Entwicklung infektiöser Gastroenteritiden in Deutschland; Development of infectious gastroenteritis...

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P.L. Jansen 1  · M. Ebert 2  · A. Stallmach 3  · A.W. Lohse 4  · M.M. Lerch 5 1  Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Berlin 2    Medizinische Klinik, Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie,  Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim 3  Klinik für Innere Medizin IV und Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB)  „Sepsis und Sepsisfolgen“, Universitätsklinikum Jena, Friedrich-Schiller-Universität, Jena 4  I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg 5  Klinik für Innere Medizin A, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald Entwicklung infektiöser  Gastroenteritiden  in Deutschland Medizinische und sozioökonomische  Bedeutung Infektionskrankheiten des Magen- Darm-Trakts nehmen weltweit kon- tinuierlich zu. Auch in Deutschland steigen die Zahlen der Erkrankten so- wie der Todesfälle rapide an; sie ha- ben sich in den letzten 10 Jahren ver- doppelt. Diese Entwicklung führt zu einer steigenden Belastung gastroen- terologischer Fachpraxen und Kran- kenhausabteilungen mit erheblichen Folgekosten. Vordringliche Maßnah- men sind zum einen eine verbesser- te Fort- und Weiterbildung für Gast- roenterologen in Bezug auf die Infek- tionskrankheiten des Gastrointesti- naltrakts sowie eine Anpassung der Erstattungsbeträge an die tatsächli- chen Kosten. Grundlagen In den Fokus der Öffentlichkeit gelan- gen infektiöse Gastroenteritiden immer dann, wenn sporadisch auftretende Ende- mien ihren Weg in die Laienpresse finden. Dies zeigten der EHEC/HUS-Ausbruch (EHEC: enterohämorrhagische Escheri- chia coli, HUS: hämolytisch-urämisches Syndrom) 2011 oder der Norovirusaus- bruch 2012, bei dem mehr als 8300 Kinder und Jugendliche erkrankten [1, 2, 3]. Tat- sächlich steigen die Zahlen auch außer- halb dieser zeitlich begrenzten Episoden kontinuierlich stark an (. Abb. 1a). Weltweit sind Durchfallerkrankun- gen für 2,5 Mio. Todesfälle verantwort- lich (WHO 2008). Während 2000 noch 127.867 Patienten mit infektiösen Darm- krankheiten stationär behandelt wurden, betrug deren Zahl 2011 bereits 282.199. Zählt man die Patienten mit entsprechen- den Nebendiagnosen hinzu, waren es in 2011 sogar 520.795 Fälle [4]. D In Deutschland wurden 2011 über  eine halbe Million Patienten mit  einer infektiösen Darmkrank- heit stationär behandelt. Immer noch stellen junge Patienten unter 15 Jahren den Hauptanteil der Erkrank- ten dar. Auffällig ist jedoch, dass der An- stieg bei älteren Patienten über 65 Jahren besonders steil verläuft (. Abb. 1b). Von einer Clostridium-difficile-Infektion sind heute in über 80% der Fälle Patienten über 65 Jahre betroffen. Gerade diese Patienten erfordern in gastroenterologischen Fach- abteilungen einen erheblichen Versor- gungsaufwand. Es muss dabei allerdings berücksichtigt werden, dass die verfügba- ren Daten eine exakte epidemiologische Analyse nicht zulassen, da sie aus unter- schiedlichen Datenquellen stammen und regional unterschiedliche Erfassungs- so- wie Meldekriterien zur Anwendung kom- men. Diese stellen jedoch die einzig ver- fügbare Quelle dar, um die Entwicklung der Infektionszahlen in Deutschland zu verfolgen. Häufigste Erreger Die häufigsten und damit in der Praxis bedeutsamsten Erreger sind Noroviren, Rotaviren, Campylobacter und insbeson- dere Clostridium difficile (. Abb. 2). Seit der Jahrtausendwende sind für diese In- fektionen steigende Fallzahlen zu beob- achten. Mit Ausnahme der Campylobac- ter-Infektionen, die zu einem großen An- teil ambulant behandelt werden können, nimmt besonders der Anteil stationärer Fälle zu. Zahlenmäßig häufig sind außer- dem Salmonellosen, auch wenn deren In- zidenz tendenziell eher rückläufig ist. Eine Sonderstellung nehmen die Clos- tridium-difficile-Infektionen ein. Allein im Bereich der verschlüsselten Hauptdia- gnosen stieg ihre Zahl von 1268 im Jahr 2000 auf 28.187 im Jahr 2011. Die tatsäch- liche epidemiologische Bedeutung wird deutlich, wenn man die ab 2005 verfüg- Gastroenterologe 2014  DOI 10.1007/s11377-014-0883-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 Der Gastroenterologe 2014| Schwerpunkt

