Energie- und KlimakompassInnovationsbericht 2008
EnBW Energie Baden-Württemberg AG
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EnBW EnergieBaden-Württemberg AG
Durlacher Allee 9376131 Karlsruhe www.enbw.com
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Energie- und KlimakompassInnovationsbericht 2008
KernenergiePerspektiven der Kernenergie- Dr. Peter Fritz
› Best Practice› EnBW-Praxis
Politik und GesellschaftInternationale Treibhausgasmärkte – Tanz auf dem Vulkan?- Dr. Axel Michaelowa
› Best Practice› EnBW-Praxis
EnergieperspektivenEnergieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern- Dr. Annette Schavan
› Energiewelt von morgen
GlossarBildnachweisImpressum
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Innovationen für einen effektiven Klimaschutz- Hans-Peter Villis
Klima im WandelKampf dem Klimawandel- Dr. Peter Feldhaus
› Herkulesaufgabe für die Weltgemeinschaft
EnergieeffizienzDie Zukunft gehört der energieeffizienten Stadt- Prof. Albert Speer
› Best Practice› EnBW-Praxis
Inhalt
Erneuerbare EnergienDie Erneuerbaren schaffen Standortvorteile- Prof. Eicke Weber
› Best Practice› EnBW-Praxis
Fossile EnergienFossile Energien – Brennstoffe für die Zukunft- Dr. Michael Süß
› Best Practice› EnBW-Praxis
Das ist aber erst der halbe Weg. Neue Erfin-dungen und Weiterentwicklungen bestehen-der Technologien müssen in erfolgreicheProdukte und Dienstleistungen umgemünztwerden. Erst wenn sie vom Markt und vonunseren Kunden angenommen werden, kön-nen sie ihre Wirkung entfalten. Das ist dieAufgabe einer integrativen Innovationspoli-tik, und die wird bei der EnBW groß ge-schrieben: Im Jahr 2007 betrugen die Auf-wendungen für Forschung & Entwicklungund Innovation 32,4 Millionen Euro. Im stra-tegischen Kernbereich waren 27 Mitarbeitertätig, konzernweit befassten sich rund 150Beschäftigte direkt mit F&E-Aktivitäten undInnovationsprojekten.
Vor dem Hintergrund der Herausforderun-gen, die der Klimawandel an die Innovati-onsfähigkeit unserer Gesellschaft stellt, hatsich die EnBW entschlossen, den Innovati-onsbericht 2008 auf das Thema Klimaschutzzu fokussieren. Mit diesem Bericht möchtenwir unseren Mitarbeitern, Geschäftspart-nern, Aktionären, Verbänden, Medien undder interessierten Öffentlichkeit beispielhaftzeigen, was unser Unternehmen in SachenForschung, Entwicklung und Innovation fürden Klimaschutz bereits leistet. Der Innova-tionsbericht ist jedoch keine Gesamtschauder EnBW-Aktivitäten, sondern zeigt exem-plarisch neue Entwicklungen in einzelnenBereichen auf.
Neben der Innenschau werfen wir einenBlick darauf, was sich außerhalb des Unter-nehmens in Forschungslaboratorien undVersuchsanlagen tut. Es war unser Ehrgeiz,mit diesem Bericht eine Art Nachschlage-werk zum Klimaschutz in der Energiewirt-schaft zu schaffen. Und zwar auf eine mög-lichst verständliche Art.
Wir haben außerdem Experten eingeladen,ihren persönlichen Blick in die Zukunft derEnergiewirtschaft zu werfen. Dadurch ist einweit gefächertes und vielschichtiges Pano-rama entstanden. Dass die formuliertenStandpunkte zum Teil kontrovers sind, liegtin der Natur der Sache. Fortschritt brauchtauch Debatte und Auseinandersetzung umden richtigen, weil erfolgversprechendstenKurs: Wie erreichen wir mit begrenzten Mit-teln den maximalen Erfolg? Das ist die Fra-ge, die den Diskurs in den nächsten Jahrenbestimmen wird.
Die EnBW möchte sich aktiv in diese Aus-einandersetzungen einbringen und sich alsguter Bürger der Gesellschaft lebhaft anden Diskussionen beteiligen. Wir hoffen,dass wir mit dieser Lektüre einen Beitragdazu leisten können und wünschen Ihnenviele neue Denkanstöße.
Ihr Hans-Peter VillisVorsitzender des Vorstands der EnBW Energie Baden-Württemberg AG
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Hans-Peter Villis
Vorsitzender des Vorstands der EnBW
Energie Baden-Württemberg AG
Innovationen für einen effektiven Klimaschutz
Der Schutz des Weltklimas steht seit gerau-mer Zeit ganz oben auf der Tagesordnungder internationalen und nationalen Politik:Im Jahr 2009 soll in Kopenhagen ein welt-weit wirksames Nachfolgeabkommen fürdas Kyoto-Protokoll verabschiedet werden,das – trotz weiter steigenden Weltenergie-bedarfs – gleichzeitig den Ausstoß von Treib-hausgasen bis 2020 reduzieren soll.
Die Energiewirtschaft ist davon in einem be-sonderen Maße betroffen. Es ist keine einfa-che Sache, die Freisetzung von Kohlendioxid– wie von der Bundesregierung gewollt – umbis zu 40 % zu drosseln, gleichzeitig aber dieEnergiesicherheit und die Wirtschaftlichkeitder Energieversorgung weiterhin zu gewähr-leisten.
Wir begreifen diese Aufgabe als Herausfor-derung an die Erneuerungsfähigkeit unseresUnternehmens wie auch der gesamtenEnergiebranche. Ohne wesentliche Innova-tionen in der Energieerzeugung und imEnergieverbrauch sind die sehr ehrgeizigenpolitischen Vorgaben allerdings nicht zu be-wältigen. Das betrifft die gesamte Paletteder Themen: vom effizienten Umgang mitEnergie über die erneuerbaren Energien undkohlendioxidarmen fossilen Energien bis hinzur Kernenergie. Gefordert sind zunächstForschung und Entwicklung an den Univer-sitäten, den Forschungseinrichtungen undin den Unternehmen – und zwar in engerZusammenarbeit aller Akteure.
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Der Klimawandel stellt die Welt vor eine
gewaltige Herausforderung. Um den Anstieg
der Erdtemperatur auf 2° C zu begrenzen,
muss der Ausstoß von Treibhausgasen massiv
reduziert werden. Neben einer Änderung der
Konsummuster sind vor allem neue und
innovative Technologien gefragt.› Klima im Wandel
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reichbar, wenn – bei einem Festhalten amKernkraftausstieg – zusätzlich der Energie-mix auf einen höheren Anteil erneuerbarerEnergien umgestellt wird. Dabei entstehenallerdings deutlich höhere durchschnittlicheVermeidungskosten von 32 Euro pro TonneCO2 in der Stromerzeugung und sogar 175Euro bei Biokraftstoffen. Eine Senkung derTreibhausgasemissionen um bis zu 40 % istbis 2020 nur durch politisch oder wirtschaft-lich schmerzhafte Kompromisse oder miterheblichen Mehrkosten möglich.
Nach 2020
Soll die globale Erwärmung wirksam undauf Dauer eingedämmt werden, so erfordertdies weitergehende Maßnahmen zur Emis-sionssenkung. Auch neue Methoden undTechnologien müssen zur Emissionsminde-rung beitragen, die heute noch gar nicht be-kannt sind oder derzeit entwickelt werden.Ein großer Hebel, der die jährliche Treib-hausgasemission bis 2030 um gut 100 Me-gatonnen senken könnte, ist die Abtrennung
und Einlagerung von CO2, das so genannteCarbon Capture and Storage (CCS). Die Ent-wicklung solcher Methoden wird Kraftaktein Forschung und Entwicklung, in der Schaf-fung rechtlicher Rahmenbedingungen undin der Aufklärung der öffentlichen Meinungnötig machen. Vor dem Hintergrund derGröße der zu bewältigenden Aufgabe istdeshalb eine vorurteilsfreie Diskussion überalle möglichen Hebel zur Reduzierung vonTreibhausgasemissionen unverzichtbar.
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Status quo
Spätestens seit dem 4. Bericht des Intergo-vernmental Panel on Climate Change (IPCC)kann es keinen Zweifel mehr geben: Die glo-bale Erwärmung ist die Folge eines steigen-den Anteils von anthropogenen Treibhaus-gasen in der Atmosphäre. Einige führendeIndustrienationen arbeiten deshalb daraufhin, ihre Treibhausgasemissionen zu redu-zieren. Die deutsche Bundesregierung bei-spielsweise hat ein ambitioniertes Ziel for-muliert: Die Treibhausgasemissionen inDeutschland sollen bis 2020 um 30 bis 40 %gegenüber 1990 reduziert werden. Eine Sen-kung um gut 30 % entspricht in etwa derGrößenordnung, die nach der aktuellen EU-
Dr. Peter Feldhaus kam 1999 zu
McKinsey & Company und ist
inzwischen Principal. McKinsey &
Company hat im Auftrag des BDI im
September 2007 eine Studie zu den
Vermeidungskosten des Klima-
wandels vorgelegt.
Kampf dem Klimawandel
Richtlinie für Deutschland vorgesehen ist.Auch die Wirtschaft wird aktiv: In Deutsch-land hat der Bundesverband der DeutschenIndustrie (BDI) McKinsey & Company beauf-tragt, in einer Studie zu ermitteln, wie undzu welchen Kosten die Ziele der Bundesre-gierung zu erreichen sind. Rund 70 Unter-nehmen, darunter die EnBW, haben darinmehr als 300 technische Maßnahmen zurVermeidung von Treibhausgasen beschrie-ben und deren Vermeidungspotenzial und -kosten analysiert.
2020
Das von der Bundesregierung anvisierte Reduzierungsziel von etwa 30 % gegenüber1990 ist bei Eintreten der angenommenRahmenbedingungen tatsächlich erreichbar.Um 26 % lassen sich die Treibhausgasemis-sionen in Deutschland bis 2020 gegenüberdem Niveau von 1990 mit Maßnahmen sen-ken, die bis zu 20 Euro pro Tonne vermiede-ner CO2-Emission kosten und überwiegend sogar Ersparnisse bringen. 31 % sind er-
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Allgegenwärtig: Die Gefahren des Klimawandels
Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhal-
ten. Selbst im irrealen Fall, dass der Ausstoß
von Treibhausgasen sofort gestoppt würde,
würden sich die globalen Durchschnitts-
temperaturen um weitere 0,64 Grad erhö-
hen, denn CO2 und Co. verbleiben über
lange Zeiten in der Atmosphäre und das
Erdklima ist ein träges System. In der Reali-
tät nehmen die CO2-Emissionen aber nicht
ab, sondern im Gegenteil weiter rasant zu.
Geht dies ungebremst weiter, könnte sich
die Erdatmosphäre im Extremfall um bis zu
6,4 Grad erhitzen. Der Klimawandel würde
unkontrollierbare und gefährliche Ausmaße
annehmen. Was dies bedeutet, führte der
Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim
Schellnhuber, der Klimaberater der Bundes-
kanzlerin ist, in einem Interview mit der
FAZ aus:
„Vier bis fünf Grad globale Mitteltempera-
tur, das ist der Unterschied zwischen einer
Eiszeit und einer Warmzeit. Wenn man fünf
Grad abzieht, reichen die Gletscher bis Ber-
lin. Wenn man fünf Grad addiert, wissen wir
nicht wirklich, was passieren würde, aber
möglicherweise wären wir dann außerhalb
des Bereiches, in dem das Klimasystem der
Erde sich immer wieder selbst stabilisiert.
(...) Regional betrachtet, würde mit großer
Wahrscheinlichkeit der komplette Mittel-
meerraum zur Wüste und eine Steppe wür-
de sich bis zur Ostsee erstrecken. Das kom-
plette Abschmelzen des Grönlandeises, der
Kollaps des Amazonasregenwaldes und ein
globales Korallensterben wären dann schon
fast garantiert.“
Global erwarten die Klimaforscher im Falle
eines ungebremsten „weiter so“ Millionen
von „Klimatoten“ und wirtschaftliche Schä-
den in schwindelerregender Höhe. Im
schlimmsten Fall würde der Meeresspiegel
langfristig um sieben Meter ansteigen. Zehn
Prozent der Weltbevölkerung leben in nied-
rig gelegenen Küstengebieten – das sind fast
650 Millionen Menschen, ansässig in zwei
Dritteln der größten Städte der Erde. Auch
ein großer Teil der Industrie konzentriert
sich in Küstenregionen. Die Umweltrisiken,
die mit wachsenden Sturmfluten einherge-
hen, sind leicht vorstellbar. Darüber hinaus
drohen weiten Teilen der Welt Wasserman-
gel und Nahrungsmittelknappheit.
Das 2°-Ziel: Wie es zu erreichen ist
Das IPCC plädiert deshalb eindringlich da-
für, die globale Erwärmung nicht über rund
2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten
anwachsen zu lassen. Nur in diesem Rah-
men seien die Folgen noch einigermaßen
beherrschbar. Sprengt der Temperaturan-
stieg diese Marke, droht der Klimawandel
gefährlich zu werden. Um den Anstieg der
Temperaturen zu bremsen, muss der Gehalt
von Treibhausgasen in der Atmosphäre
dringend begrenzt werden. Der Maßstab
hierfür sind sogenannte CO2-Äquivalente:
Die Klimawirksamkeit der Treibhausgase –
wie etwa Methan, Lachgas, Kohlendioxid –
ist sehr unterschiedlich. Zur Festlegung ei-
nes Grenzwerts werden sie auf die Wirksam-
keit des mengenmäßig wichtigsten Treib-
hausgases, des CO2, umgerechnet. Um das
Ziel von 2 bis 2,4 Grad einigermaßen sicher
zu erreichen, darf der Gehalt von CO2-Äqui-
valenten die Konzentration von 445 bis
490 ppm nicht überschreiten (ppm = parts
per Million = ein Teilchen auf eine Million
Teilchen). Heute liegt bereits der Gehalt von
CO2 alleine bei 381 ppm, zu vorindustriellen
Zeiten waren es noch 280 ppm. Wir sind
dem kritischen Punkt schon sehr nahe
gekommen.
Deshalb muss das Wachstum der Emissio-
nen in den nächsten 15 Jahren gestoppt
werden und bis zum Jahr 2050 müssen die
Emissionen um rund 50 % gegenüber 1990
(60 % gegenüber heute) gesenkt werden.
Spätestens hier zeigt sich die Dimension
der Herausforderung, vor der die Gesell-
schaft steht – besonders auch unsere Bran-
che, die Energiewirtschaft.
Eine Herausforderung: Der Energiehunger der Welt
Die Aufgabe ist umso gewaltiger, als sich die
Volkswirtschaften rund um den Globus teils
stürmisch entwickeln. Dynamisch entwick-
elt sich auch die Gefahr. Denn der Energie-
hunger der Welt ist immens. Nach Angaben
der Internationalen Energieagentur IEA ver-
braucht die Welt heute fast zweimal soviel
Energie wie zu Anfang der Siebzigerjahre
und bis 2030 soll der Verbrauch um noch
einmal mindestens die Hälfte steigen. In der
Folge würden die energiebedingten CO2-
Emissionen – bei „Business as usual“ – um
weitere 55 % steigen!
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Weltklima: Das Thema des Jahres 2007
Kein anderes Thema hat das Jahr 2007 so
dominiert wie die Debatte um das Weltkli-
ma. Und sie hat kaum etwas unberührt ge-
lassen: Unsere Sicht auf die Welt und ihre
Verwundbarkeit, unseren Umgang mit Ener-
gie, unsere Auffassung von der Rolle der
Wirtschaftsunternehmen in der Gesell-
schaft, die Erwartungen der Wirtschaft an
eine globale politische Rahmensetzung,
nicht zuletzt aber unsere Erwartungen an
eine internationale politische Zusammenar-
beit, die es so in der Weltgeschichte noch
nicht gegeben hat. Mit dem Klimawandel ist
die Erwartung und die Anforderung an In-
novationsprozesse in allen Lebensbereichen
verbunden, in denen Energie produziert
und verbraucht wird. Nicht selten war in
diesem Zusammenhang die Forderung nach
einem zweiten „Man-to-the-Moon-Projekt“
zu hören. Sie knüpft an die einzigartige
Anstrengung der USA in den 60er Jahren an,
in der in beispielhafter Fokussierung aller
Kräfte aus Wissenschaft, Forschung, Tech-
nik, Wirtschaft und Politik die Vorherrschaft
im All zurückerobert wurde. Weil die Diskus-
sion um die Rettung des Klimas maßgeblich
ist und in Zukunft verstärkt sein wird, sei
der Gang der Debatte ein wenig erläutert.
Wesentlicher Auslöser der wie nie zuvor auf-
geflammten Diskussion um eine andauern-
de und bedrohliche Erwärmung der Erdat-
mosphäre war der UN-Weltklimarat IPCC
(Intergovernmental Panel on Climate
Change). Er legte 2007 in mehreren Teil-
schritten seinen 4. Sachstandsbericht vor
und dieser fiel wesentlich eindeutiger und
zugleich düsterer aus als alle seine Vorgän-
ger. Demnach kann es am fortschreitenden
Wandel des Erdklimas keinen Zweifel mehr
geben. Dass der Mensch die globale Erwär-
mung durch die Emission von Treibhausga-
sen wie CO2 verursacht, hält das IPCC für
„sehr wahrscheinlich“. Das entspricht in der
Nomenklatur des Klimarats einer Sicherheit
von mindestens 90 %.
Herkulesaufgabe für die Weltgemeinschaft
Dem IPCC zufolge ist die weltweite Durch-
schnittstemperatur in den letzten 50 Jahren
doppelt so schnell gestiegen wie in den 100
Jahren zuvor. Der mittlere Temperaturan-
stieg betrug im vergangenen Jahrhundert
insgesamt 0,74 Grad Celsius. Elf der zwölf
Jahre von 1994 bis 2006 waren unter den
zwanzig wärmsten Jahren seit Beginn der
Temperaturaufzeichnungen. Der Meeres-
spiegel steigt an, seit den Neunzigerjahren
sogar beschleunigt, die Gletscher schmelzen
weltweit. Extreme Wetterereignisse wie
Hitzewellen, Dürren, Stürme und Stark-
regen treten häufiger auf. Geschwindigkeit
und Intensität des Klimawandels sind stär-
ker als bisher vermutet.
Der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre ist seit
vorindustriellen Zeiten ab 1750 um 35 % ge-
stiegen und hat den höchsten Wert der letz-
ten 650.000 Jahre erreicht. Zwischen 1970
und 2004 ist der weltweite Ausstoß von
Treibhausgasen um 70 % gestiegen, in den
letzten anderthalb Dekaden alleine um
28 %. Der Hauptgrund hierfür ist der wach-
sende Energiehunger der Welt, den wir mit
der Verbrennung fossiler Rohstoffe – wie
Kohle, Öl und Gas – befriedigen. Aber auch
die fortschreitende Entwaldung und die
Landwirtschaft spielen eine Rolle.
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Der Gipfel der acht größten Industrie-
staaten gemeinsam mit den fünf größten
Schwellenländern im Juni 2007 in Heiligen-
damm geriet zu einem der Höhepunkte der
Kanzlerschaft Angela Merkels. Als großer Er-
folg wurde gefeiert, dass die USA erstmals
seit vielen Jahren wieder eine konstruktive
Haltung bei Klimafragen einnahmen. Der
größte CO2-Emittent der Erde hatte sich im
Vorfeld noch wie gewohnt dagegen gewehrt,
in die Schlusserklärung verbindliche und
quantifizierte Reduktionsziele aufzuneh-
men. Das Rezept der US-Regierung lautete
stets: Stimulierung des technischen Fort-
schritts und unverbindliche internationale
Vereinbarungen zum Klimaschutz. Aller-
dings hatten sich die USA bereits 1992 nach
einem Gipfel in Rio de Janeiro durch Unter-
zeichnung der Klimarahmenkonvention
der Vereinten Nationen (UNFCCC) dazu ver-
pflichtet, 2000 keine höheren CO2-Emissionen
zu haben als 1990. In der Realität waren sie
bis 2005 um 16,3 % gestiegen.
An der Ostsee in Heiligendamm gab es nun
einen kleinen Durchbruch. Es wurde verein-
bart, die Halbierung der Treibhausgasemis-
sionen bis 2050 „ernsthaft in Betracht“ zu
ziehen. Dabei wurde zumindest auf die
jüngsten Berichte des Weltklimarates und
seine Empfehlungen verwiesen. Sie waren
damit auch von den USA als Grundlage des
weiteren Vorgehens anerkannt.
Wenige Monate nach Heiligendamm, im
September 2007, riefen die USA zu einer ei-
genen Klimainitiative nach Washington. Ge-
laden waren die 16 größten Verursacherstaa-
ten der Erderwärmung. Zusammen sind sie
für rund 80 % der globalen Treibhausgas-
emissionen verantwortlich. Diese Initiative
hatte ein erstaunliches Ergebnis. Am Ende
erkannte US-Präsident Bush die Führungs-
rolle der Vereinten Nationen bei diesem
Thema an, ohne freilich eine Zusage für ver-
bindliche Klimaziele zu geben. Hilfreich für
diese Haltung war vielleicht die Debatte in
der UN-Vollversammlung zum Klimawan-
del kurz vor dem Washingtoner Treffen
gewesen. Rund 80 Staats- und Regierungs-
chefs meldeten sich dort mit deutlichen
Plädoyers für eine wirkungsvolle Politik
zum Schutz der Erdatmosphäre zu Wort. Es
deutete sich an, dass die USA zunehmend in
Gefahr gerieten, sich mit ihrer Haltung in
der Weltgemeinschaft zu isolieren.
Und auch die Wirtschaft macht weltweit zu-
nehmend Druck in Sachen ehrgeiziges Kli-
maschutzprogramm. In Deutschland riefen
rund ein Dutzend Unternehmen, darunter
die EnBW, die Initiative „2° – Deutsche Un-
ternehmer für Klimaschutz“ ins Leben, de-
ren Name bereits Programm ist. Eine Klima-
gruppe beim Bundesverband der Deutschen
Industrie „Wirtschaft für Klimaschutz“ wur-
de gegründet, an der rund 50 Unternehmen
beteiligt sind, darunter auch die EnBW. Sie
beauftragte die Unternehmensberatung
McKinsey, die wirksamsten Hebel zur Re-
duktion von Treibhausgasemissionen zu
identifizieren und die Vermeidungskosten
darzustellen.
Weltklimagipfel auf Bali: Hart erkämpfte Lösungen
Diese Entwicklung weckte hohe Erwartun-
gen an den UN-Weltklimagipfel auf Bali, der
im Dezember 2007 terminiert war. Sie wur-
den noch gesteigert, als bekannt wurde, dass
das IPCC und der ehemalige US-Vizepräsi-
dent und Klimamahner Al Gore den Frie-
densnobelpreis 2007 erhalten würden. Da-
rüber freute sich auch die EnBW Energie
Baden-Württemberg AG, denn Al Gore war
der prominenteste Gast beim 2. Deutschen
Klimakongress in Berlin, der kurz nach Be-
kanntgabe der Nobelpreisträger stattfand.
Sowohl die eigentliche Konferenz als auch
die Abendveranstaltung, bei der Al Gore sei-
ne berühmte Präsentation hielt, konnten
sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht
beklagen.
Das galt in weit höherem Maße auch für
den UN-Klimagipfel auf der indonesischen
Insel Bali. Mehr als 10.000 Umweltpolitiker
und Experten aus 192 Ländern nahmen an
der Konferenz teil. Und es waren wieder
einmal die USA, die sich bewegten. Als klar
wurde, dass sich die Vereinigten Staaten mit
einer alles in allem ablehnenden Haltung
auf internationaler Bühne vollkommen
isoliert hätten, lenkte die amerikanische
Delegation in letzter Minute ein.
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Wesentliche Wachstumstreiber sind inzwi-
schen die Schwellenländer Indien, Brasilien,
Südafrika, Mexiko, Südkorea und, allen vor-
an, China, das jährlich zweistellige Raten
beim Wirtschaftswachstum vorweisen kann.
Der Energiebedarf wächst entsprechend ra-
sant mit und wird im Stromsektor haupt-
sächlich durch Kohlekraftwerke bedient.
Woche für Woche nimmt China im Durch-
schnitt ein neues kohlebefeuertes Groß-
kraftwerk in Betrieb. 80 waren es gar 2005.
Bis 2015 – so schätzt es die IEA – wird China
weitere Kraftwerke mit einer Leistung von
800 GW (Gigawatt) in Betrieb nehmen, so
viel wie die Gesamtleistung in der EU, 95 %
davon auf Kohlebasis. Folgerichtig wird
China die USA in Kürze als weltgrößter
Emittent von CO2 ein- und überholen.
Alle Schwellenländer zusammen werden
2030 rund die Hälfte der weltweiten CO2-
Emissionen auf ihrem Konto verbuchen.
Dazu kommt, dass weltweit immer noch 1,6
Milliarden Menschen ganz ohne Strom aus-
kommen müssen. Das bedeutet ein Leben
ohne Komfort, aber auch einen weitgehen-
den Ausschluss von Information und Kom-
munikation und von Teilhabe an Bildungs-
chancen. Und die Weltbevölkerung soll bis
2030 von 6 auf 8 Milliarden anwachsen.
Auch diese Menschen haben ein Anrecht
auf ausreichende Energieversorgung.
Alarmiert und aktiviert: Die internationale Politik
Der Weckruf des IPCC blieb nicht ungehört,
nicht in der allgemeinen Öffentlichkeit und
nicht auf der politischen Bühne. Ganz im
Gegenteil. Das Thema dominierte alle politi-
schen Gipfel, um über das Jahr hinweg an
Dynamik und Durchschlagskraft zu gewin-
nen. Angetrieben von dem Wunsch einer
breiten Öffentlichkeit, den Klimawandel
aufzuhalten, entschloss sich die Politik, ver-
bindliche politische Ziele vorzugeben, um
den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu be-
schränken.
Den Auftakt machte die EU beim Frühjahrs-
gipfel der europäischen Staats- und Regie-
rungschefs unter deutscher Ratspräsident-
schaft im März 2007. Der Europäische Rat
beschloss, dass die EU-Staaten ihre Klima-
gasemissionen im Alleingang bis 2020 um
20 % gegenüber 1990 reduzieren werden.
Verpflichten sich andere Industriestaaten
wie die USA in ähnlicher Größenordnung,
soll die Reduktion auf 30 % erhöht werden.
Gleichzeitig soll im selben Zeitraum der
Anteil der erneuerbaren Energien am Ge-
samtenergieverbrauch (Strom, Wärme und
Treibstoffe) auf 20 % anwachsen. Und die
Energieeffizienz soll sich gegenüber den
Prognosen um 20 % verbessern.
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Nach Bali, vor Kopenhagen:Bescheidener Optimismus
Falls bis Ende 2009 tatsächlich ein Post-
Kyoto-Abkommen mit den skizzierten Kon-
turen zustande kommen sollte und genü-
gend Staaten beitreten, um es in Kraft zu
setzen, darf man das getrost als eine Art
neues Weltwunder betrachten. Noch nie
zuvor in der Menschheitsgeschichte hätten
sich die Staaten völkerrechtlich verbindlich
zu so tiefen Eingriffen in ihr souveränes
staatliches Handeln verpflichtet. Sie sollen
auf individuelle kurzfristige wirtschaftliche
Vorteile verzichten, um mittel- und langfri-
stig dem Großen und Ganzen zu dienen.
Beim Klimaschutz geht es ums Ganze: Es
geht um die Zukunft der Energieversor-
gung, es geht um Strom und Wärme und
Kühlung, es geht um Verkehr, um Land- und
Forstwirtschaft. Spätestens hier wird klar:
Der Klimaschutz wird unsere Branche, die
Energiewirtschaft, erheblich verändern. Er
wird das Energieverhalten der Individuen
wie das der Gesellschaft erheblich verän-
dern. Bei diesem Prozess wird es Verlierer
geben, aber auch Gewinner. Neben dem Kli-
ma werden solche Akteure Gewinner sein,
die sich optimal – das heißt innovativ – auf
die neuen Anforderungen einstellen.
Man kann den Klimaschutz mit Fug und
Recht als Jahrhundertaufgabe bezeichnen,
Gelingen bislang noch ungewiss. Aber –
gute Nachricht in all den düsteren Szena-
rien – das IPCC ist optimistisch, dass das Ziel
erreicht werden kann. Die dazu notwendi-
gen Techniken seien bereits kommerziell
verfügbar oder würden ihre Serienreife in
den nächsten Jahrzehnten erreichen. Und es
sei zudem auch bezahlbar: Ein ambitionier-
ter Klimaschutz würde das weltweite Wirt-
schaftswachstum um jährlich weniger als
0,12 % bremsen. Je früher man mit ehrgeizi-
gen Klimaschutzmaßnahmen beginne, de-
sto geringer würden die Kosten ausfallen.
Den Kosten stehen wiederum positive
Effekte gegenüber: mehr Energiesicherheit,
bessere Luft, neue Arbeitsplätze in zu-
kunftssicheren Bereichen. Die Kosten des
Nichtstuns wären dramatisch höher. Der
frühere Chefökonom der Weltbank, Sir
Nicholas Stern, hat sie in einem Bericht für
die britische Regierung auf zwischen 5 und
katastrophalen 20 % des globalen Brutto-
inlandsprodukts beziffert.
Es gibt aber keinen Automatismus im Kli-
maschutz. Nur wenn es einen starken und
global wirksamen politischen Rahmen gibt,
kann er sich entfalten. Die Regierungen
müssen entsprechende Anreize für Investi-
tionen schaffen. Ganz wesentliche Punkte
sind dabei Forschung und Entwicklung und
eine wirksame Innovationspolitik. Die Tech-
nologiefelder sind klar:
› Es geht um einen sparsamen Umgang mit
Energie (Energieeffizienz),
› um erneuerbare Energien,
› um eine hocheffiziente Nutzung fossiler
Energien und um die Abtrennung und un-
terirdische Speicherung von CO2 aus den
Abgasen (Carbon Capture and Storage CCS)
› sowie um eine Weiterentwicklung der
Kernenergie.
Aber vieles steht erst auf dem Papier,
funktioniert bisher nur im Labor oder ist
in der Praxis schlicht und einfach noch viel
zu teuer. Viel Arbeit also für die Universitä-
ten, die Forschungsinstitute und die For-
schungs- und Entwicklungsabteilungen der
Unternehmen. Es gibt noch vieles zu erfin-
den und zu entdecken, technischer Fort-
schritt ist über die ganze Front der Energie-
produktion und des Energieverbrauchs ein
Schlüssel für ein klimaverträgliches Wirt-
schaften. Und schließlich müssen die neuen
Entwicklungen durch einen schlüssigen In-
novationsprozess noch in marktfähige und
erfolgversprechende Produkte und Dienst-
leistungen umgemünzt werden.
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Gemeinsame Aktivitäten: Die Bali-Roadmap
Was sind nun die wichtigsten Ergebnisse,
was ist im Gipfelbuch nachzulesen?
Fahrplan Es wurde ein verbindlicher Fahrplan (Road-
map) für die Aushandlung eines Post-Kyoto-
Abkommens vereinbart. Bis Dezember
2009 soll ein Langzeitprogramm zum
Treibhausgasabbau stehen. Dann findet
der Weltklimagipfel in Kopenhagen statt.
ZieleVerbindliche Ziele sind im Abschlussdoku-
ment nicht zu finden. Nur in einer Fußnote
wird auf den Sachstandsbericht des Weltkli-
marates IPCC verwiesen. Damit sind die
Ziele (2°; 50 bis 60 % Reduktion bis 2050)
zumindest indirekt in das Dokument ein-
geflossen. Die Unterzeichnerstaaten des
Kyoto-Protokolls haben in einem separaten
Papier für die Industriestaaten eine Redukti-
on von CO2-Äquivalenten von zwischen 25
und 40 % bis zum Jahr 2020 festgelegt.
SchwellenländerDie Schwellenländer haben sich in der Road-
map zu „angemessenen Klimaschutzaktio-
nen“ verpflichtet. Diese müssen mess- und
überprüfbar sein und es muss darüber be-
richtet werden. Das war bereits mehr als ur-
sprünglich erwartet worden war. Vor allem
die Rolle Chinas wurde als konstruktiv be-
wertet. Das mag daran liegen, dass das Land
die Folgen von Umweltverschmutzung und
Klimawandel bereits deutlich zu spüren
bekommt. So schmelzen die Gletscher und
bedrohen die Trinkwasserversorgung des
Riesenreichs und die Wüstenbildung schrei-
tet voran.
AnpassungsfondsFür die Entwicklungsländer wird ein Fonds
eingerichtet, mit dessen Mitteln sie sich
besser vor den Folgen des Klimawandels
schützen können. Er wird aus einer zwei-
prozentigen Abgabe auf die Emissionszerti-
fikate gespeist, die aus CDM-Projekten
gewonnen werden (Clean Development
Mechanism). Die Mittel sind beim Globalen
Umweltfonds der Weltbank angesiedelt und
fließen ab sofort. Bis 2012 stehen dadurch
etwa 400 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Weltbank selbst schätzt die Kosten für
die Anpassung an den Klimawandel in den
ärmsten Ländern der Welt auf 35 Milliarden
Euro jährlich.
Schutz der WälderDie Abholzung von Wäldern ist für rund ein
Fünftel des Klimagasausstoßes verantwort-
lich. Erstmals wurde der Kampf gegen die
Entwaldung mit in die Klimaverhandlungen
aufgenommen. Ein konkretes Programm
soll bis Ende 2009 vereinbart werden.
TechnologietransferEs wurde ein Programm zur Förderung kli-
mafreundlicher Technologien angekündigt.
Darin geht es um die Definition von Projek-
ten und ihre Finanzierung aus einem Fonds.
Außerdem sollen entsprechende Schlüssel-
patente verfügbar gemacht werden.
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Ressourcen optimal einsetzen und mit
weniger mehr erreichen: Das ist das Ziel von
Energieeffizienz. Ob in Kraftwerken, im Verkehr
oder zu Hause – überall gibt es Verbesserungs-
möglichkeiten. Besonders in Gebäuden schlum-
mern große Einsparpotenziale. In Zukunft
werden sogar ganze Städte energieeffizient
optimiert sein.
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› Energieeffizienz
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2050
Die größte Chance für die Zukunft liegt inder nachhaltigen, lebenswerten, innovativenStadtentwicklung. 2050 werden integrierteLösungen für die Stadtentwicklung den Pri-märenergieverbrauch, Treibhausgasemis-sionen und Kosten gleichzeitig reduzieren:Intelligente Häuser, energieeffiziente Städtemit Lösungen, die für jedes städtebaulicheProjekt individuell erarbeitet werden und sowohl die vielfältigen Möglichkeiten derEnergietechnik als auch die besonderenRahmenbedingungen und Bedürfnisse derMenschen vor Ort berücksichtigen. Genaudas ist jedoch nur möglich, wenn energie-wirtschaftliche, verkehrsplanerische undstädtebauliche Kompetenzträger frühzeitigim Stadtplanungsprozess zusammengeführtwerden und gemeinsam und fachbereichs-übergreifend nach optimalen Lösungen suchen.
Die EnBW hat mit der EnBW EnyCity-Metho-dik ein einmaliges und umfassendes Werk-zeug zur Optimierung der Energiesystemekomplexer urbaner Strukturen entwickelt.EnBW EnyCity basiert bewusst auf der Part-nerschaft mit Stadtplanern und bietet diedafür notwendigen Schnittstellen.
Diese Chance zur Partnerschaft will AS&Pzukünftig konsequent nutzen. Im Jahr 2007hat AS&P mit der EnBW vereinbart, auf demGebiet der nachhaltigen Stadtentwicklungeng zusammen zu arbeiten. Ziel dieser Kooperation ist es, gemeinsam die Umsetz-barkeit einer nachhaltigen, innovativen undlebenswerten Stadtentwicklung zu demons-trieren. Hierin sehen AS&P und die EnBWgroße Chancen für die Zukunft.
19
Status quo
Mit 3,3 Milliarden Menschen lebt 2008 erst-mals mehr als die Hälfte der Weltbevölke-rung in Städten. Heute gibt es weltweit be-reits über 130 Städte mit mehr als dreiMillionen Einwohnern und 27 Megacitys mitmehr als zehn Millionen Einwohnern. Gera-de in Städten und Gebäuden schlummernriesige Energiesparpotenziale. Deshalbspielen schon heute bei Stadtentwicklungs-projekten optimierte Energie- und Verkehrs-infrastrukturen eine große Rolle.
Prof. Albert Speer ist Stadtplaner und
Architekt. Sein Büro AS&P – Albert
Speer & Partner – verbindet
innovative Ansätze in Architektur,
Stadt- und Verkehrsplanung mit
über vierzigjähriger, internationaler
Planungs- und Bauerfahrung.
Die Zukunft gehört der energieeffizienten Stadt
2020
Der Aspekt der optimierten Energie- undVerkehrsinfrastruktur wird in den kommen-den Jahrzehnten bei der Stadtentwicklungnoch deutlich an Bedeutung gewinnen, ge-trieben durch das rasante wirtschaftlicheWachstum der Schwellenländer. So werdeneine Zunahme des globalen Energiebedarfsund der globalen Treibhausgasemissionenbis 2020 um ein Drittel sowie ein Anstieg derAnzahl der in Städten lebenden Menschenvon heute 3,3 Milliarden auf über vier Milli-arden erwartet. Bestehende Städte werdenwachsen und neue Städte werden gebautwerden. Jede Maßnahme, die den Energie-verbrauch der Städte von Morgen senkt,wird einen überproportionalen Beitrag zurLösung der globalen Energieprobleme leis-ten, weil genau in den urbanen Ballungs-räumen der größte Anteil der Energie ver-braucht wird. Über zwei Drittel der weltweitrund 60 Megastädte mit mehr als fünf Mil-lionen Einwohnern werden 2020 in Entwick-lungsländern liegen.
18
Die Vakuum-Dämmung funktioniert nach
dem Prinzip Thermoskanne, in deren dop-
pelwandiger Glasröhre ein Unterdruck er-
zeugt wird, der den Wärmefluss reduziert.
Die Theorie dazu ist banal: Je geringer die
Zahl der Gasmoleküle in der Dämmschicht
ist, umso weniger Wärme kann durch das
Material diffundieren. Ein Vakuum unter-
bindet die Diffusion sogar vollständig. Die-
ser Thermoskannen-Effekt soll nun auch
Häuser warm halten. Bester Wärmeschutz
wird auf diese Weise mit drastisch reduzier-
ten Wanddicken möglich: Die heutigen Va-
kuum-Materialien isolieren zehnmal besser
als konventionelle Dämmstoffe – und kön-
nen somit entsprechend dünner ausgelegt
werden. Gerade in Altbauten kann das sehr
interessant sein, weil dort oft der Platz fehlt
für Dämmstoffe von klassischer Dimension.
Ein sehr beliebter Stoff für die Vakuum-
Dämmung ist mikroporöse Kieselsäure. Die
Dämmplatten bestehen aus einem gepress-
ten Pulverkern aus äußerst fein strukturier-
ter Kieselsäure. Sie sind umhüllt mit spe-
ziellen „metallisierten Hochbarrierefolien”,
die ein Vakuum aufrecht erhalten. „Man
kann sich das vorstellen wie ein Paket Kaf-
fee, das vakuumverschweißt ist”, heißt es da-
zu im Bayerischen Zentrum für Angewandte
Energieforschung (ZAE) in Würzburg.
In der Praxis ist ein vollständig luftleerer
Raum freilich niemals zu erzielen. Aber bei
einem so erheblichen Unterdruck, wie er in
den Dämmplatten geschaffen wird, spricht
man üblicherweise bereits von einem Vaku-
um. In den derzeit entwickelten Systemen
wird der Luftdruck auf 0,1 bis 0,01 Millibar
reduziert, also auf ein Zehn- bis Hundert-
tausendstel des atmosphärischen Normal-
drucks.
Als eines der ersten Demonstrationsprojek-
te wurde im Jahr 2000 ein denkmalge-
schütztes Haus in Nürnberg-Schoppershof
saniert. Aufgrund des geringen Dachüber-
stands der Giebelseite hatte es dort vom
städtischen Denkmalschutzamt die Auflage
gegeben, dass höchstens sechs Zentimeter
dicker Dämmstoff aufgetragen werden darf.
Trotz dieser Vorgabe erreichte man einen
Wärmeschutz, der einem hochgedämmten
Niedrigenergiehaus entspricht: Der Wärme-
durchgangswert der Wand beträgt seither
nur noch 0,2 Watt pro Quadratmeter und
Kelvin.
