Energiewende und Übertragungsnetzausbau: Sind Erdkabel ein Instrument zur Steigerung der...

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Z Energiewirtsch (2013) 37:277–295 DOI 10.1007/s12398-013-0118-4 Energiewende und Übertragungsnetzausbau: Sind Erdkabel ein Instrument zur Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Leitungsbaus? Eine empirische Untersuchung auf Basis der Kontingenten Bewertungsmethode Roland Menges · Gregor Beyer Online publiziert: 16. Oktober 2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Zusammenfassung Der energiewendebedingte Ausbau der Stromübertragungsnetze führt in vielen Regionen Deutsch- lands zu Protesten. Viele Studien verweisen vor diesem Hintergrund darauf, dass Erdkabel geeignet sind, die Zu- stimmung zu Leitungsbauprojekten und die Akzeptanz des Stromnetzausbaus zu erhöhen. Dieser Beitrag prüft diese These anhand einer Erhebung der Zahlungsbereitschaften privater Haushalte für Erdkabelprojekte, die im Vergleich zu klassischen Befragungsmethoden auch strategische Ver- haltensweisen und Opportunitäten abbilden. Es werden Er- gebnisse einer Befragung auf Basis der Kontingenten Be- wertungsmethode vorgestellt, die im November und Dezem- ber 2012 in vier Regionen Deutschlands durchgeführt wur- de, die in unterschiedlichen Maß von Netzausbauprojekten betroffen sind. Eine Auswertung der Angaben von 1.003 Haushalten bestätigt zunächst die Ergebnisse vergleichba- rer Studien und lässt eine klare Präferenz der Haushalte (rund 60 %) für Erdkabel erkennen, die jedoch regional stark variiert. Eine Auswertung der Zahlungsbereitschaft für die untersuchten Erdkabelprojekte relativiert dieses Ergeb- nis. Ungefähr die Hälfte der Haushalte, die sich im Ab- stimmungsmodus für Erdkabel aussprechen, ist nicht be- reit, für die Realisation von Erdkabelprojekten eine Steige- rung der Netzentgelte hinzunehmen (Trittbrettfahrerverhal- ten). Zudem zeigt sich, dass die befragten Haushalte eine über den regionalen Einzelfall hinausgehende Verwendung der Erdkabeltechnik im Durchschnitt nur mit einer geringen R. Menges (B ) · G. Beyer Institut für Wirtschaftswissenschaft, Technische Universität Clausthal, Julius-Albert-Straße 6, 38678 Clausthal-Zellerfeld, Deutschland e-mail: [email protected] G. Beyer e-mail: [email protected] Erhöhung ihrer Zahlungsbereitschaft honorieren und dass 60 % der Haushalte mit einem überregionalen Projekt keine Wertsteigerung oder gar eine Wertminderung gegenüber der regionalen Projektauslegung verbinden. Eine pauschale Zu- stimmung zur Verwendung von Erdkabeln kann damit bei Berücksichtigung der Informationen über die Struktur der geäußerten Zahlungsbereitschaften nicht unterstellt werden. Im Rahmen von Regressionsmodellen werden das Abstim- mungsverhalten und die Zahlungsbereitschaften mit unter- schiedlichen demographischen Merkmalen und Einstellun- gen erklärt. Grundsätzliche Erwägungen zu Energie- und Umweltpolitik haben hierbei nur einen geringen Einfluss auf das Antwortverhalten. Vielmehr beeinflussen regionale Faktoren und die bevorzugte Finanzierungsmethode für den Netzausbau das Entscheidungsverhalten der Haushalte. Energy turnaround and transmission network development: Are underground cables a means to increase social acceptance of line construction? An empirical study based on the Contingent Valuation Method Abstract Transmission network development has led to protests throughout Germany. Many studies present under- ground cables as a means to increase public agreement to transmission line construction and network development. This paper verifies this thesis analyzing the willingness-to- pay of private households for underground cable employ- ment, which allows for a distinct analysis of strategic be- havior and opportunity costs that is omitted in classic ques- tionnaire designs. The results of a contingent valuation study conducted in November and December 2012 in four regions of Germany, which are affected by transmission line de- velopment in different ways, are presented. At first glance,

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Z Energiewirtsch (2013) 37:277–295DOI 10.1007/s12398-013-0118-4

Energiewende und Übertragungsnetzausbau: Sind Erdkabelein Instrument zur Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanzdes Leitungsbaus? Eine empirische Untersuchung auf Basisder Kontingenten Bewertungsmethode

Roland Menges · Gregor Beyer

Online publiziert: 16. Oktober 2013© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Zusammenfassung Der energiewendebedingte Ausbau derStromübertragungsnetze führt in vielen Regionen Deutsch-lands zu Protesten. Viele Studien verweisen vor diesemHintergrund darauf, dass Erdkabel geeignet sind, die Zu-stimmung zu Leitungsbauprojekten und die Akzeptanz desStromnetzausbaus zu erhöhen. Dieser Beitrag prüft dieseThese anhand einer Erhebung der Zahlungsbereitschaftenprivater Haushalte für Erdkabelprojekte, die im Vergleichzu klassischen Befragungsmethoden auch strategische Ver-haltensweisen und Opportunitäten abbilden. Es werden Er-gebnisse einer Befragung auf Basis der Kontingenten Be-wertungsmethode vorgestellt, die im November und Dezem-ber 2012 in vier Regionen Deutschlands durchgeführt wur-de, die in unterschiedlichen Maß von Netzausbauprojektenbetroffen sind. Eine Auswertung der Angaben von 1.003Haushalten bestätigt zunächst die Ergebnisse vergleichba-rer Studien und lässt eine klare Präferenz der Haushalte(rund 60 %) für Erdkabel erkennen, die jedoch regionalstark variiert. Eine Auswertung der Zahlungsbereitschaft fürdie untersuchten Erdkabelprojekte relativiert dieses Ergeb-nis. Ungefähr die Hälfte der Haushalte, die sich im Ab-stimmungsmodus für Erdkabel aussprechen, ist nicht be-reit, für die Realisation von Erdkabelprojekten eine Steige-rung der Netzentgelte hinzunehmen (Trittbrettfahrerverhal-ten). Zudem zeigt sich, dass die befragten Haushalte eineüber den regionalen Einzelfall hinausgehende Verwendungder Erdkabeltechnik im Durchschnitt nur mit einer geringen

R. Menges (B) · G. BeyerInstitut für Wirtschaftswissenschaft, Technische UniversitätClausthal, Julius-Albert-Straße 6, 38678 Clausthal-Zellerfeld,Deutschlande-mail: [email protected]

G. Beyere-mail: [email protected]

Erhöhung ihrer Zahlungsbereitschaft honorieren und dass60 % der Haushalte mit einem überregionalen Projekt keineWertsteigerung oder gar eine Wertminderung gegenüber derregionalen Projektauslegung verbinden. Eine pauschale Zu-stimmung zur Verwendung von Erdkabeln kann damit beiBerücksichtigung der Informationen über die Struktur dergeäußerten Zahlungsbereitschaften nicht unterstellt werden.Im Rahmen von Regressionsmodellen werden das Abstim-mungsverhalten und die Zahlungsbereitschaften mit unter-schiedlichen demographischen Merkmalen und Einstellun-gen erklärt. Grundsätzliche Erwägungen zu Energie- undUmweltpolitik haben hierbei nur einen geringen Einflussauf das Antwortverhalten. Vielmehr beeinflussen regionaleFaktoren und die bevorzugte Finanzierungsmethode für denNetzausbau das Entscheidungsverhalten der Haushalte.

Energy turnaround and transmission networkdevelopment: Are underground cables a means toincrease social acceptance of line construction? Anempirical study based on the Contingent ValuationMethod

Abstract Transmission network development has led toprotests throughout Germany. Many studies present under-ground cables as a means to increase public agreement totransmission line construction and network development.This paper verifies this thesis analyzing the willingness-to-pay of private households for underground cable employ-ment, which allows for a distinct analysis of strategic be-havior and opportunity costs that is omitted in classic ques-tionnaire designs. The results of a contingent valuation studyconducted in November and December 2012 in four regionsof Germany, which are affected by transmission line de-velopment in different ways, are presented. At first glance,

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an analysis of 1.003 household responses confirms com-mon findings with a majority of households favoring under-ground cables (about 60 %), albeit preferences vary stronglybetween sample regions. Willingness-to-pay, however, rela-tivizes this result. A near share of 50 % of households votingfor underground cables is not willing to accept an increase inelectricity prices to finance respective projects (free riders).The fact that positive willingness-to-pay does not correlatepositively with increasing lengths of underground cables in60 % of cases underlines that underground cables are notsupported unconditionally. All-in-all, a flat public approvalof underground cable technology cannot be presumed basedon WTP-evaluation. Preferences about underground cablesand corresponding WTP are explained with demographiccharacteristics and attitudes using regression models. Fun-damental thoughts on energy- and environmental policiesdo not serve to explain responses. Instead, regional factorsand subjective opinions on how to finance such kind of in-frastructure measures influence preferences for undergroundcables.

1 Einführung

Seit der Veröffentlichung des sog. Netzentwicklungsplanesfür den Ausbau der Stromübertragungsnetze in Deutsch-land hat die Entwicklung der Stromnetze der Bundesre-publik große Beachtung gefunden (vgl. Netzentwicklungs-plan 2013, eine kritische Würdigung des Netzentwicklungs-planes findet sich auch bei Jarras und Obermaeier 2012).Im Zentrum der öffentlichen Diskussion stehen die Fragen,wo und in welchem Umfang neue Leitungen errichtet wer-den sollen. Auch die verschiedenen Möglichkeiten bei dertechnischen Ausführung des zukünftigen Netzes beinhalteneine Brisanz, an der sich zahlreiche Konflikte entzünden:Örtliche Protestbewegungen diskutieren die Wahl zwischenÜberlandleitungen und Erdkabeln und verzögern damit häu-fig Genehmigung und Bau neuer Leitungen (Althaus 2012).Die klassische Übertragungsleitung verläuft zwar überir-disch, doch wachsen vermehrt Zweifel an dieser Art desLeitungsbaus. Nicht nur in designierten Ausbaugebieten ste-hen große Bevölkerungsteile neu geplanten Überlandleitun-gen ablehnend gegenüber. Befürchtet wird in vielen Fäl-len ein tiefgehender Eingriff in Landschaftsbild und Um-welt, aber auch eine Beeinträchtigung durch die mit Über-landleitungen assoziierte Strahlenbelastung. So stimmen ineiner umweltpsychologischen Studie im Auftrag der Deut-schen Umwelthilfe über 70 Prozent der Befragten der Aus-sage zu, dass Freileitungen den Charakter einer Landschaftnegativ beeinträchtigen (Schweizer-Rieß 2010). Demgegen-über sehen 70 Prozent der Befragten keine nennenswer-te Beeinträchtigung des Landschaftsbildes bei der Verwen-dung von Erdkabeln. Eine grundsätzliche Präferenz für Erd-

kabel ist jedoch nicht auf aktive, organisierte Gegner vonFreileitungen beschränkt. Im Rahmen einer repräsentativenBefragung zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Energie-wende wurden im Oktober 2012 3.800 private Haushal-te im gesamten Bundesgebiet gefragt, unter welchen Be-dingungen sie dem Bau einer neuen Stromtrasse in unmit-telbarer Nachbarschaft (fünf Kilometer rund um den ei-genen Wohnort) zustimmen könnten (Agentur für erneu-erbare Energien 2012). Hierbei wurde u.a. ermittelt, dassmehr als drei Viertel der Befragten einem Leitungsbau inder Nachbarschaft ohne weitere Einschränkung zustimmen,wenn die Kabelführung unterirdisch stattfindet. Signifikan-te regionale Unterschiede der Zustimmungsraten wurdennicht festgestellt.1 Andere Instrumente zur Erhöhung derAkzeptanz des Leitungsbaus, wie etwa die finanzielle Be-teiligung der Bürger (21 % Zustimmung zum Leitungsbauunter dieser Bedingung), wie sie derzeit beispielsweise inSchleswig-Holstein erprobt wird („Bürgerdividende“), oderdie stärkere Partizipation der Betroffenen am Planungspro-zess (49 %) führten zu deutlich niedrigeren Zustimmungs-raten. Vor diesem Hintergrund scheint die Schlussfolgerungangebracht, die häufigere Verwendung der Erdkabeltechniksei Mittel zur Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanzder Energiewende und der einhergehenden Netzentwick-lung (vgl. etwa DUH 2010). Auch Jarras und Obermaeier(2012) attestieren der Erdkabeltechnik eine allgemein besse-re Umweltverträglichkeit, die zu niedrigeren sozialen Kos-ten des Leitungsbaus führe. Diese ergebe sich v.a. aus gerin-geren Landschaftsbeeinträchtigungen, sinkenden Belastun-gen durch elektromagnetische Felder und kürzere Geneh-migungsverfahren.2 Andererseits wird häufig betont, dassdie Erdkabeltechnik weitgehend unerprobt und relativ kos-tenintensiv ist, da die Kosten für Erdkabel die Kosten vonvergleichbaren Freileitungen in Abhängigkeit von regiona-len Gegebenheiten und technischen Auslegungen um einen