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P.L. Jansen1 · M. Ebert2 · A. Stallmach3 · A.W. Lohse4 · M.M. Lerch5

1 Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Berlin2  Medizinische Klinik, Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, 

Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim3 Klinik für Innere Medizin IV und Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) „Sepsis und Sepsisfolgen“, Universitätsklinikum Jena, Friedrich-Schiller-Universität, Jena4 I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg5 Klinik für Innere Medizin A, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald

Entwicklung infektiöser Gastroenteritiden in DeutschlandMedizinische und sozioökonomische Bedeutung

Infektionskrankheiten des Magen-Darm-Trakts nehmen weltweit kon-tinuierlich zu. Auch in Deutschland steigen die Zahlen der Erkrankten so-wie der Todesfälle rapide an; sie ha-ben sich in den letzten 10 Jahren ver-doppelt. Diese Entwicklung führt zu einer steigenden Belastung gastroen-terologischer Fachpraxen und Kran-kenhausabteilungen mit erheblichen Folgekosten. Vordringliche Maßnah-men sind zum einen eine verbesser-te Fort- und Weiterbildung für Gast-roenterologen in Bezug auf die Infek-tionskrankheiten des Gastrointesti-naltrakts sowie eine Anpassung der Erstattungsbeträge an die tatsächli-chen Kosten.

Grundlagen

In den Fokus der Öffentlichkeit gelan-gen infektiöse Gastroenteritiden immer dann, wenn sporadisch auftretende Ende-mien ihren Weg in die Laienpresse finden. Dies zeigten der EHEC/HUS-Ausbruch (EHEC: enterohämorrhagische Escheri-chia coli, HUS: hämolytisch-urämisches Syndrom) 2011 oder der Norovirusaus-bruch 2012, bei dem mehr als 8300 Kinder und Jugendliche erkrankten [1, 2, 3]. Tat-

sächlich steigen die Zahlen auch außer-halb dieser zeitlich begrenzten Episoden kontinuierlich stark an (. Abb. 1a).

Weltweit sind Durchfallerkrankun-gen für 2,5 Mio. Todesfälle verantwort-lich (WHO 2008). Während 2000 noch 127.867 Patienten mit infektiösen Darm-krankheiten stationär behandelt wurden, betrug deren Zahl 2011 bereits 282.199. Zählt man die Patienten mit entsprechen-den Nebendiagnosen hinzu, waren es in 2011 sogar 520.795 Fälle [4].

D In Deutschland wurden 2011 über eine halbe Million Patienten mit einer infektiösen Darmkrank-heit stationär behandelt.

Immer noch stellen junge Patienten unter 15 Jahren den Hauptanteil der Erkrank-ten dar. Auffällig ist jedoch, dass der An-stieg bei älteren Patienten über 65 Jahren besonders steil verläuft (. Abb. 1b). Von einer Clostridium-difficile-Infektion sind heute in über 80% der Fälle Patienten über 65 Jahre betroffen. Gerade diese Patienten erfordern in gastroenterologischen Fach-abteilungen einen erheblichen Versor-gungsaufwand. Es muss dabei allerdings berücksichtigt werden, dass die verfügba-ren Daten eine exakte epidemiologische

Analyse nicht zulassen, da sie aus unter-schiedlichen Datenquellen stammen und regional unterschiedliche Erfassungs- so-wie Meldekriterien zur Anwendung kom-men. Diese stellen jedoch die einzig ver-fügbare Quelle dar, um die Entwicklung der Infektionszahlen in Deutschland zu verfolgen.

