Effizienz undSparsamkeit, um auch künftigen Generatio-nen dieses Vermögen sowie ein intaktes Klima zu hinterlassen. Öl, Kohle und Gaswandeln ihr Image – vom Brennstoff der Industrialisierung hin zum Energieträger fürunsere Zukunft.

Status quo

Eine der großen globalen Herausforderun-gen des 21. Jahrhunderts ist die sichere,wirtschaftliche und vor allem klimafreund-liche Versorgung mit elektrischer Energie.Der Hunger nach Strom ist enorm. Bis 2030wird nahezu eine Verdopplung des heutigenStrombedarfs erwartet. Den Hauptanteil imEnergieträgermix stellen dabei auch in denkommenden Jahrzehnten fossile Brennstof-fe, vor allem Kohle und Gas. Die wirtschaft-lich lohnende Förderung von Öl und Gas wirdderzeit für die nächsten 60 bis 70 Jahre pro-gnostiziert. Bei Kohle sind es etwa 200 Jah-re. Und die Reserven dieser Energieträger,die sich mit künftigen Technologien weitererschließen lassen, reichen sogar nochdeutlich länger.

Page 24: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

spezifischen CO2-Emissionen eines sol-

chen Kraftwerks liegen bei knapp über

700 g/kWh – was einer Reduzierung des

CO2-Ausstoßes um 24 % entspricht.

Bei den genannten Dampfparametern kön-

nen Eisen-basierte Werkstoffe nicht mehr

eingesetzt werden. Eine Möglichkeit, diesem

Problem zu begegnen, ist der Einsatz von

Nickel-Basiswerkstoffen, die den hohen An-

forderungen genügen.

Die europäischen Kraftwerkshersteller und

Energieversorgungsunternehmen haben

weltweit eine Vorreiterrolle bei der Entwick-

lung des 700°-Kraftwerks mit höchsten

Dampfparametern und höchstem Wir-

kungsgrad. So werden in Zusammenarbeit

aller Beteiligten zwei Versuchsanlagen be-

trieben, bei denen in den Kraftwerken

Esbjerg, Dänemark und Scholven, Deutsch-

land, Materialproben und einzelne Kompo-

nenten unter realistischen Bedingungen im

Kraftwerksalltag getestet werden.

Darüber hinaus beschäftigen sich die betei-

ligten Unternehmen mit dem Design und

der Auslegung eines ersten 700°-Kraftwerks

im Großkraftwerksmaßstab. Hierbei stehen

vor allem Fragen zum Bau des Kraftwerks,

zur Auslegung und Anordnung der einzel-

nen Komponenten, den zu erwartenden In-

vestitionskosten aber auch Betrachtungen

zu den Kosten des Kraftwerksbetriebs im

Mittelpunkt der Arbeiten.

Begleitende Forschungsvorhaben zur Wei-

terentwicklung, Herstellung, Bearbeitung

und Prüfung von Werkstoffen werden in

Deutschland im Rahmen des vom Bundes-

ministerium für Wirtschaft und Technolo-

gie durchgeführten Programms „CO2-Re-

duktionstechnologien für fossil befeuerte

Kraftwerke“ (COORETEC) bearbeitet.

Nach Bewertung des aktuellen Kenntnis-

und Entwicklungsstands ist davon auszuge-

hen, dass die 700°-Technologie nicht vor

2020 vollständig erprobt sein wird. Ein wei-

terer Zwischenschritt vor der kommerziel-

len Markteinführung ist die Errichtung und

der Betrieb eines Demonstrationskraft-

werks.

Feste Brennstoffe: AlternativeKraftwerkstechnologie

Neben der direkten Verbrennung in Dampf-

kraftwerken können feste Brennstoffe zur

Stromerzeugung bei hohen Drücken und

Temperaturen in ein brennbares Gas umge-

wandelt werden. Nach der Entfernung von

Schadstoffen, wie Asche, Stickstoff- und

Schwefeloxid, wird das gewonnene Brenn-

gas in einem konventionellen Gas- und

Dampfturbinenprozess eingesetzt – der

Standard beim Einsatz von Erdgas als

Brennstoff. Diese so genannte „Integrated-

Gasification-Combined-Cycle-Technologie“

(IGCC) wurde weltweit bereits in mehreren

großtechnischen Demonstrationsanlagen

für verschiedene fossile als auch erneuerba-

re Festbrennstoffe umgesetzt.

Das Wirkungsgradpotenzial von kohlegefeu-

erten IGCC-Anlagen wird mit > 45 % ange-

nommen und liegt damit in einem ähnli-

chen Bereich wie die für Dampfkraftwerke

angegebenen Werte. Vorteile der Verga-

sungsanlagen sind im Vergleich zu konven-

tionellen Anlagen niedrigere Emissionswer-

te, eine hohe Flexibilität in Hinblick auf die

eingesetzten Brennstoffe sowie die Möglich-

keit, neben Strom bei Bedarf auch andere

Produkte, wie etwa Wasserstoff oder Kraft-

stoffe für den Kraftfahrzeugsektor, bereit

stellen zu können. In Verbindung mit einer

zukünftig erforderlichen Abscheidung von

CO2 bieten Kohlekraftwerke auf Vergasungs-

basis im Vergleich zu Dampfkraftwerken

wesentliche Vorteile: Aufgrund des unter

Druck stehenden Brenngases kann das darin

enthaltene CO2 durch eine vergleichsweise

einfache physikalische Nasswäsche aus dem

Gas ausgewaschen werden. Nachteilig für

die IGCC-Technologie wirken sich vor allem

um 20 bis 25 % höhere Investitionskosten

aus, die sich aus der Komplexität des Ver-

fahrens sowie den Anforderungen an den

Bau von Druckanlagen ergeben. Außerdem

wiesen die Anlagen bisher eine vergleichs-

weise geringere Verfügbarkeit aus, hatten

also einen relativ hohen Wartungs- und

Reparaturaufwand. Das liegt daran, dass

die IGCC-Technologie in diesen Anlagen

erstmals im Großmaßstab demonstriert

wurde und teilweise komplett neu ent-

wickelte Bauteile und Komponenten zum

Einsatz kamen, die in manchen Fällen nicht

optimal aufeinander abgestimmt sind.

Es gibt aber weltweit eine Vielzahl neuer

Projekte. Sowohl im holländischen Bugge-

num als auch in Deutschland befindet sich

jeweils eine IGCC-Anlage für Biomasse bzw.

Braunkohle in der konkreten Planung und

Umsetzung.

45

Effiziente Großkraftwerkstechnik:Erhöhte Wirkungsgrade

Steigende Rohstoffpreise und politische

Vorgaben zur Minderung von CO2-Emissio-

nen haben neben den Baukosten einen ent-

scheidenden Einfluss auf den wirtschaftli-

chen Betrieb fossil befeuerter Kraftwerke.

Bei der Lösung beider Probleme spielt vor

allem der Wirkungsgrad eines Kraftwerks

eine wesentliche Rolle – also das Verhältnis

zwischen der im Kraftwerk eingesetzten

Energiemenge in Form des Brennstoffs und

der an die Verbraucher abgegebenen Ener-

giemenge in Form elektrischen Stroms. Je

mehr Strom das Kraftwerk aus dem Brenn-

stoff gewinnt, desto effizienter ist es.

Beim Bau von Kohlekraftwerken werden

weltweit mit wenigen Ausnahmen Dampf-

kraftwerke geplant und erbaut. In ihnen

wird Wasser durch Verbrennung von fossi-

len Brennstoffen in einem Kessel verdampft

und weiter erhitzt. Der entstehende Dampf

treibt eine Turbine zur Erzeugung von elek-

trischer Energie an. Der Wirkungsgrad die-

ser Anlagen wird zu großen Anteilen durch

den Druck und die Temperatur des erzeug-

ten Wasserdampfs, den so genannten

Dampfparametern, bestimmt. Sowohl

Druck als auch Temperatur sind durch die

Verfügbarkeit geeigneter Werkstoffe limi-

tiert. Die Forschungsaktivitäten konzentrie-

ren sich also darauf, Materialien und Werk-

stoffe zu finden, die höhere Temperaturen

und Drücke aushalten können. Damit konn-

ten über einen Zeitraum von mehreren

Jahrzehnten nennenswerte Steigerungen

des Wirkungsgrads von Kohlekraftwerken

erreicht werden.

Der mittlere Wirkungsgrad von mit fossilen

Brennstoffen befeuerten Kraftwerken liegt

weltweit bei 31 %. In Deutschland kann für

bestehende Kohlekraftwerke derzeit ein

durchschnittlicher Wert von etwa 38 % an-

gesetzt werden. Das modernste existierende

Steinkohlekraftwerk Deutschlands, das

Heizkraftwerk 2 der EnBW in Altbach, besitzt

Best Practice

einen Wirkungsgrad von maximal 44,2 %.

Der erzeugte Frischdampf steht dabei unter

einem Druck von 248 bar und wird auf eine

Endtemperatur von 545° C erhitzt.

Zur weiteren Erhöhung der Dampfparame-

ter und damit des Wirkungsgrads sollen im

geplanten EnBW-Rheinhafen-Dampfkraft-

werk Block 8 sowie in anderen Neubaupro-

jekten neuartige, verbesserte Werkstoffe

zum Einsatz kommen. Diese hoch legierten

Edelstähle erlauben Drücke von bis zu 275

bar bei Dampftemperaturen von maximal

600° C. Damit können erstmals Wirkungs-

grade von über 46 % erzielt werden. Im Ver-

gleich zum derzeit bestehenden Kraftwerks-

park in Deutschland entspricht dies einer

Verbesserung um 21 %. Die Nutzung dieser

innovativen Technologie ermöglicht eine

Reduzierung der spezifischen CO2-Emissio-

nen von ursprünglich 1.000 g/kWh Strom

auf knapp unter 800 g/kWh.

Seit einigen Jahren sind Forschungsprojekte

darauf fokussiert, den Wirkungsgrad noch-

mals deutlich auf Werte um 50 % und höher

anzuheben. Um diesen Wert bei zukünfti-

gen Kohlekraftwerken erreichen zu können,

muss Dampf mit einem Druck von bis zu

350 bar und Temperaturen um 700° C er-

zeugt und verarbeitet werden können. Die

44

Page 25: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

sich vor allem der hohe Energiebedarf zur

Regeneration des Waschmittels, wodurch

sich der Wirkungsgrad des Kraftwerks um

bis zu 15 Prozentpunkte verringert.

Zur Weiterentwicklung der Post-Combusti-

on-Capture-Verfahren steht im dänischen

Kraftwerk Esbjerg eine Pilotanlage zur Ver-

fügung. Weitere Pilotanlagen befinden sich

in der Planung, wobei als Ziele von For-

schungs- und Entwicklungsprojekten die

Optimierung verfahrenstechnischer Details

sowie die Untersuchung neuer Waschmittel

und Mischungen verschiedener Amine im

Vordergrund stehen.

Verfahren, bei denen das CO2 vor dem ei-

gentlichen Verbrennungsschritt abgetrennt

wird, bauen auf dem Prinzip der Kohlever-

gasung oder IGCC-Technologie auf. Das aus

fossilen Festbrennstoffen hergestellte

Brenngas besteht zu wesentlichen Anteilen

aus Wasserstoff (H2), Kohlenstoffmonoxid

(CO) und Kohlenstoffdioxid (CO2). Zur Erzie-

lung hoher Kohlenstoffabscheideraten

muss das im Brenngas enthaltene CO in CO2umgewandelt werden. Dies geschieht im so

genannten „Shift-Reaktor“ in dem CO und

Wasserdampf zu CO2 und Wasserstoff um-

gewandelt werden. Das CO2 wird in einem

folgenden Schritt durch eine Nasswäsche,

beispielsweise mit Hilfe einer wässrigen Me-

thanol-Lösung, ausgewaschen. Das beladene

Waschmittel wird in Anlehnung an die Post-

Combustion-Capture-Verfahren durch

Erhitzung regeneriert, wobei das abzutren-

nende CO2 anfällt. Bei diesem Waschver-

fahren erfolgt lediglich eine physikalische

Bindung des CO2 an die Methanolmoleküle

– mit dem Ergebnis, dass zur Waschmittel-

regeneration wesentlich weniger Wärme-

energie erforderlich ist.

Aktuelle Forschungsschwerpunkte bei der

Entwicklung dieser Technologie sind vor

allem die Aufbereitung und Reinigung der

Brenngase sowie die Modifikation bestehen-

der Gasturbinenbrennkammern für den

Einsatz wasserstoffreicher Brenngase.

Die Wirkungsgradverluste, die mit dem Pre-

Combustion-Capture-Verfahren verbunden

sind, werden mit Werten im Bereich von bis

zu 10 Prozentpunkten beziffert. Die Techno-

logie eignet sich nahezu ausschließlich für

Neubauprojekte, weil ein Umstieg auf die

Kraftwerkstechnologie Kohlevergasung er-

forderlich ist.

Bei Oxyfuel-Verfahren verbrennt man Kohle

nicht mit Luft, sondern mit technisch rei-

nem Sauerstoff. Der Sauerstoff wird im

Kraftwerk durch Zerlegung von Luft gewon-

nen und dem Verbrennungssystem zuge-

führt. Das entstehende Rauchgas enthält

nach der Entfernung von Flugstaub, Stick-

stoff- und Schwefeldioxid im wesentlichen

Wasserdampf und CO2. Der Wasserdampf

wird durch Abkühlen der Rauchgase ent-

fernt und damit fällt nahezu reines CO2 zur

weiteren Vorbehandlung für die Speiche-

rung an. Bei dieser Technologie kann die be-

stehende Dampfkraftwerkstechnologie oh-

ne grundlegende Änderungen beibehalten

werden. Die Wirkungsgradverluste bewegen

sich in einem ähnlichen Bereich wie für die

Verfahren zur Abtrennung des CO2 vor dem

Verbrennungsschritt.

Forschungsbedarf im Bereich des Oxyfuel-

Verfahrens ergibt sich in Verbindung mit

der Bereitstellung des benötigten Sauer-

stoffs, der zur Begrenzung der Verbren-

nungstemperatur benötigten Rückführung

von Rauchgas in die Brennkammer sowie

der Reinheit des anfallenden CO2, da zur

vollständigen Umsetzung des Brennstoffs

ein Überschuss an Sauerstoff bei der Ver-

brennung erforderlich ist.

Generell kann man sagen, dass es derzeit

keine eindeutige Präferenz für eine der

Technologien gibt. Das liegt zum einen an

den unterschiedlichen Kosten der verschie-

denen Verfahren, soweit sie zum jetzigen

Entwicklungsstand miteinander verglichen

werden können. Sie sind alle noch mit er-

heblichen Unsicherheiten behaftet. Zum

anderen liegt es an Randbedingungen und

Vorgaben, die nicht-technischer Natur sind.

Dazu gehören gesetzliche Vorschriften,

Brennstoffpreise und Faktoren, die vom

Standort des Kraftwerks abhängen. Sie ha-

ben wesentlichen Einfluss auf die Wahl der

passenden CCS-Technologie. Dementspre-

chend besteht von Seiten der Forschungs-

förderung als auch von den Kraftwerksher-

stellern und -betreibern der Konsens, alle

zur Verfügung stehenden Technologien

kontinuierlich weiter zu entwickeln und zu

erproben.

47

Leistungsstark: NeuesteGasturbinengeneration

Die Nutzung von Erdgas in einem Gas- und

Dampfturbinen-Kraftwerk (GuD) ist derzeit

die effizienteste Möglichkeit zur Stromer-

zeugung aus fossilen Brennstoffen. Die

erzielbaren Wirkungsgrade der neuesten

Gasturbinengeneration, für die gerade erste

Kraftwerksanlagen erstellt werden, liegen

im Bereich von 60 % und mehr. Erreicht

werden können diese Werte durch eine

schrittweise Optimierung der Gas- und

Dampfturbinentechnologie, wie beispiels-

weise der Verwendung neuer, komplexer

Schaufelgeometrien in der Turbine oder

dem Einsatz aufwändiger Materialkühl-

systeme zur Realisierung höherer Eintritts-

temperaturen bei Gas- und Dampfturbinen.

Gegenstand der Forschung: CO2-Abtrennung

Der Anteil fossil befeuerter Kraftwerke an

den CO2-Gesamtemissionen in Deutschland

beträgt rund 40 %. Durch eine Steigerung

des elektrischen Wirkungsgrads auf Werte

um 50 % können die CO2-Emissionen aus

diesem Sektor um rund ein Fünftel redu-

ziert werden. Die gesamten deutschen CO2-

Emissionen können also durch einen Um-

stieg auf hoch effiziente Kraftwerke um bis

zu 8 % gesenkt werden. Das alleine wird

langfristig nicht ausreichen, um die Emis-

sionsminderungsziele der EU und Deutsch-

lands bei der Energieversorgung erreichen

zu können.

Für eine darüber hinausgehende Absen-

kung der CO2-Emissionen der Kraftwerke

werden aktuell mehrere Technologien zur

Abtrennung des bei der Nutzung kohlen-

stoffhaltiger Brennstoffe anfallenden CO2entwickelt: Das anfallende CO2 soll aufberei-

tet, verdichtet und verflüssigt und in be-

stimmten geologischen Formationen ge-

speichert werden. In Frage kommen etwa

ausgeförderte Erdöl- und Erdgaslagerstätten

sowie tief liegende, Salzwasser führende

Schichten, so genannte saline Aquifere.

Bei den untersuchten Abtrennungsverfah-

ren wird CO2 entweder nach der Verbren-

nung aus den entstandenen Rauchgasen

entfernt (Post-Combustion Capture), vor der

Verbrennung aus dem vorliegenden Brenn-

gas ausgewaschen (Pre-Combustion Captu-

re) oder aber der Brennstoff wird mit rei-

nem Sauerstoff zur direkten Erzeugung von

CO2 verbrannt (Oxyfuel).

Bei Verfahren zur nachgeschalteten Abtren-

nung von CO2 (Post-Combustion-Capture-

Verfahren) stehen vor allem Nasswäschen

unter Verwendung von wässrigen Aminlö-

sungen im Mittelpunkt der Forschungsakti-

vitäten. Bei diesem Verfahren wird das CO2durch Kontakt mit der wässrigen Waschlö-

sung aus dem Rauchgasstrom entfernt und

an die Aminmoleküle gebunden. Die mit

CO2 beladene Waschlösung wird in einem

separaten Behälter durch Dampf erhitzt

und das angelagerte CO2 so wieder freige-

setzt. Das regenerierte Waschmittel kommt

zur erneuten Aufnahme von CO2 in den Ab-

sorber zurück. Vorteile des Verfahrens sind

ein hoher technischer Reifegrad, der aus der

Anwendung dieser Technologie in anderen

Industriebereichen resultiert, sowie seine

vergleichsweise einfache Übertragung auf

die großtechnische Anwendung in fossil be-

feuerten Kraftwerken. Als nachteilig erweist

46

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Kilowatt stehen. Die Jahre 2009/2010 die-

nen dem Betrieb und der Optimierung; für

die restliche Zeit bis Ende 2011 sind Unter-

suchungen geplant zur technischen und

wirtschaftlichen Machbarkeit einer Groß-

anlage.

Bei diesem neuartigen Verfahren reagieren

Kalk und CO2 bei Temperaturen über 600° C

in einem von Rauchgasen durchströmten

Reaktor zu Kalziumkarbonat (Kalkstein).

Dieser Vorgang setzt Energie in Form von

Wärme frei, die aufgrund des günstigen

Temperaturniveaus effizient zur Dampf-

und damit Stromerzeugung im Kraftwerk

genutzt werden kann. Das entstandene Kal-

ziumkarbonat wird in einem zweiten Reak-

tor auf Temperaturen von über 900° C

erhitzt und zerfällt dadurch in seine ur-

sprünglichen Bestandteile Kalk und gasför-

miges CO2. Dieses CO2 wird gereinigt und

anschließend für den Transport und eine

dauerhafte Speicherung verflüssigt, wäh-

rend der Kalk wieder in den von Rauchgasen

durchströmten Reaktor zurückkommt.

Weitere Forschungsprojekte befassen sich

mit der CO2-Abscheidung via Karbonate

bzw. Ammoniak. Hierbei kooperiert die

EnBW mit dem Institut für Verfahrenstech-

nik in Stuttgart sowie mit dem Electric

Power Research Institut, USA. Diese Verfah-

ren befinden sich noch in einer frühen Test-

phase und stehen frühestens ab 2020 zur

Verfügung.

› Nachrüstung: Kohlekraftwerke fit machen

Auch die Nachrüstung einer CO2-Rückhal-

tung in bereits bestehenden konventionel-

len Kraftwerken ist ein weites Feld für For-

schung und Entwicklung. Momentan ist die

CO2-Abtrennung aus dem Rauchgas (Post

Combustion) eine viel versprechende Lö-

sung. In diesem Zusammenhang testen

die Kraftwerksbetreiber speziell die CO2-

Wäsche mit Mono-Ethanol-Amin (MEA).

Das Verfahren wird bereits bei der Reini-

gung von Industriegasen eingesetzt; an die

komplexen Verhältnisse im Kraftwerk muss

es allerdings noch angepasst werden. Zu-

dem verursacht dieser Prozess aufgrund des

großen Energiebedarfs und der Toxizität

hohe Umweltkosten. Entsprechend besteht

ein dringender Bedarf an alternativen

Konzepten.

Eine Alternative zur CO2-Wäsche ist der Ein-

satz mikroporöser, keramischer Membra-

nen. Dabei fallen keine Reststoffe zur Ent-

sorgung an, und bei entsprechend langen

Standzeiten und einer effizienten Trennung

ist ein Kostenvorteil gegenüber anderen Ab-

trennverfahren zu erwarten. Mit METPORE

begleitet die EnBW seit 2006 ein auf drei

Jahre ausgelegtes Vorhaben des Forschungs-

zentrums Jülich zur Entwicklung solcher

Membranen. Hierbei werden die Ergebnisse

aus zwei früheren Forschungsprojekten

kombiniert: Der australischen Universität

Queensland gelang die Entwicklung nano-

poriger Membranen mit besonders hohen

Trenneffekten von Stickstoff und CO2, wäh-

rend das Institut für Werkstoffe und Verfah-

ren der Energietechnik am Forschungszen-

trum Karlsruhe metallische Trägersubstrate

entwickelte. Die neuen Membranen werden

zunächst im Labormaßstab hergestellt und

dann im realen Rauchgas von Block 7 im

Rheinhafen-Dampfkraftwerk Karlsruhe auf

ihre Beständigkeit getestet.

Die Nachrüstungsthematik betrifft natür-

lich auch unsere Kraftwerksneubauten. So

ist im geplanten Kraftwerksblock 8 im

Rheinhafen-Dampfkraftwerk Karlsruhe,

der Ende 2011 in Betrieb gehen soll, Platz

vorhanden, um später eine Anlage zur CO2-

Abscheidung einbauen zu können.

› Aktive Mitarbeit: Nationale und internationaleForschungsforen

Die Mitarbeit in großen Foren rundet unser

Engagement ab. So beteiligt sich die EnBW

an der europäischen Forschungsplattform

ZEP (ZERO Emission Fuel Fossil Power

Plants) und auf nationaler Ebene an der

Emax Taskforce, einer Koordinierungsgrup-

pe unter Leitung des Verbands der Groß-

kraftwerksbetreiber (VGB) sowie an der

Forschungsinitiative CO2-Reduktionstech-

nologien für fossile Kraftwerke (COORETEC)

des Bundesministeriums für Wirtschaft und

Technologie.

Die EnBW ist auch Mitglied des Informati-

onskreises Klimafreundliches Kohlekraft-

werk (IZ Klima), das den gesellschaftlichen

und politischen Diskussionsprozess, der für

die Entwicklung der CCS erforderlich ist,

unterstützt.

49

EnBW-Praxis

› Wirkungsstark: Künftige Kraftwerksgeneration

Neue Werkstoffe, die höhere Prozesstempe-

raturen aushalten, spielen für die Verbesse-

rung des Wirkungsgrads konventioneller

Kraftwerke eine herausragende Rolle. Ge-

meinsam mit anderen europäischen Ener-

gieversorgern, mit Herstellern und der

Wissenschaft engagiert sich die EnBW am

Forschungsprogramm COMTES 700. Pro-

jektziel ist, Materialien zu entwickeln, die

Verbrennungstemperaturen bis 700° C

und Drücken bis 350 bar standhalten. Die

momentan verfügbaren Werkstoffe und

Dampfparameter ermöglichen einen Wir-

kungsgrad zwischen 37 % und 45 %; das

700° C-Kraftwerk soll ihn auf über 50 % er-

höhen. Bevor jedoch die neuen Werkstoffe

bis Ende des nächsten Jahrzehnts Marktreife

erlangen können, stehen noch umfangrei-

che Tests aus: Sie betreffen die Fertigungs-

verfahren, die Komponentenherstellung,

die Systemintegration sowie die Zulassung.

› Flexible Lösungen: Neue Brennstoffe

Mit dem Projekt Brennstoffflexibilisierung

wird getestet, ob Gaskraftwerke künftig

auch mit Brenngasen wechselnder Zusam-

mensetzung – also etwa Synthese- oder Bio-

gase – betrieben werden können. Ein spe-

zieller Aspekt des Forschungsauftrags ist die

Entwicklung und Produktion eines wasser-

stoffreichen Synthesegases, das zuverlässig

und schadstoffarm verbrannt werden kann.

Eine andere Fragestellung ist, wie Gasturbi-

nen-Brennkammern auf die besonderen

Brenneigenschaften dieser neuen Synthese-

gase hin ausgelegt werden müssen. Diese

neue Kraftwerksgeneration soll nicht nur

Synthesegase verbrennen können, die aus

festen Brennstoffen wie beispielsweise Koh-

le und Biomasse gewonnen werden, son-

dern auch von vornherein eine effiziente

CO2-Abscheidung ermöglichen. Institute

der Universität Stuttgart sowie des Deut-

schen Zentrums für Luft- und Raumfahrt,

Stuttgart, betreiben gemeinsam die Grund-

lagenforschung. Technisch wie finanziell

unterstützt wird das Vorhaben durch die

EnBW, Alstom und das Land Baden-Würt-

temberg.