1Die von TNS-Infratest durchgeführte Untersuchung (Agentur für er-neuerbare Energien 2012) hat ergeben, dass die Zustimmung zum Lei-tungsausbau in Form der Erdkabelvariante (77 Prozent) kaum vom Ein-kommensniveau der Befragten abhängt (die Zustimmung der Haushal-te steigt mit steigendem monatlichen Nettoeinkommen von der nied-rigsten auf die höchste Einkommensklasse von 71,2 Prozent auf 80,3Prozent), und sich auch zwischen den in unterschiedlicher Form vonder Energiewende betroffenen Regionen keine nennenswerten Unter-schiede der Zustimmung ausmachen, da lediglich die Zustimmung inThüringen knapp unter 70 Prozent liegt, was aber letztlich eher durchbundesweite Einkommensunterschiede zu erklären sein dürfte.2Weitere detaillierte Analysen, die im Ergebnis für deutliche Vortei-le der Erdkabeltechnik sprechen, finden sich auch bei Leprich et al.(2011). Ein Ansatz zur Schätzung der sozialen Kosten des Leitungs-baus wurde von Jarras und Obermaeier (2005) vorgelegt. Eine Quan-tifizierung der Kosten eines verzögerten Netzausbaus, der durch dieVerwendung von Erdkabeln verhindert werden könnte, findet sich beiGuss et al. (2012).

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Faktor von 2,8 (EFZN 2012) bis 10 (BMU 2010) überstei-gen.

Bei der volkswirtschaftlichen Abwägung von Kostenund Nutzen von Erdkabeln ist dabei zu berücksichtigen,dass

• der Nutzen eines konkreten Erdkabelprojektes, z. B. inForm des Landschaftserhalts, überwiegend regional an-fällt,

• während die erhöhten Investitionskosten auf Netzebeneumgelegt und damit überregional sozialisiert werden.

Damit ergeben sich für einzelne Ausbaugebiete mög-licherweise strategische Blockademöglichkeiten im Sin-ne von „not-in-my-backyard“-Verhaltensweisen. Diese sindaus Sicht der Allgemeinheit häufig nur durch Kompensa-tionszahlungen oder aber durch Investitionen in Erdkabelaufzulösen. Derartige Kalküle werden in konventionellenBefragungen (wie etwa der oben vorgestellten Untersu-chung der Agentur für erneuerbare Energien 2012 oder vonSchweizer-Rieß 2010) zur gesellschaftlichen Akzeptanz derEnergiewende allerdings kaum abgebildet, da die Befragun-gen in der Regel ohne konkretes Entscheidungs- und materi-elles Opportunitätskostenszenario erfolgt. Für eine Überprü-fung der Aussage, dass Erdkabel die Akzeptanz der Ener-giewende erhöhen könnten, bedarf es daher weitergehenderUntersuchungen. Eine solche Untersuchung muss zwei Kri-terien erfüllen: Erstens ist strategisches (Antwort-)Verhaltender Befragten bei der Präferenzmessung zu berücksich-tigen. Und zweitens sind angesichts der Kosten/Nutzen-Disparitäten die beschriebenen Trade-Offs zwischen demdurch Erdkabel gestifteten Nutzen und den einhergehendenMehrkosten abzubilden. Dazu ist nicht nur die allgemeinePräferenz für Erdkabel, sondern auch die Präferenzintensi-tät zu erfassen.

In diesem Beitrag wird die Frage untersucht, von wel-chen Faktoren die gesellschaftliche Zustimmung zu Erdka-belprojekten abhängt. Dazu wird im Folgenden eine Erhe-bung der Zahlungsbereitschaft privater Haushalte für denBau von Erdkabeln auf Basis der Kontingenten Bewertungs-methode vorgestellt. Der Vorteil dieser Methode gegenüberanderen Erhebungsformen besteht darin, dass die Frage„Erdkabel versus Freileitung“ entsprechend der ökonomi-schen Methodik der Erhebung individueller Präferenzenin einen auch monetär konkretisierten Bewertungs- undEntscheidungszusammenhang gestellt wird. Im folgendenAbschn. 2 wird zunächst die grundsätzliche Erhebungsme-thodik (Contingent Valuation) knapp vorgestellt, bevor imAbschn. 3 das konkrete Untersuchungsdesign erläutert wird.Im Abschn. 4 wird die Durchführung der Untersuchung er-läutert, gefolgt von einer Präsentation der Ergebnisse imAbschn. 5. Der Beitrag schließt im Abschn. 6 mit einigenSchlussfolgerungen.

2 Die Kontingente Bewertungsmethode

2.1 Zielsetzung

Begleitet von einer intensiven methodologischen und theo-retischen Diskussion (vgl. etwa Mitchell und Carson 2005)hat sich die Kontingente Bewertungsmethode in den letz-ten Jahren zu einem anerkannten Modell zur Bewertungkomplexer öffentlicher Güter entwickelt. Sie wird unterVerwendung von anonymisierten Fragebögen häufig beider Bewertung von Umweltgütern, wie etwa der Verbes-serung der Umweltqualität am Wohnort, angewandt (vgl.etwa Kopp et al. 1997). Ein ökonomischer Wertansatz ei-nes Umweltguts wird ermittelt, indem das Bereitstellungs-niveau des zu bewertenden Guts in einem hypothetischenBewertungsszenario variiert wird. Der Kern der Methodebesteht in der Konstruktion hypothetischer Märkte. Hier-bei werden Bewertungs- und Abwägungsszenarien ange-boten, zwischen denen sich die Befragungsteilnehmer ent-scheiden sollen. Diese werden aufgefordert, ihre Einstellungzur Veränderung des Bereitstellungsniveaus zu nennen undmit einer maximalen Zahlungsbereitschaft zu quantifizie-ren, die im Rahmen eines konkretisierten Zahlungsmecha-nismus erhoben wird (Liebe und Meyerhoff 2005). Diese di-rekt erfragten individuellen Zahlungsbereitschaften werdenals Wohlfahrtsmaß (in Geldeinheiten ausgedrückte Konsu-mentenrente) für die Variation des Umweltgutes interpre-tiert. Die Extrapolation dieser Zahlungsbereitschaften aufdie Grundgesamtheit führt letztlich zu einer in Geldeinhei-ten ausgedrückten Wertschätzung der Variation des betrach-teten Umweltguts (Pruckner 1995). Das Design eines Fra-gebogens sollte die befragten Personen grundsätzlich dazubringen, sich vertieft mit dem zu definierenden Umweltpro-blem zu beschäftigen, für welches die Zahlungsbereitschaftermittelt wird. Anhand bestimmter methodischer Kriterienkann sichergestellt werden, dass die geäußerten Präferenzenden tatsächlichen Präferenzen möglichst nahe kommen undnicht durch Unter- oder Übertreibungen geprägt sind (Arrowet al. 1993).

2.2 Eignung für den vorliegenden Untersuchungszweck

Ausgehend von den in der Literatur diskutierten Kriterien,die an ein für die Bewertung in Frage kommendes Untersu-chungsobjekt zu legen sind (vgl. etwa Fischer und Menzel2005), erscheint die Kontingente Bewertungsmethode fürdie Erhebung der individuellen Präferenzen im Bereich desoben beschriebenen Erdkabelproblems gut geeignet:

• Die diskutierten Varianten des Ausbaus von Übertra-gungsnetzen werden von der lokalen, aber auch von derüberregionalen Bevölkerung in Bezug auf die gesell-schaftliche Akzeptanz der Energiewende als sehr bedeut-sam wahrgenommen.

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• Es stehen sich mit der Umsetzung des Leitungsbaus durchErdkabel bzw. Überlandleitungen zwei klar abgrenzbareund energiewirtschaftlich gleichwertige Alternativen ge-genüber, so dass sich die Unterschiede zwischen den Vari-anten im Wesentlichen als Variation der damit verbunde-nen Umwelteingriffe darstellen lassen.3 Die Realisationdes Netzausbaus in einer der beiden Varianten ist wahr-scheinlich, wodurch das zu erstellende Bewertungsszena-rio als glaubwürdig und realistisch eingeschätzt werdenkann.

• Die Konsequenzen der Entscheidung bzw. die Vor- undNachteile von Überlandleitungen und Erdkabelverbin-dungen sind gut abgrenzbar und können anschaulich dar-gestellt werden.

• Das Zahlungsmodell der Netzentgelte für die Realisie-rung des angebotenen Erdkabelprojektes ist glaubwürdigund realistisch, weil den Haushalten der Zahlungsmecha-nismus über die jährliche Stromabrechnung bekannt ist.

3 Untersuchungsdesign

3.1 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes undAufbau des Fragebogens

Gegenstand der Untersuchung ist die Zahlungsbereitschaftprivater Haushalte für Erdkabelprojekte, die als Ersatz für

3Hier wird aus Sicht der befragten privaten Haushalte angenommen,dass Erdkabel und Überlandleitungen in gleicher Weise für den Strom-transport und damit für den Erhalt der Versorgungssicherheit geeig-net sind. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in einigen Re-gionen neben der Variante Erdkabel (in herkömmlicher Wechselstrom-technik) auch die Variante Erdkabel in Gleichstromtechnik (HGÜ) dis-kutiert wird. So kritisiert die örtliche Bürgerinitiative „Bürger Pro Erd-kabel“ im niedersächsischen Harzvorland, die sich insbesondere vonder Streckenplanung in Kreiensen betroffen fühlt, neben der ihrer An-sicht nach überdimensionierten Netzausbauplanung auch die fehlen-de Berücksichtigung von HGÜ-Technik (Bürger Pro Erdkabel 2012).Auch Jarras und Obermaeier (2012, S. 133) sprechen sich für Erdka-bel in Form einer HGÜ-Verkabelung aus und verweisen darauf, dasseine HGÜ-Verkabelung eine „bezahlbare Alternative“ darstelle, derenKosten „nicht nennenswert höher“ als die einer Verkabelung mit her-kömmlicher Technik seien (S. 137). Da sich die hier vorgestellte Unter-suchung nicht primär an gut informierte und ingenieurwissenschaftlichaufgeklärte Haushalte richtete, sondern ausdrücklich auch weniger in-formierte Haushalte angesprochen werden sollten, wurde ähnlich wiein den eingangs zitierten Studien (vgl. etwa Agentur für erneuerbareEnergien 2012) die Möglichkeit, HGÜ-Kabel zu verwenden, bewusstausgeklammert. Aus methodischen Gründen wird damit der Nutzender Erdkabelvariante gegenüber der Überlandleitung bei Konstanthal-tung der technischen Fähigkeiten nach Abschluss der Bauphase aus-schließlich auf die verringerten Sichtbarkeitseffekte und Landschaft-seingriffe reduziert. Eine diesen Umwelteffekt übersteigende, zusätzli-che Variation der Technik und der energiewirtschaftlichen Eigenschaf-ten des Kabels (z. B. Übertragungsverluste) würde eine mehrdimen-sionale Entscheidung nach sich ziehen und somit ein deutlich kompli-zierteres Untersuchungsdesign erfordern. Für einen differenzierten undmehrdimensionalen Vergleich der verschiedenen Techniken vgl. EFZN(2012).