Häufigste Erreger

Die häufigsten und damit in der Praxis bedeutsamsten Erreger sind Noroviren, Rotaviren, Campylobacter und insbeson-dere Clostridium difficile (. Abb. 2). Seit der Jahrtausendwende sind für diese In-fektionen steigende Fallzahlen zu beob-achten. Mit Ausnahme der Campylobac-ter-Infektionen, die zu einem großen An-teil ambulant behandelt werden können, nimmt besonders der Anteil stationärer Fälle zu. Zahlenmäßig häufig sind außer-dem Salmonellosen, auch wenn deren In-zidenz tendenziell eher rückläufig ist.

Eine Sonderstellung nehmen die Clos-tridium-difficile-Infektionen ein. Allein im Bereich der verschlüsselten Hauptdia-gnosen stieg ihre Zahl von 1268 im Jahr 2000 auf 28.187 im Jahr 2011. Die tatsäch-liche epidemiologische Bedeutung wird deutlich, wenn man die ab 2005 verfüg-

Gastroenterologe 2014 DOI 10.1007/s11377-014-0883-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

1Der Gastroenterologe 2014  | 

Schwerpunkt

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baren Nebendiagnosen hinzurechnet. So wurden laut der Daten der Diagnosis-Re-lated-Groups(DRG)-Statistik des Statisti-schen Bundesamts im Jahr 2011 99.779 Pa-tienten in deutschen Krankenhäusern we-gen einer Clostridium-difficile-assoziier-ten Diarrhö behandelt, die bei Aufnah-me bestand oder im Laufe des stationären Aufenthalts diagnostiziert wurde. Das Ro-bert Koch-Institut berichtet über eine Ver-dopplung schwer verlaufender Clostridi-um-difficile-Infektionen von 2008–2012 und einer Zunahme der Inzidenz um 23% [5]. Aufgrund der komplexen Erfassungs-regelung ist von einer deutlichen Unter-erfassung auszugehen [6]. Auch der inter-nationale Vergleich bestätigt diese Ent-wicklung [7].

Bei den Norovirusinfektionen der letz-ten Jahre sind hohen Schwankungen zu

beobachten. Sie zeigten zuletzt 2007 und 2010 einen deutlichen Anstieg. Da Noro-viren, ähnlich wie Influenzaviren, ein ho-hes Mutationspotenzial besitzen und hier-durch auch die im Rahmen einer durch-gemachten Infektion erworbene Immuni-tät nach kurzer Zeit verloren geht, kann trotz schwankender Zahlen nicht von einer Abnahme ausgegangen werden. Die Zahl der stationär erfassten Rotavirusin-fektionen stieg 2005 und 2006 deutlich an. Zeitgleich mit der Einführung der Imp-fung ist ab 2008 ein leichter Rückgang zu erkennen, jedoch bleibt die Rotavirusin-fektion zahlenmäßig eine der häufigsten Ursachen für infektiöse Diarrhöen.

Weitere zahlenmäßig bedeutsame infektiöse Darmerkrankungen

Infektionen mit Yersinien- und E.-coli-Spezies sind seltener. Gerade die E.-coli-Infektionen stellen jedoch durch ihr en-demisches Auftreten eine hohe medizi-nische und gesundheitsökonomische Be-lastung dar. Von 2010–2012 wurde kon-tinuierlich weniger Yersiniosen gemel-det (7195 vs. 2706 Fälle/Jahr). Im glei-chen Zeitraum hatten die gemeldeten E.-coli-Infektionen, mit Ausnahme der Jahre 2007, 2009 und 2010, eine steigende Inzi-denz (5075 vs. 7068 Fälle/Jahr). Parallel zu den endemischen Ausbrüchen, z. B dem EHEC/HUS-Ausbruch 2011, zeigte auch die Gesamtzahl der E.-coli-Infektionen 2011 einen Anstieg um 42%. Sicherlich ist von einem veränderten Meldeverhal-ten durch erhöhte Aufmerksamkeit aus-zugehen. Gleichzeitig impliziert diese Be-obachtung, dass die tatsächlichen Zahlen auch hier eher höher einzuschätzen sind.