Forscher fasziniert unterdessen ein weiterer
Aspekt: Die Dämmeigenschaften der Vaku-
um-Paneele sind steuerbar. Und so ist der
nächste Schritt ein System mit variablen
Dämmwerten. Vakuum-Materialien können
das nämlich leisten: Lässt man ein Gas in
die Dämmschicht hinein, wird der Stoff wär-
meleitend. Entleert man die Dämmschicht
wieder, ist der frühere Zustand wieder her-
gestellt. Das ZAE in Würzburg forscht an sol-
Gegenüber konventioneller Straßenbe-
leuchtung hat die LED-Technik erhebliche
Vorteile – zum einen natürlich den äußerst
geringen Stromverbrauch. Auch die Zeit der
Energiesparlampe dürfte mit der LED-Tech-
nik vorbei sein. Gegenüber einer klassischen
Glühbirne liegt die Einsparung mit LED bei
rund 85 %. Bei Ampeln zum Beispiel lässt
sich mit 6 Watt LED pro Farbelement die
gleiche Helligkeit erzielen, für die man mit
Glühbirnen 40 Watt benötigt.
Doch nicht alleine die Energieeinsparung
spricht für die Diodentechnik. Die LEDs ver-
ursachen geringere Wartungskosten, da sie
aufgrund ihrer Lebensdauer von 100.000
Stunden praktisch wartungsfrei sind. Die
Leuchtdiode ist ein Halbleiter-Bauelement,
das Licht abgibt, wenn Strom hindurch
fließt. Die Farbe ist abhängig vom Halbleiter
und nahezu monochrom – das heißt, sie
besteht aus Licht nur einer Wellenlänge.
Deswegen kann weißes Licht auch nur durch
additive Farbmischung erzeugt werden.
21
Wichtiger Hebel: Energieeffizienzauf allen Ebenen
Der wichtigste Hebel, die Klimaziele zu er-
reichen, ist die Energieeffizienz – das heißt,
möglichst viel (Leistung) aus möglichst we-
nig (Energie) heraus zu holen. Zahlreiche
Untersuchungen belegen, dass es noch gro-
ße Einsparpotenziale gibt. Problematisch ist
dabei, dass es keine großen Hebel gibt, um
die Einsparziele zu erreichen. Der Erfolg
wird durch eine Vielzahl kleiner Schritte er-
reicht, bis hinunter zu individuellen Kon-
zepten für einzelne Verbraucher. Das führt –
im Verbund mit weiteren Barrieren – dazu,
dass das Themenfeld politisch sehr schwer
zu handhaben ist. Zumal es durch seine
komplexe technische Natur wenig Sex-
appeal in der breiten Öffentlichkeit hat. Die
Einsparpotenziale verteilen sich gleicher-
maßen auf Industrie – hier geht es etwa um
sparsame Elektromotoren – und Haushalte,
um die es im Folgenden gehen wird.
Große Einsparpotenziale inAltbauten: High Tech-Dämmungdurch Vakuum
Das größte Energiesparpotenzial liegt in
den Altbauten verborgen. Während der jähr-
liche Heizbedarf in Neubauten heute längst
unter 70 Kilowattstunden pro Quadratme-
ter liegt, braucht das Durchschnittshaus in
Deutschland noch das doppelt bis dreifache.
Und manches alte Wohngebäude erreicht
sogar abenteuerliche Werte über 300 Kilo-
wattstunden pro Quadratmeter.
Dass die Bauwirtschaft inzwischen in der
Lage ist, auch in Altbauten vernünftige
Energiestandards zu erzielen, demonstrierte
die BASF mit der Sanierung eines Mehrfa-
milienhauses in einer Werksiedlung aus
den Dreißigerjahren im Ludwigshafener
Brunckviertel.
Für dieses so genannte „Drei-Liter”-Projekt –
also drei Liter Heizöl pro Quadratmeter –
setzte BASF den neuentwickelten Dämm-
stoff Neopor ein. Bei diesem handelt es sich
um einen Polystyrolhartschaumstoff, des-
sen Wärmedämmung nach Firmenangaben
annähernd doppelt so gut ist wie jene des
Styropors.
Best Practice
Zudem hat der Konzern einen neuartigen
Innenputz entwickelt, der wärmespeichern-
de „Mikrokapseln” enthält. Der so genannte
Latentwärmespeicher beruht darauf, dass
Paraffin, das im Baustoff enthalten ist, bei
Temperaturen zwischen 24 und 26 Grad
schmilzt. Durch diesen Phasenwechsel
nimmt das Material viel Wärme auf, ohne
dass seine fühlbare Temperatur ansteigt.
Nachts gibt das Material die Energie wieder
ab, wenn das Paraffin wieder in festen Zu-
stand übergeht. Zwei Zentimeter dieses Put-
zes speichern nach Daten der BASF so viel
Wärme, wie eine 20 Zentimeter dicke Hohl-
ziegelwand. Maxit bietet als erster Anbieter
bereits einen entsprechenden Gipsputz an.
Doch nicht nur mit neuen Schaumstoffen
und Speichermaterialien lässt sich der
Raumwärmebedarf erheblich senken. Auch
Naturstoffe wie Zellulose oder Kork sind
heute längst etabliert. Darüber hinaus gibt
es auch noch High-Tech-Varianten der Däm-
mung – zum Beispiel per Vakuum. Entspre-
chende Paneele zur Wohnraumisolierung
sind bereits auf dem Markt.
20
chen Systemen, die sich SWD nennen, was
für „Schaltbare Wärmedämmung” steht. Will
man etwa im Winter, wenn die Sonne auf
die Wand scheint, der Wärme den Weg ins
Haus gewähren, schaltet man einfach die
Dämmung frei.
LED: Das Ende der Glühbirne naht
Die Leuchtdiode wird bereits in naher Zu-
kunft die Beleuchtungstechnik revolutio-
nieren. Und erste Praxisbeispiele gibt es
bereits: Die nordrheinwestfälische Landes-
hauptstadt Düsseldorf hat die erste Stra-
ßenbeleuchtung auf LED-Technik umge-
stellt.
Unterdessen kann die Situation bei Fernse-
hern eine ganz andere sein. Denn bei Fern-
sehern führt die immer größer werdende
Bildschirmfläche und die höhere Bildauflö-
sung zu einem höheren Energiebedarf. Hin-
zu kommt, dass wegen des größeren Kontra-
stes und des größeren Farbspektrums oft
Plasmabildschirme gewählt werden, die sehr
viel Strom verbrauchen. So sind Fernseher
aus Umweltsicht ein Problemkind: Der
Stromverbrauch der Geräte steigt seit Jah-
ren, statt zu sinken. In Zukunft könnte je-
doch die Umstellung auf OLED-Technik, das
sind organische Leuchtdioden, deutliche
Stromeinsparungen bringen.
Allerdings gibt es schon heute große Unter-
schiede im Verbrauch, je nach Modell. Auch
beim Thema Stand-by: Effiziente Geräte
verbrauchen im Stand-by-Modus weniger
als 2 Watt, andere liegen dutzendfach höher.
Hier ist die Stromeinsparung oft nur eine
Frage des guten Willens der Konstrukteure:
Ein gut erreichbarer Netzhauptschalter, mit
dem das Gerät vollständig vom Stromnetz
getrennt werden kann, spart am meisten
Strom.
Auch Kühl- und Gefriergeräte sind Energie-
fresser. Denn sie laufen üblicherweise im
Dauerbetrieb, 24 Stunden täglich, 365 Tage
im Jahr. Und da summiert sich jedes Watt
übers Jahr gesehen zu ganz beträchtlichen
Summen. Der Stromverbrauch von Kühlge-
räten hängt im Wesentlichen von drei Fakto-
ren ab: vom Alter des Gerätes, der Größe
sowie der eingestellten Temperatur. Die
Klassifizierung der Energieeffizienz ist je-
doch etwas irritierend, weil Geräte der Klas-
se A längst nicht mehr Stand der Technik
sind, sondern solche mit A++. Ein guter
Kühlschrank mit Gefrierschrank kann ge-
genüber einem Durchschnittsprodukt etwa
150 Kilowattstunden Strom im Jahr sparen.
Waschmaschinen werden ebenfalls immer
sparsamer. Gute Maschinen mit 5-Kilo-
gramm-Trommel brauchen durch ausgeklü-
gelte Programme heute im Standardwasch-
programm maximal 0,95 Kilowattstunden
Strom. Trotzdem hängt bei der Umweltver-
träglichkeit einer Waschmaschine noch vie-
les am Nutzer, der durch unsinniges Verhal-
ten die beste Ökobilanz zunichte machen
kann: Eine stets gute Befüllung der Trom-
mel und möglichst niedrige Waschtempera-
turen sind nämlich entscheidend. Zwar gibt
es auch so genannte „intelligente Waschma-
schinen”, die über ein Display am Gerät das
Wäschegewicht beim Beladen anzeigen
und sogar eine Dosierempfehlung für das
Waschmittel geben – doch diese sind teuer.
Da die Waschtemperatur den Energiever-
brauch wesentlich beeinflusst, richtet sich
der Blick der Waschmittelindustrie auch
darauf, bei möglichst geringen Temperatu-
ren möglichst gute Ergebnisse zu erzielen.
Die Marke Ariel zum Beispiel wirbt damit,
„dank besonderer Technologien Reinheit be-
reits ab 20 Grad“ zu erzielen. Im Auftrag von
Ariel hat das Öko-Institut nachgewiesen,
dass sich bereits durch das Runterschalten
von 40 auf 30 Grad bis zu 40 % Energie pro
Waschgang sparen lassen. Einsparpotenzial
bietet sich zudem durch einen Anschluss
der Waschmaschine an eine Warmwasserlei-
tung, was bei modernen Maschinen heute
möglich ist.
Auch Spülmaschinen sind heute recht spar-
sam. Noch immer hört man den Mythos, es
sei günstiger, Geschirr von Hand zu spülen.
Doch das stimmt längst nicht mehr: Eine
moderne Maschine spült das Geschirr nicht
nur bequemer, sondern in der Regel auch
umweltfreundlicher und kostengünstiger.
Das zeigt ein direkter Vergleich, den das
Freiburger Öko-Institut mal aufgestellt hat:
Eine moderne Spülmaschine für zwölf Maß-
gedecke verbraucht heute durchschnittlich
rund 15 Liter Wasser – zusammen kosten
Wasser, Energie, Reiniger, Klarspüler und
Salz etwa 37 Cent pro Spülgang. Der durch-
schnittliche Handspüler verbraucht für die-
selbe Menge Geschirr im Durchschnitt rund
50 Liter Wasser und zahlt für Wasser, Ener-
gie und Handspülmittel etwa 66 Cent.
Ein immer größer werdender Stromver-
braucher ist jedoch die Informationstech-
nik. Zwar werden die Computer selbst,
gemessen an ihrer Leistung, immer effi-
zienter. So erklärte kürzlich die Strato AG,
einer der größten europäischen Webhoster,
durch energiesparende Hardware den Ver-
brauch pro Kunde in nur 18 Monaten um
30 % gesenkt zu haben. Energiesparendere
Prozessoren, oder auch eine energieeffizien-
te Kühlung, sind hier die wesentlichen
Faktoren.
Doch das Internet braucht immer mehr
Strom – vor allem, weil private DSL-Flatrates
die Nutzungsdauer und den Datentransfer
deutlich gesteigert haben. Der Stromver-
brauch einer Suchanfrage bei Google zum
Beispiel braucht so viel Strom wie eine
Energiesparlampe in einer Stunde. So hat
sich der Stromverbrauch der Computer-
technik binnen fünf Jahren verdoppelt –
und eine Trendwende ist nicht absehbar.
23
Anders als Energiesparlampen kommen die
Dioden ohne Quecksilber aus, und ihre Far-
be kann individuell ausgewählt werden –
etwa weißes Licht für den Gehweg und gel-
bes Licht für die Straße. Über die Lichtfarbe
kann auch das Anlocken von Insekten ver-
mieden werden. Zudem ist die LED unemp-
findlich gegenüber Erschütterungen und sie
erreicht deutlich kürzere Schaltzeiten.
Auch für die Wohnraumbeleuchtung wer-
den LEDs bereits in Einzelfällen eingesetzt.
Da sie im Gegensatz zu Glühlampen kaum
Wärmestrahlung abgeben, bieten sie ganz
neue architektonische Möglichkeiten, zum
Beispiel auch als Strahler im Fußboden.
Durch Kombination von LEDs in verschiede-
nen Farben, die je nach Bedarf angesteuert
werden, läßt sich auch die Farbe des Lichtes
über Schalter verändern. Daher werden
LEDs zur Wohnraumbeleuchtung derzeit
vor allem in Designerlampen eingesetzt.
Aber auch als Birnen mit gewöhnlichem
E 27-Gewinde gibt es die LEDs schon zu kau-
fen. Mit Preisen von knapp 30 Euro sind sie
allerdings noch deutlich teurer als heutige
Energiesparlampen, doch mit steigenden
Produktionsmengen werden die Preise
sinken.
Überall dort, wo kleine Lichtmengen benö-
tigt werden, sind Leuchtdioden seit nun-
mehr 40 Jahren im Einsatz. Für den großen
Durchbruch jedoch reichte die Leistungs-
stärke lange nicht aus. Auch bei der Farbge-
staltung brauchte man lange, bis auch LEDs
hergestellt werden konnten, die weißes
Licht abgeben. Die Klassiker strahlten stets
in rotem Licht.
Im vergangenen Jahr erhielten Forscher der
Firma Osram Opto Semiconductors und des
Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik
und Feinmechanik in Jena den Deutschen
Zukunftspreis für ihre Weiterentwicklung
der Leuchtdiode. Während die Halbleiter-
bauelemente bei Osram entstanden, haben
die Jenaer Forscher die Optik entwickelt.
Achtung Energiefresser:Haushaltsgeräte, Unterhaltungs-und Informationstechnik
Beim Energiesparen denken viele Menschen
zuallererst an Elektrogeräte im Haushalt.
Und in der Tat bieten diese ein großes Ein-
sparpotenzial. Elektrokleingeräte machen
immerhin rund 20 % des Stromverbrauchs
im Haushalt aus, weitere 20 % entfallen aufs
Kühlen und Gefrieren. Die Beleuchtung
kommt hingegen auf gerade 10 %, Fernseher
und Radio auf rund 7 bis 8 %.
Einsparen lässt sich zum Beispiel bei Com-
puterbildschirmen: Flachbildschirme ver-
brauchen im Vergleich zu Röhrenmonitoren
bis zu 70 % weniger Strom. Da sie zugleich
geringere Strahlungswerte aufweisen und
zudem flach und daher platzsparend sind,
werden Röhrengeräte heute praktisch nicht
mehr verkauft. Der geringere Energiever-
brauch rührt daher, dass die Flachbildschir-
me mit Flüssigkristallen arbeiten (LCD).
Wenn diese über Dünnschichtransistoren
angesteuert werden, spricht man von TFT-
Technik (thin film transistor) – das ist die
heute gängige Technik.
22
gen sich zum überwiegenden Teil durch die
Energieeinsparung selbst und zudem wird –
gemäß der neuen DIN V 18599 – gleich ein
Gebäudeenergieausweis erstellt. Bei Schulen
ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit,
Schülern, Lehrern und Eltern das Thema
Energieeffizienz direkt und anschaulich
nahe zu bringen.
› Gemeinsam besser: Netzwerk Energieeffizienz
Energie effizienter nutzen, Kosten senken,
Umwelt und Klima schonen – das sind, grob
umrissen, die Ziele des „Netzwerks Energie-
effizienz“. 2005 stieß die EnBW als bundes-
weit erstes Energieversorgungsunternehmen
dieses Projekt an. Ein Jahr später erfolgte die
Gründung der Netzwerke in Ravensburg
und Mitteldeutschland; 2007 gingen Weser-
Ems, Franken-Oberpfalz und Donau-Alb an
den Start. Fachlich begleitet wird das Mo-
dell, das ohne öffentliche Förderung aus-
kommt, u. a. durch das Fraunhofer-Institut
System- und Innovationsforschung in Karls-
ruhe sowie vom Bereich Forschung und Ent-
wicklung der EnBW.
An einem solchen Netzwerk mit einer Lauf-
zeit von drei Jahren nehmen 10 bis 15 mit-
telständische Unternehmen unterschied-
lichster Branchen aus der selben Gegend
teil. Am Anfang jedes Projekts stehen indivi-
duelle Betriebsbegehungen, um über eine
Energieeffizienz-Diagnose Optimierungs-
potenziale aufzuspüren. Danach treffen
sich die teilnehmenden Firmen im viertel-
jährlichen Turnus. Auf den ersten beiden
Treffen werden die Ergebnisse der Energie-
effizienz-Diagnosen vorgestellt. Beim drit-
ten Mal legen die Unternehmen gemeinsam
ihre Energiesparquote fest; realistisch sind
zwischen 5 und 8 %. Weitere Programm-
punkte der Folgetreffen sind Diskussionen
über geplante oder umgesetzte Maßnah-
men sowie Vorträge etwa über Wärmeerzeu-
gung und -rückgewinnung, Druckluft, Elek-
troantriebe, Kraft-Wärme-Kopplung oder
Wirtschaftsthemen wie Wirtschaftlichkeits-
berechnung, Contracting oder CO2-Handel.
Zwischen den Gesprächsterminen führen
die Netzwerk-Teilnehmer in ihren Betrieben
die für sie relevanten Untersuchungen
und Analysen durch und realisieren die
identifizierten Effizienzverbesserungen.
Unterstützt werden sie dabei durch eine Be-
ratungshotline, die für die gesamte Projekt-
dauer zur Verfügung steht. Zusätzlich kön-
nen Einzelberatungen, Studien, Messungen
oder Informationen über die Beantragung
von Förderungen angefragt werden.
Die Ziele der ersten beiden Pilotprojekte in
Ravensburg und Mitteldeutschland können
sich sehen lassen: Nach deren Beendigung
im Jahr 2009 werden die beteiligten Unter-
nehmen ihre Energieeffizienz um insge-
samt rund 50 GWh pro Jahr verbessert ha-
ben. Dies entspricht einer Verringerung
der CO2-Emissionen von etwa 15 Mio. kg
jährlich.
Zudem unterstützt die EnBW ein For-
schungsprojekt der Deutschen Bundesstif-
tung Umwelt, das ein einheitliches Quali-
tätslevel für Energieeffizienz-Netzwerke
zum Ziel hat. Es soll künftig als Zertifizie-
rungsrahmen für mögliche Anbieter solcher
Projekte dienen sowie Mindestqualitätsan-
forderungen definieren. Als Basis dienen die
Erfahrungen, Methoden und Instrumente
aus den bisherigen Netzwerken.
› Optimal für Großkunden: Forum Energieeffizienz
Mit dem „Forum Energieeffizienz“ bietet die
EnBW ein speziell auf Großkunden zuge-
schnittenes Produkt an, das die Situation
eines Unternehmens fokussiert. Die Haupt-
verantwortung trägt ein vom Kunden einge-
setztes Projektteam; die EnBW unterstützt
im methodischen wie energietechnischen
Bereich und stellt Analyse- und Messverfah-
ren zur Verfügung. Auch hier ist das Spar-
potenzial bemerkenswert: Auf den 2007
durchgeführten Foren bei Mannesmann-
Röhren Mülheim GmbH in Mülheim, bei
der Walter Hundhausen GmbH in Schwerte
sowie Dieckerhoff Guss GmbH in Gevels-
berg wurden Einsparziele von 8 bis 10 %
festgelegt.
25
EnBW-Praxis
› Energiestadt der Zukunft: EnBW EnyCity
EnBW EnyCity ist ein innovatives modu-
lares Planungssystem für die städtische
Energieversorgung in der Zukunft. Das com-
puterbasierte Rechenmodell umfasst das
gesamte urbane Versorgungssystem mit
sämtlichen Rahmenbedingungen und
optimiert die komplette Kette von der
Energieerzeugung und Umwandlung über
Transport und Verteilung bis hin zum End-
verbraucher. Die Planer kombinieren erst-
mals bereits erprobte Systeme und Kompo-
nenten miteinander und beziehen das
gesamte Spektrum der regenerativen und
fossilen Technologien mit ein. Zudem sind
neue bauphysikalische Technologien und
Materialien zur Reduktion des Gebäude-
energiebedarfs Teil der Projektierung.
Neben ökologischen Aspekten – wie der Re-
duktion des Primärenergiebedarfs sowie der
Emissionen – stehen gleichberechtigt öko-
nomische Überlegungen: Die wirtschaftli-
che Bewertung der Gesamtkonzeption eines
urbanen Versorgungssystems berücksich-
tigt den gesamt- und den betriebswirt-
schaftlichen Aspekt sowie die Amortisati-
onsdauer der Investitionen. Damit haben
Entscheidungsträger wie Investoren eine zu-
verlässige Grundlage für eine vorausschau-
ende und nachhaltige Entwicklung urbaner
Räume.
Grundsätzlich kann das EnBW EnyCity-
Konzept auf jede beliebige Stadt angewandt
werden. Bei bestehenden gewachsenen städ-
tischen Strukturen, wie in Deutschland,
erfolgt die Planung auf Basis einer Analyse
des Bestandes. Die Forschungsstelle für
Energiewirtschaft (FfE) hat ermittelt, dass in
deutschen Städten mit mehr als 100.000
Einwohnern im Durchschnitt der Primär-
energiebedarf um 5 % durch die Umsetzung
einer EnBW EnyCity-Planung gesenkt wer-
den könnte. Größere Erfolge wären bei
Stadtneuentwicklungen zu erwarten. Ein
Beispiel hierfür ist der Entwurf einer neuen
Industriestadt an der Ostküste Chinas. Flä-
chenmäßig soll sie im Endausbau etwa dem
Großraum München entsprechen und zirka
850.000 Einwohner haben. Die EnBW hat
die Energieversorgung dieser Stadt in ver-
schiedenen Szenarien komplett durchge-
plant, um die Wirkung des EnBW EnyCity-
Ansatzes für Stadtneubauten zu ermitteln.
Die Planungen decken sowohl zentrale Ver-
sorgungsstrukturen mit Großkraftwerken
ab, als auch stark dezentrale Strukturen mit
vielen kleinen und hocheffizienten Kraft-
Wärme-Kopplungs-Anlagen. Zudem wurden
die regenerativen Potenziale der Region so-
wie Energieeffizienzmaßnahmen berück-
sichtig. Anhand dieses Beispiels konnte auf-
gezeigt werden, dass eine Planung mit dem
integrierten Ansatz des EnBW EnyCity-Kon-
zepts zu einer Energieversorgungsstruktur
mit einem um bis zu 25 % reduzierten Treib-
hausgasausstoß und einem um 30 % gerin-
geren Primärenergieverbrauch führt, vergli-
chen mit dem derzeit in China geltenden
Standard.
› Schulreif: Energiespar-Contracting
Das von der EnBW entwickelte Geschäfts-
modell für Energiesparmaßnahmen bezieht
sich auf kleinere kommunale oder gewerb-
liche Liegenschaften. Allein der Sanierungs-
bedarf bei Schulgebäuden ist groß – schät-
zungsweise 30 % der rund 18.000 Schulen
in Deutschland stehen in den kommenden
zehn Jahren an.
In einem Modellvorhaben wurden von der
EnBW im Verein mit der öffentlichen Hand
und mit wissenschaftlicher Begleitung drei
ausgewählte Schulen saniert mit dem Ziel,
den Energieverbrauch um bis zu 60 bis
80 % zu drosseln. Typische Maßnahmen
waren die Dämmung von Außenwänden,
Kellerdecke und Dach sowie der Ersatz der
Ölkessel durch Gas- oder Pelletheizung, der
Austausch der Heizkreispumpen und die
Optimierung der Heizungsregelung. Die
Modernisierung der Lüftungsanlagen und
der Einbau effizienter Leuchtmittel taten
ein Übriges. Nach dem Abschluss der Arbei-
ten garantiert die EnBW zudem die Ein-
haltung von Verbrauchsobergrenzen für
Brennstoff und Strom.
Auf der Datenbasis bereits realisierter Pro-
jekte können nun bei sanierungsbedürfti-
gen Gebäuden die Schwachstellen belastbar
analysiert, der notwendige Aufwand abge-
schätzt und das Energiesparpotenzial kalku-
liert werden. Das beauftragte Contracting-
Unternehmen übernimmt die Kosten für
Planung, Betreuung und Umsetzung aller
Sanierungsmaßnahmen. Die Finanzierung
des komplexen Dienstleistungspakets er-
folgt über eine längere Laufzeit durch einen
Teil der eingesparten Energiekosten.
Das moderne Finanzierungsmodell des
Energiespar-Contractings birgt diverse Vor-
teile für die Kommunen: Es ist ein Sanie-
rungsanreiz, die baulichen Maßnahmen tra-
24
› Neuer Ansatz: Intelligente Systemplattform fürEnergiedienstleistungen
Die „Intelligente Systemplattform für Ener-
giedienstleistungen“ ist eine Innovation, die
als Schnittstelle zwischen Kunde und Ver-
sorger erstmals Energie- und Datenflüsse
auf einer gemeinsamen Plattform zusam-
menführt. Damit werden Einzelsysteme wie
Mess- und Zählgeräte, Breitband-Kommuni-
kationstechnologien, Endgeräte eines Haus-
halts, Steuer- und Regelsysteme, das Inter-
net sowie Webtechnologien zu einer neuen
integrierten Lösung verbunden.
Der „Intelligente Zähler“, dessen Testphase
2007 mit 1.000 EnBW-Kunden begann, ist
der erste Baustein dieses innovativen Ge-
samtsystems. Er ist ein elektronischer
Stromzähler mit internetbasierter Kommu-
nikationsschnittstelle, der den aktuellen
Stromverbrauch eines Haushalts ermittelt
und in einem für den Kunden individuellen
und geschützten Internetportal sichtbar
macht.
Stromkunden haben das erste Mal Transpa-
renz in Sachen Energieverbrauch. Dieser
wird kontinuierlich gemessen und an das
Rechenzentrum der EnBW übermittelt. Die
Übertragung auf die Systemplattform er-
folgt vollkommen gesichert und unterliegt
dem Datenschutz. Im Rechenzentrum wer-
den die Daten in Echtzeit zu einem zeitlich
aufgelösten Verbrauchsprofil zusammenge-
fasst und mit dem jeweils gültigen Tarif des
Kunden verknüpft.
Über ein Internetportal der EnBW können
unsere Kunden ihren individuellen Strom-
verbrauch abrufen und analysieren. Da-
durch haben sie die Möglichkeit, Geräte mit
hohem Stromverbrauch ausfindig zu ma-
chen, sie auszuschalten oder gar durch effi-
zientere zu ersetzen. Zudem ermöglicht die
„Intelligente Systemplattform“, Steuerbefeh-
le an einzelne Geräte oder Gerätegruppen –
wie etwa Lampen in einem Raum – zu sen-
den. Auch ein optimales Raumklima bei
möglichst niedrigem Energieverbrauch
kann darüber geschaffen werden: Messda-
ten zur Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder
Helligkeit im Raum sind die Grundlage
dafür.
Darüber hinaus informiert die „Intelligente
Systemplattform“ über Schwankungen bei
der Stromnachfrage. Zeitflexible Tarife
schaffen einen Anreiz, den individuellen
Stromverbrauch in Zeiten geringerer Nach-
frage zu verlegen – und somit Kosten zu
sparen.
In dem Pilotprojekt „Preissignal an der
Steckdose“ wird dieser Ansatz der Selbst-
organisation der Kunden durch einen Preis-
anreiz verfolgt: Ein Preissignal versetzt sie
in die Lage, den Einsatz ihrer Geräte von
teuren Spitzenlastzeiten in Zeitfenster mit
günstigen Strompreisen zu verschieben.
Das Preissignal-Konzept besteht aus einem
„Intelligenten Zähler“ im Keller, einer funk-
gesteuerten Strompreisanzeige in der Woh-
nung und einem Internetportal. Bei diesem
Pilotversuch übermitteln wir den 1.000 aus-
gewählten Kunden über den Tag hinweg
dynamische börsenorientierte Stromtarife.
Erste Erfahrungen zeigen, dass diese trans-
parente Darstellung von Verbrauchs- und
Nachfragedaten das Verhalten des Einzel-
nen verändert. Der jährliche Stromver-
brauch eines Haushalts würde auf diese
Weise um rund 6 % sinken. Weiteres Spar-
potenzial bietet die Regelung von Wärme
und Kühlung im Haus sowie die Steuerung
des Stromverbrauchs durch die „Intelligente
Systemplattform“.
27
› Testen, verbessern, weitertesten: Brennstoffzellen
Bereits seit 2002 kooperiert die EnBW mit
den Brennstoffzellenherstellern Hexis, Vail-
lant, Baxi Innotech, Alstom und CFC Solu-
tions, um effiziente und umweltschonende
Lösungen zu entwickeln. In verschiedenen,
langfristig angelegten Testprogrammen bei
Kunden und Partnern wird die Eignung die-
ser Zukunftstechnologie zur Strom- und
Wärmeversorgung im häuslichen, gewerb-
lichen wie auch kommunalen Bereich er-
probt. Da es sich bei den Brennstoffzellen
für die Gebäude-Energieversorgung um un-
verkäufliche Pilotanlagen handelt, hat die
EnBW für diese Pionierkunden ein spezielles
Konzept entwickelt: Die Anlage bleibt im
Eigentum der EnBW und der Kunde bezahlt
nur die Wärmelieferung und einen einmali-
gen Innovationsbeitrag. Alle weiteren Ko-
sten für die Anlage, ihre Wartung, Instand-
haltung usw. zahlt die EnBW.
Brennstoffzellenheizgeräte der heutigen
Generation zeigen deutliche Fortschritte bei
der Lebensdauer des Brennstoffzellensta-
pels sowie bei Größe, Gewicht und Handha-
bung der Anlagen. Eines der Testgeräte, ein
Produkt des Schweizer Herstellers Sulzer
Hexis, erzielte mit fünf Jahren Testlauf und
fast 43.000 Betriebsstunden ein Rekorder-
gebnis. Es wird damit gerechnet, dass es ab
dem nächsten Jahrzehnt in die Serienferti-
gung gehen kann.
Auch die Ergebnisse mit mittelgroßen
Brennstoffzellen für den kommunalen und
industriellen Einsatz können sich sehen las-
sen. So erzeugte die mit Erdgas betriebene
Schmelzkarbonat-Brennstoffzelle im Miche-
lin-Reifenwerk Karlsruhe in drei Jahren mit
4 Mio. kWh eine Rekord-Strommenge für
diesen Anlagentyp, die lange Zeit nicht
übertroffen wurde.
Mit ihrem Engagement für die Brennstoff-
zelle für biogene Brenngase kombiniert die
EnBW zwei zukunftsträchtige Technologien
miteinander und schlägt so die Brücke zu
den erneuerbaren Energien. Ein erstes
Projekt mit weltweitem Pilotcharakter star-
tete im Oktober 2006 in der Vergärungs-
anlage in Leonberg bei Stuttgart mit einer
Schmelzkarbonat-Brennstoffzelle. Im Sinne
von Effizienz und Klimaschutz ist es in
mehrfacher Hinsicht wegweisend: So soll
der hohe elektrische Wirkungsgrad der An-
lage die Stromausbeute gegenüber einem
konventionellen Blockheizkraftwerk um et-
wa ein Viertel erhöhen – und das bei deut-
lich weniger Schadstoffemissionen. Außer-
dem wird auch die Abwärme der Anlage
sinnvoll genutzt: Sie dient zum Trocknen
der Gärreste – ein Prozess, der sonst mit
Heizöl durchgeführt würde.
Noch steht der Einsatz biogener Gase in
Brennstoffzellen technologisch am Anfang.
Schwefel und Spurengase im Brenngas stel-
len eine besondere Herausforderung dar.
Die EnBW möchte Erfahrungen sammeln
und Brennstoffzellen für neue Brenngase
qualifizieren. Deshalb beteiligt sie sich an
einem weiteren Pilotprojekt: In Stuttgart-
Möhringen wird seit November 2007 Klär-
gas aus Faulschlamm gewonnen und in
einer Brennstoffzellen-Anlage verstromt,
die drei bestehende Blockheizkraftwerke
ergänzt.
26
Wind, Sonne, Wasser, Erdwärme und Biomasse
– große Hoffnungen für den Klimaschutz
liegen in der CO2-freien Energieerzeugung
aus erneuerbaren Energien. Entsprechend
befinden sich zahlreiche innovative Produkte,
Technologien und Verfahren in der Entwicklung
und Erprobung. › Erneuerbare Energien
28 29
besonders hohen Anteil erneuerbarer Ener-gien im Energiemix, die zwar wegen der An-fangsinvestitionen zunächst teurer sind alskonventionelle Energien, aber langfristigEnergie ohne laufende Brennstoffkosten lie-fern werden.
2020
Es ist zu erwarten, dass die Spitze der welt-weiten täglichen Fördermenge von etwa 100Mio. Fass Öl überschritten ist, und sich dieMenschheit auf zunächst langsam sinkendeÖlfördermengen einstellen wird. Diese zu-nehmende Verknappung, gepaart mit weitersteigendem Bedarf, wird den Ölpreis auf bis-her ungeahnte Höhe treiben. Daher wird dieVerfeuerung dieses wertvollen, flüssigenRohstoffes zur Energiegewinnung zuneh-mend unwirtschaftlicher. Er wird mehr undmehr nur noch für den Transportsektor sowieals Ausgangsstoff der organischen Chemieeingesetzt. Der hohe Ölpreis wird auch zuheftigen Erhöhungen der Preise von Gas,Kohle und Uran führen, da sich Preise amWeltmarkt nach Angebot und Nachfrage und
nicht nach den Kosten regulieren. Volkswirt-schaften, die sich ein gutes Polster an erneu-erbaren Energien geschaffen haben, werdenStandortvorteile genießen. Der globale Anteilan erneuerbaren Energien ist über 10 % ge-stiegen, ein Anteil von 20 % erscheint aberoptimistisch.
Bis 2020 werden sich in den entwickeltenLändern alle Formen der erneuerbaren Ener-gien, von der Windenergie über Biomasse,Geothermie und Photovoltaik bis zur solar-thermischen Energieerzeugung, einen hefti-gen Wettbewerb um die höchsten Wachs-tumsraten liefern. Wasserkraft wird verstärktgenutzt werden, da es ein idealer und flexi-bler Speicher zur Deckung von Tälern in derStromproduktion aus anderen Quellen ist. DieErzeugung erneuerbarer Energiesystemewird einen der global führenden Wirtschafts-zweige darstellen. Stromnetze werden intelli-gent werden, um die zeitlich fluktuierendeEinspeisung erneuerbarer Energien zu ver-kraften. Endverbraucher werden ihren Ver-brauch auf die zeitlich variierenden Strom-kosten einstellen.
31
Status quo
Erneuerbare Energien machen heute weni-ger als 10 % der globalen Energieerzeugungaus. Den größten Anteil davon haben Wasser-kraft und Biomasse. Zwei wesentliche Ent-wicklungen führen dazu, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren stark ver-ändern wird. Die Gefahr der globalen Klima-veränderung wird mehr und mehr deutlich. Dazu kommt die sich abzeichnende Ver-knappung fossiler Brennstoffe, allen vorandes Rohöls.
Diese Erkenntnis führte in den letzten Jahrenzu einer fundamentalen Änderung der öffent-lichen Meinung. Es wird nun in weiten Krei-sen erkannt, dass eine rasche Umstellungauf erneuerbare Energien das Gebot derStunde ist. In Deutschland wurde dies durchdie Einführung eines Einspeisetarifs politischbesonders effektiv umgesetzt. Er macht dieHerstellung erneuerbarer Energien finanziell
Prof. Eicke Weber ist Leiter des
Freiburger Fraunhofer-Instituts für
Solare Energiesysteme ISE. Mit sei-
nen 23 Jahren Forschungsarbeit in
den USA und seinen Arbeiten zu
Halbleitern hat er sich weltweit einen
Namen gemacht.
Die Erneuerbaren schaffen Standortvorteile
attraktiv, obwohl die Kosten der meisten er-neuerbaren Energien, besonders der Solar-energie, heute noch beträchtlich höher alsdie der fossilen Energien sind. Dies führtedazu, dass besonders Wind- und Solarener-gie in Form der Photovoltaik in Deutschlandeinen unerwarteten Aufschwung nahmen,der z. B. dazu führte, dass die Nachfragenach Solarmodulen die Produktion über-schritt. Die Herstellung des für die Solarzel-len bisher erforderlichen Reinstsiliziumskonnte mit der raschen Kapazitätsauswei-tung der Branche mit jährlichen Zuwachs-raten von 30 bis 50 % einfach nicht schritt-halten.
Durch diese günstigen politischen Rahmen-bedingungen hat Deutschland in den letztenJahren eine weltweit führende Stellung aufdiesem wichtigen Technologiesektor über-nommen. Daher können wir in den kommen-den Jahren einen doppelten Standortvorteilerwarten: als Ort der Innovation in diesemwichtigen Bereich, was sich in Arbeitsplätzebesonders auch im wirtschaftlich schwachenMitteldeutschland umsetzt, und durch einen
30
2050
Die Erdbevölkerung wird ihre Spitze von viel-leicht knapp unterhalb 10 Milliarden über-schreiten und in den folgenden Jahrzehntenzu sinken beginnen. Der Anteil erneuerbarerEnergien wird global auf 50 % oder sogardarüber gestiegen sein. Die genaue Zahlhängt wesentlich davon ab, wann der globaleKlimawandel zur großen Wende in der Auf-merksamkeit der Weltöffentlichkeit führt.Seine Folgen werden die Rettung des Plane-ten, wie wir ihn kennen, als Thema in denMittelpunkt rücken. Firmen und Konzerne,die sich auf die Erzeugung erneuerbarerEnergiesysteme spezialisiert haben, werdeneinen bemerkenswerten Anteil der globalenWertschöpfung erzielen. Einen rasch wach-senden Anteil wird dabei die direkte Nutzungder Sonnenenergie einnehmen, besonders inder Photovoltaik. Bis dahin wird sie durch ei-ne automatisierte Großproduktion bis in denTerrawatt-Maßstab hinein preiswert. Eineglobale Vernetzung der Stromsysteme –basierend auf Hochspannungsgleichstrom-und supraleitenden Leitungen – wird die Ver-
teilung der Solarenergie über weite Distanzenermöglichen. Energiespeichertechnologienwerden sowohl lokale wie dezentrale Energie-speicherung erlauben. Die Umwandlung vonSolarenergie in Wasserstoff wird im groß-technischen Maßstab begonnen haben. DieNutzung von Wind und geothermischer Ener-gie wird globaler Standard sein, ebenso dieenergetische Nutzung der Biomasse, beson-ders der Biomasse, die aus Abfallstoffen ge-wonnen wird. Bis heute noch nicht entdeckteProzesse werden möglicherweise die direkteErzeugung von flüssigen Treibstoffen aus derEnergie der Sonne ermöglichen. Dadurchwird es möglich werden, den globalen jährli-chen Ausstoß an klimaschädlichen Gasenzum Sinken zu bringen. Die entscheidendeAntwort auf die Frage, ob dies noch früh ge-nug geschieht, um einen unwiderruflichenWechsel des Erdklimas zu vermeiden, derdurch Veränderung kritischer Regelkreise wiez. B. der Monsunzyklen oder des Golfstromseintreten kann, ist allerdings aus heutigerSicht nur sehr schwer zu beantworten.
Maximalwirkungsgrad von 29,3 % kommt.
Neben den Siliziumzellen gibt es auch Zel-
len aus anderen Halbleitern, wie Gallium-
Arsenid oder Gallium-Indium-Verbindun-
gen. Diese Verbindungshalbleiter erlauben
die Herstellung von sogenannten „monoli-
thischen Tandemzellen“. Dazu muss man
wissen, dass jeder Halbleiter nur einen
begrenzten Bereich der Wellenlänge des
Sonnenlichts nutzen kann. Tandemzellen
kombinieren deshalb Halbleiter mit ver-
schiedenen Eigenschaften, um das Licht-
spektrum möglichst breit auszunutzen und
so eine maximale Ausbeute zu erzielen. Da-
bei werden Halbleiter mit verschiedenen
Energiebandlücken übereinander gestapelt.
Oben ist der Halbleiter mit der größten
Energielücke, der das Licht für die darunter
liegenden Schichten durchlässt. So können
theoretisch Wirkungsgrade von bis zu 50 %
erzielt werden, 40 % wurden in wissen-
schaftlichen Instituten erzielt. Allerdings
sind die Zellen so teuer, dass sie nur kleinflä-
chig eingesetzt werden können. Da sie aber
zugleich problemlos 500-fach verstärktes
Sonnenlicht nutzen können, bietet sich eine
Kombination der Zellen mit Konzentratoren
an, vor allem Fresnel-Linsen, benannt nach
dem französischen Physiker Augustin Jean
Fresnel (1788 - 1827). Das sind optische Lin-
sen, die das Licht stark bündeln können.
Unstrittig ist unter Experten, dass mittel-
fristig das Silizium weiterhin den Markt
dominieren wird. Zellen aus Dünnschicht-
Silizium werden dabei vermutlich zuneh-
men. Bei diesen wird das amorphe Silizium
auf Glas abgeschieden. Im Wirkungsgrad
kommen sie zwar nicht an ihre Pendants
aus gesägten kristallinen Siliziumscheiben
(Wafern) heran, doch aufgrund ihrer nied-
rigeren Produktionskosten sind sie gleich-
wohl attraktiv. Alternativ werden Dünn-
schichtzellen auch aus Kupfer-Indium-
Diselenid (CIS) gefertigt, sowie aus Kupfer,
Indium, Gallium und Selen (CIGS), oder
auch aus Kupfer, Indium, Gallium, Sulfid
und Selen (CIGSSe).