Überlandleitungen angeboten werden. Die Erdkabelprojek-te werden den Haushalten in zwei Auslegungen angeboten.Hierzu wird zunächst ein hypothetisches regionales Erdka-belprojekt von 8 km Länge in der niedersächsischen Re-gion Kreiensen vorgestellt. In dieser Region gibt es der-zeit intensive Diskussionen zwischen dem verantwortlichenÜbertragungsnetzbetreiber und einer örtlichen Bürgerinitia-tive gibt, die sich gegen den Bau von Überlandleitungenausspricht (Bürger Pro Erdkabel 2012). Um den Eindruckzu vermeiden, dass es sich bei der Befragung der Haus-halte um eine echte Abstimmung über dieses Netzausbau-projekt handelt, wurde bewusst auf die Darstellung regiona-ler Besonderheiten und spezifischer Eigenschaften des der-zeitigen Planungsstandes verzichtet. Vielmehr dient diesesBeispiel grundsätzlich dazu, die energiewirtschaftliche Aus-gangssituation und die Vor- und Nachteile verschiedener Va-rianten des Netzausbaus vorzustellen. Darüber hinaus wirdden Haushalten ein zweites Erdkabelprojekt angeboten, dasssich lediglich in seiner „Skalierung“ vom regionalen Pro-jekt unterscheidet und auf einer Länge von 400 km den Bauvon Überlandleitungen ersetzen könnte. Bei diesem überre-gionalen Projekt, das als Summe „vieler kleiner regionalerProjekte“ dargestellt wird, wird ebenfalls bewusst auf eineregionale Konkretisierung von Auslegung und Streckenver-lauf verzichtet. Im einführenden Informationsteil des Frage-bogens wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Unter-suchung ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dieneund keine „echte“ Abstimmung über konkrete Leitungsbau-projekte im Auftrag der Politik oder von Netzbetreibern sei.Im Folgenden werden die drei aufeinander aufbauenden Ele-mente des Fragebogens vorgestellt: Diese beziehen sich aufInformationen, die zu den Bewertungsszenarien angebotenwurden (Abschn. 3.2), die Vorgehensweise bei der Präfe-renzerhebung (Abschn. 3.3) und die zusätzlich erhobenenDaten zu den Einstellungen und der Soziodemografie derbefragten Haushalte (Abschn. 3.4).

3.2 Informationen zu den Bewertungsszenarien

Das entwickelte Untersuchungsdesign des 16-seitigen Fra-gebogens besteht aus mehreren Informationselementen. Zu-nächst wird auf zwei Seiten des Fragebogens die ener-giewirtschaftliche Ausgangslage erläutert und die Notwen-digkeit zusätzlicher Übertragungsleitungen in Deutschlandskizziert. Anschließend erfolgt die Vorstellung des regiona-len Erdkabelprojektes. Auf den beiden anschließenden Sei-ten des Fragebogens wird zunächst das Referenzszenario(Alternative 1: Bau von Überlandleitungen) und anschlie-ßend das Bewertungsszenario (Alternative 2: Erdkabelbau)vorgestellt. Die Vor- und Nachteile bzw. die relevanten Um-welteigenschaften der jeweiligen Alternativen werden neu-tral anhand von Fotos sowie einer schematischen Darstel-

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Abb. 1 Darstellung der Vor-und Nachteile von Freileitungen

Abb. 2 Darstellung der Vor-und Nachteile von Erdkabeln

lung von Pro- und Kontra-Argumenten beschrieben (vgl.Abb. 1 und 2).4

4Bei der Auswahl und Konkretisierung der jeweiligen Eigenschaftenwurde eine Vielzahl von Informationen verarbeitet. Hierzu zählen per-sönliche Gespräche mit Netzbetreibern, Informationen und Pressema-terialien örtlicher Bürgerinitiativen (z. B. Bürger Pro Erdkabel 2012),Testläufe von vorläufigen Versionen der Fragebögen mit ingenieurwis-senschaftlichen Studierenden an der TU Clausthal oder auch Angabender energiewirtschaftlichen Literatur (Informationen zur Bemessungvon Trassenbreiten finden sich etwa bei Leprich et al. 2011). Grund-sätzlich bleibt jedoch festzustellen, dass eine objektive Auswahl vontechnischen und ökologischen Eigenschaften von Erdkabeln und Über-landleitungen für die Belange des Fragebogens kaum möglich ist. Obund in welchem Umfang beispielsweise Gefahren durch elektromagne-tische Strahlen für Mensch und Tier (insbesondere bei Freileitungen)oder Wasser und Boden (insbesondere bei Erdkabeln) bestehen und

3.3 Erhebung von Präferenz und Zahlungsbereitschaft

Die befragten Haushalte erhalten nach dem Studium des In-formationsmaterials zunächst die Möglichkeit, ihre generel-le Präferenz für die betrachteten Erdkabelprojekte als „per-sönliche Entscheidung“ zu äußern. Wie oben erläutert wer-den die Erdkabelprojekte als Alternative zum Ausgangssze-nario „Überlandleitung“ zur Wahl gestellt. Angebotene Pro-jekte sind:

• Ein regional begrenztes Erdkabelprojekt von 8 km Länge.• Ein überregionales Erdkabelprojekt als Summe vieler re-

gionaler Projekte mit einer Gesamtlänge von 400 km.

welche Gefahren damit verbunden sind, lässt sich kaum objektiv klä-ren.

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Eingebettet ist die Entscheidung in eine ausführliche Dar-stellung der der Entscheidungssituation. Es wird ausdrück-lich darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um ei-ne Abstimmung über die Notwendigkeit des Netzausbaushandelt, sondern lediglich dessen Varianten Erdkabel versusÜberlandleitung zur Wahl gestellt werden: „Bei der Bewer-tung der beiden vorgestellten Alternativen geht diese Stu-die davon aus, dass der Ausbau der Übertragungsnetze zurUmsetzung der Energiewende technisch notwendig ist. Diesbedeutet konkret, dass die Entscheidung, um die wir Siegleich bitten, lediglich die Varianten des Netzausbaus be-trifft. Wenn Sie also über diese Entscheidung nachdenken,sind andere Aspekte der Energiewende oder des Netzaus-baus nicht direkt bedeutsam“.

Im Anschluss an die Abstimmungsentscheidungen zumregionalen und überregionalen Erdkabelprojekt erfolgt dieErhebung der Zahlungsbereitschaft. Hierzu werden zunächstdie jeweiligen Zahlungsmittel und Zahlungsmodalitäten be-schrieben. Die Haushalte werden gebeten, ihre Zahlungsbe-reitschaft unter Annahme der folgenden Zahlungsmodalitä-ten im open-end-Format zu äußern:

• Sie werden nach ihrer Bereitschaft gefragt, im Falle derRealisation des jeweils angebotenen Erdkabelprojekteseinen Anstieg der Netznutzungsentgelte zu akzeptieren.Hierbei ist die Höhe des maximal akzeptablen Anstiegsanzugeben.5

• Unter der Annahme, dass eine umlagefinanzierte Reali-sation der Erdkabelprojekte möglicherweise nicht zu rea-lisieren ist, wird zusätzlich die Zahlungsbereitschaft alseinmalige und freiwillige Einzahlung in einen regionalenEntwicklungsfonds erhoben, wobei den Haushalten mit-geteilt wird, dass die Einnahmen des Fonds ausschließ-lich zur Finanzierung des Erdkabelbaus verwendet wer-den. Eine nähere Spezifizierung des Fonds in Bezug aufVerzinsung, Mindestbeiträge oder Laufzeiten erfolgt ausmethodischen Gründen nicht.

3.4 Einstellungsfragen und Soziodemografie

Im Fragebogen werden darüber hinaus demografische Merk-male der Haushalte sowie einige Einstellungen erhoben,die zur Erklärung der geäußerten Präferenzen herangezo-gen werden. Diese Frage betreffen etwa Gründe für die Ab-lehnung der Projekte und die räumliche Betroffenheit durchStromnetze und Netzausbauprojekte („Bitte schätzen Sie dieEntfernung zwischen Ihrem Wohnort und der nächsten, be-reits existierenden Hochspannungstrasse!“). Im Einleitungs-teil des Fragebogens werden zudem Einstellungsfragen zur

5Zur Orientierung wurde hier die Information angeboten, dass eindurchschnittlicher deutscher Haushalt im Jahr 2010 rd. 900 Euro fürden Strombezug ausgegeben hat, wovon ca. 180 Euro auf das Entgeltfür die Nutzung der Übertragungsnetze entfielen.

allgemeinen Umwelt- und Energiepolitik (z. B.: „Unterstüt-zen Sie die Energiewende?“, „Wer sollte Ihrer Meinungnach über die Umsetzung von Energieprojekten entscheidendürfen?“) und den damit verbundenen Finanzierungsaspek-ten erhoben (z. B.: „Wie sollte Ihrer Ansicht nach der mitder Energiewende verbundene Ausbau der Übertragungsnet-ze finanziert werden?“). Eine Übersicht über die erhobenenMerkmale sowie die zugehörigen Antwortverteilungen kannTab. 9 entnommen werden.

4 Durchführung der Untersuchung

Da aus Kostengründen keine deutschlandweite, repräsenta-tive Stichprobe erhoben werden konnte, wurde die Studiesimultan in vier ausgewählten Regionen durchgeführt, diein unterschiedlicher Weise vom Netzausbau betroffen sind.

• Die Gemeinde Kreiensen in Niedersachsen ist konkretvon den Planungen zum Netzausbau betroffen und dientezur Abbildung des (hypothetischen) regionalen Erdkabel-projektes.

• Die Gemeinde Niebüll an der Nordseeküste von Schleswig-Holstein ist massiv vom Ausbau der Windenergie betrof-fen: In den Windparks dieser Region kommt es aufgrundvon Netzengpässen häufig zu Abschaltungen im Rahmendes sog. Einspeisemanagements.

• Die Gemeinde Viechtach in Bayern ist von einer ähnli-chen ländlichen Struktur geprägt wie etwa Niebüll, einenergiewendebedingter Leitungsausbau ist hier jedochnicht zu erwarten.

• Aus Vergleichsgründen wurden die Haushalte in Braun-schweig, einer Großstadt Niedersachsens, die nur indirektvom Ausbau der Leitungsnetze betroffen ist, ebenfalls indie Befragung aufgenommen.

In Kreiensen (insgesamt 3.728 Haushalte), Viechtach(4.345 Haushalte) und Niebüll (4.235 Haushalte) konnteaufgrund der niedrigen Anzahl von Haushalten Vollerhe-bungen durchgeführt werden. Zusätzlich wurden Teile deran Kreiensen angrenzenden Gemeinde Bad Gandersheim indie Befragung involviert (1.450 Haushalte). Da in Braun-schweig eine Vollerhebung aus organisatorischen Gründennicht darstellbar war, wurden 7.643 Haushalte angeschrie-ben, die dem Zustellgebiet einer örtlichen Zeitung entspre-chen. Durch die gezielte Auswahl von Anzeigenblätternder örtlichen Presse als Distributionspartner wurde sicher-gestellt, dass jeder Haushalt der jeweiligen Region in derStichprobe berücksichtigt wurde, unabhängig von etwaigenZeitungsabonnements. Um den Rücklauf der Befragung zuerhöhen, wurde in allen vier Regionen zuvor in Pressearti-keln auf die „wissenschaftliche Untersuchung der TU Claus-thal“ aufmerksam gemacht und zur Teilnahme aufgerufen.