› Forcierte Forschung: Abscheidung von CO2

Aufgrund der weltweit ansteigenden Ver-

stromung von fossilen Brennstoffen genügt

es voraussichtlich nicht, einzig durch eine

effiziente Primärenergieumwandlung die

CO2-Emissionen zu reduzieren. Vielmehr

müssen auch Verfahren und Methoden zur

CO2-Abscheidung entwickelt werden, mit

denen die ambitionierten Klimaziele er-

reicht werden können. Für diese Zukunfts-

technologien sowie für den Transport und

die Speicherung des abgeschiedenen CO2besteht allerdings noch erheblicher For-

schungs- und Entwicklungsbedarf. Hinzu

kommt die Herausforderung, die aus einer

CO2-Abscheidung resultierenden, nach heu-

tigem Erkenntnisstand erheblichen Wir-

kungsgradeinbußen wie auch die Investi-

tions- und Betriebskosten in einem vertret-

baren Rahmen zu halten.

Nach derzeitigem Stand der Forschung kann

man davon ausgehen, dass die CO2-Abschei-

dung mit Aminen am ehesten Marktreife

erlangt. Die EnBW engagiert sich diesbezüg-

lich im nationalen wie internationalen Rah-

men: Sie unterstützt Forschungsarbeiten

am Institut für Verfahrenstechnik und

Dampfkesselwesen der Universität Stuttgart

und an der Universität München. Zudem

plant sie die Beteiligung an Untersuchun-

gen in einer Demonstrationsanlage im däni-

schen Kraftwerk Esbjerg.

Seit Herbst 2007 unterstützt die EnBW die

Entwicklung eines neuen Verfahrens zur

CO2-Abscheidung aus Kraftwerksgasen, bei

dem herkömmlicher Kalk als CO2-Träger-

material verwendet wird. Das hocheffiziente

Verfahren, das die bei CO2-Abscheideprozes-

sen üblichen Wirkungsgradverluste deutlich

auf etwa fünf Prozentpunkte begrenzt, soll

in einer Versuchsanlage am Institut für Ver-

fahrenstechnik und Dampfkesselwesen der

Universität Stuttgart umfassend erprobt

werden. Das Forschungsvorhaben ist auf

vier Jahre ausgelegt und kostet rund 1,6 Mio.

Euro. Bis Ende 2008 soll die Versuchsanlage

mit einer thermischen Leistung von 200

48

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Auch wenn in Deutschland die Zeichen

anders stehen – durch die Herausforderungen

des Klimawandels gewinnt die CO2-arme

Kernenergie weltweit an Bedeutung. Eine

konzertierte internationale Forschungstätigkeit

sorgt für eine stetige Verbesserung der

Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Anlagen.

51

› Kernenergie

50

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nahm das Kernkraftwerk Kaiga 3 seinen Be-trieb auf. In Rumänien ging der zweite Reak-torblock des Landes in Cernavoda in Betrieb.

Weltweit sind insgesamt 31 Kernkraftwerkeim Bau. In den USA wurden 2007 erstmals seit29 Jahren wieder Neubauanträge gestellt –von vier Unternehmen für sieben neue Blöcke.In der konkreten Planung befinden sich rund50 Kernkraftwerke weltweit, weitere rund 100Projekte sind in der Vorplanung. Gerade Län-der, die ein rasantes Wirtschaftswachstum er-warten, setzen vermehrt auf Kernkraft. Süd-afrika etwa plant nicht nur den Bau einesersten kommerziellen Hochtemperaturreak-tors HTR (15 weitere sollen in Modulbauweisefolgen), sondern befindet sich auch in konkre-ten Verhandlungen zum Neubau von mehre-ren EPR, um der steigenden Nachfrage nachStrom gerecht zu werden. Russland hat seinKernkraftwerksprogramm neu definiert. Ne-ben dem Bau mehrerer konventioneller Kern-kraftwerke ist man dort mit dem Bau des BN800 weit fortgeschritten. Es handelt sich umeinen schnellen natriumgekühlten Reaktormit 800 MW Leistung. Seine Inbetriebnahmewird noch vor 2015 erwartet. Zudem ist in

Russland 2007 mit dem Bau eines Leichtersbegonnen worden, auf dem zwei Kernreakto-ren installiert werden. Mit diesem Konzeptsollen auf dem Landweg schwer zugänglicheRegionen mit Strom und Fernwärme versorgtwerden. In Indien sind diese Pläne noch wei-ter fortgeschritten. Dort ist mit der Inbetrieb-nahme eines schnellen Brutreaktors mit ei-ner Leistung von 600 MW ab 2012 zu rechnen.

2050 – Reaktoren der Generation IV

Das Forschungs- und Entwicklungspro-gramm „Generation IV“ ist eine gemeinsameInitiative von Staaten sowie von Euratom alskoordinierende Einrichtung der EU-Staaten.Generation-IV-Reaktoren sollen alle künfti-gen Anforderungen an die Nachhaltigkeit derKernenergie hinreichend erfüllen. Sie sollenfür eine bessere Ausnutzung des BrennstoffsUran sorgen und zur Transmutation der lang-lebigen hochradioaktiven Abfälle eingesetztwerden können. Mit der Transmutation wirddie Radiotoxizität einschneidend vermindertund die Endlagerung erleichtert. Eine weitereZielvorgabe ist die ausgeweitete technologi-sche Proliferationsresistenz.

53

der erste Bau eines EPR (European Pressur-ized Water Reactor). Der EPR ist ein fortge-schrittener Reaktor der Generation III+, dermit zahlreichen Sicherheitseinrichtungen aus-gestattet ist: etwa einem sogenannten Core-Catcher-System zur gezielten Aufnahme vonKernschmelze im Verlauf eines hypotheti-schen schweren Reaktorunfalls. Damit kanndie maximal mögliche Abgabe von Radioaktivi-tät selbst bei einem äußerst unwahrscheinli-chen Kernschmelzunfall so niedrig gehaltenwerden, dass außerhalb der Anlage keine Ka-tastrophenschutzmaßnahmen notwendig wer-den. In Frankreich errichtet die Electricité deFrance (EDF) am Standort Flamanville in derNormandie den ersten EPR des Landes; imDezember 2007 wurde mit den Rohbauarbei-ten offiziell begonnen. In der Schweiz konkre-tisieren sich Pläne für den Neubau von bis zudrei Kernkraftwerken. Wegen der erkennba-ren Verknappung fossiler Energiereserven ha-ben auch andere europäische Länder, wie et-wa Großbritannien, Litauen, Bulgarien undRumänien die Kernenergie konkret in ihreEnergieprogramme aufgenommen. In Finn-land planen Energieversorger die Beantra-gung eines weiteren Kernkraftwerks.

Dr. Peter Fritz verantwortet am

Forschungszentrum Karlsruhe die

Bereiche Nukleare Sicherheits- und

Entsorgungsforschung, Erneuerbare

Energien sowie Atmosphäre und Klima.

Außerdem ist er Mitglied des Rektorats

der Universität Karlsruhe (TH).

Perspektiven der Kernenergie

Status quo weltweit

Ende 2007 standen in 31 Ländern 439 Kern-kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 390GW zur Verfügung. Damit wurden global rund2.700 TWh elektrische Energie nuklear produ-ziert. Drei Blöcke mit einer Leistung von vierGW gingen 2007 ans Netz.

2020

Der Ausstieg aus der Kernkraft, wie er inDeutschland 2001 durch eine Verkürzung derLaufzeiten beschlossen wurde, spiegelt kei-nesfalls die globalen Trends wieder. Im Ge-genteil: In den USA verfügen nun 48 von 104Kernkraftwerken über eine Verlängerung ih-rer Betriebslizenz für weitere 20 Jahre. Elf An-träge werden geprüft, für die weiteren Kern-kraftwerke mit bislang kürzerer Betriebszeitwerden Anträge vorbereitet. Sie dürfen damitmindestens 60 Jahre laufen. In China erreich-te das Kernkraftwerk Tianwan 2 seine Erstkri-tikalität. An fünf weiteren Blöcken wurden dieErrichtungstätigkeiten weitergeführt und mitdem Bau von vier neuen Reaktoren der Gene-ration III wird in Kürze gerechnet. In Indien

52

Status quo in Deutschland

Mit einer vergleichsweise geringen Anzahlvon 17 Reaktoren produziert Deutschland dievierthöchste Strommenge nach den USA (104Blöcke), Frankreich (59 Blöcke) und Japan(55 Blöcke). 50 % der Grundlastversorgungwird hierzulande in Kernkraftwerken produ-ziert. An der Brutto-Stromerzeugung, die inden vergangenen fünf Jahren etwa jeweils620 TWh betrug, hat sie einen Anteil von rund25 %. Gleichzeitig leistet die Kernenergie ei-nen wesentlichen Beitrag zur Klimavorsorge,denn Jahr für Jahr werden durch sie inDeutschland soviel CO2-Emissionen vermie-den, wie jährlich im gesamten Straßenver-kehr ausgestoßen werden (rund 160 Mio. t).

Status quo in Europa

Ende 2007 waren in Europa 197 Kernkraft-werke in Betrieb. Ihre elektrische Gesamtleis-tung lag bei 180 GW. Rund ein Drittel des EU-Strombedarfs wird durch Kernenergie ge-deckt. Am 12. September 2005 fand in Olki-luoto, Finnland, die Grundsteinlegung für dasfünfte Kernkraftwerk des Landes statt. Es ist

Uranvorkommen

Nach heutiger Kenntnis steht uns – bei in et-wa konstanten Explorationskosten – noch fürmindestens 150 Jahre Uran zur Verfügung. Inden heutigen Reaktoren wird aber nicht ein-mal 1 % der im Uran enthaltenen Atome tat-sächlich genutzt. Die Ausbeute lässt sichdurch Wiederaufarbeitung der Brennelemen-te und Wiederverwendung (Rezyklierung) desPlutoniums sowie des unverbrauchten Uransnoch um bis zu 30 % steigern. Darüber hin-aus gibt es ein großes technologisches Po-tenzial für die Entwicklung Uran sparenderReaktortypen, mit denen sich ein Vielfachesder Energieausbeute je Kilogramm Natur-uran erzielen lässt. Mit Einbeziehung derBrütertechnologie wären die Uranreservennach menschlichen Maßstäben praktisch unbegrenzt. Ein weiterer in der Natur vorhan-dener Spaltstoff ist Thorium, dessen Vorrätevermutlich doppelt so groß sind wie die anUran. Die Stromerzeugung aus Thorium wur-de in dem in Deutschland entwickelten Typdes Hochtemperaturreaktors (THTR) erprobt,den China und Südafrika gegenwärtig zurMarktreife bringen.

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Generation IV-Reaktoren sind Kernenergie-

systeme, die sich erheblich von der Genera-

tion III, der der EPR angehört, unterschei-

den. Ziel ist, Kernenergiesysteme einer

zukünftigen Generation zu entwickeln, die

wettbewerbsfähige und zuverlässige Ener-

gieprodukte, also nicht ausschließlich

Strom, liefern können. Sie sollen künftige

Anforderungen an Sicherheit, Entsorgung,

Proliferation (Bezeichnung für die illegale

Verbreitung von Massenvernichtungswaf-

fen bzw. Technologien zu deren Herstel-

lung) und öffentliche Akzeptanz hinrei-

chend erfüllen. Zur Ausarbeitung und

Umsetzung der Entwicklung von Gene-

ration IV-Kernenergiesystemen schlossen

sich die oben genannten Länder im GIF

zusammen.

Nach einem umfangreichen Evaluierungs-

verfahren wählten das GIF, die Nuclear

Energy Agency (NEA), die Europäische

Kommission und die Internationale Atom-

energie Organisation (IAEO) die folgenden

sechs Kerneneriesysteme zur weiteren

Entwicklung aus:

› Gasgekühlte Höchsttemperatur-Reaktor-

systeme (V/HTR),

› Gasgekühlte schnelle Reaktorsysteme

(GFR),

› Wassergekühlte Reaktorsysteme mit über-

kritischen Dampfzuständen (SCWR),

› Bleigekühlte schnelle Reaktorsysteme

(LFR),

› Salzschmelze-Reaktorsysteme (MSR) sowie

› Natriumgekühlte Reaktorsysteme (SFR).

Die Arbeiten der Forschungszentren kon-

zentrieren sich dabei im Wesentlichen auf

den V/HTR und den SCWR; die Kosten wer-

den über Drittmittelverträge mit der Indu-

strie und der Europäischen Kommission

abgedeckt.

Faktor Mensch: Forschung über Kommunikationund Teamverhalten

Wenn es um die Sicherheit von Kernreakto-

ren geht, kann sich die Forschung nicht nur

auf technische Fragestellungen konzentrie-

ren. Ebenso wichtig ist der menschliche

Faktor – das vielschichtige Wechselspiel

zwischen Technik, Mensch und den Organi-

sationsstrukturen bei der Steuerung von

komplexen technischen Systemen. Im

Mittelpunkt stehen Kommunikation und

Teamverhalten. Das Phänomen, dass Men-

schen Fehler machen, ist zu einem For-

schungsgebiet verschiedener Disziplinen

geworden.

Kommunikation wird dabei ziemlich um-

fassend verstanden – nämlich als jedes

menschliche Verhalten, das sich auf die Um-

welt auswirkt bzw. von ihr wahrgenommen

wird. Wenn komplexe technische Systeme

durch ein Team von Menschen gesteuert

werden, entsteht ein hyperkomplexes Ge-

samtsystem.

Die Forschung geht der Hypothese nach,

dass Störeinflüsse durch Professionalität in

der Kommunikation weitestgehend verhin-

dert werden können. Dabei geht es sowohl

um die Kommunikation zwischen den Men-

schen als auch um die zwischen Mensch

und Maschine. Demnach ist professionelle

Kommunikation eine Schlüsselkompetenz

für die Sicherheit technischer Systeme. Sie

kann den Einfluss so genannten „menschli-

chen Versagens“ verringern.

An der Ausarbeitung von Regeln für die pro-

fessionelle Kommunikation sind viele Spe-

zialisten beteiligt. Sie kommen aus den Be-

reichen Luftfahrt, Medizin und Kernkraft,

sind Sozial- und Biopsychologen, Psycho-

linguisten und Sprachwissenschaftler. In

verschiedenen Ansätzen forschen sie über

Verhaltensmuster und über die Auswirkun-

gen von wichtigen Rahmenbedingungen,

wie etwa Zeitdruck und Stress, sowie über

kulturell bedingte Kommunikationsunter-

schiede.

Die Wissenschaftler haben verschiedene

Kommunikationsbereiche identifiziert, die

näher untersucht werden. Die Ergebnisse

fließen als Best Practice in die Unternehmen

ein. Zu diesen Bereichen zählen die Arbeits-

vorbesprechung, die Kommunikationsweise

während der Arbeitsdurchführung, die Ar-

beitsnachbesprechung, das Teamklima, die

Arbeitsumgebung und die Kommunikati-

onskultur im Unternehmen.

Betrieb von Kernkraftwerken: Simulation am PC

Computergestützte Simulatoren sind den

meisten aus dem Bereich Flugzeugbau und

Luftfahrt bekannt – spätestens, seit es Flug-

simulatoren nicht nur für die Pilotenausbil-

dung sondern auch für den heimischen PC

gibt. Simulationsprogramme spielen aber

auch bei der Sicherheitsforschung für den

Betrieb von Kernkraftwerken eine wichtige

Rolle. Für die Programme werden reale Da-

ten von den Kernkraftwerken zur Verfügung

gestellt, zum Beispiel von Anfahrvorgängen.

So nennt man die Wiederinbetriebnahme-

phase von Kernkraftwerken nach Still-

standszeiten für Wartung und Reparaturen.

Mit Hilfe dieser Daten können Experimente

55

Neuer Schwerpunkt: Nukleare Sicherheitsforschung

Durch die Novellierung des Atomgesetzes

2002 wurde in Deutschland von der dama-

ligen Bundesregierung ein langfristiges

Auslaufen der Nutzung von Kernenergie

durchgesetzt. Unabhängig von der energie-

politischen Debatte über die Sinnhaftigkeit

und den Bestand der Laufzeitverkürzung

von Kernkraftwerken bedeutet dieser Be-

schluss aber kein Ende von kerntechnischer

Forschung und von Innovationspolitik auf

diesem Gebiet.

Den forschungspolitischen Vorgaben der

Bundesregierung folgend, konzentrieren

sich die Forschungen derzeit auf die Sicher-

heit der vorhandenen Kernreaktoren und

die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.

Darüber hinaus ist es wichtig, Wissen und

Kompetenz für den Betrieb und die spätere

Stilllegung der Reaktoren zu erhalten.

Arbeiten zu neuen Reaktorkonzepten kön-

nen in Deutschland nur in internationaler

Zusammenarbeit mit Finanzierung der EU

und der Industrie durchgeführt werden, da

hierfür keine Gelder des Bundes zur Verfü-

gung stehen.

Evolutionär und sicher: Der EuropäischeDruckwasserreaktor EPR

Im Dezember 2003 wurde zwischen dem

finnischen Stromerzeuger TVO und dem

Konsortium Framatome ANP/Siemens AG

der Vertrag zur schlüsselfertigen Errichtung

von Finnlands fünftem Kernkraftwerk „Olki-

luoto 3“ unterzeichnet. Hierbei kommt mit

dem EPR erstmalig ein Druckwasserreaktor

der dritten Generation zum Einsatz – eine

evolutionäre Weiterentwicklung erprobter

europäischer Reaktoren.

Der EPR ist ein von AREVA in Abstimmung

mit europäischen Betreibern entwickelter

Druckwasserreaktor der 1.600-MWel-Leis-

tungsklasse. In sein Auslegungskonzept

flossen die weltweit gesammelten Erfahrun-

gen aus Tausenden von Leichtwasserreak-

tor-Betriebsjahren ein, vor allem die mit

den derzeit modernsten Reaktoren – den

französischen so genannten N4- und den

deutschen so genannten Konvoi-Anlagen.

Außerdem verkörpert er die Ergebnisse

jahrzehntelanger Forschungs- und Entwick-

lungsprogramme, besonders der französi-

schen Atomenergie-Kommission CEA und

des Forschungszentrums Karlsruhe in

Deutschland.

Best Practice

Der EPR verfügt über innovative Eigenschaf-

ten, die die ohnehin bereits geringen Risiken

bestehender Anlagen noch weiter reduzie-

ren und selbst im schlimmsten denkbaren

Schadensfall die damit verbundenen Folgen

auf die Anlage selbst begrenzen. Ferner bie-

tet er höchsten Schutz gegen Schäden durch

Einwirkungen von außen wie Flugzeugab-

sturz oder Erdbeben.

Ein weiterer EPR wird derzeit in Frankreich

errichtet: Die EDF entschied sich im Okto-

ber 2004 für den Standort Flamanville; der

Bau des auf fünf Jahre veranschlagten Pro-

jekts begann im Jahr 2007.

Internationales Programm: Reaktoren der Generation IV

Das Forschungs- und Entwicklungspro-

gramm „Generation IV“ ist eine Initiative

von zehn Staaten: 2000 einigten sich

Argentinien, Brasilien, Kanada, Frankreich,

Japan, Südkorea, Südafrika, Schweiz, Groß-

britannien und die Vereinigten Staaten auf

einen Rahmen zur internationalen Zusam-

menarbeit in der Kerntechnik. Im Juli 2003

unterschrieb Euratom als elftes Mitglied

den Vertrag zur Zusammenarbeit in dem

„Generation IV International Forum“ (GIF)

und ermöglichte somit allen Euratom-Mit-

gliedern die Mitarbeit in diesem Forum.

54

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unter endlagerrelevanten Bedingungen im

Fokus der Untersuchungen. Bei der Erfor-

schung der Chemie von Plutonium in wässri-

gen Medien konnte das Forschungszentrum

Karlsruhe (FZK) große Erfolge erzielen und

somit den Weg für weitergehende Untersu-

chungen ebnen.

Das Forschungszentrum Dresden hat für die

Langzeitsicherheitsanalyse eigens ein radio-

chemisches Labor in Betrieb genommen.

Hier werden Prozesse erforscht, die beim

Übergang von langlebigen Radionukliden

von der Geosphäre in die Biosphäre (den be-

lebten Bereich der Erde mit Flora und Fauna)

ablaufen.

Stillgelegte Hochtemperatur-reaktoren: Entsorgung derBrennelemente

In Hamm-Uentrop und im Forschungszen-

trum Jülich (FZJ) waren Hochtemperatur-

reaktoren im Einsatz. Sie sind auch als Ku-

gelhaufenreaktoren bekannt. Der Versuchs-

reaktor in Jülich wurde 1988 und der kom-

merzielle Reaktor in Hamm-Uentrop 1989

stillgelegt.

Ein Brennelement eines Hochtemperatur-

reaktors (HTR) besteht aus kleinen Brenn-

stoffpartikeln, die von gasdichten Hüllen

aus Pyrokohlenstoff und Siliziumcarbid

(SiC) umgeben und in eine Grafitmatrix ein-

gebettet sind. Im Forschungszentrum Jülich

(FZJ) wird die chemische und mechanische

Langzeitstabilität von HTR-Brennelementen

für den Fall der direkten Endlagerung unter-

sucht. Dabei geht es um die Frage, in welche

Matrix die Brennelemente eingebettet wer-

den können, um allen Ansprüchen an die

Langzeitstabilität gerecht zu werden. Mög-

licherweise kann das Siliziumcarbid selbst

bereits den Anforderungen Genüge tun.

Reduktion von Radioaktivität: Transmutation

Langlebige, hochradioaktive Isotope sind

über Tausende, manche sogar über Millio-

nen Jahre radioaktiv. Derzeit wird an einer

Methode geforscht, diese Zeit durch Um-

wandlung der Isotope auf rund 1.000 Jahre

zu verkürzen. Diese Methode wird Trans-

mutation genannt. Ihr Gelingen würde

die Endlagerung erheblich erleichtern.

Am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz

wie auch im Forschungszentrum Dresden-

Rossendorf wird an dieser Thematik ge-

forscht.

Auf dem Weg: Kernfusion

Die Entscheidung für den Bau des interna-

tionalen Fusionstestreaktors ITER (Interna-

tionaler Thermonuklearer Experimenteller

Reaktor, lateinisch: der Weg) ist gefällt:

Standort für die internationale Forschungs-

anlage wird Cadarache in Südfrankreich

sein. Der Experimentalreaktor ITER ist der

nächste große Schritt in der weltweiten

Fusionsforschung.

Der Reaktor soll die wissenschaftliche und

technische Machbarkeit der Energieerzeu-

gung aus Kernfusion demonstrieren und

zeigen, dass ein energielieferndes Fusions-

plasma, in dem die Isotope Deuterium und

Tritium zu Helium verschmolzen werden,

möglich ist.

ITER wurde seit 1988 in weltweiter Zusam-

menarbeit von europäischen, japanischen,

russischen und US-amerikanischen Fu-

sionsforschern vorbereitet. Im Jahr 2003

schlossen sich China und Südkorea dem

Projekt an.

Mit einer Fusionsleistung von 500 MW soll

ITER erstmals ein brennendes und energie-

lieferndes Plasma erzeugen. Angestrebt

wird ein Energiegewinnungsfaktor von min-

destens 10 – das heißt, das Zehnfache der

zur Plasmaheizung aufgewandten Energie

soll als Fusionsenergie zurückgewonnen

werden.

Nach einer Bauzeit von zehn Jahren werden

etwa 600 Wissenschaftler, Ingenieure, Tech-

niker und übrige Angestellte rund zwanzig

Jahre lang an der Anlage arbeiten. Das For-

schungszentrum Karlsruhe ist in die Ent-

wicklung von Schlüsseltechnologien für die

Fusion eingebunden und nimmt in Europa

neben Frankreich (CEA) und Italien (ENEA)

eine Spitzenstellung ein.

Nach der ITER-Standortentscheidung

kommt es nun darauf an, die seit mehr als

zwei Jahrzehnten vorangetriebenen Techno-

logien in die Praxis umzusetzen. Auf der

Grundlage anerkannter Expertise wird das

FZK federführend die Konstruktion und die

Beschaffung von Komponenten und Syste-

men für ITER übernehmen und ihren Ein-

bau in den Reaktor begleiten.

57

im Simulationsverfahren durchgeführt wer-

den. Es können aber auch die Ergebnisse

von theoretischen Untersuchungen praxis-

nah überprüft und getestet werden. Ein

wichtiges Feld hierfür ist etwa das Strö-

mungsverhalten von Flüssigkeiten, wie

man sie zur Kühlung der Brennelemente

benötigt. So werden zum Beispiel im For-

schungszentrum Dresden (FZD) in einer

Mehrzweckversuchsanlage thermohydrauli-

sche Experimente durchgeführt. Daneben

werden Programme zur Berechnung von

komplexen Strömungen entwickelt. Ihre

Stichhaltigkeit wird in Simulationsrechnun-

gen anhand realer Beispiele überprüft. Die-

se Arbeiten sind in die nationale Initiative

zur Fortentwicklung von CFD-Methoden

(Computational Fluid Dynamics) und in das

integrierte EU-Projekt NURESIM (Nuclear

Reactor Simulation) eingebunden.

In der Hochschule Zittau/Görlitz werden

Experimente für Druck- und Siedewasser-

reaktoren durchgeführt. Die daraus gewon-

nenen Erkenntnisse sind insbesondere auch

für die Entwicklung neuer Reaktoren rele-

vant. Die Experimente werden mit Hilfe

theoretischer Arbeiten ausgewertet.

In einer Versuchsanlage des Forschungs-

zentrums Karlsruhe (FZK) werden für

Druck- und Siedewasserreaktor-Brennele-

mente und russische WWER-Brennelemente

(WWER: Wasser-Wasser-Energie-Reaktor)

Experimente mit so genannten Brenn-

element-Dummys (Brennelemente ohne

spaltbares Material, aber mit elektrischer

Heizung im Innern der Brennstäbe) außer-

halb des Reaktors durchgeführt. Dabei wird

die Wärmeabgabe des Brennelements an ein

umgebendes Medium unter verschiedenen

Versuchsbedingungen bis hin zu Tempera-

turen von 2000° C analysiert. Experimente

dieser Art finden im Rahmen der EU statt.