Visionäre hoffen unterdessen auf photovol-
taisch aktive Substanzen, die als eine Art
Lack einfach und billig auf passendem Un-
tergrund aufgetragen werden können. An-
dere setzen auf Solarzellen mit organischen
Farbstoffen. Bereits in den frühen Neunzi-
gerjahren hatte der schweizerische Profes-
sor Michael Grätzel mit Veröffentlichungen
zur Farbstoffzelle eine Euphorie verursacht,
die sich aber bald als verfrüht erwies. Denn
eine Hürde ist noch der Übergang von klei-
nen Zellen zu großen Modulen, eine andere
die Langzeitstabilität der Farbstoffe.
Einen deutlichen Preisrückgang der Silizi-
umzellen wird in Zukunft möglicherweise
auch die Verwendung „schmutzigen” Silizi-
Im sonnenreichen Südeuropa wird unter-
dessen die Solarstromerzeugung mittels so-
larthermischer Kraftwerke vorangetrieben.
Das sind Anlagen, bei denen die Sonnen-
wärme Dampf erzeugt, der eine klassische
Kraftmaschine antreibt. Das kann mit Para-
bolspiegeln („Solar-Dish”) oder mit Parabol-
rinnen geschehen. Eine attraktive Alternati-
ve könnten Fresnel-Kollektoren werden. Die
Parabolrinne wird dabei durch ein Feld von
der Sonne nachgeführten Flachspiegeln er-
setzt, das die Sonnenstrahlen auf die Sam-
melröhre konzentriert.
33
Wind: Die neuen Riesen
Über Jahre hinweg stand bei der Windkraft-
industrie vor allem die Größe im Fokus –
von Jahr zu Jahr wurden die Anlagen leis-
tungsstärker. Kleine Maschinen mit Leistun-
gen unter 100 Kilowatt standen in den
späten Achtzigerjahren am Anfang der
modernen Windkraft. 1996 überschritt der
Durchschnitt der neuen Maschinen erst-
mals die Marke von 500 Kilowatt, im Jahr
2000 erstmals die Megawatt-Grenze. Und
im Jahr 2007 dürfte die Leistung eines
durchschnittlichen neuen Rotors sogar bei
rund zwei Megawatt liegen, während die
weltgrößten Maschinen bereits eine Leis-
tung von sechs Megawatt erreichen. Bei Na-
benhöhen von über 130 Metern und Rotor-
durchmessern von bis zu 126 Metern gerät
die Technik damit jedoch langsam an die
Grenzen des Wachstums. Entsprechend ste-
hen zunehmend andere Ziele im Vorder-
grund als die schiere Größe.
So wird zum Beispiel weiterhin – mitunter
intensiver denn je – an den Flügelprofilen
gearbeitet, die noch lange nicht das physi-
kalische Optimum erreichen. Die Firma
Enercon aus Aurich, Marktführer in
Deutschland, brachte als Vorreiter bereits
modifizierte Rotorblätter auf den Markt, de-
ren Spitzen abgewinkelt sind. Damit nutzen
die Blätter den inneren Teil der Rotorkreis-
fläche besser aus, indem sie eine gleichmä-
ßige Umströmung auf der ganzen Länge des
Blattprofils sicherstellen. Auch sollen die
Rotorblätter weniger anfällig sein für Turbu-
lenzen, bei gleichzeitig geringeren Strö-
mungsgeräuschen. Von Mehrerträgen bis
zu 12 % allein durch die neuen Flügel ist bei
Enercon die Rede.
Auch die Antriebs- und Generatortechnik
entwickelt sich stetig weiter. Neben den
klassischen Maschinen mit Getriebe sind
seit Jahren auch getriebelose Anlagen auf
dem Markt. Bei diesen sind Rotornabe und
Generator direkt miteinander verbunden,
was von Anlagenbetreibern gerne gesehen
wird, weil das Getriebe ein verschleißanfälli-
ges Element ist.
Unterdessen ist in der Generatortechnik in
den letzen Jahren eine gänzlich neue Bauva-
riante aufgekommen. Bisher wurde in den
Generatoren der Stromfluss immer alleine
durch Elektromagneten induziert. Immer
häufiger setzen Ingenieure heute auf eine
Kombination von rotierendem Permanent-
magneten und feststehendem Elektro-
magneten. Diese permanenterregten Syn-
chrongeneratoren verfügen über bessere
Netzeigenschaften, sind um 30 bis 40 %
leichter als vergleichbare Maschinen her-
kömmlicher Bauart und zudem um ein
Viertel kleiner. Außerdem ist ihr Wirkungs-
grad noch einen Hauch besser.
Best Practice
Voraussetzungen für den Bau solcher Hoch-
leistungsmagneten waren neue Materialen
auf Basis so genannter Seltener Erden wie
Neodym, die erst in den vergangenen zehn
Jahren überhaupt hergestellt werden konn-
ten. Erst damit ließen sich Permanent-
magneten fertigen, die nicht nur eine aus-
reichend hohe Energiedichte mitbringen,
sondern auch noch ausreichend stabil sind
gegen Entmagnetisierung.
Die wohl größte Herausforderung für die
Windkrafttechnik ist jedoch der Schritt vom
Land aufs Meer. Neue Formen des Funda-
mentbaus müssen gefunden werden, die
Maschinen werden durch aggressive Salzluft
angegriffen, und der Wartungsaufwand ist
deutlich größer als an Land.
Mit einer kreativen Idee begegnet unterdes-
sen der Hersteller Multibrid dem Thema
Korrosion durch salzhaltige Luft: Am Turm-
fuß seiner Anlagen befindet sich ein Luft-
aufbereitungssystem, das Umgebungsluft
ansaugt und Feuchte und Salz abscheidet.
Mit der aufbereiteten Luft wird dann in
Turm und Gondel ein Überdruck aufgebaut
– so kann Salzluft gar nicht erst in die Ma-
schine eindringen.
Solarenergie: Kampf um niedrigerePreise und höhere Wirkungsgrade
Die Stromgewinnung aus Sonnenlicht wird
effizienter: Vor 25 Jahren erreichten die meis-
ten Solarmodule gerade einen Wirkungs-
grad von 8 %, heute nähern sich einige Seri-
enmodule bereits der 20-Prozent-Marke.
Am effizientesten sind die monokristallinen
Zellen, die aus einem einzigen großen Silizi-
umkristall gesägt werden, und damit über
keine Korngrenzen verfügen; sie kommen
derzeit auf einen Marktanteil von etwa ei-
nem Drittel. Weiter verbreitet, weil billiger
zu produzieren, sind die multi- oder polykri-
stallinen Zellen, die als Module heute Wir-
kungsgrade bis 15 % erreichen. Im Labor
werden höhere Wirkungsgrade erreicht, wo-
bei der Weltrekord der Siliziumzellen bei
24,3 % liegt. Doch der Aufwand wird immer
größer, je näher man dem theoretischen
32
ums bringen, wie es von Professor Eicke We-
ber und seiner Arbeitsgruppe vor wenigen
Jahren in Berkeley vorgeschlagen wurde.
Denn für die Ausbeute der Zellen ist nicht
entscheidend, wie viele Metallatome das
Silizium verunreinigen, sondern wie sie
verteilt sind. Auch Zellen mit einem hohen
Gehalt an Fremdatomen können noch eine
gute Stromausbeute erzielen, sofern die
Störsubstanzen auf wenige Stellen konzen-
triert werden. Mit der Verwendung von
„schmutzigem” Silizium ließen sich nicht
nur die Kosten deutlich senken, sondern
man könnte auch den Engpass an hochrei-
nem Silizium beseitigen.
Gemeinsam ist den beiden Projekten Lan-
dau und Unterhaching, dass sie recht pro-
blemlos vorankamen, und gemeinsam ist
ihnen auch das Verfahren: Beide Kraftwerke
nutzen die hydrothermale Geothermie, also
Wasser aus den Tiefen der Erde. Alternativ
dazu gibt es das so genannte Hot-Dry-Rock-
Verfahren (HDR), das im Stil eines Durch-
lauferhitzers das heiße Gestein nutzt. Doch
diese Technik ist schwieriger zu realisieren.
Unterhaching nutzt Tiefenwasser aus 3.300
Meter Tiefe, das in Mengen von 150 Liter
pro Sekunde und mit Temperaturen von
120° C gefördert wird. Eine Dampfturbine,
die wegen der niedrigen Temperatur mit ei-
nem Ammoniak-Wasser-Gemisch läuft, soll
einen Teil der Wärme zu Strom machen.
Kalina heißt das Verfahren, es wird von
Siemens geliefert. Die elektrische Leistung
beträgt 3,4 Megawatt, während zugleich
Niedertemperaturwärme über ein Nahwär-
menetz in der Gemeinde verteilt wird, um
Wohnhäuser und Unternehmen mit Heiz-
energie zu versorgen.
Ähnlich ist die Situation in Landau in der
Pfalz. In 3.000 Meter Tiefe wurde Wasser
mit 155° C vorgefunden, womit das Kraft-
werk nun 2,5 Megawatt elektrische Leis-
tung erzeugen kann. In Landau wird ein so
genannter ORC-Prozess eingesetzt, was für
„Organic Rankine Cycle” steht. Dieser nutzt
ein organisches Medium als Wärmeträger.
Durch die EEG-Förderung können Erdwär-
mekraftwerke wirtschaftlich arbeiten – und
so werden weitere Anlagen folgen. Das Bun-
desumweltministerium spricht aktuell von
rund 150 Projekten, die in Deutschland ge-
plant sind; das Investitionsvolumen soll bei
4 Mrd. Euro liegen. Weltweit sind bereits
Geothermiekraftwerke mit zusammen
9.000 Megawatt elektrischer Leistung in-
stalliert, wobei Italien, die USA, die Philippi-
nen, Indonesien und Mexiko die größten
Erzeuger geothermischen Stroms sind.
Technologisch ist bei der Geothermie unter-
dessen so viel Neues nicht zu erwarten. Die
Bohrverfahren sind aus der Ölexploration
schon weit entwickelt, die obertägige Kraft-
maschinentechnik ist mit Kalina und ORC
auch weit fortgeschritten, wenngleich Kali-
na noch Betriebserfahrung braucht. Weil
hydrothermale Geothermiestandorte in
Deutschland nur 4 % des Potenzials ausma-
chen, besteht das Enwicklungspotenzial der
geothermischen Stromerzeugung darin, die
Verfahren für die Erschließung des übrigen,
standortunabhängigen Anteils weiterzuent-
wickeln und wirtschaftlich zu machen. Gro-
ße Erwartungen ruhen darauf, noch tiefere
Gesteinsschichten mit höheren Temperatu-
ren zu erschließen und gleichzeitig das Ge-
stein mit speziellen Verfahren noch durch-
lässiger zu machen.
Stromspeicherung: Von derBatterie bis zum Salzstock
Anders als die Geothermie sind die meisten
anderen erneuerbaren Energien abhängig
vom Wetter. Folglich denken Ingenieure
über vielfältige Speichertechniken für
Strom nach. Dazu zählen zum Beispiel neu-
artige chemische Batterietypen auf Vana-
diumbasis (Redox-Flow-Batterien), deren
Baugröße und damit Speicherkapazität fast
beliebig aufzustocken ist. Außerdem werden
Superkondensatoren entwickelt, und auch
supraleitende Spulen, in denen der Strom
widerstandsfrei zirkuliert – und damit ge-
speichert werden kann. Unterdessen werden
im Sektor der Notstromversorgung bereits
Schwungräder eingesetzt, die auf zigtau-
send Umdrehungen pro Minute beschleu-
nigt werden, um beim Abbremsen binnen
Sekundenbruchteilen Strom zu liefern.
Darüber hinaus gibt es die Variante, Wind
mittels Druckluft in norddeutschen Salz-
stöcken einzulagern. Ein solches Projekt ist
bei der EnBW in Planung. Und schließlich
steht natürlich immer wieder auch die Spei-
cheroption Wasserstoff im Raum. Die kos-
tengünstigste Art, große Leistungen und
auch große Energiemengen mit hohen Wir-
kungsgraden zu speichern, ist jedoch nach
wie vor die Nutzung der Wasserkraft in
Pumpspeicherkraftwerken. Doch auch hier
ist das Potenzial in Deutschland begrenzt.
Die Erzeugung von Strom in solaren Wär-
mekraftwerken (Solarthermie) kann durch
eine innovative Möglichkeit der Wärmespei-
cherung neuerdings auch in sonnenlosen
Stunden weiterlaufen. Dazu wird die Wärme
in Salzen gespeichert, die bei niedrigen
Temperaturen schmelzen. Die Salze können
die Wärme bei Bedarf wieder freisetzen.
Speicher können aber auch auf der Verbrau-
cherseite gefunden werden. Große Kühlhäu-
ser zum Beispiel – sie können über Stunden
ohne Strom auskommen, weil sie die Kälte
speichern – erhalten bevorzugt dann den
Strom, wenn er reichlich zur Verfügung
steht.
35
Biomasse: Speicherfähigkeit als großer Vorteil
Die Biomassenutzung wurde in Deutsch-
land zuletzt stark ausgebaut. Im Jahr 2006
wurden in Deutschland fast 17 Mrd. Kilo-
wattstunden Strom aus Biomasse gewon-
nen, darunter gut 10 Mrd. aus Holz, über 5
Mrd. aus Biogas, und rund 1 Mrd. aus Pflan-
zenöl. Der Anteil der Biomasse am nationa-
len Strommix lag zuletzt bei rund 3 %.
Auch technologisch ist die Nutzung von
Bioenergie inzwischen weit fortgeschritten.
Vor allem die Veredelung von Biogas zu Bio-
methan – also zu Gas mit der Qualität von
Erdgas – und die anschließende Einspeisung
des Gases ins konventionelle Erdgasnetz gel-
ten als zukunftsweisend. Eines der ersten
Beispiele dieser Art in Deutschland ist eine
Biogasanlage im bayerischen Pliening, die
seit Ende 2006 in Betrieb ist. Ein anderes
Beispiel ist eine Anlage in Zürich, die Grün-
abfälle aus der Biotonne vergärt, um das
Gas ins Verteilnetz der Gasversorgung
Zürich einzuspeisen.
Damit wird ein Manko vieler heutiger Bio-
gasanlagen behoben: Sie nutzen die anfal-
lende Wärme nur unzureichend, weil oft
nicht genügend Abnehmer vor Ort vorhan-
den sind. Wird das Gas jedoch über das Erd-
gasnetz zu einem Verbraucher geleitet, der
die anfallende Wärme komplett nutzen
kann, erhöht sich die energetische Gesamt-
ausbeute deutlich.
Die Aufbereitung des Biogases ist zwar heu-
te technisch gut beherrschbar, aber sie ist
aufwendig und lohnt sich somit nur bei
Großanlagen. Denn das Rohgas, das mit
rund 60 bis 65 % Methananteil aus dem
Gärreaktor kommt, muss auf Erdgasqualität
gereinigt werden. Hierzu wird vor allem CO2entfernt, das Gas entfeuchtet und von Spu-
rengasen wie Schwefelwasserstoff befreit.
Der Ausbau der Bioenergienutzung benötigt
viel Sensibilität – auch in anderer Hinsicht.
Denn durch die Flächenkonkurrenz von Bio-
energie und Nahrungsmitteln drohen Fehl-
entwicklungen. Um der Verknappung im
Lebensmittelsektor zu begegnen, denken
Forscher über neue organische Rohstoff-
quellen nach. Am Institut für Technische
Chemie des Forschungszentrums Karlsruhe
werden gleich zwei verschiedene Verfahren
entwickelt: Das eine setzt auf feste Biomas-
se, wie Stroh und Holz, und nutzt ein zwei-
stufiges Verfahren aus Pyrolyse und Ver-
gasung. Das andere soll feuchte Biomasse –
wie Klärschlämme, Abfälle aus der Nah-
rungsmittelindustrie, Algen und konta-
minierte organische Abwässer aus der In-
dustrie – auf dem Wege der Vergasung ver-
werten. Am Ende soll von der Biomasse vor
allem eines übrig blieben: Wasserstoff.
Geothermie: Erneuerbare Energie für die Grundlast
Die Geothermie hat grundsätzlich ein riesi-
ges Potenzial. Und die rein thermische Nut-
zung hat – zum Beispiel bei Thermalquellen
– auch eine lange Tradition. Schwieriger je-
doch ist die Stromerzeugung aus Erdwärme,
weil die Temperaturen häufig zu niedrig
sind für den effizienten Betrieb einer
Turbine.
Doch seit dem Jahr 2004, als im Erneuerba-
re-Energien-Gesetz (EEG) auch für Strom
aus Geothermie attraktive Fördersätze defi-
niert wurden, ist auch auf diesem Sektor ei-
niges in Bewegung geraten. Gleichwohl ist
die Tiefengeothermie nach wie vor ein
schwieriges Metier. Die Geologie ist nicht
so berechenbar, wie man es sich wünscht:
Fließt weniger Wasser im Untergrund als er-
hofft, oder sind die Temperaturen geringer,
ist die Wirtschaftlichkeit eines Projektes
schnell dahin. Oder es gibt Probleme, wie in
Basel, wo die Arbeiten an einem Geother-
miekraftwerk für unbestimmte Zeit ausge-
setzt wurden, nachdem sie mehrere Erd-
stöße ausgelöst hatten.
Doch es gibt auch erfolgreiche Projekte,
zwei sind bereits weitgehend vollendet: In
Landau in der Pfalz und in Unterhaching bei
München ging im Herbst jeweils ein Erdwär-
mekraftwerk in Betrieb. Es waren die ersten
beiden großen Projekte in Deutschland. Zu-
vor lieferte lediglich eine kleine Anlage
Strom, die im November 2003 mit 230 Kilo-
watt in Neustadt-Glewe in Mecklenburg-
Vorpommern ans Netz ging.
34
› Bestens erforscht: Soultz-sous-Forêts
Mit ihrem Engagement am Standort Soultz-
sous-Forêt im Oberrheingraben hat die
EnBW Zugang zu einem der wichtigsten
geothermischen Forschungsstandorte in
Europa. Nach 20 Jahren intensiver Erfor-
schung des Untergrunds begann dort im
Sommer 2007 der Bau des oberirdischen
Kraftwerks. Es wurde im Frühjahr 2008 in
Betrieb genommen.
In Soultz handelt es sich um ein EGS-System
(Enhanced Geothermal System, auch Hot-
Dry-Rock-Verfahren genannt). Es wurden
drei Bohrungen auf rund 5.000 Meter Tiefe
abgeteuft. Eine Bohrung dient zur Injektion
von Wasser, das – wie bei einem Durchlauf-
erhitzer – vom heißen Granitgestein auf et-
wa 200° C erwärmt und über Pumpen durch
die anderen zwei Bohrschächte wieder an
die Oberfläche gebracht wird. Da die Förde-
rung ein neuralgischer Punkt ist, schließlich
stellen Temperaturen, Förderraten und Mi-
neralgehalt höchste Ansprüche an Material
und Technik, kommen in Soultz-sous-Forêts
verschiedene Pumpsysteme zum Einsatz.
Damit sollen vielfältige Erkenntnisse zur
Weiterentwicklung dieser Technologie ge-
wonnen werden.
Als Kraftprozess wird ein „Organic-Rankine-
Cycle“ installiert, der für die Stromerzeu-
gung aus Niedertemperaturquellen opti-
miert wurde: Im Wärmetauscher gibt das
heiße Tiefenwasser seine Wärme an das or-
ganische Arbeitsmedium Isobutan ab, das
verdampft und in der Turbine entspannt
wird. Das Kraftwerk erzeugt eine elektrische
Leistung von 1,5 MW. Damit sollen schon
2008 etwa 3.500 elsässische Haushalte mit
Strom aus Erdwärme versorgt werden.
› Geologischer Glücksfall: Bruchsal
Im Januar 2008 wurde in Bruchsal der
Grundstein für das erste Geothermie-
Kraftwerk in Baden-Württemberg gelegt.
Es hat eine Leistung von 550 Kilowatt und
soll ab Herbst 2008 rund 1.000 Haushalte
mit CO2-frei erzeugtem Strom versorgen.
Das Gemeinschaftsprojekt von EU, Bund
und Land sowie der Energie- und Wasserver-
sorgung Bruchsal datiert ins Jahr 1983 zu-
rück. Die beiden Bohrungen erfolgten noch
im selben Jahr und 1984/85. Danach ruhte
das Vorhaben bis 2001 – da machte die För-
derungsmöglichkeit durch das Erneuerbare-
Energien-Gesetz geothermischen Strom
wirtschaftlich wieder interessant. 2005 kam
die EnBW mit ins Boot. Das Projekt hat ein
Gesamtinvestitionsvolumen von etwa 17
Mio. Euro; die EnBW beteiligt sich daran mit
rund 6,5 Mio. Euro.
Bruchsal ist ein geologischer Glücksfall: Bei
Bohrungen stieß man in 1.900 und 2.500
Meter Tiefe auf eine hydrothermale Quelle
mit einer Temperatur von rund 130° C.
Hydrothermale Systeme machen nur etwa
4 % des gesamten Erdwärmepotenzials in
Deutschland aus. Im Gegensatz zu anderen
Geothermie-Systemen kann man bei ihnen
auf das am Standort bereits vorhandene
Grundwasser zurückgreifen. Dafür stellt das
Bruchsaler Projekt die Betreiber vor Heraus-
forderungen anderer Art: Im Gegensatz zu
konventionellen Kreisläufen mit reinem
Wasser sowie auch Geothermie-Vorhaben
mit Thermalwasser ist das Bruchsaler Ther-
malwasser außerordentlich stark minerali-
siert und salzhaltig. Besonderes Augenmerk
gilt deshalb der Wasserchemie und der
Wechselwirkung zwischen Thermalwasser
und verwendeten Werkstoffen.
37
EnBW-Praxis
› Geothermie: Der Ofen unter unseren Füßen
Die Erdwärme kann wegen ihres hohen Po-
tenzials mittel- bis langfristig eine wichtige
Rolle für unsere Wärme- und Strombereit-
stellung spielen. Dies gilt für Baden-Würt-
temberg in besonderem Maß. Hier findet
man schon zirka 15 % aller deutschen Erd-
wärmeheizungen; dennoch ist das techni-
sche Potenzial bisher aber noch nicht ein-
mal zu 1 % ausgeschöpft.
Die EnBW möchte die Nutzung der Erdwär-
me zum Heizen in Theorie und Praxis wei-
terentwickeln. Entsprechend unterstützt sie
die Universität Karlsruhe mit einer Stif-
tungsprofessur für Geothermie. Darüber
hinaus will sie Erfahrungen bei der Errich-
tung und dem Betrieb von Geothermie-
Kraftwerken gewinnen und dazu beitragen,
dass Strom aus der Erde wirtschaftlich wird.
Die positiven Effekte dieses Engagements
liegen auf der Hand: Einsparung von Pri-
märenergie, Reduktion der CO2-Emissionen
und neue Arbeitsplätze im Land.
› Oberflächennah: Erdwärme zum Heizen
Im oberflächennahen Bereich – mittels Wär-
mepumpe mit Erdsonde, die zwischen 100
und 400 Meter tief reicht – gehört die Nut-
zung der Erdwärme quasi zum Tagesge-
schäft. Bei Neubauten der EnBW wird ihre
Umsetzung standardmäßig geprüft. So
erhielten sowohl das Logistikcenter in Her-
renberg als auch das neue Bürocenter in
Biberach jeweils 40 Erdwärmesonden zum
Heizen und Kühlen. Und die Erdwärme-
anlage der EnBW-City, dem künftigen Stutt-
garter Verwaltungsbau für rund 2.000 Be-
schäftigte, war zum Zeitpunkt ihrer Errich-
tung mit 13.000 Metern Sondenlänge die
größte in Deutschland.
Mit dem EnBW-Förderprogramm „Geother-
mie“ unterstützen wir die Verbreitung der
Erdwärmeheizung in Ein- und Zweifamilien-
häusern. Ende 2007 waren fast 1.800 Anträ-
ge bewilligt, 852 davon stammen aus dem
Jahr 2006. Mit einer Erdwärmeheizung kön-
nen durchschnittlich 1,8 t CO2 pro Jahr ein-
gespart werden. Eine Nummer größer, aber
mit Bohrtiefen unter 400 Metern auch zur
„Untiefen Geothermie“ zählend, sind die
Pilotprojekte „Kalte Nahwärme“ in March
Hugstetten oder die CO2-Sonde in Triberg.
Die innovative Versorgungslösung via Wär-
mepumpen im Neubaugebiet March um-
fasst 154 Häuser bzw. Wohneinheiten. Aus
einer dezentralen Brunnenanlage wird war-
mes Grundwasser zu den Häusern geführt
und dann wieder in die Erde zurückgeleitet.
Im Schwarzwaldort Triberg erprobt die
EnBW eine neuartige, mit CO2 gefüllte Erd-
sonde. Ihr besonderer Vorteil: Sie kommt –
im Gegensatz zu den bisherigen, mit Sole
gefüllten Sonden – ohne Umwälzpumpe
aus. Mit ihrer CO2-Befüllung ist sie beson-
ders umweltfreundlich und empfiehlt sich
speziell auch für Gebiete mit erhöhten An-
forderungen an den Grundwasserschutz.
› Heißes Eisen: Tiefengeothermie
Ganz andere Möglichkeiten – etwa die direk-
te Wärmenutzung oder die Stromerzeugung
– bietet die Tiefengeothermie mit Bohrun-
gen bis zu 5.000 Metern. Allerdings sind
auch die Herausforderungen größer: Ist das
Reservoir erst einmal erschlossen, stellen
Temperaturen, Förderraten und Mineralge-
halt des Thermalwassers hohe Anforderun-
gen an Pumpentechnik und Material. Auch
Rückschläge gehören zum Geschäft. Im
Geothermieprojekt Basel traten nach Fertig-
stellung der ersten Bohrung im Dezember
2006 beim Einpressen von Wasser Erdstöße
auf. Die Wasserinjektion zur Herstellung des
unterirdischen Wärmetauschers wurde un-
terbrochen und die Ursachenforschung ein-
geleitet. Die Untersuchungsergebnisse wer-
den gegen Ende des Jahres 2008 erwartet.
Die EnBW beteiligt sich an diesem Projekt
über ihre Tochtergesellschaft Energiedienst
Holding. Geplant ist ein geothermisches
Kraftwerk zum langjährigen, kommerziellen
Betrieb mit 6 MW elektrischer und 17 MW
thermischer Leistung samt Fernwärmeaus-
kopplung.
36
› Holzasche: Zurück zu den Wurzeln
Gemeinsam mit der Forstlichen Versuchs-
und Forschungsanstalt Baden-Württemberg
hat die EnBW 2007 ein dreijähriges Pilotpro-
jekt gestartet zur Weiterverwendung von
Feuerraum-Holzasche aus Biomasse-Heiz-
kraftwerken.
Asche aus Waldholz hat einen besonders ho-
hen Calcium-, Kalium- und Phosphorgehalt.
Mit Kalk vermischt, soll diese als Dünger
wieder im Wald ausgebracht werden. Damit
gelänge die Schließung des Nährstoffkreis-
laufs bei Waldholz in der energetischen Nut-
zung, kostspieliger Dünger würde gespart
und Biomassekraftwerke mit reinem Wald-
holzeinsatz hätten einen gesicherten Ent-
sorgungsweg.
› Strom auf Vorrat: Adiabater Druckluftspeicher
Die EnBW prüft unter anderem mit Unter-
stützung des Landes Niedersachsen die
Möglichkeit, den weltweit ersten adiabaten
Druckluftspeicher zu entwickeln und zu er-
richten. Die norddeutsche Tiefebene bietet
aufgrund ihrer Salzlagerstätten ideale geo-
logische Voraussetzungen für die Aushöh-
lung großer unterirdischer Speicherkaver-
nen für Druckluft. Wenn der Ausbau der
erneuerbaren Energien – im norddeutschen
und nordeuropäischen Raum vor allem der
Windkraft – mittelfristig die Integration ef-
fizienter und logistisch sinnvoller Energie-
speicher in das Versorgungssystem notwen-
dig macht, sind adiabate Druckluftspeicher
eine interessante Option.
Die Erzeugung von Energie aus Windkraft
ist nicht steuerbar. So kann es bei starkem
Wind und geringem Strombedarf zu einem
Ungleichgewicht zwischen Angebot und
Nachfrage kommen. Diese Unterschiede
werden künftig in dem Maße zunehmen,
wie das Angebot an Windstrom wächst.
Große Energiespeicher, wie adiabate Druck-
luftspeicher, könnten diese Diskrepanz
ausgleichen.
Erste Versuche, Strom in Form von Druck-
luft in Kavernen zu speichern, gibt es seit
den Siebzigerjahren. In diesen Speicher-
kraftwerken wird die gespeicherte Druckluft
als Verbrennungsluft zum Antrieb eines
Gasturbinenkraftwerks verwandt. Dabei
entstehen CO2-Emissionen, und der Wir-
kungsgrad liegt bei lediglich 54 %. Die
daraus resultierenden wirtschaftlichen
und ökologischen Nachteile stehen einer
Markteinführung dieser Anlagen im Wege.
Der adiabate Druckluftspeicher der EnBW
soll Strom in Form von Druckluft und Wär-
me speichern. Die Ausspeicherung des
Stroms erfolgt ohne CO2-Emissionen und
mit einem Wirkungsgrad von 70 %. Dabei
werden erstmals alle Systeme zur Luftkom-
pression, Wärmespeicherung, Druckluft-
speicherung und Stromerzeugung mit
Druckluft zu einer einzigen, technisch opti-
mierten Speicheranlage zusammengeführt.
39
Neuland ist auch die Kraftwerkstechnik:
Aufgrund der Thermalwassertemperaturen
soll mit dem Kalina-Prozess eine Technik
zum Einsatz kommen, die weltweit bisher
nur in ein paar Anlagen angewandt wird.
Während Dampfkreisläufe in konventionel-
len Kraftwerken mit Temperaturen bis zu
600° C arbeiten, steht das Bruchsaler Ther-
malwasser am Kraftwerk nur mit 118° C zur
Verfügung. Da sich Wasser als Medium für
einen Prozess mit so niedrigen Temperatu-
ren nicht eignet, zirkuliert statt dessen ein
Ammoniak-Wasser-Gemisch als Arbeits-
medium. Dieses minimiert die Wärmeüber-
tragungsverluste von Thermalwasser auf
den Kraftwerksprozess.
› Optimale Wertschöpfung: Erdgas aus Biomasse
Im Sommer 2007 begann die EnBW-Toch-
tergesellschaft Erdgas Südwest in Burgrie-
den bei Laupheim mit dem Bau der ersten
Anlage zur Biogaseinspeisung in Baden-
Württemberg. Eine Erzeugungsgemein-
schaft von 22 Landwirten der Region errich-
tete die zugehörige Biogasanlage mit einer
Jahreserzeugung von 5,1 Mio. m³ Biogas aus
Energiepflanzen und landwirtschaftlichen
Reststoffen. Die technische Basis für dieses
Pilotprojekt bilden Vorstudien über die ge-
samte Erzeugungskette von der Substrat-
über die Biogaserzeugung, den Gastrans-
port zur und von der Gasaufbereitung und
die Aufbereitung selbst. Sie wurden vom
Bereich Forschung und Entwicklung der
EnBW in Zusammenarbeit mit den Univer-
sitäten Hohenheim und Karlsruhe erstellt.
Seit dem Frühjahr 2008 werden 2,8 Mio. m³
biogenes Erdgas jährlich ins Netz einge-
speist. Diese Menge reicht zur Versorgung
von 1.000 Haushalten.
Das Projekt zeichnet sich durch eine be-
sonders nachhaltige und wirtschaftliche
Organisation der Wertschöpfungskette vom
Landwirt bis zum Biogasnutzer aus. Darüber
hinaus werden hier erstmals in Deutschland
die bei der Gasreinigung entweichenden kli-
maschädlichen Methangase aufgefangen
und – energiesparend – zur Heizung der
Fermenter genutzt. Die Gasreinigung er-
folgt über eine so genannte flammlose Oxi-
dation; ein Verfahren, das an der Universität
Stuttgart entwickelt wurde. Normalerweise
entweichen mit dem aus dem Biogas abge-
trennten Kohlendioxid auch geringe Men-
gen Methan, die in dieser schwachen Kon-
zentration nicht mehr brennbar sind. Durch
das neue Verfahren können selbst diese
Schwachgase mit Hilfe von kleinen Mengen
eines Zusatzbrennstoffes nachverbrannt so-
wie die Wärme energetisch genutzt werden.
Der Einsatz einer solchen Schwachgasver-
brennung ist die erste dieser Art in einer
Biogasaufbereitungsanlage.
38
Bei der Verbrennung fossiler Energien wie
Kohle und Gas werden klimaschädliche
Treibhausgase freigesetzt. Umso wichtiger ist
es, dass höhere Wirkungsgrade und neue
Brennstoffe die Kraftwerke effizienter machen.
Im Fokus ist auch die potenzielle Abspaltung
und Lagerung von CO2. Hier gibt es viel
Forschungsbedarf. › Fossile Energien
40 41
Ausblick 2020
Zur Effizienzsteigerung kommt in einemzweiten wichtigen Innovationsschritt die weit-gehende Vermeidung von CO2-Emissionenbei der fossilen Stromerzeugung hinzu. Inden nächsten Jahren entstehen erste Pilot-und Demoanlagen, die das bei der Verbren-nung entstehende CO2 abtrennen und dasklimaschädliche Gas in unterirdische Lager-stätten, beispielsweise leere Gaskavernen,einbringen, wo es dauerhaft gespeichertwird. Diese Technik wird etwa ab dem Jahr2020 marktreif zur Verfügung stehen.
So lassen sich ab dem Jahr 2020 durch einenintelligenten Energiemix aus effizient undCO2-arm erzeugtem Strom von fossilenEnergieträgern, ergänzt durch einen hohenAnteil regenerativer Energien, die Emissions-grenzwerte einhalten, die notwendig sind, umdas so genannte „2 Grad“-Ziel zu erreichen.Darunter versteht man die durchschnittlicheErwärmung der Erde um nicht mehr als 2 Grad Celsius seit Beginn der Industriali-sierung.
Szenario 2050
Ein Leben ohne elektrische Energie ist nichtmehr vorstellbar. Strom als sicherer, effizien-ter und vor allem sauberer Energieträgerwird immer wichtiger. Bereiche wie Verkehrund Gebäudewärme, die heute noch direktfossile Energieträger nutzen, werden nahezukomplett auf elektrische Energie umsteigen.Der daraus folgende, enorme Energiebedarfdeckt sich dann aus unterschiedlichen Quel-len: Den Hauptanteil stellen weiterhin die fos-silen Kraftwerke. Mit einer serienreifen undim Markt durchgesetzten Technik zur Ab-scheidung und Lagerung von CO2 liefern sieden größten Beitrag zu einer klimafreundli-chen und zuverlässigen Energieversorgung.Weitere mögliche Energiequellen, wie zumBeispiel Methan, das in gefrorenem Wassereingelagert ist (so genanntes Methanhydrat)und von dem es große Mengen quer über dieWeltmeere verteilt gibt, sind zwar noch Ge-genstand erster Forschungsarbeiten, aber ihrPotenzial zur weltweiten Energieversorgungist heute bereits ebenso anerkannt wie dasvon anderen Energieträgern.
43
Ein größerer Bedarf an elektrischer Energie,der aus fossilen Ressourcen gedeckt wird,bedeutet nicht zwangsläufig auch eine größe-re Belastung der Umwelt und damit eine Be-schleunigung des Klimawandels. Schon mitder heute verfügbaren Technologie ist esmöglich, bei der Verbrennung von fossilenBrennstoffen erhebliche Mengen CO2 einzu-sparen. Und die Innovationskurve zeigt weitersteil nach oben. Ziel der Forschung ist, mitbesonders effizienten Kraftwerken einenmöglichst hohen Wirkungsgrad und damit eine maximale Energieausbeute zu erzielen.
Ein paar Beispiele in Zahlen: Lag der Wir-kungsgrad eines Braunkohlekraftwerks vor25 Jahren noch bei 36 %, so sind heute be-reits 43 % Standard. Für das Jahr 2020 wer-den bei Braun- und SteinkohlekraftwerkenWirkungsgrade von 50 % und mehr ange-strebt. Hohes Effizienzpotenzial haben vor al-lem Gas- und Dampfkraftwerke (GuD). DieKombination aus einer Gasturbine und einermit den heißen Abgasen angetriebenenDampfturbine ist bereits heute eine beson-ders effiziente Kraftwerkstechnik. Anlagen
Dr. Michael Süß ist Maschinenbauer
und leitet als Vorstandsvorsitzender
bei Siemens den Bereich „Fossil
Power Generation“. Er ist überzeugt,
dass fossile Energieträger mit inno-
vativer Technik künftig die weltweite
Energieversorgung klimafreundlich
sicherstellen.
Fossile Energien – Brennstoffe für die Zukunft
mit 58 % sind derzeit Stand der Technik undjedes Prozent mehr an Wirkungsgrad redu-ziert die CO2-Emissionen nochmals deutlich.Derzeit laufen beispielsweise Entwicklungs-arbeiten und Tests für eine GuD-Anlage mitüber 60 % Wirkungsgrad. Die zwei Prozent-punkte Effizienzsteigerung sparen künftig proAnlage bis zu 40.000 Tonnen CO2-Emissionenim Jahr. Diese Menge an CO2 entspricht denEmissionen von etwa 10.000 Mittelklasse-wagen bei einer jährlichen Fahrleistung von20.000 Kilometern!
Gasturbinen haben neben ihrer hohen Effi-zienz noch einen weiteren Vorteil: Sie sindsehr flexibel und liefern schnell Strom, etwawenn bei Flaute keine Windenergie zur Verfü-gung steht oder kurzfristig hoher Strombe-darf herrscht. Flexibilität und Effizienz sinddaher die Schlüsselbegriffe. Würden bei-spielsweise alle fossil befeuerten Kraftwerkeauf die derzeit verfügbare Technik mit hohemWirkungsgrad umgerüstet, so ließen sichweltweit etwa 2,5 Mrd. Tonnen CO2 pro Jahreinsparen, was in etwa der Hälfte der jähr-lichen Emissionen Chinas entspricht.
42
Fakt ist: Was die Evolution in geologischerVorzeit als „Energiekapital“ für uns Men-schen in der Erde hinterlassen hat, nutzenwir künftig mit der gebotenen Effizienz undSparsamkeit, um auch künftigen Generatio-nen dieses Vermögen sowie ein intaktes Klima zu hinterlassen. Öl, Kohle und Gaswandeln ihr Image – vom Brennstoff der Industrialisierung hin zum Energieträger fürunsere Zukunft.
Status quo
Eine der großen globalen Herausforderun-gen des 21. Jahrhunderts ist die sichere,wirtschaftliche und vor allem klimafreund-liche Versorgung mit elektrischer Energie.Der Hunger nach Strom ist enorm. Bis 2030wird nahezu eine Verdopplung des heutigenStrombedarfs erwartet. Den Hauptanteil imEnergieträgermix stellen dabei auch in denkommenden Jahrzehnten fossile Brennstof-fe, vor allem Kohle und Gas. Die wirtschaft-lich lohnende Förderung von Öl und Gas wirdderzeit für die nächsten 60 bis 70 Jahre pro-gnostiziert. Bei Kohle sind es etwa 200 Jah-re. Und die Reserven dieser Energieträger,die sich mit künftigen Technologien weitererschließen lassen, reichen sogar nochdeutlich länger.
spezifischen CO2-Emissionen eines sol-
chen Kraftwerks liegen bei knapp über
700 g/kWh – was einer Reduzierung des
CO2-Ausstoßes um 24 % entspricht.
Bei den genannten Dampfparametern kön-
nen Eisen-basierte Werkstoffe nicht mehr
eingesetzt werden. Eine Möglichkeit, diesem
Problem zu begegnen, ist der Einsatz von
Nickel-Basiswerkstoffen, die den hohen An-
forderungen genügen.
Die europäischen Kraftwerkshersteller und
Energieversorgungsunternehmen haben
weltweit eine Vorreiterrolle bei der Entwick-
lung des 700°-Kraftwerks mit höchsten
Dampfparametern und höchstem Wir-
kungsgrad. So werden in Zusammenarbeit
aller Beteiligten zwei Versuchsanlagen be-
trieben, bei denen in den Kraftwerken
Esbjerg, Dänemark und Scholven, Deutsch-
land, Materialproben und einzelne Kompo-
nenten unter realistischen Bedingungen im
Kraftwerksalltag getestet werden.