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Tab. 1Stichprobenzusammensetzung Region Rücklauf

absolutRücklaufrelativ

AnteilStichprobe

Keine Angabe 178 – 17,74 %

Kreiensen 298 5,73 % 29,71 %

Viechtach 74 1,68 % 7,38 %

Braunschweig 325 4,25 % 32,40 %

Niebüll 128 2,64 % 12,76 %

Summe 1,003 4,54 % 100,00 %

Tab. 2Abstimmungsergebnisseregionales Projekt

Region Pro Unentschlossen Kontra Kontingenz-koeffizient

Signifikanz

Kreiensen 71,8 % 11,4 % 16,8 % 0,187 0,0001

Niebüll 61,5 % 13,7 % 24,8 %

Viechtach 61,8 % 13,2 % 25,0 %

Braunschweig 51,1 % 17,6 % 31,3 %

Jeder Satz von Befragungsunterlagen bestand aus einer fo-liierten DinA4 Broschüre mit sechzehn Textseiten. Den Un-terlagen lag eine frankierte und adressierte Versandtaschefür den Rückversand bei. Der Erhebungszeitraum reichtevom 25.11.2012 (Datum der Verteilung) bis zum 10.12.2012(Einsendeschluss).

5 Ergebnisse

5.1 Stichprobe

Der regionale Rücklauf der Fragebögen kann der folgendenTab. 1 entnommen werden.

Die Rücklaufquote von knapp 5 % kann als durchaus be-friedigend eingestuft werden. Hierbei ist auch zu berück-sichtigen, dass die Rücklaufquoten bei schriftlichen Befra-gungen generell deutlich niedriger als bei mündlichen Um-fragen sind, insbesondere wenn es sich nicht um Spezial-umfragen handelt, die sich an einen definierten Personen-kreis richten (vgl. Mayer 2013). 178 der befragten Haus-halte wollten keine Angabe zu ihrem Wohnort machen. Inmehrfacher Hinsicht ist die Stichprobe nicht repräsentativ:Der Anteil von Rückläufern aus Kreiensen ist beispielsweisedeutlich überproportional, was vermutlich auf den regiona-len Fokus des Referenzszenarios und die spezifische Situa-tion in Kreiensen zurückzuführen ist. Auch bei weiteren so-ziodemografischen Merkmalen ist mit Einschränkungen derRepräsentativität der Stichprobe zu rechnen. So haben sichbeispielsweise Haushalte, die über Wohneigentum verfügen,gegenüber dem Bundesdurchschnitt (45,7 Prozent, Statisti-sches Bundesamt 2013a) überproportional oft an der Studie

beteiligt (86,7 Prozent). Die von den Haushalten angegebe-ne Klassifizierung ihres Nettoeinkommens spiegelt den bun-desdeutschen Durchschnitt hingegen gut wider.6

5.2 Entscheidungen über Erdkabelprojekte

Die von den Haushalten geäußerten Entscheidungen fallenin beiden Projektvarianten deutlich zugunsten der Erdka-belprojekte aus. Bezogen auf die Gesamtstichprobe erreichtdas regionale Erdkabelprojekt eine Zustimmung von 60,3Prozent bei einer Ablehnung von 24,9 Prozent (14,8 Pro-zent der Haushalte sind unentschlossen, N = 912). DieseErgebnisse sind jedoch offenbar von regionalen Unterschie-den geprägt. Wenig überraschend erreicht die Ablehnungder Freileitung und die Zustimmung zum Erdkabelprojektin Kreiensen einen Spitzenwert (71,8 Prozent), während dieZustimmung zur Freileitung bzw. die Ablehnung des regio-nalen Erdkabels in der vom Netzausbau und nicht betroffe-nen Region Braunschweig am höchsten liegt (31,3 Prozent).Eine Überprüfung des statistischen Zusammenhangs zwi-schen Wohnort und Zustimmung zum regionalen Erdkabel-projekt bestätigt diesen Zusammenhang (Chi-Quadrat-Test,p < 0,0001, N = 765). Eine Übersicht über die regionalenUnterschiede des Abstimmungsergebnisses kann Tab. 2 ent-nommen werden.

Das Abstimmungsergebnis zum überregionalen Erdka-belprojekt fällt vergleichbar aus (Tab. 3). Das überregiona-le Projekt wird von 57,0 Prozent der befragten Haushaltebefürwortet (N = 921). Der Anteil der Anlagengegner liegt

6Die von den Haushalten der Stichprobe (N = 855) angegebene mittle-re Einkommensklasse zwischen 2500 und 3000 Euro schließt den bun-desweiten Durchschnitt der Haushaltsnettoeinkommen ein, der im Jahr2011 2.988 Euro im Monat betrug (Statistisches Bundesamt 2013b).

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Tab. 3Abstimmungsergebnisseüberregional

Region Pro Unentschlossen Kontra Kontingenz-koeffizient

Signifikanz

Kreiensen 72,4 % 13,8 % 13,8 % 0,258 0,0001

Niebüll 62,8 % 11,6 % 25,6 %

Viechtach 50,7 % 16,4 % 32,8 %

Braunschweig 44,1 % 19,9 % 35,9 %

Tab. 4 Zusammenhangzwischen der Zustimmung zubeiden Projekten

Wohnort Fälle „pro regional“ Abstimmung Überregional

Pro Unentschlossen Kontra

Kreiensen 186 92,5 % 6,5 % 1,1 %

Viechtach 41 78,0 % 12,2 % 9,8 %

Braunschweig 155 80,0 % 11,6 % 8,4 %

Niebüll 71 94,4 % 2,8 % 2,8 %

Gesamt 453 87,2 % 8,2 % 4,6 %

mit 26,6 Prozent leicht höher als im regionalen Vergleich-sprojekt, ebenso der Anteil unentschlossener Haushalte inHöhe von 16,4 Prozent. Auch hier lässt sich ein Zusammen-hang zwischen Abstimmungsergebnis und Wohnort nach-weisen, dessen Stärke (Kontingenzkoeffizient) sogar etwashöher ist als beim regionalen Projekt.

Bei einem Vergleich der Abstimmungsergebnisse überbeide Erdkabelvarianten zeigt sich, dass die Mehrheit derbefragten Haushalte im regionalen und überregionalen Fallähnliche Präferenzen äußern: 87,2 % der Haushalte, die fürdas regionale Projekt stimmen, sprechen sich auch für dasüberregionale Projekt aus. Allerdings gibt es auch hier sta-tistisch signifikante Unterschiede zwischen den betrachte-ten Regionen: Während in Kreiensen 92,5 Prozent der Be-fürworter des regionalen Projekts auch für das überregio-nale Projekt stimmen, liegt dieser Prozentsatz in Viechtachlediglich bei 78,0 Prozent (Kontingenzkoeffizient: 0,211,p = 0,002, siehe Tab. 4).7

Aus der Gruppe der Gegner des regionalen Projektesstimmten 6,2 % für das überregionale Projekt, 91,2 % lehn-ten jedoch auch das überregionale Projekt ab. 15,6 % ausder Gruppe der Haushalte, die sich gegenüber dem regiona-len Projekt noch unentschlossen zeigten, stimmten für dasüberregionale Projekt, 7,4 % aus dieser Gruppe lehnten dasüberregionale Projekt ab, 74,8 % der Haushalte dieser Grup-pe äußerten sich in beiden Projektauslegungen unentschlos-sen.

Im Fragebogen wurde auch nach den Motiven für die Ab-lehnung der Erdkabelprojekte gefragt. Die folgende Abb. 3

7Erhärtet wird diese Beobachtung durch den Befund, dass der Anteilder Haushalte in Kreiensen, die für das überregionale Projekt stim-men, sich gleichzeitig aber gegen das regionale Projekt aussprechen(18,4 %), deutlich höher ist als an den übrigen Standorten (Viechtach:7,7 %, Braunschweig 6,1 %, Niebüll: 8,9 %).

gibt eine Übersicht über die Vorbehalte, die Umfrageteil-nehmer gegen Erdkabelprojekte hegen (Mehrfachnennun-gen möglich, N = 517).

Die Befürwortung von Überlandleitungen bzw. die Ab-lehnung von Erdkabelprojekten wird in den meisten Fäl-len damit begründet, dass man Erdkabel für unnötig hält(192 Nennungen). Ähnlich häufig werden untersuchte Erd-kabelprojekte abgelehnt, weil die befragten Haushalte kei-ne finanziellen Mittel für die mit der unterirdischen Kabel-führung verbundenen Kostensteigerungen aufbringen kön-nen (181 Nennungen). 172 Haushalte geben an, dass siedie dezentrale Stromerzeugung dem Leitungsbau und damitauch der Erdkabelführung vorziehen. Vergleichsweise weni-ger gewichtig sind das Fehlen persönlicher Vorteile aus demErdkabelbau (42 Nennungen), der Protest gegen die regio-nale Beschränke der Erdkabelprojekte (21 Nennungen) oderauch eine mangelnde Wertschätzung der aus dem Erdkabel-bau entstehenden Vorteile (15 Nennungen).8

5.3 Zahlungsbereitschaft für Erdkabel

Um die im Fragebogen erhobenen Zahlungsbereitschaft aus-werten zu können, war zunächst eine Aufbereitung der

8In einer weiterführenden Frage wurden die Haushalte aufgefordert,den für sie bedeutsamsten Vorbehalt zu nennen. Diese Option wurdein 89 Fällen wahrgenommen. 30 Haushalte gaben „Erdkabel sind un-nötig“ als wichtigsten Grund an, 18 das Argument „Der Netzausbausollte zugunsten von dezentraler Energieerzeugung ausbleiben“. Mit15 Nennungen ebenfalls bedeutsam ist der Grund des „Informations-mangels“. Einige Umfrageteilnehmer gaben mit der Forderung nachHochspannungsgleichstromübertragung einen weiteren Grund für dieAblehnung der vorgestellten Projekte an. Einige der betroffenen Haus-halte aus dem Umfeld einer örtlichen Bürgerinitiative protestierten zu-dem in Form von direkten Zuschriften und Leserbriefen an die örtli-che Presse explizit dagegen, dass bei dieser Untersuchung die HGÜ-Technik nicht berücksichtigt wurde.

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Abb. 3 Vorbehalte gegenErdkabelprojekte

Stichprobe notwendig, um mögliche Verzerrungen und in-konsistente Angaben bereinigen zu können.9 Grundsätzlichwurde eine Beobachtung nicht in der Zahlungsbereitschafts-analyse berücksichtigt, wenn die zugrunde liegende Ab-stimmungsfrage (regional bzw. überregionales Projekt) un-beantwortet blieb, die Zahlungsbereitschaft nicht konkreti-siert wurde (z. B. durch die Angaben „ich bin unsicher“oder „keine Angabe“), die Angaben des Haushalts als Pro-testantworten identifiziert wurden oder die Zahlungsbereit-schaft eines Haushalts als übertrieben eingeschätzt wurde.So wurde beispielsweise ein Datensatz dann als Protest aus-geschlossen, wenn ein Haushalt klar auf den Befragungsun-terlagen vermerkt hatte, dass er sich prinzipiell nicht an einerZahlungsbereitschaftsanalyse beteiligen möchte. Insgesamtwurden auf dieser Grundlage acht Beobachtungen aus derAuswertung entfernt.10

Ob ein Datensatz modifiziert in die Zahlungsbereit-schaftsanalyse einging, hing von weiterführenden Angabendes Haushalts ab. So wurde jedem Haushalt, der gegen die

9Zu diesem Vorgehen vgl. Christ und Bothe (2007).10Eine Übertreibung wurde unterstellt, wenn eine jährliche Zahlungs-bereitschaft von mehr als 500 Euro im Zahlungsmodell der jährlichenNetzentgelte bzw. von 5.000 Euro im Modell des Entwicklungsfondsangegeben wurde. Diese Schwelle wurde in Hinblick auf die im Frage-bogen angebotene Information bestimmt, da sich die Ausgaben einesdeutschen Durchschnittshaushaltes für Netzentgelte im Bereich Über-tragungsnetze im Rahmen der jährlichen Stromrechnung auf knapp200 Euro belaufen. Auch wenn der betrachtete Haushalt einen hö-heren Stromverbrauch und damit höhere Stromkosten als ein Durch-schnittshaushalt aufweisen sollte, so erscheint die Angabe wenig rea-listisch, dass die Netzentgelte um mehr als das 2,5-fache (500 Euro)der Netzentgelte eines Durchschnittshaushaltes steigen. Der Grenzwertvon 5.000 Euro im Entwicklungsfonds wurde im Hinblick auf die gän-gigen Mindestanlagewerte im Bereich renditeorientierter Klimafondsgewählt.

vorgestellten Erdkabelprojekte votiert hatte, eine Zahlungs-bereitschaft von Null zugeordnet. Darüber hinaus wurde dieZahlungsfähigkeit eines Haushalts grundsätzlich unterstellt.Eine Zahlungsunfähigkeit wurde nur angenommen, wennein befragter Haushalt dies in einer separaten Frage eindeu-tig kenntlich machte.