Nukleare Entsorgung: Verhalten der Actinide

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die

Sicherheit der nuklearen Entsorgung, der so

genannten Endlagerung von radioaktiven

Abfällen in unterirdischen Stollen. Dabei

geht es darum, die Langzeitsicherheit von

abgelagerten Abfällen zu gewährleisten und

nachzuweisen. Im Mittelpunkt stehen lang-

lebige Radionuklide, insbesondere die Actini-

de. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise

Uran oder Plutonium.

Die Forschung geht dabei immer von Worst-

Case-Szenarien aus. Ziel ist es, die Folgen

auch im denkbar schlimmsten Fall noch be-

herrschbar zu halten. So soll ein Endlager so

gestaltet sein, dass es so lange trocken bleibt,

wie die eingelagerten Abfälle im nennens-

werten Umfang radioaktiv sind. Wenn es

dennoch einen Wassereinbruch gibt, dann

sollen Einschluss und Verpackung der ver-

brauchten Brennelemente dafür sorgen,

dass es keine Reaktion zwischen Wasser und

radioaktivem Material gibt. Dennoch muss

erforscht werden, was passiert, wenn Actini-

de im Endlager mit Wasser in direkten Kon-

takt kommen. Deshalb steht die Erforschung

chemischer Reaktionen etwa von Plutonium

56

Page 31: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› Forschung und Lehre: Bündelung im Südwesten

In der Kerntechnik verfügt Baden-Württem-

berg im Ländervergleich über die umfang-

reichsten wissenschaftlich-technischen Res-

sourcen in Sachen Forschung und Lehre.

Basierend auf einem Beschluss des baden-

württembergischen Ministerrats wurde im

Oktober 2007 der „Südwestdeutsche For-

schungs- und Lehrverbund Kerntechnik“

aus der Taufe gehoben. Gründungsmitglie-

der sind das Forschungszentrum Karlsruhe

GmbH (FZK), die EnBW, das Institut für

Transurane von der Europäischen Kommis-

sion, die Universitäten Heidelberg und

Stuttgart, die TH Karlsruhe sowie die Hoch-

schulen Ulm und Furtwangen. In diesem

Zusammenhang erhöhte sich auch die

Anzahl der Professuren von vier auf sechs:

Das FZK erhält von der EnBW eine Stiftungs-

professur für „Dynamik kerntechnischer

Systeme“ und das Land Baden-Württemberg

vergibt eine Professur für „Innovative Reak-

torsysteme“ an der Universität Karlsruhe.

In Zusammenarbeit mit Forschungsein-

richtungen, hauptsächlich dem FZK, der

Materialprüfungsanstalt Stuttgart und den

Universitäten Karlsruhe, Stuttgart und Hei-

delberg, unterstützt die EnBW auch Dokto-

randen, die durch ihre Forschung einen we-

sentlichen Beitrag zur Verbesserung und

Optimierung bestehender oder künftiger

kerntechnischer Anlagen leisten. So be-

schäftigte sich etwa eine 2007 fertig gestell-

te Dissertation, die in Zusammenarbeit mit

dem Institut für Kernchemie der Universi-

tät Marburg entstand, mit Lithiumhydroxid

als Korrosionsschutzmittel im Reaktorkühl-

wasser. Das jährlich zudosierte und im Jah-

resverlauf wieder entzogene Lithium muss-

te bisher als radioaktiver Abfall entsorgt

werden. Mit den neuen Erkenntnissen aus

der Forschungsarbeit wurde ein Recycling-

prozess erprobt, der die Menge an radioakti-

vem Müll reduziert.

› Zukunft der Kernenergie: Internationale Kooperationen

Im Rahmen des Programms „We offer a fu-

ture“ (WOAF) arbeiten junge Nachwuchs-

kräfte von EDF und EnBW eng zusammen.

Auf europäischer Ebene beteiligt sich die

EnBW an der „Sustainable Nuclear Energy-

Technology Platform“ (SNE TP), der Techno-

logie-Plattform für die nachhaltige Nutzung

der Kernenergie. Die SNE TP wurde im Sep-

tember 2007 in Brüssel gegründet und ver-

eint alle Akteure aus dem Bereich Kernener-

gie. Zu ihren Aufgaben gehört zum einen

ein neues und vollständig integriertes euro-

päisches Forschungskonzept, das auf ge-

meinsamen Zielen und konzentrierten Fi-

nanzmitteln basiert. Zum anderen obliegt

ihr die fachliche Beratung der Europäischen

Kommission und der Regierungen der Mit-

gliedstaaten. Außerdem soll sie über die

wissenschaftliche Basis hinaus den Dialog

über zentrale Themen wie Abfallentsor-

gung, Sicherheit und Schutz führen.

Außerdem arbeitet die EnBW in dem „Euro-

pean Nuclear Energy Forum“ (ENEF) in meh-

reren Arbeitsgruppen mit. Das ENEF wurde

von der Europäischen Kommission zur

Verbesserung des Informationsaustausches

und zur Vorbereitung der europäischen

Politik für den Nuklearsektor in der EU

gegründet.

59

EnBW-Praxis

› Kernkraft: Energiequelle mit geringerEmission

Nicht zuletzt durch die Problematik der glo-

balen Erwärmung gewinnt die Kernenergie

in vielen Ländern wieder an Bedeutung. Als

einzige im großtechnischen Maßstab ver-

fügbare Energiequelle ohne nennenswerte

Emission von Treibhausgasen spielt sie in-

ternational für den künftigen Erzeugungs-

mix eine wichtige Rolle. Eine kontinuierli-

che Verbesserung der bestehenden Anlagen

sowie die Forschung und Entwicklung auch

im Bereich künftiger Vorhaben unterstützt

nachhaltig die Bestrebungen zur Eindäm-

mung des Klimawandels.

Die EnBW Kernkraft GmbH hat in Sachen

Sicherheit und Optimierung in den vergan-

genen Jahren viel Pionierarbeit geleistet. So-

wohl an den einzelnen Standorten als auch

übergreifend wurde eine Reihe von Neue-

rungen implementiert – und, darüber hin-

aus, sogar exportiert.

› Sicherheit groß geschrieben: OSART und SMS

Die EnBW ist der einzige Kernkraftwerksbe-

treiber in Deutschland, der seine Produkti-

onsstandorte innerhalb von wenigen Jahren

von der IAEO bewerten ließ. Die IAEO ist ei-

ne autonome, wissenschaftlich-technische

Organisation der Vereinten Nationen und

führt weltweit so genannte OSART-Missio-

nen (Operational Safety Review Team)

durch. Ziel der Missionen ist eine umfassen-

de Bewertung der Betriebsführung eines

Kernkraftwerks sowie ihres Sicherheits-

niveaus nach internationalen Standards.

Gleichzeitig nutzt die IAEO die Erkenntnisse

aus den Missionen, um ihre Richtlinien zur

Bewertung von Kernkraftwerken weiter-

zuentwickeln.

Die IAEO bescheinigte den Standorten

Philippsburg und Neckarwestheim, über

sehr gute Anlagen zu verfügen, die viele

Merkmale einer ausgeprägten Sicherheits-

kultur aufweisen. Die EnBW sei ein Betrei-

ber, bei dem die nukleare Sicherheit höchste

Priorität besitze und der über hoch moti-

vierte Mitarbeiter verfüge.

Auch bei der kontinuierlichen, systemati-

schen und standortübergreifenden Ver-

besserung der Sicherheit hat die EnBW in

Deutschland eine Vorreiterrolle inne. Für

alle drei Kernkraftwerksstandorte wurde

2007 ein indikatorgestütztes, dynamisches

Sicherheitsmanagement-System (SMS) ein-

geführt, das der permanenten Weiterent-

wicklung und Optimierung aller relevanten

Prozesse dient. Das Prinzip der kontinuierli-

chen Verbesserung, das die Kernkraftwerke

der EnBW schon seit vielen Jahren verfolgen,

wurde durch das SMS standardisiert und

messbar gemacht. Es basiert auf aktuellen

internationalen Standards, die von der IAEO

und der Organisation für wirtschaftliche Zu-

sammenarbeit und Entwicklung (OECD)

bzw. der angeschlossenen NEA definiert

werden.

› Zugewinn durch Effizienz: Grüne Megawatt

Durch Maßnahmen zur Effizienzsteigerung

im Kernkraftwerksbereich konnte die EnBW

in den Jahren 2004 bis 2008 so genannte

„Grüne Megawatt“ gewinnen: Bei gleichem

Brennstoffaufwand wurden zirka 50 MW

mehr an elektrischer Leistung erreicht, da

sich der Wirkungsgrad der bestehenden

Anlagen durch technische Optimierungen

steigern ließ. Die Mehrerzeugung entspricht

dem Jahresverbrauch von mehr als 100.000

Haushalten.

› Ideenmanagement: Ressourcen und Umwelt schonen

Auch die Mitarbeiter der EnBW tragen durch

ihre innovativen Ideen maßgeblich zu einer

Optimierung der Anlagen und damit auch

zur Schonung von Ressourcen und Umwelt

bei. So erhielten 2007 drei Mitarbeiter des

Kernkraftwerks Philippsburg eine stattliche

Prämie für ihre Idee, im Reaktorkühlwasser

mittels Vitamin C flüchtige, radioaktive Spe-

zies zu binden. Mit diesem neuen Verfahren

konnten bei der folgenden Jahresrevision

Strahlenschutz- und Dekontaminations-

maßnahmen deutlich reduziert werden.

58

Page 32: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Eine verbindliche Zusammenarbeit und gut

justierte politische Instrumente sind das A und O

des internationalen Klimaschutzes. Doch der

Kampf gegen den Klimawandel wird nicht allein

von Politik und Wirtschaft gewonnen. Auch

Konsumenten müssen umdenken – und ein

Bewusstseinswandel zeichnet sich heute schon ab.

61

› Politik und Gesellschaft

60

Page 33: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Seither ist die Projektpipeline auf über 3.000 Projekte angeschwollen, von denenknapp 1.000 registriert wurden. Bis zum Ende der Kyoto-Verpflichtungsperiode 2012 prognostizieren sie über 2,5 Mrd. Emissi-onsgutschriften. Wie in einem Goldrauschentstanden über Nacht CDM-Projektent-wicklungsfirmen, vor allem in Indien undChina, aber auch in Lateinamerika. An derLondoner Börse sind inzwischen die Aktieneines halben Dutzend solcher Unternehmennotiert. Die Regierungen und Banken der Industriestaaten haben mittlerweile über 9 Mrd. Euro zum Ankauf von Emissionsgut-schriften budgetiert. Beim derzeitigen Preisvon 16 Euro entspricht dies jedoch wenigerals 1 Mrd. Gutschriften. Kommt es dem-nächst zum Angebotsüberhang und Preis-verfall? Falls Russland sein institutionellesChaos überwindet, könnte es aufgrund desMilliardenvolumens an überschüssigenEmissionsrechten den CDM mit wenigen Federstrichen beiseite fegen…

2020

Bei den Klimaverhandlungen für die Zeitnach 2012 werden voraussichtlich Emissi-onsziele für 2020 festgelegt. Falls die EU ihr30 %-Reduktionsziel durchsetzt und andereIndustrieländer mitziehen, würde die inter-nationale Ziellücke 2013 bis 2020 bei über 20 Mrd. t CO2 liegen. Mit der „heißen Luft“der Transformationsländer ließen sich nur 9 Mrd. t abdecken. Die heute bekanntenCDM-Projekte bringen 3,2 Mrd. t auf dieWaage. Es fehlen also 8 Mrd. t, die entwederdurch Emissionsreduktionen in den Indu-striestaaten oder weitere CDM-Projekte geschaffen werden müssen. Falls sich aberdie EU-Kommission mit ihrer restriktivenHaltung zum Import von Emissionsgut-schriften durchsetzt, würde genau dieseMenge in der EU reduziert werden müssenund der CDM-Markt wiese bereits jetzt einÜberangebot auf.

63

Status quo

Die internationale Klimapolitik hat in den 20Jahren ihres Bestehens bereits einige Inno-vationen hervorgebracht. Die bedeutendstensind die global gültigen Marktmechanismenzur Reduktion von Treibhausgasemissionen.Im Kyoto-Protokoll von 1997 wurden vierderartige Mechanismen verankert: die ein-malige Umverteilung von Emissionszieleninnerhalb einer Ländergruppe (so genannte„Bubble“), der Handel mit überschüssigenEmissionsrechten auf Regierungsebene (internationaler Emissionshandel), die Ent-wicklung von Minderungsprojekten in Län-dern mit Emissionszielen (Joint Implemen-tation, JI) sowie in Entwicklungsländern, die keine Emissionsziele haben (Clean Development Mechanism, CDM).

Alle Klimapolitikexperten gaben in den1990er Jahren dem CDM wenig Chancen.Die Kontrolle der Projekte sei viel zu kost-

Dr. Axel Michaelowa ist Berater des

UN-Klimasekretariats und leitet die

Forschungsgruppe Klimapolitik an der

Universität Zürich. Der IPCC-Leitautor

für Flexible Mechanismen ist Mitglied

im CDM-Aufsichtsrat und berät mit

seiner Firma „Perspectives“ Unter-

nehmen bei der Durchführung von

Klimaschutzprojekten.

Internationale Treibhausgasmärkte – Tanz auf dem Vulkan?

spielig und das Risiko einer Investition inEntwicklungsländer zu hoch. Der komplexeProjektzyklus mit seinen externen Auditsschrecke private Projektentwickler ab, hießes. In der Tat stellten nur die Weltbank unddie niederländische Regierung Mittel bereit,um Emissionsgutschriften anzukaufen. Sielegten ein Preisniveau von 3 Dollar pro t CO2

fest.

Das änderte sich erst, als 2003 die „Verbin-dungsrichtlinie“ Unternehmen im EU-Emis-sionshandelssystem das Recht gab, Emissi-onsgutschriften zu nutzen. Nunmehr wurdeder Preis für EU-Emissionsrechte zur Richt-schnur für den Preis von CDM-Emissions-gutschriften. Da die EU-Preise zügig auf biszu 30 Euro pro t CO2 anstiegen, entstand ei-ne große Nachfrage nach CDM-Projekten.Zahlreiche Finanzinstitutionen begannendamit, CDM-Fonds aufzulegen und großeEnergieversorger schufen CDM-Beschaf-fungsteams.

62

2050

Der langfristige politische Erfolg des CDM-Systems hängt wesentlich von seiner Glaub-würdigkeit und der Effektivität für den Kli-maschutz ab. Ein entscheidendes Kriteriumdabei ist, dass CDM-Projekte nicht ohnehinaufgrund ihrer kommerziellen Rentabilitätdurchgeführt werden. So gibt es beispiels-weise seit Jahrzehnten Investitionen in Wasserkraftwerke, ohne dass es dafürEmissionsgutschriften gab. Das Ziel vonCDM-Projekten ist es, zusätzlich Treibhaus-gase einzusparen. Projektentwickler müs-sen deswegen heute entweder belegen,dass es lukrativere Investitionsmöglichkei-ten als das CDM-Projekt gibt oder nachwei-sen, dass das Projekt an prohibitiven Barrie-ren gescheitert wäre. Die Argumentationwird durch unabhängige Auditoren geprüft.Leider zeigte sich in der Vergangenheit, dassdie Auditoren die Argumentation der Pro-jektentwickler unkritisch übernahmen und

somit viele Projekte registriert wurden, dieohnehin stattgefunden hätten. Erst mit derEinführung einer weiteren Prüfung durchunabhängige Gutachter und das UN-Klima-sekretariat wurden regelmäßig Projekte ab-gelehnt. Dennoch schlüpfen nach wie vorgroße Wind- und Wasserkraftwerke an at-traktiven Standorten durch die Maschen. Dieersten Medienberichte über CDM-Skandalesind bereits erschienen und es besteht dieernst zu nehmende Gefahr, dass CDM in den Augen der kritischen Öffentlichkeit de-savouiert wird. Falls dies eintritt, könnte einviel versprechendes Instrument an der Giereiniger Projektentwickler scheitern.

Page 34: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Globaler Markt: Emissionshandel

Der internationale Handel mit Emissions-

zertifikaten ist für die Industriestaaten ein

wesentliches Element zur Erfüllung ihrer

Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll.

Übersteigen die Emissionen eines Staates

die eingegangene Reduktionsverpflichtung,

so ist es möglich, Zertifikate von anderen

Staaten, die ihr Budget nicht ausschöpfen,

zu erwerben. Mit Beginn des internationa-

len Emissionshandels im Jahr 2008 wird ein

globaler Markt für den Handel mit Emis-

sionszertifikaten geschaffen. Für die betei-

ligten Unternehmen spielt der Vergleich der

spezifischen CO2-Minderungskosten mit

dem Marktpreis für CO2-Emissionszertifika-

te die entscheidende Rolle. Liegt der Preis

über den spezifischen Kosten, sind eigene

Maßnahmen zur CO2-Vermeidung wirt-

schaftlich sinnvoll. Im gegenteiligen Falle

erwirbt der Emittent Zertifikate am Markt

oder durch CDM- und JI-Projekte und erfüllt

auf diesem Wege seine Verpflichtungen. Kli-

maschutz findet so dort statt, wo er sich am

wirtschaftlichsten realisieren lässt. 2006

wurden weltweit rund 1,6 Mrd. t CO2-Äqui-

valente im Wert von 29 Mrd. Dollar gehan-

delt, bereits doppelt soviel wie noch 2005.

Der weitaus größte Teil des Handels findet

auf Basis der europäischen Emissionshan-

delsrichtlinie innerhalb der EU statt. Ende

2007 haben die Europäische Kommission,

neun EU-Mitgliedstaaten, darunter auch

Deutschland, zwölf US-Bundesstaaten,

Australien und Neuseeland die „Internatio-

nal Climate Action Partnership“ (ICAP) in

Lissabon gegründet. ICAP beschäftigt sich

zunächst mit Fragen der Verknüpfung

regionaler Emissionshandelssysteme, lang-

fristig sollen hiervon wichtige Impulse zur

Schaffung eines globalen Kohlenstoffmark-

tes ausgehen.

Neue Kriterien für Investoren: Wachstumstreiber Klimaschutz

Die Weltwirtschaft wird zunehmend vom

Umwelt- und Klimaschutzgedanken durch-

drungen. Auch Investoren werden zukünftig

neue Kriterien in ihre Entscheidungen ein-

fließen lassen: Soziale, ethische oder ökolo-

gische Überlegungen ergänzen die klassi-

schen Kriterien Rentabilität, Liquidität und

Sicherheit.

Besonders die Umweltverträglichkeit von

Unternehmen, ihren Produkten, Prozessen

und Dienstleistungen, wird für Finanzinves-

toren immer mehr zu einer investitionsre-

levanten Größe. Das unabhängige und

gemeinnützige Carbon Disclosure Project

(CDP) hat weltweit anerkannte Methoden

und Verfahren der Informationsgewinnung

zum CO2-Ausstoß entwickelt. Der Einfluss

des CDP ist beträchtlich: Dahinter stehen

385 institutionelle Investoren, die insgesamt

57 Billionen Dollar Anlagevermögen verwal-

ten. Das CDP führt eine jährliche Umfrage

unter den größten Unternehmen der Welt

zum Thema Klimawandel und CO2-Emis-

sionen durch. Das Ergebnis ist die größte

öffentlich zugängliche Datenbank unter-

nehmensbezogener Emissionsdaten und

der dazugehörigen Unternehmensstrate-

gien. 2007 haben 1.300 Unternehmen aus

aller Welt freiwillig ihre Daten eingereicht.

Wichtige Veränderungen sind auch in den

USA zu beobachten: „Cleantech“, Investitio-

nen in saubere, nachhaltige und umwelt-

freundliche Technologien, sind zu einem

Innovations- und Wachstumstreiber gewor-

den. Im Bereich der Wagniskapitalinvestitio-

nen rangiert Cleantech in den USA bereits

auf Platz drei – hinter Internet und Biotech-

nologie – und soll in wenigen Jahren die

Nummer eins sein.

65

Kyoto-Protokoll: Flexible Mechanismen

Das Anfang 2005 in Kraft getretene Kyoto-

Protokoll enthält drei „flexible“ Instrumen-

te, die es den Staaten ermöglichen, einen

Teil ihrer Verpflichtungen im Zeitraum von

2008 bis 2012 zu möglichst geringen Kosten

zu erreichen. Die Bundesregierung erlaubt

deutschen Unternehmen maximal 20 % ih-

rer Minderungsverpflichtungen im Ausland

durch die Instrumente Joint Implementa-

tion (JI) und Clean Development Mechanism

(CDM) zu erfüllen. Dritter Mechanismus ist

der internationale Emissionshandel. Durch

die Nutzung der drei Mechanismen können

Emissionen dort vermieden werden, wo dies

zu den günstigsten Kosten möglich ist.

Gemeinsame Projekte: Joint Implementation

Seit 2008 können Industriestaaten, die sich

durch das Kyoto-Protokoll zu Reduktionen

ihrer Treibhausgase verpflichtet haben, im

Rahmen des JI-Mechanismus gemeinsam

Projekte durchführen. Ein Land, respektive

ein Unternehmen, das in einem anderen

Staat emissionsreduzierende Projekte um-

setzt, kann sich die erzielten Emissionsmin-

derungen im eigenen Land gutschreiben

lassen und dadurch seine Reduktionsver-

pflichtungen kostengünstiger erfüllen.

Best Practice

In Entwicklungsländer investieren: Clean Development Mechanism

CDM erlaubt es Industriestaaten, Emissions-

reduktionen in Entwicklungsländern durch-

zuführen. Dies dient der Einbindung der

Entwicklungsländer in die internationalen

Klimaschutzbemühungen und fördert zu-

gleich nachhaltige Investitionen in diesen

Ländern. Die vermiedenen Emissionen

dürfen sich Unternehmen auf ihre Minde-

rungsverpflichtungen anrechnen lassen.

Aktuell sind knapp 1.000 CDM-Projekte in

49 Ländern registriert, etwa 2.000 Anträge

werden auf ihre Nachhaltigkeit geprüft.

CDM-Projekte können seit 2000 durchge-

führt werden. Neben dem Kriterium der

Nachhaltigkeit müssen CDM-Projekte auch

zusätzlich zu bereits geplanten Vorhaben

erfolgen.

64

Page 35: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Kompensation von Emissionen: Klimaneutralität

Der Begriff Klimaneutralität ist zunächst

irreführend. Emissionen können nicht

neutralisiert werden, sie können aber kom-

pensiert werden. Private und gewerbliche

Aktivitäten wie beispielsweise Flugreisen

oder aber Produktion, Verpackung, Trans-

port und Vertrieb von Produkten setzen

CO2 frei. Seit einiger Zeit bietet eine wach-

sende Zahl von Organisationen und Unter-

nehmen Beratungsleistungen und die

Durchführung von Projekten zur Kompen-

sierung von Emissionen an. Kunden, Privat-

personen wie auch Unternehmen, bezahlen

die anfallenden Projektkosten.

Kritiker dieser Entwicklungen bemängeln

jedoch, dass für die Kompensierung von

CO2-Emissionen bis heute keine einheit-

lichen, anerkannten Standards für die Be-

rechnung von so genannten „klimaneutra-

len“ Prozessen und Produkten existieren.

Teil der Unternehmensstrategie: Konsumentenkommunikation

Immer mehr Konsumenten reagieren posi-

tiv auf umweltfreundliche Produkte und

Unternehmen. In Umfragen wünschen sie

auch eine stärkere Rolle der Unternehmen

im Bereich Klimaschutz. Unternehmen, die

die eigene Umweltverträglichkeit und die

ihrer Produkte nicht in ihre strategische

Ausrichtung mit einbeziehen, laufen Ge-

fahr, am Markt zu verlieren. Neue, effizien-

tere Transportmethoden und Änderungen

der Produktions- und Anbauprozesse sollen

zur Verringerung des CO2-Ausstoßes beitra-

gen. Die Handelsbranche, in der der Druck

der Konsumenten stark gebündelt auftritt,

nimmt das Thema bereits sehr ernst. Unter-

nehmen analysieren ihre Produktionsketten

und arbeiten verstärkt mit Zulieferern zu-

sammen, die möglichst wenig Emissionen

verursachen. Der Trend geht dahin, dass Un-

ternehmen in Zukunft vermehrt die CO2-

Bilanz ihrer Produkte ausweisen.

Die britische Supermarktkette Marks and

Spencer verspricht beispielsweise, in Zu-

kunft CO2-neutral zu operieren und bis

2012 keine Abfälle mehr auf Mülldeponien

zu bringen. Wal-Mart kündigte an, seine

Geschäfte in den USA nur noch mit erneu-

erbarer Energie betreiben zu wollen. Zusätz-

lich sollen alle Zulieferer ihre Produktions-

ketten auf CO2-Einsparpotenziale untersu-

chen lassen. Der britische Supermarktriese

Tesco hat 2007 damit begonnen, alle Waren

auf ihre Klimawirkung hin („Carbon food-

print“) zu deklarieren. Ein kleiner Sticker

gibt an, wie viel CO2 bei Herstellung, Lage-

rung und Transport eines Produkts entsteht.

Alleine der CO2-Ausstoß gibt jedoch keine

Auskunft über Landverbrauch, Lärm oder

andere sozio-ökologische Faktoren. Ohne

Transparenz und den Zugang zu notwendi-

gen Informationen ist es für die Konsumen-

ten schwer, Unterschiede zu erkennen.

67

Dem Besten gehört der Markt: Top-Runner-Ansatz

1998 hat die japanische Regierung eine

wichtige Neuerung eingeführt: Das Top-

Runner-Programm erhebt jene Elektrogerä-

te zum Standard, die am meisten Energie

einsparen. Dies fördert die Durchdringung

des Marktes mit der umweltverträglichsten

bzw. ressourcen- und/oder energieeffizien-

testen Technologie. Hersteller von Konkur-

renzprodukten müssen innerhalb einer

bestimmten Frist nachziehen. Das gilt auch

für ausländische Anbieter. Erreichen Kon-

kurrenzprodukte in der vorgegebenen Zeit

nicht die entsprechende Energieeinsparung,

drohen gesetzliche Sanktionen, Strafzahlun-

gen oder sogar ein Verkaufsverbot.

