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    Enzyklika RERUM NOVARUM (1891)

    Seine Heiligkeit

    Papst Leo XIII.

    an die Ehrwrdigen Brder, die Patriarchen,

    Primaten, Erzbischfe, Bischfe und die sonstigen Ortsordinarien,

    die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle stehen

    ber die Arbeiterfrage

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    Ehrwrdige Brder,

    Gru und Apostolischen Segen!

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    1. Der Geist der Neuerung, welcher seit langem durch die Vlker geht, mute,nachdem er auf dem politischen Gebiete seine verderblichen Wirkungen entfaltethatte, folgerichtig auch das volkswirtschaftliche Gebiet ergreifen. Viele Umstnde

    begnstigten diese Entwicklung:

    die Industrie hat durch die Vervollkommnung der technischenHilfsmittel und eine neue Produktionsweise mchtigen Aufschwunggenommen;

    das gegenseitige Verhltnis der besitzenden Klasse und der Arbeiterhat sich wesentlich umgestaltet; das Kapital ist in den Hnden einer geringen Zahl angehuft, whrend

    die groe Menge verarmt; es wchst in den Arbeitern das Selbstbewutsein, ihre Organisation

    erstarkt; dazu gesellt sich der Niedergang der Sitten.

    Dieses alles hat den sozialen Konflikt wachgerufen, vor welchem wir stehen.

    Wieviel in diesem Kampfe auf dem Spiele steht, das zeigt die bange Erwartung derGemter gegenber der Zukunft. berall beschftigt man sich mit dieser Frage, inden Kreisen von Gelehrten, auf fachmnnischen Kongressen, inVolksversammlungen, in den gesetzgebenden Krperschaften und im Rate derFrsten. Die Arbeiterfrage ist geradezu in den Vordergrund der ganzen Zeitbewegunggetreten. Im Hinblick auf die Sache der Kirche und die gemeinsame Wohlfahrt habenWir schon frher, Ehrwrdige Brder, das Wort ergriffen, um in den Rundschreiben"ber die politische Autoritt", "ber die Freiheit", "ber den christlichen Staat" und

    ber andere verwandte Gegenstnde die betreffenden Irrtmer der Gegenwart zu

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    kennzeichnen und zurckzuweisen. Wir erachten es aus gleichem Grunde frzweckmig, das nmliche im vorliegenden Schreiben hinsichtlich der Arbeiterfragezu tun. Zwar ist dieser Gegenstand von Uns auch in anderen Schreiben berhrt

    worden; aber nunmehr gedenken Wir, ber denselben nach seinem ganzen UmfangeUnserem Apostolischen Amt gem uns auszusprechen.

    Wir wollen die Grundstze darlegen, welche fr eine richtige und billigeEntscheidung der Frage magebend sein mssen.

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    Die ganze Frage ist ohne Zweifel schwierig und voller Gefahren; schwierig, weil

    Recht und Pflicht im gegenseitigen Verhltnis von Reichen und Besitzlosen, vondenen, welche die Arbeitsmittel, und denen, welche die Arbeit liefern, abzumessen inder Tat keine geringe Aufgabe ist; und voller Gefahren, weil eine whlerische Parteinur allzu geschickt das Urteil irrefhrt und Aufregung und Emprungsgeist unter denunzufriedenen Massen verbreitet.

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    2. Indessen, es liegt nun einmal zutage, und es wird von allen Seiten anerkannt, dageholfen werden mu, und zwar, da baldige ernste Hilfe nottut, weil Unzhlige einwahrhaft gedrcktes und unwrdiges Dasein fhren.

    In der Umwlzung des vorigen Jahrhunderts ,wurden die alten Genossenschaften derarbeitenden Klassen zerstrt, keine neuen Einrichtungen traten zum Ersatz ein, dasffentliche und staatliche Leben entkleidete sich zudem mehr und mehr derchristlichen Sitte und Anschauung, und so geschah es, da die Arbeiter allmhlich derHerzlosigkeit reicher Besitzer und der ungezgelten Habgier der Konkurrenz isoliertund schutzlos berantwortet wurden. Ein gieriger Wucher kam hinzu, um das bel zuvergrern, und wenn auch die Kirche zum fteren dem Wucher das Urteilgesprochen, fhrt dennoch Habgier und Gewinnsucht fort, denselben unter einerandern Maske auszuben. Produktion und Handel sind fast zum Monopol vonwenigen geworden, und so konnten wenige bermig Reiche einer Masse vonBesitzlosen ein nahezu sklavisches Joch auflegen.

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    3. Zur Hebung dieses bels verbreiten die Sozialisten, indem sie die Besitzlosen

    gegen die Reichen aufstacheln, die Behauptung, der private Besitz msse aufhren,um einer Gemeinschaft der Gter Platz zu machen, welche mittels der Vertreter derstdtischen Gemeinwesen oder durch die Regierungen selbst einzufhren wre. Siewhnen, durch eine solche bertragung allen Besitzes von den Individuen an dieGesamtheit die Mistnde heben zu knnen, es mten nur einmal das Vermgen unddessen Vorteile gleichmig unter den Staatsangehrigen verteilt sein.

    Indessen dieses Programm ist weit entfernt, etwas zur Lsung der Frage beizutragen;es schdigt vielmehr die arbeitenden Klassen selbst; es ist ferner sehr ungerecht,

    indem es die rechtmigen Besitzer vergewaltigt, es ist endlich der staatlichenAufgabe zuwider, ja fhrt die Staaten in vllige Auflsung.

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    4. Vor allem liegt nmlich klar auf der Hand, da die Absicht, welche den Arbeiter beider bernahme seiner Mhe leitet, keine andere als die ist, da er mit dem Lohn zu

    irgendeinem persnlichen Eigentum gelange. Indem er Krfte und Flei einemandern leiht, will er fr seinen eigenen Bedarf das Ntige erringen; er sucht also einwahres und eigentliches Recht nicht blo auf die Zahlung, sondern auch auf freieVerwendung derselben. Gesetzt, er habe durch Einschrnkung Ersparnisse gemachtund sie der Sicherung halber zum Ankauf eines Grundstcks verwendet, so ist dasGrundstck eben der ihm gehrige Arbeitslohn, nur in anderer Form; es bleibt inseiner Gewalt und Verfgung nicht minder als der erworbene Lohn. Aber geradehierin besteht offenbar das Eigentumsrecht an beweglichem wie unbeweglichemBesitze. Wenn also die Sozialisten dahin streben, den Sonderbesitz in Gemeingutumzuwandeln, so ist klar, wie sie dadurch die Lage der arbeitenden Klassen nurungnstiger machen. Sie entziehen denselben ja mit dem Eigentumsrechte dieVollmacht, ihren erworbenen Lohn nach Gutdnken anzulegen, sie rauben ihnen ebendadurch Aussicht und Fhigkeit, ihr kleines Vermgen zu vergrern und sich durchFlei zu einer besseren Stellung emporzubringen.

    Aber, was schwerer wiegt, das von den Sozialisten empfohlene Heilmittel derGesellschaft ist offenbar der Gerechtigkeit zuwider, denn das Recht zum Besitze

    privaten Eigentums hat der Mensch von der Natur erhalten.

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    Hieraus folgt, es mssen Rechte erworben werden knnen nicht blo auf Eigentum anErzeugnissen des Bodens, sondern auch auf Eigentum am Boden selbst; denn wasdem Menschen sichere Aussicht auf knftigen Fortbestand seines Unterhaltesverleiht, das ist nur der Boden mit seiner Produktionskraft. Immer unterliegt derMensch Bedrfnissen, sie wechseln nur ihre Gestalt; sind die heutigen befriedigt, sostellen morgen andere ihre Anforderungen. Die Natur mu den Menschen demgemeine bleibende, unversiegliche Quelle zur Befriedigung seiner Bedrfnisseangewiesen haben, und eine solche Quelle ist nur die Erde mit den Gaben, die sieunaufhrlich wendet.

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    Es ist auch kein Grund vorhanden, die allgemeine Staatsfrsorge in Anspruch zunehmen, denn der Mensch ist lter als der Staat, und darum besa er das Recht aufErhaltung seines krperlichen Daseins, ehe es einen Staat gegeben.

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    7. Da aber Gott der Herr die Erde dem ganzen Menschengeschlecht zum Gebrauchund zur Nutznieung bergeben hat, dies steht durchaus nicht dem Sonderbesitzentgegen. Denn Gott hat die Erde nicht in dem Sinne der Gesamtheit berlassen, alssollten alle ohne Unterschied Herren ber dieselbe sein, sondern insofern, als erselbst keinem Menschen einen besonderen Teil derselben zum Besitze angewiesen,vielmehr dem Fleie der Menschen und den von den Vlkern zu treffendenEinrichtungen die Ordnung der Eigentumsverhltnisse unter ihnen anheimgegebenhat. brigens wie immer unter die einzelnen verteilt, hrt der Erdboden nicht auf, derGesamtheit zu dienen, denn es gibt keinen Menschen, der nicht von dessen Ertrgnislebt. Wer ohne Besitz ist, bei dem mu die Arbeit dafr eintreten, und man kannsagen, die Beschaffung aller Lebensbedrfnisse geschehe durch Arbeit, entwederdurch die Bearbeitung des eigenen Bodens oder durch Arbeit in irgendeinem andernErwerbszweig, dessen Lohn zuletzt nur von der Frucht der Erde kommt und mit derFrucht der Erde vertauscht wird.

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    Es ergibt sich hieraus wieder, da privater Besitz vollkommen eine Forderung derNatur ist. Die Erde spendet zwar in groer Flle das, was zur Erhaltung und zumalzur Vervollkommnung des irdischen Daseins ntig ist; aber sie kann es nicht aus sich

    spenden, d.h. nicht ohne Bearbeitung und Pflege durch den Menschen.

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    Indem der Mensch an die Gewinnung der Gter der Natur krperlichen Flei undgeistige Sorge setzt, macht er sich eben dadurch den bearbeiteten Teil zu eigen; eswird dem letzteren sozusagen der Stempel des Bearbeiters aufgedrckt. Alsoentspricht es durchaus der Gerechtigkeit, da dieser Teil sein eigen sei und sein Rechtdarauf unverletzlich bleibe.

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    8. Die Beweiskraft des Gesagten ist so einleuchtend, da es nur Verwunderungerwecken kann, entgegengesetzte, veraltete Theorien vortragen zu hren. Man

    behauptet nmlich, eigentliches Bodeneigentum sei gegen die Gerechtigkeit, und nurdie Nutznieung des Bodens oder der Teile desselben knne den einzelnen zustehen:

    die Scholle des Herrn, welche seine Anlagen und Baulichkeiten trgt, sei nicht seineigen, und der Acker, den der Landwirt als den seinen bearbeitet, gehre nicht ihm.Man will nicht sehen, da dies ebensoviel heit, wie einen Raub ausfhren an dem,was durch die Arbeit erworben ist. Jenes frher wste Erdreich hat doch durch denFlei der Bebauer und durch ihre kundige Behandlung die Gestalt vllig verndert; esist aus Wildnis fruchtbares Ackerfeld, aus verlorener de ein ergiebiger Bodengeworden. Was dem Boden diese neue Form verliehen, das ist derart mit ihm eines,da es groenteils unmglich von ihm zu trennen ist. Und es soll kein Widerspruchgegen alle Gerechtigkeit sein, jenen Boden mit der Behauptung, da Eigentum nicht

    bestehen drfe, seinem Besitzer zu entziehen und dasjenige andern zu berantworten,was der Bebauer im Schweie seines Angesichtes geschaffen hat? Nein, wie dieWirkung ihrer Ursache folgt, so folgt die Frucht der Arbeit als rechtmigesEigentum demjenigen, der die Arbeit vollzogen hat.

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    Mit Recht hat darum die Menschheit, unbekmmert um die abweichende Meinungweniger, immer im Naturgesetz die Grundlage fr den Sonderbesitz gefunden und hatdiesen durch die praktische Anerkennung der Jahrhunderte geheiligt, weil derselbe

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    mit der Menschennatur und der Idee eines friedlichen und ruhigen Zusammenlebensgnzlich stimmt; sie hat sich weise leiten lassen von der Forderung des natrlichenGesetzes und blieb unbekmmert um vereinzelte Einreden.