Wie im Abschn. 3 erläutert, wurde die Zahlungsbereit-schaft in drei Variationen erhoben:

• Jährliche Zahlungsbereitschaft für ein regional begrenz-ten Erdkabelprojektes (8 km) auf Basis des Zahlungsme-chanismus „Netzentgelte“

• Jährliche Zahlungsbereitschaft für ein überregionalesErdkabelprojekt (400 km) auf Basis des Zahlungsmecha-nismus „Netzentgelte“

• Einmalige Zahlungsbereitschaft für ein regionales Erdka-belprojektes auf Basis des Zahlungsmechanismus „Ent-wicklungsfonds“.

Abbildung 4 zeigt beispielhaft für die erste erhobeneZahlungsbereitschaft, welche Effekte die obigen Maßnah-men zur Stichprobensortierung auf den Rücklauf hatten. Eszeigt sich, dass rund 25 Prozent des ursprünglichen Rück-laufs nicht in die Zahlungsbereitschaftsanalyse eingehen.

Die Eckdaten der erhobenen Zahlungsbereitschaftenkönnen der folgenden Tab. 5 entnommen werden.

Untersucht man die erhobene Zahlungsbereitschaft zu-nächst auf regionale Abweichungen, so ergeben sich deut-liche Unterschiede. Die durchschnittliche Zahlungsbereit-schaft für das Erdkabelprojekt in beiden Varianten ist inNiebüll (regionales Projekt: 28,6 €, überregionales Pro-jekt: 34,5 €) relativ stärker und in Braunschweig (15,4 €,19,9 €) relativ schwächer ausgeprägt als an den anderenStandorten (Kreiensen: 21,1 €; 26,3 €; Viechtach: 25,8 €;

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Abb. 4 StichprobenstrukturZahlungsbereitschaft(Netzentgelte regional)

Tab. 5 Zahlungsbereitschaft (inEuro) Zahlungsbereitschaft N Max

∑Ø Stdabw. (€)

Regional Netzentgelte 761 300 14.021 18,24 40,67

Überregional Netzentgelte 752 450 16.886 24,54 49,06

Regional Fonds 779 5.000 64.626 82,96 354,29

Abb. 5 Vergleich mittlererZahlungsbereitschaften(Euro/Jahr)

28,6 €). Aufgrund der relativ großen Standardabweichun-gen und der von einer Normalverteilung abweichenden,linksschiefen Verteilung der Zahlungsbereitschaft sind diein der folgenden Abb. 5 dargestellten mittleren Zahlungsbe-reitschaften jedoch mit Vorsicht zu interpretieren.

Allerdings wird die Hypothese, dass die Verteilung derZahlungsbereitschaft nicht unabhängig vom Wohnort desHaushalts ist, auch auf Basis eines nicht-parametrischen

Tests bestätigt. Die Ergebnisse des Kruskal-Wallis-Testsbestätigen diesen Zusammenhang für das regionale Pro-jekt (p = 0,020) und das das überregionale Projekt (p =0,009).11

11Auch für die Zahlungsbereitschaft für den regionalen Fonds kanndiese Hypothese bestätigt werden (p = 0,002).

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Tab. 6 Trittbrettfahrer nachWohnort und Zahlungsmodellen Wohnort Regional

NetzentgelteÜberregionalNetzentgelte

RegionalFonds

Kreiensen 46,1 % 47,9 % 64,4 %

Viechtach 50,0 % 50,0 % 75,0 %

Braunschweig 42,3 % 46,6 % 64,0 %

Niebüll 35,4 % 37,1 % 54,1 %

Gesamt 46,2 % 48,7 % 65,2 %

Tab. 7 Zahlungsbereitschaft fürden Übergang vom regionalenauf das überregionale Erdkabel

Stichprobe (N) MittelwertZahlungsber.-differenzen(in €)

Stdabw. ZB sinkt(% der Haushalte)

ZBkonstant(% HH)

ZB steigt(% HH)

Kreiensen (85) 11,05 39,54 12,9 49,4 37,6

Viechtach (16) 20,63 73,44 12,5 31,3 56,3

Braunschweig (67) 13,18 46,69 20,9 37,3 41,8

Niebüll (39) 16,72 39,99 7,7 59,0 33,3

Gesamt (229) 13,50 44,36 14,8 45,4 39,7

Ein bedeutsames Ergebnis dieser Untersuchung bestehtin der Beobachtung, dass nahezu 50 % der Haushalte, diesich bei der Abstimmung für das Erdkabel in der regionalenoder überregionalen Ausprägung entschieden haben, keinepositive Zahlungsbereitschaft für eben jene Projekte ange-ben. Der Wunsch, ein Projekt zu realisieren, ohne dass die-sem Projekt ein positiver ökonomischer Wert (ausgedrücktdurch die Zahlungsbereitschaft) zugeordnet wird, wird inder ökonomischen Literatur als Trittbrettfahrerverhalten in-terpretiert. Im Fall des regionalen Projektes verhalten sich46,2 Prozent der Haushalte als Trittbrettfahrer, in der überre-gionalen Auslegung steigt dieser Wert auf 48,7 Prozent. ImModell des regionalen Entwicklungsfonds liegt der Anteilder Trittbrettfahrer mit 65,2 % am höchsten. Dieses Ergeb-nis bestätigt die Ergebnisse zahlreicher ähnlicher Studien,die im Fall freiwilliger Zahlungen durchweg eine verstärkteTendenz zum Freifahrerverhalten konstatieren (z. B. Carson2000; Sugden 1999).12 Auffallend ist, dass das Trittbrett-fahrerverhalten in den Regionen unterschiedlich stark aus-geprägt ist. So ist der Anteil der Trittbrettfahrer in Niebülldeutlich geringer als in den übrigen Regionen (Tab. 6).

Weitere Aufschlüsse über die Struktur der erhobenen Prä-ferenzen können gewonnen werden, indem untersucht wird,

12Eine auf Basis der Kontingenten Bewertungsmethode durchgeführ-te repräsentative Erhebung unter 1000 bundesdeutschen Haushaltenvon Grieger (2013) kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass zweiDrittel der befragten Haushaltsentscheider eine vollständige Abschal-tung der Atomkraftwerke in Deutschland rückblickend bis zum jetzi-gen Zeitpunkt für richtig hält. Gleichzeitig sind aber offenbar lediglich30,3 % der Haushalte bereit, hierfür auch einen höheren Strompreis zuakzeptieren, während 51,5 % der Haushalte Preissteigerungen ableh-nen.

wie die Zahlungsbereitschaft der Haushalte auf die überre-gionale Ausweitung des Erdkabelprojektes reagiert. Aus in-haltlichen Gründen gehen nur die Angaben derjenigen 229Haushalte in diese Untersuchung ein, die für die regionaleAuslegung des Projektes eine positive Zahlungsbereitschaftäußerten und der überregionalen Kabelauslegung ebenfallszustimmten. Im Schnitt sind diese Haushalte bereit, 13,50Euro mehr auszugeben, wenn das Projekt nicht nur regio-nal (8 km), sondern auch überregional (400 km) realisiertwird (siehe Tab. 7). Bei einer differenzierten Betrachtungzeigt sich jedoch, dass dieser Durchschnittswert lediglichauf die steigenden Beiträge einer Minderheit zurückzufüh-ren ist: Nur knapp 40 % der Haushalte, die dem regionalenProjekt einen positiven Wert beimessen, sind bereit, für ei-ne überregionale Ausweitung der unterirdischen Kabelfüh-rung mehr zu zahlen. Eine relative Mehrheit von 45 % derHaushalte belässt ihre Zahlungsbereitschaft unverändert; In15 % der Fälle liegt die angegebene Zahlungsbereitschaftfür das überregionale Projekt sogar unter der Zahlungsbe-reitschaft für ein regionales Projekt. Dieses Ergebnis ist in-sofern bemerkenswert, als dass bei der Beschreibung beiderProjekte deutlich herausgestellt wurde, dass die überregio-nale Projektauslegung auf 400 km Länge als „eine Summe“vieler regionaler Projekte aufzufassen sei. In der Literatur zuumweltökonomischen Bewertungsverfahren wird die Beob-achtung, dass die Zahlungsbereitschaft für ein bestimmtesUmweltprojekt (z. B. für den Schutz einer bedrohten Tier-art in einer bestimmten Region) nicht zunimmt, wenn das-selbe Projekt in einem größeren Zusammenhang realisiertwird (z. B. Schutz der bedrohten Tierart in allen Ländernder Welt) als sog. Part-Whole-Bias diskutiert (Mitchell undCarson 2005). Bezogen auf die Erdkabeluntersuchung ergibt

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sich hieraus der Eindruck, dass trotz der kaum abnehmendenZustimmung der Haushalte und einer im Durchschnitt so-gar steigenden Zahlungsbereitschaft die Basis der Haushal-te, die bereit sind, sich an den entstehenden Kosten zu betei-ligen, mit einer regionalen Ausdehnung der Erdkabelprojek-te deutlich abnimmt. Tabelle 7 zeigt zudem, dass der Anteilder Haushalte, die bei einem Übergang auf ein überregiona-les Projekt eine sinkende Zahlungsbereitschaft (ZB) zeigen,in der städtischen Vergleichsregion Braunschweig deutlichgrößer ist als an den übrigen Standorten. Gleichzeitig fälltauf, dass der Anstieg der mittleren Zahlungsbereitschaft inKreiensen am geringsten ist.

Für die Beantwortung der eingangs gestellten Frage, obErdkabel ein Mittel zur Akzeptanzsteigerung des Netzaus-baus darstellen können, lässt sich aus diesem Ergebnis eininteressanter Hinweis ableiten: Zwar sind offenbar auch vie-le Haushalte, die nicht direkt vom Leitungsbau betroffensind, bereit, der Verwendung von regional begrenzten Erd-kabeln einen positiven Wert zuzumessen, aber weniger alsdie Hälfte dieser Haushalte ist bereit, zusätzliche Kosten-steigerungen im Falle einer überregionalen Anwendung derErdkabeltechnik zu tragen.