Das Programm umfasst mittlerweile 21

Sparten, vom Auto über Kühl- und Gefrier-

schränke, Kopierer, Wasserkocher bis hin zu

Computern und anderen Geräten. Der Zeit-

rahmen für die Angleichung des Energiever-

brauchs variiert zwischen drei und zwölf

Jahren. Erreicht eine Warengruppe früher

als geplant einen Standard, können die Effi-

zienzziele auch weiter verschärft werden.

Japan kann auf diesem Wege bis zu einem

Viertel des für 2010 avisierten nationalen

Emissionsreduktionsziels erreichen. Mit

Hilfe des Top-Runner-Programms kommt

Japan somit seinen im Kyoto-Protokoll ein-

gegangenen Verpflichtungen zur Reduktion

von Treibhausgasen ein gutes Stück näher.

Auch die Bundesregierung fordert von der

EU-Kommission die Schaffung eines euro-

päischen Top-Runner-Programms, um das

Ziel der Steigerung der Energieeffizienz um

20 % bis 2020, wie dies die europäische Kli-

ma- und Energiestrategie vorsieht, durch

mehr Wettbewerb und Innovationen zu

erreichen. Die nötigen Regelungen hierzu

möchte die EU-Kommission noch 2008

treffen.

66

Page 36: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› Die Wirtschaft wird aktiv: Neue Unternehmensinitiativen

Die EnBW ist der Überzeugung, dass die

Wirtschaft eine Schlüsselrolle bei der Lö-

sung der Klimaprobleme spielen wird. Im

Abschlussdokument des 1. Deutschen Kli-

makongresses, der „Berliner Erklärung“, wur-

de deshalb die Gründung einer Unterneh-

mergruppe angekündigt, die sich aktiv für

Klimaschutz einsetzt und die Politik dabei

unterstützt, geeignete Rahmenbedingun-

gen zu schaffen. Im Nachgang dazu hat die

EnBW die Gründung verschiedener Unter-

nehmensinitiativen angeregt und begleitet.

So sind wir zum Beispiel Gründungsmit-

glied der Gruppe „2° - Deutsche Unterneh-

mer für Klimaschutz“ sowie Teil der Initiati-

ve „3c – Combat Climate Change“; und auch

beim Aufbau der Klimagruppe des Bundes-

verbands der Deutschen Industrie „Wirt-

schaft für Klimaschutz“ war die EnBW maß-

geblich beteiligt. Die BDI-Initiative hat 2007

mit einer umfassenden Studie über Vermei-

dungskosten die Diskussion um die Umset-

zung von Klimaschutzmaßnahmen produk-

tiv begleitet. Diese von McKinsey erstellte

Klimastudie beinhaltet über 300 techno-

logische Vermeidungshebel sowie eine

betriebswirtschaftliche Bewertung ihrer

Kosten und Potenziale. Die Ergebnisse der

Studie wurden der Bundesregierung, dem

Europäischen Parlament und auf der UN-

Klimakonferenz in Bali vorgestellt.

› EnBW als Träger: Stiftung Energie & Klimaschutz Baden-Württemberg

Ende 2007 hat die EnBW als Träger die ge-

meinnützige „Stiftung Energie & Klima-

schutz Baden-Württemberg“ gegründet. Die

Arbeit der Stiftung soll einen Beitrag zum

besseren Verständnis der Zusammenhänge

zwischen Energiewirtschaft und Klima-

schutz leisten und außerdem zur Sicherung

des Forschungsstandortes Baden-Württem-

berg beitragen. Ein Netzwerk internationa-

ler Experten diskutiert, analysiert und be-

wertet effektive Klimaschutzmaßnahmen.

Weitere Themen sind erneuerbare Energien,

Fragen der Energieeffizienz und Energieein-

sparung sowie der Post-Kyoto-Prozess. Die

Ergebnisse sollen in die öffentliche Debatte

eingebracht werden und so zu einer zielfüh-

renden Auseinandersetzung mit diesen Fra-

gestellungen beitragen. Dabei bindet die

Stiftung Energie & Klimaschutz Baden-

Württemberg gezielt auch junge Wissen-

schaftler mit in die Diskussionen ein.

› Grünes Pilotprojekt:Jatropha-Anbau in Madagaskar

Die EnBW setzt sich intensiv mit dem

Thema JI-/CDM-Projekte auseinander und

prüft verschiedene Möglichkeiten für ein

konkretes Engagement. Ein erster Schritt ist

bereits getan: Gemeinsam mit Partnern aus

dem Umfeld der Universität Hohenheim

hat die EnBW 2007 in Madagaskar ein Pilot-

projekt zum Anbau der Jatropha-Pflanze

gestartet. Auf einer 3.000 Hektar großen

Plantage soll die CDM-Methodik angewandt

werden. Projektziel ist der Nachweis der

CO2-Reduktionen durch zusätzliche An-

pflanzung, denn der Jatropha-Strauch kann

pro Hektar Anbaufläche jährlich zirka 2,5 t

CO2 binden. Parallel dazu sollen die Nüsse

der Pflanze verwertet werden – insbesonde-

re das Pflanzenöl zur Biodieselherstellung.

Bei erfolgreichem Verlauf kann der Anbau

auf 100.000 Hektar ausgeweitet werden.

Die Jatropha-Pflanze ist ein wahres Wunder:

Da der Strauch aus der Familie der Euphor-

bien auch auf Ödland wächst, konkurriert er

nicht mit der Nahrungsmittelproduktion. Er

eignet sich vielmehr hervorragend zur Re-

kultivierung erodierter Flächen: Sein tiefes

Wurzelsystem stoppt die Erdabtragung und

erhöht die Speicherfähigkeit des Bodens für

Wasser. Zudem kann er auch Dürreperioden

gut überstehen. Versuche mit der Jatropha-

Pflanze insbesondere zur Treibstoffgewin-

nung gibt es seit einigen Jahren unter ande-

rem in Indien oder China. Allerdings ist

ein großräumiger Anbau noch nicht unter-

sucht; auch hier soll das EnBW-Projekt

Erfahrungen bringen.

69

EnBW-Praxis

› Klimatische Entwicklung: Kerninteresse für Energieversorger

Für Energieversorger ist es besonders wich-

tig, die Fakten der klimatischen Entwicklung

zu kennen, um Strategien und Instrumente

zur Abwendung und Anpassung entwickeln

zu können. Eine tiefgreifende und ernsthafte

Auseinandersetzung mit dem Klimawandel

ist nicht nur Teil unserer gesellschaftlichen

Verantwortung, sondern auch unser wirt-

schaftliches Kerninteresse.

› Internationales Forum: Deutscher Klimakongress der EnBW

Wir haben uns bereits mit dem Klimawan-

del beschäftigt, als dieser noch kein Thema

für die Medien war: Anfang 2006 gründete

die EnBW einen wissenschaftlichen Beirat,

dem die renommiertesten Klimaforscher

Deutschlands angehören. Gemeinsam wur-

de der 1. Deutsche Klimakongress „Klima im

Wandel – Fakten, Folgen, Perspektiven“ ge-

plant. Ergebnis war ein internationales,

interdisziplinäres Forum, in dem gesell-

schaftsübergreifend Fakten und Szenarien

des Klimawandels sowie dessen Folgen sach-

lich erörtert wurden. Mit dem 1. Deutschen

Klimakongress hat erstmals ein Wirtschafts-

unternehmen die Initiative ergriffen, und

Wirtschaft, Wissenschaft und Politik an ei-

nen Tisch gebracht. Dieser Austausch war

2006 noch nicht selbstverständlich. Doch

wir waren uns schon damals sicher, dass nur

aus dem Zusammenspiel der unterschiedli-

chen Akteure sinnvolle globale Handlungs-

optionen abgeleitet werden können und

dass Wirtschaftsunternehmen bei der Lö-

sung der Probleme eine Schlüsselrolle zu-

kommt.

Mit dem 2. Deutschen Klimakongress hat

die EnBW das erfolgreiche Engagement fort-

gesetzt. Unter dem Titel „Die Ökonomie des

Klimawandels“ wurden im Oktober 2007 in-

ternationale Nobelpreisträger, Wissens- und

Entscheidungsträger nach Berlin eingela-

den, um gemeinsam Perspektiven für den

Klimaschutz zu entwickeln. Vorstandsvorsit-

zender Hans-Peter Villis begrüßte Bundes-

außenminister Frank-Walter Steinmeier,

Ministerpräsident Günther Oettinger,

Baden-Württembergs Umweltministerin

Tanja Gönner, die Klimaforscher des wissen-

schaftlichen Beirats Prof. Mojib Latif und

Prof. Stefan Rahmstorf und weitere Exper-

ten aus China, USA und Großbritannien.

Zweifelloser Höhepunkt des Kongresses

war der Auftritt von Al Gore. Der ehemalige

US-Vizepräsident und frischgebackene

Friedens-Nobelpreisträger stellte seine

Oscar-prämierte Präsentation zu den Gefah-

ren des Klimawandels vor und warb nach-

drücklich für ein entschiedenes Eintreten

für den Klimaschutz.

› Kampagne zum Klimakongress: Sie fragen – Al Gore antwortet

Der Kongress brachte nicht nur neue

Erkenntnisse für die Teilnehmer aus Wirt-

schaft, Wissenschaft, Politik und Gesell-

schaft; er hat es außerdem erreicht, zahlrei-

che Menschen in den Umdenkprozess

einzubinden: Der Wettbewerb „Sie fragen –

Al Gore antwortet“ rief dazu auf, Fragen an

den Nobelpreisträger zu stellen. Die Fragen

wurden im Internet veröffentlicht und von

den Lesern selbst bewertet. Die Gewinner

waren als Gäste nach Berlin geladen und

durften Al Gore persönlich ihre Fragen stel-

len. Für die Kampagne zum Klimakongress

wurde die EnBW Ende 2007 mit dem Euro-

pean Excellence Award ausgezeichnet.

68

Page 37: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Nach Prof. Wolf Fichtner, Inhaber des Lehr-

stuhls für Energiewirtschaft an der Bran-

denburgischen Technischen Universität

Cottbus, werden solche Systemanalysen

beispielsweise zur Erarbeitung von Hand-

lungsstrategien bei Klimaschutzvorgaben

angewandt. „Zur Durchführung von system-

analytischen Studien im Energiebereich“ –

so Prof. Fichtner – „werden bei Energiever-

sorgungsunternehmen, Forschungseinrich-

tungen und Behörden so genannte optimie-

rende Energiemodelle eingesetzt. Mit Hilfe

dieser Modelle wird das zu untersuchende

Energieversorgungssystem nachgebildet.

Dazu werden existierende Anlagen sowie In-

vestitionsalternativen anhand technischer

(z. B. Wirkungsgrad), ökonomischer (etwa

Investitionen und Brennstoffkosten) sowie

ökologischer (z. B. Emissionsfaktoren)

Charakteristika beschrieben und das so

modellierte System anhand einer Zielvor-

gabe optimiert.“

› Kernbereiche: Forschung & Entwicklung undInnovation

Im Jahr 2007 investierte die EnBW für For-

schung & Entwicklung und Innovation 32,4

Mio. Euro. Das entspricht einer Steigerung

von 57 % im Vergleich zum Vorjahr mit 20,6

Mio. Euro Aufwendungen. Die beiden strate-

gischen Kernbereiche mit 27 Mitarbeitern –

vorwiegend Ingenieure, Physiker und Wirt-

schaftswissenschaftler – sind in der Holding

angesiedelt. Sie werden im operativen Be-

reich von über 120 Mitarbeitern in den Ge-

sellschaften unterstützt.

Zudem kooperieren die beiden Bereiche

mit Projektpartnern aus Wissenschaft und

Wirtschaft auf dem Gebiet technischer und

energiewirtschaftlicher Grundlagenfor-

schung. Schwerpunktthemen sind die Effi-

zienzsteigerung der Stromerzeugung, der

umweltschonende Umgang mit Ressourcen

und die Erschließung neuer Energiequellen.

Unsere wichtigsten externen Forschungs-

und Innovationspartner sind die Universitä-

ten, Hochschulen und Forschungseinrich-

tungen in Baden-Württemberg, insbesonde-

re in Karlsruhe, Stuttgart und Hohenheim.

Ferner bestehen enge Verbindungen zu den

Universitäten und Forschungseinrichtun-

gen in München, Darmstadt und Cottbus.

71

› Schlüssel zum Erfolg: Innovationsfähigkeit

Unternehmen mit ausgeprägter Innovati-

onskraft verzeichnen mittel- und langfristig

deutlich mehr Erfolg und Wachstum. Inno-

vationsfähigkeit bedeutet für ein Unterneh-

men, dass es kontinuierlich seine Produkte

und Dienstleistungen an sich ändernde

Marktbedingungen und Bedürfnisse anpas-

sen kann.

Bis zur Liberalisierung war ein Innovations-

management in der Energiewirtschaft

bedeutungslos. Inzwischen ist der Energie-

markt dynamisch geworden, die Verfügbar-

keit sowie die Preise der Primärenergien

ändern sich ständig und sind zunehmend

politischen Einflüssen ausgesetzt. Es kom-

men neue Technologien zur Erzeugung und

Wandlung von Energien auf den Markt und

der Anspruch von Kundenseite an Preis und

Nachhaltigkeit wächst.

› Professioneller Prozess: Innovationsmanagement

Der Innovationsprozess selbst besteht im

Wesentlichen aus Invention und Innovation.

Unter Inventionen versteht man die Ent-

deckung und Entwicklung von Neuerungen

bis hin zu dem Punkt, an dem sie alle die an

sie gestellten funktionalen Anforderungen

zuverlässig erfüllen. Im nächsten Schritt

kristallisieren sie sich zu Innovationen –

also zu Produkten, Dienstleistungen oder

Geschäftsmodellen – die wirtschaftlich

verwertbar sind.

Ein erfolgreiches Innovationsmanagement

standardisiert diesen Prozess in einem Un-

ternehmen und stellt sicher, dass es eine be-

ständige Rückkopplung gibt zwischen dem

Vertrieb – jener Organisation, die nahe am

Kunden ist und erkennt, welche Produkte in

Zukunft erfolgreich sein können – und der

Forschung und Entwicklung. Die Aktivitäten

im Bereich Forschung und Entwicklung wie-

derum sorgen dafür, dass alle relevanten

technologischen Entwicklungen kontinuier-

lich beobachtet und in ihrer technischen

Funktionalität bewertet werden. Innova-

tionsmanagement ist das Bindeglied zwi-

schen diesen beiden Unternehmensaktivi-

täten und hat die Aufgabe, technologische

Neuerungen für die EnBW wirtschaftlich

zu bewerten und zu gewinnbringenden

Geschäftsmodellen weiterzuentwickeln.

› Entscheidungshilfen: Systemanalytische Studien

Um zu entscheiden, welche Technologien

oder Prozesse in Zukunft für die Sicherstel-

lung der Energieversorgung von Bedeutung

sein können, ist es notwendig, Vorstellun-

gen von den möglichen zukünftigen Ent-

wicklungen auf diesem Gebiet zu formulie-

ren. Untersucht man die Wechselwirkung

zwischen diesen Entwicklungsmöglichkei-

ten und neuen Technologien, kommen

Innovationspotenziale zu Tage sowie die

Handlungsfelder, auf welche die Innova-

tionsaktivitäten sinnvoll zu konzentrieren

sind.

Die oftmals komplexen Wechselwirkungen

können mit computergestützten System-

analysen in verschiedenen Szenarien ab-

gebildet werden. Aus der Analyse dieser Sze-

narien kann man in sich konsistente Hand-

lungsempfehlungen erarbeiten, die sowohl

aus einzelnen Aktionen als auch aus Bün-

deln von Maßnahmen bestehen können.

70

Page 38: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Aktiver Klimaschutz bedeutet, Technologie-

entwicklung systematisch voranzutreiben und

Forschung auszubauen. Innovationen, für die es

weltweit keinen Markt gibt, werden sich langfristig

nicht durchsetzen. Entsprechend wichtig ist es,

Potenziale realistisch zu bewerten und viel

versprechende Entwicklungen beherzt anzugehen.

73

› Energieperspektiven

72

Page 39: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Innovation und technischer Fortschritt spie-len bei allen Bemühungen um Klimaschutzund nachhaltige Energieversorgung dieSchlüsselrolle. Wir müssen damit die Ener-gieeffizienz von Kraftwerken, Gebäuden, tech-nischen Verfahren und Produkten weiter stei-gern und neue Energiequellen erschließenund verfügbar machen. Die Energieforschungbietet zudem die große Chance, unsere ener-gie- und klimapolitischen Ziele wirksamer,schneller und kostengünstiger zu erreichen,Arbeitsplätze zu sichern und unsere interna-tionale Wettbewerbsfähigkeit auszubauen.

2050

Langfristig muss Energie in nahezu emis-sionsfreien Kraftwerken erzeugt werden underneuerbare Energien müssen einen erheb-lichen Anteil an der globalen Energieversor-gung decken. Deshalb wird es zukünftig nichtnur um die Weiterentwicklung bestehenderEnergien gehen. Wir müssen neue Möglich-keiten zur sauberen Energiegewinnung und -nutzung entwickeln und voranbringen.

Visionäre Ideen sind zum Beispiel für dasHaus der Zukunft gefragt, das seinen Wär-me- und Strombedarf allein aus Sonnenlichtdeckt. Die Erhöhung der Effizienz an Gebäu-den, Geräten und Fahrzeugen, aber auch dieEntwicklung neuer Technologien soll denEnergiebedarf ohne Einbußen bei Komfortund Sicherheit auf ein nachhaltiges Niveaubringen. Dabei gilt es aber auch, die Poten-ziale der Geothermie in Deutschland zu er-schließen und systematisch mit anderenEnergieträgern, wie Biogas, zu verknüpfen.

Um diese Innovationsprozesse zu beschleu-nigen, müssen Wissenschaft, Wirtschaft undPolitik noch enger zusammenarbeiten undinternationale Kooperationen eingehen. Ge-meinsam können wir tragfähige Kompromis-se und Lösungen für die Herausforderungendes Klimawandels und somit auch für neueEnergiestrategien erarbeiten.

Die Bundesregierung hat im vergangenenJahr ihre Aktivitäten in der Energie- und Klimaforschung verstärkt sowie Initiativengestartet, damit Ideen schneller in konkrete

75

2020

Mit Deutschland als Schrittmacher hat sichdie EU an die Spitze der internationalen Kli-mabemühungen gestellt und anspruchsvolleZiele benannt. Das heißt konkret: Wir müssenden Anteil der erneuerbaren Energien an un-serer Energieversorgung erhöhen und dieEntwicklung von Technologien zu deren Nut-zung – etwa bei der Photovoltaik und der Bio-energie – in den nächsten Jahren entschei-dend voranbringen. Kohle wird aber noch fürJahrzehnte eine wichtige Rolle für unsereEnergieversorgung spielen. Umweltfreundli-chere Kohlekraftwerke sind deshalb unbe-dingt notwendig. Daher ist die Entwicklungvon Technologien zur Abscheidung von CO2

aus Kohlekraftwerken und die anschließendeSpeicherung von CO2 im Boden von besonde-rer Bedeutung.

Allein schon aus Gründen der Sicherheit undum Entwicklungen in anderen Ländern ein-schätzen zu können, müssen wir auch dieStrahlenforschung und die nukleare Sicher-heits- und Entsorgungsforschung weiterhin

Dr. Annette Schavan ist Bundes-

ministerin für Bildung und Forschung.

Die Bundesregierung hat im vergan-

genen Jahr ihre Aktivitäten in der

Energie- und Klimaforschung ver-

stärkt sowie neue Initiativen gestartet,

damit Ideen schneller in konkrete

Produkte und Verfahren umgesetzt

werden.

Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern

fördern. Außerdem wollen wir durch die Fusionsforschung langfristige Perspektivenfür eine sichere Stromversorgung schaffen.

Klimaschutz und nachhaltige Energieversor-gung bieten Chancen für Innovationen undArbeitsplätze. Derzeit gibt es etwa 170.000Arbeitsplätze in Deutschland allein im Be-reich der erneuerbaren Energien; Schätzun-gen gehen davon aus, dass es im Jahr 2020rund 500.000 sein könnten. In den Umwelt-technologien steckt ein enormes Potenzial,das wir für den Standort Deutschland nutzenmüssen, um damit globale Herausforderun-gen zu lösen. Umwelttechnik aus Deutsch-land soll weiterhin ein Exportschlager sein.

Auf der Suche nach exzellenten Lösungenmüssen wir Forschung und Entwicklung so-wie Wissen und Kompetenz ein viel größeresGewicht geben. Dafür müssen wir die vor-handenen Kräfte bündeln: Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungenund die Forschung in Unternehmen müssenbesser aufeinander abgestimmt werden.

74

Status quo

Energie ist eines der beherrschenden The-men unserer Tage: Steigende Öl-, Gas- undStrompreise, begrenzte Rohstoffreserven unddie Emission von Treibhausgasen mit ihrenFolgen für das Weltklima fordern Politik, Wis-senschaft und Wirtschaft zum Handeln auf.Die Bundesregierung treibt deshalb die nachhaltige Energiewirtschaft national wieinternational voran. Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm hat Deutschland die ThemenKlimawandel und Energieeffizienz ganz obenauf die internationale Agenda gesetzt. Dennwir brauchen eine umweltschonende und sichere Energieversorgung – sowohl in denIndustriestaaten als auch in den Schwellen-und Entwicklungsländern.

Produkte und Verfahren umgesetzt werden.Denn die Grundlagenforschung muss einge-bunden sein in einen Prozess, der über dieangewandte Forschung zur Umsetzung dergewonnenen Erkenntnisse schließlich inkonkrete Produkte mündet.

Deutschland hat heute in der Energietechnikweltweit eine hervorragende Position: Deut-sche Kraftwerkstechnologien zählen interna-tional zur Spitze. Auch bei den erneuerbarenEnergien sind deutsche Unternehmen in vie-len Bereichen führend. Diese Spitzenpositiongilt es weiter auszubauen. Deutschland musszu einer exzellenten Talentschmiede und beiFragen des Klimaschutzes und der Energie-versorgung zu einem attraktiven Wissen-schafts- und Forschungsstandort mit inter-nationaler Ausstrahlung werden.

Page 40: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Diese Überlegungen greifen allerdings nur,

wenn gleichzeitig die Folgen der Klimapolitik

für Unternehmen abgepuffert werden. Vor

allem für solche, die verfahrensbedingt keine

Chance haben, ihren Energieverbrauch zu

reduzieren. Sonst droht ein doppeltes Null-

summenspiel: Einmal auf dem Arbeitsmarkt,

wenn bei klassischen Industriebereichen mehr

Arbeitsplätze verloren gehen als in den Pio-

nierbranchen geschaffen werden können.

Zum zweiten beim Klimaschutz, wenn ener-

gieintensive Betriebe einfach in Volkswirt-

schaften abwandern, die es nicht so streng mit

dem Schutz der Erdatmosphäre meinen.

Die Früchte des frühen Handelns können

volkswirtschaftlich gesehen auch nur dann ge-

erntet werden, wenn sich mittelfristig welt-

weit gleiche Rahmenbedingungen für die

Wirtschaft einstellen und somit ein globaler

Markt für Klimaschutztechnologien entsteht.

Wer sich als Avantgarde zu lange zu weit vor-

wagt, riskiert, sich im unwegsamen Gelände

zu verirren. Voranzugehen, um mitzuziehen –

an diesem Anspruch wird sich die deutsche

Klimapolitik messen lassen müssen.

Gefordert ist die Kunst, Klimaschutz mit

Wirtschaftlichkeit und Energiesicherheit zu

verbinden. Wirtschaftlichkeit heißt in diesem

Kontext, sich auf die Maßnahmen zu konzen-

trieren, die Treibhausgase mit den geringsten

Kosten vermeiden. Energiesicherheit heißt, die

Abhängigkeit von Energieimporten zu verrin-

gern und auf ein breites Spektrum von Maß-

nahmen zu setzen, um Risiken zu streuen.

Maßnahmenpaket: Das IntegrierteEnergie- und Klimaprogramm

Am 5. Dezember 2007 verabschiedete das

Bundeskabinett das „Integrierte Energie- und

Klimaprogramm“ (IEKP). Mit insgesamt 49

Maßnahmen, darunter 15 Gesetzen und Ver-

ordnungen, sollen bis 2020 rund 36 % CO2-

Minderung erreicht und somit 220 Mio. t

CO2-Äquivalente eingespart werden. Wie die

restlichen 4 % zur Zielerreichung geschafft

werden, ist derzeit noch offen. Das Pro-

gramm konzentriert sich auf drei Sektoren:

› Energieeffizienz – den sparsamen Umgang

mit Energie in Industrie, Gewerbe und priva-

ten Haushalten.

› Erneuerbare Energien: Ihr Anteil soll beim

Strom, bei Wärme und im Verkehr weiter

ausgebaut werden.

› Fossile Energien: CO2-arme Technologien

sollen den Einsatz von Kohle, Öl und Gas

klimafreundlicher machen.

Energieeffizienz: Die Ziele der Bundesregierung

Die Bundesregierung will die Energieproduk-

tivität bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990

verdoppeln. Das heißt, zur Erwirtschaftung

einer Einheit des Bruttosozialprodukts soll

nur noch halb so viel Energie nötig sein als 30

Jahre zuvor. Von 1990 bis 2005 stieg die Ener-

gieproduktivität aber nur um 1,6 % pro Jahr,

obwohl in diesen Jahren die höchst ineffizien-

te DDR-Wirtschaft zusammenbrach. Um das

Ziel zu erreichen, wären in der verbleibenden

Zeit aber 3 % Effizienzsteigerung per annum

nötig, während gleichzeitig die Wirtschaft um

1,8 % pro Jahr wachsen soll.

