Entwicklung der Astrophysik. Bericht über das astronomiehistorische Kolloquium des Arbeitskreises...

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Kiew und Ackermann verfolgte und dabei deut- lich machte, wie stark sie die Politik Breslaus, Krakaus, obersächsischer Städte und mehrerer Gebietskörperschaften bestimmten. Die west- wärts gerichteten Handelsbeziehungen Breslaus zu Regensburg wurden durch Grzegorz Mys ´liw- ski herausgearbeitet, der in seinen Ausführungen das ,Runtingerbuch‘ Franz Bastians bestätigte, Prag als wichtige Zwischenstation hervortreten ließ und verständlich machte, warum Regensburg seinen ersten Apotheker aus dem pharmazeutisch hochinnovativen Breslau angeworben hat. Auf die für Schrifttumsgeschichte grundlegen- den Siedlungsstrukturen hoben die abschließen- den Referate der dritten und vierten Sektion ab: Adam Z ´ urek korrelierte die jüngsten Grabungser- gebnisse vom ,Summum Wratislawiense‘ mit den archivalischen Nachrichten von der Dominsel (auf der sich die Lage der berühmten Domschule östlich des Domes vermuten läßt), und Marek Slon ´ rollte in brillanter Weise die Rechts- und Wirtschaftsgeschichte (ost)mitteleuropäischer „Neustädte“ auf, die von den Wollwebern ge- gründet wurden, die Tuchproduktion beherrsch- ten und, wie in Breslau oder Warschau, in Kon- kurrenz zu den „Altstädten“ traten. – In seiner Eröffnungsansprache hatte Stanislaw Bylina, der Direktor des Historischen Akademie-Instituts, auf die Notwendigkeit grenzübergreifenden Zu- sammenwirkens hingewiesen; Halina Manikow- ska hob in ihrer Schlußansprache auf die gute, seit Jahren bestehende Zusammenarbeit von Mö- bus-Institut und Polnischer Akademie ab, und Hilde-Marie Groß sowie Gundolf Keil ließen in ihren Schlußworten deutlich werden, daß die Breslauer Fachprosa des Hochmittelalters – in für die deutsche Literaturgeschichte unvergleichlicher Weise – eine Imago mundi entwirft, indem sie grôze werlt (den Makrokosmos) und minner werlt (den Mikrokosmos) harmonisierend zusam- menführt: Alles, was „di wisen, di hivore waren vnde di nu sint“, je dazu gesagt haben, breitet sie in hochschulmäßiger Exaktheit, funktiolektaler Klarheit und farbiger Detailverliebtheit aus. (Es ist geplant, die Verhandlungen des Sympo- siums im ,Jahrbuch der Schlesischen Friedrich- Wilhelms-Universität zu Breslau‘ abzudrucken.) Christine Wolf Anschrift der Verfasserin: Christine Wolf, Gerhard-Möbus-Institut für Schlesienforschung an der Uni- versität Würzburg, Röntgenring 10, D-97070 Würzburg Entwicklung der Astrophysik Bericht über das astronomiehistorische Kolloquium des Arbeitskreises Astrono- miegeschichte, 26. September 2005 in Köln Der Arbeitskreis Astronomiegeschichte führte im Rahmen der Jahrestagung der Astronomischen Gesellschaft am 26. September 2005 im Institut für Theoretische Physik der Universität Köln ein internationales Kolloquium durch, das von Gu- drun Wolfschmidt (Hamburg) und Claus Kiefer (Köln) organisiert wurde. Die neun Vorträge stan- den unter dem Rahmenthema „Entwicklung der Astrophysik“. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Entwicklung der theoretischen Astrophysik im 20. Jahrhundert. Anläßlich des Einsteinjahres stand Albert Einstein im Zentrum. Im ersten Vortrag sprach Henning Krause (Hamburg) zum Thema „Das Verständnis des Mi- chelson-Morley-Versuchs – Wegbereiter für Ein- stein?“. Albert Abraham Michelsons Ätherdrift- Experiment von 1887 wurde und wird als experi- mentelle Widerlegung der elektromagnetischen Äthertheorie dargestellt, so etwa in vielen Physik- Lehrbüchern. Doch Zeitgenossen interpretierten es nicht in diesem Sinne, und es wäre deshalb anachronistisch, den Versuch als zeitgenössisches experimentum crucis für die Relativitätstheorie anzusehen. Zwar könne er heute als Argument für die Richtigkeit der Relativitätstheorie ange- bracht werden; diese Intention dürfe aber nicht Michelson unterstellt werden, der einen Tacho- meter für die Erde konstruieren wollte. – Daniela Wünsch (Göttingen) berichtete über „Neues zur Entdeckung der Gravitationsgleichungen der All- gemeinen Relativitätstheorie durch Albert Ein- stein und David Hilbert“. Wer fand die endgülti- gen Gravitationsgleichungen zuerst? Zunächst sprachen Historiker Hilbert die Priorität zu. Mit einem Aufsatz in Science schien sich das Blatt 1997 zugunsten Einsteins gewendet zu haben, da Hilbert die Gleichungen scheinbar nur in implizi- ter Form gefunden hatte. Doch die dieser Deu- tung zugrundeliegende Quelle, eine Fahnenkor- rektur, wurde manipuliert, wie die Referentin zeigte: Die vielleicht entscheidende Passage, die wahrscheinlich die expliziten Gravitationsglei- chungen enthielt, war herausgeschnitten worden. Die Aufstellung der Allgemeinen Relativitäts- theorie bleibe allerdings, so schloß der Vortrag, das Verdienst Albert Einsteins. Tobias Jung Ber.Wissenschaftsgesch. 29 (2006) 70–72 2006 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA,Weinheim 71 Dokumentation und Information