Darüber hinaus beschäftigen sich die betei-
ligten Unternehmen mit dem Design und
der Auslegung eines ersten 700°-Kraftwerks
im Großkraftwerksmaßstab. Hierbei stehen
vor allem Fragen zum Bau des Kraftwerks,
zur Auslegung und Anordnung der einzel-
nen Komponenten, den zu erwartenden In-
vestitionskosten aber auch Betrachtungen
zu den Kosten des Kraftwerksbetriebs im
Mittelpunkt der Arbeiten.
Begleitende Forschungsvorhaben zur Wei-
terentwicklung, Herstellung, Bearbeitung
und Prüfung von Werkstoffen werden in
Deutschland im Rahmen des vom Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technolo-
gie durchgeführten Programms „CO2-Re-
duktionstechnologien für fossil befeuerte
Kraftwerke“ (COORETEC) bearbeitet.
Nach Bewertung des aktuellen Kenntnis-
und Entwicklungsstands ist davon auszuge-
hen, dass die 700°-Technologie nicht vor
2020 vollständig erprobt sein wird. Ein wei-
terer Zwischenschritt vor der kommerziel-
len Markteinführung ist die Errichtung und
der Betrieb eines Demonstrationskraft-
werks.
Feste Brennstoffe: AlternativeKraftwerkstechnologie
Neben der direkten Verbrennung in Dampf-
kraftwerken können feste Brennstoffe zur
Stromerzeugung bei hohen Drücken und
Temperaturen in ein brennbares Gas umge-
wandelt werden. Nach der Entfernung von
Schadstoffen, wie Asche, Stickstoff- und
Schwefeloxid, wird das gewonnene Brenn-
gas in einem konventionellen Gas- und
Dampfturbinenprozess eingesetzt – der
Standard beim Einsatz von Erdgas als
Brennstoff. Diese so genannte „Integrated-
Gasification-Combined-Cycle-Technologie“
(IGCC) wurde weltweit bereits in mehreren
großtechnischen Demonstrationsanlagen
für verschiedene fossile als auch erneuerba-
re Festbrennstoffe umgesetzt.
Das Wirkungsgradpotenzial von kohlegefeu-
erten IGCC-Anlagen wird mit > 45 % ange-
nommen und liegt damit in einem ähnli-
chen Bereich wie die für Dampfkraftwerke
angegebenen Werte. Vorteile der Verga-
sungsanlagen sind im Vergleich zu konven-
tionellen Anlagen niedrigere Emissionswer-
te, eine hohe Flexibilität in Hinblick auf die
eingesetzten Brennstoffe sowie die Möglich-
keit, neben Strom bei Bedarf auch andere
Produkte, wie etwa Wasserstoff oder Kraft-
stoffe für den Kraftfahrzeugsektor, bereit
stellen zu können. In Verbindung mit einer
zukünftig erforderlichen Abscheidung von
CO2 bieten Kohlekraftwerke auf Vergasungs-
basis im Vergleich zu Dampfkraftwerken
wesentliche Vorteile: Aufgrund des unter
Druck stehenden Brenngases kann das darin
enthaltene CO2 durch eine vergleichsweise
einfache physikalische Nasswäsche aus dem
Gas ausgewaschen werden. Nachteilig für
die IGCC-Technologie wirken sich vor allem
um 20 bis 25 % höhere Investitionskosten
aus, die sich aus der Komplexität des Ver-
fahrens sowie den Anforderungen an den
Bau von Druckanlagen ergeben. Außerdem
wiesen die Anlagen bisher eine vergleichs-
weise geringere Verfügbarkeit aus, hatten
also einen relativ hohen Wartungs- und
Reparaturaufwand. Das liegt daran, dass
die IGCC-Technologie in diesen Anlagen
erstmals im Großmaßstab demonstriert
wurde und teilweise komplett neu ent-
wickelte Bauteile und Komponenten zum
Einsatz kamen, die in manchen Fällen nicht
optimal aufeinander abgestimmt sind.
Es gibt aber weltweit eine Vielzahl neuer
Projekte. Sowohl im holländischen Bugge-
num als auch in Deutschland befindet sich
jeweils eine IGCC-Anlage für Biomasse bzw.
Braunkohle in der konkreten Planung und
Umsetzung.
45
Effiziente Großkraftwerkstechnik:Erhöhte Wirkungsgrade
Steigende Rohstoffpreise und politische
Vorgaben zur Minderung von CO2-Emissio-
nen haben neben den Baukosten einen ent-
scheidenden Einfluss auf den wirtschaftli-
chen Betrieb fossil befeuerter Kraftwerke.
Bei der Lösung beider Probleme spielt vor
allem der Wirkungsgrad eines Kraftwerks
eine wesentliche Rolle – also das Verhältnis
zwischen der im Kraftwerk eingesetzten
Energiemenge in Form des Brennstoffs und
der an die Verbraucher abgegebenen Ener-
giemenge in Form elektrischen Stroms. Je
mehr Strom das Kraftwerk aus dem Brenn-
stoff gewinnt, desto effizienter ist es.
Beim Bau von Kohlekraftwerken werden
weltweit mit wenigen Ausnahmen Dampf-
kraftwerke geplant und erbaut. In ihnen
wird Wasser durch Verbrennung von fossi-
len Brennstoffen in einem Kessel verdampft
und weiter erhitzt. Der entstehende Dampf
treibt eine Turbine zur Erzeugung von elek-
trischer Energie an. Der Wirkungsgrad die-
ser Anlagen wird zu großen Anteilen durch
den Druck und die Temperatur des erzeug-
ten Wasserdampfs, den so genannten
Dampfparametern, bestimmt. Sowohl
Druck als auch Temperatur sind durch die
Verfügbarkeit geeigneter Werkstoffe limi-
tiert. Die Forschungsaktivitäten konzentrie-
ren sich also darauf, Materialien und Werk-
stoffe zu finden, die höhere Temperaturen
und Drücke aushalten können. Damit konn-
ten über einen Zeitraum von mehreren
Jahrzehnten nennenswerte Steigerungen
des Wirkungsgrads von Kohlekraftwerken
erreicht werden.
Der mittlere Wirkungsgrad von mit fossilen
Brennstoffen befeuerten Kraftwerken liegt
weltweit bei 31 %. In Deutschland kann für
bestehende Kohlekraftwerke derzeit ein
durchschnittlicher Wert von etwa 38 % an-
gesetzt werden. Das modernste existierende
Steinkohlekraftwerk Deutschlands, das
Heizkraftwerk 2 der EnBW in Altbach, besitzt
Best Practice
einen Wirkungsgrad von maximal 44,2 %.
Der erzeugte Frischdampf steht dabei unter
einem Druck von 248 bar und wird auf eine
Endtemperatur von 545° C erhitzt.
Zur weiteren Erhöhung der Dampfparame-
ter und damit des Wirkungsgrads sollen im
geplanten EnBW-Rheinhafen-Dampfkraft-
werk Block 8 sowie in anderen Neubaupro-
jekten neuartige, verbesserte Werkstoffe
zum Einsatz kommen. Diese hoch legierten
Edelstähle erlauben Drücke von bis zu 275
bar bei Dampftemperaturen von maximal
600° C. Damit können erstmals Wirkungs-
grade von über 46 % erzielt werden. Im Ver-
gleich zum derzeit bestehenden Kraftwerks-
park in Deutschland entspricht dies einer
Verbesserung um 21 %. Die Nutzung dieser
innovativen Technologie ermöglicht eine
Reduzierung der spezifischen CO2-Emissio-
nen von ursprünglich 1.000 g/kWh Strom
auf knapp unter 800 g/kWh.
Seit einigen Jahren sind Forschungsprojekte
darauf fokussiert, den Wirkungsgrad noch-
mals deutlich auf Werte um 50 % und höher
anzuheben. Um diesen Wert bei zukünfti-
gen Kohlekraftwerken erreichen zu können,
muss Dampf mit einem Druck von bis zu
350 bar und Temperaturen um 700° C er-
zeugt und verarbeitet werden können. Die
44
sich vor allem der hohe Energiebedarf zur
Regeneration des Waschmittels, wodurch
sich der Wirkungsgrad des Kraftwerks um
bis zu 15 Prozentpunkte verringert.
Zur Weiterentwicklung der Post-Combusti-
on-Capture-Verfahren steht im dänischen
Kraftwerk Esbjerg eine Pilotanlage zur Ver-
fügung. Weitere Pilotanlagen befinden sich
in der Planung, wobei als Ziele von For-
schungs- und Entwicklungsprojekten die
Optimierung verfahrenstechnischer Details
sowie die Untersuchung neuer Waschmittel
und Mischungen verschiedener Amine im
Vordergrund stehen.
Verfahren, bei denen das CO2 vor dem ei-
gentlichen Verbrennungsschritt abgetrennt
wird, bauen auf dem Prinzip der Kohlever-
gasung oder IGCC-Technologie auf. Das aus
fossilen Festbrennstoffen hergestellte
Brenngas besteht zu wesentlichen Anteilen
aus Wasserstoff (H2), Kohlenstoffmonoxid
(CO) und Kohlenstoffdioxid (CO2). Zur Erzie-
lung hoher Kohlenstoffabscheideraten
muss das im Brenngas enthaltene CO in CO2umgewandelt werden. Dies geschieht im so
genannten „Shift-Reaktor“ in dem CO und
Wasserdampf zu CO2 und Wasserstoff um-
gewandelt werden. Das CO2 wird in einem
folgenden Schritt durch eine Nasswäsche,
beispielsweise mit Hilfe einer wässrigen Me-
thanol-Lösung, ausgewaschen. Das beladene
Waschmittel wird in Anlehnung an die Post-
Combustion-Capture-Verfahren durch
Erhitzung regeneriert, wobei das abzutren-
nende CO2 anfällt. Bei diesem Waschver-
fahren erfolgt lediglich eine physikalische
Bindung des CO2 an die Methanolmoleküle
– mit dem Ergebnis, dass zur Waschmittel-
regeneration wesentlich weniger Wärme-
energie erforderlich ist.
Aktuelle Forschungsschwerpunkte bei der
Entwicklung dieser Technologie sind vor
allem die Aufbereitung und Reinigung der
Brenngase sowie die Modifikation bestehen-
der Gasturbinenbrennkammern für den
Einsatz wasserstoffreicher Brenngase.
Die Wirkungsgradverluste, die mit dem Pre-
Combustion-Capture-Verfahren verbunden
sind, werden mit Werten im Bereich von bis
zu 10 Prozentpunkten beziffert. Die Techno-
logie eignet sich nahezu ausschließlich für
Neubauprojekte, weil ein Umstieg auf die
Kraftwerkstechnologie Kohlevergasung er-
forderlich ist.
Bei Oxyfuel-Verfahren verbrennt man Kohle
nicht mit Luft, sondern mit technisch rei-
nem Sauerstoff. Der Sauerstoff wird im
Kraftwerk durch Zerlegung von Luft gewon-
nen und dem Verbrennungssystem zuge-
führt. Das entstehende Rauchgas enthält
nach der Entfernung von Flugstaub, Stick-
stoff- und Schwefeldioxid im wesentlichen
Wasserdampf und CO2. Der Wasserdampf
wird durch Abkühlen der Rauchgase ent-
fernt und damit fällt nahezu reines CO2 zur
weiteren Vorbehandlung für die Speiche-
rung an. Bei dieser Technologie kann die be-
stehende Dampfkraftwerkstechnologie oh-
ne grundlegende Änderungen beibehalten
werden. Die Wirkungsgradverluste bewegen
sich in einem ähnlichen Bereich wie für die
Verfahren zur Abtrennung des CO2 vor dem
Verbrennungsschritt.
Forschungsbedarf im Bereich des Oxyfuel-
Verfahrens ergibt sich in Verbindung mit
der Bereitstellung des benötigten Sauer-
stoffs, der zur Begrenzung der Verbren-
nungstemperatur benötigten Rückführung
von Rauchgas in die Brennkammer sowie
der Reinheit des anfallenden CO2, da zur
vollständigen Umsetzung des Brennstoffs
ein Überschuss an Sauerstoff bei der Ver-
brennung erforderlich ist.
Generell kann man sagen, dass es derzeit
keine eindeutige Präferenz für eine der
Technologien gibt. Das liegt zum einen an
den unterschiedlichen Kosten der verschie-
denen Verfahren, soweit sie zum jetzigen
Entwicklungsstand miteinander verglichen
werden können. Sie sind alle noch mit er-
heblichen Unsicherheiten behaftet. Zum
anderen liegt es an Randbedingungen und
Vorgaben, die nicht-technischer Natur sind.
Dazu gehören gesetzliche Vorschriften,
Brennstoffpreise und Faktoren, die vom
Standort des Kraftwerks abhängen. Sie ha-
ben wesentlichen Einfluss auf die Wahl der
passenden CCS-Technologie. Dementspre-
chend besteht von Seiten der Forschungs-
förderung als auch von den Kraftwerksher-
stellern und -betreibern der Konsens, alle
zur Verfügung stehenden Technologien
kontinuierlich weiter zu entwickeln und zu
erproben.
47
Leistungsstark: NeuesteGasturbinengeneration
Die Nutzung von Erdgas in einem Gas- und
Dampfturbinen-Kraftwerk (GuD) ist derzeit
die effizienteste Möglichkeit zur Stromer-
zeugung aus fossilen Brennstoffen. Die
erzielbaren Wirkungsgrade der neuesten
Gasturbinengeneration, für die gerade erste
Kraftwerksanlagen erstellt werden, liegen
im Bereich von 60 % und mehr. Erreicht
werden können diese Werte durch eine
schrittweise Optimierung der Gas- und
Dampfturbinentechnologie, wie beispiels-
weise der Verwendung neuer, komplexer
Schaufelgeometrien in der Turbine oder
dem Einsatz aufwändiger Materialkühl-
systeme zur Realisierung höherer Eintritts-
temperaturen bei Gas- und Dampfturbinen.
Gegenstand der Forschung: CO2-Abtrennung
Der Anteil fossil befeuerter Kraftwerke an
den CO2-Gesamtemissionen in Deutschland
beträgt rund 40 %. Durch eine Steigerung
des elektrischen Wirkungsgrads auf Werte
um 50 % können die CO2-Emissionen aus
diesem Sektor um rund ein Fünftel redu-
ziert werden. Die gesamten deutschen CO2-
Emissionen können also durch einen Um-
stieg auf hoch effiziente Kraftwerke um bis
zu 8 % gesenkt werden. Das alleine wird
langfristig nicht ausreichen, um die Emis-
sionsminderungsziele der EU und Deutsch-
lands bei der Energieversorgung erreichen
zu können.
Für eine darüber hinausgehende Absen-
kung der CO2-Emissionen der Kraftwerke
werden aktuell mehrere Technologien zur
Abtrennung des bei der Nutzung kohlen-
stoffhaltiger Brennstoffe anfallenden CO2entwickelt: Das anfallende CO2 soll aufberei-
tet, verdichtet und verflüssigt und in be-
stimmten geologischen Formationen ge-
speichert werden. In Frage kommen etwa
ausgeförderte Erdöl- und Erdgaslagerstätten
sowie tief liegende, Salzwasser führende
Schichten, so genannte saline Aquifere.
Bei den untersuchten Abtrennungsverfah-
ren wird CO2 entweder nach der Verbren-
nung aus den entstandenen Rauchgasen
entfernt (Post-Combustion Capture), vor der
Verbrennung aus dem vorliegenden Brenn-
gas ausgewaschen (Pre-Combustion Captu-
re) oder aber der Brennstoff wird mit rei-
nem Sauerstoff zur direkten Erzeugung von
CO2 verbrannt (Oxyfuel).
Bei Verfahren zur nachgeschalteten Abtren-
nung von CO2 (Post-Combustion-Capture-
Verfahren) stehen vor allem Nasswäschen
unter Verwendung von wässrigen Aminlö-
sungen im Mittelpunkt der Forschungsakti-
vitäten. Bei diesem Verfahren wird das CO2durch Kontakt mit der wässrigen Waschlö-
sung aus dem Rauchgasstrom entfernt und
an die Aminmoleküle gebunden. Die mit
CO2 beladene Waschlösung wird in einem
separaten Behälter durch Dampf erhitzt
und das angelagerte CO2 so wieder freige-
setzt. Das regenerierte Waschmittel kommt
zur erneuten Aufnahme von CO2 in den Ab-
sorber zurück. Vorteile des Verfahrens sind
ein hoher technischer Reifegrad, der aus der
Anwendung dieser Technologie in anderen
Industriebereichen resultiert, sowie seine
vergleichsweise einfache Übertragung auf
die großtechnische Anwendung in fossil be-
feuerten Kraftwerken. Als nachteilig erweist
46
Kilowatt stehen. Die Jahre 2009/2010 die-
nen dem Betrieb und der Optimierung; für
die restliche Zeit bis Ende 2011 sind Unter-
suchungen geplant zur technischen und
wirtschaftlichen Machbarkeit einer Groß-
anlage.
Bei diesem neuartigen Verfahren reagieren
Kalk und CO2 bei Temperaturen über 600° C
in einem von Rauchgasen durchströmten
Reaktor zu Kalziumkarbonat (Kalkstein).
Dieser Vorgang setzt Energie in Form von
Wärme frei, die aufgrund des günstigen
Temperaturniveaus effizient zur Dampf-
und damit Stromerzeugung im Kraftwerk
genutzt werden kann. Das entstandene Kal-
ziumkarbonat wird in einem zweiten Reak-
tor auf Temperaturen von über 900° C
erhitzt und zerfällt dadurch in seine ur-
sprünglichen Bestandteile Kalk und gasför-
miges CO2. Dieses CO2 wird gereinigt und
anschließend für den Transport und eine
dauerhafte Speicherung verflüssigt, wäh-
rend der Kalk wieder in den von Rauchgasen
durchströmten Reaktor zurückkommt.
Weitere Forschungsprojekte befassen sich
mit der CO2-Abscheidung via Karbonate
bzw. Ammoniak. Hierbei kooperiert die
EnBW mit dem Institut für Verfahrenstech-
nik in Stuttgart sowie mit dem Electric
Power Research Institut, USA. Diese Verfah-
ren befinden sich noch in einer frühen Test-
phase und stehen frühestens ab 2020 zur
Verfügung.
› Nachrüstung: Kohlekraftwerke fit machen
Auch die Nachrüstung einer CO2-Rückhal-
tung in bereits bestehenden konventionel-
len Kraftwerken ist ein weites Feld für For-
schung und Entwicklung. Momentan ist die
CO2-Abtrennung aus dem Rauchgas (Post
Combustion) eine viel versprechende Lö-
sung. In diesem Zusammenhang testen
die Kraftwerksbetreiber speziell die CO2-
Wäsche mit Mono-Ethanol-Amin (MEA).
Das Verfahren wird bereits bei der Reini-
gung von Industriegasen eingesetzt; an die
komplexen Verhältnisse im Kraftwerk muss
es allerdings noch angepasst werden. Zu-
dem verursacht dieser Prozess aufgrund des
großen Energiebedarfs und der Toxizität
hohe Umweltkosten. Entsprechend besteht
ein dringender Bedarf an alternativen
Konzepten.
Eine Alternative zur CO2-Wäsche ist der Ein-
satz mikroporöser, keramischer Membra-
nen. Dabei fallen keine Reststoffe zur Ent-
sorgung an, und bei entsprechend langen
Standzeiten und einer effizienten Trennung
ist ein Kostenvorteil gegenüber anderen Ab-
trennverfahren zu erwarten. Mit METPORE
begleitet die EnBW seit 2006 ein auf drei
Jahre ausgelegtes Vorhaben des Forschungs-
zentrums Jülich zur Entwicklung solcher
Membranen. Hierbei werden die Ergebnisse
aus zwei früheren Forschungsprojekten
kombiniert: Der australischen Universität
Queensland gelang die Entwicklung nano-
poriger Membranen mit besonders hohen
Trenneffekten von Stickstoff und CO2, wäh-
rend das Institut für Werkstoffe und Verfah-
ren der Energietechnik am Forschungszen-
trum Karlsruhe metallische Trägersubstrate
entwickelte. Die neuen Membranen werden
zunächst im Labormaßstab hergestellt und
dann im realen Rauchgas von Block 7 im
Rheinhafen-Dampfkraftwerk Karlsruhe auf
ihre Beständigkeit getestet.
Die Nachrüstungsthematik betrifft natür-
lich auch unsere Kraftwerksneubauten. So
ist im geplanten Kraftwerksblock 8 im
Rheinhafen-Dampfkraftwerk Karlsruhe,
der Ende 2011 in Betrieb gehen soll, Platz
vorhanden, um später eine Anlage zur CO2-
Abscheidung einbauen zu können.
› Aktive Mitarbeit: Nationale und internationaleForschungsforen
Die Mitarbeit in großen Foren rundet unser
Engagement ab. So beteiligt sich die EnBW
an der europäischen Forschungsplattform
ZEP (ZERO Emission Fuel Fossil Power
Plants) und auf nationaler Ebene an der
Emax Taskforce, einer Koordinierungsgrup-
pe unter Leitung des Verbands der Groß-
kraftwerksbetreiber (VGB) sowie an der
Forschungsinitiative CO2-Reduktionstech-
nologien für fossile Kraftwerke (COORETEC)
des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie.
Die EnBW ist auch Mitglied des Informati-
onskreises Klimafreundliches Kohlekraft-
werk (IZ Klima), das den gesellschaftlichen
und politischen Diskussionsprozess, der für
die Entwicklung der CCS erforderlich ist,
unterstützt.
49
EnBW-Praxis
› Wirkungsstark: Künftige Kraftwerksgeneration
Neue Werkstoffe, die höhere Prozesstempe-
raturen aushalten, spielen für die Verbesse-
rung des Wirkungsgrads konventioneller
Kraftwerke eine herausragende Rolle. Ge-
meinsam mit anderen europäischen Ener-
gieversorgern, mit Herstellern und der
Wissenschaft engagiert sich die EnBW am
Forschungsprogramm COMTES 700. Pro-
jektziel ist, Materialien zu entwickeln, die
Verbrennungstemperaturen bis 700° C
und Drücken bis 350 bar standhalten. Die
momentan verfügbaren Werkstoffe und
Dampfparameter ermöglichen einen Wir-
kungsgrad zwischen 37 % und 45 %; das
700° C-Kraftwerk soll ihn auf über 50 % er-
höhen. Bevor jedoch die neuen Werkstoffe
bis Ende des nächsten Jahrzehnts Marktreife
erlangen können, stehen noch umfangrei-
che Tests aus: Sie betreffen die Fertigungs-
verfahren, die Komponentenherstellung,
die Systemintegration sowie die Zulassung.
› Flexible Lösungen: Neue Brennstoffe
Mit dem Projekt Brennstoffflexibilisierung
wird getestet, ob Gaskraftwerke künftig
auch mit Brenngasen wechselnder Zusam-
mensetzung – also etwa Synthese- oder Bio-
gase – betrieben werden können. Ein spe-
zieller Aspekt des Forschungsauftrags ist die
Entwicklung und Produktion eines wasser-
stoffreichen Synthesegases, das zuverlässig
und schadstoffarm verbrannt werden kann.
Eine andere Fragestellung ist, wie Gasturbi-
nen-Brennkammern auf die besonderen
Brenneigenschaften dieser neuen Synthese-
gase hin ausgelegt werden müssen. Diese
neue Kraftwerksgeneration soll nicht nur
Synthesegase verbrennen können, die aus
festen Brennstoffen wie beispielsweise Koh-
le und Biomasse gewonnen werden, son-
dern auch von vornherein eine effiziente
CO2-Abscheidung ermöglichen. Institute
der Universität Stuttgart sowie des Deut-
schen Zentrums für Luft- und Raumfahrt,
Stuttgart, betreiben gemeinsam die Grund-
lagenforschung. Technisch wie finanziell
unterstützt wird das Vorhaben durch die
EnBW, Alstom und das Land Baden-Würt-
temberg.
› Forcierte Forschung: Abscheidung von CO2
Aufgrund der weltweit ansteigenden Ver-
stromung von fossilen Brennstoffen genügt
es voraussichtlich nicht, einzig durch eine
effiziente Primärenergieumwandlung die
CO2-Emissionen zu reduzieren. Vielmehr
müssen auch Verfahren und Methoden zur
CO2-Abscheidung entwickelt werden, mit
denen die ambitionierten Klimaziele er-
reicht werden können. Für diese Zukunfts-
technologien sowie für den Transport und
die Speicherung des abgeschiedenen CO2besteht allerdings noch erheblicher For-
schungs- und Entwicklungsbedarf. Hinzu
kommt die Herausforderung, die aus einer
CO2-Abscheidung resultierenden, nach heu-
tigem Erkenntnisstand erheblichen Wir-
kungsgradeinbußen wie auch die Investi-
tions- und Betriebskosten in einem vertret-
baren Rahmen zu halten.
Nach derzeitigem Stand der Forschung kann
man davon ausgehen, dass die CO2-Abschei-
dung mit Aminen am ehesten Marktreife
erlangt. Die EnBW engagiert sich diesbezüg-
lich im nationalen wie internationalen Rah-
men: Sie unterstützt Forschungsarbeiten
am Institut für Verfahrenstechnik und
Dampfkesselwesen der Universität Stuttgart
und an der Universität München. Zudem
plant sie die Beteiligung an Untersuchun-
gen in einer Demonstrationsanlage im däni-
schen Kraftwerk Esbjerg.
Seit Herbst 2007 unterstützt die EnBW die
Entwicklung eines neuen Verfahrens zur
CO2-Abscheidung aus Kraftwerksgasen, bei
dem herkömmlicher Kalk als CO2-Träger-
material verwendet wird. Das hocheffiziente
Verfahren, das die bei CO2-Abscheideprozes-
sen üblichen Wirkungsgradverluste deutlich
auf etwa fünf Prozentpunkte begrenzt, soll
in einer Versuchsanlage am Institut für Ver-
fahrenstechnik und Dampfkesselwesen der
Universität Stuttgart umfassend erprobt
werden. Das Forschungsvorhaben ist auf
vier Jahre ausgelegt und kostet rund 1,6 Mio.
Euro. Bis Ende 2008 soll die Versuchsanlage
mit einer thermischen Leistung von 200
48
Auch wenn in Deutschland die Zeichen
anders stehen – durch die Herausforderungen
des Klimawandels gewinnt die CO2-arme
Kernenergie weltweit an Bedeutung. Eine
konzertierte internationale Forschungstätigkeit
sorgt für eine stetige Verbesserung der
Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Anlagen.
51
› Kernenergie
50
nahm das Kernkraftwerk Kaiga 3 seinen Be-trieb auf. In Rumänien ging der zweite Reak-torblock des Landes in Cernavoda in Betrieb.
Weltweit sind insgesamt 31 Kernkraftwerkeim Bau. In den USA wurden 2007 erstmals seit29 Jahren wieder Neubauanträge gestellt –von vier Unternehmen für sieben neue Blöcke.In der konkreten Planung befinden sich rund50 Kernkraftwerke weltweit, weitere rund 100Projekte sind in der Vorplanung. Gerade Län-der, die ein rasantes Wirtschaftswachstum er-warten, setzen vermehrt auf Kernkraft. Süd-afrika etwa plant nicht nur den Bau einesersten kommerziellen Hochtemperaturreak-tors HTR (15 weitere sollen in Modulbauweisefolgen), sondern befindet sich auch in konkre-ten Verhandlungen zum Neubau von mehre-ren EPR, um der steigenden Nachfrage nachStrom gerecht zu werden. Russland hat seinKernkraftwerksprogramm neu definiert. Ne-ben dem Bau mehrerer konventioneller Kern-kraftwerke ist man dort mit dem Bau des BN800 weit fortgeschritten. Es handelt sich umeinen schnellen natriumgekühlten Reaktormit 800 MW Leistung. Seine Inbetriebnahmewird noch vor 2015 erwartet. Zudem ist in
Russland 2007 mit dem Bau eines Leichtersbegonnen worden, auf dem zwei Kernreakto-ren installiert werden. Mit diesem Konzeptsollen auf dem Landweg schwer zugänglicheRegionen mit Strom und Fernwärme versorgtwerden. In Indien sind diese Pläne noch wei-ter fortgeschritten. Dort ist mit der Inbetrieb-nahme eines schnellen Brutreaktors mit ei-ner Leistung von 600 MW ab 2012 zu rechnen.
2050 – Reaktoren der Generation IV
Das Forschungs- und Entwicklungspro-gramm „Generation IV“ ist eine gemeinsameInitiative von Staaten sowie von Euratom alskoordinierende Einrichtung der EU-Staaten.Generation-IV-Reaktoren sollen alle künfti-gen Anforderungen an die Nachhaltigkeit derKernenergie hinreichend erfüllen. Sie sollenfür eine bessere Ausnutzung des BrennstoffsUran sorgen und zur Transmutation der lang-lebigen hochradioaktiven Abfälle eingesetztwerden können. Mit der Transmutation wirddie Radiotoxizität einschneidend vermindertund die Endlagerung erleichtert. Eine weitereZielvorgabe ist die ausgeweitete technologi-sche Proliferationsresistenz.
53
der erste Bau eines EPR (European Pressur-ized Water Reactor). Der EPR ist ein fortge-schrittener Reaktor der Generation III+, dermit zahlreichen Sicherheitseinrichtungen aus-gestattet ist: etwa einem sogenannten Core-Catcher-System zur gezielten Aufnahme vonKernschmelze im Verlauf eines hypotheti-schen schweren Reaktorunfalls. Damit kanndie maximal mögliche Abgabe von Radioaktivi-tät selbst bei einem äußerst unwahrscheinli-chen Kernschmelzunfall so niedrig gehaltenwerden, dass außerhalb der Anlage keine Ka-tastrophenschutzmaßnahmen notwendig wer-den. In Frankreich errichtet die Electricité deFrance (EDF) am Standort Flamanville in derNormandie den ersten EPR des Landes; imDezember 2007 wurde mit den Rohbauarbei-ten offiziell begonnen. In der Schweiz konkre-tisieren sich Pläne für den Neubau von bis zudrei Kernkraftwerken. Wegen der erkennba-ren Verknappung fossiler Energiereserven ha-ben auch andere europäische Länder, wie et-wa Großbritannien, Litauen, Bulgarien undRumänien die Kernenergie konkret in ihreEnergieprogramme aufgenommen. In Finn-land planen Energieversorger die Beantra-gung eines weiteren Kernkraftwerks.
Dr. Peter Fritz verantwortet am
Forschungszentrum Karlsruhe die
Bereiche Nukleare Sicherheits- und
Entsorgungsforschung, Erneuerbare
Energien sowie Atmosphäre und Klima.
Außerdem ist er Mitglied des Rektorats
der Universität Karlsruhe (TH).
Perspektiven der Kernenergie
Status quo weltweit
Ende 2007 standen in 31 Ländern 439 Kern-kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 390GW zur Verfügung. Damit wurden global rund2.700 TWh elektrische Energie nuklear produ-ziert. Drei Blöcke mit einer Leistung von vierGW gingen 2007 ans Netz.
2020
Der Ausstieg aus der Kernkraft, wie er inDeutschland 2001 durch eine Verkürzung derLaufzeiten beschlossen wurde, spiegelt kei-nesfalls die globalen Trends wieder. Im Ge-genteil: In den USA verfügen nun 48 von 104Kernkraftwerken über eine Verlängerung ih-rer Betriebslizenz für weitere 20 Jahre. Elf An-träge werden geprüft, für die weiteren Kern-kraftwerke mit bislang kürzerer Betriebszeitwerden Anträge vorbereitet. Sie dürfen damitmindestens 60 Jahre laufen. In China erreich-te das Kernkraftwerk Tianwan 2 seine Erstkri-tikalität. An fünf weiteren Blöcken wurden dieErrichtungstätigkeiten weitergeführt und mitdem Bau von vier neuen Reaktoren der Gene-ration III wird in Kürze gerechnet. In Indien
52
Status quo in Deutschland
Mit einer vergleichsweise geringen Anzahlvon 17 Reaktoren produziert Deutschland dievierthöchste Strommenge nach den USA (104Blöcke), Frankreich (59 Blöcke) und Japan(55 Blöcke). 50 % der Grundlastversorgungwird hierzulande in Kernkraftwerken produ-ziert. An der Brutto-Stromerzeugung, die inden vergangenen fünf Jahren etwa jeweils620 TWh betrug, hat sie einen Anteil von rund25 %. Gleichzeitig leistet die Kernenergie ei-nen wesentlichen Beitrag zur Klimavorsorge,denn Jahr für Jahr werden durch sie inDeutschland soviel CO2-Emissionen vermie-den, wie jährlich im gesamten Straßenver-kehr ausgestoßen werden (rund 160 Mio. t).
Status quo in Europa
Ende 2007 waren in Europa 197 Kernkraft-werke in Betrieb. Ihre elektrische Gesamtleis-tung lag bei 180 GW. Rund ein Drittel des EU-Strombedarfs wird durch Kernenergie ge-deckt. Am 12. September 2005 fand in Olki-luoto, Finnland, die Grundsteinlegung für dasfünfte Kernkraftwerk des Landes statt. Es ist
Uranvorkommen
Nach heutiger Kenntnis steht uns – bei in et-wa konstanten Explorationskosten – noch fürmindestens 150 Jahre Uran zur Verfügung. Inden heutigen Reaktoren wird aber nicht ein-mal 1 % der im Uran enthaltenen Atome tat-sächlich genutzt. Die Ausbeute lässt sichdurch Wiederaufarbeitung der Brennelemen-te und Wiederverwendung (Rezyklierung) desPlutoniums sowie des unverbrauchten Uransnoch um bis zu 30 % steigern. Darüber hin-aus gibt es ein großes technologisches Po-tenzial für die Entwicklung Uran sparenderReaktortypen, mit denen sich ein Vielfachesder Energieausbeute je Kilogramm Natur-uran erzielen lässt. Mit Einbeziehung derBrütertechnologie wären die Uranreservennach menschlichen Maßstäben praktisch unbegrenzt. Ein weiterer in der Natur vorhan-dener Spaltstoff ist Thorium, dessen Vorrätevermutlich doppelt so groß sind wie die anUran. Die Stromerzeugung aus Thorium wur-de in dem in Deutschland entwickelten Typdes Hochtemperaturreaktors (THTR) erprobt,den China und Südafrika gegenwärtig zurMarktreife bringen.
Generation IV-Reaktoren sind Kernenergie-
systeme, die sich erheblich von der Genera-
tion III, der der EPR angehört, unterschei-
den. Ziel ist, Kernenergiesysteme einer
zukünftigen Generation zu entwickeln, die
wettbewerbsfähige und zuverlässige Ener-
gieprodukte, also nicht ausschließlich
Strom, liefern können. Sie sollen künftige
Anforderungen an Sicherheit, Entsorgung,
Proliferation (Bezeichnung für die illegale
Verbreitung von Massenvernichtungswaf-
fen bzw. Technologien zu deren Herstel-
lung) und öffentliche Akzeptanz hinrei-
chend erfüllen. Zur Ausarbeitung und
Umsetzung der Entwicklung von Gene-
ration IV-Kernenergiesystemen schlossen
sich die oben genannten Länder im GIF
zusammen.
Nach einem umfangreichen Evaluierungs-
verfahren wählten das GIF, die Nuclear
Energy Agency (NEA), die Europäische
Kommission und die Internationale Atom-
energie Organisation (IAEO) die folgenden
sechs Kerneneriesysteme zur weiteren
Entwicklung aus:
› Gasgekühlte Höchsttemperatur-Reaktor-
systeme (V/HTR),
› Gasgekühlte schnelle Reaktorsysteme
(GFR),
› Wassergekühlte Reaktorsysteme mit über-
kritischen Dampfzuständen (SCWR),
› Bleigekühlte schnelle Reaktorsysteme
(LFR),
› Salzschmelze-Reaktorsysteme (MSR) sowie
› Natriumgekühlte Reaktorsysteme (SFR).
Die Arbeiten der Forschungszentren kon-
zentrieren sich dabei im Wesentlichen auf
den V/HTR und den SCWR; die Kosten wer-
den über Drittmittelverträge mit der Indu-
strie und der Europäischen Kommission
abgedeckt.
Faktor Mensch: Forschung über Kommunikationund Teamverhalten
Wenn es um die Sicherheit von Kernreakto-
ren geht, kann sich die Forschung nicht nur
auf technische Fragestellungen konzentrie-
ren. Ebenso wichtig ist der menschliche
Faktor – das vielschichtige Wechselspiel
zwischen Technik, Mensch und den Organi-
sationsstrukturen bei der Steuerung von
komplexen technischen Systemen. Im
Mittelpunkt stehen Kommunikation und
Teamverhalten. Das Phänomen, dass Men-
schen Fehler machen, ist zu einem For-
schungsgebiet verschiedener Disziplinen
geworden.
Kommunikation wird dabei ziemlich um-
fassend verstanden – nämlich als jedes
menschliche Verhalten, das sich auf die Um-
welt auswirkt bzw. von ihr wahrgenommen
wird. Wenn komplexe technische Systeme
durch ein Team von Menschen gesteuert
werden, entsteht ein hyperkomplexes Ge-
samtsystem.
Die Forschung geht der Hypothese nach,
dass Störeinflüsse durch Professionalität in
der Kommunikation weitestgehend verhin-
dert werden können. Dabei geht es sowohl
um die Kommunikation zwischen den Men-
schen als auch um die zwischen Mensch
und Maschine. Demnach ist professionelle
Kommunikation eine Schlüsselkompetenz
für die Sicherheit technischer Systeme. Sie
kann den Einfluss so genannten „menschli-
chen Versagens“ verringern.
An der Ausarbeitung von Regeln für die pro-
fessionelle Kommunikation sind viele Spe-
zialisten beteiligt. Sie kommen aus den Be-
reichen Luftfahrt, Medizin und Kernkraft,
sind Sozial- und Biopsychologen, Psycho-
linguisten und Sprachwissenschaftler. In
verschiedenen Ansätzen forschen sie über
Verhaltensmuster und über die Auswirkun-
gen von wichtigen Rahmenbedingungen,
wie etwa Zeitdruck und Stress, sowie über
kulturell bedingte Kommunikationsunter-
schiede.
Die Wissenschaftler haben verschiedene
Kommunikationsbereiche identifiziert, die
näher untersucht werden. Die Ergebnisse
fließen als Best Practice in die Unternehmen
ein. Zu diesen Bereichen zählen die Arbeits-
vorbesprechung, die Kommunikationsweise
während der Arbeitsdurchführung, die Ar-
beitsnachbesprechung, das Teamklima, die
Arbeitsumgebung und die Kommunikati-
onskultur im Unternehmen.
Betrieb von Kernkraftwerken: Simulation am PC
Computergestützte Simulatoren sind den
meisten aus dem Bereich Flugzeugbau und
Luftfahrt bekannt – spätestens, seit es Flug-
simulatoren nicht nur für die Pilotenausbil-
dung sondern auch für den heimischen PC
gibt. Simulationsprogramme spielen aber
auch bei der Sicherheitsforschung für den
Betrieb von Kernkraftwerken eine wichtige
Rolle. Für die Programme werden reale Da-
ten von den Kernkraftwerken zur Verfügung
gestellt, zum Beispiel von Anfahrvorgängen.
So nennt man die Wiederinbetriebnahme-
phase von Kernkraftwerken nach Still-
standszeiten für Wartung und Reparaturen.
Mit Hilfe dieser Daten können Experimente
55
Neuer Schwerpunkt: Nukleare Sicherheitsforschung
Durch die Novellierung des Atomgesetzes
2002 wurde in Deutschland von der dama-
ligen Bundesregierung ein langfristiges
Auslaufen der Nutzung von Kernenergie
durchgesetzt. Unabhängig von der energie-
politischen Debatte über die Sinnhaftigkeit
und den Bestand der Laufzeitverkürzung
von Kernkraftwerken bedeutet dieser Be-
schluss aber kein Ende von kerntechnischer
Forschung und von Innovationspolitik auf
diesem Gebiet.
Den forschungspolitischen Vorgaben der
Bundesregierung folgend, konzentrieren
sich die Forschungen derzeit auf die Sicher-
heit der vorhandenen Kernreaktoren und
die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.
Darüber hinaus ist es wichtig, Wissen und
Kompetenz für den Betrieb und die spätere
Stilllegung der Reaktoren zu erhalten.
Arbeiten zu neuen Reaktorkonzepten kön-
nen in Deutschland nur in internationaler
Zusammenarbeit mit Finanzierung der EU
und der Industrie durchgeführt werden, da
hierfür keine Gelder des Bundes zur Verfü-
gung stehen.
Evolutionär und sicher: Der EuropäischeDruckwasserreaktor EPR
Im Dezember 2003 wurde zwischen dem
finnischen Stromerzeuger TVO und dem
Konsortium Framatome ANP/Siemens AG
der Vertrag zur schlüsselfertigen Errichtung
von Finnlands fünftem Kernkraftwerk „Olki-
luoto 3“ unterzeichnet. Hierbei kommt mit
dem EPR erstmalig ein Druckwasserreaktor
der dritten Generation zum Einsatz – eine
evolutionäre Weiterentwicklung erprobter
europäischer Reaktoren.