Stromverbrauch: Tendenz steigend

Im Bereich der elektrischen Energie hält das

Umweltbundesamt eine Einsparung von 11 %

bis zum Jahr 2020 für erforderlich, um das

40 %-Ziel bei den Treibhausgasen zu errei-

chen. Auch hier sind die Trends derzeit

andere. 2007 wuchs der Stromverbrauch in

Deutschland bei 2,5 % Wirtschaftswachstum

um 0,3 %. In den Jahren zuvor war das Ver-

brauchswachstum noch deutlicher: Von

2000 bis 2005 wuchs der Stromverbrauch

von Industrie, Haushalten und Gewerbe von

571 TWh auf 612 TWh. Und zumindest bei den

Privathaushalten lässt der Trend zum Single-

dasein, zu größeren Wohnungen und mehr

Unterhaltungstechnik bei ständig größer

werdenden Fernsehbildschirmen erahnen,

dass die Reise ins Effizienzwunderland

schwierig werden wird. 12 % des Stromver-

brauchs in den Haushalten geht inzwischen

auf das Konto der Unterhaltungselektronik,

sagt der Bundesverband der Energie- und

Wasserwirtschaft (BDEW). Auch die bessere

Ausstattung mit Computern lässt den Strom-

verbrauch der Haushalte in die Höhe schnel-

len. Das gilt auch für die Infrastruktur im

Hintergrund. Nach einer aktuellen Studie des

Umweltbundesamtes verbrauchen die

50.000 deutschen Rechenzentren pro Jahr

77

Schrittmacher: Die Bundesregie-rung an der Spitze des Klimazuges

Mit ehrgeizigen Zielen setzt sich die Bundes-

regierung an die Spitze des internationalen

Klimaschutzzuges: Bis 2020 sollen die deut-

schen CO2-Emissionen um 40 % gegenüber

dem Referenzjahr 1990 sinken. 1,23 Mrd. t

CO2-Äquivalente entließen die deutschen Ka-

mine und Auspuffrohre 1990 in die Erdatmo-

sphäre. Bis zum Jahr 2004 ist der jährliche

Ausstoß der Klimagase um knapp 215 Mio. t

gesunken, das sind 17,4 %. Der größte Teil da-

von lässt sich freilich auf die Erneuerung der

DDR-Wirtschaft zurückführen. Ohne den so

genannten Perestroika-Effekt wird die zweite

Etappe wesentlich härter. Im Kyoto-Protokoll

hat sich Deutschland zu einer Reduktion um

21 % bis 2012 verpflichtet. Die restlichen 19 %

müssten dann innerhalb von acht Jahren er-

bracht werden.

Für die deutsche Volkswirtschaft ist dies eine

echte Herausforderung – für das Weltklima

ist der Kraftakt dagegen relativ bedeutungs-

los. Allein Chinas Stromverbrauch wächst

alle drei Jahre um die Menge, die aktuell in

ganz Deutschland verbraucht wird. Selbst

wenn der Stromverbrauch in Deutschland

auf Null fiele, würde er durch das weltweite

Wachstum beim Energieverbrauch in kürze-

ster Zeit mehr als kompensiert. Allerdings ist

Deutschland vor Großbritannien der größte

CO2-Emittent in der EU und steht nach Be-

rechnungen der Organisation Germanwatch

weltweit an 6. Stelle in der Hitparade der

größten Kohlendioxid-Sünder, nach den

USA (21,44 %), China (18,8 %), Russland

(5,69 %), Japan (4,47 %) und Indien (4,23 %):

3 % der weltweiten energiebedingten CO2-

Emissionen verantwortet Deutschland, bei

einem Anteil am weltweiten Bruttoinlands-

produkt von 3,97 % und von 1,28 % an der

Weltbevölkerung.

Energiewelt von morgen

Pionierrolle: Vorangehen, um mitzuziehen

Welche Gründe werden also für das ehrgeizi-

ge Programm genannt? Das erste Argument

ist ein politisches: Innerhalb der EU ist

Deutschland durch seine Industrie ein Ener-

giegroßverbraucher und ein Großemittent.

Nur mit Deutschland als Zugpferd lässt sich

die gesamte EU auf Reduktionskurs bringen

oder umgekehrt: Wenn Deutschland nicht

agiert, werden auch andere EU-Länder untä-

tig bleiben. Und die EU wird wiederum als

Eisbrecher für die internationalen Klimaver-

handlungen gebraucht. Sonst findet sich weit

und breit niemand von gleichem Gewicht,

der gewillt wäre, in eine Führungsrolle zu

schlüpfen. So jedenfalls die gängige politi-

sche Argumentation in Berlin und Brüssel.

Auf die Schwellenländer wie China, Indien

und Brasilien zielt das zweite Argument: Nur

wenn ein gewichtiges Industrieland modell-

haft vorlebt, dass sich Klimaschutz und wirt-

schaftlicher Erfolg vereinbaren lassen, sind

diese Länder bereit, auf den Klimaschutzpfad

einzuschwenken. Und das ist langfristig der

entscheidende Faktor, ob es überhaupt einen

erfolgreichen globalen Schutz der Erdatmo-

sphäre geben kann.

Das dritte Argument ist ein industriepoliti-

sches: Hierzulande müssen die Technologien,

die Verfahren, die Planungsinstrumente und

die Dienstleistungen entwickelt werden, die

weltweit für eine Reduzierung der Treibhaus-

gase sorgen. Wer hier die Nase vorn hat, ver-

schafft sich mittel- und langfristig Vorteile

im globalen Wettbewerb, schafft Arbeitsplät-

ze und Wohlstand. „First Mover Advantage“

nennen das die Marktstrategen – der Vor-

sprung der Pioniere. Um ihn zu erreichen, be-

darf es massiver Investitionen bei Forschung

und Entwicklung. Und es braucht stringente

politische Rahmenbedingungen, die klima-

freundliches Wirtschaften befördern.

76

Page 41: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Konkreter Ansatz: Energieeffizienz bei Wärme

Konkreter sind die Anforderungen im Be-

reich der Wärme: Rund 40 % der Endenergie

in Deutschland wird für Heizwärme aufge-

wendet, also für warme Räume und heißes

Wasser. Das Ziel der Bundesregierung ist, dass

Neubauten ab 2020 weitgehend unabhängig

von fossilen Energien sein sollen. Deshalb

verschärfen sich die energetischen Vorschrif-

ten für Neubauten ab 2009 um 30 % und

2013 noch einmal in der gleichen Größen-

ordnung. Dafür wurde im Juni 2008 die

Energieeinsparverordnung (EnEV) novelliert.

Die besseren Möglichkeiten bietet aber der

Gebäudebestand. Rund drei Viertel der

Wohngebäude wurden vor 1979 errichtet. Alt-

bauten sollen deshalb durch eine ausgeweite-

te finanzielle Förderung besser gedämmt

werden und eine modernere Heizung erhal-

ten. Die Wirksamkeit der Maßnahme ist noch

offen, denn die Hausbesitzer müssen zur

Sanierung hohe Summen investieren und

die Amortisationszeiten sind lang. Um den

gewünschten Zielverbrauch von sieben Liter

Heizöl je Quadratmeter und Jahr zu errei-

chen, müssen in ein seit 1975 unsaniertes Ein-

familienhaus mit 120 Quadratmeter Wohn-

fläche etwa 100.000 Euro investiert werden.

Nach dem CO2-Gebäudereport des Baumini-

steriums sind nur 3 % der Eigentümer und

Mieter bereit, in Wärmedämmung oder neue

Heizungen zu investieren oder eine Umlage

auf die Miete zu akzeptieren, wenn sich die

Refinanzierung der Kosten über mehr als

12 Jahre streckt – das ist heutzutage aber die

Regel.

Tücken lauern auch im Mietrecht, denn den

Aufwand hat der Vermieter, den Nutzen über

geringere Heizkosten aber der Mieter, auf

dessen Miete die Kosten für die Sanierung

nicht so ohne weiteres umgelegt werden kön-

nen. Auch diese rechtlichen Hürden will die

Bundesregierung noch entschärfen.

Ein kräftiger Schub nach vorne ist nötig. Zur-

zeit werden 2,2 % der Gebäude im Altbaube-

stand pro Jahr komplett energetisch saniert.

Besondere Förderprogramme gibt es für die

energetische Sanierung von Schulen, Kinder-

gärten und bundeseigene Liegenschaften.

Elektrische Nachtspeicherheizungen, die für

8 % des Stromverbrauchs in Deutschland ver-

antwortlich sind, sollen durch ein Förderpro-

gramm stufenweise ausgetauscht werden. Bis

2020 soll dabei die erste Tranche geschafft

sein.

Erneuerbare per Dekret: Wärme

6 % der Wärme werden in Deutschland mit

erneuerbaren Energien erzeugt. Ganz über-

wiegend handelt es sich dabei um den guten,

alten Kamin oder Kachelofen, der mit Holz

befeuert wird. Der Anteil der erneuerbaren

Energien für Heizung, Kühlung und Warm-

wasser soll nach dem Willen der Bundesregie-

rung deutlich steigen: Auf 14 % im Jahr 2020.

Öl, Gas und Strom sollen zunehmend durch

Sonnenwärme (Solarthermie), Erdwärme

(Wärmepumpen), Holzpellets und Hack-

schnitzel ersetzt werden. Um das durchzuset-

zen, hat die Bundesregierung das Erneuer-

bare-Energien-Wärmegesetz – kurz Wärme-

EEG – novelliert. Demnach ist die Nutzung

von erneuerbaren Energien ab 2009 bei Neu-

bauten und bei umfangreichen Sanierungen

– wie zum Beispiel dem Austausch der Hei-

zungsanlage – verbindlich vorgeschrieben.

Die Verpflichtung ist erfüllt, wenn mehr als

die Hälfte der Wärme durch Erneuerbare

bereitgestellt wird. Bei der Nutzung von

Solarkollektoren wird eine bestimmte Kollek-

torfläche pro Quadratmeter Nutzfläche vor-

geschrieben. Ausnahmeregelungen gibt es

für besonders gut gedämmte Häuser oder

für den Fall, dass ein Kleinstkraftwerk im

Keller kombiniert Wärme und Strom bereit-

stellt oder dass ein Anschluss an ein Wärme-

netz besteht. Auch dieses muss allerdings

seine Wärme überwiegend aus Erneuerbaren

oder aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen

beziehen.

Jedenfalls sollen Altbaubesitzer durch Förder-

mittel aus dem Marktanreizprogramm dazu

bewegt werden, ihre Heizungen durch neue,

sparsame zu ersetzen, die anteilig mit Öko-

Wärme betrieben werden. 2009 stehen hier-

für eine halbe Mrd. Euro Zuschüsse zur

Verfügung. Darüber hinaus gibt es zinsver-

billigte Kredite.

Erfolgsstory: Erneuerbare im Stromsektor

Wasser, Wind, Sonne, Biomasse und Erdwär-

me – das sind die Quellen für erneuerbare

Energien. Die Stromerzeugung aus diesen –

mit Ausnahme der Biomasse – unerschöpfli-

chen Energieträgern boomt seit der Einfüh-

rung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes

(EEG) im Jahr 2000. Das EEG sorgt dafür, dass

die Betreiber der Stromnetze den Strom aus

erneuerbaren Energien abnehmen (vorrangi-

ge Einspeisung) und ihn nach gesetzlichen

Vorgaben vergüten müssen (Vergütungs-

pflicht). Die Vergütungssätze differieren je

nach Quelle. Sie sind am niedrigsten für

Strom aus großen Wasserkraftwerken und

am höchsten für Solarstrom aus Photovol-

taikanlagen. Die Mehrkosten, die durch das

EEG entstehen, werden auf alle Stromkunden

gleichermaßen umgelegt. Für energieintensi-

ve Betriebe gibt es eine Ausnahmeregelung,

sie zahlen pro Kilowattstunde Strom einen

79

8,67 TWh Strom. Weltweit ist das Internet

sogar für 5,3 % des Energieverbrauchs gut,

behauptet der Internet-Guru Kevin Kelly in

seinem Informationstechnologie-Tagebuch

„Technium“. Eine einzige sekundenkurze

Google-Suche im Web verschlingt so viel

Strom, dass damit ein Raum eine ganze

Stunde lang von einer Energiesparlampe

beleuchtet werden könnte.

Ganz neue Stromverbraucher könnten noch

dazu kommen. Diskutiert wird derzeit inten-

siv über Elektromobilität im Verkehr. Soge-

nannte Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge mit einem

kombinierten Antrieb aus Verbrennungsmo-

tor und Elektromotor könnten, während sie

parken, an eine Steckdose angeschlossen wer-

den. Ist gerade viel Windenergie im Netz, die

nicht gebraucht wird, könnten ihre Batterien

geladen werden. Auch der umgekehrte Fall

funktioniert: Die Batterien könnten als Reser-

vespeicher bei Bedarf auch wieder Strom ab-

geben. Das ist gut für die Speicherung von

volatilen Energien aus Wind und Sonne und

für eine steigende Klimaverträglichkeit des

Verkehrssektors, wird aber den Stromver-

brauch garantiert nicht sinken lassen.

Vor diesem Hintergrund ist der Elektrotech-

nik-Verband VDE außerordentlich pessi-

mistisch, was die Entwicklung des Stromver-

brauchs angeht. In einer im Januar 2008 vor-

gestellten Studie rechnet der VDE damit, dass

bei einem „weiter so“ der Bedarf an elektri-

scher Energie durch neue Anwendungen und

einen wachsenden Gerätepark bis 2025 um

sage und schreibe bis zu 60 % steigen könnte.

Selbst bei einer besseren Effizienz rechnet der

VDE mit einem Wachstum von 30 %. Nur bei

einem beschleunigten und radikalen Techno-

logiewechsel könne der Stromverbrauch sin-

ken, sagte der VDE-Experte Prof. Wolfgang

Schröppel bei der Vorstellung der Studie. Die

größten Einsparpotenziale sieht der VDE bei

Elektromotoren in Industrie und Haushalten.

So haben die Kleinmotoren, die in den Haus-

halten in Geräten vom Fön bis zur Wasch-

maschine werkeln, heute einen elektrischen

Wirkungsgrad von 40 bis 75 %. Möglich wären

aber 85 %, allerdings bei stark steigenden

Herstellungskosten – Einsparmöglichkeit

alleine 8,2 TWh pro Jahr. In einer ähnlichen

Größenordnung liegen die Sparmöglichkei-

ten beim Stand-by von Elektrogeräten. Der

Stromverbrauch des Bereitschaftsbetriebs

ließe sich um 5 bis 10 TWh per annum redu-

zieren, das entspricht der Größenordnung

von 1 bis 2 % des gesamten deutschen Strom-

verbrauchs.

Wachsweich: Maßnahmen derBundesregierung

Die Maßnahmen, mit der die Bundesregie-

rung ihre Einsparziele erreichen will, sind im

Stromsektor relativ weich. Die Liberalisierung

des Messwesens soll die Verbreitung intelli-

genter Zähler fördern. Damit können sich

Haushalte und Gewerbe ein genaueres Bild

ihres Stromverbrauchs machen und Strom-

fresser identifizieren. Präzise und jederzeit

online verfügbare Verbrauchsinformationen

sollen zu einem sparsameren Verhalten anre-

gen. Darüber hinaus soll die Energieberatung

der Haushalte etwa über die Verbraucherzen-

tralen verbessert werden. Die Kosten für pro-

fessionelle Energiesparberatungen in Gewer-

be und Industrie sollen bezuschusst werden,

ebenso Investitionen in wirksame Spar-Tech-

nologien. Freiwillig soll eine bessere und

erweiterte Kennzeichnung des Energiever-

brauchs von Elektrogeräten mit den Herstel-

lern vereinbart werden. Über ein Marktein-

führungsprogramm für besonders sparsame

Geräte wird noch diskutiert. Das gilt auch für

moderne Energiemanagementsysteme für

Betriebe. Nach den Vorstellungen des Um-

weltministeriums sollen die Begünstigungen

bei den Energiesteuern für das produzieren-

de Gewerbe und die komplette Steuerbefrei-

ung für energieintensive Betriebe künftig an

die Auflage geknüpft werden, dass der Ener-

gieverbrauch der Unternehmen durch exter-

ne Gutachter auf Einsparmöglichkeiten

durchforstet wird. Entschieden ist das aber

noch nicht.

Ob Industrie und Gewerbe tatsächlich in nen-

nenswertem Umfang in Energiesparmöglich-

keiten investieren, ist letztendlich eine Frage

der Wirtschaftlichkeit. Zwar sind Investitio-

nen in Effizienz meistens rentabel, da die Ko-

sten auf Dauer über die gesparte Energie wie-

der hereingeholt werden. Da investive Mittel

aber in aller Regel beschränkt sind, wird dort

investiert, wo die größte Dringlichkeit be-

steht oder die höchste Rentabilität erzielt

werden kann. Investitionen in Energiespar-

maßnahmen gehören meist nicht in diese

Kategorie. Ob sich das in Zukunft ändert, ist

bei steigenden Energiekosten noch offen.

Bei Elektrogeräten liegen die meisten Mög-

lichkeiten, Sparsamkeit vorzuschreiben, so-

wieso in Brüssel bei der EU. Das gilt für bin-

dende Verbrauchsvorschriften nach Art des

japanischen Top-Runner-Modells (die besten

Geräte setzen den Maßstab im Markt) ebenso

wie für eine konsequente Kennzeichnung.

Die öffentliche Hand will bei der Beschaffung

von energiesparenden Geräten künftig eine

Vorbildrolle einnehmen.

Insgesamt fehlt – bei genauer Analyse der

von der Bundesregierung beschlossenen

Maßnahmen – die Phantasie, wie eine Trend-

wende beim Stromverbrauch herbeigeführt

werden könnte.

78

Page 42: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Geothermie – die Produktion von Strom und

Wärme aus Erdwärme – spielt derzeit noch

keine nennenswerte Rolle im Strommarkt.

Um den Ausbau der Erneuerbaren auch wei-

terhin zu beflügeln, wird das EEG derzeit no-

velliert. Für die Zukunft herrscht Optimis-

mus: Die Ziele für 2020 wurden von der

Bundesregierung nach oben korrigiert. Zwi-

schen 25 und 30 % soll ihr Anteil am Strom-

verbrauch dann betragen. – Vorausgesetzt,

der Stromverbrauch sinkt entsprechend den

Plänen der Bundesregierung. Die Leitstudie

2007 des Umweltministeriums (BMU) über

den Ausbau der erneuerbaren Energien sieht

die Bruttostromerzeugung im Jahr 2020 bei

570 TWh; 156 TWh sollen aus regenerativen

Quellen stammen.

Hoffnungsträger Nr. 1: Offshore-Windparks

Dabei spielt die Windenergie in den Plänen

der Bundesregierung weiterhin eine ent-

scheidende Rolle. Mit 82 TWh soll sie 2020

knapp 15 % Anteil an der Bruttostromerzeu-

gung haben und mehr als die Hälfte des

Stroms aus erneuerbaren Energien zur Verfü-

gung stellen – das ist fast eine Verdreifachung

der heutigen Produktionsmenge. Allerdings

plant man neue Mühlen zukünftig zu einem

Gutteil vor der Küste in Offshore-Windparks

im Meer: Windenergieanlagen mit einer Lei-

stung von rund 10.000 MW sollen in zwölf

Jahren dort ihre Flügel drehen und rund

35 TWh Strom pro Jahr produzieren, so die

BMU-Leitstudie 2007. Die ursprünglich we-

sentlich ehrgeizigeren Ziele der Bundesregie-

rung sind auf 2030 gestreckt worden. Dann

soll die Leis-tung der Offshore-Anlagen bei

25.000 MW liegen.

Aber immer noch sind diese Erwartungen ein

ungedeckter Wechsel auf die Zukunft: Es gibt

zwar schon Offshore-Windparks, etwa vor

Dänemark, Schweden, Großbritannien oder

Irland – nicht aber vor den deutschen Küsten.

Denn die deutschen Pläne sind von anderem

Kaliber. Hier sollen die großen Offshore-

Anlagen mit 3 bis 7 MW Leistung pro Wind-

mühle nicht in Küstennähe stehen, sondern

weit draußen, 30 bis 40 Kilometer entfernt,

in Wassertiefen von bis zu 40 Metern. Damit

will man den Belangen von Tourismus,

Naturschutz, Schifffahrt und Fischerei Rech-

nung tragen. Die Herausforderungen für Er-

richtung und Betrieb der Kraftwerke und für

den Anschluss der Stromkabel ans Landnetz

wachsen dadurch aber gewaltig. Und so sind

die ursprünglichen Offshore-Pläne schon

kräftig in Verzug geraten. Schon vor fünf Jah-

ren hätte die erste Windernte auf See stattfin-

den sollen. Stattdessen drehen sich erst zwei

Testräder, eines im Rostocker Hafen und ei-

nes 100 Meter vor Emden. Nun soll der erste

deutsche Offshore-Park im Laufe des Jahres

2008 entstehen und 2009 komplett in Be-

trieb gegangen sein, wenn alles gut geht: es

ist das Testfeld „Alpha Ventus“, 45 Kilometer

vor der Insel Borkum.

Erst mit den Erfahrungen dieses Versuchs-

parks im Rücken soll dann der weitere Aus-

bau stattfinden. Das für die Zulassung von

Windenergieanlagen zuständige Bundesamt

für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH)

genehmigte bisher in der Nord- und Ostsee

20 Parks mit rund 1.400 Anlagen. Derzeit lie-

gen dem BSH Anträge für mehr als 30 weitere

Windparks vor.

Noch offen: Kosten und Risiken

Damit der Ausbau wie geplant in Gang

kommt, müssen die Rahmenbedingungen

dramatisch verbessert werden. Schon Ende

2006 wurden die Netzbetreiber durch eine

Änderung des „Beschleunigungsgesetzes von

Planungsverfahren für Infrastrukturmaßnah-

men“ verpflichtet, den Anschluss der Off-

shore-Anlagen auf eigene Kosten herzustel-

len. Die Anlagenbetreiber wurden so von den

Kosten der „Steckdose auf See“ entlastet. Sie

können bis zu 25 % der Investitionskosten

ausmachen. Allein die Anbindung von vier

geplanten Offshore-Windparks in der Nord-

see kostet den Düsseldorfer Versorger E.on

rund 400 Mio. Euro. Die Kosten werden über

die Netznutzungsgebühren auf alle Strom-

kunden umgelegt.

Durch die EEG-Novelle werden die Vergütun-

gen für den Offshore-Windstrom kräftig stei-

gen. Statt wie bisher 9,6 Cent werden künftig

13 bis 15 Cent pro Kilowattstunde erstattet.

Ob dies nun ausreicht, um ein stürmisches

Wachstum auf See zu entfesseln, bleibt offen.

Es sind noch viele technische Fragen zu lösen

und auch die Kostensituation ist noch nicht

wirklich transparent. Klar ist, dass der Off-

shore-Betrieb wesentlich aufwendiger ist.

Die Fehlerbehebung ist durch die Wetterrisi-

ken vor der Küste viel schwieriger als an Land.

Deshalb werden wartungsintensive Kompo-

nenten möglichst vermieden und alle be-

triebswichtigen Hilfsaggregate und Sensoren

sind doppelt vorhanden, damit ein Ausfall

nicht zu Stillstand führt. Zusammen mit den

aufwendigen Fundamenten im tiefen Wasser

und dem Korrosionsschutz in der salzhalti-

gen Luft verteuert dies die Produktion dras-

tisch. Allerdings ist die Stromernte auf See

ergiebiger, denn der Wind weht dort stärker

und gleichmäßiger.

81

fixen Aufpreis von 0,05 Cent. Insgesamt hat

das EEG nach Berechnungen der Bundesregie-

rung 2006 Mehrkosten von 3,3 Mrd. Euro ver-

ursacht. Berechnet wurden dabei die soge-

nannten „Differenzkosten“: Von den Kosten

der erneuerbaren Energien wird der Börsen-

wert des erzeugten Stroms abgezogen. Die

3,3 Mrd. Euro EEG-Mehrkosten bezahlen die

privaten Stromkunden; diese staatlichen Ab-

gaben werden über die Stromrechnung ein-

gezogen.

Seit der Einführung des EEG ist der Anteil der

erneuerbaren Energien am Stromverbrauch

von 5,5 % im Jahr 1999 auf über 14 % im Jahr

2007 gestiegen. Das ursprüngliche Ziel der

Bundesregierung für 2010, einen Anteil der

Regenerativen von 12,5 % zu erreichen, wurde

also bereits im letzten Jahr übertroffen, bei

allerdings guten Wind- und Wasserverhält-

nissen.

Inzwischen leisten die Erneuerbaren einen

wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung des

Treibhauseffektes. Die Bundesregierung gibt

an, dass 2006 durch ihre Nutzung rund 100

Mio. t CO2-Emissionen vermieden werden

konnten. Ohne ihren Ausbau wären die CO2-

Emissionen in Deutschland seit dem Jahr

2000 nicht gesunken, sondern angestiegen.

Außerdem entwickelten sich im Windschat-

ten des Gesetzes neue Industriezweige in

Deutschland: Besonders bei der Windenergie

und bei der Photovoltaik sind Unternehmen

entstanden, die im Weltmarkt Bedeutung

haben.

Wind, Wasser, Biomasse: Welche Quellen sind ergiebig?

In erster Linie ist der Ausbau der Windenergie

für den Höhenflug der Erneuerbaren in

Deutschland verantwortlich. Rund 5 % der

Stromproduktion stammt inzwischen von

den Windmühlen: 31 TWh waren es 2006 und

39,5 nach vorläufigen Zahlen 2007. Die Was-

serkraft steht noch an zweiter Stelle. 3,5 %

tragen die Wasserkraftwerke zur deutschen

Stromproduktion bei, 21 TWh 2006. Der

größte Teil des Stroms stammt dabei aus gro-

ßen Flusskraftwerken, fast 80 % des Stroms

aus Wasserkraft kommt aus mehreren Dut-

zend Anlagen, die größer sind als 5 MW. Der

Rest wird von mehr als 5.000 Kleinwasser-

kraftwerken produziert. Der Ausbau der Was-

serkraft vollzieht sich nur noch langsam und

hat begrenzte Potenziale. Mit dem Neubau

des ältesten Laufwasserkraftwerks in Europa,

dem Kraftwerk Rheinfelden am südbadi-

schen Hochrhein, treibt die EnBW eines der

größten Bauprojekte bei den Erneuerbaren

voran. Aber auch am Oberrhein und am

Neckar investiert die EnBW weiter in die

Wasserkraft.