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    - Die staatlichen Gesetze aber, die ihre Verbindlichkeit, sofern sie gerecht sind, vomNaturgesetz herleiten, haben berall das in Rede stehende Recht besttigt und mitStrafbestimmungen gesttzt. Auch die gttlichen Gesetze verknden das Besitzrecht,und zwar mit solchem Nachdrucke, da sie sogar das Verlangen nach fremdem Gutestreng verbieten: "Du sollst nicht begehren deines Nchsten Weib, Haus, Acker,Knecht, Magd, Ochs, Esel und alles, was sein ist"(1) .

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    9. Betrachten wir nunmehr den Menschen als geselliges Wesen, und zwar zunchst inseiner Beziehung zur Familie, so stellt sich das Recht des einzelnen auf Privatbesitznoch deutlicher dar. Wenn ihm dieses, sofern er Einzelwesen ist, zukommt, so kommtes ihm noch mehr zu in Rcksicht auf das husliche Zusammenleben.

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    In Bezug auf die Wahl des Lebensstandes ist es der Freiheit eines jedenanheimgegeben, entweder den Rat Jesu Christi zum enthaltsamen Leben zu befolgenoder in die Ehe zu treten. Kein menschliches Gesetz kann dem Menschen dasnatrliche und ursprngliche Recht auf die Ehe entziehen; keines kann denHauptzweck dieser durch Gottes heilige Autoritt seit der Erschaffung eingefhrtenEinrichtung irgendwie einschrnken. "Wachset und mehret euch" (2) . Mit diesenWorten war die Familie gegrndet. Die Familie, die husliche Gesellschaft, ist einewahre Gesellschaft mit allen Rechten derselben, so klein immerhin diese Gesellschaftsich darstellt; sie ist lter als jegliches andere Gemeinwesen, und deshalb besitzt sieunabhngig vom Staate ihre innewohnenden Rechte und Pflichten. Wenn nun jedemMenschen, wie gezeigt, als Einzelwesen die Natur das Recht, Eigentum zu besitzen,verliehen hat, so mu sich dieses Recht auch im Menschen, insofern er Haupt einerFamilie ist, finden; ja das Recht besitzt im Familienhaupte noch mehr Energie, weitder Mensch sich im huslichen Kreise gleichsam ausdehnt.

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    10. Ein dringendes Gesetz der Natur verlangt, da der Familienvater den Kindern denLebensunterhalt und alles Ntige verschaffe, und die Natur leitet ihn an, auch fr dieZukunft die Kinder zu versorgen, sie gegenber den irdischen Wechselfllen instandzu setzen, sich selbst vor Elend zu schtzen; er ist es ja, der in den Kindern fortlebtund sich gleichsam in ihnen wiederholt. Wie soll er aber jenen Pflichten gegen dieKinder nachkommen knnen, wenn er ihnen nicht einen Besitz, welcher fruchtet, alsErbe hinterlassen darf?

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    Wie der Staat, so ist auch die Familie, wie schon gesagt, im eigentlichen Sinne eineGesellschaft, und es regiert selbstndige Gewalt in ihr, nmlich die vterliche.

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    Innerhalb der von ihrem nchsten Zwecke bestimmten Grenzen besitzt demgem dieFamilie zum wenigsten die gleichen Rechte wie der Staat in Wahl und Anwendung

    jener Mittel, die zu ihrer Erhaltung und ihrer berechtigten freien Bewegung

    unerllich sind. Wir sagen, zum wenigsten die gleichen Rechte. Denn da dashusliche Zusammenleben sowohl der Idee als der Sache nach frher ist als diebrgerliche Gemeinschaft, so haben auch seine Rechte und seine Pflichten denVortritt, weil sie der Natur nherstehen.

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    Wenn Individuum und Familie, nachdem sie im Verbande der staatlichen Gesellschaftsind, seitens der letzteren nur Schdigung fnden statt Nutzen, nur Verletzung desureigenen Rechtes statt Schutz, so wrde der Staatsverband eher als Gegenstand derAbneigung und des Hasses erscheinen mssen denn als ein begehrenswertes Gut.

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    11. Ein groer und gefhrlicher Irrtum liegt also in dem Ansinnen an den Staat, alsmsse er nach seinem Gutdnken in das Innere der Familie, des Hauses eindringen.

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    Allerdings, wenn sich eine Familie in uerster Not und in so verzweifelter Lagebefindet, da sie sich in keiner Weise helfen kann, so ist es der Ordnungentsprechend, da staatliche Hilfeleistung fr die uerst Bedrngten eintrete; die

    Familien sind eben Teile des Staates.

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    Ebenso hat die ffentliche Gewalt zum Rechtsschutz einzugreifen, wenn innerhalbder huslichen Mauern erhebliche Verletzungen des gegenseitigen Rechtesgeschehen: bergriffe in Schranken weisen und die Ordnung herstellen heit dannoffenbar nicht Befugnisse der Familie und der Individuen an sich reien: der Staat

    befestigt in diesem Falle die Befugnisse der einzelnen, er zerstrt sie nicht. Allein an

    diesem Punkt mu er haltmachen, ber obige Grenzen darf er nicht hinaus, sonsthandelt er dem natrlichen Recht entgegen.

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    Die vterliche Gewalt ist von Natur so beschaffen, da sie nicht zerstrt, auch nichtvom Staate an sich gezogen werden kann; sie weist eine gleich ehrwrdige Herkunftauf wie das Leben des Menschen selbst. "Die Kinder sind", um mit dem hl. Thomaszu sprechen, "gewissermaen ein Teil des Vaters"; sie sind gleichsam eine Entfaltung

    seiner Person. Auch treten sie in die staatliche Gemeinschaft als deren Teilnehmer,wenn man im eigentlichen Sinne reden will, nicht selbstndig, nicht als Individuenein, sondern vermittels der Familiengemeinschaft, in welcher sie das Lebenempfangen haben. Aus eben diesem Grunde, weil nmlich die Kinder "von Natureinen Teil des Vaters bilden, stehen sie", nach den Worten des heiligen Lehrers, "unterder Sorge der Eltern, ehe sie den Gebrauch des freien Willens haben" (3) .

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    Das sozialistische System also, welches die elterliche Frsorge beiseite setzt, um eineallgemeine Staatsfrsorge einzufhren, versndigt sich an der natrlichenGerechtigkeit und zerreit gewaltsam die Fugen des Familienhauses.

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    12. Aber sieht man selbst von der Ungerechtigkeit ab, so ist es ebensowenig zuleugnen, da dieses System in allen Schichten der Gesellschaft Verwirrung

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    herbeifhren ,wrde. Eine unertrgliche Beengung aller, eine sklavischeAbhngigkeit wrde die Folge des Versuches seiner Anwendung sein. Es wrdegegenseitiger Migunst, Zwietracht und Verfolgung Tr und Tor geffnet. Mit dem

    Wegfalle des Spornes zu Strebsamkeit und Flei wrden auch die Quellen desWohlstandes versiegen. Aus der eingebildeten Gleichheit aller wrde nichts anderesals der nmliche klgliche Zustand der Entwrdigung fr alle.

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    Aus alledem ergibt sich klar die Verwerflichkeit der sozialistischen Grundlehre,wonach der Staat den Privatbesitz einzuziehen und zu ffentlichem Gute zumachenhtte. Eine solche Theorie gereicht denen, welchen geholfen werden soll, lediglich zu

    schwerem Schaden, sie "widerstreitet den natrlichen Rechten eines jeden Menschen,sie verzerrt den Beruf des Staates und macht eine ruhige, friedliche Entwicklung desGesellschaftslebens unmglich.

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    Bei allen Versuchen, den niederen Klassen aufzuhelfen, ist also durchaus alsGrundsatz festzuhalten, da das Privateigentum unangetastet zu lassen sei. Wir gehennunmehr zu der Darlegung ber, worin die berall begehrte Abhilfe in der milichen

    Lage des arbeitenden Standes zu suchen sei.

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    13. Mit voller Zuversicht treten Wir an diese Aufgabe heran und im Bewutsein, daUns das Wort gebhrt. Denn ohne Zuhilfenahme von Religion und Kirche ist keinAusgang aus dem Wirrsale zu finden;

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    aber da die Hut der Religion und die Verwaltung der kirchlichen Krfte und Mittelvor allem in Unsere Hnde gelegt sind, so knnte das Stillschweigen eine VerletzungUnserer Pflicht scheinen.

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    Allerdings ist in dieser wichtigen Frage auch die Ttigkeit und Anstrengung anderer

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    Faktoren unentbehrlich: Wir meinen die Frsten und Regierungen, die besitzendeKlasse und die Arbeitgeber, endlich die Besitzlosen, um deren Stellung es sichhandelt.

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    Aber Wir sagen mit allem Nachdruck: Lt man die Kirche nicht zur Geltungkommen, so werden alle menschlichen Bemhungen vergeblich sein; denn die Kircheist es, welche aus dem Evangelium einen Schatz von Lehren verkndet, unter derenkrftigem Einflu der Streit sich beilegen oder wenigstens seine Schrfe verlierenund mildere Formen annehmen kann; sie ist es, die den Geistern nicht blo Belehrung

    bringt, sondern auch mit Macht auf eine den christlichen Vorschriften entsprechende

    Regelung der Sitten bei jedem einzelnen hinwirkt; die Kirche ist ohne Unterla damitbeschftigt, die soziale Lage der niederen Schichten durch ntzliche Einrichtungen zuheben; sie ist endlich vom Verlangen beseelt, da die Krfte und Bestrebungen allerStnde sich zur Frde rang der wahren Interessen der Arbeiter zusammentun, und hltein Vorgehen der staatlichen Autoritt auf dem Wege der Gesetzgebung, innerhalb derntigen Schranken fr unerllich, damit der Zweck erreicht werde.

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    14. Vor allem ist also von der einmal gegebenen unvernderlichen Ordnung derDinge auszugehen, wonach in der brgerlichen Gesellschaft eine Gleichmachung vonhoch und niedrig, von arm und reich schlechthin nicht mglich ist.

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    Es mgen die Sozialisten solche Trume zu verwirklichen suchen, aber man kmpftumsonst gegen die Naturordnung an. Es werden immerdar in der Menschheit diegrten und tiefgreifendsten Ungleichheiten bestehen. Ungleich sind Anlagen, Flei,Gesundheit und Krfte, und hiervon ist als Folge unzertrennlich die Ungleichheit inder Lebensstellung, im Besitze. Dieser Zustand ist aber ein sehr zweckmigersowohl fr den einzelnen wie fr die Gesellschaft. Das gesellschaftliche Daseinerfordert nmlich eine Verschiedenheit von Krften und eine gewisseMannigfaltigkeit von Leistungen; und zu diesen verschiedenen Leistungen werdendie Menschen hauptschlich durch jene Ungleichheit in der Lebensstellungangetrieben.

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    Die krperliche Arbeit anlangend, wrde der Mensch im Stand der Unschuld freilich

    nicht unttig gewesen sein. Die Arbeit, nach welcher er damals wie nach einemGenusse freiwillig verlangt htte, sie wurde ihm nach dem Sndenfalle als einenotwendige Bue auferlegt, deren Last er spren mu. "Verflucht sei die Erde indeinem Werke; mit Arbeit sollst du von ihr essen alle Tage deines Lebens (4) ." Ingleicher Weise werden immer auch die brigen Beschwernisse auf dieser Erdewohnen, weil die Folgen der Snde als bittere Begleiter an der Seite des Menschen

    bis zu seinem Tode haften.

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    Leiden und dulden ist einmal der Anteil unseres Geschlechtes, und so groeAnstrengungen man auch zur Besserung des Daseins machen mag, die Gesellschaftwird niemals frei von groer Plage werden. Die, welche vorgeben, sie knnten esdahin bringen, und die dem armen Volke ein Leben ohne Not und nur voll Ruhe undGenu vorspiegeln, tuschen frwahr die Menschen mit einem Truge, welcher nurgrere bel zur Folge haben wird, als die sind, an denen die gegenwrtigeGesellschaft krankt.

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    Das Richtige ist, die Dinge nehmen, wie sie wirklich sind, und das Linderungsmittel,wie gesagt, anderswo aufsuchen.