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Kiew und Ackermann verfolgte und dabei deut-lich machte, wie stark sie die Politik Breslaus,Krakaus, obersächsischer Städte und mehrererGebietskörperschaften bestimmten. Die west-wärts gerichteten Handelsbeziehungen Breslauszu Regensburg wurden durch Grzegorz Mysliw-ski herausgearbeitet, der in seinen Ausführungendas ,Runtingerbuch‘ Franz Bastians bestätigte,Prag als wichtige Zwischenstation hervortretenließ und verständlich machte, warum Regensburgseinen ersten Apotheker aus dem pharmazeutischhochinnovativen Breslau angeworben hat.

Auf die für Schrifttumsgeschichte grundlegen-den Siedlungsstrukturen hoben die abschließen-den Referate der dritten und vierten Sektion ab:Adam Zurek korrelierte die jüngsten Grabungser-gebnisse vom ,Summum Wratislawiense‘ mit denarchivalischen Nachrichten von der Dominsel(auf der sich die Lage der berühmten Domschuleöstlich des Domes vermuten läßt), und MarekSłon rollte in brillanter Weise die Rechts-und Wirtschaftsgeschichte (ost)mitteleuropäischer„Neustädte“ auf, die von den Wollwebern ge-gründet wurden, die Tuchproduktion beherrsch-

ten und, wie in Breslau oder Warschau, in Kon-kurrenz zu den „Altstädten“ traten. – In seinerEröffnungsansprache hatte Stanislaw Bylina, derDirektor des Historischen Akademie-Instituts,auf die Notwendigkeit grenzübergreifenden Zu-sammenwirkens hingewiesen; Halina Manikow-ska hob in ihrer Schlußansprache auf die gute,seit Jahren bestehende Zusammenarbeit von Mö-bus-Institut und Polnischer Akademie ab, undHilde-Marie Groß sowie Gundolf Keil ließen inihren Schlußworten deutlich werden, daß dieBreslauer Fachprosa des Hochmittelalters – in fürdie deutsche Literaturgeschichte unvergleichlicherWeise – eine Imago mundi entwirft, indem siegrôze werlt (den Makrokosmos) und minnerwerlt (den Mikrokosmos) harmonisierend zusam-menführt: Alles, was „di wisen, di hivore warenvnde di nu sint“, je dazu gesagt haben, breitet siein hochschulmäßiger Exaktheit, funktiolektalerKlarheit und farbiger Detailverliebtheit aus.

(Es ist geplant, die Verhandlungen des Sympo-siums im ,Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau‘ abzudrucken.)