5.4 Erklärungsmodelle zu den geäußerten Präferenzen

5.4.1 Entscheidungsverhalten

Neben den bislang im Vordergrund stehenden regionalenDifferenzierungen sollen auch die im Abschn. 3.4 erläuter-ten Einstellungsvariablen und soziodemografischen Merk-male der Haushalte bei der Analyse des Entscheidungsver-haltens berücksichtigt werden. Hierzu wird das Entschei-dungsverhalten der Haushalte zunächst in Form einer multi-nomialen Variable mit den folgenden Ausprägungen zusam-mengefasst:

1. Haushalt ist gegen das Erdkabel und für die Freileitung2. Haushalt ist indifferent zwischen Freileitung und Erdka-

bel3. Haushalt spricht sich für Erdkabel aus, äußert jedoch eine

Zahlungsbereitschaft von Null (Trittbrettfahrer)4. Haushalt spricht sich für das Erdkabel aus und äußert ei-

ne positive Zahlungsbereitschaft

Bei isolierter Betrachtung des Einflusses einzelner Einstel-lungsvariablen auf das in dieser Entscheidungsvariablen zu-sammengefasste Verhalten zeigt sich beispielsweise, dassdie Einschätzung, ob die Erderwärmung menschenverur-sacht ist oder ob der befragte Haushalt selbst eine EEG-Anlage betreibt, in keinem signifikanten Zusammenhangmit dem Entscheidungsverhalten in Bezug auf das regionaleund überregionale Erdkabel steht. Signifikante Zusammen-hänge (Kontingenzanalyse, symmetrisches Maß) zwischenden geäußerten Einstellungen und dem Entscheidungsver-halten gehen jedoch von einigen anderen Variablen aus:

• Einstellungen zur Energiewende: Eine Ablehnung derEnergiewende geht relativ häufig auch mit einer Ableh-nung von Erdkabelprojekten einher. Während sich dieGegner der Energiewende zu 44,1 % gegen das regio-nale Erdkabel aussprechen, lehnen lediglich 22,2 % derBefürworter der Energiewende das regionale Erdkabel ab(überregionales Erdkabel: 52,2 % versus 23 %).

• Einschätzung der Notwendigkeit des Netzausbaus: In derGruppe der Haushalte, die von der Notwendigkeit desNetzausbaus überzeugt sind, verhalten sich 31,3 % alsTrittbrettfahrer, 29 % äußern eine positive Zahlungsbe-reitschaft für das regionale Projekt. Diejenigen, die nichtvon der Notwendigkeit des Netzausbaus überzeugt sind,verhalten sich zu 43,8 % als Trittbrettfahrer, während21,5 % eine positive Zahlungsbereitschaft äußern (über-regionales Erdkabel: 32,6 % und 24 % versus 48,4 % und17,7 %).13

• Finanzierung des Netzausbaus: Diejenigen Haushalte, dieder Meinung sind, der Netzausbau sollte aus Steuermit-teln finanziert werden, verhalten sich zu 42,3 % als Tritt-brettfahrer, während 19,5 % eine positive Zahlungsbe-reitschaft äußern. Die Haushalte, die einer Finanzierungüber Netzentgelte zustimmen, verhalten sich zu 24,5 alsTrittbrettfahrer und geben zu 35,9 % eine positive Zah-lungsbereitschaft an (überregionales Projekt: 46,5 % und15,3 % versus 23,8 % und 29,2 %).

• Regionaler Ausgleich: Haushalte, die sich für einen regio-nalen Ausgleich bei Netzausbaumaßnahmen aussprechen,lehnen das regionale Projekt mit einem Anteil von 20,1 %ab. Demgegenüber sprechen sich 39,8 % der Haushalte,die einen regionalen Ausgleich nicht wünschen, auch ge-gen das regionale Erdkabel aus (überregionales Projekt:21,1 % versus 41,6 %).

Diese Beobachtungen zum Zusammenhang zwischen be-stimmten energiepolitischen Einstellungen und den in derUntersuchung beobachteten Entscheidungen unterstreichenzunächst die Validität der erhobenen Daten. Wie stark derEinfluss dieser Einstellungsvariablen auf die in der Untersu-chung geäußerten Entscheidungen tatsächlich ist, lässt sichjedoch nur bei Betrachtung ihres gemeinsamen Einflusses

13Wie in Tab. 8 ausgeführt, haben die befragten Haushalte mit deut-licher Mehrheit von fast 90 % die Notwendigkeit des Netzausbausanerkannt. Untersucht man diese Einstellungen aber in Abhängigkeitder von den Haushalten bevorzugten Entscheidungskompetenz für denNetzausbau, so zeigt sich, dass der Anteil derjenigen, die nicht von derNotwendigkeit des Netzausbaus überzeugt sind, in der Gruppe, die sichfür eine regionale Entscheidungskompetenz aussprechen, mit 32,8 %ganz deutlich höher ist als in den Gruppen, die sich für eine Entschei-dungskompetenz des Bundes oder für eine gemischte Entscheidungs-kompetenz aussprechen. Interpretiert man, das Votum, die Entschei-dungskompetenz solle bei den vom Netzausbau betroffenen Regionenliegen, als Votum für eine starke Partizipation, so scheint die Akzep-tanz des Leitungsbaus gerade in diesem Fall am geringsten zu sein.

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Tab. 8 Ausprägungen derEntscheidungsvariablen undAntwortverteilungen im Sample

Abhängige Variablen Antwortverteilungenim Sample

Entscheidung regionalesProjektN = 319

dagegen 27,0 %

indifferent 11, 6 %

dafür, aber keine ZB 21,6 %

dafür, positive ZB 39,8 %

Entscheidung überregionalesProjektN = 252

dagegen 30,6 %

indifferent 15,5 %

dafür, aber keine ZB 15,1 %

dafür, pos. ZB 38,9 %

Unabhängige Variablen, Faktoren Anteilregional

Anteilüberre-gional

Globale Erwärmung Menschenverursacht 82,1 % 81,7 %

Nicht menschenverursacht 17,9 % 18,3 %

Einstellung Energiewende pro Energiewende 89,7 % 89,7 %

kontra Energiewende 10,3 % 10,3 %

Notwendigkeit Netzausbau Notwendig 87,5 % 88,5 %

Nicht notwendig 12,5 % 11,5 %

Wahl Stromanbieter Nachhaltige Erzeugung 45,5 % 42,1 %

Erzeugung egal 54,5 % 57,9 %

EEG-Anlagenbetreiber betreibt Anlage 16,0 % 18,3 %

betreibt keine Anlage 84,0 % 81,7 %

Finanzierung Netzausbau Steuermittel 45,5 % 40,9 %

Netzentgelte 54,5 % 59,1 %

Entscheidungskompetenz Netzausbau betroffene Regionen 16,9 % 15,9 %

Bundesregierung 8,8 % 8,7 %

Regionen & Bund 74,3 % 75,4 %

Finanzieller Ausgleich pro Ausgleich 73,7 % 73,0 %

kontra Ausgleich 26,3 % 27,0 %

Netzausbauprojekt bekannt bekannt 61,8 % 62,7 %

nicht bekannt 38,2 % 37,3 %

Geschlecht HH-Vorstand männlich 90,0 % 90,1 %

weiblich 10,0 % 9,9 %

Wohnsituation Miete 12,5 % 11,1 %

Eigentum 87,5% 88,9 %

Wohnort Kreiensen 36,4 % 36,9 %

Viechtach 7,8% 8,7 %

Braunschweig 40,1 % 40,1 %

Niebüll 15,7 % 14,3 %

Weitere unabhängige Variablen (Kovariate)

Entfernung Haushalt zur nächsten Stromtrasse

Haushaltsnettoeinkommen

Alter Haushaltsvorstand

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Tab. 9 Logistisches Modell zurErklärung der Entscheidungüber das regionale Projekt(Likelihood-Quotienten-Tests)

Modellzusammenfassung:N = 319; Log-Likelihoods:828,720 (nur konstanter Term),727,811 (endgültiges Modell);Chi-Quadrat: 100,909(p = 0,000); Pseudo-R2: 0,293(Nagelkerke)∗∗∗/∗∗/∗: Signifikant auf1-/5-/10 %-Niveau

Effekt -2 Log-Likelihood fürreduziertes Modell

Likelihood-Quotienten-Tests

Chi-Quadrat Freiheitsgrade Signifikanz

Konstanter Term 727,811 0,000 0 .

Globale Erwärmung 729,245 1,434 3 0,698

Energiewende 731,470 3,659 3 0,301

Notwendigkeit Netzausbau 730,301 2,491 3 0,477

Wahl Stromanbieter 732,669 4,858 3 0,182

EEG-Anlagenbetreiber 737,591 9,780 3 0,021∗∗

Finanzierung Netzausbau 744,863 17,052 3 0,001∗∗∗

Entscheidungskompetenz 732,948 5,137 6 0,526

Regionaler Ausgleich 736,685 8,874 3 0,031∗∗

Projekt bekannt 728,074 0,263 3 0,967

Alter 731,117 3,306 3 0,347

Geschlecht HH-Vorstand 731,862 4,051 3 ,256

Haushaltsnettoeinkommen 730,018 2,207 3 0,531

Wohnsituation 733,902 6,091 3 0,107

Wohnort 735,477 7,666 9 0,568

Entfernung Stromtrasse 736,023 8,212 3 0,042∗∗

beurteilen. Der simultane Einfluss der im Fragebogen geäu-ßerten Einstellungen zu verschiedenen Aspekten der Ener-giewende und des Netzausbaus und der soziodemografi-schen Variablen (als unabhängige Variablen) auf das Ent-scheidungsverhalten im regionalen und überregionalen Fall(als abhängige Variable) wird im Rahmen von Regressions-modellen überprüft. Dabei wird das Standardregressionsver-fahren (vgl. Hosmer et al. 2013) für die Analyse diskreterZielvariablen von mehr als zwei Ausprägungen, die multi-nominale logistische Regression (vgl. Tarling 2009), ange-wandt. In Tab. 8 werden die in diese Modelle eingehendenAusprägungen der abhängigen und unabhängigen Variablendargestellt.

Im Rahmen der multinominalen logistischen Regressi-on werden die Ausprägungen der abhängigen Variablenals Ereignisse betrachtet, die mit einer bestimmten Wahr-scheinlichkeit eintreten. Diese Wahrscheinlichkeit ist ab-hängig von einer Kombination der unabhängigen Varia-blen und wird für jede Ausprägung der abhängigen Varia-ble in separaten Regressionsmodellen bestimmt. Aufgrundder Annahme, dass die abhängige Variable eine der genann-ten vier Ausprägungen annehmen muss und die Summeder individuellen Eintrittswahrscheinlichkeiten gleich einsist, enthält ein vollständiges Modell redundante Informatio-nen, so dass eine der Ausprägungen aus dem Modell ent-fernt und als Referenzkategorie etabliert wird (vgl. Crown1998). In den nachfolgend vorgestellten Modellen zur regio-nalen und überregionalen Abstimmung bildet jeweils Aus-prägung vier, „Zahlungsbereitschaft positiv größer Null“,diesen Referenzpunkt. Die Tabellen 9 und 11 (Likelihood-Quotienten-Tests) enthalten Informationen über die Ände-rung der Likelihood-Funktion für den Fall, dass der jeweili-

ge Effekt eliminiert wird (Chi-Quadrat). Sie sind als Modell-zusammenfassungen für die regionale bzw. überregionaleAbstimmungsentscheidung zu interpretieren. Das für den je-weiligen Effekt angegebene Signifikanzniveau weist daraufhin, mit welcher Fehlerwahrscheinlichkeit ein Einfluss aufdie unabhängige Variable konstatiert werden kann. Da ausdiesen Modellzusammenfassungen nur eine Aussage überdas Vorliegen eines Einflusses hervorgeht, nicht aber überdie Art des Einflusses, werden diese einzeln erläutert. DieModellzusammenfassungen zeigen, dass der simultane Ein-fluss aller betrachteten Variablen 29,3 % (regionales Erdka-bel) bzw. 36,3 % (überregionales Erdkabel) der insgesamtbeobachteten Varianz erklären kann.