Der EPR ist ein von AREVA in Abstimmung
mit europäischen Betreibern entwickelter
Druckwasserreaktor der 1.600-MWel-Leis-
tungsklasse. In sein Auslegungskonzept
flossen die weltweit gesammelten Erfahrun-
gen aus Tausenden von Leichtwasserreak-
tor-Betriebsjahren ein, vor allem die mit
den derzeit modernsten Reaktoren – den
französischen so genannten N4- und den
deutschen so genannten Konvoi-Anlagen.
Außerdem verkörpert er die Ergebnisse
jahrzehntelanger Forschungs- und Entwick-
lungsprogramme, besonders der französi-
schen Atomenergie-Kommission CEA und
des Forschungszentrums Karlsruhe in
Deutschland.
Best Practice
Der EPR verfügt über innovative Eigenschaf-
ten, die die ohnehin bereits geringen Risiken
bestehender Anlagen noch weiter reduzie-
ren und selbst im schlimmsten denkbaren
Schadensfall die damit verbundenen Folgen
auf die Anlage selbst begrenzen. Ferner bie-
tet er höchsten Schutz gegen Schäden durch
Einwirkungen von außen wie Flugzeugab-
sturz oder Erdbeben.
Ein weiterer EPR wird derzeit in Frankreich
errichtet: Die EDF entschied sich im Okto-
ber 2004 für den Standort Flamanville; der
Bau des auf fünf Jahre veranschlagten Pro-
jekts begann im Jahr 2007.
Internationales Programm: Reaktoren der Generation IV
Das Forschungs- und Entwicklungspro-
gramm „Generation IV“ ist eine Initiative
von zehn Staaten: 2000 einigten sich
Argentinien, Brasilien, Kanada, Frankreich,
Japan, Südkorea, Südafrika, Schweiz, Groß-
britannien und die Vereinigten Staaten auf
einen Rahmen zur internationalen Zusam-
menarbeit in der Kerntechnik. Im Juli 2003
unterschrieb Euratom als elftes Mitglied
den Vertrag zur Zusammenarbeit in dem
„Generation IV International Forum“ (GIF)
und ermöglichte somit allen Euratom-Mit-
gliedern die Mitarbeit in diesem Forum.
54
unter endlagerrelevanten Bedingungen im
Fokus der Untersuchungen. Bei der Erfor-
schung der Chemie von Plutonium in wässri-
gen Medien konnte das Forschungszentrum
Karlsruhe (FZK) große Erfolge erzielen und
somit den Weg für weitergehende Untersu-
chungen ebnen.
Das Forschungszentrum Dresden hat für die
Langzeitsicherheitsanalyse eigens ein radio-
chemisches Labor in Betrieb genommen.
Hier werden Prozesse erforscht, die beim
Übergang von langlebigen Radionukliden
von der Geosphäre in die Biosphäre (den be-
lebten Bereich der Erde mit Flora und Fauna)
ablaufen.
Stillgelegte Hochtemperatur-reaktoren: Entsorgung derBrennelemente
In Hamm-Uentrop und im Forschungszen-
trum Jülich (FZJ) waren Hochtemperatur-
reaktoren im Einsatz. Sie sind auch als Ku-
gelhaufenreaktoren bekannt. Der Versuchs-
reaktor in Jülich wurde 1988 und der kom-
merzielle Reaktor in Hamm-Uentrop 1989
stillgelegt.
Ein Brennelement eines Hochtemperatur-
reaktors (HTR) besteht aus kleinen Brenn-
stoffpartikeln, die von gasdichten Hüllen
aus Pyrokohlenstoff und Siliziumcarbid
(SiC) umgeben und in eine Grafitmatrix ein-
gebettet sind. Im Forschungszentrum Jülich
(FZJ) wird die chemische und mechanische
Langzeitstabilität von HTR-Brennelementen
für den Fall der direkten Endlagerung unter-
sucht. Dabei geht es um die Frage, in welche
Matrix die Brennelemente eingebettet wer-
den können, um allen Ansprüchen an die
Langzeitstabilität gerecht zu werden. Mög-
licherweise kann das Siliziumcarbid selbst
bereits den Anforderungen Genüge tun.
Reduktion von Radioaktivität: Transmutation
Langlebige, hochradioaktive Isotope sind
über Tausende, manche sogar über Millio-
nen Jahre radioaktiv. Derzeit wird an einer
Methode geforscht, diese Zeit durch Um-
wandlung der Isotope auf rund 1.000 Jahre
zu verkürzen. Diese Methode wird Trans-
mutation genannt. Ihr Gelingen würde
die Endlagerung erheblich erleichtern.
Am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz
wie auch im Forschungszentrum Dresden-
Rossendorf wird an dieser Thematik ge-
forscht.
Auf dem Weg: Kernfusion
Die Entscheidung für den Bau des interna-
tionalen Fusionstestreaktors ITER (Interna-
tionaler Thermonuklearer Experimenteller
Reaktor, lateinisch: der Weg) ist gefällt:
Standort für die internationale Forschungs-
anlage wird Cadarache in Südfrankreich
sein. Der Experimentalreaktor ITER ist der
nächste große Schritt in der weltweiten
Fusionsforschung.
Der Reaktor soll die wissenschaftliche und
technische Machbarkeit der Energieerzeu-
gung aus Kernfusion demonstrieren und
zeigen, dass ein energielieferndes Fusions-
plasma, in dem die Isotope Deuterium und
Tritium zu Helium verschmolzen werden,
möglich ist.
ITER wurde seit 1988 in weltweiter Zusam-
menarbeit von europäischen, japanischen,
russischen und US-amerikanischen Fu-
sionsforschern vorbereitet. Im Jahr 2003
schlossen sich China und Südkorea dem
Projekt an.
Mit einer Fusionsleistung von 500 MW soll
ITER erstmals ein brennendes und energie-
lieferndes Plasma erzeugen. Angestrebt
wird ein Energiegewinnungsfaktor von min-
destens 10 – das heißt, das Zehnfache der
zur Plasmaheizung aufgewandten Energie
soll als Fusionsenergie zurückgewonnen
werden.
Nach einer Bauzeit von zehn Jahren werden
etwa 600 Wissenschaftler, Ingenieure, Tech-
niker und übrige Angestellte rund zwanzig
Jahre lang an der Anlage arbeiten. Das For-
schungszentrum Karlsruhe ist in die Ent-
wicklung von Schlüsseltechnologien für die
Fusion eingebunden und nimmt in Europa
neben Frankreich (CEA) und Italien (ENEA)
eine Spitzenstellung ein.
Nach der ITER-Standortentscheidung
kommt es nun darauf an, die seit mehr als
zwei Jahrzehnten vorangetriebenen Techno-
logien in die Praxis umzusetzen. Auf der
Grundlage anerkannter Expertise wird das
FZK federführend die Konstruktion und die
Beschaffung von Komponenten und Syste-
men für ITER übernehmen und ihren Ein-
bau in den Reaktor begleiten.
57
im Simulationsverfahren durchgeführt wer-
den. Es können aber auch die Ergebnisse
von theoretischen Untersuchungen praxis-
nah überprüft und getestet werden. Ein
wichtiges Feld hierfür ist etwa das Strö-
mungsverhalten von Flüssigkeiten, wie
man sie zur Kühlung der Brennelemente
benötigt. So werden zum Beispiel im For-
schungszentrum Dresden (FZD) in einer
Mehrzweckversuchsanlage thermohydrauli-
sche Experimente durchgeführt. Daneben
werden Programme zur Berechnung von
komplexen Strömungen entwickelt. Ihre
Stichhaltigkeit wird in Simulationsrechnun-
gen anhand realer Beispiele überprüft. Die-
se Arbeiten sind in die nationale Initiative
zur Fortentwicklung von CFD-Methoden
(Computational Fluid Dynamics) und in das
integrierte EU-Projekt NURESIM (Nuclear
Reactor Simulation) eingebunden.
In der Hochschule Zittau/Görlitz werden
Experimente für Druck- und Siedewasser-
reaktoren durchgeführt. Die daraus gewon-
nenen Erkenntnisse sind insbesondere auch
für die Entwicklung neuer Reaktoren rele-
vant. Die Experimente werden mit Hilfe
theoretischer Arbeiten ausgewertet.
In einer Versuchsanlage des Forschungs-
zentrums Karlsruhe (FZK) werden für
Druck- und Siedewasserreaktor-Brennele-
mente und russische WWER-Brennelemente
(WWER: Wasser-Wasser-Energie-Reaktor)
Experimente mit so genannten Brenn-
element-Dummys (Brennelemente ohne
spaltbares Material, aber mit elektrischer
Heizung im Innern der Brennstäbe) außer-
halb des Reaktors durchgeführt. Dabei wird
die Wärmeabgabe des Brennelements an ein
umgebendes Medium unter verschiedenen
Versuchsbedingungen bis hin zu Tempera-
turen von 2000° C analysiert. Experimente
dieser Art finden im Rahmen der EU statt.
Nukleare Entsorgung: Verhalten der Actinide
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die
Sicherheit der nuklearen Entsorgung, der so
genannten Endlagerung von radioaktiven
Abfällen in unterirdischen Stollen. Dabei
geht es darum, die Langzeitsicherheit von
abgelagerten Abfällen zu gewährleisten und
nachzuweisen. Im Mittelpunkt stehen lang-
lebige Radionuklide, insbesondere die Actini-
de. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise
Uran oder Plutonium.
Die Forschung geht dabei immer von Worst-
Case-Szenarien aus. Ziel ist es, die Folgen
auch im denkbar schlimmsten Fall noch be-
herrschbar zu halten. So soll ein Endlager so
gestaltet sein, dass es so lange trocken bleibt,
wie die eingelagerten Abfälle im nennens-
werten Umfang radioaktiv sind. Wenn es
dennoch einen Wassereinbruch gibt, dann
sollen Einschluss und Verpackung der ver-
brauchten Brennelemente dafür sorgen,
dass es keine Reaktion zwischen Wasser und
radioaktivem Material gibt. Dennoch muss
erforscht werden, was passiert, wenn Actini-
de im Endlager mit Wasser in direkten Kon-
takt kommen. Deshalb steht die Erforschung
chemischer Reaktionen etwa von Plutonium
56
› Forschung und Lehre: Bündelung im Südwesten
In der Kerntechnik verfügt Baden-Württem-
berg im Ländervergleich über die umfang-
reichsten wissenschaftlich-technischen Res-
sourcen in Sachen Forschung und Lehre.
Basierend auf einem Beschluss des baden-
württembergischen Ministerrats wurde im
Oktober 2007 der „Südwestdeutsche For-
schungs- und Lehrverbund Kerntechnik“
aus der Taufe gehoben. Gründungsmitglie-
der sind das Forschungszentrum Karlsruhe
GmbH (FZK), die EnBW, das Institut für
Transurane von der Europäischen Kommis-
sion, die Universitäten Heidelberg und
Stuttgart, die TH Karlsruhe sowie die Hoch-
schulen Ulm und Furtwangen. In diesem
Zusammenhang erhöhte sich auch die
Anzahl der Professuren von vier auf sechs:
Das FZK erhält von der EnBW eine Stiftungs-
professur für „Dynamik kerntechnischer
Systeme“ und das Land Baden-Württemberg
vergibt eine Professur für „Innovative Reak-
torsysteme“ an der Universität Karlsruhe.
In Zusammenarbeit mit Forschungsein-
richtungen, hauptsächlich dem FZK, der
Materialprüfungsanstalt Stuttgart und den
Universitäten Karlsruhe, Stuttgart und Hei-
delberg, unterstützt die EnBW auch Dokto-
randen, die durch ihre Forschung einen we-
sentlichen Beitrag zur Verbesserung und
Optimierung bestehender oder künftiger
kerntechnischer Anlagen leisten. So be-
schäftigte sich etwa eine 2007 fertig gestell-
te Dissertation, die in Zusammenarbeit mit
dem Institut für Kernchemie der Universi-
tät Marburg entstand, mit Lithiumhydroxid
als Korrosionsschutzmittel im Reaktorkühl-
wasser. Das jährlich zudosierte und im Jah-
resverlauf wieder entzogene Lithium muss-
te bisher als radioaktiver Abfall entsorgt
werden. Mit den neuen Erkenntnissen aus
der Forschungsarbeit wurde ein Recycling-
prozess erprobt, der die Menge an radioakti-
vem Müll reduziert.
› Zukunft der Kernenergie: Internationale Kooperationen
Im Rahmen des Programms „We offer a fu-
ture“ (WOAF) arbeiten junge Nachwuchs-
kräfte von EDF und EnBW eng zusammen.
Auf europäischer Ebene beteiligt sich die
EnBW an der „Sustainable Nuclear Energy-
Technology Platform“ (SNE TP), der Techno-
logie-Plattform für die nachhaltige Nutzung
der Kernenergie. Die SNE TP wurde im Sep-
tember 2007 in Brüssel gegründet und ver-
eint alle Akteure aus dem Bereich Kernener-
gie. Zu ihren Aufgaben gehört zum einen
ein neues und vollständig integriertes euro-
päisches Forschungskonzept, das auf ge-
meinsamen Zielen und konzentrierten Fi-
nanzmitteln basiert. Zum anderen obliegt
ihr die fachliche Beratung der Europäischen
Kommission und der Regierungen der Mit-
gliedstaaten. Außerdem soll sie über die
wissenschaftliche Basis hinaus den Dialog
über zentrale Themen wie Abfallentsor-
gung, Sicherheit und Schutz führen.
Außerdem arbeitet die EnBW in dem „Euro-
pean Nuclear Energy Forum“ (ENEF) in meh-
reren Arbeitsgruppen mit. Das ENEF wurde
von der Europäischen Kommission zur
Verbesserung des Informationsaustausches
und zur Vorbereitung der europäischen
Politik für den Nuklearsektor in der EU
gegründet.
59
EnBW-Praxis
› Kernkraft: Energiequelle mit geringerEmission
Nicht zuletzt durch die Problematik der glo-
balen Erwärmung gewinnt die Kernenergie
in vielen Ländern wieder an Bedeutung. Als
einzige im großtechnischen Maßstab ver-
fügbare Energiequelle ohne nennenswerte
Emission von Treibhausgasen spielt sie in-
ternational für den künftigen Erzeugungs-
mix eine wichtige Rolle. Eine kontinuierli-
che Verbesserung der bestehenden Anlagen
sowie die Forschung und Entwicklung auch
im Bereich künftiger Vorhaben unterstützt
nachhaltig die Bestrebungen zur Eindäm-
mung des Klimawandels.
Die EnBW Kernkraft GmbH hat in Sachen
Sicherheit und Optimierung in den vergan-
genen Jahren viel Pionierarbeit geleistet. So-
wohl an den einzelnen Standorten als auch
übergreifend wurde eine Reihe von Neue-
rungen implementiert – und, darüber hin-
aus, sogar exportiert.
› Sicherheit groß geschrieben: OSART und SMS
Die EnBW ist der einzige Kernkraftwerksbe-
treiber in Deutschland, der seine Produkti-
onsstandorte innerhalb von wenigen Jahren
von der IAEO bewerten ließ. Die IAEO ist ei-
ne autonome, wissenschaftlich-technische
Organisation der Vereinten Nationen und
führt weltweit so genannte OSART-Missio-
nen (Operational Safety Review Team)
durch. Ziel der Missionen ist eine umfassen-
de Bewertung der Betriebsführung eines
Kernkraftwerks sowie ihres Sicherheits-
niveaus nach internationalen Standards.
Gleichzeitig nutzt die IAEO die Erkenntnisse
aus den Missionen, um ihre Richtlinien zur
Bewertung von Kernkraftwerken weiter-
zuentwickeln.
Die IAEO bescheinigte den Standorten
Philippsburg und Neckarwestheim, über
sehr gute Anlagen zu verfügen, die viele
Merkmale einer ausgeprägten Sicherheits-
kultur aufweisen. Die EnBW sei ein Betrei-
ber, bei dem die nukleare Sicherheit höchste
Priorität besitze und der über hoch moti-
vierte Mitarbeiter verfüge.
Auch bei der kontinuierlichen, systemati-
schen und standortübergreifenden Ver-
besserung der Sicherheit hat die EnBW in
Deutschland eine Vorreiterrolle inne. Für
alle drei Kernkraftwerksstandorte wurde
2007 ein indikatorgestütztes, dynamisches
Sicherheitsmanagement-System (SMS) ein-
geführt, das der permanenten Weiterent-
wicklung und Optimierung aller relevanten
Prozesse dient. Das Prinzip der kontinuierli-
chen Verbesserung, das die Kernkraftwerke
der EnBW schon seit vielen Jahren verfolgen,
wurde durch das SMS standardisiert und
messbar gemacht. Es basiert auf aktuellen
internationalen Standards, die von der IAEO
und der Organisation für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (OECD)
bzw. der angeschlossenen NEA definiert
werden.
› Zugewinn durch Effizienz: Grüne Megawatt
Durch Maßnahmen zur Effizienzsteigerung
im Kernkraftwerksbereich konnte die EnBW
in den Jahren 2004 bis 2008 so genannte
„Grüne Megawatt“ gewinnen: Bei gleichem
Brennstoffaufwand wurden zirka 50 MW
mehr an elektrischer Leistung erreicht, da
sich der Wirkungsgrad der bestehenden
Anlagen durch technische Optimierungen
steigern ließ. Die Mehrerzeugung entspricht
dem Jahresverbrauch von mehr als 100.000
Haushalten.
› Ideenmanagement: Ressourcen und Umwelt schonen
Auch die Mitarbeiter der EnBW tragen durch
ihre innovativen Ideen maßgeblich zu einer
Optimierung der Anlagen und damit auch
zur Schonung von Ressourcen und Umwelt
bei. So erhielten 2007 drei Mitarbeiter des
Kernkraftwerks Philippsburg eine stattliche
Prämie für ihre Idee, im Reaktorkühlwasser
mittels Vitamin C flüchtige, radioaktive Spe-
zies zu binden. Mit diesem neuen Verfahren
konnten bei der folgenden Jahresrevision
Strahlenschutz- und Dekontaminations-
maßnahmen deutlich reduziert werden.
58
Eine verbindliche Zusammenarbeit und gut
justierte politische Instrumente sind das A und O
des internationalen Klimaschutzes. Doch der
Kampf gegen den Klimawandel wird nicht allein
von Politik und Wirtschaft gewonnen. Auch
Konsumenten müssen umdenken – und ein
Bewusstseinswandel zeichnet sich heute schon ab.
61
› Politik und Gesellschaft
60
Seither ist die Projektpipeline auf über 3.000 Projekte angeschwollen, von denenknapp 1.000 registriert wurden. Bis zum Ende der Kyoto-Verpflichtungsperiode 2012 prognostizieren sie über 2,5 Mrd. Emissi-onsgutschriften. Wie in einem Goldrauschentstanden über Nacht CDM-Projektent-wicklungsfirmen, vor allem in Indien undChina, aber auch in Lateinamerika. An derLondoner Börse sind inzwischen die Aktieneines halben Dutzend solcher Unternehmennotiert. Die Regierungen und Banken der Industriestaaten haben mittlerweile über 9 Mrd. Euro zum Ankauf von Emissionsgut-schriften budgetiert. Beim derzeitigen Preisvon 16 Euro entspricht dies jedoch wenigerals 1 Mrd. Gutschriften. Kommt es dem-nächst zum Angebotsüberhang und Preis-verfall? Falls Russland sein institutionellesChaos überwindet, könnte es aufgrund desMilliardenvolumens an überschüssigenEmissionsrechten den CDM mit wenigen Federstrichen beiseite fegen…
2020
Bei den Klimaverhandlungen für die Zeitnach 2012 werden voraussichtlich Emissi-onsziele für 2020 festgelegt. Falls die EU ihr30 %-Reduktionsziel durchsetzt und andereIndustrieländer mitziehen, würde die inter-nationale Ziellücke 2013 bis 2020 bei über 20 Mrd. t CO2 liegen. Mit der „heißen Luft“der Transformationsländer ließen sich nur 9 Mrd. t abdecken. Die heute bekanntenCDM-Projekte bringen 3,2 Mrd. t auf dieWaage. Es fehlen also 8 Mrd. t, die entwederdurch Emissionsreduktionen in den Indu-striestaaten oder weitere CDM-Projekte geschaffen werden müssen. Falls sich aberdie EU-Kommission mit ihrer restriktivenHaltung zum Import von Emissionsgut-schriften durchsetzt, würde genau dieseMenge in der EU reduziert werden müssenund der CDM-Markt wiese bereits jetzt einÜberangebot auf.
63
Status quo
Die internationale Klimapolitik hat in den 20Jahren ihres Bestehens bereits einige Inno-vationen hervorgebracht. Die bedeutendstensind die global gültigen Marktmechanismenzur Reduktion von Treibhausgasemissionen.Im Kyoto-Protokoll von 1997 wurden vierderartige Mechanismen verankert: die ein-malige Umverteilung von Emissionszieleninnerhalb einer Ländergruppe (so genannte„Bubble“), der Handel mit überschüssigenEmissionsrechten auf Regierungsebene (internationaler Emissionshandel), die Ent-wicklung von Minderungsprojekten in Län-dern mit Emissionszielen (Joint Implemen-tation, JI) sowie in Entwicklungsländern, die keine Emissionsziele haben (Clean Development Mechanism, CDM).
Alle Klimapolitikexperten gaben in den1990er Jahren dem CDM wenig Chancen.Die Kontrolle der Projekte sei viel zu kost-
Dr. Axel Michaelowa ist Berater des
UN-Klimasekretariats und leitet die
Forschungsgruppe Klimapolitik an der
Universität Zürich. Der IPCC-Leitautor
für Flexible Mechanismen ist Mitglied
im CDM-Aufsichtsrat und berät mit
seiner Firma „Perspectives“ Unter-
nehmen bei der Durchführung von
Klimaschutzprojekten.
Internationale Treibhausgasmärkte – Tanz auf dem Vulkan?
spielig und das Risiko einer Investition inEntwicklungsländer zu hoch. Der komplexeProjektzyklus mit seinen externen Auditsschrecke private Projektentwickler ab, hießes. In der Tat stellten nur die Weltbank unddie niederländische Regierung Mittel bereit,um Emissionsgutschriften anzukaufen. Sielegten ein Preisniveau von 3 Dollar pro t CO2
fest.
Das änderte sich erst, als 2003 die „Verbin-dungsrichtlinie“ Unternehmen im EU-Emis-sionshandelssystem das Recht gab, Emissi-onsgutschriften zu nutzen. Nunmehr wurdeder Preis für EU-Emissionsrechte zur Richt-schnur für den Preis von CDM-Emissions-gutschriften. Da die EU-Preise zügig auf biszu 30 Euro pro t CO2 anstiegen, entstand ei-ne große Nachfrage nach CDM-Projekten.Zahlreiche Finanzinstitutionen begannendamit, CDM-Fonds aufzulegen und großeEnergieversorger schufen CDM-Beschaf-fungsteams.
62
2050
Der langfristige politische Erfolg des CDM-Systems hängt wesentlich von seiner Glaub-würdigkeit und der Effektivität für den Kli-maschutz ab. Ein entscheidendes Kriteriumdabei ist, dass CDM-Projekte nicht ohnehinaufgrund ihrer kommerziellen Rentabilitätdurchgeführt werden. So gibt es beispiels-weise seit Jahrzehnten Investitionen in Wasserkraftwerke, ohne dass es dafürEmissionsgutschriften gab. Das Ziel vonCDM-Projekten ist es, zusätzlich Treibhaus-gase einzusparen. Projektentwickler müs-sen deswegen heute entweder belegen,dass es lukrativere Investitionsmöglichkei-ten als das CDM-Projekt gibt oder nachwei-sen, dass das Projekt an prohibitiven Barrie-ren gescheitert wäre. Die Argumentationwird durch unabhängige Auditoren geprüft.Leider zeigte sich in der Vergangenheit, dassdie Auditoren die Argumentation der Pro-jektentwickler unkritisch übernahmen und
somit viele Projekte registriert wurden, dieohnehin stattgefunden hätten. Erst mit derEinführung einer weiteren Prüfung durchunabhängige Gutachter und das UN-Klima-sekretariat wurden regelmäßig Projekte ab-gelehnt. Dennoch schlüpfen nach wie vorgroße Wind- und Wasserkraftwerke an at-traktiven Standorten durch die Maschen. Dieersten Medienberichte über CDM-Skandalesind bereits erschienen und es besteht dieernst zu nehmende Gefahr, dass CDM in den Augen der kritischen Öffentlichkeit de-savouiert wird. Falls dies eintritt, könnte einviel versprechendes Instrument an der Giereiniger Projektentwickler scheitern.
Globaler Markt: Emissionshandel
Der internationale Handel mit Emissions-
zertifikaten ist für die Industriestaaten ein
wesentliches Element zur Erfüllung ihrer
Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll.
Übersteigen die Emissionen eines Staates
die eingegangene Reduktionsverpflichtung,
so ist es möglich, Zertifikate von anderen
Staaten, die ihr Budget nicht ausschöpfen,
zu erwerben. Mit Beginn des internationa-
len Emissionshandels im Jahr 2008 wird ein
globaler Markt für den Handel mit Emis-
sionszertifikaten geschaffen. Für die betei-
ligten Unternehmen spielt der Vergleich der
spezifischen CO2-Minderungskosten mit
dem Marktpreis für CO2-Emissionszertifika-
te die entscheidende Rolle. Liegt der Preis
über den spezifischen Kosten, sind eigene
Maßnahmen zur CO2-Vermeidung wirt-
schaftlich sinnvoll. Im gegenteiligen Falle
erwirbt der Emittent Zertifikate am Markt
oder durch CDM- und JI-Projekte und erfüllt
auf diesem Wege seine Verpflichtungen. Kli-
maschutz findet so dort statt, wo er sich am
wirtschaftlichsten realisieren lässt. 2006
wurden weltweit rund 1,6 Mrd. t CO2-Äqui-
valente im Wert von 29 Mrd. Dollar gehan-
delt, bereits doppelt soviel wie noch 2005.
Der weitaus größte Teil des Handels findet
auf Basis der europäischen Emissionshan-
delsrichtlinie innerhalb der EU statt. Ende
2007 haben die Europäische Kommission,
neun EU-Mitgliedstaaten, darunter auch
Deutschland, zwölf US-Bundesstaaten,
Australien und Neuseeland die „Internatio-
nal Climate Action Partnership“ (ICAP) in
Lissabon gegründet. ICAP beschäftigt sich
zunächst mit Fragen der Verknüpfung
regionaler Emissionshandelssysteme, lang-
fristig sollen hiervon wichtige Impulse zur
Schaffung eines globalen Kohlenstoffmark-
tes ausgehen.
Neue Kriterien für Investoren: Wachstumstreiber Klimaschutz
Die Weltwirtschaft wird zunehmend vom
Umwelt- und Klimaschutzgedanken durch-
drungen. Auch Investoren werden zukünftig
neue Kriterien in ihre Entscheidungen ein-
fließen lassen: Soziale, ethische oder ökolo-
gische Überlegungen ergänzen die klassi-
schen Kriterien Rentabilität, Liquidität und
Sicherheit.
Besonders die Umweltverträglichkeit von
Unternehmen, ihren Produkten, Prozessen
und Dienstleistungen, wird für Finanzinves-
toren immer mehr zu einer investitionsre-
levanten Größe. Das unabhängige und
gemeinnützige Carbon Disclosure Project
(CDP) hat weltweit anerkannte Methoden
und Verfahren der Informationsgewinnung
zum CO2-Ausstoß entwickelt. Der Einfluss
des CDP ist beträchtlich: Dahinter stehen
385 institutionelle Investoren, die insgesamt
57 Billionen Dollar Anlagevermögen verwal-
ten. Das CDP führt eine jährliche Umfrage
unter den größten Unternehmen der Welt
zum Thema Klimawandel und CO2-Emis-
sionen durch. Das Ergebnis ist die größte
öffentlich zugängliche Datenbank unter-
nehmensbezogener Emissionsdaten und
der dazugehörigen Unternehmensstrate-
gien. 2007 haben 1.300 Unternehmen aus
aller Welt freiwillig ihre Daten eingereicht.
Wichtige Veränderungen sind auch in den
USA zu beobachten: „Cleantech“, Investitio-
nen in saubere, nachhaltige und umwelt-
freundliche Technologien, sind zu einem
Innovations- und Wachstumstreiber gewor-
den. Im Bereich der Wagniskapitalinvestitio-
nen rangiert Cleantech in den USA bereits
auf Platz drei – hinter Internet und Biotech-
nologie – und soll in wenigen Jahren die
Nummer eins sein.
65
Kyoto-Protokoll: Flexible Mechanismen
Das Anfang 2005 in Kraft getretene Kyoto-
Protokoll enthält drei „flexible“ Instrumen-
te, die es den Staaten ermöglichen, einen
Teil ihrer Verpflichtungen im Zeitraum von
2008 bis 2012 zu möglichst geringen Kosten
zu erreichen. Die Bundesregierung erlaubt
deutschen Unternehmen maximal 20 % ih-
rer Minderungsverpflichtungen im Ausland
durch die Instrumente Joint Implementa-
tion (JI) und Clean Development Mechanism
(CDM) zu erfüllen. Dritter Mechanismus ist
der internationale Emissionshandel. Durch
die Nutzung der drei Mechanismen können
Emissionen dort vermieden werden, wo dies
zu den günstigsten Kosten möglich ist.
Gemeinsame Projekte: Joint Implementation
Seit 2008 können Industriestaaten, die sich
durch das Kyoto-Protokoll zu Reduktionen
ihrer Treibhausgase verpflichtet haben, im
Rahmen des JI-Mechanismus gemeinsam
Projekte durchführen. Ein Land, respektive
ein Unternehmen, das in einem anderen
Staat emissionsreduzierende Projekte um-
setzt, kann sich die erzielten Emissionsmin-
derungen im eigenen Land gutschreiben
lassen und dadurch seine Reduktionsver-
pflichtungen kostengünstiger erfüllen.
Best Practice
In Entwicklungsländer investieren: Clean Development Mechanism
CDM erlaubt es Industriestaaten, Emissions-
reduktionen in Entwicklungsländern durch-
zuführen. Dies dient der Einbindung der
Entwicklungsländer in die internationalen
Klimaschutzbemühungen und fördert zu-
gleich nachhaltige Investitionen in diesen
Ländern. Die vermiedenen Emissionen
dürfen sich Unternehmen auf ihre Minde-
rungsverpflichtungen anrechnen lassen.
Aktuell sind knapp 1.000 CDM-Projekte in
49 Ländern registriert, etwa 2.000 Anträge
werden auf ihre Nachhaltigkeit geprüft.
CDM-Projekte können seit 2000 durchge-
führt werden. Neben dem Kriterium der
Nachhaltigkeit müssen CDM-Projekte auch
zusätzlich zu bereits geplanten Vorhaben
erfolgen.
64
Kompensation von Emissionen: Klimaneutralität
Der Begriff Klimaneutralität ist zunächst
irreführend. Emissionen können nicht
neutralisiert werden, sie können aber kom-
pensiert werden. Private und gewerbliche
Aktivitäten wie beispielsweise Flugreisen
oder aber Produktion, Verpackung, Trans-
port und Vertrieb von Produkten setzen
CO2 frei. Seit einiger Zeit bietet eine wach-
sende Zahl von Organisationen und Unter-
nehmen Beratungsleistungen und die
Durchführung von Projekten zur Kompen-
sierung von Emissionen an. Kunden, Privat-
personen wie auch Unternehmen, bezahlen
die anfallenden Projektkosten.
Kritiker dieser Entwicklungen bemängeln
jedoch, dass für die Kompensierung von
CO2-Emissionen bis heute keine einheit-
lichen, anerkannten Standards für die Be-
rechnung von so genannten „klimaneutra-
len“ Prozessen und Produkten existieren.
Teil der Unternehmensstrategie: Konsumentenkommunikation
Immer mehr Konsumenten reagieren posi-
tiv auf umweltfreundliche Produkte und
Unternehmen. In Umfragen wünschen sie
auch eine stärkere Rolle der Unternehmen
im Bereich Klimaschutz. Unternehmen, die
die eigene Umweltverträglichkeit und die
ihrer Produkte nicht in ihre strategische
Ausrichtung mit einbeziehen, laufen Ge-
fahr, am Markt zu verlieren. Neue, effizien-
tere Transportmethoden und Änderungen
der Produktions- und Anbauprozesse sollen
zur Verringerung des CO2-Ausstoßes beitra-
gen. Die Handelsbranche, in der der Druck
der Konsumenten stark gebündelt auftritt,
nimmt das Thema bereits sehr ernst. Unter-
nehmen analysieren ihre Produktionsketten
und arbeiten verstärkt mit Zulieferern zu-
sammen, die möglichst wenig Emissionen
verursachen. Der Trend geht dahin, dass Un-
ternehmen in Zukunft vermehrt die CO2-
Bilanz ihrer Produkte ausweisen.
Die britische Supermarktkette Marks and
Spencer verspricht beispielsweise, in Zu-
kunft CO2-neutral zu operieren und bis
2012 keine Abfälle mehr auf Mülldeponien
zu bringen. Wal-Mart kündigte an, seine
Geschäfte in den USA nur noch mit erneu-
erbarer Energie betreiben zu wollen. Zusätz-
lich sollen alle Zulieferer ihre Produktions-
ketten auf CO2-Einsparpotenziale untersu-
chen lassen. Der britische Supermarktriese
Tesco hat 2007 damit begonnen, alle Waren
auf ihre Klimawirkung hin („Carbon food-
print“) zu deklarieren. Ein kleiner Sticker
gibt an, wie viel CO2 bei Herstellung, Lage-
rung und Transport eines Produkts entsteht.
Alleine der CO2-Ausstoß gibt jedoch keine
Auskunft über Landverbrauch, Lärm oder
andere sozio-ökologische Faktoren. Ohne
Transparenz und den Zugang zu notwendi-
gen Informationen ist es für die Konsumen-
ten schwer, Unterschiede zu erkennen.
67
Dem Besten gehört der Markt: Top-Runner-Ansatz
1998 hat die japanische Regierung eine
wichtige Neuerung eingeführt: Das Top-
Runner-Programm erhebt jene Elektrogerä-
te zum Standard, die am meisten Energie
einsparen. Dies fördert die Durchdringung
des Marktes mit der umweltverträglichsten
bzw. ressourcen- und/oder energieeffizien-
testen Technologie. Hersteller von Konkur-
renzprodukten müssen innerhalb einer
bestimmten Frist nachziehen. Das gilt auch
für ausländische Anbieter. Erreichen Kon-
kurrenzprodukte in der vorgegebenen Zeit
nicht die entsprechende Energieeinsparung,
drohen gesetzliche Sanktionen, Strafzahlun-
gen oder sogar ein Verkaufsverbot.
Das Programm umfasst mittlerweile 21
Sparten, vom Auto über Kühl- und Gefrier-
schränke, Kopierer, Wasserkocher bis hin zu
Computern und anderen Geräten. Der Zeit-
rahmen für die Angleichung des Energiever-
brauchs variiert zwischen drei und zwölf
Jahren. Erreicht eine Warengruppe früher
als geplant einen Standard, können die Effi-
zienzziele auch weiter verschärft werden.
Japan kann auf diesem Wege bis zu einem
Viertel des für 2010 avisierten nationalen
Emissionsreduktionsziels erreichen. Mit
Hilfe des Top-Runner-Programms kommt
Japan somit seinen im Kyoto-Protokoll ein-
gegangenen Verpflichtungen zur Reduktion
von Treibhausgasen ein gutes Stück näher.
Auch die Bundesregierung fordert von der
EU-Kommission die Schaffung eines euro-
päischen Top-Runner-Programms, um das
Ziel der Steigerung der Energieeffizienz um
20 % bis 2020, wie dies die europäische Kli-
ma- und Energiestrategie vorsieht, durch
mehr Wettbewerb und Innovationen zu
erreichen. Die nötigen Regelungen hierzu
möchte die EU-Kommission noch 2008
treffen.
66
› Die Wirtschaft wird aktiv: Neue Unternehmensinitiativen
Die EnBW ist der Überzeugung, dass die
Wirtschaft eine Schlüsselrolle bei der Lö-
sung der Klimaprobleme spielen wird. Im
Abschlussdokument des 1. Deutschen Kli-
makongresses, der „Berliner Erklärung“, wur-
de deshalb die Gründung einer Unterneh-
mergruppe angekündigt, die sich aktiv für
Klimaschutz einsetzt und die Politik dabei
unterstützt, geeignete Rahmenbedingun-
gen zu schaffen. Im Nachgang dazu hat die
EnBW die Gründung verschiedener Unter-
nehmensinitiativen angeregt und begleitet.
So sind wir zum Beispiel Gründungsmit-
glied der Gruppe „2° - Deutsche Unterneh-
mer für Klimaschutz“ sowie Teil der Initiati-
ve „3c – Combat Climate Change“; und auch
beim Aufbau der Klimagruppe des Bundes-
verbands der Deutschen Industrie „Wirt-
schaft für Klimaschutz“ war die EnBW maß-
geblich beteiligt. Die BDI-Initiative hat 2007
mit einer umfassenden Studie über Vermei-
dungskosten die Diskussion um die Umset-
zung von Klimaschutzmaßnahmen produk-
tiv begleitet. Diese von McKinsey erstellte
Klimastudie beinhaltet über 300 techno-
logische Vermeidungshebel sowie eine
betriebswirtschaftliche Bewertung ihrer
Kosten und Potenziale. Die Ergebnisse der
Studie wurden der Bundesregierung, dem
Europäischen Parlament und auf der UN-
Klimakonferenz in Bali vorgestellt.
› EnBW als Träger: Stiftung Energie & Klimaschutz Baden-Württemberg
Ende 2007 hat die EnBW als Träger die ge-
meinnützige „Stiftung Energie & Klima-
schutz Baden-Württemberg“ gegründet. Die
Arbeit der Stiftung soll einen Beitrag zum
besseren Verständnis der Zusammenhänge
zwischen Energiewirtschaft und Klima-
schutz leisten und außerdem zur Sicherung
des Forschungsstandortes Baden-Württem-
berg beitragen. Ein Netzwerk internationa-
ler Experten diskutiert, analysiert und be-
wertet effektive Klimaschutzmaßnahmen.
Weitere Themen sind erneuerbare Energien,
Fragen der Energieeffizienz und Energieein-
sparung sowie der Post-Kyoto-Prozess. Die
Ergebnisse sollen in die öffentliche Debatte
eingebracht werden und so zu einer zielfüh-
renden Auseinandersetzung mit diesen Fra-
gestellungen beitragen. Dabei bindet die
Stiftung Energie & Klimaschutz Baden-
Württemberg gezielt auch junge Wissen-
schaftler mit in die Diskussionen ein.
› Grünes Pilotprojekt:Jatropha-Anbau in Madagaskar
Die EnBW setzt sich intensiv mit dem
Thema JI-/CDM-Projekte auseinander und
prüft verschiedene Möglichkeiten für ein
konkretes Engagement. Ein erster Schritt ist
bereits getan: Gemeinsam mit Partnern aus
dem Umfeld der Universität Hohenheim
hat die EnBW 2007 in Madagaskar ein Pilot-
projekt zum Anbau der Jatropha-Pflanze
gestartet. Auf einer 3.000 Hektar großen
Plantage soll die CDM-Methodik angewandt
werden. Projektziel ist der Nachweis der
CO2-Reduktionen durch zusätzliche An-
pflanzung, denn der Jatropha-Strauch kann
pro Hektar Anbaufläche jährlich zirka 2,5 t
CO2 binden. Parallel dazu sollen die Nüsse
der Pflanze verwertet werden – insbesonde-
re das Pflanzenöl zur Biodieselherstellung.
Bei erfolgreichem Verlauf kann der Anbau
auf 100.000 Hektar ausgeweitet werden.
Die Jatropha-Pflanze ist ein wahres Wunder:
Da der Strauch aus der Familie der Euphor-
bien auch auf Ödland wächst, konkurriert er
nicht mit der Nahrungsmittelproduktion. Er
eignet sich vielmehr hervorragend zur Re-
kultivierung erodierter Flächen: Sein tiefes
Wurzelsystem stoppt die Erdabtragung und
erhöht die Speicherfähigkeit des Bodens für
Wasser. Zudem kann er auch Dürreperioden
gut überstehen. Versuche mit der Jatropha-
Pflanze insbesondere zur Treibstoffgewin-
nung gibt es seit einigen Jahren unter ande-
rem in Indien oder China. Allerdings ist
ein großräumiger Anbau noch nicht unter-
sucht; auch hier soll das EnBW-Projekt
Erfahrungen bringen.
69
EnBW-Praxis
› Klimatische Entwicklung: Kerninteresse für Energieversorger
Für Energieversorger ist es besonders wich-
tig, die Fakten der klimatischen Entwicklung
zu kennen, um Strategien und Instrumente
zur Abwendung und Anpassung entwickeln
zu können. Eine tiefgreifende und ernsthafte
Auseinandersetzung mit dem Klimawandel
ist nicht nur Teil unserer gesellschaftlichen
Verantwortung, sondern auch unser wirt-
schaftliches Kerninteresse.