Mortalität

Es ist davon auszugehen, dass sich mit der demografischen Entwicklung die Proble-matik der gastrointestinalen Infektions-krankheiten weiterverschärfen wird; hier-bei hat die Komorbidität älterer Patienten zusätzlichen Einfluss auf den Krankheits-verlauf. Dies zeigen auch die hohen Mor-talitätsraten im Zusammenhang mit gas-troenterologischen Infektionskrankhei-ten. Auf Basis der Zahlen des Statistischen Bundesamts stieg die Zahl der Sterbefäl-le im Zusammenhang mit allen unter den ICD-10-Codes A00–A09 erfassten Patien-ten seit 2000 von 401 auf 4152 in 2011.

»  Die Mortalität der infektiösen Durchfallerkrankungen steigt

Zwar werden die Mortalitätszahlen nicht für die 4-stelligen ICD-Diagnosen auf-geschlüsselt, auffällig ist jedoch, dass ein Großteil der Sterbefälle unter der ICD-10-Diagnose A04 berichtet wird, die Clos-tridium-difficile-Infektionen einschließt. International wird die Letalität mit 1–2%, bei schwersten Verläufen mit bis zu 30% angegeben [8]. In Nordamerika betrug

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Unter 15 Jahren 15 bis unter 45 Jahre

45 bis unter 65 Jahre 65 Jahre und älter

Abb. 1 8 Gastrointestinale Infektionskrankheiten, Gruppe A00–A09 in der Internationalen statisti-schen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD), vollstationäre Pa-tienten. a Geschlechtsspezifische Verteilung, Datenquelle http://www.gbe-bund.de/DRG-Statistik, +ND Haupt- und Nebendiagnosen ab 2005, b altersspezifische Fallzahl, nur Hauptdiagnosen. (Adap-tiert nach [4])

2 |  Der Gastroenterologe 2014

Schwerpunkt

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die Mortalitätsrate 23,4/1 Mio. Einwoh-ner im Jahr 2004 [9]. Hochgerechnet für Deutschland würde dies bedeuten, dass pro Jahr mindestens 2000 Patienten im Zusammenhang mit einer Clostridium-difficile-Infektion versterben würden. Auch aus diesem Grund muss die Zahl der Clostridium-difficile-Infektionen als alarmierend angesehen werden. Die Mor-talitätsraten machen deutlich, dass die in-fektiösen Gastroenteritiden zunehmende Anforderungen an die stationäre Versor-gung stellen. Während die Mehrzahl der betroffenen Patienten ambulant behandelt und hausärztlich betreut werden kann, ist je nach Infektionskrankheit ein Anteil von bis zu 50% stationär behandelter Patien-ten festzustellen, deren Betreuung über-wiegend in der Verantwortung gastroen-terologischer und pädiatrischer Fachab-teilungen an Krankenhäusern liegt.

Folgekosten am Beispiel der Clostridium-difficile-Infektionen

Neben den oft schwerwiegenden klini-schen Auswirkungen infektiöser Gastro-enteritiden sind die gesundheitsökono-mischen Folgen bisher kaum untersucht, obwohl die Kosten für eine Behandlung hoch sind. Teure Antibiotika, wie die ora-le Galenik des ambulant verabreichba-ren Vancomycins oder das neu zugelas-sene Fidaxomicin, und die bei infektiö-sen Durchfallerkrankungen erforderli-chen aufwendigen Hygienemaßnahmen (Patientenisolation, Einmalschutzklei-dung etc.) führen zu einer Steigerung der Kosten. Grube et al. [10] analysierten die Datensätze nach § 21 des Krankenhaus-entgeltgesetzes aus 37 deutschen Kran-kenhäusern und ermittelten die Kosten-daten von Fällen mit Clostridium-dif-ficile-Enterokolitis (ICD10-GM-Code A04.7). Sie konnten zeigen, dass Patien-ten mit einer Clostridium-difficile-asso-ziierten Diarrhö nicht nur eine um 2,7 Ta-ge erhöhte Verweildauer, sondern auch erhöhte Fallkosten von 4132 € und eine Unterdeckung der durch das DRG-Sys-tem erreichten Erlöse von durchschnitt-lich 1064 € aufwiesen. Wurde die Clos-tridium-difficile-Infektion als Nebendiag-nose diagnostiziert, war die Verweildau-er bereits um 10,8 Tage erhöht, die Kos-ten betrugen 6300 € und die Unterde-