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    15. Ein Grundfehler in der Behandlung der sozialen Frage ist sodann auch der, daman das gegenseitige Verhltnis zwischen der besitzenden und der unvermgenden,arbeitenden Klasse so darstellt, als ob zwischen ihnen von Natur ein unvershnlicherGegensatz Platz griffe, der sie zum Kampf aufrufe.

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    Ganz das Gegenteil ist wahr. Die Natur hat vielmehr alles zur Eintracht, zugegenseitiger Harmonie hingeordnet; und so wie im menschlichen Leibe bei allerVerschiedenheit der Glieder im wechselseitigen Verhltnis Einklang und Gleichma

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    vorhanden ist, so hat auch die Natur gewollt, da im Krper der Gesellschaft jenebeiden Klassen in eintrchtiger Beziehung zueinander stehen und ein gewissesGleichgewicht darstellen. Die eine hat die andere durchaus notwendig. So wenig das

    Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen.

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    Eintracht ist berall die unerlliche Vorbedingung von Schnheit und Ordnung; einfortgesetzter Kampf dagegen erzeugt Verwilderung und Verwirrung. Zur Beseitigungdes Kampfes aber und selbst zur Ausrottung seiner Ursachen besitzt das Christentumwunderbare und vielgestaltige Krfte.

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    16. Die Kirche, als Vertreterin und Wahrerin der Religion, hat zunchst in denreligisen Wahrheiten und Gesetzen ein mchtiges Mittel, die Reichen und die Armenzu vershnen und einander nahezubringen; ihre Lehren und Gebote fhren beideKlassen zu ihren Pflichten gegeneinander und namentlich zur Befolgung derVorschriften der Gerechtigkeit.

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    Von diesen Pflichten berhren folgende die arbeitenden Stnde:

    vollstndig und treu die Arbeitsleistung zu verrichten, zu welcher sie sichfrei und mit gerechtem Vertrage verbunden haben;

    den Arbeitgebern weder an der Habe noch an der Person Schadenzuzufgen;

    in der Wahrung ihrer Interessen sich der Gewaltttigkeit zu enthalten und inkeinem Falle Auflehnung zu stiften; nicht Verbindung zu unterhalten mit belgesinnten, die ihnen trgerische

    Hoffnungen vorspiegeln und nur bittere Enttuschung und Ruinzurcklassen.

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    Die Pflichten, die hinwieder die Besitzenden und Arbeitgeber angehen, sind die

    nachstehenden:

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    die Arbeiter drfen nicht wie Sklaven angesehen und behandelt werden; ihre persnliche Wrde, welche geadelt ist durch ihre Wrde als Christen,

    werde stets heilig gehalten; Arbeit und Erwerbssorgen erniedrigen sie nicht, vielmehr mu, wer

    vernnftig und christlich denkt, es ihnen als Ehre anrechnen, da sieselbstndig ihr Leben unter Mhe und Anstrengung erhalten;

    unehrenvoll dagegen und unwrdig ist es, Menschen blo zu eigenemGewinne auszubeuten und sie nur so hoch anzuschlagen, als ihreArbeitskrfte reichen.

    .

    Eine weitere Vorschrift schrft ein:

    Habet auch die gebhrende Rcksicht auf das geistige Wohl und diereligisen Bedrfnisse der Besitzlosen;

    ihr Herren seid verpflichtet, ihnen Zeit zulassen fr ihre gottesdienstlichenbungen;

    ihr drft sie nicht der Verfhrung und sittlichen Gefahren bei ihrerVerwendung aussetzen;

    den Sinn fr Huslichkeit und Sparsamkeit drft ihr in ihnen nicht ersticken; es ist ungerecht, sie mit mehr Arbeit zu beschweren, als ihre Krfte tragen

    knnen, oder Leistungen von innen zu fordern, die mit ihrem Alter oderGeschlecht in Widerspruch stehen.

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    .

    17. Vor allem aber ist es Pflicht der Arbeitsherren, den Grundsatz: jedem das Seine,stets vor Augen zu behalten. Dieser Grundsatz sollte auch unparteisch auf die Hhedes Lohnes Anwendung finden, ohne da die verschiedenen fr die Billigkeit desLohnmaes mitzubercksichtigenden Momente bersehen werden.

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    Im allgemeinen ist in Bezug auf den Lohn wohl zu beachten, da es wider gttlichesund menschliches Gesetz geht, Notleidende zu drcken und auszubeuten um des

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    eigenen Vorteils willen.

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    Dem Arbeiter den ihm gebhrenden Verdienst vorenthalten, ist eine Snde, die zumHimmel schreit. "Siehe", sagt der Heilige Geist, "der Lohn der Arbeiter,... den ihrunterschlagen, schreit zu Gott, und ihre Stimmen dringen zum Herrn Sabaoth" (5) .Die Reichen drfen endlich unter keinen Umstnden die Besitzlosen in ihremErworbenen schdigen, sei es durch Gewalt oder durch Trug oder durchWucherknste: und das um so weniger als ihr Stand minder gegen Unrecht undbervorteilung geschtzt ist. Ihr Eigentum, weil gering, beansprucht eben deshalbum so mehr Unverletzlichkeit. Wer wird in Abrede stellen, da die Befolgung dieser

    Vorschriften allein imstande sein wrde, den bestehenden Zwiespalt samt seinenUrsachen zu beseitigen?

    .

    .

    18. Aber die Kirche, welche in den Fustapfen ihres gttlichen Lehrers und FhrersJesu Christus wandelt, hat noch hhere Ziele; sie trachtet mit Vorschriften von noch

    grerer sittlicher Vollkommenheit, den einen Teil dem andern mglichst anzunhernund ein freundliches Verhltnis zwischen beiden herzustellen Nur wenn wir dasknftige unsterbliche Leben zum Mastabe nehmen, knnen wir ber dasgegenwrtige Leben unbefangen und gerecht urteilen. Gbe es kein anderes Leben, sowrde eben damit der wahre Begriff sittlicher Pflicht verlorengehen, und das irdischeDasein wrde zu einem dunklen, von keinem Verstande zu entwirrenden Rtsel.Wenn dies uns schon die Vernunft selbst sagt, so wird es zugleich durch den Glaubenverbrgt, der als Grundstein aller Religion die Lehre hinstellt, da beim Ausscheidenaus dem irdischen Leben unser wahres Leben beginnt.

    .

    Denn Gott hat uns nicht fr die hinflligen und vergnglichen Gter der Zeitgeschaffen, sondern fr die ewigen des Himmels, und er hat uns die Erde nicht alseigentlichen Wohnsitz, sondern als Ort der Verbannung angewiesen.

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    Ob der Mensch an Reichtum und an anderen Dingen, die man Gter nennt, berflu

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    habe oder Mangel leide, darauf kommt es fr die ewige Seligkeit nicht an; aber sehrviel kommt auf die Weise an, wie er seine Erlsung bentzt. Jesus Christus hat durchseine "reiche Erlsung" keineswegs Leiden und Kreuz hinweggenommen, das unsern

    Lebensweg bedeckt, er hat es aber in einen Sporn fr unsere Tugend, in einenGegenstand des Verdienstes verwandelt, und keiner "wird der ewigen Kroneteilhaftig, der nicht den schmerzlicher Kreuzweg des Herrn wandelt. "Wenn wir mitihm leiden, werden wir auch mit ihm herrschen" (6) .

    .

    Durch seine freiwilligen Mhen und Peinen hat jedoch der Heiland all unsere Mhenund Peinen wunderbar gemildert. Er erleichtert uns die Ertragung aller Trbsal nicht

    blo durch sein Beispiel, sondern auch durch seine strkende Gnade und durch denAusblick auf ewigen Lohn. "Denn unsere vorbergehende und leichte Trbsal in derGegenwart erwirkt uns ein berschwengliches Ma von Glorie in der Ewigkeit" (7) .

    .

    Es ergeht also die Mahnung der Kirche an die mit Glcksgtern Gesegneten, daReichtum nicht von Mhsal frei mache, und da er fr das ewige Leben nichts ntze,

    ja demselben eher schdlich sei (8) . Die aufflligen Drohungen Jesu Christi an die

    Reichen mten diese mit Furcht erfllen (9) , denn dem ewigen Richter wird einststrengste Rechenschaft ber den Gebrauch der Gter dieses Lebens abgelegt werdenrnssen.

    .

    .

    19. Eine wichtige und tiefgreifende Lehre verkndet die Kirche sodann ber denGebrauch des Reichtums, eine Lehre, welche von der heidnischen Weltweisheit nurdunkel geahnt wurde, die aber von der Kirche in voller Klarheit hingestellt und, wasmehr ist, in lebendige praktische bung umgesetzt wird. Sie betrifft die Pflicht derWohlttigkeit, das Almosen. Diese Lehre hat die Unterscheidung zwischen gerechtemBesitz und gerechtem Gebrauch des Besitzes zur Voraussetzung.

    .

    Das Privateigentum grndet sich, wie wir gesehen haben, auf die natrliche Ordnung,und dieses Recht zu gebrauchen, ist nicht blo erlaubt, sondern es ist auch im

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    gesellschaftlichen Dasein eine Notwendigkeit. "Es ist erlaubt", so drckt der hl.Thomas es aus, "da der Mensch Eigentum besitze, und es ist zugleich notwendig frdas menschliche Leben" (10) .

    .

    Fragt man nun, wie der Gebrauch des Besitzes beschaffen sein msse, so antwortetdie Kirche mit dem nmlichen heiligen Lehrer: "Der Mensch mu die uern Dingenicht wie ein Eigentum, sondern wie gemeinsames Gut betrachten und behandeln,insofern nmlich, als er sich zur Mitteilung derselben an Notleidende leicht verstehensoll. Darum spricht der Apostel: ,Befiehl den Reichen dieser Welt,... da sie gernegeben und mitteilen" (11) .

    .

    Gewi ist niemand verpflichtet, dem eigenen notwendigen Unterhalt oder demjenigender Familie Abbruch zu tun, um dem Nchsten beizuspringen. Es besteht nicht einmaldie Verbindlichkeit, des Almosens wegen auf standesgeme und geziemendeAusgaben zu verzichten. "Denn niemand ist", um wieder mit St. Thomas zu sprechen,"verpflichtet, auf unangemessene Weise zu leben" (12) .

    .

    Ist der Besitz jedoch grer, als es fr den Unterhalt und ein standesgemesAuftreten ntig ist, dann tritt die Pflicht ein, vom berflusse den notleidendenMitbrdern Almosen zu spenden. "Was ihr an berflu habet, das gebet den Armen",heit es im Evangelium (13) .

    .

    Diese Pflicht ist allerdings nicht eine Pflicht der Gerechtigkeit, den Fall der uerstenNot ausgenommen, sondern der christlichen Liebe, und darum knnte sie auch nichtauf gerichtlichem Wege erzwungen werden. Sie erhlt indes eine Bekrftigung,mchtiger als die durch irdische Gesetzgeber und Richter, von seiten des ewigenRichters der Welt, der durch vielfache Aussprche die Mildttigkeit empfiehlt: "Es istseliger geben, als nehmen" (14) , und der Gericht halten wird ber Spendung undVerweigerung der Almosen an seine Armen, so als wre sie ihm geschehen: "Was ihreinem der geringsten meiner Brder getan habt, das habt ihr mir getan" (15) .

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    Das Gesagte lt sich also kurz so zusammenfassen: Wer irgend mit Gtern von Gottdem Herrn reichlicher bedacht ,wurde, seien es leibliche und uere, seien es geistige

    Gter, der hat den berflu zudem Zweck erhalten, da er ihn zu seinem eigenenwahren Besten und zum Besten der Mitmenschen wie ein Diener der gttlichenVorsehung bentze. "Wem also Einsicht verliehen ist", sagt der hl. Gregor der Groe,"der verwende sie zu nutzbringender Unterweisung, wer Reichtum erhalten hat, sehezu, da er mit der Wohlttigkeit nicht sume; wer in praktischen Dingen Erfahrungund bung besitzt, verwende sein Knnen zum Besten der Mitmenschen" (16) .

    .

    .