› Internationales Forum: Deutscher Klimakongress der EnBW
Wir haben uns bereits mit dem Klimawan-
del beschäftigt, als dieser noch kein Thema
für die Medien war: Anfang 2006 gründete
die EnBW einen wissenschaftlichen Beirat,
dem die renommiertesten Klimaforscher
Deutschlands angehören. Gemeinsam wur-
de der 1. Deutsche Klimakongress „Klima im
Wandel – Fakten, Folgen, Perspektiven“ ge-
plant. Ergebnis war ein internationales,
interdisziplinäres Forum, in dem gesell-
schaftsübergreifend Fakten und Szenarien
des Klimawandels sowie dessen Folgen sach-
lich erörtert wurden. Mit dem 1. Deutschen
Klimakongress hat erstmals ein Wirtschafts-
unternehmen die Initiative ergriffen, und
Wirtschaft, Wissenschaft und Politik an ei-
nen Tisch gebracht. Dieser Austausch war
2006 noch nicht selbstverständlich. Doch
wir waren uns schon damals sicher, dass nur
aus dem Zusammenspiel der unterschiedli-
chen Akteure sinnvolle globale Handlungs-
optionen abgeleitet werden können und
dass Wirtschaftsunternehmen bei der Lö-
sung der Probleme eine Schlüsselrolle zu-
kommt.
Mit dem 2. Deutschen Klimakongress hat
die EnBW das erfolgreiche Engagement fort-
gesetzt. Unter dem Titel „Die Ökonomie des
Klimawandels“ wurden im Oktober 2007 in-
ternationale Nobelpreisträger, Wissens- und
Entscheidungsträger nach Berlin eingela-
den, um gemeinsam Perspektiven für den
Klimaschutz zu entwickeln. Vorstandsvorsit-
zender Hans-Peter Villis begrüßte Bundes-
außenminister Frank-Walter Steinmeier,
Ministerpräsident Günther Oettinger,
Baden-Württembergs Umweltministerin
Tanja Gönner, die Klimaforscher des wissen-
schaftlichen Beirats Prof. Mojib Latif und
Prof. Stefan Rahmstorf und weitere Exper-
ten aus China, USA und Großbritannien.
Zweifelloser Höhepunkt des Kongresses
war der Auftritt von Al Gore. Der ehemalige
US-Vizepräsident und frischgebackene
Friedens-Nobelpreisträger stellte seine
Oscar-prämierte Präsentation zu den Gefah-
ren des Klimawandels vor und warb nach-
drücklich für ein entschiedenes Eintreten
für den Klimaschutz.
› Kampagne zum Klimakongress: Sie fragen – Al Gore antwortet
Der Kongress brachte nicht nur neue
Erkenntnisse für die Teilnehmer aus Wirt-
schaft, Wissenschaft, Politik und Gesell-
schaft; er hat es außerdem erreicht, zahlrei-
che Menschen in den Umdenkprozess
einzubinden: Der Wettbewerb „Sie fragen –
Al Gore antwortet“ rief dazu auf, Fragen an
den Nobelpreisträger zu stellen. Die Fragen
wurden im Internet veröffentlicht und von
den Lesern selbst bewertet. Die Gewinner
waren als Gäste nach Berlin geladen und
durften Al Gore persönlich ihre Fragen stel-
len. Für die Kampagne zum Klimakongress
wurde die EnBW Ende 2007 mit dem Euro-
pean Excellence Award ausgezeichnet.
68
Nach Prof. Wolf Fichtner, Inhaber des Lehr-
stuhls für Energiewirtschaft an der Bran-
denburgischen Technischen Universität
Cottbus, werden solche Systemanalysen
beispielsweise zur Erarbeitung von Hand-
lungsstrategien bei Klimaschutzvorgaben
angewandt. „Zur Durchführung von system-
analytischen Studien im Energiebereich“ –
so Prof. Fichtner – „werden bei Energiever-
sorgungsunternehmen, Forschungseinrich-
tungen und Behörden so genannte optimie-
rende Energiemodelle eingesetzt. Mit Hilfe
dieser Modelle wird das zu untersuchende
Energieversorgungssystem nachgebildet.
Dazu werden existierende Anlagen sowie In-
vestitionsalternativen anhand technischer
(z. B. Wirkungsgrad), ökonomischer (etwa
Investitionen und Brennstoffkosten) sowie
ökologischer (z. B. Emissionsfaktoren)
Charakteristika beschrieben und das so
modellierte System anhand einer Zielvor-
gabe optimiert.“
› Kernbereiche: Forschung & Entwicklung undInnovation
Im Jahr 2007 investierte die EnBW für For-
schung & Entwicklung und Innovation 32,4
Mio. Euro. Das entspricht einer Steigerung
von 57 % im Vergleich zum Vorjahr mit 20,6
Mio. Euro Aufwendungen. Die beiden strate-
gischen Kernbereiche mit 27 Mitarbeitern –
vorwiegend Ingenieure, Physiker und Wirt-
schaftswissenschaftler – sind in der Holding
angesiedelt. Sie werden im operativen Be-
reich von über 120 Mitarbeitern in den Ge-
sellschaften unterstützt.
Zudem kooperieren die beiden Bereiche
mit Projektpartnern aus Wissenschaft und
Wirtschaft auf dem Gebiet technischer und
energiewirtschaftlicher Grundlagenfor-
schung. Schwerpunktthemen sind die Effi-
zienzsteigerung der Stromerzeugung, der
umweltschonende Umgang mit Ressourcen
und die Erschließung neuer Energiequellen.
Unsere wichtigsten externen Forschungs-
und Innovationspartner sind die Universitä-
ten, Hochschulen und Forschungseinrich-
tungen in Baden-Württemberg, insbesonde-
re in Karlsruhe, Stuttgart und Hohenheim.
Ferner bestehen enge Verbindungen zu den
Universitäten und Forschungseinrichtun-
gen in München, Darmstadt und Cottbus.
71
› Schlüssel zum Erfolg: Innovationsfähigkeit
Unternehmen mit ausgeprägter Innovati-
onskraft verzeichnen mittel- und langfristig
deutlich mehr Erfolg und Wachstum. Inno-
vationsfähigkeit bedeutet für ein Unterneh-
men, dass es kontinuierlich seine Produkte
und Dienstleistungen an sich ändernde
Marktbedingungen und Bedürfnisse anpas-
sen kann.
Bis zur Liberalisierung war ein Innovations-
management in der Energiewirtschaft
bedeutungslos. Inzwischen ist der Energie-
markt dynamisch geworden, die Verfügbar-
keit sowie die Preise der Primärenergien
ändern sich ständig und sind zunehmend
politischen Einflüssen ausgesetzt. Es kom-
men neue Technologien zur Erzeugung und
Wandlung von Energien auf den Markt und
der Anspruch von Kundenseite an Preis und
Nachhaltigkeit wächst.
› Professioneller Prozess: Innovationsmanagement
Der Innovationsprozess selbst besteht im
Wesentlichen aus Invention und Innovation.
Unter Inventionen versteht man die Ent-
deckung und Entwicklung von Neuerungen
bis hin zu dem Punkt, an dem sie alle die an
sie gestellten funktionalen Anforderungen
zuverlässig erfüllen. Im nächsten Schritt
kristallisieren sie sich zu Innovationen –
also zu Produkten, Dienstleistungen oder
Geschäftsmodellen – die wirtschaftlich
verwertbar sind.
Ein erfolgreiches Innovationsmanagement
standardisiert diesen Prozess in einem Un-
ternehmen und stellt sicher, dass es eine be-
ständige Rückkopplung gibt zwischen dem
Vertrieb – jener Organisation, die nahe am
Kunden ist und erkennt, welche Produkte in
Zukunft erfolgreich sein können – und der
Forschung und Entwicklung. Die Aktivitäten
im Bereich Forschung und Entwicklung wie-
derum sorgen dafür, dass alle relevanten
technologischen Entwicklungen kontinuier-
lich beobachtet und in ihrer technischen
Funktionalität bewertet werden. Innova-
tionsmanagement ist das Bindeglied zwi-
schen diesen beiden Unternehmensaktivi-
täten und hat die Aufgabe, technologische
Neuerungen für die EnBW wirtschaftlich
zu bewerten und zu gewinnbringenden
Geschäftsmodellen weiterzuentwickeln.
› Entscheidungshilfen: Systemanalytische Studien
Um zu entscheiden, welche Technologien
oder Prozesse in Zukunft für die Sicherstel-
lung der Energieversorgung von Bedeutung
sein können, ist es notwendig, Vorstellun-
gen von den möglichen zukünftigen Ent-
wicklungen auf diesem Gebiet zu formulie-
ren. Untersucht man die Wechselwirkung
zwischen diesen Entwicklungsmöglichkei-
ten und neuen Technologien, kommen
Innovationspotenziale zu Tage sowie die
Handlungsfelder, auf welche die Innova-
tionsaktivitäten sinnvoll zu konzentrieren
sind.
Die oftmals komplexen Wechselwirkungen
können mit computergestützten System-
analysen in verschiedenen Szenarien ab-
gebildet werden. Aus der Analyse dieser Sze-
narien kann man in sich konsistente Hand-
lungsempfehlungen erarbeiten, die sowohl
aus einzelnen Aktionen als auch aus Bün-
deln von Maßnahmen bestehen können.
70
Aktiver Klimaschutz bedeutet, Technologie-
entwicklung systematisch voranzutreiben und
Forschung auszubauen. Innovationen, für die es
weltweit keinen Markt gibt, werden sich langfristig
nicht durchsetzen. Entsprechend wichtig ist es,
Potenziale realistisch zu bewerten und viel
versprechende Entwicklungen beherzt anzugehen.
73
› Energieperspektiven
72
Innovation und technischer Fortschritt spie-len bei allen Bemühungen um Klimaschutzund nachhaltige Energieversorgung dieSchlüsselrolle. Wir müssen damit die Ener-gieeffizienz von Kraftwerken, Gebäuden, tech-nischen Verfahren und Produkten weiter stei-gern und neue Energiequellen erschließenund verfügbar machen. Die Energieforschungbietet zudem die große Chance, unsere ener-gie- und klimapolitischen Ziele wirksamer,schneller und kostengünstiger zu erreichen,Arbeitsplätze zu sichern und unsere interna-tionale Wettbewerbsfähigkeit auszubauen.
2050
Langfristig muss Energie in nahezu emis-sionsfreien Kraftwerken erzeugt werden underneuerbare Energien müssen einen erheb-lichen Anteil an der globalen Energieversor-gung decken. Deshalb wird es zukünftig nichtnur um die Weiterentwicklung bestehenderEnergien gehen. Wir müssen neue Möglich-keiten zur sauberen Energiegewinnung und -nutzung entwickeln und voranbringen.
Visionäre Ideen sind zum Beispiel für dasHaus der Zukunft gefragt, das seinen Wär-me- und Strombedarf allein aus Sonnenlichtdeckt. Die Erhöhung der Effizienz an Gebäu-den, Geräten und Fahrzeugen, aber auch dieEntwicklung neuer Technologien soll denEnergiebedarf ohne Einbußen bei Komfortund Sicherheit auf ein nachhaltiges Niveaubringen. Dabei gilt es aber auch, die Poten-ziale der Geothermie in Deutschland zu er-schließen und systematisch mit anderenEnergieträgern, wie Biogas, zu verknüpfen.
Um diese Innovationsprozesse zu beschleu-nigen, müssen Wissenschaft, Wirtschaft undPolitik noch enger zusammenarbeiten undinternationale Kooperationen eingehen. Ge-meinsam können wir tragfähige Kompromis-se und Lösungen für die Herausforderungendes Klimawandels und somit auch für neueEnergiestrategien erarbeiten.
Die Bundesregierung hat im vergangenenJahr ihre Aktivitäten in der Energie- und Klimaforschung verstärkt sowie Initiativengestartet, damit Ideen schneller in konkrete
75
2020
Mit Deutschland als Schrittmacher hat sichdie EU an die Spitze der internationalen Kli-mabemühungen gestellt und anspruchsvolleZiele benannt. Das heißt konkret: Wir müssenden Anteil der erneuerbaren Energien an un-serer Energieversorgung erhöhen und dieEntwicklung von Technologien zu deren Nut-zung – etwa bei der Photovoltaik und der Bio-energie – in den nächsten Jahren entschei-dend voranbringen. Kohle wird aber noch fürJahrzehnte eine wichtige Rolle für unsereEnergieversorgung spielen. Umweltfreundli-chere Kohlekraftwerke sind deshalb unbe-dingt notwendig. Daher ist die Entwicklungvon Technologien zur Abscheidung von CO2
aus Kohlekraftwerken und die anschließendeSpeicherung von CO2 im Boden von besonde-rer Bedeutung.
Allein schon aus Gründen der Sicherheit undum Entwicklungen in anderen Ländern ein-schätzen zu können, müssen wir auch dieStrahlenforschung und die nukleare Sicher-heits- und Entsorgungsforschung weiterhin
Dr. Annette Schavan ist Bundes-
ministerin für Bildung und Forschung.
Die Bundesregierung hat im vergan-
genen Jahr ihre Aktivitäten in der
Energie- und Klimaforschung ver-
stärkt sowie neue Initiativen gestartet,
damit Ideen schneller in konkrete
Produkte und Verfahren umgesetzt
werden.
Energieforschung: Nachhaltige Versorgung sichern
fördern. Außerdem wollen wir durch die Fusionsforschung langfristige Perspektivenfür eine sichere Stromversorgung schaffen.
Klimaschutz und nachhaltige Energieversor-gung bieten Chancen für Innovationen undArbeitsplätze. Derzeit gibt es etwa 170.000Arbeitsplätze in Deutschland allein im Be-reich der erneuerbaren Energien; Schätzun-gen gehen davon aus, dass es im Jahr 2020rund 500.000 sein könnten. In den Umwelt-technologien steckt ein enormes Potenzial,das wir für den Standort Deutschland nutzenmüssen, um damit globale Herausforderun-gen zu lösen. Umwelttechnik aus Deutsch-land soll weiterhin ein Exportschlager sein.
Auf der Suche nach exzellenten Lösungenmüssen wir Forschung und Entwicklung so-wie Wissen und Kompetenz ein viel größeresGewicht geben. Dafür müssen wir die vor-handenen Kräfte bündeln: Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungenund die Forschung in Unternehmen müssenbesser aufeinander abgestimmt werden.
74
Status quo
Energie ist eines der beherrschenden The-men unserer Tage: Steigende Öl-, Gas- undStrompreise, begrenzte Rohstoffreserven unddie Emission von Treibhausgasen mit ihrenFolgen für das Weltklima fordern Politik, Wis-senschaft und Wirtschaft zum Handeln auf.Die Bundesregierung treibt deshalb die nachhaltige Energiewirtschaft national wieinternational voran. Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm hat Deutschland die ThemenKlimawandel und Energieeffizienz ganz obenauf die internationale Agenda gesetzt. Dennwir brauchen eine umweltschonende und sichere Energieversorgung – sowohl in denIndustriestaaten als auch in den Schwellen-und Entwicklungsländern.
Produkte und Verfahren umgesetzt werden.Denn die Grundlagenforschung muss einge-bunden sein in einen Prozess, der über dieangewandte Forschung zur Umsetzung dergewonnenen Erkenntnisse schließlich inkonkrete Produkte mündet.
Deutschland hat heute in der Energietechnikweltweit eine hervorragende Position: Deut-sche Kraftwerkstechnologien zählen interna-tional zur Spitze. Auch bei den erneuerbarenEnergien sind deutsche Unternehmen in vie-len Bereichen führend. Diese Spitzenpositiongilt es weiter auszubauen. Deutschland musszu einer exzellenten Talentschmiede und beiFragen des Klimaschutzes und der Energie-versorgung zu einem attraktiven Wissen-schafts- und Forschungsstandort mit inter-nationaler Ausstrahlung werden.
Diese Überlegungen greifen allerdings nur,
wenn gleichzeitig die Folgen der Klimapolitik
für Unternehmen abgepuffert werden. Vor
allem für solche, die verfahrensbedingt keine
Chance haben, ihren Energieverbrauch zu
reduzieren. Sonst droht ein doppeltes Null-
summenspiel: Einmal auf dem Arbeitsmarkt,
wenn bei klassischen Industriebereichen mehr
Arbeitsplätze verloren gehen als in den Pio-
nierbranchen geschaffen werden können.
Zum zweiten beim Klimaschutz, wenn ener-
gieintensive Betriebe einfach in Volkswirt-
schaften abwandern, die es nicht so streng mit
dem Schutz der Erdatmosphäre meinen.
Die Früchte des frühen Handelns können
volkswirtschaftlich gesehen auch nur dann ge-
erntet werden, wenn sich mittelfristig welt-
weit gleiche Rahmenbedingungen für die
Wirtschaft einstellen und somit ein globaler
Markt für Klimaschutztechnologien entsteht.
Wer sich als Avantgarde zu lange zu weit vor-
wagt, riskiert, sich im unwegsamen Gelände
zu verirren. Voranzugehen, um mitzuziehen –
an diesem Anspruch wird sich die deutsche
Klimapolitik messen lassen müssen.
Gefordert ist die Kunst, Klimaschutz mit
Wirtschaftlichkeit und Energiesicherheit zu
verbinden. Wirtschaftlichkeit heißt in diesem
Kontext, sich auf die Maßnahmen zu konzen-
trieren, die Treibhausgase mit den geringsten
Kosten vermeiden. Energiesicherheit heißt, die
Abhängigkeit von Energieimporten zu verrin-
gern und auf ein breites Spektrum von Maß-
nahmen zu setzen, um Risiken zu streuen.
Maßnahmenpaket: Das IntegrierteEnergie- und Klimaprogramm
Am 5. Dezember 2007 verabschiedete das
Bundeskabinett das „Integrierte Energie- und
Klimaprogramm“ (IEKP). Mit insgesamt 49
Maßnahmen, darunter 15 Gesetzen und Ver-
ordnungen, sollen bis 2020 rund 36 % CO2-
Minderung erreicht und somit 220 Mio. t
CO2-Äquivalente eingespart werden. Wie die
restlichen 4 % zur Zielerreichung geschafft
werden, ist derzeit noch offen. Das Pro-
gramm konzentriert sich auf drei Sektoren:
› Energieeffizienz – den sparsamen Umgang
mit Energie in Industrie, Gewerbe und priva-
ten Haushalten.
› Erneuerbare Energien: Ihr Anteil soll beim
Strom, bei Wärme und im Verkehr weiter
ausgebaut werden.
› Fossile Energien: CO2-arme Technologien
sollen den Einsatz von Kohle, Öl und Gas
klimafreundlicher machen.
Energieeffizienz: Die Ziele der Bundesregierung
Die Bundesregierung will die Energieproduk-
tivität bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990
verdoppeln. Das heißt, zur Erwirtschaftung
einer Einheit des Bruttosozialprodukts soll
nur noch halb so viel Energie nötig sein als 30
Jahre zuvor. Von 1990 bis 2005 stieg die Ener-
gieproduktivität aber nur um 1,6 % pro Jahr,
obwohl in diesen Jahren die höchst ineffizien-
te DDR-Wirtschaft zusammenbrach. Um das
Ziel zu erreichen, wären in der verbleibenden
Zeit aber 3 % Effizienzsteigerung per annum
nötig, während gleichzeitig die Wirtschaft um
1,8 % pro Jahr wachsen soll.
Stromverbrauch: Tendenz steigend
Im Bereich der elektrischen Energie hält das
Umweltbundesamt eine Einsparung von 11 %
bis zum Jahr 2020 für erforderlich, um das
40 %-Ziel bei den Treibhausgasen zu errei-
chen. Auch hier sind die Trends derzeit
andere. 2007 wuchs der Stromverbrauch in
Deutschland bei 2,5 % Wirtschaftswachstum
um 0,3 %. In den Jahren zuvor war das Ver-
brauchswachstum noch deutlicher: Von
2000 bis 2005 wuchs der Stromverbrauch
von Industrie, Haushalten und Gewerbe von
571 TWh auf 612 TWh. Und zumindest bei den
Privathaushalten lässt der Trend zum Single-
dasein, zu größeren Wohnungen und mehr
Unterhaltungstechnik bei ständig größer
werdenden Fernsehbildschirmen erahnen,
dass die Reise ins Effizienzwunderland
schwierig werden wird. 12 % des Stromver-
brauchs in den Haushalten geht inzwischen
auf das Konto der Unterhaltungselektronik,
sagt der Bundesverband der Energie- und
Wasserwirtschaft (BDEW). Auch die bessere
Ausstattung mit Computern lässt den Strom-
verbrauch der Haushalte in die Höhe schnel-
len. Das gilt auch für die Infrastruktur im
Hintergrund. Nach einer aktuellen Studie des
Umweltbundesamtes verbrauchen die
50.000 deutschen Rechenzentren pro Jahr
77
Schrittmacher: Die Bundesregie-rung an der Spitze des Klimazuges
Mit ehrgeizigen Zielen setzt sich die Bundes-
regierung an die Spitze des internationalen
Klimaschutzzuges: Bis 2020 sollen die deut-
schen CO2-Emissionen um 40 % gegenüber
dem Referenzjahr 1990 sinken. 1,23 Mrd. t
CO2-Äquivalente entließen die deutschen Ka-
mine und Auspuffrohre 1990 in die Erdatmo-
sphäre. Bis zum Jahr 2004 ist der jährliche
Ausstoß der Klimagase um knapp 215 Mio. t
gesunken, das sind 17,4 %. Der größte Teil da-
von lässt sich freilich auf die Erneuerung der
DDR-Wirtschaft zurückführen. Ohne den so
genannten Perestroika-Effekt wird die zweite
Etappe wesentlich härter. Im Kyoto-Protokoll
hat sich Deutschland zu einer Reduktion um
21 % bis 2012 verpflichtet. Die restlichen 19 %
müssten dann innerhalb von acht Jahren er-
bracht werden.
Für die deutsche Volkswirtschaft ist dies eine
echte Herausforderung – für das Weltklima
ist der Kraftakt dagegen relativ bedeutungs-
los. Allein Chinas Stromverbrauch wächst
alle drei Jahre um die Menge, die aktuell in
ganz Deutschland verbraucht wird. Selbst
wenn der Stromverbrauch in Deutschland
auf Null fiele, würde er durch das weltweite
Wachstum beim Energieverbrauch in kürze-
ster Zeit mehr als kompensiert. Allerdings ist
Deutschland vor Großbritannien der größte
CO2-Emittent in der EU und steht nach Be-
rechnungen der Organisation Germanwatch
weltweit an 6. Stelle in der Hitparade der
größten Kohlendioxid-Sünder, nach den
USA (21,44 %), China (18,8 %), Russland
(5,69 %), Japan (4,47 %) und Indien (4,23 %):
3 % der weltweiten energiebedingten CO2-
Emissionen verantwortet Deutschland, bei
einem Anteil am weltweiten Bruttoinlands-
produkt von 3,97 % und von 1,28 % an der
Weltbevölkerung.
Energiewelt von morgen
Pionierrolle: Vorangehen, um mitzuziehen
Welche Gründe werden also für das ehrgeizi-
ge Programm genannt? Das erste Argument
ist ein politisches: Innerhalb der EU ist
Deutschland durch seine Industrie ein Ener-
giegroßverbraucher und ein Großemittent.
Nur mit Deutschland als Zugpferd lässt sich
die gesamte EU auf Reduktionskurs bringen
oder umgekehrt: Wenn Deutschland nicht
agiert, werden auch andere EU-Länder untä-
tig bleiben. Und die EU wird wiederum als
Eisbrecher für die internationalen Klimaver-
handlungen gebraucht. Sonst findet sich weit
und breit niemand von gleichem Gewicht,
der gewillt wäre, in eine Führungsrolle zu
schlüpfen. So jedenfalls die gängige politi-
sche Argumentation in Berlin und Brüssel.
Auf die Schwellenländer wie China, Indien
und Brasilien zielt das zweite Argument: Nur
wenn ein gewichtiges Industrieland modell-
haft vorlebt, dass sich Klimaschutz und wirt-
schaftlicher Erfolg vereinbaren lassen, sind
diese Länder bereit, auf den Klimaschutzpfad
einzuschwenken. Und das ist langfristig der
entscheidende Faktor, ob es überhaupt einen
erfolgreichen globalen Schutz der Erdatmo-
sphäre geben kann.
Das dritte Argument ist ein industriepoliti-
sches: Hierzulande müssen die Technologien,
die Verfahren, die Planungsinstrumente und
die Dienstleistungen entwickelt werden, die
weltweit für eine Reduzierung der Treibhaus-
gase sorgen. Wer hier die Nase vorn hat, ver-
schafft sich mittel- und langfristig Vorteile
im globalen Wettbewerb, schafft Arbeitsplät-
ze und Wohlstand. „First Mover Advantage“
nennen das die Marktstrategen – der Vor-
sprung der Pioniere. Um ihn zu erreichen, be-
darf es massiver Investitionen bei Forschung
und Entwicklung. Und es braucht stringente
politische Rahmenbedingungen, die klima-
freundliches Wirtschaften befördern.
76
Konkreter Ansatz: Energieeffizienz bei Wärme
Konkreter sind die Anforderungen im Be-
reich der Wärme: Rund 40 % der Endenergie
in Deutschland wird für Heizwärme aufge-
wendet, also für warme Räume und heißes
Wasser. Das Ziel der Bundesregierung ist, dass
Neubauten ab 2020 weitgehend unabhängig
von fossilen Energien sein sollen. Deshalb
verschärfen sich die energetischen Vorschrif-
ten für Neubauten ab 2009 um 30 % und
2013 noch einmal in der gleichen Größen-
ordnung. Dafür wurde im Juni 2008 die
Energieeinsparverordnung (EnEV) novelliert.
Die besseren Möglichkeiten bietet aber der
Gebäudebestand. Rund drei Viertel der
Wohngebäude wurden vor 1979 errichtet. Alt-
bauten sollen deshalb durch eine ausgeweite-
te finanzielle Förderung besser gedämmt
werden und eine modernere Heizung erhal-
ten. Die Wirksamkeit der Maßnahme ist noch
offen, denn die Hausbesitzer müssen zur
Sanierung hohe Summen investieren und
die Amortisationszeiten sind lang. Um den
gewünschten Zielverbrauch von sieben Liter
Heizöl je Quadratmeter und Jahr zu errei-
chen, müssen in ein seit 1975 unsaniertes Ein-
familienhaus mit 120 Quadratmeter Wohn-
fläche etwa 100.000 Euro investiert werden.
Nach dem CO2-Gebäudereport des Baumini-
steriums sind nur 3 % der Eigentümer und
Mieter bereit, in Wärmedämmung oder neue
Heizungen zu investieren oder eine Umlage
auf die Miete zu akzeptieren, wenn sich die
Refinanzierung der Kosten über mehr als
12 Jahre streckt – das ist heutzutage aber die
Regel.
Tücken lauern auch im Mietrecht, denn den
Aufwand hat der Vermieter, den Nutzen über
geringere Heizkosten aber der Mieter, auf
dessen Miete die Kosten für die Sanierung
nicht so ohne weiteres umgelegt werden kön-
nen. Auch diese rechtlichen Hürden will die
Bundesregierung noch entschärfen.
Ein kräftiger Schub nach vorne ist nötig. Zur-
zeit werden 2,2 % der Gebäude im Altbaube-
stand pro Jahr komplett energetisch saniert.
Besondere Förderprogramme gibt es für die
energetische Sanierung von Schulen, Kinder-
gärten und bundeseigene Liegenschaften.
Elektrische Nachtspeicherheizungen, die für
8 % des Stromverbrauchs in Deutschland ver-
antwortlich sind, sollen durch ein Förderpro-
gramm stufenweise ausgetauscht werden. Bis
2020 soll dabei die erste Tranche geschafft
sein.
Erneuerbare per Dekret: Wärme
6 % der Wärme werden in Deutschland mit
erneuerbaren Energien erzeugt. Ganz über-
wiegend handelt es sich dabei um den guten,
alten Kamin oder Kachelofen, der mit Holz
befeuert wird. Der Anteil der erneuerbaren
Energien für Heizung, Kühlung und Warm-
wasser soll nach dem Willen der Bundesregie-
rung deutlich steigen: Auf 14 % im Jahr 2020.
Öl, Gas und Strom sollen zunehmend durch
Sonnenwärme (Solarthermie), Erdwärme
(Wärmepumpen), Holzpellets und Hack-
schnitzel ersetzt werden. Um das durchzuset-
zen, hat die Bundesregierung das Erneuer-
bare-Energien-Wärmegesetz – kurz Wärme-
EEG – novelliert. Demnach ist die Nutzung
von erneuerbaren Energien ab 2009 bei Neu-
bauten und bei umfangreichen Sanierungen
– wie zum Beispiel dem Austausch der Hei-
zungsanlage – verbindlich vorgeschrieben.
Die Verpflichtung ist erfüllt, wenn mehr als
die Hälfte der Wärme durch Erneuerbare
bereitgestellt wird. Bei der Nutzung von
Solarkollektoren wird eine bestimmte Kollek-
torfläche pro Quadratmeter Nutzfläche vor-
geschrieben. Ausnahmeregelungen gibt es
für besonders gut gedämmte Häuser oder
für den Fall, dass ein Kleinstkraftwerk im
Keller kombiniert Wärme und Strom bereit-
stellt oder dass ein Anschluss an ein Wärme-
netz besteht. Auch dieses muss allerdings
seine Wärme überwiegend aus Erneuerbaren
oder aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen
beziehen.
Jedenfalls sollen Altbaubesitzer durch Förder-
mittel aus dem Marktanreizprogramm dazu
bewegt werden, ihre Heizungen durch neue,
sparsame zu ersetzen, die anteilig mit Öko-
Wärme betrieben werden. 2009 stehen hier-
für eine halbe Mrd. Euro Zuschüsse zur
Verfügung. Darüber hinaus gibt es zinsver-
billigte Kredite.
Erfolgsstory: Erneuerbare im Stromsektor
Wasser, Wind, Sonne, Biomasse und Erdwär-
me – das sind die Quellen für erneuerbare
Energien. Die Stromerzeugung aus diesen –
mit Ausnahme der Biomasse – unerschöpfli-
chen Energieträgern boomt seit der Einfüh-
rung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes
(EEG) im Jahr 2000. Das EEG sorgt dafür, dass
die Betreiber der Stromnetze den Strom aus
erneuerbaren Energien abnehmen (vorrangi-
ge Einspeisung) und ihn nach gesetzlichen
Vorgaben vergüten müssen (Vergütungs-
pflicht). Die Vergütungssätze differieren je
nach Quelle. Sie sind am niedrigsten für
Strom aus großen Wasserkraftwerken und
am höchsten für Solarstrom aus Photovol-
taikanlagen. Die Mehrkosten, die durch das
EEG entstehen, werden auf alle Stromkunden
gleichermaßen umgelegt. Für energieintensi-
ve Betriebe gibt es eine Ausnahmeregelung,
sie zahlen pro Kilowattstunde Strom einen
79
8,67 TWh Strom. Weltweit ist das Internet
sogar für 5,3 % des Energieverbrauchs gut,
behauptet der Internet-Guru Kevin Kelly in
seinem Informationstechnologie-Tagebuch
„Technium“. Eine einzige sekundenkurze
Google-Suche im Web verschlingt so viel
Strom, dass damit ein Raum eine ganze
Stunde lang von einer Energiesparlampe
beleuchtet werden könnte.
Ganz neue Stromverbraucher könnten noch
dazu kommen. Diskutiert wird derzeit inten-
siv über Elektromobilität im Verkehr. Soge-
nannte Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge mit einem
kombinierten Antrieb aus Verbrennungsmo-
tor und Elektromotor könnten, während sie
parken, an eine Steckdose angeschlossen wer-
den. Ist gerade viel Windenergie im Netz, die
nicht gebraucht wird, könnten ihre Batterien
geladen werden. Auch der umgekehrte Fall
funktioniert: Die Batterien könnten als Reser-
vespeicher bei Bedarf auch wieder Strom ab-
geben. Das ist gut für die Speicherung von
volatilen Energien aus Wind und Sonne und
für eine steigende Klimaverträglichkeit des
Verkehrssektors, wird aber den Stromver-
brauch garantiert nicht sinken lassen.
Vor diesem Hintergrund ist der Elektrotech-
nik-Verband VDE außerordentlich pessi-
mistisch, was die Entwicklung des Stromver-
brauchs angeht. In einer im Januar 2008 vor-
gestellten Studie rechnet der VDE damit, dass
bei einem „weiter so“ der Bedarf an elektri-
scher Energie durch neue Anwendungen und
einen wachsenden Gerätepark bis 2025 um
sage und schreibe bis zu 60 % steigen könnte.
Selbst bei einer besseren Effizienz rechnet der
VDE mit einem Wachstum von 30 %. Nur bei
einem beschleunigten und radikalen Techno-
logiewechsel könne der Stromverbrauch sin-
ken, sagte der VDE-Experte Prof. Wolfgang
Schröppel bei der Vorstellung der Studie. Die
größten Einsparpotenziale sieht der VDE bei
Elektromotoren in Industrie und Haushalten.
So haben die Kleinmotoren, die in den Haus-
halten in Geräten vom Fön bis zur Wasch-
maschine werkeln, heute einen elektrischen
Wirkungsgrad von 40 bis 75 %. Möglich wären
aber 85 %, allerdings bei stark steigenden
Herstellungskosten – Einsparmöglichkeit
alleine 8,2 TWh pro Jahr. In einer ähnlichen
Größenordnung liegen die Sparmöglichkei-
ten beim Stand-by von Elektrogeräten. Der
Stromverbrauch des Bereitschaftsbetriebs
ließe sich um 5 bis 10 TWh per annum redu-
zieren, das entspricht der Größenordnung
von 1 bis 2 % des gesamten deutschen Strom-
verbrauchs.
Wachsweich: Maßnahmen derBundesregierung
Die Maßnahmen, mit der die Bundesregie-
rung ihre Einsparziele erreichen will, sind im
Stromsektor relativ weich. Die Liberalisierung
des Messwesens soll die Verbreitung intelli-
genter Zähler fördern. Damit können sich
Haushalte und Gewerbe ein genaueres Bild
ihres Stromverbrauchs machen und Strom-
fresser identifizieren. Präzise und jederzeit
online verfügbare Verbrauchsinformationen
sollen zu einem sparsameren Verhalten anre-
gen. Darüber hinaus soll die Energieberatung
der Haushalte etwa über die Verbraucherzen-
tralen verbessert werden. Die Kosten für pro-
fessionelle Energiesparberatungen in Gewer-
be und Industrie sollen bezuschusst werden,
ebenso Investitionen in wirksame Spar-Tech-
nologien. Freiwillig soll eine bessere und
erweiterte Kennzeichnung des Energiever-
brauchs von Elektrogeräten mit den Herstel-
lern vereinbart werden. Über ein Marktein-
führungsprogramm für besonders sparsame
Geräte wird noch diskutiert. Das gilt auch für
moderne Energiemanagementsysteme für
Betriebe. Nach den Vorstellungen des Um-
weltministeriums sollen die Begünstigungen
bei den Energiesteuern für das produzieren-
de Gewerbe und die komplette Steuerbefrei-
ung für energieintensive Betriebe künftig an
die Auflage geknüpft werden, dass der Ener-
gieverbrauch der Unternehmen durch exter-
ne Gutachter auf Einsparmöglichkeiten
durchforstet wird. Entschieden ist das aber
noch nicht.
Ob Industrie und Gewerbe tatsächlich in nen-
nenswertem Umfang in Energiesparmöglich-
keiten investieren, ist letztendlich eine Frage
der Wirtschaftlichkeit. Zwar sind Investitio-
nen in Effizienz meistens rentabel, da die Ko-
sten auf Dauer über die gesparte Energie wie-
der hereingeholt werden. Da investive Mittel
aber in aller Regel beschränkt sind, wird dort
investiert, wo die größte Dringlichkeit be-
steht oder die höchste Rentabilität erzielt
werden kann. Investitionen in Energiespar-
maßnahmen gehören meist nicht in diese
Kategorie. Ob sich das in Zukunft ändert, ist
bei steigenden Energiekosten noch offen.
Bei Elektrogeräten liegen die meisten Mög-
lichkeiten, Sparsamkeit vorzuschreiben, so-
wieso in Brüssel bei der EU. Das gilt für bin-
dende Verbrauchsvorschriften nach Art des
japanischen Top-Runner-Modells (die besten
Geräte setzen den Maßstab im Markt) ebenso
wie für eine konsequente Kennzeichnung.
Die öffentliche Hand will bei der Beschaffung
von energiesparenden Geräten künftig eine
Vorbildrolle einnehmen.
Insgesamt fehlt – bei genauer Analyse der
von der Bundesregierung beschlossenen
Maßnahmen – die Phantasie, wie eine Trend-
wende beim Stromverbrauch herbeigeführt
werden könnte.
78
Geothermie – die Produktion von Strom und
Wärme aus Erdwärme – spielt derzeit noch
keine nennenswerte Rolle im Strommarkt.
Um den Ausbau der Erneuerbaren auch wei-
terhin zu beflügeln, wird das EEG derzeit no-
velliert. Für die Zukunft herrscht Optimis-
mus: Die Ziele für 2020 wurden von der
Bundesregierung nach oben korrigiert. Zwi-
schen 25 und 30 % soll ihr Anteil am Strom-
verbrauch dann betragen. – Vorausgesetzt,
der Stromverbrauch sinkt entsprechend den
Plänen der Bundesregierung. Die Leitstudie
2007 des Umweltministeriums (BMU) über
den Ausbau der erneuerbaren Energien sieht
die Bruttostromerzeugung im Jahr 2020 bei
570 TWh; 156 TWh sollen aus regenerativen
Quellen stammen.
Hoffnungsträger Nr. 1: Offshore-Windparks
Dabei spielt die Windenergie in den Plänen
der Bundesregierung weiterhin eine ent-
scheidende Rolle. Mit 82 TWh soll sie 2020
knapp 15 % Anteil an der Bruttostromerzeu-
gung haben und mehr als die Hälfte des
Stroms aus erneuerbaren Energien zur Verfü-
gung stellen – das ist fast eine Verdreifachung
der heutigen Produktionsmenge. Allerdings
plant man neue Mühlen zukünftig zu einem
Gutteil vor der Küste in Offshore-Windparks
im Meer: Windenergieanlagen mit einer Lei-
stung von rund 10.000 MW sollen in zwölf
Jahren dort ihre Flügel drehen und rund
35 TWh Strom pro Jahr produzieren, so die
BMU-Leitstudie 2007. Die ursprünglich we-
sentlich ehrgeizigeren Ziele der Bundesregie-
rung sind auf 2030 gestreckt worden. Dann
soll die Leis-tung der Offshore-Anlagen bei
25.000 MW liegen.
Aber immer noch sind diese Erwartungen ein
ungedeckter Wechsel auf die Zukunft: Es gibt
zwar schon Offshore-Windparks, etwa vor
Dänemark, Schweden, Großbritannien oder
Irland – nicht aber vor den deutschen Küsten.
Denn die deutschen Pläne sind von anderem
Kaliber. Hier sollen die großen Offshore-
Anlagen mit 3 bis 7 MW Leistung pro Wind-
mühle nicht in Küstennähe stehen, sondern
weit draußen, 30 bis 40 Kilometer entfernt,
in Wassertiefen von bis zu 40 Metern. Damit
will man den Belangen von Tourismus,
Naturschutz, Schifffahrt und Fischerei Rech-
nung tragen. Die Herausforderungen für Er-
richtung und Betrieb der Kraftwerke und für
den Anschluss der Stromkabel ans Landnetz
wachsen dadurch aber gewaltig. Und so sind
die ursprünglichen Offshore-Pläne schon
kräftig in Verzug geraten. Schon vor fünf Jah-
ren hätte die erste Windernte auf See stattfin-
den sollen. Stattdessen drehen sich erst zwei
Testräder, eines im Rostocker Hafen und ei-
nes 100 Meter vor Emden. Nun soll der erste
deutsche Offshore-Park im Laufe des Jahres
2008 entstehen und 2009 komplett in Be-
trieb gegangen sein, wenn alles gut geht: es
ist das Testfeld „Alpha Ventus“, 45 Kilometer
vor der Insel Borkum.
Erst mit den Erfahrungen dieses Versuchs-
parks im Rücken soll dann der weitere Aus-
bau stattfinden. Das für die Zulassung von
Windenergieanlagen zuständige Bundesamt
für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH)
genehmigte bisher in der Nord- und Ostsee
20 Parks mit rund 1.400 Anlagen. Derzeit lie-
gen dem BSH Anträge für mehr als 30 weitere
Windparks vor.
Noch offen: Kosten und Risiken
Damit der Ausbau wie geplant in Gang
kommt, müssen die Rahmenbedingungen
dramatisch verbessert werden. Schon Ende
2006 wurden die Netzbetreiber durch eine
Änderung des „Beschleunigungsgesetzes von
Planungsverfahren für Infrastrukturmaßnah-
men“ verpflichtet, den Anschluss der Off-
shore-Anlagen auf eigene Kosten herzustel-
len. Die Anlagenbetreiber wurden so von den
Kosten der „Steckdose auf See“ entlastet. Sie
können bis zu 25 % der Investitionskosten
ausmachen. Allein die Anbindung von vier
geplanten Offshore-Windparks in der Nord-
see kostet den Düsseldorfer Versorger E.on
rund 400 Mio. Euro. Die Kosten werden über
die Netznutzungsgebühren auf alle Strom-
kunden umgelegt.
