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1 Epidemiologie und Surveillance von Infektionskrankheiten Tagungsdokumentation der NRW Infektionstage lögd: Wissenschaftliche Reihe • Band 10

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Epidemiologie undSurveillance von

Infektionskrankheiten

Tagungsdokumentation der

NRW Infektionstage

lögd: Wissenschaftliche Reihe • Band 10

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Impressum

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HerausgeberLandesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienstdes Landes Nordrhein-Westfalen (lögd)Leiter: Dr. Helmut BrandWesterfeldstr. 35 - 37D-33611 BielefeldTel.: 05 21/80 07-0Fax: 05 21/80 07-2 00

Druck und Verlag:lögd, Bielefeld, 2001

RedaktionDr. Ralf Reintjes

Redaktionelle BearbeitungBerutha Bentlage

Nachdruck und Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung des Landesinstitutes.

ISBN: 3-88139-104-5

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Inhalt

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5

GrußwortProf. Harrison Spencer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9

Infektionskrankheiten weltweitDie Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Infektionskrankheiten-Surveillance und Epidemiologie weltweitDr. Thomas Grein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11

Netzwerke für epidemiologische Überwachung und Kontrolleübertragbarer Krankheiten in EuropaDr. Julius Weinberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30

Die Rolle der klassischen sexuell übertragbaren Krankheitenbei der HIV-Übertragung und Kontrolle von HIV-Epidemien: Vorliegende Tatsachen und gegenwärtiger DiskussionsstandDr. Heiner Grosskurth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43

Infektiologie in NRWDr. Manfred Zieger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67

Surveillance von InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten-Surveillance in NRWDr. Horst-G. Baumeister, Dr. Ralf Reintjes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .71

Rechtliche Grundlagen der Infektions-Surveillance in DeutschlandDr. Hans J. Boschek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77

Ausbruch-ManagementAusbruchuntersuchungen: Methoden und BeispieleDr. Ralf Reintjes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .91

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Inhalt

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Zwei Ausbrüche von Trichinellose in Nordrhein-Westfalen (NRW), Oktober - Dezember 1998Dr. Gabriele Sinn u.a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .111

Erfahrungen bei einem Meningokokkenausbruch – Möglichkeitendes Umgangs mit den Besorgnissen der BevölkerungDr. Karl-Heinz Feldhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121

ZusammenfassungDr. Ralf Reintjes, Dr. Helmut Brand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .129

AnhangAutoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131

lögd:Wissenschaftliche Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .133

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Einleitung

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Einleitung

Dr. Helmut Brand, lögd

Die Zahl der bekannten Infektionskrank-heiten nimmt ständig zu. In den letztendreißig Jahren wurden beinahe dreißigneue Erreger identifiziert [Kistemann &Exner 2000]. Gefahren gehen aber nichtnur von diesen neuen Erregern aus, son-dern auch von zuvor nie beobachteten Va-rianten lang bekannter Keime. Im Jahre1997 war etwa ein Drittel aller weltweitregistrierten Todesfälle durch Infektions-krankheiten bedingt [WHO 1998 c]. Auchin den industrialisierten Ländern habenInfektionskrankheiten hinsichtlich derMorbidität ihren Stellenwert behauptet und bedingen eine erhebliche gesundheits-ökonomische Belastung. Die durch Infektionskrankheiten verursachten Kostenwerden für die USA jährlich auf mehr als $ 120 Milliarden geschätzt [MMWR1998]. Häufig sind ökologische Veränderungen für den Wandel verantwortlich.Soziale und sanitäre Verhältnisse sind zwar nach wie vor ein entscheidender Fak-tor, doch Eingriffe in die Natur und angestammte Lebensräume gelten als wich-tigste Faktoren bei der Entsteheng neuer Reservoire von Erregern. Verstädterungund Slums fördern die Übertragung auf den Menschen. Hohe Mobilität und ver-ändertes Sexualverhalten begünstigen die weitere Ausbreitung und die Entstehungvon Seuchen. Maßgebende Bedeutung für den Schutz der Bevölkerung vor Infek-tionskrankheiten hat der Aufbau von Strukturen eines infektionsepidemiologi-schen Informations- und Kooperationsnetzwerkes, welches die Zusammenfüh-rung epidemiologischer Daten, deren wissenschaftliche Analyse sowie zielgerich-tete Interventionsmaßnahmen von lokaler bis hin zur EU-Ebene ermöglicht.Während in anderen Ländern, insbesondere in den USA, Großbritannien, den Nie-derlanden und den skandinavischen Staaten, derartige Strukturen in den vergan-

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Einleitung

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genen Jahrzehnten systematisch auf- und ausgebaut wurden, besteht in derBundesrepublik Deutschland ein erheblicher Nachholbedarf [Begründung IfSG].Sie wurde bis jetzt auch als epidemiologisches Entwicklungsland betrachtet[Flöhl 2000]. Mit der Einführung des neuen Infektionsschutzgesetzes als Teil des„Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneu-ordnungsgesetz – SeuchRNeuG)“ wird ein Neuaufbau der Infektionsepidemiolo-gie eingeleitet, der auch wegen der Umsetzung europäischen Rechts erforderlichgeworden ist. Das Europäische Parlament und der Rat haben bereits 1998 mit derEntscheidung 2119/98/EG die Schaffung eines Netzwerkes für die epidemiologi-sche Überwachung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaftbeschlossen [Europäisches Parlament und Rat der EU 1998]. Die Beteiligung derBundesrepublik an dem geplanten epidemiologischen Informationsnetz ist nursinnvoll, wenn die nationale und regionale Überwachung funktioniert [Flöhl2000]. Hierfür ist methodisches Wissen zu Surveillance von Infektionskrank-heiten entscheidend.

Um dieses Wissen zu fördern veranstaltete das Landesinstitut für den Öffent-lichen Gesundheitsdienst NRW am 04. und 05 November 1999 die ersten NRW-Infektionstage in Münster. Die Tagung wurde zusammen mit der London Schoolof Hygiene and Tropical Medicine organisiert, die im Jahr 1999 100 Jahre „im-proving health worldwide“ feiert und an der einige Deutsche im Public Health-Bereich ihre Ausbildung erhalten haben.

Mit dem Hauptthema „Surveillance von Infektionskrankheiten und die Kon-trolle von Ausbrüchen“ wurde ein wichtiger Problembereich angesprochen, derauch im Rahmen der Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes eine zentrale Rollespielen wird. Die vorliegende Tagungsdokumentation gibt den Inhalt der Beiträgewieder und soll eine vertiefende Beschäftigung mit den aktuellen Themen ermög-lichen. Wir hoffen, dass sowohl der mit den Themen vertraute Fachmann als auchderjenige, der sich zum ersten Mal mit der Problematik beschäftigende Interes-sierte eine Vertiefung seiner Kenntnisse erhalten wird.

Ich danke Herrn Dr. Reintjes und seinem Team für die Organisation dieserTagung und der London School of Hygiene and Tropical Medicine für die finan-zielle Unterstützung.

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Einleitung

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Literatur

Begründung IfSG (2000)Europäisches Parlament und Rat der EU (1998). Entscheidung Nr.

2119/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September1998 über die Schaffung eines Netzes für die epidemiologische Überwa-chung und die Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaft.Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L268/1 - L268/6

Flöhl R. (2000). Unterschätzte Infektionen. Frankfurter Allgemeine Zeitung,Mittwoch, 19. Januar 2000

Kistemann T, Exner M (2000). Bedrohung durch Infektionskrankheiten?Risikoeinschätzung und Kontrolstrategien. Deutsches Ärzteblatt; 97:A251-255

MMWR (1998). Preventing emerging infectious diseases: a strategy for the 21stcentruy. MMWR; 47:RR-15

WHO (1998) The World Health Report 1998 - Life in the 21st century. A visionfor all. Geneva

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Grußwort

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Grußwort

Professor Harrison SpencerDean, London School of Hygiene & Tropical Medicine

Zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass ich nicht persönlich oder über eineVideoleitung bei Ihnen sein kann. Leider konnte während meines momentanenUSA Aufenthaltes kein Ort mit entsprechender Technik für eine Verbindung mitMünster gefunden werden. Jedoch ist die London School of Hygiene & TropicalMedicine sehr gut durch Dr. Heiner Grosskurth vertreten und ich stelle ebenfallserfreut fest, dass mehrere Ehemalige der LSHTM auf der Tagesordnung stehen.

Dies ist ein sehr spezieller Zeitpunkt für die LSHTM, da wir unser hundert-jähriges Bestehen feiern. Aus den bescheidenen Anfängen in den Londoner Docksam 2. Oktober 1899 mit gerade einmal acht Lehrern und elf Studenten ist eine derweltweit führenden Schools of Public Health geworden, die in den letzten hundertJahren mehr als 45.000 Public Health Wissenschaftlicher ausgebildet hat.

Die LSHTM ist überall auf der Welt höchst international ausgerichtet. Aufunseren Fluren geht es dieses Jahr zu wie im Bienenhaus. Mit 750 Studenten aus95 Ländern, die höchsten Anforderungen gerecht werden, haben wir so vieleStudenten wie noch nie zuvor in unserer Geschichte. Unser Lehrkörper kommtaus 35 Ländern, wir unterhalten Forschungsprogramme in 100 Ländern, habenMitarbeiter in 15 und Ehemalige in mehr als 145 Ländern.

Wir haben unser hundertjähriges Bestehen mit einer Mischung aus sozialen,kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen gefeiert, die sehr dazu beige-tragen haben, Professoren, Studenten und Ehemalige zusammenzubringen. Zudiesen Veranstaltungen gehörten wissenschaftliche Tagungen, die Verleihung derEhrenmitgliedschaft aus Anlass des hundertjährigen Bestehens, eine lebhafte Dis-kussion über die Zukunft der LSHTM, ein Picknick und Cricketmatch und letzteWoche schließlich ein wichtiges Symposium und Festessen in London. Die Ge-schichte der LSHTM wird Anfang 2000 veröffentlicht und eine Festschrift ist jetzterhältlich.

Aus Anlass der Hundertjahrfeier erfolgte im Oktober 1998 ein Aufruf mit demZiel, 10 Millionen Pfund Sterling zur Förderung von Lehrstühlen und Stipendien

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Grußwort

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und zur Verbesserung der Räumlichkeiten, Labore und technischen Ausstattungder LSHTM zu sammeln und ich freue mich berichten zu können, dass wir aufdem Weg zu unserem Ziel ein gutes Stück vorangekommen sind.

Die Jahrhundertfeier hat unter Ehemaligen viel Enthusiasmus ausgelöst, diedas Ereignis begeistert durch die Organisation und Teilnahme an Tagungen undVeranstaltungen in der ganzen Welt begangen haben. Diese Veranstaltungen fan-den in Kairo, Neu-Delhi, Durban, Glasgow, Yangon, Taipei, Hong Kong, Chicago,Singapore, Mexiko, Kuala Lumpur, Accra, Lima, Tokio, Washington DC undLondon statt. Wir haben uns gefreut, viele Ehemalige wieder in der LSHTMbegrüßen zu können, damit sie das Neueste aus der aktuellen Forschung und überihre alten Freunde und Kollegen erfahren. Ehemalige haben immer in vordersterReihe an gemeinsamen Forschungsprojekten mit der LSHTM mitgearbeitet unddie Verbindungen, die sie während ihrer Studienzeit hier aufgebaut haben, sinddurch die kontinuierliche Zusammenarbeit und Entwicklung in vielen Arbeits-bereichen und in vielen unterschiedlichen Ländern gefestigt worden.