    20. Die Besitzlosen aber belehrt die Kirche, da Armut in den Augen der ewigenWahrheit nicht die geringste Schande ist, und da Handarbeit zum Erwerb desUnterhaltes durchaus keine Unehre bereitet. Christus der Herr hat dies durch Tat undBeispiel bekrftigt, er, der um unseretwillen "arm geworden, da er reich war" (17) ,und der, obwohl Sohn Gottes und Gott selbst, dennoch fr den Sohn desZimmermanns gehalten werden, ja einen groen Teil seines Lebens mit krperlicherArbeit zubringen wollte. "Ist dies nicht der Zimmermann, der Sohn Mari?" (18)

    .

    Wer dies gttlich hohe Beispiel ernst betrachtet, der wird leichter verstehen, da diewahre Wrde und Gre des Menschen in sittlichen Eigenschaften, das heit in derTugend beruht, da die Tugend aber ein Gut sei, welches allen gleich zugnglich ist,dem Niedersten wie dem Hchsten, dem Reichen wie dem Armen, und da durchausnichts anderes als Tugend und Verdienst des Himmels teilhaftig macht. Ja gegen dieHilflosen und Unglcklichen dieser Welt tritt Gottes Liebe gewissermaen noch mehran den Tag: Jesus Christus preist die Armen selig (19) ; er ldt alle, die mit Mhe undKummer beladen, liebevoll zu sich, um sie zu trsten (20) ; die Niedrigsten undVerfolgten umfat er mit ganz besonderem Wohlwollen. Diese Wahrheiten sindwahrlich imstande, in den Begterten. und Hochstehenden jeden bermutniederzuhalten und in den Armen den Kleinmut aufzurichten; sie mssen den ReichenEntgegenkommen gegen die Armen einflen und die Armen selbst zurBescheidenheit stimmen.

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    So wird die soziale Kluft zwischen den beiden Klassen unschwer verringert undhben und drben freundliche, vershnliche Gesinnung geweckt.

    .

    .

    21. Wenn aber die Moral des Christentums ganz zur Geltung kommt, wird man auchnicht bei vershnlicher Stimmung stehenbleiben; es wird wahre brderliche Liebe

    beide Teile verbinden. Sie werden dann in dem Bewutsein leben, da eingemeinsamer Vater im Himmel alle Menschen geschaffen hat und alle fr das gleicheZiel bestimmt hat, fr den ewigen Lohn der Guten, welcher Gott selbst ist, der allein

    die Menschen und die Engel mit vollkommener Seligkeit beglcken kann.

    .

    Sie erfassen dann, was es heit.' Jesus Christus hat alle gleicherweise durch seinLeiden erlst, alle zur nmlichen Wrde von Kindern Gottes erhoben; ein wahrhaftesgeistiges Bruderband besteht zwischen ihnen und mit Christus dem Herrn, "demErstgeborenen unter vielen Brdern" (21) .

    .

    Sie verstehen, was es ferner heit, die Gter der Natur und die Geschenke der Gnadeinsgesamt gehren gemeinschaftlich der groen Menschenfamihe an, nur wer sichselbst unwrdig macht, wird vom Erbe des himmlischen Glckes ausgeschlossen."Wenn aber Shne, dann auch Erben, und zwar Erben Gottes und MiterbenChristi."(22)

    .

    Das sind nach christlicher Auffassung die Grundzge der Menschenrechte und derMenschenpflichten. Wrde nicht aller Streit in kurzer Frist erledigt sein, wenn dieseWahrheiten in der brgerlichen Gesellschaft zu voller Anerkennung gelangten?

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    22. Indessen die Kirche lt es sich nicht dabei begngen, blo den Weg zur Heilung

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    zu zeigen, sie wendet auch die Heilmittel selbst an. Ihr ganzes Arbeiten geht dahin,die Menschheit nach Magabe ihrer Lehre und ihres Geistes umzubilden und zuerziehen. Durch den Episkopat und den Klerus leitet sie den heiligen Strom ihres

    Unterrichtes in die weitesten Kreise des Volkes hinab, soweit immer ihr Einflugelangen kann. Sie sucht in das Innerste der Menschen einzudringen und ihren Willenzu lenken, damit sich alle im Handeln nach Gottes Vorschriften richten. Gerade in

    bezug auf diese innere Wirksamkeit, also an einem Punkte, auf den alles ankommt,entfaltet die Kirche eine siegreiche, ihr ausschlielich eigene Macht.

    .

    Denn die Mittel, die ihr den Zugang zu den Herzen bahnen, hat sie von Jesus Christus

    selbst fr diesen heiligen Zweck berkommen, es ruht in ihnen eine gttliche Kraft.Diese Mittel allein gelangen zum Innersten der Menschenbrust, und diese Machtallein fhrt den Menschen zum Gehorsam gegen seine Pflicht, zur Bezhmung dereigenen Leidenschaft, zu vollkommener Liebe Gottes und des Nchsten, zurberwindung der vielen auf dem Wege der Tugend auftretenden Hindernisse.

    .

    Zur Besttigung dessen braucht nur auf das Beispiel der Vergangenheit hingewiesen

    zu werden. Wir heben nur Tatsachen hervor, welche auer allem Zweifel stehen,wenn wir sagen:

    es war der Einflu und das Walten der Kirche, wodurch die brgerlicheGesellschaft von Grund aus erneuert wurde;

    die hheren sozialen Krfte, die ihr eigen sind, haben die Menschheit auf dieBahn des wahren Fortschritts erhoben, ja vom Untergange wieder zumLeben erweckt;

    sie haben durch die christliche Erziehung der Vlker eine Entwicklung

    herbeigefhrt, welche alle frheren Kulturformen weit bertrifft und in alleZukunft nicht durch eine andere bertroffen werden wird. Diese Wohltaten haben die hochheilige Person Jesu Christi zu ihrer Urquelle

    und zu ihrem Endzwecke;

    .

    wie die Welt dem Gottmenschen alles verdankt, so bezieht sich alles Gute auf ihn alsZielpunkt der Dinge zuruck. Das Leben Jesu Christi durchdrang den Erdkreis,

    nachdem das Licht des Evangeliums aufgegangen und das groe Geheimnis von der

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    Menschwerdung Gottes und der Erlsung unseres Geschlechtes verkndet war; esdrang zu allen Vlkern, allen Klassen und grndete in ihnen den christlichen Glaubenund dessen sittliche Vorschriften.

    .

    Es ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, da, wenn man ein Heilmittel fr diemenschliche Gesellschaft sucht, dasselbe nur in der christlichen Wiederherstellungdes ffentlichen und privaten Lebens beruht.

    .

    Denn es ist ein bekanntes Axiom, da jede Gesellschaft, die sich aus Niedergangerheben will, im Sinne ihres Ursprungs arbeiten mu. Durch das Streben nach dem

    beim Ursprung gesetzten Ziele mu das entsprechende Leben in dengesellschaftlichen Krper kommen. Abweichen vom Ziele ist gleichbedeutend mitVerfall; Rckkehr zu demselben bedeutet Heilung. Dies gilt vom ganzen Krper desStaates, und es gilt ebenso von der bei weitem zahlreichsten Klasse vonStaatsbrgern, den arbeitenden Stnden.

    .

    .

    23. Die Frsorge der Kirche geht indessen nicht so in der Pflege des geistigen Lebensauf, da sie darber der Anliegen des irdischen Lebens verge. Sie ist vielmehr,insbesondre dem Arbeiterstande gegenber, vom eifrigen Streben erfllt, die Not desLebens fr ihn auch nach der materiellen Seite zu lindern und ihn zu besserenVerhltnissen zu erheben.

    .

    Schon durch ihre Anleitung zur Sittlichkeit und Tugend frdert sie zugleich dasmaterielle Wohl; denn ein geregeltes christliches Leben hat stets seinen Anteil an derHerbeifhrung irdischer Wohlfahrt; es macht Gott, welcher Urquell und Spender allerWohlfahrt ist, dem Menschen geneigt, und es drngt zwei Feinde zurck, welcheallzu hufig mitten im berflusse die Ursache bittern Elends sind, die ungezgelteHabgier und die Genusucht (23) ;

    .

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    es wrzt ein bescheidenes irdisches Los mit dem Glcke der Zufriedenheit, spendet inder Sparsamkeit einen Ersatz fr die abgehenden Glcksgter und bewahrt vor

    Leichtsinn und Laster, wodurch auch der ansehnlichste Wohlstand oft so schnellzugrunde gerichtet wird.

    .

    .

    24. Aber die Kirche entfaltet auerdem auch geeignete praktische Manahmen zurMilderung des materiellen Notstandes der Besitzlosen; sie unterhlt und frdert die

    verschiedensten Anstalten zur Hebung ihres Daseins. Ja, da ihre Ttigkeit in dieserHinsicht jederzeit eine hchst wohlttige gewesen, wird auch von ihren Feinden mitlautem Lobe anerkannt.

    .

    Zur Zeit der ersten Christen war die brderliche Liebe so mchtig, da hufig Reicheall ihrer Habe sich entblten, um den Armen beizuspringen. Es gab infolgedessen,wie die Heilige Schrift sagt, "keinen Drftigen in der Gemeinde der Glubigen" (24) .

    Das tgliche Almosengeben war die Aufgabe, welche den Diakonen von denAposteln gestellt wurde, und derentwegen namentlich die besondere Weihestufe desDiakonats eingesetzt war.

    .

    Der heilige Apostel Paulus nahm es trotz seiner vielfltigen Sorgen fr alle Kirchenauf sich, den notleidenden Christen persnlich auf mhevollen Reisen das Almosenzu bringen. Tertullian spricht von der bei jeder Versammlung der Christengespendeten Beisteuer; er nennt sie "Hinterlage der Liebe" und sagt, sie diene "zumUnterhalte der Armen und ihrem Begrbnis, den drftigen Waisen beiderleiGeschlechtes, den Greisen und den Schiffbrchigen" (25) .

    .

    So flo allmhlich ein kirchliches Patrimonium zusammen, und dasselbe ward stetsmit heiliger Sorgfalt als ein Erbschatz der Armen und Notleidenden bewahrt. DieKirche scheute sich nicht, auch als Bettlerin zu den Tren der Reichen zu wandern,um den Bedrngten ein Scherflein zu gewinnen. Sie war es, die gemeinsame Mutter

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    von arm und reich, welche dadurch, da sie die christliche Nchstenliebe zu hererFlamme entzndete, besondere geistliche Orden erweckte und viele andereEinrichtungen erstehen lie zur Linderung der irdischen Not, auf da fr jede

    Bedrngnis eine Abhilfe, fr jeden Schmerz ein Trost bestnde.

    .

    Allerdings vernimmt man in der Gegenwart Stimmen, welche, wie die Heiden esschon getan, Anklagen gegen die Kirche selbst in dieser Liebesttigkeit suchen. Anderen Stelle sucht man ein staatliches System des Wohltuns einzufhren. Aber wosind die staatlichen, die menschlichen Einrichtungen, die sich an die Stelle derchristlichen Liebe und des Opfergeistes, die ihren Schwung von der Kirche

    empfangen, zu setzen vermchten? Nein, die Kirche allein besitzt das Geheimnisdieses himmlischen Schwunges.

    .

    Quillt die Liebe und Kraft nicht aus dem heiligsten Herzen des Erlsers, so ist sienichtig. Um aber des innern Lebens des Erlsers teilhaftig zu werden, mu man einlebendiges Glied seiner Kirche sein.

    .

    .

    25. Indessen ist nicht zu bezweifeln, da zur Lsung der sozialen Frage zugleich diemenschlichen Mittel in Bewegung gesetzt werden mssen. Alle, die es irgend berhrt,mssen je nach ihrer Stellung mitarbeiten.

    .

    Es gibt hier das Wirken der gttlichen Vorsehung, welche die Welt regiert,gewissermaen ein Vorbild; denn hngt der Ausgang von vielen Ursachen zugleichab, so sehen wir, wie eben diese Ursachen sich zur Erzielung der Wirkung zueinandergesellen.

    .

    Es handelt sich zunchst darum, welcher Anteil bei der Lsung der Frage derStaatsgewalt zufalle. Unter Staatsgewalt verstehen Wir hier nicht die zufllige

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    Regierungsform der einzelnen Lnder, sondern die Staatsgewalt der Idee nach, wiesie durch die Natur und Vernunft gefordert wird, und wie sie sich nach denGrundstzen der Offenbarung, die Wir in der Enzyklika ber die christliche

    Staatsverfassung entwikkelt haben, darstellt.