Für das Entscheidungsverhalten zum regionalen Projektspielt der Wohnort keine signifikante Rolle. Auch die un-terschiedlichen Einstellungen zur Notwendigkeit des Netz-ausbaus verlieren ihren Erklärungsgehalt bei einer simulta-nen Betrachtung aller Prädikatoren. Eine Variable, die sichhoch signifikant auf das Abstimmungsverhalten auswirkt,ist die bevorzugte Finanzierung des Netzausbaus. Haushalte,die eine Netzfinanzierung aus Steuermitteln bevorzugen, tre-ten vermehrt als Trittbrettfahrer auf. Die Gruppe der Haus-halte, die sich eher für Netzentgelte aussprechen, äußerthingegen eher eine positive Zahlungsbereitschaft. Auch dieTatsache, dass der betrachtete Haushalt eine eigene EEG-Anlage betreibt, liefert bei simultaner Betrachtung einen si-gnifikanten Erklärungsbeitrag. Demnach stehen Haushaltemit EEG-Anlage dem regionalen Erdkabelprojekt eher in-different gegenüber als Haushalte ohne EEG-Anlage. Auchbesteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Trittbrettfah-rens. Ein weiterer signifikanter Einfluss geht offenbar vondem Wunsch nach einer finanziellen Kompensation für vom

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Tab. 10Abstimmungsentscheidung undmittlere Entfernung zurnächsten Stromtrasse

Abstimmungsentscheidungen Mittlere Entfernungim regionalen Projekt

Mittlere Entfernungim überregionalenProjekt

Dagegen 3,34 km 3,48 km

dafür, aber keine ZB 3,88 km 4,36 km

dafür, positive ZB 5,57 km 5,52 km

Indifferent 5,71 km 7,66 km

Tab. 11 Logistisches Modellzur Erklärung der Entscheidungüber das überregionale Projekt(Likelihood-Quotienten-Tests)

Modellzusammenfassung:N = 252; Log-Likelihoods:657,018 (nur konstanter Term),553,838 (endgültiges Modell);Chi-Quadrat: 103,180(p = 0,000); Pseudo-R2: 0,363(Nagelkerke)∗∗∗/∗∗/∗: Signifikant auf1-/5-/10 %-Niveau

Effekt -2 Log-Likelihood fürreduziertes Modell

Likelihood-Quotienten-Tests

Chi-Quadrat Freiheitsgrade Signifikanz

Konstanter Term 553,838a 0,000 0

Globale Erwärmung 555,197 1,358 3 0,715

Energiewende 556,841 3,003 3 0,391

Notwendigkeit Netzausbau 556,364 2,526 3 0,471

Wahl Stromanbieter 558,245 4,407 3 0,221

EEG-Anlagenbetreiber 557,679 3,841 3 0,279

Finanzierung Netzausbau 570,226 16,388 3 0,001∗∗∗

Entscheidungskompetenz 556,755 2,917 6 0,819

Regionaler Ausgleich 564,547 10,708 3 0,013∗∗

Projekt bekannt 555,581 1,743 3 0,627

Alter 555,662 1,823 3 0,610

Geschlecht 555,561 1,723 3 0,632

Haushaltsnettoeinkommen 556,749 2,911 3 0,406

Wohnsituation 572,179 18,341 9 0,031∗∗

Wohnort 560,188 6,350 3 0,096∗

Entfernung Stromtrasse 562,525 8,687 3 0,034∗∗

Netzausbau betroffene Gebiete aus. Haushalte, die eine sol-che Ausgleichszahlung befürworten, sind hinsichtlich desregionalen Erdkabelprojektes eher unentschlossen oder ver-halten sich als Freifahrer. Ein weiterer interessanter Befundergibt sich aus der Entfernung eines Haushaltes zur nächst-gelegenen Stromtrasse. Die folgende Tab. 10 zeigt den mitt-leren Abstand der Haushalte innerhalb der jeweiligen Ant-wortgruppe.

Die Wahrscheinlichkeit der Zustimmung zum Erdkabel-projekt steigt mit zunehmender Entfernung. Mit anderenWorten: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haushalt sich füreine Freileitung ausspricht, ist umso größer, je dichter dieserHaushalt an einer bereits existierenden Freileitung wohnt.Ausgehend von der Annahme, dass der wesentliche Vorteildes Erdkabels gegenüber der Freileitung in der verminder-ten Sichtbarkeit der Leitung bzw. optisch-ästhetischen Ef-fekten liegt, erscheint diese Beobachtung zunächst überra-schend. Gleichwohl kommen auch andere Studien zur Be-wertung von Umwelteffekten zu ähnlichen Beobachtungen(vgl. etwa Hansjürgen 2009). Interpretiert wird dieser Zu-sammenhang zwischen räumlicher Nähe und Präferenz alsGewöhnungseffekt. Dieser geht davon aus, das Haushalte,

die bereits negativen Einflüssen unterliegen, diesen Einflussweniger stark gewichten als Haushalte, denen eine Beein-trächtigung erst bevorsteht. In dieser Studie zeigt sich dieserGewöhnungseffekt bis zu einer gewissen Entfernung, ab derdie Haushalte der Art der Kabelführung indifferent gegen-überstehen; die mittlere Entfernung der indifferenten Haus-halte zur nächsten Stromtrasse ist mit 5,71 km (regionalesProjekt) bzw. 7,66 km (überregionales Projekt) am größten.

Die Untersuchung des Entscheidungsverhaltens für dasüberregionale Erdkabelprojekt kommt grundsätzlich zuähnlichen Ergebnissen (siehe Tab. 11). Der o.g. Gewöh-nungseffekt zeigt sich auch hier. Unterschiede gegenüberden Entscheidungen zum regionalen Modellbestehen aller-dings in Bezug auf die Variable „EEG-Anlagenbetreiber“,deren Einfluss insignifikant wird, sowie im Hinblick auf dieRolle des Wohnorts und der Wohnsituation, denen hier einsignifikanter Erklärungsgehalt zugewiesen wird. Hinsicht-lich der Wohnsituation bzw. der Eigentumsverhältnisse zeigtsich, dass Haushalte, die in einem Mietverhältnis stehen,mit einer im Vergleich zu Wohneigentümern größeren Wahr-scheinlichkeit zum Trittbrettfahren neigen. Die Signifikanzder Variable „Wohnort“ wird (in den hier nicht dargestell-

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Tab. 12 Koeffizienten undSignifikanzen der Tobit-Modelle

∗/∗∗/∗∗∗: Signifikant auf 10 %-,5 %- bzw. 1 %-Niveau

HH: Haushalt

Unabhängige Variable Abhängige Variable

Modell 1 Modell 2 Modell 3

RegionalesProjekt,Netzentgelte

ÜberregionalesProjekt,Netzentgelte

RegionalesProjekt,Fonds

HH glaubt an globale Erwärmung −6,866 −17,940 134,117

HH unterstützt Energiewende 53,004∗∗∗ 89,284∗∗∗ 311,966

HH hält Netzausbau für notwendig 18,534 13,172 40,046

HH wählt Stromanbieter vor ökologischen Kriterien 17,862∗ 17,764 362,877∗∗∗

HH betreibt eigene EEG-Anlage 21,522∗ 31,656∗∗ 326,877∗∗∗

Dummy: Finanzierung Netzausbau durch Netzentgelte 30,579∗∗∗ 26,661∗∗ 226,315∗∗

Dummy: Regionale Entscheidungskompetenz 22,891∗ 14,876 83,997

HH befürwortet finanzielle Kompensation betroffenerRegionen

3,725 −4,260 107,603

Dem HH ist ein konkretes Ausbauprojekt bekannt 0,952 7,867 252,412∗∗

Alter HH-Vorstand 1,591 −1,085 −111,378∗∗

HH-Vorstand ist männlich 23,314∗ 18,399 −62,581

Haushaltsnettoeinkommen 7,095∗∗ 8,276∗∗ 70,433∗∗

HH besitzt Wohneigentum 4,847 10,470 210,992

Dummy: Wohnort ist Kreiensen 19,668∗ 32,061∗∗ 100,006

Entfernung zur nächsten Stromtrasse in Metern 0,097 0,293 3,548

Konstante −311,455∗∗∗ −367,910∗∗∗ −3.264,224∗∗∗

Log-Likelihood −1.068,828 −1.010,922 −1.025,711

N 398 391 402

ten Teilmodellen) deutlich an den Ausprägungen Viechtachund Braunschweig, in denen die Haushalte stärker zur Ab-lehnung oder zur Indifferenz in Bezug auf das überregionaleProjektes neigen als an den anderen Standorten.

5.4.2 Zahlungsbereitschaft

Die im Rahmen der Kontingenten Bewertungsmethode er-hobenen Zahlungsbereitschaften der Haushalte sind links-seitig durch den Wert Null beschränkt. Dies bedeutet, dassdiejenigen Haushalte, die Erdkabel ablehnen bzw. Über-landleitungen bevorzugen, nicht die Möglichkeit haben, ei-ne negative Zahlungsbereitschaft zu äußern. Klassische Re-gressionsverfahren, die auf der kleinsten-Quadrate-Methodebasieren, sind im Fall beschränkter Wertebereiche abhängi-ger Variablen ungeeignet und führen zu fehlerhaften bzw.inkonsistenten Parameterschätzungen). Als genauer geltenin diesen Fällen Verfahren, die Moment- oder Maximum-Likelihood-Schätzer verwenden (Halstedt et al. 1990; Co-hen 1991). Welches Verfahren für eine Analyse der metri-schen Zahlungsbereitschaft genutzt wird, orientiert sich amgewählten Umgang mit zensierten Daten. Grundsätzlich be-stehen die Möglichkeiten, die zensierten Daten als fehlen-de Werte zu deklarieren und vollständig aus der Stichprobezu entfernen oder sie durch fiktive Schätzwerte zu ersetzen,

welche die ursprüngliche Beschränkung umgehen (Wool-ridge 2009). Das Tobit-Verfahren, das nachfolgend zur Aus-wertung der Zahlungsbereitschaften genutzt wird, ist derzweiten Kategorie zuzuordnen. Es schätzt zunächst in einemlatenten Modell fiktive Werte für die beschränkte Variableund verarbeitet diese dann in einem Maximum-Likelihood-Modell.14 In der folgenden Tab. 12 werden die Ergebnisseder Tobit-Regressionen vorgestellt, die jeweils eine der dreiuntersuchten Zahlungsbereitschaften als abhängige Variablebetrachten. Als unabhängige Variable gingen die bereits inden logistischen Modellen verarbeiteten Variablen ein.

Ein Vergleich der Regressionsmodelle zeigt, dass dieZahlungsbereitschaft als Ausdruck der Stärke der Präferenzteilweise von anderen Variablen beeinflusst wird als das imletzten Abschnitt untersuchte Entscheidungsverhalten. Zu-dem variiert der Erklärungsgehalt der betrachteten Varia-blen zwischen den verschiedenen Zahlungsbereitschaftsmo-dellen. Dabei sind die Vorzeichen der Koeffizienten der vor-gestellten Modelle inhaltlich durchweg konsistent: Eine Un-terstützung der Energiewende führt etwa ebenso zu einerhöheren Zahlungsbereitschaft für Erdkabel wie die Bevor-zugung von Strom aus erneuerbaren Quellen. Zudem zeigt

14Eine Ausführliche Darstellung des Tobit-Regressionsmodells findetsich z. B. bei Long (1997, S. 196ff.).