Ich weiß sehr gut, dass die Organisation von Symposien und Tagungen einenenormen Aufwand an Zeit und Arbeit erfordert. Mein spezieller Dank gilt daherDr. Ralf Reintjes und Dr. Helmut Brand für ihre harte Arbeit bei der Durchführungder heutigen Konferenz. Ich möchte Sie bei dieser speziellen Tagung heute begrü-ßen und wünsche Ihnen anregende und erfolgreiche zwei Tage. Ich freue mich aufein Treffen und die Zusammenarbeit mit vielen von Ihnen, während wir den näch-sten hundert Jahren und dem neuen Jahrtausend entgegengehen.

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Infektionskrankheiten weltweit

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Infektionskrankheiten weltweit

Die Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO)in Infektionskrankheiten-Surveillance undEpidemiologie weltweit

Dr. Thomas Grein,Weltgesundheitsorganisation (WHO),Genf

Global Surveillance ist ein relative neuesKonzept, das vor circa sieben bis achtJahren in Folge einiger spektakulärer Epi-demien – meistens Hämorrhagische Fie-ber in Afrika – die Weltaufsehen erregtenund die Angst vor neuen, gefährlichen In-fektionskrankheiten schürten, zum erstenMale ernsthaft diskutiert wurde. Mit oderohne diese Epidemien, das Entstehen desKonzepts Globale Surveillance war zudieser Zeit bereits vorhersehbar und letz-tendlich lediglich die Konsequenz zunehmender Globalisierung, durch die einimmer größerer Druck bestand

• Infektionskrankheiten auf internationaler Ebene an ihrer Ausbreitung zu hindern

• oder wenn sie sich ausgebreitet hatten, auf internationaler Ebene zu bekämpfen.

Ein weiterer wichtiger Punkt waren die enormen negativen Auswirkungen auf deninternationalen Handel und Verkehr, die grenzüberschreitende Epidemien zur Fol-

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Infektionskrankheiten weltweit

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ge hatten, und das Bedürfnis von Regierungen durch vorbeugende Maßnahmeneine Schadensbegrenzung zu erreichen.

Letztlich wurde Global Surveillance auch im Hinblick auf die zunehmendeAnzahl von internationalen Gesundheitsverträgen unumgänglich, von denen vieledie globale Komponente brauchen, um ihrem Auftrag erfüllen zu können – derprominenteste dieser Verträge ist vielleicht die Konventionen über biologischeKriegsmittel. So kam es nicht von ungefähr, dass die Zeit reif für die Entwicklungvon Global Surveillance für Infektionskrankheiten war.

Um die globale Verflochtenheit und die wirtschaftlichen Konsequenzen von Aus-brüchen darzulegen, möchte ich das Beispiel der Pestepidemie in Indien von 1994erwähnen. Dieses Ereignis war ein relativ kleiner, lokalisierter Ausbruch in einemeinzigen der 32 Staaten Indiens. Diese Epidemie erregte weltweit größtes Auf-sehen, wobei die meisten Länder mit Maßnahmen reagierten, die irrational undwissenschaftlich nicht begründbar waren.Die Folgen für Indien selbst waren verheerend; Tourismus und Export kamen zumErliegen und innerhalb eines Monats belief sich der Gesamtverlust, der durch die-sen Ausbruch verursacht wurde, auf $ 1.7 Milliarden. Dies geschah zu einer Zeit,als Indien wirtschaftlich im Aufschwung war. Dieser Aufschwung wurde voneiner lokalen Epidemie rasant gestoppt, die, wenn sie damals im richtigen Kontext

Kontrolle von Infektionskrankheiten- Internationale Ausbreitung- Internationale Bekämpfung

International Health Regulations- Internationaler Handel und Wirtschaft- Internationaler Reiseverkehr

Internationale Verträge- Biologische Kriegsmittelkonvention- Andere ...

GlobaleSurveillance:Triebfedern

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gesehen worden wäre, zu keinerlei Problemen auf internationaler Ebene geführthätte.

Ebenso rasant hat sich in den letzten Jahrzehnten unsere globale Gesellschaftverändert und mit ihr die Art und Weise, wie wir im internationalen Gesundheits-wesen agieren. Ich möchte nachfolgend auf einige dieser einschneidenden Verän-derungen eingehen.

1945 lebten wir noch in einer geteilten Welt; heute – wie schon bereits eingangserwähnt – leben wir im globalen Dorf, wo Distanzen irrelevant geworden sind unddas Potential für grenzüberschreitende Ausbrüche wesentlich größer ist als voreinigen Jahrzehnten. 1945 gab es reiche und arme Länder, aber es gab auch denberechtigten Glauben, dass sich diese Kluft bald schließen würde. Diese Hoffnungwurde enttäuscht, die Kluft ist weiter denn je zuvor. Viele Länder stehen miteinem völlig desolaten öffentlichen Gesundheitssystem da, mit schlechterenGesundheitsindikatoren als zuvor und mit Surveillance und Kontrollsystemen fürInfektionskrankheiten, die den Namen als solchen nicht verdienen.

1945 dachten die meisten, dass Infektionskrankheiten bald der Vergangenheitangehören würden. Es war die Zeit der Antibiotika und Impfstoff-Entwicklungund starker globaler Eradikationsprogramme. Heute sind wir aufgeklärter undweniger optimistisch. Wir haben erkannt, dass es keine „magic bullet“ gibt, keine

1945

Geteilte Welt „Globales Dorf“

Lokales Telefon Informations-gesellschaft

Entwicklung Entwicklungsgefälle

1970 2000

HIV H5N1www

PenicillinEradikationsprogramme

Kontrolle vonKrankheiten

„Emerging“ diseases

Chancen undHerausforde-rungen

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einfache Lösung und dass wir täglich mit neuen Erregern, veränderter Epidemio-logie von bekannten Erregern und mit zunehmenden Resistenzproblemen kon-frontiert werden.

Wir leben heute in der Informationsgesellschaft; wir leben auf dem Informations-Superhighway mit allen Vor- und Nachteilen. Während ein Ereignis früher durchdie Instanzen gemeldet wurde und die Öffentlichkeit erst relativ spät informiertwurde (oft auch nicht), kann heutzutage jedermann völlig unkontrolliert alle nurdenkbaren Informationen über ein Ereignis verbreiten.

Problematisch für uns als im Gesundheitssystem Tätige ist die Erwartung,dass wir unsere Version des Ereignisses ebenso schnell entgegensetzen können.Wenn wir dazu nicht in der Lage sind – und das sind wir oft nicht aus rein tech-nischen Gründen – müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, nicht transparentzu sein. Der zeitliche Spielraum, der uns zur Verfügung steht, Dinge abzuklärenund Entscheidungen zu treffen, ist extrem geschrumpft.

Ereignis

NationaleGesundheitsbehörden

InternationaleGesundheitsbehörden

Gesundheitssystem NGOs Privater Sektor Medien

Zwei Wege

WWWWWW

Informationsge-sellschaft

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Global Surveillance wie sie die WHO sieht, stützt sich auf 3 Pfeiler:

• Nationale Surveillance-Systeme• Globale Surveillance von Epidemien und • Global Labor Surveillance.

Der wichtigste Baustein in diesem Gebäude sind gut funktionierende nationaleSurveillance-Systeme. Ohne sie ist globale Überwachung nicht denkbar. DieWHO bemüht sich, diese Systeme wie auch die nationalen Laboratorien direkt zustärken, Surveillance-Pläne zusammen mit den Gesundheitsministerien zu erstel-len, Standarddefinitionen einzuführen, die erstmalig einen direkten Vergleich zwi-schen den Systemen ermöglichen, und letztlich auch Ausbildungsprogramme inangewandter Epidemiologie zu unterstützen.

Der zweite Pfeiler setzt sich aus regionalen Plänen zusammen, die die natio-nalen Pläne vereinen und harmonisieren, aus dem Bereich „Epidemic intelli-gence“, der schnellen Aufdeckung und Bekämpfung von Epidemien und den In-ternational Health Regulations, der einzigen Gesetzgebung auf dem Gebiet derinternationalen Gesundheit.

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GlobaleSurveillance

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Der dritte Pfeiler setzt sich aus krankheitsspezifischen Labornetzwerken undanderen nicht krankheitsgebundenen Netzwerken zusammen, allen voran dieWHO Kollaborationszentren, militärische Einrichtungen, Pasteur Institute, undandere. Allen gemeinsam ist die Aufgabe, national oder international Ausbrüchevon Infektionskrankheiten frühzeitig zu entdecken und zu bekämpfen.

Nationale Surveillance Systeme

Die meisten Surveillance Systeme – zumindest in Entwicklungsländern – teilensich die gleichen Probleme. Allen voran steht die Kompartmentierung des natio-nalen Systems in viele kleinere Surveillance-Systeme, um vertikalen Kontrollpro-grammen und den Geldgebern dieser Programme, gerecht zu werden. Es bestehtein Malaria-Kontrollprogramm mit einem eigenen Malaria Surveillance-System,ein Tuberkulose-Kontrollprogramm mit einem Tuberkulose Surveillance-System,usw.

Das heißt, es bestehen viele unabhängige Systemen, die nicht miteinanderkommunizieren, unterschiedliche Methoden benutzen, und auch auf nationalerEbene nie zusammengeführt werden. Dies führt dann dazu, dass am Ende vomTag keiner mehr die Übersicht hat und weiß, was wirklich vor sich geht im Land.

Es bestehen Surveillance-Lücken, das heißt

• wichtige Krankheiten stehen nicht unter der Überwachung• wenig oder keine Expertise in angewandter Epidemiologie und

Labordiagnostik• wenn einmal ein Problem aufgedeckt wurde, fehlt oft die Kapazität oder der

Wille den Ausbruch zu bekämpfen.

Wenn wir uns an die Kurzformel für Surveillance erinnern, data for action, dannist es genau das, was nicht passiert. Diese Systeme produzieren vielleicht vieleDaten, aber es resultiert keine Handlung. Dies versuchen wir zu ändern, indemwir diese Länder besuchen, zusammen mit dem Gesundheitsministerium alle

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Surveillance-Systeme dokumentieren, evaluieren und dann einen Aktionsplanerstellen, der auf dem bisherigen System aufbaut. Kein System ist so schlecht,dass es nicht irgendwie doch als Grundlage für ein besseres System dienen könn-te. Wichtig ist, eine Liste mit wenigen Prioritäts-Krankheiten zu erstellen, unddann die ganze Energie und die Ressourcen auf die Surveillance dieser wenigenKrankheiten zu verwenden, wobei wir darauf bedacht sind, dass die Systeme allein einem übergeordneten nationalen System integriert sind. In einer integriertenSurveillance gibt es nur ein System, alle Aktivitäten werden von hier koordiniertund laufen hier auch wieder zusammen.