Strom aus Biomasse ist der Wasserkraft be-

reits dicht auf den Fersen. Mit 18 TWh steuer-

te sie 2006 eine Größenordnung von rund

3 % zur deutschen Stromproduktion bei.

Hauptträger ist hier die Verstromung von

Biogas aus Energiepflanzen, die ein dynami-

sches Wachstum vorweisen konnte. Rasant

verläuft auch der Ausbau der Photovoltaik.

Von immer mehr deutschen Dächern schim-

mern die bläulichen Solarzellen. Und auch

die großen Freilandanlagen haben in den

letzten Jahren enorm zugelegt. Der Anteil der

Photovoltaik an der Stromversorgung ist aber

nach wie vor sehr gering: 0,4 % oder rund 2

TWh waren es 2006. Dass viele Solaranlagen

nur verhältnismäßig wenig Strom produzie-

ren, ist systembedingt. Nachts produzieren

die Solarzellen logischerweise keine Energie,

aber auch die Umwandlungsquote von Strah-

lungsenergie in Strom ist immer noch sehr

gering.

80

Page 43: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Nach Berechnungen des DEWI wäre ein An-

wachsen des Stromertrags auf den heute

schon durch Windkraftanlagen genutzten

Flächen durch Repowering im Idealfall auf

90 TWh pro Jahr möglich. Das ist aber nur ein

theoretisch nutzbares Potenzial. In der Praxis

steht dem das Genehmigungsrecht entgegen.

Der Erfolg des Repowering hängt ganz we-

sentlich von der zugelassenen Nabenhöhe

des Rotors und den Abstandsregelungen zu

Siedlungen ab. Das Planungsrecht hat sich

aber seit den Pioniertagen der Windenergie

eher verschärft, an vielen bestehenden

Standorten würde heute keine Windenergie-

anlage mehr genehmigt. So empfiehlt bei-

spielsweise das Land Niedersachsen, dass ein

neues Windrad mindestens einen Kilometer

Abstand zum nächsten Wohngebäude haben

müsse. Die Höhenbeschränkung liegt vieler-

orts bei 100 Metern. Die neuen Anlagen, die

ein Vielfaches der Erträge alter Modelle leis-

ten, sind aber auf eine Höhe jenseits der 100

Meter angewiesen. Die alten Anlagen laufen

also weiter, weil Neuanlagen am gleichen

Standort nicht genehmigt würden.

Würden Nabenhöhen von bis zu 130 Metern

genehmigt, liegt das wirtschaftlich nutzbare

Potenzial des Repowerings laut einer Studie

des Umweltministeriums bei über 26.000

MW Leistung, der BWE geht sogar von 28.000

MW aus, mit denen 49 TWh Strom pro Jahr

produziert werden können. Neben Offshore

ist das Repowering also die zweite Säule, auf

der die Hoffnungen für die Zukunft der

Windenergie ruhen – und damit die Hoff-

nungen für den Beitrag der Erneuerbaren

zum Klimaschutz insgesamt.

Ob das Repowering in Fahrt kommen wird,

ist ungewiss. Die Genehmigungsfragen sind

nämlich sehr komplex. Die Zuständigkeiten

liegen überwiegend auf kommunaler Ebene,

zum Teil machen die Länder entsprechende

Vorgaben. Ein Durchbruch für das Repower-

ing ist derzeit deshalb noch nicht in Sicht.

2007 wurden gerade einmal 108 alte Anlagen

durch 45 moderne Anlagen ersetzt. Die Bun-

desregierung kann mangels Zuständigkeit

nur konzeptionelle Schützenhilfe leisten. So

haben Bau- und Umweltministerium ge-

meinsam Hinweise für die planungsrecht-

liche Absicherung des Repowering erarbeitet.

Damit sollen entsprechende Modernisie-

rungsstrategien der Planungsträger in Län-

dern und Kommunen unterstützt werden.

Hoffnungsträger Nr. 2: Biomasse

Neben der Windenergie muss die Biomasse

die Hauptlast des weiteren Ausbaus der Er-

neuerbaren stemmen. Nach der Leitstudie

des BMU von 2007 soll sich die Stromerzeu-

gung aus Biomasse bis 2020 gegenüber 2005

verdreifachen und 36 TWh jährlich zur Verfü-

gung stellen. Das wären rund 6,2 % der Brut-

tostromerzeugung, wenn man die Zielvor-

stellungen der Bundesregierung für den

Strommarkt zugrunde legt. Mehr als die

Hälfte davon stammt aus Biogas, der Rest

aus fester Biomasse, sprich Holz.

Allerdings hat die Bundesregierung festge-

stellt, dass Biomasse bisher sehr ineffektiv

genutzt wird. So wird nur ein sehr kleiner Teil

des Stroms aus biogenen Stoffen in Kraft-

Wärme-Kopplung (KWK) gewonnen, bei den

meisten Anlagen verpufft die Wärme unge-

nutzt. Die Regierung plant deshalb bei der

EEG-Novelle, dass neue, größere Anlagen nur

dann noch eine Vergütung erhalten, wenn sie

in KWK betrieben werden. Außerdem wird es

eine Verordnung über die Einspeisung von

Biogas ins Erdgasnetz geben. Damit kann

Biogas verstärkt in Ballungsräumen mit

entsprechenden Wärmenutzungsmöglich-

keiten eingesetzt werden.

Begrenzt: Anbauflächen fürEnergiepflanzen

Die Nutzung von Biomasse für energetische

Zwecke ist nicht unbegrenzt steigerbar. Der

limitierende Faktor ist die zur Verfügung ste-

hende Fläche. In Deutschland hat der Anbau

von Energiepflanzen im letzten Jahr mit 1,75

Mio. Hektar – mehr als 14 % der gesamten

Ackerfläche – einen Rekord erreicht, so Agrar-

staatssekretär Gert Lindemann auf einem

Kongress in Berlin. Langfristig könne etwa ein

Drittel der Fläche hierfür genutzt werden.

Die Nutzungskonkurrenz mit dem Anbau

von Nahrungsmitteln steigt allerdings – und

damit auch die Preise sowohl für Nahrungs-

mittel als auch für die Energiebauern. So wies

der Fachverband Biogas e.V. Ende 2007 dar-

auf hin, dass sich die Preise für die Einsatz-

stoffe für Biogasanlagen, wie Mais und Ge-

treide, mehr als verdoppelt haben. An den

Kosten einer Biogasanlage haben die Einsatz-

stoffkosten einen Anteil von über 40 %. Der

Fachverband fordert deshalb eine höhere

Vergütung für Strom aus Biogas. Dadurch

wächst aber die Gefahr, eine Endlos-Preis-

spirale loszutreten.

Vor diesem Hintergrund hat Europas größter

Agrarhandelskonzern BayWa vor Pleiten in

der Biogasbranche gewarnt. „Die Wahrschein-

lichkeit, dass Landwirte mit Biogasanlagen in

existenzielle Nöte geraten, wird stark zuneh-

men, wenn die Rohstoffpreise nicht schnell

zurückgehen“, sagte BayWa-Chef Wolfgang

Deml. Das sei aber langfristig nicht zu erwar-

ten. Deml warnte vor einem weltweiten Ge-

treidemangel. Grund dafür sind nach Demls

Worten die wachsende Weltbevölkerung, der

steigende Lebensstandard und die massive

Förderung von nachwachsenden Rohstoffen.

Importrohstoffe: Sozial wie ökologisch problematisch

Der Boom der Energiepflanzen findet nicht

nur in Deutschland sondern weltweit statt.

So werden in etlichen Blockheizkraftwerken

irgendwo in der deutschen Provinz Palmöle

aus dem Anbau in Entwicklungs- und Schwel-

lenländern, insbesondere in Indonesien, ver-

feuert. Nach Berechnungen des Leipziger In-

stituts für Energetik und Umwelt wurden im

Jahr 2007 in deutschen Blockheizkraftwerken

mittels Palmöl rund 1,3 Mrd. Kilowattstunden

Strom erzeugt. Das katholische Hilfswerk Mi-

sereor warnt unterdessen, dass die wachsen-

de Nachfrage nach Pflanzen wie Zuckerrohr,

83

Ein Nadelöhr beim Ausbau von Offshore-

Anlagen sind die begrenzten Kapazitäten bei

Herstellern und Zulieferern, denn nur wenige

Hersteller wollen das Wagnis im Meer einge-

hen. Auch bei der Infrastruktur für den Bau,

wie zum Beispiel den notwendigen Spezial-

schiffen, gibt es Engpässe.

Welche Risiken auf See bestehen, musste

der dänische Wind-Weltmarktführer Vestas

gleich doppelt erfahren. Zuletzt beim 100

Mio. Euro teuren Projekt von Scroby Sands

vor der britischen Küste. Bei sämtlichen 30

Windrädern mussten alle Hauptlager der ton-

nenschweren Getriebe ausgetauscht werden.

Auf See eine Katastrophe, weil die Reparatu-

ren das Zehnfache dessen verschlingen, was

dieselben Arbeiten an Land gekostet hätten:

geschätzt 30 Mio. Euro. Zwei Jahre zuvor hat-

te Vestas bei dem Windpark Horns Rev in der

Ostsee die Maschinenhäuser aller 80 Hoch-

seewindräder austauschen müssen – wegen

Korrosionsschäden.

Windenergie Onshore: Dynamik durch Repowering?

An Land flaut die Dynamik des Windenergie-

ausbaus ab. 2007 ist der Zubau von Wind-

rädern in Deutschland gegenüber 2006 um

25 % gesunken. Dem Deutschen Windener-

gie-Institut (DEWI) zufolge wurden im ver-

gangenen Jahr in Deutschland 883 Windener-

gieanlagen mit einer Leistung von 1.667 MW

neu installiert. 2006 waren es noch 1.208 An-

lagen mit 2.233 MW. Die Prognosen für 2008

gehen von weiter sinkenden Zahlen aus. Es

wird schwieriger, noch gute Standorte für

Neuanlagen zu finden. Zudem ist die Renta-

bilität der Anlagen wegen steigender Kosten

für Rohstoffe wie Stahl und wegen Engpässen

im Anlagenbau nach Angaben der Windbran-

che unter Druck geraten. Auch das schränkt

die Standortwahl auf Flächen mit hohem

Windangebot ein. Auch wenn der Neubau

deswegen noch lange nicht zum Erliegen

kommt: Die Zukunft der Onshore-Windener-

gie liegt im sogenannten Repowering. Also

dem Ersatz älterer, kleiner Anlagen durch

neue, leistungsstärkere. Das Potenzial ist ge-

rade an den guten Standorten groß.

Insgesamt drehen sich in Deutschland der-

zeit knapp 20.000 Mühlen im Wind. Moder-

ne Anlagen haben eine Leistung von 2 bis

3 MW. Der größte Teil des Bestandes wurde

aber bereits in den Neunzigerjahren gebaut

und belegt oft die besten Windstandorte. So

sind 17,3 % der Windenergieanlagen älter als

zehn Jahre. 2004 lag die durchschnittliche

Leistung aller installierten Windkraftanlagen

bei 1 MW, die in diesem Jahr neu installierten

Anlagen wiesen dagegen eine Durchschnitts-

leistung von knapp 1,8 MW auf. Bei einem

Ersatz der alten Turbinen mit typischerweise

200 bis 600 kW Leistung durch neue Turbi-

nen der Multimegawattklasse könnten durch

weniger Anlagen erheblich mehr Strom er-

zeugt werden: „Größere Anlagen können die

Schallbelastung deutlich reduzieren, die Leis-

tung aber verdoppeln und den Ertrag sogar

verdreifachen“, sagt der Präsident des Bun-

desverbands WindEnergie, Hermann Albers.

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Page 44: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Unter Druck: Klimaschutzstrategieder Bundesregierung

Vor dem Hintergrund dieser Debatte gerät

ein gewichtiger Teil der Klimaschutzstrate-

gie der Bundesregierung unter Druck: Der

Einsatz von Biomasse im Treibstoffbereich.

Die Regierung setzt hier auf die Beimi-

schung von so genannten Biotreibstoffen

zu Diesel und Benzin. Erst im letzten Jahr

wurde auf diesem Gebiet eine drastische

Verschärfung der Gangart beschlossen: Bis

zum Jahr 2020 sollen 20 Volumenprozent

der Treibstoffe aus Energiepflanzen stam-

men. Derzeit sind es beim Diesel etwa 5 %

und beim Normalbenzin 2 %. Die Strategie

der Beimischung lässt sich jedoch nicht hal-

ten und Bundesumweltminister Gabriel

musste jüngst die Biosprit-Position der

Bundesregierung revidieren.

Die Beimischung von Bioethanol zum

Benzin wird nun nicht, wie ursprünglich

geplant, von bislang 5 % (so genannte E-5-

Regelung) auf 10 % (E-10-Regelung) erhöht.

Grund: Der Verband der Importeure auslän-

discher Marken bezifferte die Anzahl der

PKW, die E-10 nicht vertragen und daher auf

teureres Super-Plus umsteigen müssten, auf

über 3 Mio. Die Bundesregierung war auf-

grund der Herstellerangaben bislang nur

von insgesamt rund 375.000 betroffenen

PKW ausgegangen. Die E-10-Regelung sollte

es der Automobilindustrie erleichtern, die

EU-Vorgabe einer Begrenzung des CO-Aus-

stoßes von PKW bis 2012 auf 120 g/km zu er-

füllen. Nach dem Willen des Bundesumwelt-

ministers sollen die Autohersteller dieses

Ziel nun ausschließlich mit technischen

Mitteln erreichen, auch wenn dies teurer als

die geplante E-10-Regelung würde.

Das Dilemma der Biosprit-Verordnung, so

die Meinung zahlreicher Experten, erhöht

den Druck auf die Bundesregierung, eine

ausgewogenere Energie- und Klimapolitik

zu betreiben. Kurz- und mittelfristig er-

scheint eine größere Förderung anderer er-

neuerbarer Energien, wie der Windenergie,

als Möglichkeit.

Langfristig gibt es Hoffnungen, dass die

Biotreibstoffe der zweiten Generation viele

Probleme lösen werden. Im Gegensatz zu

bisherigen Technologien nutzen sie die gan-

ze Pflanze und nicht nur die Früchte zur

Treibstoffproduktion. Sie sind aber noch

weit von ihrem großtechnischen Einsatz

entfernt.

Lösungen: Was dieBundesregierung plant

Die Bundesregierung will mit zwei Maßnah-

men auf die Kritik reagieren:

› Ab 2015 soll der weitere Ausbau des Bio-

sprits durch eine Änderung des Biokraft-

stoffquotengesetzes stärker an der tat-

sächlichen Minderung der Treibhausgase

ausgerichtet werden. Die klimaschädlichen

Emissionen, die durch Herstellung und

Verwendung von Biosprit entstehen, müs-

sen schrittweise reduziert werden. Das be-

trifft den Anbau ebenso wie die Technolo-

gien, die bei der Treibstoffproduktion

eingesetzt werden. Der höhere Biokraft-

stoffanteil soll die Treibhausgasemissio-

nen der Treibstoffe um bis zu 10% ver-

mindern.

› Eine weitere Verordnung soll sicherstellen,

dass Biomasse als Rohstoff für Benzin und

Diesel nachhaltig angebaut wird. Das be-

trifft die Flächen, auf denen sie angebaut

werden, wie auch die Anbaumethoden und

ihre Auswirkungen auf Böden, Wasser und

Luft. Während die Treibstoffstrategie der

Bundesregierung immer heftiger debat-

tiert wird, ist der Einsatz von Biomasse zur

Herstellung von Strom und Wärme im

Grundsatz weitestgehend unumstritten.

Das liegt daran, dass die Produktion von

Biogas wesentlich effizienter ist als die

Herstellung von Treibstoffen, vorausge-

setzt, die anfallende Wärme wird sinnvoll

genutzt. Aber auch hier gibt es Diskussio-

nen um Anbaumethoden und Rohstoffim-

porte. Deshalb soll auch für diesen Sektor

eine Rechtsverordnung erlassen werden,

die Mindestanforderungen für Energie-

pflanzen festlegt. Diese gelten einerseits

für den Anbau in Land- und Forstwirt-

schaft und andererseits für ihren Beitrag

zur Treibhausgasreduktion.

All das wird aber nur funktionieren, wenn es

ein global wirksames, verlässliches und

transparentes Zertifizierungssystem für

biogene Rohstoffe gibt. Ein solches System

ist bislang noch nicht einmal in Ansätzen

erkennbar. Es ist also noch ein langer und

steiniger Weg zurückzulegen.

85

Palmöl, Soja oder Mais zur Energieversor-

gung zu einer Gefahr für die arme, vorwie-

gend städtische Bevölkerung in den Ent-

wicklungsländern werde. So habe sich in In-

donesien der Preis für Speiseöl um fast 30 %

erhöht. Die Palmölkonzerne könnten mehr

Geld im Exportgeschäft als auf dem lokalen

Markt verdienen. Für die Armen werde somit

ein Grundnahrungsmittel nahezu uner-

schwinglich. „Voller Tank und leerer Teller“,

lautet deshalb die Kritik der Hilfsorganisatio-

nen am Aufbau eines weltweiten Marktes für

Bioenergie. Auch der UN-Sonderberichter-

statter für das Recht auf Nahrung, Jean Zieg-

ler, warnt vor den weitreichenden Folgen der

verstärkten Nutzung von in Entwicklungslän-

dern angebauten Energiepflanzen. „Die Aus-

wirkungen, die Biotreibstoff auf den Hunger

hat, sind Grund zu großer Besorgnis, was das

(Menschen)-Recht auf Nahrung betrifft“, so

Ziegler in seinem Bericht für den UN-Men-

schenrechtsrat. Eine einfache beispielhafte

Rechnung: 200 Kilogramm Mais lassen sich

zu einer guten PKW-Tankfüllung von 50 Li-

tern Biosprit verarbeiten – sie können aber

auch einen Menschen ein Jahr lang ernähren.

Auch die Klimabilanz von solchen Import-

rohstoffen kann verheerend sein. So werden

nach Angaben von „Brot für die Welt“ in Indo-

nesien, aber auch in Kolumbien und Brasilien

sowie Neuguinea Urwälder abgebrannt, um

Platz für den Anbau von Energiepflanzen zu

schaffen. Indonesien hat dabei einen trauri-

gen Weltrekord aufgestellt. Nirgendwo wer-

den die Primärwälder gnadenloser abgeholzt

als in dem Inselstaat. Seit dem Jahr 2000 ist

jährlich eine Fläche von rund 1,8 Mio. Hektar

Wald verloren gegangen – fünf Fußballfelder

pro Minute. Das führt zu einem Verlust von

biologischer Vielfalt und belastet das Weltkli-

ma erheblich. Aberwitzig wird die Treibhaus-

gasbilanz, wenn Wälder abgeholzt werden, die

auf Torfböden wachsen. In diesem Fall wird

das im Boden gespeicherte Kohlendioxid frei-

gesetzt. Intaktes Torfland, weltweit rar, spei-

chert bis zu 1.400 t CO2 pro Hektar. Alleine

auf Sumatra verursacht die Zerstörung von

Wald und Sumpf für Papier- und Ölplantagen

mehr Treibhausgase als die Niederlande pro

Jahr emittieren, hat die Umweltstiftung WWF

errechnet.

Exkurs: Biotreibstoffe als Klimakiller

Besonders miserabel sind die Folgen, wenn

Biomasse aus solchen Quellen zur Produk-

tion von Treibstoffen eingesetzt wird. Das

verdeutlicht eine Studie von Joseph Fargione

von der Umweltschutzorganisation „The Na-

ture Conservancy“. Werden Regenwälder, Torf-

land, Savannen, Grasland oder aufgegebenes

Ackerland zu Plantagen mit Ölpalmen, Soja,

Zuckerrohr oder Mais umgewandelt, führt

dies zu einer beträchtlichen „Kohlenstoff-

Schuld“: Durch die Rodung und durch langsa-

me Abbauprozesse im Boden wird zwischen

17- bis 420-mal so viel CO2 freigesetzt, wie

sich jährlich einsparen lässt, wenn man mit

den auf diesen Flächen gewonnenen Biotreib-

stoffen fossile Treibstoffe ersetzt. Das bedeu-

tet, dass es 17 bis 420 Jahre dauert, bis die

Emissionen wieder auf null sind.

Laut einer weiteren Studie, die unter der

Leitung des Chemie-Nobelpreisträgers Paul

Crutzen erstellt wurde, wird durch den Ein-

satz von Dünger drei- bis fünfmal so viel

Lachgas – ein besonders starkes Treibhausgas

– emittiert wie ursprünglich angenommen.

Dies allein könnte die Vorteile von gewöhnli-

chen Biotreibstoffen ins Gegenteil verkehren.

Biotreibstoffe erreichen nur dann eine positi-

ve Klimabilanz, wenn sie aus Abfallbiomasse

oder aus Pflanzen hergestellt werden, die

kaum Dünger brauchen und die CO2-Spei-

cherung im Boden nicht verringern. Dies ist

etwa bei speziellen mehrjährigen Gräsern

oder bei gewissen Baumkulturen der Fall. Au-

ßerdem ist für eine positive Klimabilanz er-

forderlich, dass diese Pflanzen nur auf Land-

flächen angepflanzt werden, die nicht für die

Nahrungsmittelproduktion benötigt werden.

Laut David Tilman, einem Mitautor der Stu-

die von Joseph Fargione, gibt es genug degra-

diertes oder verlassenes Ackerland, um etwa

10 bis 20 % des globalen Energiebedarfs für

die Mobilität zu decken.

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Page 45: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

der Photovoltaik erst Mitte des Jahrhunderts

auslaufen. Und schon heute belaufen sich die

Solarschulden – das Fördergeld, das für die

bestehenden Anlagen in Zukunft noch be-

zahlt werden muss – auf 112 Euro pro Kopf.

Die Folgen sind gravierend, denn die Photo-

voltaik frisst die Kostensenkungserfolge der

anderen erneuerbaren Energien wieder auf.

2003 kostete eine Kilowattstunde EEG-Strom

im Durchschnitt 9,16 Cent. 2006 waren es

schon 10,88 Cent. 2007 werden es voraus-

sichtlich 11,66 Cent gewesen sein, schätzt der

Verband der Netzbetreiber. Innerhalb von

fünf Jahren entspricht dies einem Anstieg

um 27 %, der überwiegend auf die Solarener-

gie zurückzuführen ist. Denn je mehr Solar-

energie im Netz ist, desto höher schlagen ihre

hohen Produktionskosten auf das Gesamt-

system durch. Versprochen war das Gegen-

teil: Ökostrom sollte eigentlich immer billi-

ger werden.

Dabei finanziert das deutsche Fördersystem

nicht nur den Aufbau der Solarindustrie in

Deutschland. Die Fachzeitschrift „Photon“

schätzt, dass mehr als die Hälfte der in

Deutschland errichteten Solarmodule in-

zwischen aus dem Ausland, vorwiegend aus

Asien, importiert werden. Deutschland ist

Weltmarktführer im Bereich Photovoltaik.

55 % der weltweiten Photovoltaik-Leistung

sind in Deutschland installiert! Die Ausnah-

mestellung Deutschlands im Bereich der

Solarenergie zeigt sich auch im europäischen

Vergleich. 2006 wurden in der EU Anlagen

mit einer Leistung von 1.246 MW installiert.

Auf Deutschland entfielen davon gut 92 %.

Die anderen europäischen Märkte gingen

dagegen im Rauschen unter: Auf dem zweit-

größten europäischen Markt Spanien wurde

eine zusätzliche Leistung von 60,5 MW ver-

zeichnet; es folgen Italien mit 11,6 MW neuer

Leistung sowie Frankreich mit 6,4 MW. Das

meldet das Observatoire des energies

renouvelables (Observer), ein Zusammen-

schluss von europäischen Spitzenorganisa-

tionen für erneuerbare Energien.

Photovoltaik: Die Pläne der Bundesregierung

Die Industrie verdient dabei hervorragend;

2006 beliefen sich die Umsätze auf 3,8 Mrd.

Euro. Unter den zehn renditestärksten Unter-

nehmen Deutschlands, die das Handelsblatt

ermittelt hat, finden sich gleich zwei Solarun-

ternehmen: Auf Platz 1 steht Q-Cells, auf Platz

4 folgt Solarworld.

Der Erfolg der Photovoltaik könnte sich bei

einem „weiter so“ in sein Gegenteil verkehren.

Die explosionsartige Kostenentwicklung

droht nicht nur die Akzeptanz der Solarindu-

strie aufzufressen, sondern das Ansehen der

Erneuerbaren insgesamt.

Die Bundesregierung hat mit der Novelle des

EEG auf dieses Risiko reagiert und wird die

Vergütungen für die Photovoltaik schrittwei-

se senken. Das passiert im Rahmen des EEG

quasi automatisch, denn die Vergütungssätze

werden Jahr für Jahr um einen bestimmten

Prozentsatz gesenkt. Für Photovoltaik soll die

jährliche Degression 2010 von derzeit 5 auf

dann 8 % steigen, 2011 auf 9 %. Die Fachzeit-

schrift „Photon“ hält dies für nicht radikal ge-

nug. Sie schlug für die Novelle einen einmali-

gen Degressionssprung von 30 % vor und

danach pro Jahr weitere 7,5 % Abschlag auf

den geltenden Fördersatz. Selbst für diesen

Fall summieren sich nach Berechnungen von

„Photon“ die Förderkosten bis 2019 auf die

immense Summe von 150 Mrd. Euro.

So oder so ist jedenfalls klar, dass die Zukunft

der Solarstromerzeugung durch Photovoltaik

davon abhängt, wie stark die Kosten für die

Kilowattstunde Strom gesenkt werden kön-

nen. Solarenergie spielt in den Szenarien für

die Zukunft der Stromversorgung vor allem

langfristig eine bedeutende Rolle. Dazu ge-

hört auch die Vision, Strom in solarthermi-

schen Kraftwerken in Südeuropa und Nord-

afrika kostengünstig und in großen Mengen

zu erzeugen und über ein neues Supernetz

nach Mitteleuropa zu transportieren.