Durch die EEG-Novelle werden die Vergütun-
gen für den Offshore-Windstrom kräftig stei-
gen. Statt wie bisher 9,6 Cent werden künftig
13 bis 15 Cent pro Kilowattstunde erstattet.
Ob dies nun ausreicht, um ein stürmisches
Wachstum auf See zu entfesseln, bleibt offen.
Es sind noch viele technische Fragen zu lösen
und auch die Kostensituation ist noch nicht
wirklich transparent. Klar ist, dass der Off-
shore-Betrieb wesentlich aufwendiger ist.
Die Fehlerbehebung ist durch die Wetterrisi-
ken vor der Küste viel schwieriger als an Land.
Deshalb werden wartungsintensive Kompo-
nenten möglichst vermieden und alle be-
triebswichtigen Hilfsaggregate und Sensoren
sind doppelt vorhanden, damit ein Ausfall
nicht zu Stillstand führt. Zusammen mit den
aufwendigen Fundamenten im tiefen Wasser
und dem Korrosionsschutz in der salzhalti-
gen Luft verteuert dies die Produktion dras-
tisch. Allerdings ist die Stromernte auf See
ergiebiger, denn der Wind weht dort stärker
und gleichmäßiger.
81
fixen Aufpreis von 0,05 Cent. Insgesamt hat
das EEG nach Berechnungen der Bundesregie-
rung 2006 Mehrkosten von 3,3 Mrd. Euro ver-
ursacht. Berechnet wurden dabei die soge-
nannten „Differenzkosten“: Von den Kosten
der erneuerbaren Energien wird der Börsen-
wert des erzeugten Stroms abgezogen. Die
3,3 Mrd. Euro EEG-Mehrkosten bezahlen die
privaten Stromkunden; diese staatlichen Ab-
gaben werden über die Stromrechnung ein-
gezogen.
Seit der Einführung des EEG ist der Anteil der
erneuerbaren Energien am Stromverbrauch
von 5,5 % im Jahr 1999 auf über 14 % im Jahr
2007 gestiegen. Das ursprüngliche Ziel der
Bundesregierung für 2010, einen Anteil der
Regenerativen von 12,5 % zu erreichen, wurde
also bereits im letzten Jahr übertroffen, bei
allerdings guten Wind- und Wasserverhält-
nissen.
Inzwischen leisten die Erneuerbaren einen
wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung des
Treibhauseffektes. Die Bundesregierung gibt
an, dass 2006 durch ihre Nutzung rund 100
Mio. t CO2-Emissionen vermieden werden
konnten. Ohne ihren Ausbau wären die CO2-
Emissionen in Deutschland seit dem Jahr
2000 nicht gesunken, sondern angestiegen.
Außerdem entwickelten sich im Windschat-
ten des Gesetzes neue Industriezweige in
Deutschland: Besonders bei der Windenergie
und bei der Photovoltaik sind Unternehmen
entstanden, die im Weltmarkt Bedeutung
haben.
Wind, Wasser, Biomasse: Welche Quellen sind ergiebig?
In erster Linie ist der Ausbau der Windenergie
für den Höhenflug der Erneuerbaren in
Deutschland verantwortlich. Rund 5 % der
Stromproduktion stammt inzwischen von
den Windmühlen: 31 TWh waren es 2006 und
39,5 nach vorläufigen Zahlen 2007. Die Was-
serkraft steht noch an zweiter Stelle. 3,5 %
tragen die Wasserkraftwerke zur deutschen
Stromproduktion bei, 21 TWh 2006. Der
größte Teil des Stroms stammt dabei aus gro-
ßen Flusskraftwerken, fast 80 % des Stroms
aus Wasserkraft kommt aus mehreren Dut-
zend Anlagen, die größer sind als 5 MW. Der
Rest wird von mehr als 5.000 Kleinwasser-
kraftwerken produziert. Der Ausbau der Was-
serkraft vollzieht sich nur noch langsam und
hat begrenzte Potenziale. Mit dem Neubau
des ältesten Laufwasserkraftwerks in Europa,
dem Kraftwerk Rheinfelden am südbadi-
schen Hochrhein, treibt die EnBW eines der
größten Bauprojekte bei den Erneuerbaren
voran. Aber auch am Oberrhein und am
Neckar investiert die EnBW weiter in die
Wasserkraft.
Strom aus Biomasse ist der Wasserkraft be-
reits dicht auf den Fersen. Mit 18 TWh steuer-
te sie 2006 eine Größenordnung von rund
3 % zur deutschen Stromproduktion bei.
Hauptträger ist hier die Verstromung von
Biogas aus Energiepflanzen, die ein dynami-
sches Wachstum vorweisen konnte. Rasant
verläuft auch der Ausbau der Photovoltaik.
Von immer mehr deutschen Dächern schim-
mern die bläulichen Solarzellen. Und auch
die großen Freilandanlagen haben in den
letzten Jahren enorm zugelegt. Der Anteil der
Photovoltaik an der Stromversorgung ist aber
nach wie vor sehr gering: 0,4 % oder rund 2
TWh waren es 2006. Dass viele Solaranlagen
nur verhältnismäßig wenig Strom produzie-
ren, ist systembedingt. Nachts produzieren
die Solarzellen logischerweise keine Energie,
aber auch die Umwandlungsquote von Strah-
lungsenergie in Strom ist immer noch sehr
gering.
80
Nach Berechnungen des DEWI wäre ein An-
wachsen des Stromertrags auf den heute
schon durch Windkraftanlagen genutzten
Flächen durch Repowering im Idealfall auf
90 TWh pro Jahr möglich. Das ist aber nur ein
theoretisch nutzbares Potenzial. In der Praxis
steht dem das Genehmigungsrecht entgegen.
Der Erfolg des Repowering hängt ganz we-
sentlich von der zugelassenen Nabenhöhe
des Rotors und den Abstandsregelungen zu
Siedlungen ab. Das Planungsrecht hat sich
aber seit den Pioniertagen der Windenergie
eher verschärft, an vielen bestehenden
Standorten würde heute keine Windenergie-
anlage mehr genehmigt. So empfiehlt bei-
spielsweise das Land Niedersachsen, dass ein
neues Windrad mindestens einen Kilometer
Abstand zum nächsten Wohngebäude haben
müsse. Die Höhenbeschränkung liegt vieler-
orts bei 100 Metern. Die neuen Anlagen, die
ein Vielfaches der Erträge alter Modelle leis-
ten, sind aber auf eine Höhe jenseits der 100
Meter angewiesen. Die alten Anlagen laufen
also weiter, weil Neuanlagen am gleichen
Standort nicht genehmigt würden.
Würden Nabenhöhen von bis zu 130 Metern
genehmigt, liegt das wirtschaftlich nutzbare
Potenzial des Repowerings laut einer Studie
des Umweltministeriums bei über 26.000
MW Leistung, der BWE geht sogar von 28.000
MW aus, mit denen 49 TWh Strom pro Jahr
produziert werden können. Neben Offshore
ist das Repowering also die zweite Säule, auf
der die Hoffnungen für die Zukunft der
Windenergie ruhen – und damit die Hoff-
nungen für den Beitrag der Erneuerbaren
zum Klimaschutz insgesamt.
Ob das Repowering in Fahrt kommen wird,
ist ungewiss. Die Genehmigungsfragen sind
nämlich sehr komplex. Die Zuständigkeiten
liegen überwiegend auf kommunaler Ebene,
zum Teil machen die Länder entsprechende
Vorgaben. Ein Durchbruch für das Repower-
ing ist derzeit deshalb noch nicht in Sicht.
2007 wurden gerade einmal 108 alte Anlagen
durch 45 moderne Anlagen ersetzt. Die Bun-
desregierung kann mangels Zuständigkeit
nur konzeptionelle Schützenhilfe leisten. So
haben Bau- und Umweltministerium ge-
meinsam Hinweise für die planungsrecht-
liche Absicherung des Repowering erarbeitet.
Damit sollen entsprechende Modernisie-
rungsstrategien der Planungsträger in Län-
dern und Kommunen unterstützt werden.
Hoffnungsträger Nr. 2: Biomasse
Neben der Windenergie muss die Biomasse
die Hauptlast des weiteren Ausbaus der Er-
neuerbaren stemmen. Nach der Leitstudie
des BMU von 2007 soll sich die Stromerzeu-
gung aus Biomasse bis 2020 gegenüber 2005
verdreifachen und 36 TWh jährlich zur Verfü-
gung stellen. Das wären rund 6,2 % der Brut-
tostromerzeugung, wenn man die Zielvor-
stellungen der Bundesregierung für den
Strommarkt zugrunde legt. Mehr als die
Hälfte davon stammt aus Biogas, der Rest
aus fester Biomasse, sprich Holz.
Allerdings hat die Bundesregierung festge-
stellt, dass Biomasse bisher sehr ineffektiv
genutzt wird. So wird nur ein sehr kleiner Teil
des Stroms aus biogenen Stoffen in Kraft-
Wärme-Kopplung (KWK) gewonnen, bei den
meisten Anlagen verpufft die Wärme unge-
nutzt. Die Regierung plant deshalb bei der
EEG-Novelle, dass neue, größere Anlagen nur
dann noch eine Vergütung erhalten, wenn sie
in KWK betrieben werden. Außerdem wird es
eine Verordnung über die Einspeisung von
Biogas ins Erdgasnetz geben. Damit kann
Biogas verstärkt in Ballungsräumen mit
entsprechenden Wärmenutzungsmöglich-
keiten eingesetzt werden.
Begrenzt: Anbauflächen fürEnergiepflanzen
Die Nutzung von Biomasse für energetische
Zwecke ist nicht unbegrenzt steigerbar. Der
limitierende Faktor ist die zur Verfügung ste-
hende Fläche. In Deutschland hat der Anbau
von Energiepflanzen im letzten Jahr mit 1,75
Mio. Hektar – mehr als 14 % der gesamten
Ackerfläche – einen Rekord erreicht, so Agrar-
staatssekretär Gert Lindemann auf einem
Kongress in Berlin. Langfristig könne etwa ein
Drittel der Fläche hierfür genutzt werden.
Die Nutzungskonkurrenz mit dem Anbau
von Nahrungsmitteln steigt allerdings – und
damit auch die Preise sowohl für Nahrungs-
mittel als auch für die Energiebauern. So wies
der Fachverband Biogas e.V. Ende 2007 dar-
auf hin, dass sich die Preise für die Einsatz-
stoffe für Biogasanlagen, wie Mais und Ge-
treide, mehr als verdoppelt haben. An den
Kosten einer Biogasanlage haben die Einsatz-
stoffkosten einen Anteil von über 40 %. Der
Fachverband fordert deshalb eine höhere
Vergütung für Strom aus Biogas. Dadurch
wächst aber die Gefahr, eine Endlos-Preis-
spirale loszutreten.
Vor diesem Hintergrund hat Europas größter
Agrarhandelskonzern BayWa vor Pleiten in
der Biogasbranche gewarnt. „Die Wahrschein-
lichkeit, dass Landwirte mit Biogasanlagen in
existenzielle Nöte geraten, wird stark zuneh-
men, wenn die Rohstoffpreise nicht schnell
zurückgehen“, sagte BayWa-Chef Wolfgang
Deml. Das sei aber langfristig nicht zu erwar-
ten. Deml warnte vor einem weltweiten Ge-
treidemangel. Grund dafür sind nach Demls
Worten die wachsende Weltbevölkerung, der
steigende Lebensstandard und die massive
Förderung von nachwachsenden Rohstoffen.
Importrohstoffe: Sozial wie ökologisch problematisch
Der Boom der Energiepflanzen findet nicht
nur in Deutschland sondern weltweit statt.
So werden in etlichen Blockheizkraftwerken
irgendwo in der deutschen Provinz Palmöle
aus dem Anbau in Entwicklungs- und Schwel-
lenländern, insbesondere in Indonesien, ver-
feuert. Nach Berechnungen des Leipziger In-
stituts für Energetik und Umwelt wurden im
Jahr 2007 in deutschen Blockheizkraftwerken
mittels Palmöl rund 1,3 Mrd. Kilowattstunden
Strom erzeugt. Das katholische Hilfswerk Mi-
sereor warnt unterdessen, dass die wachsen-
de Nachfrage nach Pflanzen wie Zuckerrohr,
83
Ein Nadelöhr beim Ausbau von Offshore-
Anlagen sind die begrenzten Kapazitäten bei
Herstellern und Zulieferern, denn nur wenige
Hersteller wollen das Wagnis im Meer einge-
hen. Auch bei der Infrastruktur für den Bau,
wie zum Beispiel den notwendigen Spezial-
schiffen, gibt es Engpässe.
Welche Risiken auf See bestehen, musste
der dänische Wind-Weltmarktführer Vestas
gleich doppelt erfahren. Zuletzt beim 100
Mio. Euro teuren Projekt von Scroby Sands
vor der britischen Küste. Bei sämtlichen 30
Windrädern mussten alle Hauptlager der ton-
nenschweren Getriebe ausgetauscht werden.
Auf See eine Katastrophe, weil die Reparatu-
ren das Zehnfache dessen verschlingen, was
dieselben Arbeiten an Land gekostet hätten:
geschätzt 30 Mio. Euro. Zwei Jahre zuvor hat-
te Vestas bei dem Windpark Horns Rev in der
Ostsee die Maschinenhäuser aller 80 Hoch-
seewindräder austauschen müssen – wegen
Korrosionsschäden.
Windenergie Onshore: Dynamik durch Repowering?
An Land flaut die Dynamik des Windenergie-
ausbaus ab. 2007 ist der Zubau von Wind-
rädern in Deutschland gegenüber 2006 um
25 % gesunken. Dem Deutschen Windener-
gie-Institut (DEWI) zufolge wurden im ver-
gangenen Jahr in Deutschland 883 Windener-
gieanlagen mit einer Leistung von 1.667 MW
neu installiert. 2006 waren es noch 1.208 An-
lagen mit 2.233 MW. Die Prognosen für 2008
gehen von weiter sinkenden Zahlen aus. Es
wird schwieriger, noch gute Standorte für
Neuanlagen zu finden. Zudem ist die Renta-
bilität der Anlagen wegen steigender Kosten
für Rohstoffe wie Stahl und wegen Engpässen
im Anlagenbau nach Angaben der Windbran-
che unter Druck geraten. Auch das schränkt
die Standortwahl auf Flächen mit hohem
Windangebot ein. Auch wenn der Neubau
deswegen noch lange nicht zum Erliegen
kommt: Die Zukunft der Onshore-Windener-
gie liegt im sogenannten Repowering. Also
dem Ersatz älterer, kleiner Anlagen durch
neue, leistungsstärkere. Das Potenzial ist ge-
rade an den guten Standorten groß.
Insgesamt drehen sich in Deutschland der-
zeit knapp 20.000 Mühlen im Wind. Moder-
ne Anlagen haben eine Leistung von 2 bis
3 MW. Der größte Teil des Bestandes wurde
aber bereits in den Neunzigerjahren gebaut
und belegt oft die besten Windstandorte. So
sind 17,3 % der Windenergieanlagen älter als
zehn Jahre. 2004 lag die durchschnittliche
Leistung aller installierten Windkraftanlagen
bei 1 MW, die in diesem Jahr neu installierten
Anlagen wiesen dagegen eine Durchschnitts-
leistung von knapp 1,8 MW auf. Bei einem
Ersatz der alten Turbinen mit typischerweise
200 bis 600 kW Leistung durch neue Turbi-
nen der Multimegawattklasse könnten durch
weniger Anlagen erheblich mehr Strom er-
zeugt werden: „Größere Anlagen können die
Schallbelastung deutlich reduzieren, die Leis-
tung aber verdoppeln und den Ertrag sogar
verdreifachen“, sagt der Präsident des Bun-
desverbands WindEnergie, Hermann Albers.
82
Unter Druck: Klimaschutzstrategieder Bundesregierung
Vor dem Hintergrund dieser Debatte gerät
ein gewichtiger Teil der Klimaschutzstrate-
gie der Bundesregierung unter Druck: Der
Einsatz von Biomasse im Treibstoffbereich.
Die Regierung setzt hier auf die Beimi-
schung von so genannten Biotreibstoffen
zu Diesel und Benzin. Erst im letzten Jahr
wurde auf diesem Gebiet eine drastische
Verschärfung der Gangart beschlossen: Bis
zum Jahr 2020 sollen 20 Volumenprozent
der Treibstoffe aus Energiepflanzen stam-
men. Derzeit sind es beim Diesel etwa 5 %
und beim Normalbenzin 2 %. Die Strategie
der Beimischung lässt sich jedoch nicht hal-
ten und Bundesumweltminister Gabriel
musste jüngst die Biosprit-Position der
Bundesregierung revidieren.
Die Beimischung von Bioethanol zum
Benzin wird nun nicht, wie ursprünglich
geplant, von bislang 5 % (so genannte E-5-
Regelung) auf 10 % (E-10-Regelung) erhöht.
Grund: Der Verband der Importeure auslän-
discher Marken bezifferte die Anzahl der
PKW, die E-10 nicht vertragen und daher auf
teureres Super-Plus umsteigen müssten, auf
über 3 Mio. Die Bundesregierung war auf-
grund der Herstellerangaben bislang nur
von insgesamt rund 375.000 betroffenen
PKW ausgegangen. Die E-10-Regelung sollte
es der Automobilindustrie erleichtern, die
EU-Vorgabe einer Begrenzung des CO-Aus-
stoßes von PKW bis 2012 auf 120 g/km zu er-
füllen. Nach dem Willen des Bundesumwelt-
ministers sollen die Autohersteller dieses
Ziel nun ausschließlich mit technischen
Mitteln erreichen, auch wenn dies teurer als
die geplante E-10-Regelung würde.
Das Dilemma der Biosprit-Verordnung, so
die Meinung zahlreicher Experten, erhöht
den Druck auf die Bundesregierung, eine
ausgewogenere Energie- und Klimapolitik
zu betreiben. Kurz- und mittelfristig er-
scheint eine größere Förderung anderer er-
neuerbarer Energien, wie der Windenergie,
als Möglichkeit.
Langfristig gibt es Hoffnungen, dass die
Biotreibstoffe der zweiten Generation viele
Probleme lösen werden. Im Gegensatz zu
bisherigen Technologien nutzen sie die gan-
ze Pflanze und nicht nur die Früchte zur
Treibstoffproduktion. Sie sind aber noch
weit von ihrem großtechnischen Einsatz
entfernt.
Lösungen: Was dieBundesregierung plant
Die Bundesregierung will mit zwei Maßnah-
men auf die Kritik reagieren:
› Ab 2015 soll der weitere Ausbau des Bio-
sprits durch eine Änderung des Biokraft-
stoffquotengesetzes stärker an der tat-
sächlichen Minderung der Treibhausgase
ausgerichtet werden. Die klimaschädlichen
Emissionen, die durch Herstellung und
Verwendung von Biosprit entstehen, müs-
sen schrittweise reduziert werden. Das be-
trifft den Anbau ebenso wie die Technolo-
gien, die bei der Treibstoffproduktion
eingesetzt werden. Der höhere Biokraft-
stoffanteil soll die Treibhausgasemissio-
nen der Treibstoffe um bis zu 10% ver-
mindern.
› Eine weitere Verordnung soll sicherstellen,
dass Biomasse als Rohstoff für Benzin und
Diesel nachhaltig angebaut wird. Das be-
trifft die Flächen, auf denen sie angebaut
werden, wie auch die Anbaumethoden und
ihre Auswirkungen auf Böden, Wasser und
Luft. Während die Treibstoffstrategie der
Bundesregierung immer heftiger debat-
tiert wird, ist der Einsatz von Biomasse zur
Herstellung von Strom und Wärme im
Grundsatz weitestgehend unumstritten.
Das liegt daran, dass die Produktion von
Biogas wesentlich effizienter ist als die
Herstellung von Treibstoffen, vorausge-
setzt, die anfallende Wärme wird sinnvoll
genutzt. Aber auch hier gibt es Diskussio-
nen um Anbaumethoden und Rohstoffim-
porte. Deshalb soll auch für diesen Sektor
eine Rechtsverordnung erlassen werden,
die Mindestanforderungen für Energie-
pflanzen festlegt. Diese gelten einerseits
für den Anbau in Land- und Forstwirt-
schaft und andererseits für ihren Beitrag
zur Treibhausgasreduktion.
All das wird aber nur funktionieren, wenn es
ein global wirksames, verlässliches und
transparentes Zertifizierungssystem für
biogene Rohstoffe gibt. Ein solches System
ist bislang noch nicht einmal in Ansätzen
erkennbar. Es ist also noch ein langer und
steiniger Weg zurückzulegen.
85
Palmöl, Soja oder Mais zur Energieversor-
gung zu einer Gefahr für die arme, vorwie-
gend städtische Bevölkerung in den Ent-
wicklungsländern werde. So habe sich in In-
donesien der Preis für Speiseöl um fast 30 %
erhöht. Die Palmölkonzerne könnten mehr
Geld im Exportgeschäft als auf dem lokalen
Markt verdienen. Für die Armen werde somit
ein Grundnahrungsmittel nahezu uner-
schwinglich. „Voller Tank und leerer Teller“,
lautet deshalb die Kritik der Hilfsorganisatio-
nen am Aufbau eines weltweiten Marktes für
Bioenergie. Auch der UN-Sonderberichter-
statter für das Recht auf Nahrung, Jean Zieg-
ler, warnt vor den weitreichenden Folgen der
verstärkten Nutzung von in Entwicklungslän-
dern angebauten Energiepflanzen. „Die Aus-
wirkungen, die Biotreibstoff auf den Hunger
hat, sind Grund zu großer Besorgnis, was das
(Menschen)-Recht auf Nahrung betrifft“, so
Ziegler in seinem Bericht für den UN-Men-
schenrechtsrat. Eine einfache beispielhafte
Rechnung: 200 Kilogramm Mais lassen sich
zu einer guten PKW-Tankfüllung von 50 Li-
tern Biosprit verarbeiten – sie können aber
auch einen Menschen ein Jahr lang ernähren.
Auch die Klimabilanz von solchen Import-
rohstoffen kann verheerend sein. So werden
nach Angaben von „Brot für die Welt“ in Indo-
nesien, aber auch in Kolumbien und Brasilien
sowie Neuguinea Urwälder abgebrannt, um
Platz für den Anbau von Energiepflanzen zu
schaffen. Indonesien hat dabei einen trauri-
gen Weltrekord aufgestellt. Nirgendwo wer-
den die Primärwälder gnadenloser abgeholzt
als in dem Inselstaat. Seit dem Jahr 2000 ist
jährlich eine Fläche von rund 1,8 Mio. Hektar
Wald verloren gegangen – fünf Fußballfelder
pro Minute. Das führt zu einem Verlust von
biologischer Vielfalt und belastet das Weltkli-
ma erheblich. Aberwitzig wird die Treibhaus-
gasbilanz, wenn Wälder abgeholzt werden, die
auf Torfböden wachsen. In diesem Fall wird
das im Boden gespeicherte Kohlendioxid frei-
gesetzt. Intaktes Torfland, weltweit rar, spei-
chert bis zu 1.400 t CO2 pro Hektar. Alleine
auf Sumatra verursacht die Zerstörung von
Wald und Sumpf für Papier- und Ölplantagen
mehr Treibhausgase als die Niederlande pro
Jahr emittieren, hat die Umweltstiftung WWF
errechnet.
Exkurs: Biotreibstoffe als Klimakiller
Besonders miserabel sind die Folgen, wenn
Biomasse aus solchen Quellen zur Produk-
tion von Treibstoffen eingesetzt wird. Das
verdeutlicht eine Studie von Joseph Fargione
von der Umweltschutzorganisation „The Na-
ture Conservancy“. Werden Regenwälder, Torf-
land, Savannen, Grasland oder aufgegebenes
Ackerland zu Plantagen mit Ölpalmen, Soja,
Zuckerrohr oder Mais umgewandelt, führt
dies zu einer beträchtlichen „Kohlenstoff-
Schuld“: Durch die Rodung und durch langsa-
me Abbauprozesse im Boden wird zwischen
17- bis 420-mal so viel CO2 freigesetzt, wie
sich jährlich einsparen lässt, wenn man mit
den auf diesen Flächen gewonnenen Biotreib-
stoffen fossile Treibstoffe ersetzt. Das bedeu-
tet, dass es 17 bis 420 Jahre dauert, bis die
Emissionen wieder auf null sind.
Laut einer weiteren Studie, die unter der
Leitung des Chemie-Nobelpreisträgers Paul
Crutzen erstellt wurde, wird durch den Ein-
satz von Dünger drei- bis fünfmal so viel
Lachgas – ein besonders starkes Treibhausgas
– emittiert wie ursprünglich angenommen.
Dies allein könnte die Vorteile von gewöhnli-
chen Biotreibstoffen ins Gegenteil verkehren.
Biotreibstoffe erreichen nur dann eine positi-
ve Klimabilanz, wenn sie aus Abfallbiomasse
oder aus Pflanzen hergestellt werden, die
kaum Dünger brauchen und die CO2-Spei-
cherung im Boden nicht verringern. Dies ist
etwa bei speziellen mehrjährigen Gräsern
oder bei gewissen Baumkulturen der Fall. Au-
ßerdem ist für eine positive Klimabilanz er-
forderlich, dass diese Pflanzen nur auf Land-
flächen angepflanzt werden, die nicht für die
Nahrungsmittelproduktion benötigt werden.
Laut David Tilman, einem Mitautor der Stu-
die von Joseph Fargione, gibt es genug degra-
diertes oder verlassenes Ackerland, um etwa
10 bis 20 % des globalen Energiebedarfs für
die Mobilität zu decken.
84
der Photovoltaik erst Mitte des Jahrhunderts
auslaufen. Und schon heute belaufen sich die
Solarschulden – das Fördergeld, das für die
bestehenden Anlagen in Zukunft noch be-
zahlt werden muss – auf 112 Euro pro Kopf.
Die Folgen sind gravierend, denn die Photo-
voltaik frisst die Kostensenkungserfolge der
anderen erneuerbaren Energien wieder auf.
2003 kostete eine Kilowattstunde EEG-Strom
im Durchschnitt 9,16 Cent. 2006 waren es
schon 10,88 Cent. 2007 werden es voraus-
sichtlich 11,66 Cent gewesen sein, schätzt der
Verband der Netzbetreiber. Innerhalb von
fünf Jahren entspricht dies einem Anstieg
um 27 %, der überwiegend auf die Solarener-
gie zurückzuführen ist. Denn je mehr Solar-
energie im Netz ist, desto höher schlagen ihre
hohen Produktionskosten auf das Gesamt-
system durch. Versprochen war das Gegen-
teil: Ökostrom sollte eigentlich immer billi-
ger werden.
Dabei finanziert das deutsche Fördersystem
nicht nur den Aufbau der Solarindustrie in
Deutschland. Die Fachzeitschrift „Photon“
schätzt, dass mehr als die Hälfte der in
Deutschland errichteten Solarmodule in-
zwischen aus dem Ausland, vorwiegend aus
Asien, importiert werden. Deutschland ist
Weltmarktführer im Bereich Photovoltaik.
55 % der weltweiten Photovoltaik-Leistung
sind in Deutschland installiert! Die Ausnah-
mestellung Deutschlands im Bereich der
Solarenergie zeigt sich auch im europäischen
Vergleich. 2006 wurden in der EU Anlagen
mit einer Leistung von 1.246 MW installiert.
Auf Deutschland entfielen davon gut 92 %.
Die anderen europäischen Märkte gingen
dagegen im Rauschen unter: Auf dem zweit-
größten europäischen Markt Spanien wurde
eine zusätzliche Leistung von 60,5 MW ver-
zeichnet; es folgen Italien mit 11,6 MW neuer
Leistung sowie Frankreich mit 6,4 MW. Das
meldet das Observatoire des energies
renouvelables (Observer), ein Zusammen-
schluss von europäischen Spitzenorganisa-
tionen für erneuerbare Energien.
Photovoltaik: Die Pläne der Bundesregierung
Die Industrie verdient dabei hervorragend;
2006 beliefen sich die Umsätze auf 3,8 Mrd.
Euro. Unter den zehn renditestärksten Unter-
nehmen Deutschlands, die das Handelsblatt
ermittelt hat, finden sich gleich zwei Solarun-
ternehmen: Auf Platz 1 steht Q-Cells, auf Platz
4 folgt Solarworld.
Der Erfolg der Photovoltaik könnte sich bei
einem „weiter so“ in sein Gegenteil verkehren.
Die explosionsartige Kostenentwicklung
droht nicht nur die Akzeptanz der Solarindu-
strie aufzufressen, sondern das Ansehen der
Erneuerbaren insgesamt.
Die Bundesregierung hat mit der Novelle des
EEG auf dieses Risiko reagiert und wird die
Vergütungen für die Photovoltaik schrittwei-
se senken. Das passiert im Rahmen des EEG
quasi automatisch, denn die Vergütungssätze
werden Jahr für Jahr um einen bestimmten
Prozentsatz gesenkt. Für Photovoltaik soll die
jährliche Degression 2010 von derzeit 5 auf
dann 8 % steigen, 2011 auf 9 %. Die Fachzeit-
schrift „Photon“ hält dies für nicht radikal ge-
nug. Sie schlug für die Novelle einen einmali-
gen Degressionssprung von 30 % vor und
danach pro Jahr weitere 7,5 % Abschlag auf
den geltenden Fördersatz. Selbst für diesen
Fall summieren sich nach Berechnungen von
„Photon“ die Förderkosten bis 2019 auf die
immense Summe von 150 Mrd. Euro.
So oder so ist jedenfalls klar, dass die Zukunft
der Solarstromerzeugung durch Photovoltaik
davon abhängt, wie stark die Kosten für die
Kilowattstunde Strom gesenkt werden kön-
nen. Solarenergie spielt in den Szenarien für
die Zukunft der Stromversorgung vor allem
langfristig eine bedeutende Rolle. Dazu ge-
hört auch die Vision, Strom in solarthermi-
schen Kraftwerken in Südeuropa und Nord-
afrika kostengünstig und in großen Mengen
zu erzeugen und über ein neues Supernetz
nach Mitteleuropa zu transportieren.
Ganz ohne Treibhausgaseffekt ist die Photo-
voltaik übrigens nicht. In die Produktion der
Anlagen fließt viel Energie. Das führt dazu,
dass pro Kilowattstunde Strom aus einer
Photovoltaikanlage rund 100 Gramm CO2entstehen, bei Wasserkraft sind es 40, bei
Kernenergie 32 und bei Windenergie 24
Gramm CO2.
Engpass: Das Transportnetz
Ein besonderes Problem für den Ausbau der
erneuerbaren Energien ist die Situation bei
den Stromnetzen. Die traditionellen Kraft-
werksstandorte waren vor allem im Westen
und im Süden Deutschlands zu finden, im
Kohlerevier und bei den industriellen
Schwerpunkten. Durch den Aufstieg der
Windenergie und die Ablösung der heimi-
schen Steinkohle durch Importkohle, die
per Schiff angelandet wird, verlagern sich die
Erzeugungsschwerpunkte immer mehr in
den Norden und den Nordosten. In der Folge
muss der erzeugte Strom zu den Hot Spots
des Energieverbrauchs transportiert werden.
Auch die Liberalisierung der Strommärkte
und der europäische Stromhandel fordern
höhere Leitungskapazitäten.
87
Im Aufschwung: Solarenergie
Photovoltaik boomt in Deutschland schon
seit Jahren und der Aufschwung verstärkt
sich noch: 2007 sind Anlagen mit einer Leis-
tung von mehr als 1.100 MW-Peak neu ans
Netz gegangen, 30 % mehr als 2006. Insge-
samt verfügt Deutschland inzwischen über
Anlagen mit einer Leistung von 3.800 MW-
Peak. Das entspricht der Leistung von vier
großen Kohlekraftwerken. Die Stromausbeu-
te ist allerdings wesentlich geringer, denn die
Sonne scheint nun mal nur am Tage und im
Sommer länger und stärker als im Winter.
Eine Photovoltaikanlage kommt in Deutsch-
land, je nach Standort, auf 750 bis 1.000
Volllaststunden, an sonnenreichen, süddeut-
schen Spitzenstandorten auf 1.300. Die Voll-
laststunde zeigt an, wie viele Stunden die
Anlage im Jahr gelaufen wäre, wenn sie die
zur Verfügung stehende Leistung stets zu
100 % genutzt hätte. Zum Vergleich: Grund-
lastkraftwerke, die mit Braunkohle oder Uran
betrieben werden, kommen etwa auf 7.240
Volllaststunden, Laufwasserkraftwerke auf
5.620, Windkraftanlagen auf durchschnittlich
1.800, neuere auch schon mal auf Werte zwi-
schen 2.000 und 3.000.
Die Leitstudie 2007 des Umweltministeri-
ums sieht für 2020 einen Wert von 10.000
MW-Peak für Photovoltaik vor. Es ist abseh-
bar, dass dies bei Weitem übertroffen wird,
wenn die Regierung die Förderung von
Photovoltaik nicht deutlich drosselt. Aber:
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.
Der Preis ist heiß: Kosten der Photovoltaik
Kein Strom wird so üppig vergütet wie die
Solarenergie aus Photovoltaikanlagen: Gut
46 Cent pro Kilowattstunde schreibt das EEG
aktuell für eine Solaranlage auf dem Dach
vor, garantiert für den Zeitraum von 20 Jah-
ren. Der Börsenpreis für eine Kilowattstunde
Strom liegt bei rund 5 Cent, Windenergie wird
mit maximal 9,1 Cent vergütet. Die hohe Ver-
gütung führt zu enormen Kosten bei der Ver-
meidung von CO2: 900 Euro pro t hat das
Rheinisch-Westfälische Institut für Wirt-
schaftsforschung RWI in Essen berechnet.
Der Emissionshandel bewertet den Preis ei-
ner t CO2 dagegen mit rund 20 bis 30 Euro.
Doch noch mit einer weiteren Zahl hat das
RWI Aufmerksamkeit erregt. So haben die
Wissenschaftler die Einspeisevergütung für
die bis Ende 2007 aufgestellten Photovoltaik-
anlagen über den Garantiezeitraum von 20
Jahren hochgerechnet und sind dabei auf ei-
ne Summe von rund 31 Mrd. Euro gekom-
men. Zieht man den Wert des produzierten
Stroms ab, bleiben Folgekosten von etwa 23
Mrd. Euro übrig. Umgelegt auf die Zahl der
Beschäftigten ergibt dies eine Subventionie-
rung jedes Arbeitsplatzes in der Photovoltaik-
branche von rund 153.000 Euro. Das stellt
selbst die Förderung des Steinkohlebergbaus
in den Schatten, wo jeder Arbeitsplatz „nur“
mit 78.000 Euro finanziert wurde. Und da
die Dynamik des Zubaus von Solarzellen
ungebrochen ist – für 2008 werden 1.500 bis
2.000 MW-Peak erwartet – wird die Kostenla-
wine ebenso dynamisch anschwellen. Würde
das bisherige Fördersystem auch nur bis
2010 fortgesetzt, geht das RWI von Einspeise-
vergütungen von brutto 73,5 Mrd. Euro aus.
Die Photovoltaik wirft lange Schatten. In der
Realität gehen Regierung und Industrie von
wesentlich längeren Zeiträumen für die För-
derung aus. Die Leitstudie des Umweltmini-
steriums geht sogar von einer Solarförderung
bis weit über das Jahr 2020 aus. Bei einer
dann immer noch währenden Garantieför-
derzeit von 20 Jahren würde die Förderung
86
Viele Fragezeichen: CO2-Abtrennungund Speicherung
Ohne fossile Energien kann der wachsende
Energiehunger noch über einen langen Zeit-
raum hinweg nicht gestillt werden. Das gilt
für Deutschland und erst recht für die Welt-
wirtschaft. Dabei werden Stein- und Braun-
kohle eine wichtige Rolle spielen. Die Kohle-
vorräte reichen noch für Jahrhunderte. Sie
sind geographisch weit gestreut, und eine
mächtige Kohle-OPEC ist weit und breit nicht
in Sicht. Vor allem Indien und China setzen
bei ihrem wirtschaftlichen Höhenflug in er-
ster Linie auf Strom aus Kohlevorräten, über
die sie reichlich verfügen.
Der Nachteil der Kohle ist ihr hoher Kohlen-
stoffgehalt. Beim Verbrennen wird daraus das
Treibhausgas CO2, das die Erwärmung des
Weltklimas fördert. 750 Gramm CO2 je Kilo-
wattstunde Strom sind es bei Steinkohle, 950
bei Braunkohle, Erdgas liegt dagegen bei 430
Gramm. Viele Hoffnungen ruhen deshalb auf
der Entwicklung von Verfahren, die das CO2aus dem Rauchgas der Kraftwerke entfernen,
um es anschließend in gasdichten, unterirdi-
schen Hohlräumen einzulagern. Sie werden
unter dem Oberbegriff CCS (Carbon Capture
and Storage) vorangetrieben.
Allerdings sind sie noch im Stadium von
Forschung und Entwicklung, im Übergangs-
stadium zur Erprobung. Die Bundesregie-
rung konzentriert sich deshalb darauf, den
Rechtsrahmen zu entwickeln, der für die
Genehmigung der Abtrenntechnik und der
Einlagerung erforderlich sein wird, sowie die
Forschung bis hin zu Demonstrationsanla-
gen voranzutreiben. Die CCS-Technik wird
bis zum Jahr 2020 noch keine Beiträge zum
Erreichen der Klimaschutzziele leisten. Aber
für den Zeitraum danach ruhen große Hoff-
nungen auf ihr.
Die Fragezeichen sind aber noch ebenso groß.
Es gibt sie im technischen Bereich, obwohl
die Zuversicht, dass die Techniken ins Laufen
gebracht werden können, recht hoch ist. Und
es gibt sie im Bereich der gesellschaftlichen
Akzeptanz: Wie werden die Anwohner eines
solchen CO2-Endlagers reagieren? Es gibt sie
vor allem aber im Bereich der Wirtschaftlich-
keit: Was wird es kosten, eine Tonne CO2 ein-
zufangen, zu transportieren und einzula-
gern?
Beispiel RWE: 2014 soll das erste große De-
monstrationskraftwerk mit 450 MW Leistung
und CO2-Abscheidetechnik in Betrieb gehen.
Die Kosten für das Projekt sind inzwischen
auf 1,7 Mrd. angestiegen, 700 Mio. mehr als
ursprünglich geplant. Pro Kilowattstunde
Strom sind das 6,5 bis 7 Cent Mehrkosten, die
CCS verursachen würde.
Was die Kosten für die vermiedenen CO2-
Emissionen angeht, so glauben nur notori-
sche Optimisten an einen Preis von 20 Euro
je t; pessimistische Rechner kommen auf 70
Euro. Das ist meilenweit entfernt von den zu
erwarten Zertifikatskosten im europäischen
Emissionshandel. Viel mehr als 30 bis 40
Euro pro t CO2 gibt ihnen auch längerfristig
kaum jemand. CCS hätte also nur dann eine
Chance, wenn sich die Kosten dieser Technik
in genau diesen Korridor legen würden.
Die ersten Projekte sind an dieser Hürde be-
reits gescheitert. So verkündeten das norwe-
gische Energieunternehmen Statoil und der
Ölmulti Shell im Sommer 2007 das Aus für
die geplante CO2-freie Energieversorgung
von zwei Offshore-Plattformen. Problema-
tisch ist auch die Verfügbarkeit von Lagerstät-
ten. In Deutschland gibt es geeignete Hohl-
räume in der erforderlichen Größe nur im
Norden. Kraftwerke, die im Süden betrieben
werden, müssten ihr CO2 über viele hundert
Kilometer weit per Pipeline oder Schiff trans-
portieren. Und alle Lagerstätten sind natür-
lich endlich. Das macht CCS allenfalls zu ei-
ner Brückentechnologie, die vor allem eines
gibt: Zeit – und zwar 73 Jahre. So lange wür-
den nach einem Gutachten des Wuppertal-
Instituts die weltweit vorhandenen geeigne-
ten Lagerstätten reichen – gleich bleibender
Kohleverbrauch vorausgesetzt. 73 Jahre, das
entsprich zwei Kraftwerksgenerationen. Da-
nach müssten die alternativen Energien die
Last der Energieversorgung alleine tragen.
89
Die Transportnetze müssen massiv ausge-
baut werden, um dies zu schaffen. Aber das
Ausbautempo der Netze kann mit dem der
erneuerbaren Energien nicht mithalten.