Christine Wolf

Anschrift der Verfasserin: Christine Wolf, Gerhard-Möbus-Institut für Schlesienforschung an der Uni-versität Würzburg, Röntgenring 10, D-97070 Würzburg

Entwicklung der Astrophysik

Bericht über das astronomiehistorische Kolloquium des Arbeitskreises Astrono-miegeschichte, 26. September 2005 in Köln

Der Arbeitskreis Astronomiegeschichte führte imRahmen der Jahrestagung der AstronomischenGesellschaft am 26. September 2005 im Institutfür Theoretische Physik der Universität Köln eininternationales Kolloquium durch, das von Gu-drun Wolfschmidt (Hamburg) und Claus Kiefer(Köln) organisiert wurde. Die neun Vorträge stan-den unter dem Rahmenthema „Entwicklung derAstrophysik“. Dabei lag der Schwerpunkt auf derEntwicklung der theoretischen Astrophysik im20. Jahrhundert. Anläßlich des Einsteinjahresstand Albert Einstein im Zentrum.

Im ersten Vortrag sprach Henning Krause(Hamburg) zum Thema „Das Verständnis des Mi-chelson-Morley-Versuchs – Wegbereiter für Ein-stein?“. Albert Abraham Michelsons Ätherdrift-Experiment von 1887 wurde und wird als experi-mentelle Widerlegung der elektromagnetischenÄthertheorie dargestellt, so etwa in vielen Physik-Lehrbüchern. Doch Zeitgenossen interpretiertenes nicht in diesem Sinne, und es wäre deshalbanachronistisch, den Versuch als zeitgenössischesexperimentum crucis für die Relativitätstheorie

anzusehen. Zwar könne er heute als Argumentfür die Richtigkeit der Relativitätstheorie ange-bracht werden; diese Intention dürfe aber nichtMichelson unterstellt werden, der einen Tacho-meter für die Erde konstruieren wollte. – DanielaWünsch (Göttingen) berichtete über „Neues zurEntdeckung der Gravitationsgleichungen der All-gemeinen Relativitätstheorie durch Albert Ein-stein und David Hilbert“. Wer fand die endgülti-gen Gravitationsgleichungen zuerst? Zunächstsprachen Historiker Hilbert die Priorität zu. Miteinem Aufsatz in Science schien sich das Blatt1997 zugunsten Einsteins gewendet zu haben, daHilbert die Gleichungen scheinbar nur in implizi-ter Form gefunden hatte. Doch die dieser Deu-tung zugrundeliegende Quelle, eine Fahnenkor-rektur, wurde manipuliert, wie die Referentinzeigte: Die vielleicht entscheidende Passage, diewahrscheinlich die expliziten Gravitationsglei-chungen enthielt, war herausgeschnitten worden.Die Aufstellung der Allgemeinen Relativitäts-theorie bleibe allerdings, so schloß der Vortrag,das Verdienst Albert Einsteins. – Tobias Jung

Ber.Wissenschaftsgesch. 29 (2006) 70–72 2006 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 71

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(Augsburg) beleuchtete „Drei kosmologischeDogmen – Einsteins Einfluß auf die frühe relati-vistische Kosmologie“. In den 1920er Jahrenwandte sich Einstein unter anderem gegen dieModelle von Aleksandr Aleksandrowitsch Fried-mann, Georges Édouard Lemaître und Franz Se-lety; denn kosmologische Modelle sollten statischund geschlossen aber unbegrenzt sein sowie einepositive Kosmologische Konstante aufweisen.Jung zeigte, wie durch Einsteins Einstellung undAutorität die Forschung zur Relativistischen Kos-mologie während der 1920er Jahre eingeschränktwurde.

