energy roadmap

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FEATURE 46 Ein Wort aus Brüssel „Energy Roadmap 2050“ – Die Energiezukunft der EU im Zielkonflikt? Die EU macht sich seit geraumer Zeit Gedanken darüber, wohin Europa in Sachen Energie- versorgung zukünftig steuern soll. Die kommenden Monate versprechen konkrete Ergebnisse in Form mehrerer Vorschläge der EU-Kommission. Weniger Treibhausgasemissionen und mehr Infrastruktur lauten die Schlagworte. Eine durchaus ambitionierte Kombination, die die bereits jetzt heißen Diskussionen um die Energiezukunft der EU wohl weiter anfachen wird. von Dr. Ralf Pastleitner, VNG Nicht nur angesichts der derzeit in Um- setzung befindlichen Energiewende durch den geplanten Atomausstieg in Deutschland gewinnt die Diskussion um den „richtigen“ Energiemix auch in Brüssel wieder kräftig an Fahrt. Die EU- Kommission arbeitet seit einiger Zeit an Vorschlägen für eine Dekarbonisierung, also eine Reduzierung des CO 2 -Aussto- ßes der europäischen Wirtschaft. Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissio- nen in der EU um 80–95 Prozent unter die entsprechenden Werte von 1990 sinken. „Roadmaps“ für eine CO 2 -freie europäische Wirtschaft Im März 2011 veröffentlichte die Gene- raldirektion Klimaschutz der EU-Kom- mission einen Fahrplan („Roadmap“) für eine nahezu CO 2 -freie Wirtschaft in der EU bis 2050. Auf Grundlage dieser Road- map wird nun auch im Energieressort von Kommissar Günther Oettinger an einem Fahrplan zur Dekarbonisierung des Ener- giesektors gearbeitet. Diese Pläne sollen unter Berücksichtigung der Ziele der Ver- sorgungssicherheit sowie der Aufrecht- erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit im Dezember 2011 veröffentlicht werden. Zwar haben beide Vorschläge der EU-Kommission zunächst nur unver- bindlichen Charakter, weil die Zusam- mensetzung des Energiemixes in der Entscheidungsgewalt der EU-Mitglied- staaten liegt. Da die „Dekarbonisie- rungs-Fahrpläne“ der EU-Kommission allerdings auf dem klar geäußerten po- litischen Willen der nationalen Staats- und Regierungschefs beruhen, ist eine schrittweise Umsetzung der Pläne zu erwarten. Erdgas im europäischen Energiemix Aus Sicht der Erdgaswirtschaft stellt sich bei näherer Betrachtung der EU- Vorschläge die Frage, inwieweit der um- weltfreundlichste aller herkömmlichen Energieträger in zukünftigen Szenarien einer europäischen Energieversorgung überhaupt Berücksichtigung findet. Da- bei stößt der Leser rasch auf die von der Kommission gemachten Vorgaben einer CO 2 -Reduzierung für den Strom- und Gas- sektor. Bis 2030 sollen die Emissionen um 54 bis 68 Prozent (im Vergleich zu den Werten von 1990) gesenkt werden. Bis 2050 sollen es dann 93 bis 99 Prozent sein, also eine de facto Reduzierung der CO 2 -Emissionen auf null. Dies könnte zu dem Schluss verleiten, dass konventio- nelle Energieträger wie Erdgas ab 2030 aus Sicht der Kommission möglicherwei- se nur noch eine untergeordnete Rolle im Energiemix der EU einnehmen sollen, sofern nicht kurz- bis mittelfristig revo- lutionäre Technologien zur CO 2 -Emissi- onsverminderung implementiert werden können. Dem entgegen steht die kürz- lich getroffene Aussage von EU-Energie- kommissar Günther Oettinger, wonach der Gasverbrauch in der EU zukünftig weiter ansteigen werde. Oettinger spricht immerhin von einem Anstieg von heute 500 Mrd. m³ auf 600 Mrd. m³ bis 2020. Ein Szenario, das den CO 2 -Ausstoß de facto auf Null senkt, würde den Energie- sektor vor große Herausforderungen stel- len. Insbesondere, da Technologien wie etwa die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) zur Minderung der CO 2 -Emissionen derzeit noch nicht über die technische Reife verfügen, um großflächig eingesetzt werden zu kön- nen. Zudem ist die Weiterentwicklung und Realisierung von CCS-Projekten