    .

    .

    26. Die Beihilfe also, welche von den Staatslenkern erwartet werden mu, bestehtzunchst in einer derartigen allgemeinen Einrichtung der Gesetzgebung undVerwaltung, da daraus von selbst das Wohlergehen der Gemeinschaft wie der

    einzelnen empor blht. Hier liegt die Aufgabe einer einsichtigen Regierung, diewahre Pflicht jeder weisen Staatsleitung.

    .

    Was aber im Staate vor allem Glck und Friede verbrgt, das ist Ordnung, Zucht undSitte, ein wohlgeordnetes Familienleben, Heilighaltung von Religion und Recht,mige Auflage und gleiche Verteilung der Lasten, Betriebsamkeit in Gewerbe undHandel, gnstiger Stand des Ackerbaues und anderes hnliche. Je umsichtiger alle

    diese Hebel bentzt und gehandhabt werden, desto gesicherter ist die Wohlfahrt derGlieder des Staates.

    .

    Hier erffnet sich also eine weite Bahn, auf welcher der Staat fr den Nutzen allerKlassen der Bevlkerung und insbesondere fr die Lage der Arbeiter ttig sein kann;gebraucht er hier sein Recht, so ist durchaus kein Vorwurf mglich, als ob er einenbergriff beginge; denn nichts geht den Staat seinem Wesen nach nher an als diePflicht, das Gemeinwohl zu frdern und je wirksamer und durchgreifender er esdurch allgemeine Manahmen tut, desto weniger brauchen anderweitige Mittel zurBesserung der Arbeiterverhltnisse aufgesucht zu werden.

    .

    .

    27. Es ist berdies als Wahrheit von einschneidender Bedeutung vor Augen zu halten,da der Staat fr alle da ist, in gleicher Weise fr die Niedern wie fr die Hohen.

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    Die Besitzlosen sind vom naturrechtlichen Standpunkt nicht minder Brger als dieBesitzenden, d. h. sie sind wahre Teile des Staates, die am Leben der aus derGesamtheit der Familien gebildeten Staatsgemeinschaft teilnehmen; und sie bildenzudem, was sehr ins Gewicht fllt, in jeder Stadt bei weitem die grere Zahl derEinwohner.

    .

    Wenn es also unzulssig ist, nur fr einen Teil der Staatsangehrigen zu sorgen, den

    andern aber zu vernachlssigen, so mu der Staat durch ffentliche Manahmen sichin gebhrender Weise des Schutzes der Arbeiter annehmen.

    .

    Wenn dies nicht geschieht, so verletzt er die Forderung der Gerechtigkeit, welchejedem das Seine zugeben befiehlt. Richtig bemerkt in dieser Hinsicht der hl. Thomas:"Wie der Teil und das Ganze gewissermaen dasselbe sind, so gehrt das, was demGanzen gehrt, auch gewissermaen dem Teile an"(26) .

    .

    Unter den vielen und wichtigen Pflichten also, die eine fr das Wohl der Untertanenbesorgte Staatsleitung zu erfllen hat, ist es eine der ersten, da sie allen Klassen vonUntertanen denselben Schutz angedeihen lasse, in strenger Wahrung jenerGerechtigkeit, die man die "verteilende" genannt hat.

    .

    Wenn auch alle Staatsangehrigen ohne Ausnahme an den Bestrebungen fr das Wohldes Staates sich zu beteiligen haben, indem ja alle die Vorteile der Staatsgemeinschaftgenieen, so knnen sich doch nicht alle im gleichen Grade beteiligen. Wie immerdie Regierungsform sich gestalten mag, stets werden unter den Brgern jeneStandesunterschiede da sein, ohne die berhaupt keine Gesellschaft denkbar ist. Stetswird sich zum Beispiel ein Teil mit den Aufgaben des Staates selbst, mit derGesetzgebung, der Rechtsprechung, der Verwaltung und den militrischenAngelegenheiten beschftigen mssen; von selbst werden diese einen hheren Rangunter den Staatsangehrigen einnehmen, weil sie unmittelbar und in hervorragender

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    Weise an dem Gemeinwohl arbeiten. Tragen die brigen Brger, z.B. dieGewerbetreibenden, nicht in diesem Mae zum ffentlichen Nutzen bei, so leisten

    jedoch auch sie offenbar der ffentlichen Wohlfahrt Dienste, wenn auch nur

    mittelbare.

    .

    Allerdings besteht das Gemeinwohl vor allem in der Pflege von Rechtschaffenheitund Tugend, und es gehrt zum Begriffe sozialer Wohlfahrt, da sie die Menschen

    besser mache.

    .

    Aber auch die Beschaffung der irdischen Mittel, "deren Vorhandensein und Gebrauchzur Ausbung der Tugend unerllich ist" (27) , gehrt ebenso zu einem guteingerichteten Staate. Zur Herstellung dieser Gter ist nun die Ttigkeit der Arbeiter

    besonders wirksam und notwendig, sei es, da sie ihre Geschicklichkeit und Hand aufden Feldern oder an der Werkbank bettigen. Ja auf diesem Gebiete ist ihre Kraft undWirksamkeit so gro, da es eine unumstliche Wahrheit ist, nicht anderswoher alsaus der Arbeit der Werkttigen entstehe Wohlhabenheit im Staate.

    .

    Es ist also eine Forderung der Billigkeit, da man sich seitens der ffentlichenGewalt des Arbeiters annehme, damit er von dem, was er zum allgemeinen Nutzen

    beitrgt, etwas empfngt, so da er in Sicherheit hinsichtlich Wohnung, Kleidung undNahrung ein weniger schweres Leben fhren kann. Daraus folgt, da alles zu frdernist, was irgendwie der Lage der Arbeiterschaft ntzen kann. Wenn der Staat hierfrSorge trgt, so fgt er dadurch niemand Nachteil zu, er ntzt vielmehr sehr derGesamtheit, die ein offenbares Interesse daran hat, da ein Stand, welcher dem Staateso notwendige Dienste leistet, nicht im Elend seine Existenz friste.

    .

    .

    28. Der Brger und die Familie sollen allerdings nicht im Staate aufgehen, wie gesagtwurde, und die Freiheit der Bewegung, soweit sie nicht dem ffentlichen Wohle oderdem Rechte anderer zuwider ist, mu ihnen gewahrt bleiben. Indessen wirksameSchutzmaregeln der Regierung sollten der Gesamtheit und den einzelnen Stnden

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    gewidmet sein:

    der Gesamtheit, weil nach der Ordnung der Natur deren Wohl nicht blo das oberste

    Gesetz, sondern auch Grund und Endzweck der hchsten Gewalt berhaupt ist;

    den einzelnen Stnden, weil die Regierung der Gesamtheit nicht um derRegierenden willen, sondern fr die Regierten gefhrt wird, wie diesVernunft und Glaube lehren.

    Und da jede Autoritt von Gott kommt, als ein Ausflu der hchstenAutoritt, so ist auch die Regierung zu handhaben nach dem Vorbilde dergttlichen Regierung, die da mit gleicher vterlicher Liebe sowohl dieGesamtheit der Geschpfe als die einzelnen Dinge leitet.

    .

    Droht also der staatlichen Gesamtheit oder einzelnen Stnden ein Nachteil, demanders nicht abzuhelfen ist, so ist es Sache des Staates, einzugreifen.

    .

    .

    29. Es liegt nun aber ebenso im ffentlichen wie im privaten Interesse, da im StaateFriede und Ordnung herrsche,

    da das ganze Familienleben den gttlichen Geboten und dem Naturgesetzentspreche,

    da die Religion geachtet und gebt werde, da im privaten wie imffentlichen Leben Reinheit der Sitte herrsche,

    da Recht und Gerechtigkeit gewahrt und nicht ungestraft verletzt werde,

    da die Jugend krftig heranwachse zum Nutzen und, wo ntig, zurVerteidigung des Gemeinwesens.

    Wenn also

    sich ffentliche Wirren ankndigen infolge widersetzlicher Haltung derArbeiter oder infolge von verabredeter Arbeitseinstellung,

    wenn die natrlichen Familienbande in den Kreisen der Besitzlosen zerrttetwerden,

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    wenn bei den Arbeitern die Religion gefhrdet ist, indem ihnen nichtgengend Zeit und Gelegenheit zu ihren gottesdienstlichen Pflichtengelassen wird,

    wenn ihrer Sittlichkeit Gefahr droht durch die Art und Weise vongemeinschaftlicher Verwendung beider Geschlechter bei der Arbeit oderdurch andere Lockungen zur Snde,

    wenn die Arbeitgeber sie ungerechterweise belasten oder sie zur Annahmevon Bedingungen ntigen, die der persnlichen Wrde und denMenschenrechten zuwiderlaufen,

    wenn ihre Gesundheit durch bermige Anstrengung oder ihrem Alter undGeschlecht nicht entsprechende Anforderungen untergraben wird...

    - in allen diesen Fllen mu die Autoritt und Gewalt der Gesetze innerhalb gewisserSchranken sich geltend machen.

    .

    Die Schranken werden durch denselben Grund gezogen, aus welchem die Beihilfeder Gesetze verlangt wird. Nur soweit es zur Hebung des bels und zur Entfernungder Gefahr ntig ist, nicht aber weiter, drfen die staatlichen Manahmen in dieVerhltnisse der Brger eingreifen.

    .

    Wenn aber berhaupt alle Rechte der Staatsangehrigen sorgfltig beachtet werdenmssen, und die ffentliche Gewalt darber zu wachen hat, da jedem das Seine

    bleibe, und da alle Verletzung der Gerechtigkeit abgewehrt werde oder Strafe finde,so mu doch der Staat beim Rechtsschutze zugunsten der Privaten eine ganz

    besondere Frsorge fr die niedere, besitzlose Masse sich angelegen seinlassen.

    .

    Die Wohlhabenden sind nmlich nicht in dem Mae auf den ffentlichen Schutzangewiesen, sie haben selbst die Hilfe eher zur Hand;

    .

    dagegen hngen die Besitzlosen, ohne eigenen Boden unter den Fen, fast ganz vonder Frsorge des Staates ab. Die Lohnarbeiter also, die ja zumeist die Besitzlosen

    bilden, mssen vom Staat in besondere Obhut genommen werden.

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    30. Doch es sind hier noch einzelne Momente besonders zu betonen. Das erste ist,da die ffentliche Autoritt durch entschiedene Maregeln das Recht und dieSicherheit des privaten Besitzes gewhrleisten mu.

    .

    Die Bewegung der Masse, wenn in ihr die Gier nach fremder Habe erwacht, mu mit

    Kraft gezgelt werden. Ein Streben nach Verbesserung der eigenen Lage ohneungerechte Schdigung anderer tadelt niemand, aber auf Aneignung fremden Besitzesausgehen, und dies unter dem trichten Vorgeben, es msse eine Gleichmachung inder Gesellschaft erfolgen, das ist ein Angriff auf die Gerechtigkeit und auf dasGemeinwohl zugleich.

    .

    Ohne Zweifel zieht es der allergrte Teil der Arbeiter vor, durch ehrliche Arbeit und

    ohne Beeintrchtigung des Nchsten sich zu einer besseren Stellung zu erschwingen.

    .

    Aber zahlreich sind auch die Unruhestifter, die Verbreiter falscher Ideen, denen jedesMittel recht ist, um einen Umsturz vorzubereiten und das Volk zur Gewaltttigkeit zuverleiten. Es mu also die Staatsgewalt dazwischentreten, dem Hetzen Einhaltgebieten, die friedliche Arbeit vor der Verfhrung und Aufreizung schtzen, denrechtmigen Besitz gegen den Raub sicherstellen.