Ganz ohne Treibhausgaseffekt ist die Photo-

voltaik übrigens nicht. In die Produktion der

Anlagen fließt viel Energie. Das führt dazu,

dass pro Kilowattstunde Strom aus einer

Photovoltaikanlage rund 100 Gramm CO2entstehen, bei Wasserkraft sind es 40, bei

Kernenergie 32 und bei Windenergie 24

Gramm CO2.

Engpass: Das Transportnetz

Ein besonderes Problem für den Ausbau der

erneuerbaren Energien ist die Situation bei

den Stromnetzen. Die traditionellen Kraft-

werksstandorte waren vor allem im Westen

und im Süden Deutschlands zu finden, im

Kohlerevier und bei den industriellen

Schwerpunkten. Durch den Aufstieg der

Windenergie und die Ablösung der heimi-

schen Steinkohle durch Importkohle, die

per Schiff angelandet wird, verlagern sich die

Erzeugungsschwerpunkte immer mehr in

den Norden und den Nordosten. In der Folge

muss der erzeugte Strom zu den Hot Spots

des Energieverbrauchs transportiert werden.

Auch die Liberalisierung der Strommärkte

und der europäische Stromhandel fordern

höhere Leitungskapazitäten.

87

Im Aufschwung: Solarenergie

Photovoltaik boomt in Deutschland schon

seit Jahren und der Aufschwung verstärkt

sich noch: 2007 sind Anlagen mit einer Leis-

tung von mehr als 1.100 MW-Peak neu ans

Netz gegangen, 30 % mehr als 2006. Insge-

samt verfügt Deutschland inzwischen über

Anlagen mit einer Leistung von 3.800 MW-

Peak. Das entspricht der Leistung von vier

großen Kohlekraftwerken. Die Stromausbeu-

te ist allerdings wesentlich geringer, denn die

Sonne scheint nun mal nur am Tage und im

Sommer länger und stärker als im Winter.

Eine Photovoltaikanlage kommt in Deutsch-

land, je nach Standort, auf 750 bis 1.000

Volllaststunden, an sonnenreichen, süddeut-

schen Spitzenstandorten auf 1.300. Die Voll-

laststunde zeigt an, wie viele Stunden die

Anlage im Jahr gelaufen wäre, wenn sie die

zur Verfügung stehende Leistung stets zu

100 % genutzt hätte. Zum Vergleich: Grund-

lastkraftwerke, die mit Braunkohle oder Uran

betrieben werden, kommen etwa auf 7.240

Volllaststunden, Laufwasserkraftwerke auf

5.620, Windkraftanlagen auf durchschnittlich

1.800, neuere auch schon mal auf Werte zwi-

schen 2.000 und 3.000.

Die Leitstudie 2007 des Umweltministeri-

ums sieht für 2020 einen Wert von 10.000

MW-Peak für Photovoltaik vor. Es ist abseh-

bar, dass dies bei Weitem übertroffen wird,

wenn die Regierung die Förderung von

Photovoltaik nicht deutlich drosselt. Aber:

Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.

Der Preis ist heiß: Kosten der Photovoltaik

Kein Strom wird so üppig vergütet wie die

Solarenergie aus Photovoltaikanlagen: Gut

46 Cent pro Kilowattstunde schreibt das EEG

aktuell für eine Solaranlage auf dem Dach

vor, garantiert für den Zeitraum von 20 Jah-

ren. Der Börsenpreis für eine Kilowattstunde

Strom liegt bei rund 5 Cent, Windenergie wird

mit maximal 9,1 Cent vergütet. Die hohe Ver-

gütung führt zu enormen Kosten bei der Ver-

meidung von CO2: 900 Euro pro t hat das

Rheinisch-Westfälische Institut für Wirt-

schaftsforschung RWI in Essen berechnet.

Der Emissionshandel bewertet den Preis ei-

ner t CO2 dagegen mit rund 20 bis 30 Euro.

Doch noch mit einer weiteren Zahl hat das

RWI Aufmerksamkeit erregt. So haben die

Wissenschaftler die Einspeisevergütung für

die bis Ende 2007 aufgestellten Photovoltaik-

anlagen über den Garantiezeitraum von 20

Jahren hochgerechnet und sind dabei auf ei-

ne Summe von rund 31 Mrd. Euro gekom-

men. Zieht man den Wert des produzierten

Stroms ab, bleiben Folgekosten von etwa 23

Mrd. Euro übrig. Umgelegt auf die Zahl der

Beschäftigten ergibt dies eine Subventionie-

rung jedes Arbeitsplatzes in der Photovoltaik-

branche von rund 153.000 Euro. Das stellt

selbst die Förderung des Steinkohlebergbaus

in den Schatten, wo jeder Arbeitsplatz „nur“

mit 78.000 Euro finanziert wurde. Und da

die Dynamik des Zubaus von Solarzellen

ungebrochen ist – für 2008 werden 1.500 bis

2.000 MW-Peak erwartet – wird die Kostenla-

wine ebenso dynamisch anschwellen. Würde

das bisherige Fördersystem auch nur bis

2010 fortgesetzt, geht das RWI von Einspeise-

vergütungen von brutto 73,5 Mrd. Euro aus.

Die Photovoltaik wirft lange Schatten. In der

Realität gehen Regierung und Industrie von

wesentlich längeren Zeiträumen für die För-

derung aus. Die Leitstudie des Umweltmini-

steriums geht sogar von einer Solarförderung

bis weit über das Jahr 2020 aus. Bei einer

dann immer noch währenden Garantieför-

derzeit von 20 Jahren würde die Förderung

86

Page 46: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Viele Fragezeichen: CO2-Abtrennungund Speicherung

Ohne fossile Energien kann der wachsende

Energiehunger noch über einen langen Zeit-

raum hinweg nicht gestillt werden. Das gilt

für Deutschland und erst recht für die Welt-

wirtschaft. Dabei werden Stein- und Braun-

kohle eine wichtige Rolle spielen. Die Kohle-

vorräte reichen noch für Jahrhunderte. Sie

sind geographisch weit gestreut, und eine

mächtige Kohle-OPEC ist weit und breit nicht

in Sicht. Vor allem Indien und China setzen

bei ihrem wirtschaftlichen Höhenflug in er-

ster Linie auf Strom aus Kohlevorräten, über

die sie reichlich verfügen.

Der Nachteil der Kohle ist ihr hoher Kohlen-

stoffgehalt. Beim Verbrennen wird daraus das

Treibhausgas CO2, das die Erwärmung des

Weltklimas fördert. 750 Gramm CO2 je Kilo-

wattstunde Strom sind es bei Steinkohle, 950

bei Braunkohle, Erdgas liegt dagegen bei 430

Gramm. Viele Hoffnungen ruhen deshalb auf

der Entwicklung von Verfahren, die das CO2aus dem Rauchgas der Kraftwerke entfernen,

um es anschließend in gasdichten, unterirdi-

schen Hohlräumen einzulagern. Sie werden

unter dem Oberbegriff CCS (Carbon Capture

and Storage) vorangetrieben.

Allerdings sind sie noch im Stadium von

Forschung und Entwicklung, im Übergangs-

stadium zur Erprobung. Die Bundesregie-

rung konzentriert sich deshalb darauf, den

Rechtsrahmen zu entwickeln, der für die

Genehmigung der Abtrenntechnik und der

Einlagerung erforderlich sein wird, sowie die

Forschung bis hin zu Demonstrationsanla-

gen voranzutreiben. Die CCS-Technik wird

bis zum Jahr 2020 noch keine Beiträge zum

Erreichen der Klimaschutzziele leisten. Aber

für den Zeitraum danach ruhen große Hoff-

nungen auf ihr.

Die Fragezeichen sind aber noch ebenso groß.

Es gibt sie im technischen Bereich, obwohl

die Zuversicht, dass die Techniken ins Laufen

gebracht werden können, recht hoch ist. Und

es gibt sie im Bereich der gesellschaftlichen

Akzeptanz: Wie werden die Anwohner eines

solchen CO2-Endlagers reagieren? Es gibt sie

vor allem aber im Bereich der Wirtschaftlich-

keit: Was wird es kosten, eine Tonne CO2 ein-

zufangen, zu transportieren und einzula-

gern?

Beispiel RWE: 2014 soll das erste große De-

monstrationskraftwerk mit 450 MW Leistung

und CO2-Abscheidetechnik in Betrieb gehen.

Die Kosten für das Projekt sind inzwischen

auf 1,7 Mrd. angestiegen, 700 Mio. mehr als

ursprünglich geplant. Pro Kilowattstunde

Strom sind das 6,5 bis 7 Cent Mehrkosten, die

CCS verursachen würde.

Was die Kosten für die vermiedenen CO2-

Emissionen angeht, so glauben nur notori-

sche Optimisten an einen Preis von 20 Euro

je t; pessimistische Rechner kommen auf 70

Euro. Das ist meilenweit entfernt von den zu

erwarten Zertifikatskosten im europäischen

Emissionshandel. Viel mehr als 30 bis 40

Euro pro t CO2 gibt ihnen auch längerfristig

kaum jemand. CCS hätte also nur dann eine

Chance, wenn sich die Kosten dieser Technik

in genau diesen Korridor legen würden.

Die ersten Projekte sind an dieser Hürde be-

reits gescheitert. So verkündeten das norwe-

gische Energieunternehmen Statoil und der

Ölmulti Shell im Sommer 2007 das Aus für

die geplante CO2-freie Energieversorgung

von zwei Offshore-Plattformen. Problema-

tisch ist auch die Verfügbarkeit von Lagerstät-

ten. In Deutschland gibt es geeignete Hohl-

räume in der erforderlichen Größe nur im

Norden. Kraftwerke, die im Süden betrieben

werden, müssten ihr CO2 über viele hundert

Kilometer weit per Pipeline oder Schiff trans-

portieren. Und alle Lagerstätten sind natür-

lich endlich. Das macht CCS allenfalls zu ei-

ner Brückentechnologie, die vor allem eines

gibt: Zeit – und zwar 73 Jahre. So lange wür-

den nach einem Gutachten des Wuppertal-

Instituts die weltweit vorhandenen geeigne-

ten Lagerstätten reichen – gleich bleibender

Kohleverbrauch vorausgesetzt. 73 Jahre, das

entsprich zwei Kraftwerksgenerationen. Da-

nach müssten die alternativen Energien die

Last der Energieversorgung alleine tragen.

89

Die Transportnetze müssen massiv ausge-

baut werden, um dies zu schaffen. Aber das

Ausbautempo der Netze kann mit dem der

erneuerbaren Energien nicht mithalten.

Wegen des Planungs- und Verwaltungsauf-

wands, vor allem aber wegen des lokalen

Widerstands gegen Neubauvorhaben, dauert

es zur Zeit acht bis zehn Jahre, bis eine neue

Hochspannungsleitung steht. Inzwischen

treten immer häufiger regionale Engpässe

im Stromnetz auf und Windenergieanlagen

müssen „abgeregelt“ werden – ihre Leistung

wird gedrosselt, sie können ihr Stromerzeu-

gungspotenzial nicht ausnutzen. Ökono-

misch gesehen, wird der Strom quasi weg-

geworfen.

Inzwischen ist das keine Seltenheit mehr. Die

Vattenfall Europe Transmission GmbH zählte

2006 noch 80 Tage mit kritischen Situationen

im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes. Im

vergangenen Jahr waren es bereits 155 Tage.

Während der ersten 29 Tage des Jahres 2008

war es bereits an 28 Tagen kritisch.

Auch die Bundesnetzagentur schlägt Alarm.

Durch die Dauer der Genehmigungsverfah-

ren entstünden bei vielen Ausbaumaßnah-

men von europäischer Bedeutung nicht vor-

hersehbare Verzögerungen. Deshalb sind,

so der Präsident der Bundesnetzagentur,

Matthias Kurth, „in einigen Regionen

Deutschlands mittelfristig Engpässe im

Stromnetz nicht auszuschließen. Inner-

deutsche Engpässe könnten den deutschen

Stromgroßhandelsmarkt erheblich beein-

trächtigen – mit unabsehbaren Folgen für

die Preisentwicklung insgesamt.“

Laut Stromwirtschaft sind bis 2020 Investi-

tionen in Höhe von 40 Mrd. Euro in Ausbau

und Erhalt der Stromnetze nötig. Allein für

den Ausbau der Windenergie müssen laut der

Deutschen Energieagentur dena 850 Kilome-

ter neues Hochspannungsnetz errichtet wer-

den. Gelingt dies nicht, könnten die Wachs-

tumspläne für die Erneuerbaren rasch zur

Makulatur werden.

Um das Problem zu lösen, hat die Bundes-

regierung im Rahmen des integrierten Ener-

gie- und Klimaprogramms (IEKP) ein Gesetz

zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst-

spannungsnetze beschlossen. Damit sollen

die von Bundesland zu Bundesland unter-

schiedlichen Genehmigungsverfahren ver-

einheitlicht und der Rechtsweg verkürzt

werden.

Fossile Energien: Kraft-Wärme-Kopplung

Bei der Stromerzeugung aus Kohle, Gas oder

Öl entsteht neben Elektrizität auch Wärme. In

konventionellen Kraftwerken geht diese Wär-

me über den Kamin verloren. Anlagen, die in

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) betrieben wer-

den, nutzen dagegen beides. Voraussetzung

hierfür ist, dass es Abnehmer für die Wärme

gibt. Im Idealfall einen Industrie- oder Gewer-

bebetrieb, der über das ganze Jahr hinweg,

rund um die Uhr, einen gleich bleibend ho-

hen Wärmebedarf hat. Haushalte brauchen

dagegen nur in der Heizperiode Wärme, die

über Fern- oder Nahwärmenetze ins Haus

gebracht wird. Das verschlechtert die Renta-

bilität von KWK-Kraftwerken. Diese Anlagen

werden meistens „wärmegeführt“ gefahren –

Strom ist quasi das Abfallprodukt der Wär-

meproduktion. Der Vorteil der KWK-Technik

ist ihr hoher Nutzungsgrad. Bis zu 90 % der

im Brennstoff enthaltenden Energie können

durch sie genutzt werden. Es gibt Anlagen

sehr unterschiedlicher Größe: Vom Block-

heizkraftwerk, das nur ein Objekt oder weni-

ge Gebäude versorgt, bis hin zum großen

Heizkraftwerk, das großflächig für viele Stadt-

teile Wärme liefert.

Die Bundesregierung will den Anteil von

KWK an der Stromerzeugung auf 25 % ver-

doppeln. Heute werden von KWK-Kraftwer-

ken 70 TWh Strom erzeugt, 140 sollen es

2020 sein. So sieht es das jüngst novellierte

Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz vor. Es

existiert seit 2002 und fördert diese Art von

Stromerzeugung durch Bonuszahlungen, die

je nach Größe der Anlage differieren. Schon

damals sollte der KWK-Anteil eigentlich ver-

doppelt werden; statt 10 % wurden aber nur

2 % Zuwachs geschafft.

Nun sollen die Vergütungen für die Strom-

produzenten weiter steigen und auch der

Ausbau von Fern- und Nahwärmenetzen soll

bezuschusst werden. Bisher gibt es deutlich

zu wenig Abnehmer für Heiz- und Prozess-

wärme. Außerdem sollen auch Anlagen in der

Industrie gefördert werden, die alleine für

den Eigenbedarf des Unternehmens produ-

zieren.

Das Ganze soll maximal 750 Mio. Euro pro

Jahr kosten, die wie bisher auf alle Stromkun-

den umgelegt werden. Das ist nicht mehr

Geld als in den letzten beiden Jahren für die

KWK-Förderung aufgebracht wurde. Diese

Limitierung weckt Skepsis, ob der große Wurf

dieses Mal gelingen wird. „Eine große Neu-

bauwelle, wie sie nötig wäre, ist nicht in Sicht“,

sagte etwa Adi Golbach, Geschäftsführer des

Bundesverbandes KWK, der Frankfurter

Rundschau.

88

Page 47: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› Ohne Kernenergie werden die Klimaschutz-

ziele nicht erreicht, die Versorgungssicher-

heit nimmt ab und die volkswirtschaftli-

chen Schäden der Klimaschutzpolitik

werden steigen.

› Die erneuerbaren Energien wachsen stark.

Die Umweltverbände müssen sich aber ent-

scheiden, was wichtiger ist: Sollen die Er-

neuerbaren in erster Linie Strom aus fossiler

Erzeugung ersetzen oder Strom aus Kern-

kraftwerken? Wer den Klimaschutz ernst

nimmt, weiß, dass Kernenergie und Erneu-

erbare keinen Gegensatz bilden, sondern

sich perfekt ergänzen.

Exkurs: Kernenergie in Deutschland

In Deutschland wurde der schrittweise Aus-

stieg aus der Kernenergie unter der rot-grü-

nen Bundesregierung durch eine Novellie-

rung des Atomgesetzes durchgesetzt. Zu den

Kernpunkten der im April 2002 in Kraft ge-

tretenen Gesetzesnovelle gehört das Verbot

des Neubaus von Atomkraftwerken und die

Verkürzung der Regellaufzeit der bestehen-

den Kernkraftwerke auf durchschnittlich 32

Jahre seit Inbetriebnahme. Das Gesetz legt

fest, dass in den deutschen Atomkraftwerken

ab dem 1. Januar 2000 noch höchstens 2,62

Mio. GWh Strom erzeugt werden dürfen. Die-

se Menge addiert sich aus den Reststrom-

mengen, die den einzelnen Anlagen je nach

Alter zugeteilt wurden.

Der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie ist

kein Exportschlager geworden: Immer mehr

Länder planen den Neubau von Anlagen oder

die Verlängerung der Laufzeit ihrer bestehen-

den Anlagen. Auch die EU-Kommission und

das Europaparlament sprechen sich klar für

die weitere nukleare Erzeugung von Strom

aus – aus Gründen der Versorgungssicherheit

wie aus Gründen des Klimaschutzes. Im Er-

gebnis wird es in deutschen Netzen auch wei-

terhin Strom aus Kernkraftwerken geben,

auch wenn er nicht mehr im Land produziert

werden wird. De facto wird er dann über die

Landesgrenzen importiert.

Baden-Württemberg ist bundesweit ein CO2-

Vorbild. Werden im Bundesdurchschnitt

rund 550 Gramm CO2 pro produzierter Kilo-

wattstunde emittiert, so sind es in Baden-

Württemberg nur rund 300 Gramm. 51 % des

in Baden-Württemberg erzeugten Stroms

stammen aus Kernenergie. Sollten die vier

Kernkraftwerke in Neckarwestheim und

Philippsburg vom Netz gehen müssen, wird

sich die CO2-Bilanz Baden-Württembergs er-

heblich verschlechtern. Die dann vom Netz

gehenden 4.624 MW können nicht durch

erneuerbare Energien ersetzt werden. Die

Kernenergie als kostengünstiger Lieferant

von Grundlast kann nur durch zwei Maßnah-

men ersetzt werden: Durch den Bau von

Kohlekraftwerken bzw. durch den Import von

Strom. Die Folgen sind absehbar: Die CO2-

Bilanz wird schlechter; die Preise werden

ansteigen – der Süden des Landes wird zur

Hochpreiszone. Die Abhängigkeit Baden-

Württembergs wird größer und die Wert-

schöpfung bei der Energieproduktion wird

außerhalb des Landes stattfinden – mit allen

damit verbundenen Nachteilen.

Brennstoffwechsel: Gasanteil rauf auf 30 %?

Wie will die Bundesregierung das 40 %-Ziel

trotz des Kernenergie-Ausstiegs erreichen?

Das Umweltbundesamt (UBA) hat es vorge-

rechnet. Im Zentrum steht ein massiver

Brennstoffwechsel bei der Stromerzeugung.

Im Klartext, der Ersatz von Kohle durch Erd-

gas. Heute hat Erdgas einen Anteil an der

Stromerzeugung von 11 %, das entspricht der

Strommenge von 70 TWh. Bis 2020 müsste

die Produktion aus Erdgas mehr als verdop-

pelt werden und sich auf 165 TWh belaufen.

An dem vom UBA prognostizierten Strom-

verbrauch hätte Erdgas damit einen Anteil

von rund 30 %.

Natürlich kennt das Umweltbundesamt die

Schwachpunkte einer solchen Strategie: Bei

Erdgas ist Deutschland von wenigen Impor-

teuren abhängig – hauptsächlich aus Russ-

land stammt das Gas, das hierzulande ver-

wendet wird. Darin liegen eine ganze Menge

politischer und preislicher Risiken. Das UBA

schlägt deshalb vor, Erdgas aus der Heizung

von Gebäuden und Wasser zu verdrängen,

wofür es heute zu über 90 % verwendet wird.

Dadurch müsste der Erdgasverbrauch in

Deutschland bis 2020 nur um 3 % ansteigen.

Wie dies gehen soll, darüber schweigt sich das

Amt aus. Die Gaswirtschaft hat in die Infra-

struktur zur Beheizung von Gebäuden viele

Milliarden investiert. Sie wird sich nicht

kampflos aus dem Geschäft zurückziehen,

das ist klar: Erstens, um die Investitionen

nicht vorzeitig abschreiben zu müssen und

zweitens, weil im Wärmemarkt tendenziell

mehr Geld verdient werden kann als bei der

Stromerzeugung.

Ohnehin hat sich die Situation seit dem Hö-

henflug der Ölpreise grundlegend geändert.

Da sich die Gaspreise im Windschatten des

Öls aufwärts bewegen, sind zum einen die

Risiken der Stromproduktion aus Gas enorm

gestiegen. Zum anderen ist die Wirtschaft-

lichkeit vieler Projekte in Frage gestellt; folge-

richtig sind viele davon bereits in den Schub-

laden verschwunden.

91

Zusammengefasst: Standpunkt der EnBW

Aus Sicht der EnBW Energie Baden-Württem-

berg AG kann zu den Klimaschutzplänen der

Bundesregierung folgendes gesagt werden:

› Die EnBW unterstützt eine engagierte Poli-

tik zum Schutz der Erdatmosphäre. In sei-

ner Rede zur Eröffnung des 2. Deutschen

Klimakongresses machte der EnBW-Vor-

standsvorsitzende Hans-Peter Villis deut-

lich, dass Klimaschutz immer mehr ins Zen-

trum der Unternehmenspolitik rücke. Der

EnBW-Chef kündigte ein starkes Engage-

ment bei Energieeffizienz, erneuerbaren

Energien und in der effizienten, dezentralen

Strom- und Wärmeversorgung an.

› Dabei müssen Klimaschutz, Wirtschaftlich-

keit und Versorgungssicherheit in Einklang

gebracht werden.

› Die Bundesregierung hat sich das sehr

ehrgeizige Ziel gesetzt, die Emission von

Klimagasen bis zum Jahr 2020 um 40 % zu

reduzieren.

› Das Integrierte Energie- und Klimaschutz-

programm (IEKP), das vom Bundeskabinett

im Dezember 2007 verabschiedet worden

ist, wird nach den Berechnungen der Bun-

desregierung 36 % Reduktion schaffen, das

Ziel also noch nicht erreichen. Es gibt aber

noch pessimistischere Berechnungen. So

geht die Umweltorganisation Greenpeace

davon aus, dass lediglich 30 % geschafft

werden.

› In Zahlen umgesetzt, soll das IEKP die Emis-

sionen von CO2-Äquivalenten um 220 Mio. t

pro Jahr vermindern.

› Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn

bis jetzt bleibt die Bundesregierung dabei,

bis 2023 auch aus der Kernenergie ausge-

stiegen zu sein. Der Betrieb der Kernkraft-

werke in Deutschland erspart der Erdatmo-

sphäre pro Jahr 160 Mio. t CO2. Auch diese

Menge muss – wenn die Verkürzung der

Laufzeiten für die Reaktoren Realität werden

sollte – durch das IEKP ersetzt werden.

› In Wirklichkeit muss die Bundesregierung

die Treibhausgasemissionen im Vergleich

zu 1990 also zu über 50 % zurückfahren.

› Das IEKP beinhaltet hohe Risiken. Tritt nur

eines in einem zentralen Handlungsfeld ein,

wird das Programm seine Ziele nicht errei-

chen. Das gilt insbesondere für die Maßnah-

men im Bereich KWK, Windenergie und

Energieeffizienz. Es gibt keinen Plan B und

keine Sicherheitsreserve.

› Die Ziele beim Ausbau der KWK und bei der

Einsparung von Energie sind unrealistisch,

weil die geplanten Maßnahmen bei Weitem

nicht ausreichen, um die gewünschte Wir-

kung zu erzielen.

› Die EnBW plädiert deshalb dafür, die Lauf-

zeitverkürzung für die Kernkraftwerke zu-

rückzunehmen und somit eine wesentliche

Säule der klimafreundlichen Energieerzeu-

gung zu erhalten. Sie muss nicht neu errich-

tet werden, sie ist bereits vorhanden, wir

müssen sie nur weiter nutzen.

› Die Kernenergie liefert einen gesicherten

Beitrag zur Erreichung der Klimaschutz-

ziele. Dieser Beitrag erfordert keine hohen

Investitionen mehr. Im Gegenteil, die Ener-

giewirtschaft hat bereits mehrfach Verhand-

lungen darüber angeboten, finanzielle

Vorteile aus dem Weiterbetrieb der Kern-

kraftwerke zur Finanzierung anderer Klima-

schutzmaßnahme zur Verfügung zu stellen.

› Die deutschen Kernkraftwerke leisten somit

nicht nur einen Beitrag zum Schutz der Erd-

atmosphäre und zur Versorgungssicherheit,

sie machen die Klimaschutzpolitik auch

wirtschaftlicher. Die vorhandenen Kern-

kraftwerke produzieren Strom zu konkur-

renzlos günstigen Kosten. Damit können

die volkswirtschaftlichen Belastungen des

Klimaschutzes verringert werden – mit Aus-

wirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit der

deutschen Unternehmen und den Erhalt

von Arbeitsplätzen.