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Die eu macht sich seit geraumer Zeit Gedanken darüber, wohin europa in Sachen energie- versorgung zukünftig steuern soll. Die kommenden Monate versprechen konkrete ergebnisse in Form mehrerer Vorschläge der eu-kommission. weniger treibhausgasemissionen und mehr Infrastruktur lauten die Schlagworte. eine durchaus ambitionierte kombination, die die bereits jetzt heißen Diskussionen um die energiezukunft der eu wohl weiter anfachen wird. FEatURE 46 von Dr. Ralf Pastleitner, VnG

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FEatURE

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ein wort aus Brüssel

„Energy Roadmap 2050“ – Die Energiezukunft der EU im Zielkonflikt?

Die eu macht sich seit geraumer Zeit Gedanken darüber, wohin europa in Sachen energie-versorgung zukünftig steuern soll. Die kommenden Monate versprechen konkrete ergebnisse in Form mehrerer Vorschläge der eu-kommission. weniger treibhausgasemissionen und mehr Infrastruktur lauten die Schlagworte. eine durchaus ambitionierte kombination, die die bereits jetzt heißen Diskussionen um die energiezukunft der eu wohl weiter anfachen wird.

von Dr. Ralf Pastleitner, VnG

nicht nur angesichts der derzeit in Um-setzung befindlichen Energiewende durch den geplanten atomausstieg in Deutschland gewinnt die Diskussion um den „richtigen“ Energiemix auch in Brüssel wieder kräftig an Fahrt. Die EU-Kommission arbeitet seit einiger Zeit an Vorschlägen für eine Dekarbonisierung, also eine Reduzierung des CO2-aussto-ßes der europäischen Wirtschaft. Bis 2050 sollen die treibhausgasemissio-nen in der EU um 80–95 Prozent unter die entsprechenden Werte von 1990 sinken.

„roadmaps“ für eine cO2-freie europäische wirtschaft Im März 2011 veröffentlichte die Gene-raldirektion Klimaschutz der EU-Kom-mission einen Fahrplan („Roadmap“) für eine nahezu CO2-freie Wirtschaft in der EU bis 2050. auf Grundlage dieser Road-map wird nun auch im Energieressort von Kommissar Günther Oettinger an einem Fahrplan zur Dekarbonisierung des Ener-giesektors gearbeitet. Diese Pläne sollen unter Berücksichtigung der Ziele der Ver-sorgungssicherheit sowie der aufrecht-

erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit im Dezember 2011 veröffentlicht werden.

Zwar haben beide Vorschläge der EU-Kommission zunächst nur unver-bindlichen Charakter, weil die Zusam-mensetzung des Energiemixes in der Entscheidungsgewalt der EU-Mitglied-staaten liegt. Da die „Dekarbonisie-rungs-Fahrpläne“ der EU-Kommission allerdings auf dem klar geäußerten po-litischen Willen der nationalen Staats- und Regierungschefs beruhen, ist eine schrittweise Umsetzung der Pläne zu erwarten.

erdgas im europäischen energiemixaus Sicht der Erdgaswirtschaft stellt sich bei näherer Betrachtung der EU-Vorschläge die Frage, inwieweit der um-weltfreundlichste aller herkömmlichen Energieträger in zukünftigen Szenarien einer europäischen Energieversorgung überhaupt Berücksichtigung findet. Da-bei stößt der leser rasch auf die von der Kommission gemachten Vorgaben einer CO2-Reduzierung für den Strom- und Gas-sektor. Bis 2030 sollen die Emissionen um 54 bis 68 Prozent (im Vergleich zu den Werten von 1990) gesenkt werden.