ckung ca. 2600 €. Noch deutlicher fielen diese Zahlen für Rezidive aus, für die die Verweildauer mit 37,7 Tagen und die Kos-tenunterdeckung im Mittel mit 4196 € er-rechnet wurden. Bei Hochrechnung der hier erhobenen Daten auf alle stationäre

Patienten in Deutschland würde sich eine Unterdeckung auf 197 Mio. € ergeben.

»  Clostridium-difficile-Infektio-nen führen zu Kostenunter- deckung von 197 Mio. €

Zusammenfassung · Abstract

Gastroenterologe 2014 · [jvn]:[afp]–[alp]   DOI 10.1007/s11377-014-0883-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

P.L. Jansen · M. Ebert · A. Stallmach · A.W. Lohse · M.M. LerchEntwicklung infektiöser Gastroenteritiden in Deutschland. Medizinische und sozioökonomische Bedeutung

ZusammenfassungHintergrund.  Infektionskrankheiten des Ma-gen-Darm-Trakts nehmen weltweit zu.Ziel der Arbeit.  Folgende Fragen sollten be-antwortet werden: Wie hat sich die Inzidenz infektiöser Durchfallerkrankungen in den letzten 10 Jahren in Deutschland verändert? Welche gesundheitsökonomische Bedeu-tung haben diese Erkrankungen im stationä-ren Bereich?Material und Methoden.  Hierzu wurden Daten des Statistischen Bundesamts und des Robert Koch-Instituts sowie aktuelle Veröf-fentlichungen ausgewertet.Ergebnisse.  Die Zahl der stationär behan-delten Patienten mit infektiösen Darmerkran-kungen und ihre Mortalitätsrate steigen an. Berücksichtigt man die Gruppe der stationä-ren Patienten, bei denen die Infektionen des Magen-Darm-Trakts als Hauptdiagnose ver-schlüsselt wurden, haben sich die Krankheits-fälle 2011 im Vergleich zum Jahr 2000 ver-doppelt. Hauptsächlich dafür verantwort-

lich sind Infektionen mit Clostridium diffici-le (99.779 Fälle, Haupt- und Nebendiagnosen 2011), Noro- und Rotaviren. Am Beispiel der Infektionen mit Clostridium difficile lässt sich zeigen, dass diese Entwicklung mit hohen Folgekosten verbunden ist, die zu einer er-heblichen Unterdeckung der erstatteten Fall-pauschalen führen.Schlussfolgerung.  Die deutliche Zunahme der Inzidenz infektiöser Durchfallerkrankun-gen hat nicht nur medizinische, sondern auch gesundheitsökonomische Auswirkungen. Vordringliche Maßnahmen sind eine verbes-serte Fort- und Weiterbildung für Gastroente-rologen auf dem Gebiet der gastroenterologi-schen Infektionskrankheiten und die Anpas-sung der erstatteten Krankenhauspauschalen an die tatsächlichen Kosten.