Ebenso bestehen wir nicht mehr auf der Meldung von spezifischen Krankheiten,sondern versuchen, syndromische Meldungen einzuführen. Die Vorteile vonSyndromen sind, dass sie sofort gemeldet werden können, ohne dass eine Labor-diagnose vorliegt, dass sie in gewissen Fällen Stigmatisierung vermeiden, unddass sie sich über lange Zeiträume nicht verändern.

• Evaluierung von nationalen SurveillanceSystemen

• Erstellung eines nationalen SurveillancePlans:– Kein Neuanfang, sondern Stärkung

existierender Systeme

– Surveillance von wenigen Prioritätskrankheiten(10-15)

– Prinzip der “integrated surveillance”:Koordination der Surveillance Aktivitäten allerKontrollprogramme

Stärkung nationalerSurveillance

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Poliomyelitis ist eine aufwendige Labordiagnose – die Zeit braucht – während dasSyndrom AFP (Akute schlaffe Lähmung) sofort gestellt werden kann und völligausreicht, um eine Untersuchung zu starten. Viele Länder haben große Problememit der Meldung von Cholera, da sie negative Auswirkungen befürchten, habenaber keinerlei Probleme mit der Meldung von AWDS (Akuter wässrigerDurchfall), was in 95 % der Fälle auf das gleiche hinausläuft. Insofern verlierenwir nichts, wenn wir den Wünschen dieser Länder entsprechen und ihnen damitdie Meldung gewisser Krankheiten erleichtern.

Globale Surveillance von Infektionskrankheiten durchLaboratorien

Im Augenblick gibt es vier spezifische Labornetzwerke, die global agieren, näm-lich Influenza, Antibiotikaresistenzen, Tollwut und Creutzfeld-Jakob-Disease.Andere sind in Entwicklung, aber noch nicht einsatzbereit oder sind keine reinglobalen Systeme.

Das älteste Labornetzwerk ist das für Influenza. Es wurde bereits 1948gegründet und ist inzwischen auf ein Netz von 110 Laboratorien in 82 Ländernangewachsen. Die Aufgaben der Laboratorien bestehen darin, ihre Influenzare-sultate zu melden und einigen isolaten Referenzzentren zur weiteren Diagnostikzur Verfügung zu stellen. Dieses System ist die Grundlage für die alljährliche wis-senschaftliche Diskussion zur Festlegung der neuen Zusammensetzung desInfluenza-Impfstoffes.

• Surveillance von Syndromen(„Report what you see“)– Vermeidet Verzögerungen und Stigmatisierung

– Unveränderlich über langen Zeitraum

– Beispiele

• AFP anstatt Poliomyelitis• Urethraler Ausfluss anstatt Gonorrhö• Akuter wässriger Durchfall anstatt CholeraStärkung

nationalerSurveillance

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1997 wurde FluNet entwickelt, eine elektronische Datenbank, die sich das In-ternet für die Influenza-Surveillance zu Diensten macht. FluNet ist der Prototypeiner Internetseite, auf der die teilnehmenden Laboratorien ihre Influenzadatendirekt auf elektronischem Wege eingeben. Nur designierte Benutzer können dieDaten eingeben, während die Auswertungen über Influenzaaktivitäten auch derallgemeinen Öffentlichkeit zugänglich sind. Wenn immer neue Daten eingegebenwerden, erfolgt sofort eine neue automatische Auswertung mit neuen Tabellen,und Graphiken, die sofort abrufbereit ist. Diese Form der Surveillance – die alsGrundlage das Internet benützt – wird wahrscheinlich bald Standard für diemeisten überregionalen oder globalen Surveillance-Systeme im öffentlichenGesundheitswesen werden.

RABNET ist das globale Surveillance-System für Tollwut. Alle nationalenTollwutreferenzzentren teilen ihre Daten dieser Datenbank mit, wobei die Daten-eingabe wiederum über das Internet erfolgt. Bei RabNet, werden die Daten auto-matisch nach Eingabe aktualisiert, was eine sofortige Beurteilung der epidemio-logischen Situation der Tollwut erlaubt.

Wie bereits schon erwähnt gibt es globale Netzwerke auch für Antbiotika-resistenzen und die Creutzfeld-Jakob Krankheit, auf die ich hier nicht näher ein-gehen möchte.

Weiterhin unterhält die WHO ein Netzwerk von über 200 Laboratorien undInstituten weltweit, die sogenannten Collaboration Centres. Diese Zentren werdenauf der Basis von Expertise in der Labordiagnose und der Epidemiologie von bak-

• Influenza (FluNet)

• Antibiotikaresistenzen (AMRNet)

• Tollwut (RabNet)

• Creutzfeld-Jakob Krankheit

• Andere gegenwärtigin Entwicklung

WHO speziali-sierte Labor-netzwerke

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teriellen, viralen und zoonotischen Krankheiten und die spezifische Arbeit inihren designierten Bereichen leisten im Namen der WHO, ausgewählt.

Um dieses Netzwerk weiter zu stärken, wird ständig nach neuen Zentren gesucht,besonders dort, wo technische oder geographische Lücken im derzeitigen Netzbestehen.

Schwächere Labore in Entwicklungsländern werden im Hinblick auf Ausrüs-tung, Ausbildung und Beschaffung von Reagentien direkt unterstützt, besondersdann, wenn sie kommerziell nicht erhältlich sind.

Es bestehen spezielle Ausbildungsprogramme in Labortechnik und Immuno-logie. Letztlich sorgen die Zentren untereinander dafür, dass Qualitätssicherung indiesem Netzwerk gewährleistet ist.

Die Hauptkomponente des dritten Pfeilers, Globale Surveillance für Epide-mien, ist Epidemic Intelligence, die zum Ziel hat, Epidemien schnell aufzudeckenund zu bekämpfen.

Hinter dem Wort Epidemic Intelligence steht ein Team der WHO in Genf, dasin ständiger Verbindung mit allen Informationsquellen steht, die in irgendeiner

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Weise über Epidemien Bescheid wissen könnten. Sobald wir einen relevantenBericht von einer dieser Quellen erhalten, verwenden wir die Regionalbüros undLandesvertretungen der WHO, um diesen Bericht zu verifizieren, mehr Informa-tionen zu sammeln und um uns zu versichern, dass geeignete Kontrollmaßnahmenunternommen werden. Je nach den Umständen und erforderlicher Sensitivität,geben wir die neu gewonnenen Erkenntnisse an andere Gesundheitsinstanzenweiter, ggf. auch direkt an die Öffentlichkeit.

Epidemic Intelligence benützt alle nur denkbaren Informationsquellen, allenvoran

• 191 Mitgliedstaaten der WHO• das interne WHO Netz• öffentliche Quellen, wie Nachrichten, Publikationen, Webseiten, E-mail

Diskussionsgruppen, u.a.• NGOs (Non Governmental Organisations) vor Ort wie MSF (Ärzte ohne

Grenzen) und das Internationale Rote Kreuz• WHO Collaboration Centres• andere mehr.

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EpidemicIntelligence:Informations-quellen

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Diese Abbildung vermittelt den Eindruck, als ob unsere initialen Informations-quellen sehr breitgefächert wären, aber das stimmt nicht ganz, da unserer Erfah-rung nach 95 % aller initialen Berichte von den Medien kommen, und hier vorallem von den elektronischen Medien.

Entgegen landläufiger Meinung sind diese Medienberichte meistens korrekt;in den allerwenigsten Fällen sind sie fabriziert oder faktisch völlig falsch. Obwohldas Interesse der Medien an Epidemien oft reine Sensationslust ist, müssen wirakzeptieren, dass sie gewöhnlich früher Bescheid wissen als wir und initial oftauch mehr wissen. Genau diese Tatsache haben wir uns bei der Epidemic Intelli-gence zu Diensten gemacht, indem wir die Medien als Epidemiedetektive benut-zen.

Die Zahl der Berichte über Ausbrüche weltweit ist so groß, dass niemand sieüberschauen kann. Da die meisten ohnehin im Internet erscheinen, haben wir inZusammenarbeit mit dem kanadischen Gesundheitsministerium das Global PublicHealth Intelligence Network (GPHIN) entwickelt. GPHIN ist ein elektronischesSystem das im Internet permanent nach relevanten Berichten über Epidemiensucht, eine intelligente Vorauswahl trifft und die vorselektierten Berichte dann anuns weiterschickt. Mit diesem System sind wir in der Lage, die ungefähr 2.000Berichte, die täglich im Internet über Epidemien weltweit erscheinen, auf 10 - 15zu reduzieren.

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Der nächste Schritt besteht darin, festzulegen, ob diese 10 - 15 Berichte verifiziertwerden sollten. Dies geschieht anhand gewisser Auswahlkriterien:

• die Epidemie sollte ernste Gesundheitskonsequenzen zur Folge haben• zu hoher Morbidität oder Mortalität führen• von internationaler Bedeutung sein, sei es wegen grenzüberschreitender

Ausbreitung, sei es die Beeinflussung des internationalen Handels oderVerkehrs, oder sei es dass internationale Zusammenarbeit bei der Be-kämpfung erforderlich ist.

Anhand dieser Kriterien werden einige Krankheiten immer verifiziert, z.B. HF(Hämrogaric Fever) oder Cholera, bei anderen (z.B. Legionellose, Trichinose)kommt es auf die Umstände und das Land an, in denen der Ausbruch stattfindet. Dies ist ein Beispiel eines Berichtes der von GPHIN zugesandt wurde. DieserBericht handelt von der kürzlichen WestNil Epidemie in New York City.

• Ernste Gesundheitskonsequenzen• Hohe Morbidität oder Mortalität• Potentielle internationale Auswirkungen:

– Internationale Ausbreitung der Krankheit– Beinflussung des internationalen

Reiseverkehrs– Beinflussung des internationalen Handels– Krankheitsbekämpfung erfordert internationale

Zusammenarbeit

Auswahlkri-terien fürVerifizierungeines Berichtes

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Wenn ein Bericht unsere Auswahlkriterien erfüllt, wird er in eine Datenbank auf-genommen, alle bekannten Details festgehalten und die Verifizierung des Berich-tes gestartet.

Verteilung derEpidemien nach

WHO RegionJanuar 1997 -

Mai 1999n-397

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Diese Abbildung zeigt eine Zusammenfassung aller in die Datenbank aufgenom-menen Epidemien zwischen Januar 1997 und Mai 1999.

Nahezu die Hälfte aller Ausbrüche wurden aus AFRO berichtet, der afrikani-schen Region der WHO. EURO (Europa) liegt an zweiter Stelle mit 14 % allerBerichte, wobei EURO nicht nur Westeuropa einschließt, sondern auch die GUS(ehemalige Sowjetunion) und die Zentralasiatischen Republiken, gefolgt von derRegion

• östliches Mittelmeer• den beiden Amerikas• Süd-Ost-Asien • und dem West Pazifik.