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Tab. 13 Übersicht übersignifikante Einflussgrößen inden Erklärungsmodellen

∗∗∗/∗∗/∗: signifikant auf1/5/10 %-Niveau

Effekte Regionales Erdkabelprojekt Überregionales Erdkabelprojekt

Abstimmung(Logit)

ZB Netzentgelte(Tobit 1)

ZB Fonds(Tobit 3)

Abstimmung(Logit)

ZB Netzentgelte(Tobit 2)

Globale Erwärmung

Energiewende ∗∗∗ ∗∗∗

Notwendigkeit Netzausbau

Wahl Stromanbieter ∗ ∗∗∗

EEG-Anlagenbetreiber ∗∗ ∗ ∗∗∗ ∗∗

Finanzierung Netzausbau ∗∗∗ ∗∗∗ ∗∗ ∗∗∗ ∗∗

Entscheidungs-kompetenz ∗

Regionaler Ausgleich ∗∗ ∗∗

Projekt bekannt ∗∗

Alter ∗∗

Geschlecht ∗

Haushalts-nettoeinkommen ∗∗ ∗∗ ∗∗

Wohnsituation ∗∗

Wohnort ∗ ∗ ∗∗

Entfernung Stromtrasse ∗∗ ∗∗

sich, dass solche Haushalte, die Netzentgelte (und nichtetwa eine Steuerfinanzierung) als Finanzierungsinstrumentdes Netzausbaus befürworten, eine signifikant höhere Zah-lungsbereitschaft äußern. Die Beobachtung, dass sich dieHöhe des Haushaltsnettoeinkommens positiv auf die Hö-he der geäußerten Zahlungsbereitschaft auswirkt, bestätigtein Standardergebnis der Literatur (vgl. etwa Broberg 2009oder Liebe et al. 2011). Anders als bei der isolierten Unter-suchung des Einflusses des Wohnortes (vgl. Abschn. 5.3)ergibt sich bei einer simultanen Betrachtung aller Varia-blen ein positiver Einfluss des Wohnortes Kreiensen auf dieHöhe der Zahlungsbereitschaft. In allen Tobit-Modellen istder Koeffizient der Dummy „Wohnort Kreiensen“ positiv,wenngleich die Bedeutung der Variable unter Verwendungdes Zahlungsmechanismus „Entwicklungsfonds“ insignifi-kant ist.

In der folgenden Tab. 13 wird die Rolle derjenigen Va-riablen zusammengefasst, die sich signifikant auf die grund-sätzliche Präferenz (Logit) oder die Präferenzintensität bzw.Zahlungsbereitschaft (Tobit) auswirken. Die von den Haus-halten geäußerte Einschätzung zur Zuordnung der Entschei-dungskompetenz über Netzausbauprojekte wirkt sich le-diglich im Tobit-Modell zur Erklärung der Zahlungsbereit-schaft für das regionale Erdkabelprojekt (Netzentgelte) si-gnifikant aus, berührt hingegen kaum deren grundsätzlichesEntscheidungsverhalten im Abstimmungsmodus. Betrachtetman beispielsweise die intensiven Bemühungen der Netz-betreiber, die Anwohner betroffener Regionen in den Pla-nungsprozess des Leitungsbaus einzubeziehen (z. B. Am-prion 2013), so stellt sich die etwas provozierende Frage,ob hierdurch in kritischen Fällen ein Zugewinn an Akzep-tanz überhaupt realisiert werden kann. Obwohl viele dereingangs zitierten Studien Erdkabel als Instrument zur Er-

höhung der Akzeptanz des Leitungsbaus betrachten, scheintsich die Frage, ob die hierfür zuständige Entscheidungskom-petenz eher regional oder eher zentral gestaltet sein soll,nicht von großer Relevanz für die Ablehnung von Über-landleitungen zu sein. Hinzu kommt, dass in allen Erklä-rungsmodellen die Einstellung der Haushalte hinsichtlichder Notwendigkeit des Netzausbaus ebenso wenig einen si-gnifikanten Erklärungsbeitrag liefert, wie die Einstellungenzur globalen Erwärmung. Die Einstellungen der Haushaltezur Energiewende wirken sich zwar nicht auf das Ergeb-nis im Abstimmungsmodus aus, wohl aber in Bezug aufdie Höhe der Zahlungsbereitschaft für die Realisation vonErdkabeln.

In vielen Zahlungsbereitschaftsstudien wird zwischendem Glauben an die globale Erwärmung und der Zahlungs-bereitschaft für klimaschonende Vorhaben ein positiver Zu-sammenhang konstatiert (z. B. Kotchen et al. 2011). Hierzuist anzumerken, dass in der vorliegenden Studie ausdrück-lich nicht die Zahlungsbereitschaft für klimaschonendesVerhalten erhoben wurde, sondern unterschiedliche Ausle-gungen des energiewendebedingten Leitungsbaus bewertetwerden sollten. Die Tatsache, dass sich diese Einstellungs-variable offensichtlich nicht auf das Entscheidungsverhaltenauswirkte, spricht dafür, dass die Haushalte die im Fragebo-gen dargestellten Bewertungsszenarien verstanden und nichtals Abstimmung über die Energiewende oder die Notwen-digkeit des Leitungsbaus missverstanden haben. Dies weistim Kern auch darauf hin, dass die Diskussion um unter-schiedliche Varianten des Netzausbaus weniger stark vonideologischen Komponenten überlagert ist als andere Berei-che der gesellschaftlichen Diskussion um die Zukunft derEnergiewirtschaft.

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Während die Höhe des Haushaltsnettoeinkommens so-wohl im regionalen wie im überregionalen Fall keinen Ein-fluss auf die grundsätzliche Haltung zu Erdkabelprojektenausübt, besteht dieser Einfluss auf die Höhe der Zahlungsbe-reitschaft durchaus. Ähnliche Ergebnisse wurden beispiels-weise von Liebe et al. (2011) vorgelegt, die in einer Stu-die zur Untersuchung der Zahlungsbereitschaft für den Er-halt eines Waldes vergleichbare Effekte beobachten. DiesesErgebnis unterstreicht, dass grundsätzliche Präferenzurteileweitgehend unabhängig vom zur Verfügung stehenden Ein-kommen getroffen werden, während monetäre Bewertungendurchaus einkommensabhängig sind.

6 Schlussfolgerungen

Im vorliegenden Beitrag wird die Zahlungsbereitschaft pri-vater Haushalte für den Erdkabelbau unter Verwendung derKontingenten Bewertungsmethode untersucht. Die vorge-stellten Ergebnisse können vor allem vor dem Hintergrundder aktuellen Diskussionen um die gesellschaftliche Akzep-tanz der Energiewende und insbesondere den damit verbun-denen Kostensteigerungen interpretiert werden. Ob und inwelchem Umfang die privaten Haushalte bereit sind, durchdie Verwendung der Erdkabeltechnik weitere Preissteige-rungen hinzunehmen, kann (auch vor dem Hintergrund dernicht-repräsentativen Stichprobe) nicht abschließend beant-wortet werden. Grundsätzlich bestätigt werden können je-doch die Ergebnisse anderer Studien (z. B. Agentur für er-neuerbare Energien 2012), da sich jeweils deutliche Mehr-heiten von rund 60 % der befragten Haushalte bei einer Ent-scheidung zwischen konventionellen Freilandleitungen undErdkabeln für die unterirdische Kabelführung aussprechen.

Ob dieses Votum jedoch eine ausreichende Grundlagefür die Hypothese darstellt, Erdkabel stellen ein Instrumentder regionalen Konfliktbewältigung dar, das von Regional-planungen und Energiepolitik als Konsensinstrument ein-gesetzt werden kann, muss angezweifelt werden. Dies istzunächst mit dem großen Anteil an Haushalten zu begrün-den, die dem Erdkabelprojekt keinen positiven ökonomi-schen Wert zuordnen bzw. trotz positiven Votums im Ab-stimmungsmodus nicht bereit sind, hierfür Kostensteigerun-gen in Kauf zu nehmen. Bei der Analyse dieses strategi-schen Trittbrettfahrer-Verhaltens ist auffällig, dass es nichtdurch die Höhe der Haushaltsnettoeinkommen oder durchandere soziodemografischen Variablen erklärt werden kann.Auch spielen allgemeinere energiepolitische Einstellungen,wie etwa die Einstellung zum Klimawandel oder zur Ener-giewende, hierfür keine Rolle. Vielmehr muss hier ande-ren normativen Einstellungen ein Erklärungsbeitrag einge-räumt werden, wie etwa der bevorzugten Finanzierungsme-thode des Netzausbaus. Haushalte, die sich beispielsweiseeher für eine Steuerfinanzierung aussprechen, sind wenigerstark bereit, einen Anstieg der Netzentgelte hinzunehmen.

Auch wirken sich regionale Faktoren wie der Wohnort (unddamit indirekt das Ausmaß der Betroffenheit vom Leitungs-bau) oder die Nähe zu einer bereits existierenden Hochspan-nungsleitung auf die geäußerten Präferenzen aus. In diesemZusammenhang zeigt sich ein interessanter Gewöhnungs-bzw. Erfahrungseffekt: je dichter ein Haushalt an einer be-reits existierenden Leitung wohnt, umso eher spricht er sichgegen Erdkabel und für die Verwendung von Überlandlei-tungen aus. Diese regionalen Unterschiede in Bezug auf dieEinschätzung, ob die Verwendung von Erdkabeln beim ener-giewendebedingten Leitungsbau als Mittel der Wahl geltenkönnen, stehen in deutlichem Widerspruch zu Aussagen an-derer Studien (vgl. etwa Agentur für erneuerbare Energien2012), die regionale Unterschiede bei der Akzeptanz desLeitungsbaus weitgehend negieren und eine mehr oder we-niger undifferenzierte gesellschaftliche Zustimmung zu ver-schiedenen Aspekten des Leitungsbaus und der Energiewen-de diagnostizieren.

Die Untersuchung wurde simultan an vier Orten durch-geführt, die in unterschiedlicher Weise von der Energiewen-de und dem einhergehenden Leitungsbau betroffen sind. Beiisolierter Betrachtung des Einflusses des Wohnortes zeigtsich, dass in Kreiensen als eine real vom Netzausbau be-troffene Region zwar die Zustimmung zu Erdkabelprojektendeutlich höher ist als in Niebüll, Braunschweig oder Viecht-ach. Die Zahlungsbereitschaft für die tatsächliche Realisati-on eines Erdkabelprojektes jedoch spiegelt dieses Ergebnisnicht wider. In Niebüll ist die Zahlungsbereitschaft für Erd-kabel deutlich höher als in den anderen Orten. Dieses Ergeb-nis ist insbesondere durch den Anteil an Trittbrettfahrern zuerklären, der in Niebüll bei beiden Projekten deutlich gerin-ger ausfällt als an den anderen Standorten. Der unterpropor-tionale Anteil an Trittbrettfahrern in dieser Region wieder-um ist ein Indiz, dass in dieser vom Ausbau der Windener-gie geprägten Region in Schleswig-Holstein Erdkabel offen-sichtlich stärker als in anderen Regionen Instrument zur Si-cherung einer gesellschaftlichen Zustimmung des notwen-digen Netzausbaus angesehen werden. Dass dieses Votumeiner Region, deren Bevölkerung von den mit der Energie-wende verbundenen Wertschöpfungsprozessen auch finan-ziell profitiert, nicht übertragbar ist auf Regionen, die nichtwirtschaftlich von der Energiewende profitieren, folgt ausden großen Abweichungen zu den anderen Untersuchungs-gebieten. Die Beobachtung, dass selbst in Niebüll nur einDrittel der Haushalte, die ihre Zustimmung zum regiona-len Erdkabel mit einer positiven Zahlungsbereitschaft un-terlegen, bereit ist, für eine den Einzelfall überschreitende,überregionale Ausweitung des Erdkabelprojektes eine wei-tere Kostensteigerung hinzunehmen, spricht nicht unbedingtdafür, dass die Verwendung von Erdkabeln ein Standard-instrument zur Besänftigung regionaler Proteste gegen denLeitungsbau darstellen können. Wohnortunabhängig bewer-ten in der vorliegenden Studie rund 60 % der Haushalte den

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Nutzen des überregionalen Projektes nicht höher oder sogargeringer als den eines regional begrenzten Projektes. Einerüber den Einzelfall hinausgehenden Verwendung von Erd-kabeln als Instrument zur Steigerung der gesellschaftlichenAkzeptanz der Energiewende kann damit auf Basis der Er-gebnisse diese Studie nur ein sehr begrenzter gesamtgesell-schaftlicher Nutzenzuwachs zugesprochen werden.

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