Gudrun Wolfschmidt (Hamburg) wandte sichim vierten Vortrag der „Prüfung der Einstein-schen Allgemeinen Relativitätstheorie“ zu. Ein-stein selbst hätte mehrere Testmöglichkeiten ge-nannt. Nach frühen Versuchen von Erwin Finlay-Freundlich und Karl Schwarzschild seien insbe-sondere die Ergebnisse der englischen Sonnenfin-sternis-Expedition unter Arthur S. Eddington von1919 als experimenteller Beweis der AllgemeinenRelativitätstheorie berühmt geworden. In den1960er Jahren wurden Laufzeitunterschiede vonRadarsignalen zwischen Erde und Mars gemessen.1979 konnten erstmals Gravitationslinsen beob-achtet werden. Noch 2002 gab es experimentellePrüfungen der Relativitätstheorie mit der Cassini-Raumsonde. – Franz Kerschbaum und ThomasPosch (Wien, als Mitautorin Karin Lackner) tru-gen „Kritische Bemerkungen zu Bruno ThüringsPolemik gegen Einstein“ vor. Der Direktor derWiener Universitätssternwarte in den 1940er Jah-ren unterstützte die Deutsche Physik und schrieb1941 das Buch Albert Einsteins Umsturzversuchder Physik. Tührings Kritik habe sich unsach-licher, oberflächlicher und falscher Argumentebedient. – Wolfgang Steinicke (Freiburg) stellte inseinem Vortrag „Einstein und die Gravitations-wellen“ ein zwiespältiges Verhältnis vor: 1918hätte Einstein die Gravitationswellen eingeführt,in einem Paper mit Nathan Rosen sei er dann1936 zu der Überzeugung gekommen, daß esdiese nicht geben könne. Ein Problem beim empi-rischen Nachweis der Wellen bestehe darin, daßes sich um einen extrem schwachen Effekt fünfterOrdnung handelt. Der Bericht schloß mit einerDarstellung der aktuellen Experimente zur De-tektierung von Gravitationswellen.

Reinhard E. Schielicke (Jena) schilderte „DieEntwicklung computergestützter Steuer- und Re-gelungsmittel in der astronomischen Beobach-tungstechnik während der letzten 50 Jahre“. In

den 1960er Jahren seien erste kleine Computerzur Datenerfassung in Experimenten und zurAuswertung von Meßdaten eingesetzt worden.Danach habe auch die Astronomie vom schnellenWachstum der Computertechnologie profitiert.Der Vortrag lieferte einen weiten Überblick vonder Einführung der Diskette und der Festplatteüber verschiedene Programmiersprachen bis hinzur Nutzung des Internets. – „Der Schatz aufdem Dachboden – Briefe von Einstein, Planck,Nernst, Debye, Born, Sommerfeld, Courant,Weyl, Ehrenfest und Althoff, gefunden auf einemDachboden“ war das Thema von Klaus Sommer(Göttingen). Er hatte 1989 auf einem Dachboden131 Briefe an David Hilbert entdeckt und sie imJahr 2000 der Forschung bekannt gemacht. Zuvorwaren von den darin enthaltenen 17 als verschol-len geltenden Briefen Einsteins an Hilbert nurFotokopien im Einstein-Archiv vorhanden gewe-sen. Zu Einzelheiten siehe jetzt den Aufsatz vonKlaus Sommer in Berichte zur Wissenschaftsge-schichte 25 (2005), 283–303. Die Briefe bieten un-ter anderem auch einen tieferen Einblick in diepolitischen Ansichten Hilberts und seiner SchülerRichard Courant und Max Born.

Abschließend sprach Wolfgang Dick (Potsdam)über „Biographische Quellen für Astronomenund Astrophysiker des 20. Jahrhunderts“. Umbiographische Informationen auch über Forscherzu erhalten, die nicht in der ersten Reihe standenoder stehen, sind die üblichen Quellen wie Enzy-klopädien und lexikalische Nachschlagewerkenicht hilfreich. Doch es gibt zahlreiche andere In-formationsquellen, zum Beispiel Zeitungen,Nachrufe, Umschlagstexte von Büchern oder In-ternetseiten. In dem von Dick vorgestellten Bio-graphical Index of Astronomy, der Angaben zumehr als 16000 Personen enthält, wurden auchsolche Informationsquellen ausgewertet.

Im Anschluß an die Vorträge fand die Mit-gliederversammlung des Arbeitskreises Astrono-miegeschichte statt. Die Email-Adressen der Refe-renten und ausführliche Abstracts der Vorträgesind auf der Internetseite des Kolloquiumshttp://www.math.uni-hamburg.de/spag/ign/events/ak5koeln.htm zu finden. Die Beiträge werden2006 als Band 4 der Reihe ,Nuncius Hamburgen-sis – Beiträge zur Geschichte der Naturwissen-schaften‘ veröffentlicht. Darin vorgesehen sindauch Beiträge zum 100. Geburtstag Albrecht Un-sölds (1905–1995).

Henning Krause, Hamburg

Anschrift des Verfassers: Henning Krause, Lutterothstraße 16, D-20255 Hamburg (Email: [email protected])

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Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006)