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    31. Nicht selten greifen die Arbeiter zu gemeinsamer Arbeitseinstellung, wenn ihnendie Anforderungen zu schwer, die Arbeitsdauer zu lang, der Lohnsatz zu geringerscheint. Dieses Vorgehen, das in der Gegenwart immer hufiger wird und immerweiteren Umfang annimnnt, fordert die ffentliche Gewalt auf, dagegen Abhilfe zuschaffen; denn die Ausstnde gereichen nicht blo den Arbeitgebern mitsamt den

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    Arbeitern zum Schaden, sie benachteiligen auch empfindlich Handel und Industrie,berhaupt den ganzen ffentlichen Wohlstand. Auerdem geben sie erfahrungsmighufig Anla zu Gewaltttigkeiten und Unruhen und stren so den Frieden im Staate.

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    Demgegenber ist diejenige Art der Abwehr am wirksamsten und heilsamsten,welche durch entsprechende Anordnungen und Gesetze dem bel zuvorzukommentrachtet und sein Entstehen hindert durch Beseitigung jener Ursachen, die denKonflikt zwischen den Anforderungen der Arbeitsherren und der Arbeiterherbeizufhren pflegen.

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    32. Der Staat ist ferner den Arbeitern in mehrfacher praktischer Richtung einenSchutz schuldig, und zwar zunchst in Hinsicht ihrer geistigen Gter.

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    Ist auch das irdische Leben frwahr ein Gut, das aller Sorge wert ist, so besteht dochin ihm nicht das hchste uns gesetzte Ziel. Es hat nur als Weg, als Mittel zurErreichung des Lebens der Seele zu gelten. Dieses Leben der Seele ist Erkenntnis derWahrheit und Liebe zum Guten. In die Seele ist das erhabene Ebenbild des Schpferseingedrckt, und in ihr thront jene hohe Wrde des Menschen, kraft deren er ber dieniedrigen Naturwesen zu herrschen und Erde und Meer sich dienstbar zu machen

    berufen ist. "Erfllet die Erde und unterwerfet sie, und herrschet ber die Fische desMeeres und die Vgel des Himmels und alle Tiere, die sich bewegen auf der Erde."(28)

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    Unter dieser Rcksicht sind alle Menschen gleich; kein Unterschied derMenschenwrde zwischen reich und arm, Herr und Diener, Frst und Untertan, "dennderselbe ist der Herr aller" (29) .

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    Keine Gewalt darf sich ungestraft an der Wrde des Menschen vergreifen, da doch

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    Gott selbst "mit groer Achtung", wie es heit, ber ihn verfgt;

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    keine Gewalt darf ihn auf dem Wege christlicher Pflicht und Tugend, der ihn zumewigen Leben im Himmel fhren soll, zurckhalten. Ja, der Mensch besitzt nichteinmal selbst die Vollmacht, auf die hierzu ntige Freiheit Verzicht zu leisten und sichder Rechte, die seine Natur verlangt, zu begeben; denn nicht um Befgnisse, die inseinem Belieben stehen, handelt es sich, sondern um unausweichliche, ber allesheilig zu haltende Pflichten gegen Gott.

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    Hiermit ist die Grundlage der pflichtmigen Sonntagsruhe bezeichnet.

    .

    Die Sonntagsruhe bedeutet nicht soviel wie Genu einer trgen Unttigkeit. Nochweniger besteht sie in der Freiheit von Regel und Ordnung, und sie ist nicht dazu da,wozu sie manchen erwnscht ist, nmlich um Leichtsinn und Ausgelassenheit zu

    begnstigen oder um Gelegenheit zu berflssigen Ausgaben zu schaffen. Sie ist

    vielmehr eine durch die Religion geheiligte Ruhe von der Arbeit.

    .

    Die religis geweihte Ruhe enthebt den Menschen den Geschften des tglichenLebens, der Last gewohnter Arbeit, um ihn aufzurufen zu Gedanken an die Gter desJenseits und zu den Pflichten der Gottesverehrung. Das ist die Natur, das die Ursacheder Sonntagsruhe. Das hat Gott im Alten Testamente eindringlich durch das Gebot

    bekrftigt: "Gedenke, da du den Sabbath heiligest" (30) , und diesen Charakterverlieh er dieser Ruhe, da er in seiner eigenen geheimnisvollen Ruhe nach derErschaffung des Menschen das Vorbild gab: "Er ruhte am siebten Tage von jedemWerke, das er geschaffen hatte" (31) .

    .

    .

    33. Was sodann den Schutz der irdischen Gter des Arbeiterstandes angeht, so ist vorallem jener unwrdigen Lage ein Ende zu machen, in welche derselbe durch den

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    Eigennutz und die Hartherzigkeit von Arbeitgebern versetzt ist, welche die Arbeitermalos ausbeuten und sie nicht wie Menschen, sondern als Sachen behandeln.

    .

    Die Gerechtigkeit und die Menschlichkeit erheben Einspruch gegenArbeitsforderungen von solcher Hhe, da der Krper unterliegt und der Geist sichabstumpft.

    .

    Wie im Menschen alles seine Grenzen hat, so auch die Leistungsfhigkeit bei der

    Arbeit, und ber die Schranken des Vermgens kann man nicht hinausgehen. DieArbeitskraft steigert sich freilich bei bung und Anpassung, aber nur dann versprichtsie die wirklich zukmmliche Leistung, wenn zur rechten Zeit fr Unterbrechung undRuhe gesorgt ist. In bezug auf die tgliche Arbeitszeit mu also der Grundsatz gelten,da sie nicht lnger sein darf, als es den Krften der Arbeiter entspricht Wie lange dieRuhe aber dauern msse, das richtet sich nach der Art der Arbeit, nach Zeit und Ort,nach den krperlichen Krften. Berg- und Grubenarbeiten erfordern offenbar grereAnstrengung als andere und sind mehr gesundheitsschdlich; fr sie mu also einekrzere Durchschnittszeitdauer angesetzt werden. Ebenso sind gewisse Arbeiten in

    der einen Jahreszeit leicht zu leisten, zu einer andern Jahreszeit aber gar nicht odernur mit groen Schwierigkeiten ausfhrbar.

    .

    Endlich was ein erwachsener, krftiger Mann leistet, dazu ist eine Frau oder ein Kindnicht imstande.

    .

    Die Kinderarbeit insbesondere erheischt die menschenfreundlichste Frsorge. Eswre nicht zuzulassen, da Kinder in die Werkstatt oder Fabrik eintreten, ehe Leibund Geist zur gehrigen Reife gediehen sind. Die Entfaltung der Krfte wird in den

    jungen Wesen durch vorzeitige Anspannung erstickt, und ist einmal die Blte deskindlichen Alters gebrochen, so ist es um die ganze Entwicklung in traurigster Weisegeschehen.

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    Ebenso ist durchaus zu beachten, da manche Arbeiten weniger zukmmlich sind frdas weibliche Geschlecht, welches berhaupt fr die huslichen Verrichtungeneigentlich berufen ist.

    .

    Diese letztere Gattung von Arbeit gereicht dem Weibe zu einer Schutzwehr seinerWrde, erleichtert die gute Erziehung der Kinder und befrdert das husliche Glck.

    .

    Im allgemeinen aber ist daran festzuhalten, da den Arbeitern soviel Ruhe zu sichern

    sei, als zur Herstellung ihrer bei der Arbeit aufgewendeten Krfte ntig ist: denn dieUnterbrechung der Arbeit hat eben den Ersatz der Krfte zum Zwecke.

    .

    Bei jeder Verbindlichkeit, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitern eingegangenwird, ist ausdrcklich oder stillschweigend die Bedingung vorhanden, da dieobengenannte doppelte Art von Ruhe dem Arbeiter gesichert sei. Eine Vereinbarungohne diese Bedingung wre sittlich nicht zulssig, weil die Preisgabe von Pflichten

    gegen Gott und gegen sich selbst von niemand gefordert und von niemandzugestanden werden kann.

    .

    .

    34. Wir berhren im Anschlusse hieran eine Frage von sehr groer Wichtigkeit, beiwelcher viel auf richtiges Verstndnis ankommt, damit nicht nach der einen oder deranderen Seite hin gefehlt werde.

    .

    Da der Lohnsatz vom Arbeiter angenommen wird, so knnte es scheinen, als sei derArbeitgeber nach erfolgter Auszahlung des Lohnes aller weiteren Verbindlichkeitenenthoben. Man knnte meinen, ein Unrecht lge nur dann vor, wenn entweder derLohnherr einen Teil der Zahlung zurckbehalte oder der Arbeiter nicht dievollstndige Leistung verrichte, und einzig in diesen Fllen sei fr die Staatsgewaltein gerechter Grund zum Einschreiten vorhanden, damit nmlich jedem das Seine

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    zuteil werde.

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    Indes diese Schlufolgerung kann nicht vollstndigen Beifall finden; derGedankengang weist eine Lcke auf, indem ein wesentliches, hierher gehrigesMoment bergangen wird.

    Es ist das folgende: Arbeiten heit, seine Krfte anstrengen zur Beschaffung derirdischen Bedrfnisse, besonders des notwendigen Lebensunterhaltes "Im Schweiedeines Angesichtes sollst du dein Brot essen" (32) . Zwei Eigenschaften wohnendemzufolge der Arbeit inne: sie ist persnlich, insofern die bettigte Kraft und

    Anstrengung persnliches Gut des Arbeitenden ist; und sie ist notwendig, weil sie denLebensunterhalt einbringen mu und eine strenge natrliche Pflicht die Erhaltung desDaseins gebietet.

    .

    Wenn man nun die Arbeit lediglich, soweit sie persnlich ist, betrachtet, wird mannicht in Abrede stellen knnen, da es im Belieben des Arbeitenden steht, in jedenverringerten Ansatz des Lohnes einzuwilligen; er leistet eben die Arbeit nach

    persnlichem Entschlu und kann sich auch mit einem geringen Lohne begngenoder gnzlich auf denselben verzichten. Anders aber stellt sich die Sache dar, wennman die andere, unzertrennliche Eigenschaft der Arbeit mit in Erwgung zieht, ihre

    Notwendigkeit. Die Erhaltung des Lebens ist heilige Pflicht eines jeden. Hat demnachjeder ein natrliches Recht, den Lebensunterhalt zu finden, so ist hinwieder derDrftige hierzu allein auf die Hndearbeit notwendig angewiesen.

    .

    Wenn also auch immerhin die Vereinbarung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber,insbesondere hinsichtlich des Lohnes, beiderseitig frei geschieht, so bleibt dennocheine Forderung der natrlichen Gerechtigkeit bestehen, die nmlich, da der Lohnnicht etwa so niedrig sei, da er einem gengsamen, rechtschaffenen Arbeiter denLebensunterhalt nicht abwirft. Diese schwerwiegende Forderung ist unabhngig vondem freien Willen der Vereinbarenden.

    .

    Gesetzt, der Arbeiter beugt sich aus reiner Not oder um einem schlimmeren Zustande

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    zu entgehen, den allzu harten Bedingungen, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrnoder Unternehmer auferlegt werden, so heit das Gewalt leiden, und dieGerechtigkeit erhebt gegen einen solchen Zwang Einspruch.

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    Damit aber in solchen Fragen wie diejenige der tglichen Arbeitszeit dieverschiedenen Arbeitsarten, und diejenige der Schutzmaregeln gegen krperlicheGefhrdung, zumal in Fabriken, die ffentliche Gewalt sich nicht in ungehrigerWeise einmische, so erscheint es in Anbetracht der Verschiedenheit der zeitlichen undrtlichen Umstnde durchaus ratsam, jene Fragen vor die Ausschsse zu bringen, vondenen Wir unten nher handeln werden, oder einen andern Weg zur Vertretung der

    Interessen der Arbeiter einzuschlagen, je nach Erfordernis unter Mitwirkung undLeitung des Staates.

    .

    .

    35. Gewinnt der Arbeiter einen gengenden Lohn, um sich mit Frau und Kindanstndig zu erhalten, ist er zugleich weise auf Sparsamkeit bedacht, so wird er es,

    wozu die Natur selbst anzuleiten scheint, auch dahin bringen, da er einenSparpfennig zurcklegen und zu einer kleinen Habe gelangen kann.

    .

    Will man zu irgendeiner wirksamen Lsung der sozialen Frage gelangen, so ist unterallen Umstnden davon auszugehen, da das Recht auf persnlichen Besitz unbedingthochgehalten werden mu.

    .