Wegen des Planungs- und Verwaltungsauf-
wands, vor allem aber wegen des lokalen
Widerstands gegen Neubauvorhaben, dauert
es zur Zeit acht bis zehn Jahre, bis eine neue
Hochspannungsleitung steht. Inzwischen
treten immer häufiger regionale Engpässe
im Stromnetz auf und Windenergieanlagen
müssen „abgeregelt“ werden – ihre Leistung
wird gedrosselt, sie können ihr Stromerzeu-
gungspotenzial nicht ausnutzen. Ökono-
misch gesehen, wird der Strom quasi weg-
geworfen.
Inzwischen ist das keine Seltenheit mehr. Die
Vattenfall Europe Transmission GmbH zählte
2006 noch 80 Tage mit kritischen Situationen
im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes. Im
vergangenen Jahr waren es bereits 155 Tage.
Während der ersten 29 Tage des Jahres 2008
war es bereits an 28 Tagen kritisch.
Auch die Bundesnetzagentur schlägt Alarm.
Durch die Dauer der Genehmigungsverfah-
ren entstünden bei vielen Ausbaumaßnah-
men von europäischer Bedeutung nicht vor-
hersehbare Verzögerungen. Deshalb sind,
so der Präsident der Bundesnetzagentur,
Matthias Kurth, „in einigen Regionen
Deutschlands mittelfristig Engpässe im
Stromnetz nicht auszuschließen. Inner-
deutsche Engpässe könnten den deutschen
Stromgroßhandelsmarkt erheblich beein-
trächtigen – mit unabsehbaren Folgen für
die Preisentwicklung insgesamt.“
Laut Stromwirtschaft sind bis 2020 Investi-
tionen in Höhe von 40 Mrd. Euro in Ausbau
und Erhalt der Stromnetze nötig. Allein für
den Ausbau der Windenergie müssen laut der
Deutschen Energieagentur dena 850 Kilome-
ter neues Hochspannungsnetz errichtet wer-
den. Gelingt dies nicht, könnten die Wachs-
tumspläne für die Erneuerbaren rasch zur
Makulatur werden.
Um das Problem zu lösen, hat die Bundes-
regierung im Rahmen des integrierten Ener-
gie- und Klimaprogramms (IEKP) ein Gesetz
zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst-
spannungsnetze beschlossen. Damit sollen
die von Bundesland zu Bundesland unter-
schiedlichen Genehmigungsverfahren ver-
einheitlicht und der Rechtsweg verkürzt
werden.
Fossile Energien: Kraft-Wärme-Kopplung
Bei der Stromerzeugung aus Kohle, Gas oder
Öl entsteht neben Elektrizität auch Wärme. In
konventionellen Kraftwerken geht diese Wär-
me über den Kamin verloren. Anlagen, die in
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) betrieben wer-
den, nutzen dagegen beides. Voraussetzung
hierfür ist, dass es Abnehmer für die Wärme
gibt. Im Idealfall einen Industrie- oder Gewer-
bebetrieb, der über das ganze Jahr hinweg,
rund um die Uhr, einen gleich bleibend ho-
hen Wärmebedarf hat. Haushalte brauchen
dagegen nur in der Heizperiode Wärme, die
über Fern- oder Nahwärmenetze ins Haus
gebracht wird. Das verschlechtert die Renta-
bilität von KWK-Kraftwerken. Diese Anlagen
werden meistens „wärmegeführt“ gefahren –
Strom ist quasi das Abfallprodukt der Wär-
meproduktion. Der Vorteil der KWK-Technik
ist ihr hoher Nutzungsgrad. Bis zu 90 % der
im Brennstoff enthaltenden Energie können
durch sie genutzt werden. Es gibt Anlagen
sehr unterschiedlicher Größe: Vom Block-
heizkraftwerk, das nur ein Objekt oder weni-
ge Gebäude versorgt, bis hin zum großen
Heizkraftwerk, das großflächig für viele Stadt-
teile Wärme liefert.
Die Bundesregierung will den Anteil von
KWK an der Stromerzeugung auf 25 % ver-
doppeln. Heute werden von KWK-Kraftwer-
ken 70 TWh Strom erzeugt, 140 sollen es
2020 sein. So sieht es das jüngst novellierte
Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz vor. Es
existiert seit 2002 und fördert diese Art von
Stromerzeugung durch Bonuszahlungen, die
je nach Größe der Anlage differieren. Schon
damals sollte der KWK-Anteil eigentlich ver-
doppelt werden; statt 10 % wurden aber nur
2 % Zuwachs geschafft.
Nun sollen die Vergütungen für die Strom-
produzenten weiter steigen und auch der
Ausbau von Fern- und Nahwärmenetzen soll
bezuschusst werden. Bisher gibt es deutlich
zu wenig Abnehmer für Heiz- und Prozess-
wärme. Außerdem sollen auch Anlagen in der
Industrie gefördert werden, die alleine für
den Eigenbedarf des Unternehmens produ-
zieren.
Das Ganze soll maximal 750 Mio. Euro pro
Jahr kosten, die wie bisher auf alle Stromkun-
den umgelegt werden. Das ist nicht mehr
Geld als in den letzten beiden Jahren für die
KWK-Förderung aufgebracht wurde. Diese
Limitierung weckt Skepsis, ob der große Wurf
dieses Mal gelingen wird. „Eine große Neu-
bauwelle, wie sie nötig wäre, ist nicht in Sicht“,
sagte etwa Adi Golbach, Geschäftsführer des
Bundesverbandes KWK, der Frankfurter
Rundschau.
88
› Ohne Kernenergie werden die Klimaschutz-
ziele nicht erreicht, die Versorgungssicher-
heit nimmt ab und die volkswirtschaftli-
chen Schäden der Klimaschutzpolitik
werden steigen.
› Die erneuerbaren Energien wachsen stark.
Die Umweltverbände müssen sich aber ent-
scheiden, was wichtiger ist: Sollen die Er-
neuerbaren in erster Linie Strom aus fossiler
Erzeugung ersetzen oder Strom aus Kern-
kraftwerken? Wer den Klimaschutz ernst
nimmt, weiß, dass Kernenergie und Erneu-
erbare keinen Gegensatz bilden, sondern
sich perfekt ergänzen.
Exkurs: Kernenergie in Deutschland
In Deutschland wurde der schrittweise Aus-
stieg aus der Kernenergie unter der rot-grü-
nen Bundesregierung durch eine Novellie-
rung des Atomgesetzes durchgesetzt. Zu den
Kernpunkten der im April 2002 in Kraft ge-
tretenen Gesetzesnovelle gehört das Verbot
des Neubaus von Atomkraftwerken und die
Verkürzung der Regellaufzeit der bestehen-
den Kernkraftwerke auf durchschnittlich 32
Jahre seit Inbetriebnahme. Das Gesetz legt
fest, dass in den deutschen Atomkraftwerken
ab dem 1. Januar 2000 noch höchstens 2,62
Mio. GWh Strom erzeugt werden dürfen. Die-
se Menge addiert sich aus den Reststrom-
mengen, die den einzelnen Anlagen je nach
Alter zugeteilt wurden.
Der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie ist
kein Exportschlager geworden: Immer mehr
Länder planen den Neubau von Anlagen oder
die Verlängerung der Laufzeit ihrer bestehen-
den Anlagen. Auch die EU-Kommission und
das Europaparlament sprechen sich klar für
die weitere nukleare Erzeugung von Strom
aus – aus Gründen der Versorgungssicherheit
wie aus Gründen des Klimaschutzes. Im Er-
gebnis wird es in deutschen Netzen auch wei-
terhin Strom aus Kernkraftwerken geben,
auch wenn er nicht mehr im Land produziert
werden wird. De facto wird er dann über die
Landesgrenzen importiert.
Baden-Württemberg ist bundesweit ein CO2-
Vorbild. Werden im Bundesdurchschnitt
rund 550 Gramm CO2 pro produzierter Kilo-
wattstunde emittiert, so sind es in Baden-
Württemberg nur rund 300 Gramm. 51 % des
in Baden-Württemberg erzeugten Stroms
stammen aus Kernenergie. Sollten die vier
Kernkraftwerke in Neckarwestheim und
Philippsburg vom Netz gehen müssen, wird
sich die CO2-Bilanz Baden-Württembergs er-
heblich verschlechtern. Die dann vom Netz
gehenden 4.624 MW können nicht durch
erneuerbare Energien ersetzt werden. Die
Kernenergie als kostengünstiger Lieferant
von Grundlast kann nur durch zwei Maßnah-
men ersetzt werden: Durch den Bau von
Kohlekraftwerken bzw. durch den Import von
Strom. Die Folgen sind absehbar: Die CO2-
Bilanz wird schlechter; die Preise werden
ansteigen – der Süden des Landes wird zur
Hochpreiszone. Die Abhängigkeit Baden-
Württembergs wird größer und die Wert-
schöpfung bei der Energieproduktion wird
außerhalb des Landes stattfinden – mit allen
damit verbundenen Nachteilen.
Brennstoffwechsel: Gasanteil rauf auf 30 %?
Wie will die Bundesregierung das 40 %-Ziel
trotz des Kernenergie-Ausstiegs erreichen?
Das Umweltbundesamt (UBA) hat es vorge-
rechnet. Im Zentrum steht ein massiver
Brennstoffwechsel bei der Stromerzeugung.
Im Klartext, der Ersatz von Kohle durch Erd-
gas. Heute hat Erdgas einen Anteil an der
Stromerzeugung von 11 %, das entspricht der
Strommenge von 70 TWh. Bis 2020 müsste
die Produktion aus Erdgas mehr als verdop-
pelt werden und sich auf 165 TWh belaufen.
An dem vom UBA prognostizierten Strom-
verbrauch hätte Erdgas damit einen Anteil
von rund 30 %.
Natürlich kennt das Umweltbundesamt die
Schwachpunkte einer solchen Strategie: Bei
Erdgas ist Deutschland von wenigen Impor-
teuren abhängig – hauptsächlich aus Russ-
land stammt das Gas, das hierzulande ver-
wendet wird. Darin liegen eine ganze Menge
politischer und preislicher Risiken. Das UBA
schlägt deshalb vor, Erdgas aus der Heizung
von Gebäuden und Wasser zu verdrängen,
wofür es heute zu über 90 % verwendet wird.
Dadurch müsste der Erdgasverbrauch in
Deutschland bis 2020 nur um 3 % ansteigen.
Wie dies gehen soll, darüber schweigt sich das
Amt aus. Die Gaswirtschaft hat in die Infra-
struktur zur Beheizung von Gebäuden viele
Milliarden investiert. Sie wird sich nicht
kampflos aus dem Geschäft zurückziehen,
das ist klar: Erstens, um die Investitionen
nicht vorzeitig abschreiben zu müssen und
zweitens, weil im Wärmemarkt tendenziell
mehr Geld verdient werden kann als bei der
Stromerzeugung.
Ohnehin hat sich die Situation seit dem Hö-
henflug der Ölpreise grundlegend geändert.
Da sich die Gaspreise im Windschatten des
Öls aufwärts bewegen, sind zum einen die
Risiken der Stromproduktion aus Gas enorm
gestiegen. Zum anderen ist die Wirtschaft-
lichkeit vieler Projekte in Frage gestellt; folge-
richtig sind viele davon bereits in den Schub-
laden verschwunden.
91
Zusammengefasst: Standpunkt der EnBW
Aus Sicht der EnBW Energie Baden-Württem-
berg AG kann zu den Klimaschutzplänen der
Bundesregierung folgendes gesagt werden:
› Die EnBW unterstützt eine engagierte Poli-
tik zum Schutz der Erdatmosphäre. In sei-
ner Rede zur Eröffnung des 2. Deutschen
Klimakongresses machte der EnBW-Vor-
standsvorsitzende Hans-Peter Villis deut-
lich, dass Klimaschutz immer mehr ins Zen-
trum der Unternehmenspolitik rücke. Der
EnBW-Chef kündigte ein starkes Engage-
ment bei Energieeffizienz, erneuerbaren
Energien und in der effizienten, dezentralen
Strom- und Wärmeversorgung an.
› Dabei müssen Klimaschutz, Wirtschaftlich-
keit und Versorgungssicherheit in Einklang
gebracht werden.
› Die Bundesregierung hat sich das sehr
ehrgeizige Ziel gesetzt, die Emission von
Klimagasen bis zum Jahr 2020 um 40 % zu
reduzieren.
› Das Integrierte Energie- und Klimaschutz-
programm (IEKP), das vom Bundeskabinett
im Dezember 2007 verabschiedet worden
ist, wird nach den Berechnungen der Bun-
desregierung 36 % Reduktion schaffen, das
Ziel also noch nicht erreichen. Es gibt aber
noch pessimistischere Berechnungen. So
geht die Umweltorganisation Greenpeace
davon aus, dass lediglich 30 % geschafft
werden.
› In Zahlen umgesetzt, soll das IEKP die Emis-
sionen von CO2-Äquivalenten um 220 Mio. t
pro Jahr vermindern.
› Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn
bis jetzt bleibt die Bundesregierung dabei,
bis 2023 auch aus der Kernenergie ausge-
stiegen zu sein. Der Betrieb der Kernkraft-
werke in Deutschland erspart der Erdatmo-
sphäre pro Jahr 160 Mio. t CO2. Auch diese
Menge muss – wenn die Verkürzung der
Laufzeiten für die Reaktoren Realität werden
sollte – durch das IEKP ersetzt werden.
› In Wirklichkeit muss die Bundesregierung
die Treibhausgasemissionen im Vergleich
zu 1990 also zu über 50 % zurückfahren.
› Das IEKP beinhaltet hohe Risiken. Tritt nur
eines in einem zentralen Handlungsfeld ein,
wird das Programm seine Ziele nicht errei-
chen. Das gilt insbesondere für die Maßnah-
men im Bereich KWK, Windenergie und
Energieeffizienz. Es gibt keinen Plan B und
keine Sicherheitsreserve.
› Die Ziele beim Ausbau der KWK und bei der
Einsparung von Energie sind unrealistisch,
weil die geplanten Maßnahmen bei Weitem
nicht ausreichen, um die gewünschte Wir-
kung zu erzielen.
› Die EnBW plädiert deshalb dafür, die Lauf-
zeitverkürzung für die Kernkraftwerke zu-
rückzunehmen und somit eine wesentliche
Säule der klimafreundlichen Energieerzeu-
gung zu erhalten. Sie muss nicht neu errich-
tet werden, sie ist bereits vorhanden, wir
müssen sie nur weiter nutzen.
› Die Kernenergie liefert einen gesicherten
Beitrag zur Erreichung der Klimaschutz-
ziele. Dieser Beitrag erfordert keine hohen
Investitionen mehr. Im Gegenteil, die Ener-
giewirtschaft hat bereits mehrfach Verhand-
lungen darüber angeboten, finanzielle
Vorteile aus dem Weiterbetrieb der Kern-
kraftwerke zur Finanzierung anderer Klima-
schutzmaßnahme zur Verfügung zu stellen.
› Die deutschen Kernkraftwerke leisten somit
nicht nur einen Beitrag zum Schutz der Erd-
atmosphäre und zur Versorgungssicherheit,
sie machen die Klimaschutzpolitik auch
wirtschaftlicher. Die vorhandenen Kern-
kraftwerke produzieren Strom zu konkur-
renzlos günstigen Kosten. Damit können
die volkswirtschaftlichen Belastungen des
Klimaschutzes verringert werden – mit Aus-
wirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit der
deutschen Unternehmen und den Erhalt
von Arbeitsplätzen.
90
Auch die regierungsnahe Deutsche Energie-
Agentur dena gelangt in ihrer Studie zur
Kraftwerks- und Netzplanung in Deutschland
bis 2020 (mit Ausblick auf 2030) zu alarmie-
renden Ergebnissen. Bei der im Jahr 2020 zu
erwartenden Stromnachfrage, so die dena-
Studie, werden die Kraftwerkskapazitäten am
Standort Deutschland nicht mehr ausrei-
chen, um die Jahreshöchstlast vollständig zu
decken. Dabei sind die derzeitigen Planungen
für den Neubau fossiler Kraftwerke berück-
sichtigt, soweit für sie eine hohe Realisie-
rungswahrscheinlichkeit besteht. Die be-
drohliche Aussicht wird weder durch das
engagierte Ausschöpfen der Stromeffizienz-
potenziale noch durch das Erreichen der Ziele
zum Ausbau der regenerativen Energien (auf
30 %) und der Kraft-Wärme-Kopplung (auf
25 %) verändert. Selbst eine vollständige Um-
setzung des Energieprogramms der Bundes-
regierung – mit entsprechend stark sinken-
dem Stromverbrauch – wird die Gefahr einer
ab 2012 stetig anwachsenden „Stromlücke“
zwischen Jahreshöchstlast und gesicherter
Kraftwerksleistung nicht abwenden können.
Im Jahr 2020 könnte diese Lücke, selbst bei
sinkendem Stromverbrauch, auf riesige
11.700 MW anwachsen. Eine konstante Nach-
frage nach Strom, wie sie vielfach in der ener-
giewirtschaftlichen Diskussion erwartet wird,
würde 2020 gar eine klaffende „Stromlücke“
von 15.800 MW zur Folge haben. Auch der
Import von Strom stellt nach Ansicht der
dena keine langfristige Möglichkeit der Ab-
hilfe dar. Denn auch auf europäischer Ebene
werden die Kraftwerkskapazitäten knapp.
Gleichzeitig nimmt der Widerstand gegen
neue Kohlekraftwerke stetig zu. Mehrere
Projekte sind daran bereits gescheitert oder
wurden wegen der Kostenentwicklung im
Anlagenbau ad acta gelegt. Die Preise für
schlüsselfertige Kohlekraftwerke haben sich
in den vergangenen vier Jahren nahezu ver-
doppelt. Allein im vergangenen Jahr wurden
Kraftwerksprojekte im Volumen von 6.500
MW gestrichen. So scheiterte beispielsweise
RWE mit Plänen für ein Kohlekraftwerk im
saarländischen Ensdorf am Widerstand der
Bevölkerung.
Dies könnte dazu führen, dass auch die fossi-
len Energien nicht dazu in der Lage sind, den
politisch gewollten Ausfall der Kernkraftwer-
ke zu kompensieren. Nach der jüngsten Un-
tersuchung des Marktforschungsunterneh-
mens Trend-Research könnte Deutschland,
das derzeit noch Elektrizität in die Nachbar-
länder exportiert, bereits ab 2015 dauerhaft
auf Stromimporte angewiesen sein. Die Ener-
giebranche plant in Deutschland den Bau
von 60 neuen Großkraftwerken, viele auf
Basis von Stein- und Braunkohle. Davon wird
laut Trend-Research etwa die Hälfte ernsthaft
vorangetrieben. Den Ersatzbedarf für über-
alterte Anlagen kalkulieren Experten auf et-
wa 45.000 MW, was Investitionen von rund
50 Mrd. Euro entspricht. Hinzu kommen
gut 20.000 MW an Kraftwerkskapazität,
die sukzessive durch den Atomausstieg bis
etwa 2023 vom Netz gehen sollen.
Die Trend-Research-Studie teilt die vorliegen-
den Kraftwerksprojekte in vier Kategorien ein
– gemessen an der Wahrscheinlichkeit ihrer
Realisierung. Auf dieser Grundlage lassen
sich verschiedene Szenarien für die Strom-
versorgung in Deutschland berechnen. Fazit:
Bleibt es beim beschlossenen Atomausstieg,
lässt sich eine Unterversorgung mit Strom
nur noch vermeiden, wenn Neubauten mit
einer Leistung von zusammen 36.000 MW
realisiert werden. Dabei kalkulieren die Ex-
perten auch in diesem Szenario bereits ein,
dass der Anteil der erneuerbaren Energien
bis 2020 wie geplant deutlich steigt. Werden
dagegen nur die Projekte mit hoher Wahr-
scheinlichkeit realisiert (Szenario Nummer
zwei), würde die Stromproduktion schon
2015 nicht mehr ausreichen.
Fazit
Über die Zukunft und den Beitrag der Kern-
energie in Deutschland wird weiter gestritten
werden müssen. Über den Sinn einer wir-
kungsvollen Klimapolitik ist kein Streit mehr
nötig. Weitgehende Einigkeit gibt es auch
über ihre Aktionsfelder: Energieeffizienz, er-
neuerbare Energien und hochwirksame und
kohlendioxidarme fossile Energien.
Und noch etwas ist klar: Klimaschutz ist nur
möglich, wenn Forschung und Entwicklung
einen großen Beitrag leisten. Das ist ein zen-
traler Baustein für den Erfolg bei der Reduk-
tion von Klimagasen, aber auch eine wichtige
Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg
der deutschen Unternehmen zuhause und
auf dem Weltmarkt. Dafür braucht es zusätz-
lich eine kluge Innovationspolitik, die die Er-
findungen und Erkenntnisse der Forscher in
marktfähige Produkte und Dienstleistungen
ummünzt.
93
Der Ausstieg: Wirtschaftliche Folgen
Aber selbst wenn der Umstieg gelingen sollte,
hat er einen Preis. Denn bei allem Streit Pro
und Contra Kernenergie ist eindeutig, dass
die Klimaschutzstrategien bei gleichzeitigem
Ausstieg deutlich teurer werden. Zuletzt hat
dies noch einmal eindrücklich die McKinsey-
Studie für den Bundesverband der Deut-
schen Industrie (BDI) belegt. Dabei wurden
die Kosten und Potenziale von mehr als 300
technologischen Einzelhebeln zur Vermei-
dung von Treibhausgasemissionen ermittelt.
In Summe hält die Studie bei den vier Sekto-
ren Gebäude, Industrie, Energie und Trans-
port einen Abbau der Treibhausgasemissio-
nen bis 2020 um 26 % gegenüber 1990 für
wirtschaftlich erreichbar – und zwar ohne
Einbußen für Wirtschaftswachstum und
Lebensqualität sowie unter Beibehaltung des
Kernkraftausstiegs. Die durchschnittlichen
Vermeidungskosten belaufen sich dabei auf
bis zu 20 Euro pro t CO2-Äquivalente. Viele
dieser Maßnahmen – etwa die bessere Isolie-
rung von Gebäuden – haben „negative“ Ver-
meidungskosten. Das heißt, sie rentieren sich
auch finanziell.
Weitere Vermeidungshebel existieren. Für
deren Realisierung wären jedoch wesentlich
höhere Investitionen erforderlich. Bereits
eine Reduktion um 31 % würde – unter Beibe-
haltung des Kernenergieausstiegs – zu deut-
lich höheren durchschnittlichen Vermei-
dungskosten zwischen 32 und 175 Euro pro t
CO2-Äquivalente führen. Der BDI zieht aus
den Daten der Studie den Schluss, dass eine
Reduzierung der Treibhausgase über 31 %
hinaus ohne Beibehaltung der Kernenergie
wirtschaftlich nicht darstellbar ist. Und auch
hinter den 31 % stehen bei genauem Hin-
sehen schon etliche Fragezeichen.
Auch eine Studie, die das Prognos-Institut
und das EWI, das Energiewirtschaftliche Insti-
tut der Universität Köln, im Mai 2007 für den
Energiegipfel der Bundesregierung erarbeitet
haben, kommt trotz optimistischer Annah-
men bei der Energieeffizienz zu dem Schluss,
dass die Klimaschutzziele am sichersten und
am preisgünstigsten erreicht werden können,
wenn die 17 deutschen Kernkraftwerke weiter
betrieben werden. Der Kostenvorteil entstün-
de sowohl volkswirtschaftlich als auch bei
den Stromkosten für die Endverbraucher. Bei
den Haushaltskunden würde – den Autoren
zufolge – die Preisdifferenz 2 Cent pro Kilo-
wattstunde Strom zugunsten der Kernener-
gie betragen.
Stromlücke: Droht eineUnterversorgung?
Zunehmend wird auch in Frage gestellt, ob
die Lücke, die der Ausstieg aus der Kern-
energie reißt, überhaupt zu schließen sein
wird. So kommt das Hamburgische Weltwirt-
schafts-Institut (HWWI) in einer Studie vom
Herbst 2007 für die HypoVereinsbank (HVB)
zu dem Schluss, dass die Erneuerbaren den
Nuklearstrom nicht ersetzen können. Bei ei-
nem jährlichen Anstieg des Stromverbrauchs
um 0,5 % entsteht demnach bis zum Jahr
2020 eine Deckungslücke von rund 16 % des
Stromverbrauchs. Dieser Strom müsste aus
dem Ausland importiert oder aus fossilen
Energieträgern erzeugt werden. Die Hypo-
Vereinsbank gehört zu den führenden
Finanzierern der erneuerbaren Energien
in Deutschland.
92
› COMTES 700Im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative „COMTES
700“ (Component Test Facility for a 700° C Power Plant) arbei-
ten Stromerzeuger und Anlagenhersteller an Innovationen für
die Effizienzsteigerung von konventionellen Kraftwerken und
die Reduzierung ihrer CO2-Emissionen. Durch die Steigerung
der Dampfzustände auf 700° C und 350 bar soll COMTES 700
zu einer neuen Kraftwerksgeneration mit einem Wirkungsgrad
von über 50 % führen. Dies setzt voraus, dass neue Werkstoffe
entwickelt werden, die diesen Belastungen standhalten.
› DünnschichttransistorenMit Dünnschichttransistoren (thin-film transistor TFT) können
großflächige elektronische Schaltungen hergestellt werden.
Eine weit verbreitete Anwendung sind Flüssigkristall-Flachbild-
schirme.
› Erneuerbare-Energien-Gesetz EEGDas Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bildet ein Instrument
für den Vorrang von Strom aus allen erneuerbaren Energieträ-
gern wie Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie, Klär-,
Gruben- und Deponiegas. Das Gesetz ist im Jahr 2000 in Kraft
getreten und hat zum Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien an
der Stromversorgung in Deutschland, im Einklang mit den Zie-
len der EU, signifikant zu erhöhen.
› EmissionenEmissionen sind die von einer Anlage oder einem technischen
Vorgang in die Atmosphäre oder andere Umweltbereiche gelan-
genden gasförmigen, flüssigen oder festen Stoffe; ferner Geräu-
sche, Erschütterungen, Strahlen, Wärme. Die aussendende Quel-
le wird als Emittent bezeichnet. Emissionen sind nicht nur auf
menschliche Aktivitäten zurückzuführen, es gibt auch natürli-
che Emittenten, zum Beispiel emittieren Rinder und Sümpfe
Methan (CH4), Pflanzen emittieren Pollen und flüchtige
organische Verbindungen (VOC), Vulkane emittieren
Schwefeldioxid (SO2).
› Gigawatt GWEin Gigawatt entspricht einer Milliarde Watt oder einer Million
Kilowatt (kW).
› Hochspannungsgleichstrom- und supraleitende LeitungenDie elektrische Energieversorgung wird in Europa mit Wechsel-
strom vorgenommen, also mit Strom, der seine Richtung
(Polung) periodisch und in steter Wiederholung ändert. Für die
Zukunft der erneuerbaren Energien wird der Transport von
Strom – etwa von in Südeuropa und Nordafrika erzeugtem So-
larstrom – über sehr weite Entfernungen diskutiert. Die Protago-
nisten dieser Idee präferieren für den Stromtransport den Bau
von Höchstspannungsleitungen für Gleichstrom. Damit soll der
Energieverlust über die weite Strecke minimiert werden. Gleich-
strom ist ein Strom, dessen Stärke und Richtung sich nicht än-
dert. Im Alltag liefern etwa Akkus und Batterien Gleichstrom.
Supraleiter sind Materialien, deren elektrischer Widerstand bei
Unterschreiten einer kritischen Temperatur auf einen unmess-
bar kleinen Wert fällt. Dadurch kann die Stromdichte beim
Transport erhöht werden. Zur Kühlung wird etwa flüssiger Stick-
stoff (- 197° C) eingesetzt.
› Internationale Atomenergie Organisation IAEODie IAEO wurde 1957 gegründet. Sie ist eine autonome interna-
tionale Organisation mit Sitz in Wien. Derzeit sind 144 Staaten
Mitglied der IAEO. Sie fungiert als forschungs- und technik-
basiertes Forum zur friedlichen Nutzung von Kernenergie und
zur Überwachung nuklearwaffenfähigen Materials. Die IAEO
überwacht auch im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) die
Einhaltung von Resolutionen und internationalen Verträgen, in
denen es um Atomenergie und Nuklearwaffen geht.
› Internationale Energieagentur IEA Die IEA ist eine 1973 gegründete Organisation zur Förderung der
Kooperation in den Bereichen Erforschung, Entwicklung, Markt-
einführung und Anwendung von Energietechnologien. Ihr Sitz
ist Paris und ihr gehören 27 Industriestaaten an. Die IEA veröf-
fentlicht jährlich einen umfassenden Weltenergiebericht.
› Integriertes Energie- und Klimaprogramm IEKPDie deutsche Bundesregierung hat auf ihrer Klausurtagung in
Meseberg im August 2007 Eckpunkte für ein Integriertes Ener-
gie- und Klimaprogramm (IEKP) beschlossen. Das gemeinsam
vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und
vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit erarbeitete Programm wurde im Dezember 2007
konkretisiert. Ein erster Teil des Programms wurde im Juni bzw.
Juli 2008 von Bundestag und Bundesrat gebilligt. Es kombiniert
Fördermaßnahmen, ökonomische Instrumente und ordnungs-
rechtliche Maßnahmen in den Bereichen Energieproduktion,
Energieeffizienz, Verkehr und Haushalte in Gestalt von insge-
samt 29 Einzelmaßnahmen im Hinblick auf eine nachhaltige
Klima- und Energiepolitik.
› ImmissionenImmissionen sind die Einwirkungen der emittierten Schadstof-
fe auf Pflanzen, Tiere und Menschen sowie Gebäude, nachdem
sie sich in der Luft, dem Wasser oder dem Boden ausgebreitet
oder auch chemisch oder physikalisch umgewandelt haben.
› Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC1988 wurde die Gründung des IPCC von den Vereinten Nationen
beschlossen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen
(UNEP) und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) rie-
fen das IPCC daraufhin ins Leben. Jeder Staat, der an einer dieser
Organisationen beteiligt ist, kann Wissenschaftler für das IPCC
benennen. Hauptaufgabe ist es, Risiken des Klimawandels zu
beurteilen und Vermeidungsstrategien zusammenzutragen.
Das IPCC betreibt selbst keine Wissenschaft, sondern trägt die
Ergebnisse der Forschungen in den verschiedenen Disziplinen
zusammen, darunter besonders der Klimatologie. Es bildet eine
kohärente Darstellung dieses Materials in Berichten ab, den
„IPCC Assessment Reports“. Diese Berichte werden in Arbeits-
gruppen erstellt und vom Plenum akzeptiert. Dies geschieht in
einem aufwendigen, mehrstufigen Verfahren mit Leitautoren
und Co-Autoren für einzelne Artikel, von Koordinatoren und
Leitautoren für den gesamten Bericht sowie unabhängigen Gut-
achtern für die einzelnen Bereiche und das gesamte Werk. Die
Begutachtung erfolgt nicht nur durch die benannten und aus-
gewählten Wissenschaftler, sondern auch durch Regierungs-
vertreter der Mitgliedstaaten.
› Kilowatt kWEin Kilowatt entspricht 1.000 Watt.
› KlimarahmenkonventionDie Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United
Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC)
wurde 1992 auf dem Erdgipfel in Rio unterzeichnet. Sie besitzt
heute mit 192 Ratifizierungen quasi universelle Gültigkeit. Ziel
der Konvention ist es, eine gefährliche anthropogene Störung
des Klimasystems zu verhindern. Die Staaten sollen umfangrei-
che Daten zu ihren Emissionen erheben, damit diese besser ver-
glichen werden können. Die Industriestaaten sind dazu ver-
pflichtet, die Entwicklungsländer bei diesem Prozess finanziell
zu unterstützen. Eines der zentralen Prinzipien der Rahmen-
konvention ist die „gemeinsame, aber unterschiedliche Ver-
antwortlichkeit“ der Staaten bei der Bekämpfung des Klima-
wandels.
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› Bali-RoadmapMit der Bali-Roadmap wurde auf der 13. Konferenz der Vertrags-
staaten der Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls
in Bali, Indonesien, im Dezember 2007 ein offizielles Verhand-
lungsmandat für ein umfassendes internationales Klimaschutz-
abkommen für die Zeit nach 2012 beschlossen. Bis zur 15. Ver-
tragsstaatenkonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen
verhandeln die 192 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonven-
tion die Themen Eindämmung, Anpassung, Technologie und
Finanzierung.
› Carbon Capture and Storage CCSCCS steht im internationalen Sprachgebrauch für die Technolo-
gie der CO2-Abscheidung und -Speicherung. Verschiedene Ver-
fahren werden bereits im kleinen Maßstab erprobt. Sie sollen bis
2020 im großtechnischen Maßstab zur Verfügung stehen und
eine CO2-arme Nutzung fossiler Rohstoffe zur Stromerzeugung
ermöglichen. Ebenfalls noch offen sind mögliche Transport-
systeme sowie Lagerstätten. Jedenfalls sieht die EU vor, dass
Kohlekraftwerke ab 2020 CCS-ready sein müssen – sprich für
diese Technik nachrüstbar.
› Clean Development Mechanismus CDMCDM, der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, ist
einer der flexiblen Instrumente des Kyoto-Protokolls. CDM-Pro-
jekte sind Klimaschutzprojekte, die Industriestaaten in Entwick-
lungsländern durchführen. Diese müssen nachhaltig sein und
zusätzlich zu bereits bestehenden Projekten stattfinden. Die
durch die Projekte vermiedenen Emissionen werden von unab-
hängigen Einrichtungen überprüft und zertifiziert. Industrie-
staaten bzw. Unternehmen können die CDM-Emissionszertifika-
te auf die ihnen zustehende Emissionsmenge anrechnen lassen.
› CO2-Äquivalente Die Klimawirksamkeit (Global Warming Potential GWP) eines
Treibhausgases, hochgerechnet auf einen gewissen Zeitraum
(meist 100 Jahre), dient dem Vergleich der Treibhausgase unter-
einander. Angesichts ihrer unterschiedlichen Klimawirksamkeit
und Lebensdauer in der Atmosphäre hat das IPCC das Treib-
hauspotenzial der durch das Kyoto-Protokoll betroffenen Treib-
hausgase berechnet und definiert, wie viel eine festgelegte
Menge eines Treibhausgases zum Treibhauseffekt beiträgt. Als
Vergleichswert dient Kohlendioxid. So entspricht die Reduktion
von 25 Tonnen CO2-Emissionen beispielsweise einer Reduktion
von einer Tonne Methan-Emissionen.
Glossar
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› Kyoto-ProtokollDas Kyoto-Protokoll basiert auf der Klimarahmenkonvention
der Vereinten Nationen und ist ein völkerrechtlich bindender
Vertrag, der 38 Industriestaaten (OECD-Staaten und osteuropäi-
sche Transformationsstaaten) zu einer Reduktion ihrer anthro-
pogenen CO2-Emissionen verpflichtet. Das Protokoll gestattet
die Verwendung flexibler Mechanismen, die es den Staaten er-
möglichen, einen Teil ihrer Verpflichtungen im Zeitraum von
2008 bis 2012 zu möglichst geringen Kosten zu erreichen. Da die
Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls keinen wesentlichen Bei-
trag zum Ziel der Klimarahmenkonvention leisten, kommt ei-
nem Kyoto-Folgeabkommen besondere Bedeutung zu.
› Megawatt MWEin Megawatt entspricht einer Million Watt oder 1.000
Kilowatt (kW).
› Mono-Ethanol-Amin (MEA)Monoethanolamin ist eine farblose, ätzende Flüssigkeit, die als
Grundstoff in der chemischen Industrie zum Einsatz kommt. Et-
wa als organisches Lösungsmittel oder als Absorptionsmittel für
Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff in der Aminwäsche, bei
der saure Gase aus Gasgemischen entfernt werden.
› OLED-TechnikAbkürzung für organische Leuchtdiode (OLED = Organic Light
Emitting Diode), ein dünnfilmiges, leuchtendes Bauelement aus
organischen, halbleitenden Materialien. OLED lassen sich gün-
stiger herstellen als LED, Strom- und Leuchtdichte sind aber
geringer. Sie werden primär für Bildschirme und Displays ein-
gesetzt.
› OSART-Missionen OSART-Missionen sind ein Service der Internationalen Atom-
energie Organisation (IAEO) und gelten als die intensivste Form
der Bewertung von Kernkraftwerken. Hierbei überprüft ein
Team internationaler Experten (Operational SAfety Review
Team, OSART) Management, Organisation und Administration,
Ausbildung und Qualifikation, Betrieb, Instandhaltung, Techni-
sche Unterstützung, Betriebserfahrung, Strahlenschutz, Chemie,
Notfallplanung, Vorsorge sowie die Sicherheitskultur in Kern-
kraftwerken. Anschließend werden die Ergebnisse von der IAEO
veröffentlicht.
Glossar
› PolystyrolhartschaumstoffPolystyrol (PS) ist ein gängiger thermoplastischer Kunststoff,
der in vielen Bereichen von der Elektrotechnik bis zur Verpa-
ckung eingesetzt wird. Aufgeschäumtes Polystyrol (EPS) ist vor
allem unter dem Handelsnamen „Styropor“ bekannt geworden.
› Rauchgase Als Rauchgas wird das bei Verbrennungsprozessen in Kraftwer-
ken, Müllverbrennungsanlagen, Produktionsprozessen usw. an-
fallende Abgas bezeichnet (Post Combustion).
› Terrawatt TWEin Terrawatt entspricht einer Billion Watt oder einer Milliarde
Kilowatt (kW).
› TreibhausgaseTreibhausgase (THG), hervorgerufen durch menschliche Aktivi-
täten, beeinflussen den natürlichen Treibhauseffekt. Eine stei-
gende Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre
führt zu einer geringeren Wärmerückstrahlung von der Erd-
oberfläche ins All und damit zu einem Anstieg der durch-
schnittlichen Temperatur auf der Erde. Als relevante Treibhaus-
gase sind im Kyoto-Protokoll festgelegt worden: Kohlendioxid
(CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), teilhalogenierte
Fluorkohlenwasserstoffe (F-KKW/HFC), perflourierte Kohlen-
wasserstoffe(FKW/PCF) und Schwefelhexaflourid (SF6).
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Dieser Bericht wurdeklimaneutral produziert.
Die Herstellung dieses Berichts verursachteunvermeidbare Treibhausgasemissionen.Die EnBW Energie Baden-Württemberg AGhat die Firma „my climate“ damit beauf-tragt, diese Produktion klimaneutral zu stellen und die Emissionen durch Klima-schutzprojekte andernorts zu kompensieren.Dies erfolgt durch die Finanzierung einesTÜV-geprüften Biomasse-Projekts in Indien,das dem Gold-Standard entspricht. Das Projekt leistet nachweislich einen positivenBeitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Dazu gehören neben sozialer und ökologischerVertretbarkeit auch die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung derLuftqualität.
HerausgeberEnBW Energie Baden-Württemberg AG
Durlacher Allee 93
76131 Karlsruhe
VerantwortlichJürgen Hogrefe
Generalbevollmächtigter Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
Koordination und RedaktionDr. Kristina Nolte, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
Matthias Riebel, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
Dr. Sylvia Straetz, Unternehmenskommunikation
Andreas Fußer, Hand und Fußer
FotografieVolker Dautzenberg, München
Layout und GestaltungMiriam Elze, Unternehmenskommunikation
Lithorecom GmbH, Ostfildern
repro 2000, Leonberg
DruckKraft Druck und Verlag GmbH, Ettlingen
PapierPhoeniXMotion Xenon,
Inhalt 150 g/m²
Umschlag 250g/m²
ISBA-Nr.: B.2025.0807
Auflage: 9.000
Juli 2008
Der Bericht ist auch auf Englisch erhältlich
(ISBA-Nr.: B.2096.0807).
Im Zweifelsfall ist die
deutsche Version maßgeblich.
Impressum
Rüdiger Nehmzow, DüsseldorfS. 4: Hans-Peter Villis
Volker Dautzenberg, www.a4avenger.comS. 6–15: Dr. Peter Feldhaus; Wilhelma, Zoologisch-Botanischer
Garten, Stuttgart sowie Insel Mainau
S. 16–23: Prof. Albert Speer; VICTORIA-TURM, Mannheim (Archi-
tekten Albert Speer & Partner, Frankfurt a. M., 2001)
S. 28–35: Prof. Eicke Weber; Fraunhofer-Institut für Solare
Energiesysteme ISE, Freiburg
S. 40–47: Dr. Michael Süß; Dampfturbine und Speisewasser-
pumpe im Heizkraftwerk 2 (HKW2), Heizkraftwerk
Altbach/Deizisau
S. 50–57: Dr. Peter Fritz; Prototypverglasungsanlage (PVA) am
Institut für Nukleare Entsorgung (INE), Forschungs-
zentrum Karlsruhe FZK
S. 60–67: Dr. Axel Michaelova; „Zeitfeld“ von Klaus Rinke,
Installation im Volksgarten Düsseldorf
S. 72–92: Dr. Annette Schavan; Philologische Bibliothek der
Freien Universität Berlin (Architekt Norman Foster)
sowie Bundesministerium für Bildung und Forschung
Bildnachweis
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