Die Klassifizierung nach Krankheit oder Syndromen für den gleichen Zeitraumergibt folgendes Bild: Cholera ist am häufigsten vertreten, gefolgt von akutenDurchfallerkrankungen, die auch zu einer Großzahl aus Cholera bestehen abersyndromisch gemeldet wurden und deshalb zumindest offiziell nicht als Cholera-ausbrüche klassifiziert werden. An dritter Stelle kommen Ausbrüche von Menin-gokokkenmeningitis in Nordafrika und der Sahelzone, gefolgt von HF wieDengue, Ebola, Lassa, Crimean-Kongo u.a.

Ein wichtiger Aspekt unserer Surveillance-Arbeit und ganz besonders der Epi-demic Intelligence ist die schnelle Weitergabe der gesammelten Informationen,nachdem ein Ereignis verifiziert wurde. Hierfür haben wir drei Kommunikations-mechanismen zur Verfügung.

Outbreak Verification List

Diese Liste wird von dem Epidemic Intelligence Team zusammengestellt und ent-hält alle gegenwärtigen Epidemien, die ein Potential für internationale PublicHealth haben. Die Liste wird per E-Mail wöchentlich zu knapp tausend Schlüssel-figuren im internationalen Gesundheitswesen geschickt. Da oft noch nicht offi-ziell bestätigte Informationen enthalten sind, ist diese Liste konfidentiell.

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Disease Outbreak News

Sobald ein Ereignis offiziell bestätigt wurde und keine Unklarheiten über dieDiagnose und die Umstände mehr bestehen, wird es in die Webseiten der WHOaufgenommen, den Disease Outbreak News. Diese Webseiten sind jedermannzugänglich und sehr populär – es sind die am meisten besuchten Webseiten dergesamten WHO.

Weekly epidemiological record

Der dritte Kommunikationsmechanismus ist der Weekly Epidemiological Record,erhältlich als gedrucktes Bulletin oder wiederum über das Internet.

Surveillance ist letztendlich data for action und in diesem Sinne können wirnicht halt machen, wenn eine bedeutende Epidemie entdeckt wurde, aber nichtoder nur unzureichend bekämpft wird. In diesen Fällen versuchen wir oder unse-re Partner, Hilfestellung zu leisten, sei es mit Rat über das Telefon, sei es mitAusrüstung, sei es mit einer direkten Eingreiftruppe vor Ort.

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Dieses Dia zeigt die Involvierung der Epidemic Intelligence Abteilung in Aus-brüche im letzten Jahr. Die meisten unserer Aktivitäten finden in Afrika statt, abernun auch zunehmend im nahen und mittleren Osten.

International Health Regulations

Zum Schluss einige Worte zu den international Health Regulations, dem einzigenStück Gesetzgebung im Bereich der internationalen Gesundheit.

Übriggeblieben sind Cholera, Gelbfieber und Pest, meldepflichtig für alle 191Mitgliedstaaten der WHO.

Ziel der International Health Regulations ist es wie vor 500 Jahren, die Aus-breitung dieser Krankheiten durch schnelle Meldung und geeignete Gegenmaß-nahmen zu verhindern. Dies soll geschehen – zumindest theoretisch – mit einemMinimum an Unannehmlichkeiten für die betroffenen Länder, wie auch für dieReisenden selbst.

In der Praxis funktionieren die International Health Regulations nicht ganz sogut. Hauptproblem ist, dass überhaupt nicht oder viel zu spät gemeldet wird. Diesist dadurch bedingt,

Virale MeningitisRumänien, Moldavien,1999

HIV Infection,Libyen,1998

MeningokokkenmeningitisRückfallfieber, Sudan 1999

Marburg HämorrhagishesFieber, DRC Congo 1999

ARI, Afghanistan 1999

RVF Infektion,Kenia,1998Surveillance

alleine genügtnicht

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• dass Ausbrüche oft überhaupt nicht entdeckt werden, da Surveillance nichtfunktioniert

• dass Länder mit schwacher diagnostischer Kapazität viel Zeit brauchen, umeine Diagnose definitiv zu stellen und damit die Meldung – wenn überhauptnoch – dann doch mit sehr viel Verspätung erfolgt

• letztlich ist es auch bedingt durch die Angst vor exzessiven Maßnahmenanderer Länder, wenn erst einmal eine Meldung erfolgte, wie am Beispielder Pestepidemie in Indien zu sehen war.

Um diese Probleme anzugehen, wurde zwischen 1996 und 1998 eine Pilotstudiemit revidierten International Health Regulations durchgeführt. Ziel war unverän-dert die schnelle Meldung von Epidemien von internationaler Bedeutung, wobeidie Entscheidung der internationalen Bedeutsamkeit den Ländern selbst überlas-sen wurde. Auch gab es keine meldepflichtigen Krankheiten mehr, sondern nurnoch Syndrome.Die Pilotstudie ist zu Ende, die endgültigen Auswertungen liegen noch nicht vor,aber der Gesamteindruck ist, dass die Revision nicht den gewünschten Erfolghatte. Hauptproblem ist weiterhin, dass Länder die Meldung so lange wie nurmöglich vermeiden, diesmal indem sie ihre Ausbrüche als international nichtbedeutsam klassifizieren.

Zusammenfassung

Wir haben große Fortschritte gemacht in der Kontrolle von Infektionskrankheiten,v.a. in unterentwickelten Ländern. Wir haben gute Werkzeuge zur Verfügung, dasProblem global zu überwachen. Die größte Herausforderung in der Zukunft wirddarin bestehen, die Kluft zwischen armen und reichen Ländern nicht noch größerwerden zu lassen und damit die Chance zu verspielen, weiterhin an einer globa-len Lösung im Bereich der Surveillance-Kontrolle von Infektionskrankheiten zuarbeiten.

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Netzwerke für epidemiologische Überwachungund Kontrolle übertragbarer Krankheiten inEuropa

Julius Weinberg, Public HealthLaboratory Services, Colindale,Großbritannien

Zusammenfassung

Sorgen über auftretende und wieder auf-tretende Infektionskrankheiten sowie dieErkenntnis, dass die Bedrohung durch In-fektionskrankheiten eine globale ist, ha-ben Anstrengungen bei der internationa-len Überwachung übertragbarer Krank-heiten verstärkt. Die Wahrscheinlichkeit,dass Ausbrüche übertragbarer Krankhei-ten mehr als ein Land betreffen können, wird durch den internationalen Handelund Reiseverkehr vergrößert. Maßnahmen zur Überwachung übertragbarerKrankheiten und zu deren Prävention sollten auf die gefährdete Bevölkerungzugeschnitten sein, wobei diese Bevölkerung jetzt international sein kann.

Die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes mit freiem Warenverkehrund Beschäftigungsfreiheit für EU Bürger hat sowohl zu Bedrohungen als auchReaktionen seitens der Organisationen geführt. Die zunehmende Erkenntnis, dassAusbrüche übertragbarer Krankheiten mehr als ein Land erfassen können sowiedie Notwendigkeit, die Untersuchung solcher Ereignisse zu koordinieren, hat zuDiskussionen über die Mechanismen geführt, die am geeignetsten sind, um dieÜberwachung übertragbarer Krankheiten auf europäischer Ebene zu erleichternund voranzubringen.

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Hintergrund

Effektive internationale Kooperation bei der Kontrolle übertragbarer Krankheitenhängt von dem wissenschaftlichen Verständnis und der Bereitschaft der Behördendes jeweiligen Landes ab, ihr Vorgehen miteinander zu koordinieren. Obwohlschon lange klar ist, dass Infektionskrankheiten nicht vor nationalen Grenzen Haltmachen und Ausbrüche übertragbarer Krankheiten anderswo von Interesse sind,ist die Überwachung von Infektionen auf internationaler Ebene eine noch ver-hältnismäßig junge Einrichtung.

Das neunzehnte Jahrhundert

Die erste internationale Gesundheitskonferenz (ISC) fand 1851 in Paris [1] mitdem Ziel statt, eine Übereinkunft über einheitliche Quarantänevorschriften zu er-reichen, um das Einschleppen von Cholera, Pest und Gelbfieber zu verhindern.Der Fortschritt wurde durch das fehlende Verständnis der Ätiologie oder desÜbertragungsweges der betreffenden Krankheiten aufgehalten, und das nur zweiJahre nachdem John Snow [2] die Theorie über die Übertragung von Choleradurch fäkal verschmutztes Wasser aufgestellt hatte. Bei der Konferenz wurdekeine effektive Vereinbarung getroffen, jedoch Gesundheitsschutz zu den Themengezählt, die sich für internationale Beratungen eignen.

Die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts erlebte eine Revolution imVerständnis der Mikrobiologie und übertragbarer Krankheiten. Das Bewusstsein,dass internationale Aspekte bei der Kontrolle übertragbarer Krankheiten eineRolle spielen, wurde durch Sorgen über die Cholerabedrohung aus Asien voran-getrieben. 1896 wurde in Washington ein internationales Gesundheitsbüro einge-richtet, aus dem später das „Pan American Sanitary Bureau“ wurde und in Paris1907 das „Office International d’Hygiene Publique“ (OIHP) gegründet.

Während dieser gesamten Zeit erwies sich das Spannungsverhältnis zwischenwirtschaftlichen Erwägungen und Krankheitskontrolle als Hindernis auf dem Wegzu internationalen Vereinbarungen. Großbritannien, die vorherrschende See- undHandelsnation, war gegen internationale Quarantänebestimmungen, da es glaub-te, diese würden seinen Handelsinteressen schaden. Großbritannien war derAnsicht, dass jedes Land verstärkt Kontrollmaßnahmen ergreifen sollte.

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Die Vorstellung, dass Krankheiten ein geeignetes Thema für eine internatio-nale Zusammenarbeit seien, wurde durch den Bund der League of Nations ver-stärkt, wonach seine Mitglieder „Schritte in internationalen Angelegenheiten zurPrävention und Kontrolle von Krankheiten ergreifen würden“ [3]. Die Entschei-dung der Vereinigten Staaten von Amerika, sich nicht der League of Nations anzu-schließen, verhinderte die Entwicklung einer einzigen Weltgesundheitsorganisa-tion und es bestanden somit nebeneinander drei Organisationen, die „Pan Ameri-can Sanitary Organisation“, die bestehende OIHP in Paris und ein neues „HealthCommittee of the League“. Die „Health Organisation of the League“ begründeteihre Rolle in der Standardisierung biologischer Stoffe und Untersuchung von Epi-demien. Das „Weekly Epidemiological Record“ (WER) fing 1926 als Sammlungvon Berichten an, die der Organisation zugingen.

1945 beschloss die Konferenz der Vereinten Nationen die Gründung einer ein-zigen Organisation, die die OIHP und Health Organisation of the League ersetzensollte, nämlich die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Grippeepidemie von1947 regte die Entwicklung einer internationalen Zusammenarbeit zwischenLabors und zuständigen Behörden auf nationaler Ebene an, was zur Entwicklungvon Grippe-Referenzlabors auf nationaler und internationaler Ebene führte [4].Dieses Modell wurde bei der Entwicklung eines Netzwerks von WHO-Zentrenverwendet.