    Der Staat mu dieses Recht in seiner Gesetzgebung begnstigen und nach Krftendahin wirken, da mglichst viele aus den Staatsangehrigen eine eigene Habe zuerwerben trachten.

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    Ein solcher Zustand wrde von betrchtlichen Vorteilen begleitet sein. Dahin gehrtzuerst eine der Billigkeit mehr entsprechende Verteilung der irdischen Gter.

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    Es ist eine Folge der Umgestaltung der brgerlichen Verhltnisse, da dieBevlkerung der Stdte sich in zwei Klassen geschieden sieht, die eine ungeheureKluft voneinander trennt. Auf der einen Seite eine berreiche Partei, welche Industrieund Markt vllig beherrscht, und weil sie Trger aller Unternehmungen, Nerv allergewinnbringenden Ttigkeit ist, nicht blo sich pekunir immer strker bereichert,sondern auch in staatlichen Dingen zu einer einflureichen Beteiligung mehr undmehr gelangt. Auf der andem Seite jene Menge, die der Gter dieses Lebensentbehren mu und die mit Erbitterung erfllt und zu Unruhen geneigt ist.

    .

    Wenn nun diesen niederen Klassen Antrieb gegeben wird, bei Flei und Anstrengungzu einem kleinen Grundbesitze zu gelangen, so mte allmhlich eine Annherungder Lage beider Stnde stattfinden; es wrden die Gegenstze von uerster Armutund aufgehuftem Reichtum mehr und mehr verschwinden.

    .

    Es wrde dabei zugleich der Reichtum der Bodenerzeugnisse ohne Zweifelgewinnen. Denn bei dem Bewutsein, auf Eigentum zu arbeiten, arbeitet man ohneZweifel mit grerer Betriebsamkeit und Hingabe; man schtzt den Boden indemselben Mae, als man ihm Mhe opfert; man gewinnt ihn lieb, wenn man in ihmdie versprechende Quelle eines kleinen Wohlstandes fr sich und die Familie erblickt.

    .

    Es liegt also auf der Hand, wieviel der Ertrag, wie viel der Gesamtwohlstand desVolkes gewinnen wrde.

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    Als dritter Vorteil ist zu nennen die Strkung des Heimatgefhles, der Liebe zumBoden, welcher die Sttte des elterlichen Hauses, der Ort der Geburt und Erziehunggewesen. Sicher wrden viele Auswanderer, die jetzt in der Ferne eine andere Heimatsuchen, die bleibende Ansssigkeit zu Hause vorziehen, wenn die Heimat ihnen eineertrgliche materielle Existenz darbte.

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    Obige Vorteile werden jedoch offenbar dann nicht gewonnen, wenn der Staat seinen

    Angehrigen so hohe Steuern auferlegt, da dadurch das Privateigentum aufgezehrtwird.

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    Denn da das Recht auf Privatbesitz nicht durch ein menschliches Gesetz, sonderndurch die Natur gegeben ist, kann es der Staat nicht aufheben, sondern nur seineHandhabung regeln und mit dem allgemeinen Wohl in Einklang bringen. Es ist alsogegen Recht und Billigkeit, wenn der Staat vom Vermgen der Untertanen einen

    bergroen Anteil als Steuer entzieht.

    .

    .

    36. Endlich knnen und mssen aber auch die Arbeitgeber und die Arbeiter selbst zueiner gedeihlichen Lsung der Frage durch Manahmen und Einrichtungenmitwirken, die den Notstand mglichst heben und die eine Klasse der andern

    nherbringen helfen.

    Hierher gehren

    Vereine zur gegenseitiger Untersttzung, private Veranstaltungen zur Hilfeleistung fr den Arbeiter und seine Familie

    bei pltzlichem Unglck, in Krankheits- und Todesfllen, Einrichtungen zum Schutz fr Kinder, jugendliche Personen oder auch

    Erwachsene.

    Den ersten Platz aber nehmen in dieser Hinsicht die Arbeitervereinigungen ein, unterderen Zweck einigermaen alles andere Genannte fllt.

    .

    In der Vergangenheit haben die Korporationen von Handwerkern lange Zeit einegedeihliche Wirksamkeit entfaltet. Sie brachten nicht blo ihren Mitgliedernerhebliche Vorteile, sondern trugen auch viel bei zur Entwicklung und zur Ehre desHandwerkes, wie die Geschichte dessen Zeuge ist. In einer Zeit wie der unsrigen mit

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    ihren genderten Lebensgewohnheiten knnen natrlich nicht die alten Innungen inihrer ehemaligen Gestalt wieder ins Leben gerufen werden; die neuen Sitten, derFortschritt in Wissenschaft und Bildung, die gesteigerten Lebensbedrfnisse, alles

    stellt andere Anforderungen. Es ist notwendig, da die Vereinigungen der Arbeitersich nach den neuen Verhltnissen einrichten.

    .

    Sehr erfreulich ist es, da in unserer Zeit mehr und mehr Vereinigungen jener Artentstehen, sei es, da sie aus Arbeitern allein oder aus Arbeitern und Arbeitgebernsich bilden, und man kann nur wnschen, da sie an Zahl und an innerer Kraftzunehmen. Obgleich Wir schon wiederholt von den Arbeitervereinen gesprochen

    haben, wollen Wir doch an dieser Stelle eingehender ihre Zeitgemheit undBerechtigung darlegen, indem Wir damit das Ntige ber ihre Einrichtung und dievon ihnen festzuhaltenden Ziele verbinden.

    .

    .

    37. Es ist die Beschrnktheit der eigenen Krfte, die den Menschen stets von selbst

    dazu antreibt, sich mit andern zu gegenseitiger Hilfe und Untersttzung zu verbinden."Es ist besser, da zwei zusammen seien, als da einer allein stehe; sie haben denVorteil ihrer Gemeinschaft. Fllt der eine, so wird er vom andern gehalten. Wehe demVereinzelten! Wenn er fllt, so hat er niemand, der ihn aufrichtet"(33) . So das Wortder Heiligen Schrift. Und wiederum: "Der Bruder, der vom Bruder untersttzt wird,ist gleich einer festen Stadt" (34) .

    .

    Wie also dieser natrliche Zug zur Gemeinschaft den Menschen zum staatlichenZusammenleben fhrt, so treibt er ihn auch zu den verschiedensten Vereinigungenmit andern Menschen. Wenngleich es nur kleine und keine vollkommenenGesellschaften sind, die durch solche Vereinigungen entstehen, so sind es doch wahreGesellschaften.

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    Zwischen ihnen und der groen staatlichen Gesellschaft besteht ein mannigfacherUnterschied. Der Zweck des Staates umfat alle Einwohner, denn er geht auf die

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    allgemeine ffentliche Wohlfahrt, deren Vorteile alle zu genieen das Recht haben;

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    und der Staat wird eben darum als das "Gemeinwesen" bezeichnet, weil indemselben, um mit dem hl. Thomas zu sprechen, "die Menschen sich vereinigen, umeine Gemeinschaft zu bilden" (35) .

    .

    Jene Gesellschaften hingegen, die sich im Schoe des Staates bilden, heien private,weil ihr nchster Zweck der private Nutzen, nmlich der Nutzen ihrer Mitglieder, ist.

    .

    "Eine private Gesellschaft", sagt der hl. Thomas, "ist jene, welche ein privates Zielverfolgt; eine solche ist z.B. vorhanden, wenn zwei oder drei sich zur Durchfhrungeines Handelsgeschftes verbinden" (36) .

    .

    .

    38. Wenngleich nun diese privaten Gesellschaften innerhalb der staatlichenGesellschaft bestehen und gewissermaen einen Teil von ihr bilden, so besitzt derStaat nicht schlechthin die Vollmacht, ihr Dasein zu verbieten. Sie ruhen auf derGrundlage des Naturrechtes; das Naturrecht aber kann der Staat nicht vernichten, seinBeruf ist es vielmehr, dasselbe zu schtzen.

    .

    Verbietet ein Staat dennoch die Bildung solcher Genossenschaften, so handelt ergegen sein eigenes Prinzip, da er ja selbst, ganz ebenso wie die privatenGesellschaften unter den Staatsangehrigen, einzig aus dem natrlichen Trieb desMenschen zu gegenseitiger Vereinigung entspringt.

    .

    Allerdings ist in manchen einzelnen Fllen die staatliche Gewalt vollauf berechtigt,gegen Vereine vorzugehen; so wenn sie sich zu Zielen bekennen, die offenkundig

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    gegen Recht und Sittlichkeit oder sonstwie gegen die ffentliche Wohlfahrt gerichtetsind.

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    Steht dem Staat die Befugnis zu, die Bildung solcher Vereine zu verhindern undbestehende aufzulsen, so liegt es ihm andererseits sehr strenge ob, jeden Schein desEingriffs in die Rechte der Brger zu unterlassen. Der Vorwand des ntigen Schutzesfr die ffentlichen Interessen darf ihn auf keine Weise zu Schritten verleiten, dienicht auf vernnftigem Grunde beruhen. Denn staatliche Gesetze und Anordnungen

    besitzen inneren Anspruch auf Gehorsam nur, insofern sie der richtigen Vernunft unddamit dem ewigen Gesetze Gottes entsprechen (37) .

    .

    .

    39. Wir gedenken hier der mannigfachen Genossenschaften, Vereine und geistlichenOrden, welche auf dem Boden der Kirche entsprossen sind, Grndungen der Kircheund der frommen Gesinnung ihrer Kinder. Wie viel Segen sie gebracht haben, davonist die Vergangenheit bis auf unsere Tage Zeuge. Der sittliche Charakter ihres

    Zweckes sagt schon der bloen Vernunft, da sie, auf dem Naturrecht grndend, einnatrliches und unbestreitbares Recht des Bestandes haben.

    .

    Insoweit sie aber die Religion berhren, hat ausschlielich die Kirche ber sie zuverfgen. Die Regierungen besitzen keinerlei Recht ber sie und sind auch nicht

    bevollmchtigt, ihre uere Verwaltung an sich zu ziehen; sie sind ihnen im Gegenteilden Tribut der Achtung und des Schutzes schuldig; sie haben die Pflicht, frdieselben einzutreten, um gegebenenfalls Unrecht von ihnen abzuwehren.

    .

    Leider haben Wir indessen, namentlich in letzter Zeit, ganz andere Dinge geschehensehen.

    .

    An vielen Orten ist die staatliche Obrigkeit gegen jene Korporationen mit

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    ungerechten und verletzenden Maregeln vorgegangen; sie hat die Freiheit derselbendurch gehssige Gesetzesbestimmungen eingeschrnkt, hat ihnen Stellung undRechte einer juristischen Person entzogen, hat sie schnde ihres Vermgens beraubt.

    Auf das Vermgen besa aber nicht blo die Kirche unveruerliche Rechte, sondernauch die Mitglieder, ferner die Stifter und Wohltter, welche ihre Beitrge fr jenefrommen Zwecke bestimmt hatten, und endlich diejenigen, fr deren Bestes dieStiftungen geschaffen waren. Deshalb knnen Wir Uns nicht enthalten, gegen jeneungerechten und verderblichen Beraubungen Beschwerde zu erheben.

    .

    Hierbei ist insbesondere dies ein betrbender Umstand, da den friedlichen und

    allseitig ntzlichen Vereinigungen von Katholiken der Weg verlegt wird zu gleicherZeit, wo man verkndet, da Vereinsfreiheit ein allgemeines gesetzliches Gut sei, undwo ihr Gebrauch religionsfeindlichen und staatsgefhrlichen Verbindungen imweitesten Umfange gestattet wird.

    .

    .

    40. Die verschiedensten Genossenschaften und Vereinigungen treten In unserer Zeit,zumal in den Arbeiterkreisen, in viel grerer Zahl auf als frher. Woher mancheihren Ursprung nehmen, wohin sie zielen, auf welchem Wege sie vorangehen, das isthier nicht zu untersuchen.

    .

    Aber Wir mssen auf die allgemeine, durch Tatsachen gesttzte Meinung hinweisen,da sie vielfach einer einheitlichen geheimen Leitung gehorchen und Einrichtungenhaben, die dem Wohle der Religion und des Staates nicht entsprechen; da sie daraufausgehen, ein gewisses Arbeitsmonopol an sich zu reien und die charakterfestenArbeiter, die den Beitritt ablehnen, in Not und Elend bringen.