90

Page 48: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Auch die regierungsnahe Deutsche Energie-

Agentur dena gelangt in ihrer Studie zur

Kraftwerks- und Netzplanung in Deutschland

bis 2020 (mit Ausblick auf 2030) zu alarmie-

renden Ergebnissen. Bei der im Jahr 2020 zu

erwartenden Stromnachfrage, so die dena-

Studie, werden die Kraftwerkskapazitäten am

Standort Deutschland nicht mehr ausrei-

chen, um die Jahreshöchstlast vollständig zu

decken. Dabei sind die derzeitigen Planungen

für den Neubau fossiler Kraftwerke berück-

sichtigt, soweit für sie eine hohe Realisie-

rungswahrscheinlichkeit besteht. Die be-

drohliche Aussicht wird weder durch das

engagierte Ausschöpfen der Stromeffizienz-

potenziale noch durch das Erreichen der Ziele

zum Ausbau der regenerativen Energien (auf

30 %) und der Kraft-Wärme-Kopplung (auf

25 %) verändert. Selbst eine vollständige Um-

setzung des Energieprogramms der Bundes-

regierung – mit entsprechend stark sinken-

dem Stromverbrauch – wird die Gefahr einer

ab 2012 stetig anwachsenden „Stromlücke“

zwischen Jahreshöchstlast und gesicherter

Kraftwerksleistung nicht abwenden können.

Im Jahr 2020 könnte diese Lücke, selbst bei

sinkendem Stromverbrauch, auf riesige

11.700 MW anwachsen. Eine konstante Nach-

frage nach Strom, wie sie vielfach in der ener-

giewirtschaftlichen Diskussion erwartet wird,

würde 2020 gar eine klaffende „Stromlücke“

von 15.800 MW zur Folge haben. Auch der

Import von Strom stellt nach Ansicht der

dena keine langfristige Möglichkeit der Ab-

hilfe dar. Denn auch auf europäischer Ebene

werden die Kraftwerkskapazitäten knapp.

Gleichzeitig nimmt der Widerstand gegen

neue Kohlekraftwerke stetig zu. Mehrere

Projekte sind daran bereits gescheitert oder

wurden wegen der Kostenentwicklung im

Anlagenbau ad acta gelegt. Die Preise für

schlüsselfertige Kohlekraftwerke haben sich

in den vergangenen vier Jahren nahezu ver-

doppelt. Allein im vergangenen Jahr wurden

Kraftwerksprojekte im Volumen von 6.500

MW gestrichen. So scheiterte beispielsweise

RWE mit Plänen für ein Kohlekraftwerk im

saarländischen Ensdorf am Widerstand der

Bevölkerung.

Dies könnte dazu führen, dass auch die fossi-

len Energien nicht dazu in der Lage sind, den

politisch gewollten Ausfall der Kernkraftwer-

ke zu kompensieren. Nach der jüngsten Un-

tersuchung des Marktforschungsunterneh-

mens Trend-Research könnte Deutschland,

das derzeit noch Elektrizität in die Nachbar-

länder exportiert, bereits ab 2015 dauerhaft

auf Stromimporte angewiesen sein. Die Ener-

giebranche plant in Deutschland den Bau

von 60 neuen Großkraftwerken, viele auf

Basis von Stein- und Braunkohle. Davon wird

laut Trend-Research etwa die Hälfte ernsthaft

vorangetrieben. Den Ersatzbedarf für über-

alterte Anlagen kalkulieren Experten auf et-

wa 45.000 MW, was Investitionen von rund

50 Mrd. Euro entspricht. Hinzu kommen

gut 20.000 MW an Kraftwerkskapazität,

die sukzessive durch den Atomausstieg bis

etwa 2023 vom Netz gehen sollen.

Die Trend-Research-Studie teilt die vorliegen-

den Kraftwerksprojekte in vier Kategorien ein

– gemessen an der Wahrscheinlichkeit ihrer

Realisierung. Auf dieser Grundlage lassen

sich verschiedene Szenarien für die Strom-

versorgung in Deutschland berechnen. Fazit:

Bleibt es beim beschlossenen Atomausstieg,

lässt sich eine Unterversorgung mit Strom

nur noch vermeiden, wenn Neubauten mit

einer Leistung von zusammen 36.000 MW

realisiert werden. Dabei kalkulieren die Ex-

perten auch in diesem Szenario bereits ein,

dass der Anteil der erneuerbaren Energien

bis 2020 wie geplant deutlich steigt. Werden

dagegen nur die Projekte mit hoher Wahr-

scheinlichkeit realisiert (Szenario Nummer

zwei), würde die Stromproduktion schon

2015 nicht mehr ausreichen.

Fazit

Über die Zukunft und den Beitrag der Kern-

energie in Deutschland wird weiter gestritten

werden müssen. Über den Sinn einer wir-

kungsvollen Klimapolitik ist kein Streit mehr

nötig. Weitgehende Einigkeit gibt es auch

über ihre Aktionsfelder: Energieeffizienz, er-

neuerbare Energien und hochwirksame und

kohlendioxidarme fossile Energien.

Und noch etwas ist klar: Klimaschutz ist nur

möglich, wenn Forschung und Entwicklung

einen großen Beitrag leisten. Das ist ein zen-

traler Baustein für den Erfolg bei der Reduk-

tion von Klimagasen, aber auch eine wichtige

Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg

der deutschen Unternehmen zuhause und

auf dem Weltmarkt. Dafür braucht es zusätz-

lich eine kluge Innovationspolitik, die die Er-

findungen und Erkenntnisse der Forscher in

marktfähige Produkte und Dienstleistungen

ummünzt.

93

Der Ausstieg: Wirtschaftliche Folgen

Aber selbst wenn der Umstieg gelingen sollte,

hat er einen Preis. Denn bei allem Streit Pro

und Contra Kernenergie ist eindeutig, dass

die Klimaschutzstrategien bei gleichzeitigem

Ausstieg deutlich teurer werden. Zuletzt hat

dies noch einmal eindrücklich die McKinsey-

Studie für den Bundesverband der Deut-

schen Industrie (BDI) belegt. Dabei wurden

die Kosten und Potenziale von mehr als 300

technologischen Einzelhebeln zur Vermei-

dung von Treibhausgasemissionen ermittelt.

In Summe hält die Studie bei den vier Sekto-

ren Gebäude, Industrie, Energie und Trans-

port einen Abbau der Treibhausgasemissio-

nen bis 2020 um 26 % gegenüber 1990 für

wirtschaftlich erreichbar – und zwar ohne

Einbußen für Wirtschaftswachstum und

Lebensqualität sowie unter Beibehaltung des

Kernkraftausstiegs. Die durchschnittlichen

Vermeidungskosten belaufen sich dabei auf

bis zu 20 Euro pro t CO2-Äquivalente. Viele

dieser Maßnahmen – etwa die bessere Isolie-

rung von Gebäuden – haben „negative“ Ver-

meidungskosten. Das heißt, sie rentieren sich

auch finanziell.

Weitere Vermeidungshebel existieren. Für

deren Realisierung wären jedoch wesentlich

höhere Investitionen erforderlich. Bereits

eine Reduktion um 31 % würde – unter Beibe-

haltung des Kernenergieausstiegs – zu deut-

lich höheren durchschnittlichen Vermei-

dungskosten zwischen 32 und 175 Euro pro t

CO2-Äquivalente führen. Der BDI zieht aus

den Daten der Studie den Schluss, dass eine

Reduzierung der Treibhausgase über 31 %

hinaus ohne Beibehaltung der Kernenergie

wirtschaftlich nicht darstellbar ist. Und auch

hinter den 31 % stehen bei genauem Hin-

sehen schon etliche Fragezeichen.

Auch eine Studie, die das Prognos-Institut

und das EWI, das Energiewirtschaftliche Insti-

tut der Universität Köln, im Mai 2007 für den

Energiegipfel der Bundesregierung erarbeitet

haben, kommt trotz optimistischer Annah-

men bei der Energieeffizienz zu dem Schluss,

dass die Klimaschutzziele am sichersten und

am preisgünstigsten erreicht werden können,

wenn die 17 deutschen Kernkraftwerke weiter

betrieben werden. Der Kostenvorteil entstün-

de sowohl volkswirtschaftlich als auch bei

den Stromkosten für die Endverbraucher. Bei

den Haushaltskunden würde – den Autoren

zufolge – die Preisdifferenz 2 Cent pro Kilo-

wattstunde Strom zugunsten der Kernener-

gie betragen.

Stromlücke: Droht eineUnterversorgung?

Zunehmend wird auch in Frage gestellt, ob

die Lücke, die der Ausstieg aus der Kern-

energie reißt, überhaupt zu schließen sein

wird. So kommt das Hamburgische Weltwirt-

schafts-Institut (HWWI) in einer Studie vom

Herbst 2007 für die HypoVereinsbank (HVB)

zu dem Schluss, dass die Erneuerbaren den

Nuklearstrom nicht ersetzen können. Bei ei-

nem jährlichen Anstieg des Stromverbrauchs

um 0,5 % entsteht demnach bis zum Jahr

2020 eine Deckungslücke von rund 16 % des

Stromverbrauchs. Dieser Strom müsste aus

dem Ausland importiert oder aus fossilen

Energieträgern erzeugt werden. Die Hypo-

Vereinsbank gehört zu den führenden

Finanzierern der erneuerbaren Energien

in Deutschland.

92

Page 49: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› COMTES 700Im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative „COMTES

700“ (Component Test Facility for a 700° C Power Plant) arbei-

ten Stromerzeuger und Anlagenhersteller an Innovationen für

die Effizienzsteigerung von konventionellen Kraftwerken und

die Reduzierung ihrer CO2-Emissionen. Durch die Steigerung

der Dampfzustände auf 700° C und 350 bar soll COMTES 700

zu einer neuen Kraftwerksgeneration mit einem Wirkungsgrad

von über 50 % führen. Dies setzt voraus, dass neue Werkstoffe

entwickelt werden, die diesen Belastungen standhalten.

› DünnschichttransistorenMit Dünnschichttransistoren (thin-film transistor TFT) können

großflächige elektronische Schaltungen hergestellt werden.

Eine weit verbreitete Anwendung sind Flüssigkristall-Flachbild-

schirme.

› Erneuerbare-Energien-Gesetz EEGDas Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bildet ein Instrument

für den Vorrang von Strom aus allen erneuerbaren Energieträ-

gern wie Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie, Klär-,

Gruben- und Deponiegas. Das Gesetz ist im Jahr 2000 in Kraft

getreten und hat zum Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien an

der Stromversorgung in Deutschland, im Einklang mit den Zie-

len der EU, signifikant zu erhöhen.

› EmissionenEmissionen sind die von einer Anlage oder einem technischen

Vorgang in die Atmosphäre oder andere Umweltbereiche gelan-

genden gasförmigen, flüssigen oder festen Stoffe; ferner Geräu-

sche, Erschütterungen, Strahlen, Wärme. Die aussendende Quel-

le wird als Emittent bezeichnet. Emissionen sind nicht nur auf

menschliche Aktivitäten zurückzuführen, es gibt auch natürli-

che Emittenten, zum Beispiel emittieren Rinder und Sümpfe

Methan (CH4), Pflanzen emittieren Pollen und flüchtige

organische Verbindungen (VOC), Vulkane emittieren

Schwefeldioxid (SO2).

› Gigawatt GWEin Gigawatt entspricht einer Milliarde Watt oder einer Million

Kilowatt (kW).

› Hochspannungsgleichstrom- und supraleitende LeitungenDie elektrische Energieversorgung wird in Europa mit Wechsel-

strom vorgenommen, also mit Strom, der seine Richtung

(Polung) periodisch und in steter Wiederholung ändert. Für die

Zukunft der erneuerbaren Energien wird der Transport von

Strom – etwa von in Südeuropa und Nordafrika erzeugtem So-

larstrom – über sehr weite Entfernungen diskutiert. Die Protago-

nisten dieser Idee präferieren für den Stromtransport den Bau

von Höchstspannungsleitungen für Gleichstrom. Damit soll der

Energieverlust über die weite Strecke minimiert werden. Gleich-

strom ist ein Strom, dessen Stärke und Richtung sich nicht än-

dert. Im Alltag liefern etwa Akkus und Batterien Gleichstrom.

Supraleiter sind Materialien, deren elektrischer Widerstand bei

Unterschreiten einer kritischen Temperatur auf einen unmess-

bar kleinen Wert fällt. Dadurch kann die Stromdichte beim

Transport erhöht werden. Zur Kühlung wird etwa flüssiger Stick-

stoff (- 197° C) eingesetzt.

› Internationale Atomenergie Organisation IAEODie IAEO wurde 1957 gegründet. Sie ist eine autonome interna-

tionale Organisation mit Sitz in Wien. Derzeit sind 144 Staaten

Mitglied der IAEO. Sie fungiert als forschungs- und technik-

basiertes Forum zur friedlichen Nutzung von Kernenergie und

zur Überwachung nuklearwaffenfähigen Materials. Die IAEO

überwacht auch im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) die

Einhaltung von Resolutionen und internationalen Verträgen, in

denen es um Atomenergie und Nuklearwaffen geht.

› Internationale Energieagentur IEA Die IEA ist eine 1973 gegründete Organisation zur Förderung der

Kooperation in den Bereichen Erforschung, Entwicklung, Markt-

einführung und Anwendung von Energietechnologien. Ihr Sitz

ist Paris und ihr gehören 27 Industriestaaten an. Die IEA veröf-

fentlicht jährlich einen umfassenden Weltenergiebericht.

› Integriertes Energie- und Klimaprogramm IEKPDie deutsche Bundesregierung hat auf ihrer Klausurtagung in

Meseberg im August 2007 Eckpunkte für ein Integriertes Ener-

gie- und Klimaprogramm (IEKP) beschlossen. Das gemeinsam

vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und

vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-

sicherheit erarbeitete Programm wurde im Dezember 2007

konkretisiert. Ein erster Teil des Programms wurde im Juni bzw.

Juli 2008 von Bundestag und Bundesrat gebilligt. Es kombiniert

Fördermaßnahmen, ökonomische Instrumente und ordnungs-

rechtliche Maßnahmen in den Bereichen Energieproduktion,

Energieeffizienz, Verkehr und Haushalte in Gestalt von insge-

samt 29 Einzelmaßnahmen im Hinblick auf eine nachhaltige

Klima- und Energiepolitik.

› ImmissionenImmissionen sind die Einwirkungen der emittierten Schadstof-

fe auf Pflanzen, Tiere und Menschen sowie Gebäude, nachdem

sie sich in der Luft, dem Wasser oder dem Boden ausgebreitet

oder auch chemisch oder physikalisch umgewandelt haben.

› Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC1988 wurde die Gründung des IPCC von den Vereinten Nationen

beschlossen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen

(UNEP) und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) rie-

fen das IPCC daraufhin ins Leben. Jeder Staat, der an einer dieser

Organisationen beteiligt ist, kann Wissenschaftler für das IPCC

benennen. Hauptaufgabe ist es, Risiken des Klimawandels zu

beurteilen und Vermeidungsstrategien zusammenzutragen.

Das IPCC betreibt selbst keine Wissenschaft, sondern trägt die

Ergebnisse der Forschungen in den verschiedenen Disziplinen

zusammen, darunter besonders der Klimatologie. Es bildet eine

kohärente Darstellung dieses Materials in Berichten ab, den

„IPCC Assessment Reports“. Diese Berichte werden in Arbeits-

gruppen erstellt und vom Plenum akzeptiert. Dies geschieht in

einem aufwendigen, mehrstufigen Verfahren mit Leitautoren

und Co-Autoren für einzelne Artikel, von Koordinatoren und

Leitautoren für den gesamten Bericht sowie unabhängigen Gut-

achtern für die einzelnen Bereiche und das gesamte Werk. Die

Begutachtung erfolgt nicht nur durch die benannten und aus-

gewählten Wissenschaftler, sondern auch durch Regierungs-

vertreter der Mitgliedstaaten.

› Kilowatt kWEin Kilowatt entspricht 1.000 Watt.

› KlimarahmenkonventionDie Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United

Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC)

wurde 1992 auf dem Erdgipfel in Rio unterzeichnet. Sie besitzt

heute mit 192 Ratifizierungen quasi universelle Gültigkeit. Ziel

der Konvention ist es, eine gefährliche anthropogene Störung

des Klimasystems zu verhindern. Die Staaten sollen umfangrei-

che Daten zu ihren Emissionen erheben, damit diese besser ver-

glichen werden können. Die Industriestaaten sind dazu ver-

pflichtet, die Entwicklungsländer bei diesem Prozess finanziell

zu unterstützen. Eines der zentralen Prinzipien der Rahmen-

konvention ist die „gemeinsame, aber unterschiedliche Ver-

antwortlichkeit“ der Staaten bei der Bekämpfung des Klima-

wandels.

95

› Bali-RoadmapMit der Bali-Roadmap wurde auf der 13. Konferenz der Vertrags-

staaten der Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls

in Bali, Indonesien, im Dezember 2007 ein offizielles Verhand-

lungsmandat für ein umfassendes internationales Klimaschutz-

abkommen für die Zeit nach 2012 beschlossen. Bis zur 15. Ver-

tragsstaatenkonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen

verhandeln die 192 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonven-

tion die Themen Eindämmung, Anpassung, Technologie und

Finanzierung.

› Carbon Capture and Storage CCSCCS steht im internationalen Sprachgebrauch für die Technolo-

gie der CO2-Abscheidung und -Speicherung. Verschiedene Ver-

fahren werden bereits im kleinen Maßstab erprobt. Sie sollen bis

2020 im großtechnischen Maßstab zur Verfügung stehen und

eine CO2-arme Nutzung fossiler Rohstoffe zur Stromerzeugung

ermöglichen. Ebenfalls noch offen sind mögliche Transport-

systeme sowie Lagerstätten. Jedenfalls sieht die EU vor, dass

Kohlekraftwerke ab 2020 CCS-ready sein müssen – sprich für

diese Technik nachrüstbar.

› Clean Development Mechanismus CDMCDM, der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, ist

einer der flexiblen Instrumente des Kyoto-Protokolls. CDM-Pro-

jekte sind Klimaschutzprojekte, die Industriestaaten in Entwick-

lungsländern durchführen. Diese müssen nachhaltig sein und

zusätzlich zu bereits bestehenden Projekten stattfinden. Die

durch die Projekte vermiedenen Emissionen werden von unab-

hängigen Einrichtungen überprüft und zertifiziert. Industrie-

staaten bzw. Unternehmen können die CDM-Emissionszertifika-

te auf die ihnen zustehende Emissionsmenge anrechnen lassen.

› CO2-Äquivalente Die Klimawirksamkeit (Global Warming Potential GWP) eines

Treibhausgases, hochgerechnet auf einen gewissen Zeitraum

(meist 100 Jahre), dient dem Vergleich der Treibhausgase unter-

einander. Angesichts ihrer unterschiedlichen Klimawirksamkeit

und Lebensdauer in der Atmosphäre hat das IPCC das Treib-

hauspotenzial der durch das Kyoto-Protokoll betroffenen Treib-

hausgase berechnet und definiert, wie viel eine festgelegte

Menge eines Treibhausgases zum Treibhauseffekt beiträgt. Als

Vergleichswert dient Kohlendioxid. So entspricht die Reduktion

von 25 Tonnen CO2-Emissionen beispielsweise einer Reduktion

von einer Tonne Methan-Emissionen.

Glossar

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Page 50: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

› Kyoto-ProtokollDas Kyoto-Protokoll basiert auf der Klimarahmenkonvention

der Vereinten Nationen und ist ein völkerrechtlich bindender

Vertrag, der 38 Industriestaaten (OECD-Staaten und osteuropäi-

sche Transformationsstaaten) zu einer Reduktion ihrer anthro-

pogenen CO2-Emissionen verpflichtet. Das Protokoll gestattet

die Verwendung flexibler Mechanismen, die es den Staaten er-

möglichen, einen Teil ihrer Verpflichtungen im Zeitraum von

2008 bis 2012 zu möglichst geringen Kosten zu erreichen. Da die

Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls keinen wesentlichen Bei-

trag zum Ziel der Klimarahmenkonvention leisten, kommt ei-

nem Kyoto-Folgeabkommen besondere Bedeutung zu.

› Megawatt MWEin Megawatt entspricht einer Million Watt oder 1.000

Kilowatt (kW).

› Mono-Ethanol-Amin (MEA)Monoethanolamin ist eine farblose, ätzende Flüssigkeit, die als

Grundstoff in der chemischen Industrie zum Einsatz kommt. Et-

wa als organisches Lösungsmittel oder als Absorptionsmittel für

Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff in der Aminwäsche, bei

der saure Gase aus Gasgemischen entfernt werden.

› OLED-TechnikAbkürzung für organische Leuchtdiode (OLED = Organic Light

Emitting Diode), ein dünnfilmiges, leuchtendes Bauelement aus

organischen, halbleitenden Materialien. OLED lassen sich gün-

stiger herstellen als LED, Strom- und Leuchtdichte sind aber

geringer. Sie werden primär für Bildschirme und Displays ein-

gesetzt.

› OSART-Missionen OSART-Missionen sind ein Service der Internationalen Atom-

energie Organisation (IAEO) und gelten als die intensivste Form

der Bewertung von Kernkraftwerken. Hierbei überprüft ein

Team internationaler Experten (Operational SAfety Review

Team, OSART) Management, Organisation und Administration,

Ausbildung und Qualifikation, Betrieb, Instandhaltung, Techni-

sche Unterstützung, Betriebserfahrung, Strahlenschutz, Chemie,

Notfallplanung, Vorsorge sowie die Sicherheitskultur in Kern-

kraftwerken. Anschließend werden die Ergebnisse von der IAEO

veröffentlicht.

Glossar

› PolystyrolhartschaumstoffPolystyrol (PS) ist ein gängiger thermoplastischer Kunststoff,

der in vielen Bereichen von der Elektrotechnik bis zur Verpa-

ckung eingesetzt wird. Aufgeschäumtes Polystyrol (EPS) ist vor

allem unter dem Handelsnamen „Styropor“ bekannt geworden.

› Rauchgase Als Rauchgas wird das bei Verbrennungsprozessen in Kraftwer-

ken, Müllverbrennungsanlagen, Produktionsprozessen usw. an-

fallende Abgas bezeichnet (Post Combustion).

› Terrawatt TWEin Terrawatt entspricht einer Billion Watt oder einer Milliarde

Kilowatt (kW).

› TreibhausgaseTreibhausgase (THG), hervorgerufen durch menschliche Aktivi-

täten, beeinflussen den natürlichen Treibhauseffekt. Eine stei-

gende Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre

führt zu einer geringeren Wärmerückstrahlung von der Erd-

oberfläche ins All und damit zu einem Anstieg der durch-

schnittlichen Temperatur auf der Erde. Als relevante Treibhaus-

gase sind im Kyoto-Protokoll festgelegt worden: Kohlendioxid

(CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), teilhalogenierte

Fluorkohlenwasserstoffe (F-KKW/HFC), perflourierte Kohlen-

wasserstoffe(FKW/PCF) und Schwefelhexaflourid (SF6).

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Page 51: Energie- und Klimakompass Innovationsbericht 2008 · › Best Practice › EnBW-Praxis Energieperspektiven Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern ... und Innovation 32,4

Dieser Bericht wurdeklimaneutral produziert.

Die Herstellung dieses Berichts verursachteunvermeidbare Treibhausgasemissionen.Die EnBW Energie Baden-Württemberg AGhat die Firma „my climate“ damit beauf-tragt, diese Produktion klimaneutral zu stellen und die Emissionen durch Klima-schutzprojekte andernorts zu kompensieren.Dies erfolgt durch die Finanzierung einesTÜV-geprüften Biomasse-Projekts in Indien,das dem Gold-Standard entspricht. Das Projekt leistet nachweislich einen positivenBeitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Dazu gehören neben sozialer und ökologischerVertretbarkeit auch die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung derLuftqualität.

HerausgeberEnBW Energie Baden-Württemberg AG

Durlacher Allee 93

76131 Karlsruhe

VerantwortlichJürgen Hogrefe

Generalbevollmächtigter Wirtschaft, Politik und Gesellschaft

Koordination und RedaktionDr. Kristina Nolte, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft

Matthias Riebel, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft

Dr. Sylvia Straetz, Unternehmenskommunikation

Andreas Fußer, Hand und Fußer

FotografieVolker Dautzenberg, München

Layout und GestaltungMiriam Elze, Unternehmenskommunikation

Lithorecom GmbH, Ostfildern

repro 2000, Leonberg

DruckKraft Druck und Verlag GmbH, Ettlingen

PapierPhoeniXMotion Xenon,

Inhalt 150 g/m²

Umschlag 250g/m²

ISBA-Nr.: B.2025.0807

Auflage: 9.000

Juli 2008

Der Bericht ist auch auf Englisch erhältlich

(ISBA-Nr.: B.2096.0807).

Im Zweifelsfall ist die

deutsche Version maßgeblich.

Impressum

Rüdiger Nehmzow, DüsseldorfS. 4: Hans-Peter Villis

Volker Dautzenberg, www.a4avenger.comS. 6–15: Dr. Peter Feldhaus; Wilhelma, Zoologisch-Botanischer

Garten, Stuttgart sowie Insel Mainau

S. 16–23: Prof. Albert Speer; VICTORIA-TURM, Mannheim (Archi-

tekten Albert Speer & Partner, Frankfurt a. M., 2001)

S. 28–35: Prof. Eicke Weber; Fraunhofer-Institut für Solare

Energiesysteme ISE, Freiburg

S. 40–47: Dr. Michael Süß; Dampfturbine und Speisewasser-

pumpe im Heizkraftwerk 2 (HKW2), Heizkraftwerk

Altbach/Deizisau

S. 50–57: Dr. Peter Fritz; Prototypverglasungsanlage (PVA) am

Institut für Nukleare Entsorgung (INE), Forschungs-

zentrum Karlsruhe FZK

S. 60–67: Dr. Axel Michaelova; „Zeitfeld“ von Klaus Rinke,

Installation im Volksgarten Düsseldorf

S. 72–92: Dr. Annette Schavan; Philologische Bibliothek der

Freien Universität Berlin (Architekt Norman Foster)

sowie Bundesministerium für Bildung und Forschung

Bildnachweis