Unter der Schirmherrschaft der WHO entstanden eine Reihe wichtiger Pro-gramme, die internationale Zusammenarbeit zwischen den Ländern und Institu-tionen erforderten. Einige dieser Programme wie die Ausrottung der Pockenwaren sensationell erfolgreich. Ein Großteil dieser Zusammenarbeit basierte aufmikrobiologischen und virologischen Fachzentren, die ein Interesse an der Ent-wicklung von Standards für biologische Reagenzien, Teststoffe und Verfahrens-weisen hatten.

Entwicklungen auf dem Gebiet der Überwachung von Krankheiten bliebenhinter den Entwicklungen von Fertigkeiten und Fähigkeiten im Labor zurück.Während international besetzte Teams zur Überwachung von Krankheiten dieUntersuchung spezieller Probleme unterstützten, blieben längerfristige Strukturenmit einem regelmäßigen Austausch von Daten über übertragbare Krankheitenzwischen Verantwortungsträgern in der Krankheitsüberwachung und Kontrolleaus. Ein Bericht an die WHO zur Veröffentlichung in WER war zwar für lang-

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fristige Statistiken eine nützliche Übung, aber nicht für Maßnahmen auf demGebiet von Public Health.

Zentren zur Überwachung übertragbarer Krankheiten

Zunehmende Probleme mit übertragbaren Krankheiten haben zu einem Wiederer-wachen des Interesses an der Epidemiologie übertragbarer Krankheiten und derenÜberwachung geführt. In vielen Ländern haben die entsprechenden Behörden mitder Einrichtung von Zentren auf nationaler Ebene zur Koordinierung und Leitungvon Maßnahmen zur Überwachung übertragbarer Krankheiten reagiert. DieseEntwicklung geschah zu einem Zeitpunkt, als zunehmender Handel, Verkehr undpolitische Zusammenhänge die Probleme verstärkten, die mit Ausbrüchen von In-fektionskrankheiten in mehr als einem Land zusammenhingen.

Aktuelle Entwicklungen in Europa

Die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, ein Gebiet mit freiem Waren-verkehr (besonders bei Lebensmitteln), Mobilität von Arbeitskräften und zuneh-mendem Reiseverkehr, hat zu einem erhöhten Risiko des Ausbruchs übertragba-rer Krankheiten über alle Landesgrenzen hinweg geführt. Darüber hinaus habenin einigen Nachbarländern soziale und wirtschaftliche Ereignisse den teilweisenZusammenbruch der Public Health Systeme verursacht und somit die Anfälligkeitder Bevölkerungen für Ereignisse jenseits der Landesgrenzen noch unterstrichen.Zudem bedeuten leichtere Reisemöglichkeiten, dass sich Ausbrüche von Krank-heiten weltweit ausbreiten können und kein Land, keine Region oder Gemein-schaft kann sich selbst als völlig isoliert von allem betrachten. Ereignisse wie derAusbruch der Pest in Indien [5] und das hämorrhagische Fieber in Zaire [6] zeig-ten wie notwendig es war, dass nationale Überwachungsorganisationen auf weitentfernte Ereignisse entsprechend reagierten und dass es wünschenswert sei, dieReaktionen der Mitgliedsländer auf solche Ereignisse aufeinander abzustimmen.Es wäre verfehlt, wenn ein Land Flüge verbieten würde und Reisende in ein ande-res Mitgliedsland reisen und dann die Grenze mit dem Zug überqueren könnten.

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Durch die Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht erhalten Maßnahmender Europäischen Union auf dem Gebiet von Public Health mit Artikel 129 desVertrages ausdrücklich eine Grundlage: „die Gemeinschaft trägt zur Gewährleis-tung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus durch Förderung der Zusammen-arbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei und gegebenenfalls durch Unterstützungihrer Maßnahmen. Die Maßnahmen der Gemeinschaft richten sich auf die Präven-tion von Krankheiten, insbesondere die größten gesundheitlichen Bedrohungeneinschließlich Drogenabhängigkeit, indem sie die Forschung über Ursachen undÜbertragungswege sowie Gesundheitsinformation und Gesundheitserziehung för-dert.“ Dieser Artikel wurde 1997 durch Artikel 152 des Vertrags von Amsterdamersetzt: „Ein hohes Niveau an Gesundheitsschutz wird durch die Definition undDurchführung aller Politiken der Gemeinschaft und deren Maßnahmen gewähr-leistet.“ [7]

Während Geldmittel bewilligende Institutionen auf nationaler Ebene in ersterLinie an Problemen in ihrem eigenen Land interessiert sind, interessieren sich dieInstitutionen der Gemeinschaft besonders für Projekte, mit denen ein Mehrwertaus der Zusammenarbeit auf Gemeinschaftsebene demonstriert werden kann. Dieshat die Einrichtung von Modellen für eine internationale Zusammenarbeit in derÜberwachung übertragbarer Krankheiten ermöglicht. Die WHO hat ebenfalls eineNotwendigkeit zur Verstärkung der Überwachung übertragbarer Krankheitengesehen und somit eine „Division of Communicable Disease Surveillance andResponse“ gegründet. Somit ist die WHO besser in der Lage, epidemiologischeUntersuchungen auf diesem Gebiet durchzuführen. Diese Einrichtung hatEmpfehlungen zu den Standards der Überwachung übertragbarer Krankheitenveröffentlicht, die dazu beitragen, entsprechende Maßnahmen miteinander in Ein-klang zu bringen [8].

EU Netzwerk für übertragbare Krankheiten

Die Erkenntnis, dass übertragbare Krankheiten eine grenzüberschreitende Bedro-hung für die Gesundheit darstellen, erfordert die Entwicklung internationalerÜberwachungssysteme. Zusammenarbeit in Form eines entsprechenden, frühzei-tigen Austauschs von Daten und Informationen, basierend auf einem gemeinsa-men Verständnis von Methoden und Definitionen, ist erforderlich. Internationale

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Zusammenarbeit muss sich auf Arbeitsmethoden stützen, die wissenschaftlicheGültigkeit besitzen, einer fachkollegialen Beurteilung standhalten und Anstren-gungen auf nationaler Ebene zur Überwachung übertragbarer Krankheiten ver-stärken. Eine Reihe von Maßnahmen der internationalen Zusammenarbeit unterExperten auf dem Gebiet der Überwachung übertragbarer Krankheiten haben sichin der Europäischen Gemeinschaft entwickelt. Einige waren effektiv bei derAufdeckung von Krankheitsausbrüchen in mehr als einem Land, bei der Initiie-rung von Maßnahmen zur Reduzierung der Auswirkungen des Ausbruchs auf dieBevölkerung und bei der Förderung proaktiver Maßnahmen zur Verringerung derRisiken künftiger Ereignisse. Beispiele schließen die Legionellose [9], Shigellose[10] und Salmonellose [11] ein. Dieses sind Beispiele neuer und effektiver Mög-lichkeiten zur Organisation der Reaktion auf die sich international ausbreitendeBedrohung durch übertragbare Krankheiten. Einige davon werden im Folgendennoch detaillierter beschrieben.

AIDSReaktionen auf die AIDS Epidemie in Europa basierten auf dem Prinzip, dassPrävention und Kontrolle von Infektionskrankheiten von der richtigen und früh-zeitigen Überwachung auf nationaler und internationaler Ebene abhängen. MitUnterstützung des Forschungs- und Entwicklungsprogramms der EuropäischenKommission gründeten die Mitgliedstaaten der EU und der „Cooperation onScience and Technology (COST)“ ein AIDS Monitoringsystem in Europa. DieÜberwachung von AIDS in Europa, die auf alle Länder der WHO in der europäi-schen Region ausgedehnt worden ist, aktualisiert vierteljährlich die Daten zurAIDS Epidemie (vom WHO European Centre for the Epidemiological Monitoringof AIDS) und ermöglicht sinnvolle Trendvergleiche zwischen den Ländern. DieseÜberwachung ermöglicht ebenfalls die Anwendung einer gemeinsamen Fall-definition, die im Laufe der Zeit überarbeitet wird und die Durchführung gemein-samer Forschungsprojekte.

EWGLIVon der „European Working Group on Legionella Infection (EWGLI)“ wurde1987 ein europäisches Programm für die auf Reisen übertragene Legionärskrank-

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heit aufgelegt. 23 Länder haben sich in dem Überwachungsprojekt zusammenge-schlossen, das seine Bedeutung bewiesen hat, als es Ausbrüche der auf Reisenübertragenen Legionärskrankheit entdeckte, die sonst nicht erkannt worden wären[12]. Es hat ebenfalls die Festlegung gemeinsamer Falldefinitionen und Methodengefördert sowie die Zusammenarbeit von Mikrobiologen und Epidemiologen beider Untersuchung internationaler Ausbrüche. Bei der Überwachung auf nationa-ler Ebene wird eventuell nicht erkannt, dass ein einzelner Fall der Legionärs-krankheit bei einem zurückkehrenden Touristen zu einem punktuellen Ausbruchs-herd gehört. Mit Hilfe der EWGLI Datenbank über die Reise-Legionärskrankheitkann erkannt werden, dass Patienten in mehreren unterschiedlichen Ländern alleeinen gemeinsamen Ansteckungsherd gehabt haben.

Enter-Net

Das vorher als Salm-Net bekannte Enter-Net, eine Initiative zur laborgestützteninternationalen Zusammenarbeit bei der Überwachung von Salmonellen beimMenschen, wurde 1994 gegründet. Das Netzwerk hat sich bereits als effektiv fürden schnellen Austausch von Informationen zu internationalen Ausbrüchen derSalmonellenkrankheit erwiesen. Das Netzwerk hat ebenfalls die Entwicklung ein-heitlicher europäischer Typisierungsschemata gefördert sowie eine europäischeDatenbank, um die Möglichkeiten für eine gemeinsame und vergleichende Arbeitin ganz Europa zu vergrößern. Standardisierte Arbeitsweisen sind entwickelt wor-den, um zwischen den Ländern Verfahrensweisen zur Handhabung von Informa-tionen zu Ausbrüchen zu vereinheitlichen; dies ist besonders wichtig zur Gewähr-leistung von Vertraulichkeit.

Die aus der Gründung des Netzwerkes resultierende Expertengruppe aufnationaler Ebene, die für die Untersuchung von Ausbrüchen zuständig ist, hat zuder schnellen Untersuchung einer Reihe von wichtigen Ereignissen geführt [13].Nach einer Reihe von Ausbrüchen, die auf international gehandelte Lebensmitteleinschließlich Säuglingsnahrung, Kinderriegel und Salate zurückgeführt wurden,hat die Enter-Net Zusammenarbeit eine schnelle epidemiologische Einschätzungdes Risikos ermöglicht. „Enter-Net ist ein Beispiel, wie internationale Überwa-chungssysteme entwickelt werden können, um den Anforderungen der modernenWelt bis ins 21. Jahrhundert gerecht zu werden.“ [14]

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European Antimicrobial Resistance Surveillance System (EARSS)

EARSS ist ein kürzlich gegründetes Projekt, bei dem ausgewählte Mikroorga-nismen in einer Reihe europäischer Länder mit Hilfe bekannter Methoden aufantimikrobiale Resistenz getestet werden. Somit kommt es zu einem besserenVerständnis des Problems antimikrobialer Resistenz auf nationaler und EU-Ebene. Resistente Organismen lassen sich nicht durch Landesgrenzen aufhalten,daher erfordert jedes effektive Programm, das in die kontinuierliche Ansammlungvon Resistenzen eingreifen soll, internationale Zusammenarbeit, die ihre Informa-tionen aus der internationalen Überwachung übertragbarer Krankheit bezieht.