SchlüsselwörterGastrointestinal · Infektionen · Epidemiologie · Mortalität · Kosten

Development of infectious gastroenteritis in Germany. Medical and socioeconomic importance

AbstractBackground.  There is a worldwide increase in gastrointestinal infectious diseases.Aim.  To investigate the incidence of gastro-intestinal infections in Germany over the last 10 years and the health-economic impact of these diseases on the inpatient area.Material and methods.  In this study data from the Federal Statistical Office, the Robert Koch Institute and from current publications were analyzed.Results.  The incidence of and mortality from gastrointestinal infections among inpatients are rising in Germany. The number of pati-ents with a diagnosis of infections of the gas-trointestinal tract (ICD 10 A00-A09) as the principal diagnosis doubled between 2000 and 2011. Infections with Clostridium diffici-le (99,779 cases in 2011, principle or secon-dary diagnosis), norovirus and rotavirus we-

re the main pathogens responsible for the in-crease. Using Clostridium difficile as an exam-ple it could be shown that this development not only represents a significant health bur-den but also leads to inadequate reimburse-ment of hospital expenditure.Conclusion.  The increased incidence of in-fectious gastrointestinal diseases has not on-ly medical but also a health-economic im-pact. Appropriate measures would include an expanded infectious diseases curriculum in further and continuous training for gastroen-terologists as well as an adjustment of reim-bursements in order to cover the actual costs.

KeywordsGastrointestinal · Infections · Epidemiology · Mortality · Cost

3Der Gastroenterologe 2014  | 

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Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Publikation, die die Bedeutung infektiöser Gastroenteritiden bei Patienten mit chro-nisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) untersuchte [11]. Virale oder auch bakterielle Darminfektionen stellen einen Risikofaktor für ein schweres Rezidiv mit längerem Krankheitsverlauf dar. Die Stu-die konnte nachweisen, dass für CED-Pa-tienten, die zusätzlich an einer infektiö-sen Gastroenteritis leiden, ein signifikant höheres Erlösdefizit erwirtschaftet wur-de, als für die Patienten, die ausschließ-lich wegen einer CED behandelt wurden.

Der erhebliche Mehraufwand durch infektiöse Gastroenteritiden, sei es als Haupt- oder auch als Nebendiagnose, ist im deutschen DRG-System bisher nicht abgebildet. Eine verbesserte Dokumen-tation wäre erforderlich, um diese Kosten transparent zu machen. Hier kommt den gastroenterologischen Fachabteilungen und Medizin-Controllern an den für das Institut für das Entgeltsystem im Kran-kenhaus (InEK) kalkulierenden Kran-kenhäusern besondere Verantwortung zu.

Neue Herausforderungen für die Gastroenterologie

Zu den geeigneten Gegenmaßnahmen ge-hören in erster Linie eine verbesserte prä-stationäre Risikoreduktion, die Imple-mentierung effektiverer Therapieansätze und insbesondere der Einsatz rationaler Antibiotikastrategien. Impfstrategien wer-den auch zukünftig nur für einen Bruch-teil der Patienten zur Verfügung stehen.

Die verbindliche Definition präventi-ver Maßnahmen hat der Gesetzgeber dem Robert Koch-Institut übertragen. Aufgabe der am Robert Koch-Institut eingerichte-ten Kommission für Krankenhaushygie-ne und Infektionsprävention (KRINKO) ist die Herausgabe regelmäßig aktualisier-ter Leitlinien als verbindliche Grundlage und Standard der erforderlichen Maßnah-men. Noch in diesem Jahr werden unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) Leitli-nien zur infektiösen Gastroenteritis und zu Qualitätsanforderungen in der Endo-skopie publiziert werden, die sich ebenso dieser Aufgabe stellen und praxisorien-tierte Empfehlungen zur Verbesserung

der Versorgungssituation der Patienten geben.

D Zur Implementierung der Empfeh-lungen ist das Engagement für eine infektiologische Weiterbildung von Gastroenterologen maßgeblich.

Dies geschieht zurzeit durch die Entwick-lung eines Zertifikatskurses zum The-ma gastroenterologische Infektionen der DGVS, das ab diesem Jahr regelmäßig an-geboten werden wird.