Bis 2050 sollen es dann 93 bis 99 Prozent sein, also eine de facto Reduzierung der CO2-Emissionen auf null. Dies könnte zu dem Schluss verleiten, dass konventio-nelle Energieträger wie Erdgas ab 2030 aus Sicht der Kommission möglicherwei-se nur noch eine untergeordnete Rolle im Energiemix der EU einnehmen sollen, sofern nicht kurz- bis mittelfristig revo-lutionäre technologien zur CO2-Emissi-onsverminderung implementiert werden können. Dem entgegen steht die kürz-lich getroffene aussage von EU-Energie-kommissar Günther Oettinger, wonach der Gasverbrauch in der EU zukünftig weiter ansteigen werde. Oettinger spricht immerhin von einem anstieg von heute 500 Mrd. m³ auf 600 Mrd. m³ bis 2020.

Ein Szenario, das den CO2-ausstoß de facto auf null senkt, würde den Energie-sektor vor große herausforderungen stel-len. Insbesondere, da technologien wie etwa die abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) zur Minderung der CO2-Emissionen derzeit noch nicht über die technische Reife verfügen, um großflächig eingesetzt werden zu kön-nen. Zudem ist die Weiterentwicklung und Realisierung von CCS-Projekten

Mit dem Willen zur weiteren Reduzierung des CO2-Ausstoßes und der gleichzeitigen Umsetzung eines Energie-Infrastrukturpakets könnte die europäische Energiepolitik in einen Zielkonflikt geraten.

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medium gas 3 | 2011

durch Widerstände vor Ort auch auf po-litischer Seite äußerst erschwert.

neues Infrastrukturpaket für den energiesektorGleichzeitig hat die EU-Kommission Ende Oktober 2011 ein Infrastrukturpaket für den Energiesektor veröffentlicht. hierin wird die Industrie unter anderem ermu-tigt, massive Investitionen in neue Ener-gieinfrastrukturen zu tätigen. Zu nennen sind hier vor allem neue grenzüberschrei-tende Interkonnektoren (Pipelineverbin-dungen), Stromleitungen oder Speicher. hauptziele des Infrastrukturpakets sind die Verwirklichung des Energiebinnen-markts bis 2014 und die sichere Versor-gung Europas mit Strom und Erdgas.

eu-pläne könnten Zielkonflikt im energiesektor auslösenBetrachtet man nun die beiden oben genannten – für sich genommen jeweils durchaus begrüßenswerten – Ziele der EU-Kommission zusammen, so wird ein nicht unbedeutender Zielkonflikt erkennbar. Der Energiesektor steht vor der komplexen aufgabe, einerseits sei-ne CO2-Emissionen bis 2050 praktisch

Dr. Ralf Pastleitner | leiter des Brüsseler Büros von VnG | [email protected]

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auf null zu senken. andererseits soll im selben Zeitraum ein gewaltiger ausbau der Energieinfrastruktur stattfinden, verbunden mit den entsprechend hohen Investitionen durch die Industrie. Bei amortisierungszeiträumen für Großin-vestitionen von bis zu 40 Jahren stellt sich hier die Frage, wie die verlangten Infrastrukturinvestitionen gestemmt werden können, wenn gleichzeitig die Bedeutung bestimmter Brennstoffe im Energiemix Europas ab 2030 schrittwei-se minimiert werden soll.

wettbewerbsfähigkeit muss erhalten werdenZweifelsohne sind sowohl der ausbau der Energieinfrastruktur als auch die Reduk-tion der CO2-Emissionen wichtige Ziele, die durch die EU-Kommission auch zu Recht mit nachdruck verfolgt werden. al-lerdings dürfen bei der Umsetzung dieser selbst gestellten aufgaben die von der EU-Kommission ebenfalls als prioritär ein-gestuften Grundsätze der Wettbewerbsfä-higkeit und Versorgungssicherheit nicht zu kurz kommen.

an der konkreten ausgestaltung der Vorschläge der EU-Kommission zur

„Energy Roadmap 2050“ und zum Ener-gieinfrastrukturausbau wird sich zeigen, ob den Entscheidungsträgern in Brüssel die schwierige Balance zwischen gleicher-maßen berechtigten Interessen gelingen und Europa einen nachhaltigen und aus-gewogenen ersten Schritt auf dem Weg zur Energiewende gehen kann.