Infrastrukturelle Entwicklungen

Weitere Formen der Zusammenarbeit sind entstanden, die die Infrastruktur füreine effektive internationale Zusammenarbeit entwickeln. Dazu gehören:

• das „European Programme for Intervention Epidemiology Training“(EPIET): Epidemiologen auf dem Gebiet übertragbarer Krankheiten auseinem Land durchlaufen eine zweijährige Ausbildung in einem anderen EUMitgliedsland, so dass sich eine Gruppe von Experten entwickelt, dieErfahrungen mit der Arbeit in anderen Systemen hat.

• Frühwarnsysteme, Rapid Alert Systeme und Zugang zu internationalenDatenbanken [15], die unter der Schirmherrschaft des IDA Programms(Information and Data for Administrations) entwickelt werden.

• Verzeichnisse über die Ressourcen zur Überwachung übertragbarerKrankheiten, Impfmöglichkeiten sowie medizinische Möglichkeiten undEinrichtungen auf Reisen

• Zeitschriften, als Online- und Druckversion, zur Verbreitung vonInformationen über die Überwachung und Kontrolle übertragbarerKrankheiten [16].

Weitere Formen der Zusammenarbeit entstehen rings um die Methodik und ande-re Bereiche von Interesse für die Gemeinschaft zur Überwachung übertragbarerKrankheiten. Eine Studie über die nationalen Überwachungssysteme von Infek-

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tionskrankheiten in der Europäischen Gemeinschaft und COST Ländern [17] kamzu dem Schluss, dass diese Systeme sich je nach Land in der Art, Ausgestaltungund Qualität stark unterscheiden und deckte die Notwendigkeit eines aktiven,koordinierten Ansatzes zur weiteren Entwicklung der Überwachung übertragbarerKrankheiten auf europäischer Ebene auf.

Neuere Entwicklungen

Eine kürzliche Entscheidung des Europäischen Parlaments zur Einrichtung weite-rer Netzwerke zur Überwachung übertragbarer Krankheiten hat den gesetzlichenRahmen geschaffen, der den bereits begonnenen Prozess fortsetzen wird. Es haterhebliche Diskussionen über die Art und Weise gegeben, wie sich die Zusam-menarbeit auf dem Gebiet der Überwachung übertragbarer Krankheiten entwik-keln sollte, insbesondere darüber, ob Netzwerke oder ein Zentrum auf übernatio-naler Ebene entwickelt werden sollten [18, 19, 20, 21].

Eine Entscheidung zugunsten der Netzwerke wurde im September 1998 ge-troffen [22]. Durch diese Entscheidung wird ein offizielles Expertengremium ein-gesetzt, das die Entwicklung weiterer Netzwerke überwachen wird. DiesesGremium wird die koordinierende Rolle fortsetzen, die informell von der „CharterGruppe“ übernommen worden war, ein Ausschuss aus Institutionsleitern, die inLändern der EU auf nationaler Ebene für die Überwachung übertragbarer Krank-heiten verantwortlich sind. Die Charter Gruppe entwickelte sich im Anschluss aneine Reihe von Vereinbarungen zur Kooperation zwischen den Mitgliedsländernbei der Überwachung übertragbarer Krankheiten. Ein anschließendes Experten-treffen empfahl die Einrichtung einer Expertengruppe aus Spezialisten auf demGebiet der Überwachung übertragbarer Krankheiten aus den Mitgliedsländern,um die Kommission bei der Koordination, Entwicklung und dem Monitoring vonProjekten zur Überwachung übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaft zuberaten. Diese Gruppe sollte ebenfalls hinsichtlich Prioritäten und erforderlichenRessourcen für die Entwicklung von Überwachungsmechanismen beratend tätigsein.

Das Netzwerk strebt die Entwicklung einer permanenten Koordinationsstruk-tur für die Überwachung übertragbarer Krankheiten in Europa an. Obwohl dieseRollen nicht völlig klar sind, definierte die Charter Gruppe diese wie folgt:

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• Beitrag zur Festlegung von Prioritäten bei der Überwachung übertragbarerKrankheiten

• Überprüfung von Defiziten in der europäischen Zusammenarbeit auf demGebiet übertragbarer Krankheiten

• Rat und Unterstützung für die Einrichtung von Mechanismen für einenAustausch von Informationen zu auftretenden Infektionen

• Hilfe bei der Entwicklung effektiver Formen der Zusammenarbeit bei derÜberwachung von Ausbrüchen mit internationalen Auswirkungen

• Förderung einer unabhängigen Untersuchung und wissenschaftlichen Über-prüfung der Zusammenarbeit bei der Überwachung übertragbarerKrankheiten

• Beratung über wissenschaftliche Standards der Zusammenarbeit undGeldgeber

• Entwicklung von Verbindungen zu Organisationen, die für die Überwachungübertragbarer Krankheiten auf nationaler und internationaler Ebene außer-halb der Europäischen Gemeinschaft zuständig sind

• Förderung der Entwicklung einer auf Fakten gestützten Politik.

Vieles davon ist bereits unternommen worden. Eine Delphi Studie über künftigePrioritäten europäischer Zusammenarbeit ist veröffentlicht worden [23] und einVerzeichnis dessen, was Europa auf dem Gebiet der Untersuchung und Kontrolleübertragbarer Krankheiten leisten kann, ist auf CD-ROM von der EuropäischenKommission erhältlich.

Die schnelle Entwicklung der Informationstechnologie, besonders das Inter-net, hat sich auf die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet übertragbarerKrankheiten ausgewirkt. Die zuständigen Behörden auf nationaler Ebene und derWHO haben Interesse an der Entwicklung von Rapid Alert Systemen und inter-nationalen Datenbanken bekundet. Einiges davon ist in der Entwicklung. EineReihe inoffizieller Berichtsmodelle ist ebenfalls entwickelt worden, z.B. ProMED[24] wobei ca. 30.000 Abonnenten weltweit Ausbrüche übertragbarer Krankheitenper E-Mail melden.

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Die Zukunft internationaler Zusammenarbeit

Es ist wahrscheinlich, dass sich Maßnahmen weiterhin verstärkt auf die interna-tionale Dimension übertragbarer Krankheiten konzentrieren. Die wichtigstenEntwicklungen sind wahrscheinlich

• verbesserte Informationslinks mit der Entwicklung besserer, validierterRapid Alert Systeme und internationaler Datenbanken

• Harmonisierung von Falldefinitionen und Methoden zur Überwachung über-tragbarer Krankheiten

• Harmonisierung von Labormethoden und Identifikationsschemata.

Die Erfahrung mit der Entwicklung internationaler Netzwerke für übertragbareKrankheiten hat gezeigt, dass sie bei der Entdeckung und Weiterleitung von Infor-mationen an die Kontrollinstanzen für übertragbare Krankheiten effektiv sind. Diestarke Seite der Zusammenarbeit liegt in einem Netzwerk der Netzwerke, in demExperten regelmäßig zusammenkommen und gemeinsam Systeme und Ansätzeausarbeiten, wobei sie gemeinsame Falldefinitionen für die Überwachung undHarmonisierung epidemiologischer und mikrobiologischer Methoden und Stan-dards entwickeln sowie für die Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Über-wachung übertragbarer Krankheiten. Fehler und Missverständnisse sind möglichund es müssen Systeme aufgebaut werden, die dem standhalten können [25].Netzwerke müssen auf sinnvollen Prinzipien aufgebaut werden und regelmäßigeiner externen wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen werden. Die Notwen-digkeit einer effektiven internationalen Überwachung von Infektionskrankheitenbesteht auch weiterhin. Es ist gut möglich, dass sich eine Reihe von Modellen ent-wickeln wird, um den Notwendigkeiten in den unterschiedlichen Teilen der Weltgerecht zu werden. Diesen allen liegt jedoch die Notwendigkeit zugrunde, eineinternationale Expertengruppe aufzubauen mit einer Reihe sich teilweise decken-der Interessensbereiche und Fertigkeiten, die gemeinsame Ansätze teilen, sichuntereinander auf wissenschaftlicher Basis verstehen und, was am wichtigsten ist,sich gegenseitig vertrauen.

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Die Rolle der klassischen sexuell übertragbarenKrankheiten bei der HIV-Übertragung undKontrolle von HIV-Epidemien: VorliegendeTatsachen und gegenwärtiger Diskussionsstand

Dr. Heiner Grosskurth, London School ofHygiene and Tropical Medicine

STD – ein ernstes Public HealthProblem

Die klassischen sexuell übertragbarenKrankheiten (STD) sind weltweit ein ern-stes Problem für das öffentliche Gesund-heitswesen. Nach Schätzungen der Welt-gesundheitsorganisation (WHO) gibt esjedes Jahr ungefähr 300 Millionen neuerFälle von Syphilis, Gonorrhoe, Chlamy-dieninfektion und Trichomonadenbefall,die meisten davon in den Entwicklungs-ländern [38]. STD führen oftmals zu lebensbedrohlichen Komplikationen undsind laut Weltentwicklungsbericht aus dem Jahre 1993 abgesehen von Schwan-gerschaftskomplikationen der zweitwichtigste Grund für den Verlust gesunderLebensjahre bei Frauen im gebärfähigen Alter [39].

Westeuropäische Länder sind weniger betroffen, wobei einige Länder wieSchweden sehr geringe Infektionsraten zu verzeichnen haben [5]. Jedoch bestehtWesteuropa nicht isoliert von allen anderen Ländern und unsere zahlreichenVerbindungen mit anderen Teilen der Erde, die generell einen positiven Aspektmodernen Lebens darstellen, machen es anfällig für Epidemien, die wir schon alsein Relikt der Geschichte betrachteten. Zum Beispiel sind sich Amtsärzte undEpidemiologen für Infektionskrankheiten in Deutschland zunehmend der großen

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Syphilisepidemie bewusst, die sich schnell in Russland und in den meisten ande-ren Ländern Osteuropas und Zentralasiens [31] ausgebreitet hat.

Den jüngsten Zahlen des WHO Regionalbüros für Europa in Kopenhagen zufolgescheinen der schnelle Anstieg und die sehr hohe Syphilisinzidenz in letzter Zeitihren Gipfel erreicht zu haben oder sich sogar rückläufig zu entwickeln, unklar istjedoch, ob dies das Ergebnis von Versuchen zu deren Eindämmung ist, von epi-demiologischer Sättigung oder nur unvollständiger Berichterstattung aufgrundüberholter Surveillancesysteme. Bestenfalls geht die Epidemie zurück, hält sichjedoch immer noch auf einem gefährlich hohen Niveau. Es bedarf keiner großenPhantasie, um sich vorzustellen, dass diese Epidemie für Deutschland früher oderspäter zu einem ernsthaften Public Health-Problem werden kann, dass eine sorg-fältige STD-Surveillance in diesem Land sehr ernst genommen werden muss unddass evtl. zusätzliche Kontrollmaßnahmen ergriffen werden müssen.