Auch das Bundesgesundheitsministe-rium hat die Notwendigkeit der adäqua-ten Fortbildung erkannt und im Sommer 2011 entsprechende Änderungen des In-fektionsschutzgesetzes (IfSG) auf den Weg gebracht. Mit Maßnahmen wie dem Anti-biotic Stewardship soll die programmati-sche und nachhaltige Sicherstellung eines rationalen Antibiotikaeinsatzes erreicht werden. Allerdings reichen die bisheri-gen Bemühungen für ein flächendecken-des Angebot nicht aus. In Anbetracht der beschriebenen medizinischen und sozio-ökonomischen Konsequenzen ist es gebo-ten, dass auch die Gastroenterologie sich für eine fachorientierte Weiterbildung einsetzt. Der Erfolg dieser Maßnahmen wird jedoch letztlich davon abhängen, ob personelle Strukturen an Kliniken und in Fachpraxen geschaffen werden, die eine ausreichende Versorgung der erkrankten Patienten ermöglichen.

Fazit für die Praxis

Häufigkeit und Mortalität infektiöser Gastroenteritiden nehmen zu. Die Gas-troenterologie muss sich diesen neuen Herausforderungen stellen. Folgende As-pekte sind dabei primäre Ziele:F  fachspezifische Fort- und Weiterbil-

dung durch Kursangebote zu gastro-enterologischen Infektionen für Gas-troenterologen auch im Rahmen des IfSG,

F  Etablierung von Leitlinien zu gastro-enterologischen Infektionen durch die DGVS,

F  Anpassungen in der pauschalierten Erstattung, die eine kostendeckende und qualitätsgesicherte Versorgung der betroffenen Patienten ermöglicht.

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Salmonellose, A02 Campylobacter, A04.5

Clostridium di cile, A04.7

Norovirus, A08.1 Rotavirus, A08.0

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Abb. 2 8 Häufigste stationär erfasste infektiöse Darmerkrankungen, +ND: Haupt- und Nebendiagno-sen, ab 2005 verfügbar. (Adaptiert nach [4])

4 |  Der Gastroenterologe 2014

Schwerpunkt

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Korrespondenzadresse

PD Dr. P.L. JansenDeutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und StoffwechselkrankheitenOlivaer Platz 7, 10707 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  P. Lynen Jansen, M. Ebert, A. Stallmach, A.W. Lohse, M.M. Lerch geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

Der Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

  1.  Buchholz U, Bernard H, Werber D et al (2011) Ger-man outbreak of Escherichia coli O104:H4 associa-ted with sprouts. N Engl J Med 365:1763–1770

  2.  Rasko DA, Webster DR, Sahl JW et al (2011) Origins of the E. coli strain causing an outbreak of hemo-lytic-uremic syndrome in Germany. N Engl J Med 365:709–717

  3.  Trachtman H (2012) Escherichia coli O104:H4 out-break in Germany. N Engl J Med 366:766–767

  4.  Lynen Jansen P, Stallmach A, Lohse A, Lerch MM (2014) Entwicklung infektiöser Durchfallerkran-kungen zwischen den Jahren 2000 und 2012. Z Gastroenterol (im Druck)

  5.  Robert Koch-Institut (2013) Schwer verlaufende Clostridium-difficile-Infektionen: IfSG-Surveillan-cedaten von 2011 und 2012. Epidemiol Bulletin 25. http://www.rki.de

  6.  Robert Koch-Institut (2012) Infektionsepidemio-logisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten. RKI, Berlin

  7.  Di Bella S, Musso M, Cataldo MA et al (2013) Clos-tridium difficile infection in Italian urban hospi-tals: data from 2006 through 2011. BMC Infect Dis 13:146

  8.  Bartlett JG (2006) Narrative review: the new epide-mic of Clostridium difficile-associated enteric di-sease. Ann Intern Med 145:758–764

  9.  Redelings MD, Sorvillo F, Mascola L (2007) Increase in Clostridium difficile-related mortality rates, Uni-ted States, 1999–2004. Emerg Infect Dis 13:1417–1419

10.  Grube RF, Heinlein W, Scheffer H et al (2014) Öko-nomische Auswirkungen einer Clostridium difficile Enterokolitis in deutschen Krankenhäusern auf der Basis von DRG-Kostendaten. Z Gastroenterol (im Druck)

11.  Schmidt C, Köhler S, Kräplin T et al (2014) Does the hospital cost of care differ for inflammatory bowel disease patients with or without gastrointestinal infections? A case-control study. (im Druck)

5Der Gastroenterologe 2014  |