    .

    Damit sehen sich christlich gesinnte Arbeiter vor die Wahl gestellt, entwederMitglieder von Bnden zu werden, die ihrer Religion Gefahr bringen, oder aberihrerseits Vereine zu grnden, um mit gemeinsamen Krften gegen jenes schmhlicheSystem der Unterdrckung anzukmpfen. Jeder, der nicht die hchsten Gter der

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    Menschheit aufs Spiel gesetzt sehen will, mu das letztere als hchst zeitgem undwnschenswert betrachten.

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    41. In klarer Erkenntnis der Forderungen der Zeit beschftigt sich eine Reihekatholischer Mnner mit dem Studium der sozialen Frage, und sie verdienen dashchste Lob fr die Hingebung, mit welcher sie die Mittel aufsuchen und erproben,durch welche die Besitzlosen nach und nach in eine bessere Lage versetzt werdenknnen.

    .

    Wir sehen sie des herrschenden belstandes und der materiellen Stellung derFamilien und der einzelnen sich annehmen. Sie arbeiten dahin da in dergegenseitigen Verbindlichkeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Billigkeitund Gerechtigkeit zur Geltung kommen. Sie suchen in anerkennenswerter Weise bei

    beiden Teilen das Gefhl der lfflicht und den Gehorsam gegen die Vorschriften desheiligen Evangeliums zu krftigen; diese gttlichen Vorschriften sind es ja, welche

    der Genusucht und der Unmigkeit mit Macht Grenzen ziehen und bei allerUngleichheit der gesellschaftlichen Stnde eine friedliche Wechselbeziehungzwischen denselben aufrechterhalten.

    .

    Treffliche Mnner vereinigen sich zu Versammlungen, um das Vorgehen zugunstender Arbeiter zu beraten und die sich ergebenden schwierigen Fragen einer Lsungnherzubringen. Anderwrts ist das lbliche Bestreben wach geworden, Handwerkerund Arbeiter in Vereinen zu organisieren und sie mit Rat und Tat zu untersttzen,auch in der Richtung, da ihnen eine dauernde und eintrgliche Arbeit gesichert sei.

    .

    Die Bischfe aber eifern diese ganze Ttigkeit an und bieten ihr einen Rckhalt mitihrer Autoritt. Im Namen der Bischfe beteiligen sich Mitglieder des WeltundOrdensklerus an der Leitung der Vereine nach ihrer geistigen Seite. Es fehlt auchnicht an reichen Katholiken, die sich mit Gromut zu Gnnern und Genossen desarbeitenden Standes machen, und die fr die Errichtung und Ausbreitung von

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    Vereinen ansehnliche Geldrnittel auswerfen;

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    sie verhelfen damit dem Arbeiter, welcher teilnimmt, zu einem regelmigen undausreichenden Unterhalt, ja versetzen ihn in die Mglichkeit, fr das Alter sich einkleines Vermgen zurckzulegen, das ihr der Sorge enthebt. Es braucht nicht gesagtzu werden, welchen Nutzen bisher schon diese vielfache und eifrige Ttigkeitgeschaffen hat. Wir nhren im Hinblick darauf die besten Hoffnungen fr dieZukunft, wenn anders diese Vereine sich an Zahl vermehren, und wenn sie weiseorganisiert werden.

    .

    Der Staat sollte ihnen seine schtzende Hand leihen, aber in ihre innerenAngelegenheiten nicht eingreifen; fremdartige Eingriffe gereichen sehr leicht einemLeben, das von innen, vom eigenen Prinzip ausgehen mu, zur Zerstrung..

    .

    .

    42. Umsicht und Weisheit sind hier aufzuwenden zur Erhaltung der notwendigeninnern Einheit und Harmonie.

    .

    Wenn also das Vereinsrecht ein Recht der Staatsbrger ist, wie es tatschlich der Fall,so mssen auch jene Vereine ungehindert ihre Statuten und Einrichtungen demZwecke entsprechend gestalten drfen. Es ist unmglich, die Einrichtungen dergedachten Vereine in einer fr alle geltenden Form vorzuzeichnen; dazu hngen siezu sehr vom Volkscharakter, von den Erfahrungen, von der wirtschaftlichenEntwicklung, von der Art und Eintrglichkeit der verschiedenen Arbeiten, endlichvon manchen anderen Umstnden ab, die in Erwgung zu ziehen sind. Vor allemkommt es darauf an, bei Grndung und Leitung dieser Vereine ihren Zweck im Augezu behalten und demselben die Statuten und alle Ttigkeit dienstbar zu machen;Zweck aber ist die Hebung und Frderung der leiblichen und geistigen Lage derArbeiter.

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    Das religise Element mu dem Verein zu einer Grundlage seiner Einrichtungenwerden.

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    Die Religiositt der Mitglieder soll das wichtigste Ziel sein, und darum mu derchristliche Glaube die ganze Organisation durchdringen.

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    Andernfalls wrde der Verein in Blde sein ursprngliches Geprge einben; er

    wrde nicht viel besser sein als jene Bnde, die auf die Religion keine Rcksicht zunehmen pflegen. Was ntzt es aber dem Arbeiter, fr seine irdische Wohlfahrt nochsoviel Vorteile vom Verein zu gewinnen, wenn aus Mangel an geistiger Nahrungseine Seele in Gefahr kommt?

    .

    "Was ntzt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner SeeleSchaden leidet?" (38) Christus der Herr hat ein unterscheidendes Merkmal zwischen

    Heiden und Christen in den Worten aufgestellt; "Diesem allem gehen die Heidennach... Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dieses alles wirdeuch hinzugegeben werden" (39) .

    .

    Indem alle jene Vereine das Reich Gottes zum letzten Zielpunkt nehmen, sollen siedarauf bedacht sein, den religisen Unterricht der Arbeiter zu befrdern. DieUnwissenheit in Glaubenssachen, die wachsende Unkenntnis der Pflichten gegenGott und den Nchsten soll durch geeignete Unterweisungen bekmpft werden. Mansorge fr grndliche Aufklrung ber die Irrtmer der Zeit und ber die Trugschlsseder Glaubensfeinde, fr Belehrung und Warnung gegen die Lockmittel derVerfhrung. Man erwecke bei den Mitgliedern Hochschtzung der Frmmigkeit unddes Gottesdienstes; insbesondere halte man sie zur religisen Feier der Sonn- undFesttage an. Man lehre den Arbeiter, die Kirche Gottes als allgemeine Mutterverehren und lieben, ihre Gebote befolgen und die gttlichen Gnadenmittel ihrerSakramente, welche die Seele reinigen und das Gnadenleben erschlieen, ftersempfangen.

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    43. Hat der Verein in dieser Weise die Religion zum Fundament genommen, so istdamit schon eine Richtung gegeben fr die Festsetzung des gegenseitigenVerhltnisses der Vereinsgenossen, und die Folge ist ein eintrchtigesZusammenleben und das Gedeihen der Sache.

    .

    Dem Zweck entsprechend sind die mter so zu verteilen, da nicht ein zu groer

    Abstand der Personen und Interessen die Eintracht gefhrde. Auch soll man streben,alle Klagen wegen Beeintrchtigung von Mitgliedern abzuschneiden durch klare undeinsichtige Vorzeichnung des Geschftskreises, Die gemeinsame Kasse werdegewissenhaft verwaltet.

    .

    Die dem einzelnen zu gewhrende Hilfe bestimme man nach dem wahrenBedrfnisse. Als Ziel gelte stets das gesunde Verhltnis zwischen Arbeitern und

    Lohnherren in bezug auf Rechte und Pflichten.

    .

    Zur Erledigung von Beschwerden der einen und der andern Seite sollten Ausschsseaus unbescholtenen und erfahrenen Mnnern derselben Vereinigung gebildet werdenmit einer durch die Statuten gewhrleisteten Geltung ihres Schiedsspruches.

    .

    Ein Hauptbemhen hat dahin zu gehen, da es den Mitgliedern nie an Arbeit fehle,und da eine gemeinsame Kasse vorhanden sei, aus welcher den einzelnen dieUntersttzungen zuflieen bei Arbeitsstockungen, in Krankheit, im Alter und beiUnglcksfllen.

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    Wofern derlei Bestimmungen entgegenkommend gehandhabt werden, wird gewimanches zur Besserung der Lage des drftigeren Teiles erreicht sein, und ohne

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    Zweifel werden die katholischen Arbeiterverbnde einen krftigen Hebel zurFrderung der ffentlichen Wohlfahrt abgeben knnen.

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    Die Vergangenheit gestattet in mancher Hinsicht auch auf unserem Gebiete einenBlick in die Zukunft. Es wiederholen sich die gleichen Erscheinungen bei allemWechsel der Zeiten und der Vlker oft mit wunderbarer hnlichkeit, weil derWeltlauf der Vorsehung Gottes untergeordnet ist, welche nach ewigem Plane alleDinge ihrem hchsten Zwecke anbequemt und dienstbar macht.

    .

    Bekannt ist, da dem Christentum in den ersten Jahrhunderten der Vorwurfentgegengehalten wurde, seine Anhnger seien meist nur arme Leute, die vonHndearbeit lebten. Indessen diese Armen, diese Verachteten errangen allmhlich dieGunst der Reichen und Mchtigen.

    .

    Sie boten der Welt ein Schauspiel der Arbeitsamkeit, der Friedfertigkeit, aller

    Rechtschaffenheit und zumal der brderlichen Liebe. Gegenber diesem beredtenZeugnisse ihres Wandels schwanden die Vorurteile, verstummten die gehssigenAnklagen, und der heidnische Unglaube mute sich vor dem aufstrahlenden Lichteder christlichen Wahrheit nach und nach zurckziehen.

    .

    .

    44. In der Gegenwart ist die Lage der Arbeiter Gegenstand vielfachen Streites. Dadieser Streit eine friedliche und gesetzmige Lsung finde, liegt nach beiden Seitenhin im hchsten Interesse des Staates. Die Frage wird aber durch die christlichgesinnten Arbeiter einer richtigen Lsung nhergefhrt werden, wenn diese in gutorganisierten Vereinigungen und unter weiser Fhrung denselben Weg einschlagen,welchen die Christen im Altertum der heidnischen Welt gegenber zu ihrem eigenenHeil und dem der Gesellschaft eingehalten haben.

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    Denn so stark auch die Macht des Vorurteils und der Leidenschaft ist, so wirddennoch berall, wo nicht ein verderbter Wille das Gefhl fr Recht und Wahrheitabgestumpft hat, die ffentliche Gunst sich Mnnern zuwenden, welche Flei und

    Migung auf ihre Fahne geschrieben haben; man wird gerne fr Arbeiter Parteiergreifen, denen Billigkeit ber den Gewinn und ernste Plichttreue ber alle andemRcksichten geht.

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    Die Verbreitung dieser Arbeiterverbnde wrde auch denjenigen Arbeitern zugutekommen und ihre Rckkehr zu besserer Gesinnung erleichtern, welche Glauben oderSittlichkeit darangegeben haben.

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    Auch sie erkennen oft genug, da falsche Hoffnung und trgerischer Schein sietuschte; sie fhlen es, wie hart sie von geldgierigen Herren behandelt, und da sienur nach der Hhe des Gewinnes, den sie ihnen bringen, gewertet werden.

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    Es ist ihnen nicht verborgen, da in den Verbnden, denen sie sich angeschlossenhaben, an Stelle gegenseitiger Achtung und Liebe innere Zwietracht herrscht, die jaimmer im Gefolge der gewissenlosen und glaubenslosen Armut auftritt.

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    Wie gar viele dieser Unglcklichen, die krperlich gebrochen und geistig entmutigtsind, mchten solch erniedrigender Knechtschaft entrinnen; sie wagten es aber nicht,sei es, da sie die Scham oder die Furcht vor Armut zurckhlt.

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    Diesen allen nun knnten die katholischen Arbeiterverbnde groe Hilfe bringen,wenn sie nmlich die Schwankenden zur Erleichterung ihrer schwierigen Lage in ihreGemeinschaft einladen und den Zurckkehrenden Schutz und brderliche Teilnahmeerweisen wrden.

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  • 8/2/2019 Enzyk