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Die STD/HIV Kofaktor-Hypothese

Seit dem Ende der 80er Jahre ist man sich wegen der möglichen Rolle bei dersexuellen HIV-Übertragung stärker der Bedeutung von STD bewusst. Das Themaist kürzlich umfassend von Fleming und Wasserheit [7] behandelt worden.Signifikante statistische Zusammenhänge zwischen STD und einer HIV-Infektionsind bereits zu einem frühen Stadium der AIDS-Pandemie in verschiedenenQuerschnitts- und Fallkontrollstudien dokumentiert worden.

Diese Studien zeigten, dass Personen, die gegenwärtig an STD leiden, oder miteiner STD-Anamnese wahrscheinlich eher mit HIV infiziert werden als Personen,auf die das nicht zutrifft, und führten zu der Hypothese, dass STD ein verstärken-der Kofaktor für die sexuelle HIV-Übertragung sind. Jedoch lassen sich solcheBeobachtungen nur schwer interpretieren, da STD- und HIV-Infektion den glei-chen Übertragungsweg haben und der Zusammenhang möglicherweise durch ein

Population studied STD studied Strength of association 4)

(95% confidence intervals)Reference

Cross-sectional andcase control studies

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history of any STD past2 years

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Wives of HIV+vemen, Zimbabwe

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75 60 % 1.9 (1.0 - 4.8) 5) Latif 1989

Men attending STDclinic, Kenya

history of GUScurrent genital ulcer

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Simonsen1988

Longitudinal studies N HIV-incidence

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Clients of female sexworkers, Kenya

GUS (mainly chancroid) 293 8.2 % 1) 4.7 (1.3-17.0) Cameron1989

Female sex workers,Kenya

GUS (mainly chancroid)Chlamydia inf.

196 47 % 2) 3.3 (1.2 - 10.1)2.7 (0.9 - 7.8)

Plummer1991

Female sex workers,Zaire

GonorrhoeaCT infectionTrichomoniasis

431 22 % 2) 4.8 (2.4 - 9.8)3.6 (3.4 - 9.1)2.7 (0.9 - 4.1)

Laga1993 3)

GUS = Genital ulcer syndrome , CT Chlamydia trachomatis1) within a few weeks after first visit at clinic2) annual incidence3) longitudinal with nested case-control study4) after adjustment for possible confounding factors, if reported (exceptions indicated)5) not adjusted for possible confounding factors (such as number of partners)

AusgewählteStudien überden Zusam-menhang zwi-schen STD undHIV-Infektion

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risikoreiches sexuelles Verhalten als Störfaktor erklärt werden kann. Darüber hin-aus kann mit Querschnitts- und Fallkontrollstudien nichts über die Zeitfolge derbeiden Infektionsarten ausgesagt und somit nicht geklärt werden, in welcheRichtung der möglicherweise vorhandene Kausalbezug verläuft [21].

Während der späten 80er und Anfang der 90er Jahre wurde eine Reihe vonProspektivstudien durchgeführt, die bestätigten, dass STD in der Tat oftmals einerHIV-Infektion vorausgehen. Solche Studien erleichterten ebenfalls zu einemgewissen Grad, dass der Effekt sexueller Verhaltensweisen bei der Datenanalyseausgeschaltet wurde. Eine Reihe biologischer Studien hat kürzlich der STD/HIV-Kofaktor-Hypothese zusätzliches Gewicht verliehen. Sie zeigten, dass sich HIV-Partikel in Genitalsekreten bei Personen mit einer STD stärker ausbreiten und dieHIV-Ausbreitung durch die Behandlung von STD reduziert werden kann [4, 8].Obwohl die Hypothese jetzt allgemein akzeptiert wird, ist für bestimmte STD dieBedeutung des Kofaktoreffektes nicht bekannt. Die in verschiedenen epidemiolo-gischen Studien festgestellten Zusammenhangsgrößen beschreiben die zuneh-mende Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion bei Vorliegen von STD überZeiträume hinweg, die Zeiten einschlossen, an denen die Studienobjekte frei vonSTD waren. Der Kofaktoreffekt einer STD für eine HIV-Infektion über denGeschlechtsakt ist wahrscheinlich noch sehr viel größer. Meinungen zufolge istdieser bei Genitalgeschwüren etwa 50 bis 100 mal so hoch [13]. Bei nicht-ulcera-tiven STD ist der Verstärkungseffekt wahrscheinlich viel geringer, da jedoch dieseSTD weiter verbreitet sind als genitale Geschwüre, tragen sie eventuell erheblichzur HIV-Pandemie auf Bevölkerungsebene bei [17].

Das Konzept der STD-Kontrolle zur HIV Prävention

Gegen Ende der 80er Jahre schien sich der Nachweis des Kofaktoreffektes aus-reichend erhärtet zu haben, um die Kontrolle von STD zusätzlich zu verhaltens-bezogenen Interventionen als Mittel zur HIV-Prävention zu empfehlen. Dassymptomatische STD-Fallmanagement wurde für solche Regionen, in denen STDnicht fachärztlich behandelt oder zuverlässig im Labor analysiert werden konnten,als bevorzugte Strategie festgelegt [37]. Jedoch können die Auswirkungen diesesAnsatzes nur schwer vorausgesagt werden, da sie von einer Reihe nicht leichtbestimmbarer Faktoren abhängen: Umfang des Kofaktoreffekts, Prävalenz und

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Typ der STD bei HIV-diskordanten Partnern und Effektivität von Kontrollmaß-nahmen zur erforderlichen Reduzierung der STD-Prävalenz.

Zwei Arten von Untersuchungen sind durchgeführt worden, um einen empiri-schen Nachweis über die Effektivität von STD-Kontrollstrategien zur HIV-Prä-vention zu erbringen: unkontrollierte Interventionsstudien bei Prostituierten undgemeinschaftsbezogene randomisierte Kontrollversuche (RCT) in der allgemei-nen Bevölkerung. Bis heute sind all diese Studien in afrikanischen Ländern unter-halb der Sahara durchgeführt worden, da diese Region so stark von der HIV-Pandemie betroffen ist, therapierbare STD dort weitverbreitet sind und weil diebeiden Faktoren die Verwirklichung epidemiologischer Studien bei ausreichendgroßen Stichproben erleichtern. An der Elfenbeinküste und in Zaire führten dieEinführung effektiver Maßnahmen zur Behandlung von STD zusammen mitGesundheitserziehung und Ausgabe von Kondomen zu einer erheblichen und sig-nifikanten Senkung der STD und HIV-Inzidenz in den Prostituiertenkohorten [6,18]. Dies änderte sich auch nicht, nachdem die Verwendung von Kondomen in derAnalyse berücksichtigt worden war; jedoch können restliche Confounder nichtausgeschlossen werden und es ist deshalb schwierig, die Wirkungen der Behand-lung von STD von denen der Kondombenutzung komplett zu trennen.

Die randomisierten Kontrollversuche von Mwanza und Rakai

Bis heute sind nur zwei Kontrollversuche durchgeführt worden, um die Auswir-kung einer AIDS-Intervention auf die sexuelle HIV-Übertragung in der allgemei-nen Bevölkerung zu untersuchen. Bei beiden Versuchen wurde gemessen, wiesich die Behandlung von STD auf die HIV-Inzidenz auswirkt. Versuche, die dieAuswirkungen von Verhaltensinterventionen in der allgemeinen Bevölkerunguntersuchen, sind erst kürzlich, fast zwei Jahrzehnte nach Beginn der Pandemie,gestartet worden. Der erste STD-Interventionsversuch wurde in der MwanzaRegion in Tanzania durchgeführt und konzentrierte sich auf die Auswirkungenverbesserter Behandlungsmaßnahmen für STD, die in das im Land vorhandeneprimärärztliche Versorgungssystem integriert wurden [14]. Die Intervention be-stand aus fünf Komponenten: Schulung von Mitarbeitern des Gesundheitswesensin Bezug auf symptomatisches Fallmanagement entsprechend von Empfehlungender WHO, Ausgabe kostengünstiger jedoch effektiver Medikamente, regelmäßige

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Kontrollbesuche in Gesundheitseinrichtungen, Dorfkampagnen zur Verbesserungder Inanspruchnahme von Behandlungen und Einrichtung einer Klinik zur Über-weisung von Patienten mit STD sowie eines Labors zur Überwachung der Effek-tivität der angewandten Behandlungsmaßnahmen. Die Intervention sollte finan-zierbar, nachhaltig und in anderen Landesteilen wiederholbar sein und daher wur-den keine teuren Therapien auf der Basis von Einzeldosen angewandt, die sonstvielleicht wegen der besseren Einhaltung vorgezogen worden wären. Sechs Paaregroßer Dorfgemeinschaften wurden gebildet, um die Auswirkung der Interventionüber einen Zeitraum von zwei Jahren zu evaluieren. In jedem Paar ähnelten sichdie Gemeinschaften hinsichtlich des Ausgangswertes der HIV-Prävalenz undanderer Faktoren [10], und eine Gemeinschaft wurde für die Intervention zufälligausgewählt, während in den Vergleichsgruppen die vorhandenen medizinischenLeistungen nicht vor Ablauf des Versuchs geändert wurden.

Eine Kohorte von ungefähr 12.000 zufällig ausgewählten Erwachsenen (1.000aus jeder Gemeinschaft) wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet,um die Auswirkungen der Intervention zu bestimmen. Aus ethischen Gründenwurden alle symptomatischen Kohortenmitglieder und alle diejenigen mit einempositiven RPR-Syphilis Test (rapid plasma reagin) zu Beginn in beiden Versuchs-zweigen behandelt. Beim follow-up zwei Jahre nach der Intervention und unterBerücksichtigung von Störfaktoren war die HIV-Inzidenz in der Interventions-gruppe um 38 % niedriger als in den Vergleichsgruppen; dieser Unterschied warstatistisch gesehen von großer Bedeutung [11, 15]. Im Hinblick auf die Auswir-kung auf STD war die Prävalenz der aktiven Syphilis (definiert als positive Tre-ponema pallidum Hämagglutinationsanalyse und einem RPR Titer > = 1:8) 29 %niedriger, die Inzidenz der aktiven Syphilis 38 % niedriger und die Prävalenz dersymptomatischen Urethritis beim Mann in der Interventionsgruppe 49 % niedri-ger als in den Vergleichsgruppen [20]. Die Syphilis-Seroprävalenz unterschiedsich erheblich, und die Unterschiede bei den anderen Parametern erreichtenGrenzwerte. Das berichtete Sexualverhalten unterschied sich nicht zwischen denbeiden Versuchszweigen oder im Laufe der Zeit. Die Forscher schlossen, dass dieAuswirkung auf die HIV-Inzidenz auf die Intervention zurückzuführen sei undnicht auf geänderte sexuelle Verhaltensweisen in den Interventionsgruppen. DiePrävalenz der asymptomatischen Urethritis beim Mann und Inzidenz selbstbeob-achteter STD-Symptome unterschied sich nicht wesentlich zwischen den beidenVersuchszweigen. Leider gab es keine Auswirkungen auf die Prävalenz von

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Infektionen der Fortpflanzungsorgane bei Frauen, die Pränatalkliniken aufsuch-ten, wie in zwei aufeinanderfolgenden Querschnittsstudien in den gleichenBevölkerungsgruppen gezeigt wurde, die zu Beginn und ein Jahr nachImplementierung der Intervention durchgeführt wurden.

Der zweite im Rakai District von Uganda durchgeführte gemeinschaftsbezo-gene randomisierte Kontrollversuch wurde erst kürzlich abgeschlossen [36]. Beidieser Studie wurde getestet, wie sich wiederholte Runden einer Massenbehand-lung von STD auf die Quoten von STD- und HIV-Übertragung auswirken. DieMassenbehandlung erfolgte für alle Einzelpersonen im Abstand von zehn Mona-ten zuhause als direkt beobachtete Therapie. Drei solcher Massenbehandlungs-runden wurden durchgeführt. Dabei wurden Antibiotika als hocheffektiveEinzeldosen eingesetzt und alle syphilispositiven (toluidine red unheated serumtest = TRUST) Einzelpersonen auf Syphilis behandelt. In der Vergleichsgruppewurde eine Massenbehandlung mit Vitaminen, Eisen, Folsäure und Wurmmittelndurchgeführt, während TRUST-positive Personen und all jene mit STD-Symptomen an staatliche Kliniken überwiesen wurden. Der Versuch wurde in 56Dorfgemeinschaften bestehend aus zehn Clustern durchgeführt, von denen fünfnach dem Zufallsprinzip für die Intervention ausgewählt wurden. Soziale Verbin-dungen wurden festgestellt und trugen dazu bei, Studiencluster zu bestimmen, umeine Ansteckung zwischen Interventions- und Vergleichsgruppen zu minimieren.Wie in Mwanza, war die STD- und HIV-Prävalenz zu Beginn in den beidenVersuchszweigen ähnlich [35].

Die Auswirkungen wurden anhand von Untersuchungen nach Ablauf vonzehn Monaten in einer offenen Kohorte aus über 14.000 Einzelpersonen gemes-sen, die der Gesamtbevölkerung im Alter von 15 - 59 Jahren in den Versuchsge-meinschaften entsprach. Die wichtigsten Ergebnisse sind in der folgenden Tabellezusammengefasst. Der Versuch wurde nach drei Massenbehandlungsrunden vor-zeitig abgebrochen, da keine Auswirkungen auf die HIV-Inzidenz beobachtetwurden. Bei der Nachfolgeuntersuchung zehn Monate später war jedoch diePrävalenz der aktiven serologischen Syphilis (TPHA+/TRUST Titer >= 1:4) 36 %niedriger und die Prävalenz von Trichomonadenbefall in der Interventionsgruppe42 % niedriger; beide Unterschiede waren statistisch gesehen signifikant. DiePrävalenz dieser Infektionen nahm im Laufe der Zeit in beiden Versuchszweigenab, jedoch war die Abnahme in der Interventionsbevölkerung erheblich stärker. Esgab keine bedeutsame Auswirkung auf die Inzidenz neuer Syphilisfälle. Bei

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Gonorrhoe und Chlamydieninfektion gab es beim follow-up keine erheblichenUnterschiede zwischen den Versuchszweigen, aber es wurden nur kleine Stichpro-bengrößen analysiert. Jedoch war im Laufe der Zeit die Prävalenz dieser Infekti-onen in der Interventionsgruppe erheblich um 40 - 60 % zurückgegangen, wohin-gegen in der Vergleichsgruppe keine Veränderung festgestellt wurde. Bei denselbstbeobachteten Symptomen wurden keine Auswirkungen festgestellt. Beischwangeren Frauen war die Prävalenz von Gonorrhoe, Chlamydia trachomatisund bakterieller Vaginosis beim follow-up in der Interventionsgruppe 30 - 70 %geringer und diese Unterschiede waren erheblich. Es gab keinen Nachweis, dassdie Ergebnisse durch unterschiedliche sexuelle Verhaltensweisen zwischen denbeiden Versuchszweigen verzehrt wurden.

Zum Verständnis der Mwanza- und Rakai-Ergebnisse

Die Ergebnisse des Mwanza-Versuchs haben dazu geführt, dass Politiker in vie-len Entwicklungsländern Maßnahmen zur Kontrolle von STD als wichtigen Be-

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standteil ihrer Bemühungen zur Eindämmung der HIV-Epidemie in ihrem Landergriffen haben. Spenderorganisationen haben diese Entwicklung unterstützt. Vordiesem Hintergrund haben die unerwarteten Ergebnisse des Rakai Versuchs zugroßer Unsicherheit und Zweifeln geführt, und es wurden Fragen laut, ob die ein-geschlagenen Strategien angemessen seien und die Ausgaben zur Kontrolle vonSTD gerechtfertigt. Es ist daher äußerst wichtig, dass die offensichtlich wider-sprüchlichen Ergebnisse der beiden Versuche verstanden werden. Angesichts derdrohenden HIV-Epidemien in Indien und China ist es wichtig, sinnvolle Erklä-rungen und Hypothesen aufzustellen, die die Politiker bei ihrer Entscheidungs-findung unterstützen. Wegen der hohen STD-Inzidenz und der auftretenden HIV-Epidemie in den Ländern der früheren Sowjetunion hat diese Frage auch direkteAuswirkungen auf die Public Health-Politik in Deutschland.

Eine Reihe von Beratungen und Treffen hat es sowohl bei der WHO als auchzwischen den beiden beteiligten Forscherteams gegeben, die zu einem konstruk-tiven und fruchtbaren Dialog geführt haben. Dies wiederum führte zu einer zu-sätzlichen Datenanalyse und zu Veröffentlichungen, die viele der Fragen geklärthaben [33, 12]. Dem allgemeinen Verständnis zufolge ergänzen sich die Versuchs-ergebnisse eher anstatt sich zu widersprechen und sie könnten politische Entschei-dungsträger eher unterstützen als verwirren und haben zur Entwicklung einerReihe wichtiger Forschungsfragen geführt, die dringend behandelt werden müs-sen.

Bei den beiden Versuchen wurden verschiedene Interventionen getestet; siewurden in ganz unterschiedlichen epidemiologischen Umfeldern durchgeführtund nutzten unterschiedliche Methoden zur Evaluation der Auswirkungen. DieErgebnisse sind daher nicht direkt miteinander vergleichbar. Die Unterschiedeführen zu Hypothesen, die zu einer Erklärung der beobachteten Diskrepanz derVersuchsergebnisse führen können, von denen einige von großer Bedeutung fürdie AIDS-Kontrolle sind. Jede dieser Hypothesen wird nachfolgend behandelt.

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Stadium der HIV EpidemieDie Epidemie in Rakai befand sich in einem fortgeschrittenen allgemeinen Sta-dium mit einer stabilen Prävalenz von ungefähr 16 % in der Bevölkerung undeiner hohen HIV Inzidenzrate (ca 1,5 pro 100 Personenjahre). In Mwanza war dieHIV Prävalenz noch verhältnismäßig niedrig (4 %) und ansteigend [32] und dieInzidenz hatte noch keine sehr hohe Rate erreicht (ungefähr 1 oder weniger pro100 Personenjahre). Arbeiten, die von Robinson et al mit Hilfe eines stochasti-

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schen Computermodells zur Vorhersage des Anteils neuer HIV-Infektionen auf-grund von STD durchgeführt wurden, legen nahe, dass auf Bevölkerungsebenedieser Anteil in dem Maße zurückgeht, wie sich die HIV-Epidemie ausbreitet [27],wahrscheinlich weil die meisten HIV-Infektionen außerhalb der Hauptrisikogrup-pen auftreten, in denen HIV und andere STD gewöhnlich zusammen auftreten.Ein hoher Prozentsatz von Neuinfektionen bei fortgeschrittenen Epidemienscheint in stabilen HIV diskordanten Partnerschaften aufzutreten, bei denen häu-fige Kontakte zu hohen Übertragungsraten führen, selbst wenn keine STD oderandere Kofaktoren vorliegen. In Übereinstimmung mit dieser Theorie zeigte dasRakai Forscherteam, dass die HIV-Virusbelastung bei den infizierten Personen diewichtigste Determinante für das Übertragungsrisiko war [26]. Der Prozentsatzvon Personen mit einer hohen HIV-Virusbelastung ist in HIV-Epidemien einesfortgeschrittenen Stadiums eventuell erheblich höher als in Epidemien einerFrühphase.

Die Rolle genitaler HerpesEine Herpes simplex Typ 2 Virusinfektion (HSV-2) war in der allgemeinen Bevöl-kerung beider Regionen weit verbreitet [23, 36]. In Rakai wurden nach den Test-ergebnissen der Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) zumindest 43 % der Fälle mitgenitalen Geschwüren durch HSV 2 verursacht. Die Ätiologie der Genitalge-schwüre wurde in der Mwanza Kohorte nicht bewertet, jedoch suggerieren Datenaus der Klinik für STD in Mwanza Stadt, die auf einem Enzymimmunverfahrenberuhen, dass weniger als 10 % der Genitalgeschwüre bei Patienten mit STD inMwanza auf Herpes zurückgeführt werden können. Eine HSV-2-Infektion kannnicht geheilt werden und wird im typischen Fall mit dem wiederholten Auftretenvon Genitalbläschen und Geschwüren in Verbindung gebracht, die auf die HIV-Übertragung eine erhebliche Kofaktorwirkung haben können. Einige Studienhaben gezeigt, dass Herpes mit einer verstärkten genitalen Ausbreitung des HIV-Virus in Verbindung gebracht wird [28]. Wahrscheinlich nimmt die Inzidenzsymptomatischer Herpeserkrankungen mit der Ausbreitung der HIV-Epidemie ineiner Region zu, nicht nur weil viele HIV Positive nicht genügend immunisiertsind und somit höhere HSV-2 Rückfallquoten haben, sondern auch weil eine grö-ßere Anzahl von HIV-Negativpersonen mit HSV-2 in Kontakt kommt und infi-ziert wird [3]. Es scheint, dass sich die beiden Infektionen gegenseitig verstärken

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und somit einen Teufelskreis bilden. Diese Beobachtung könnte die starke Häufig-keit von Herpes bei Patienten mit genitalen Geschwüren in Rakai erklären; undeine hohe Prävalenz und Inzidenz unbehandelter Herpesinfektionen ist einer derwahrscheinlichen Gründe für die fehlende Wirkung der STD-Massenbehandlungauf die HIV-Übertragung in Rakai.

Die relative Bedeutung symptomatischer und asymptomatischer STD

Ein großer Unterschied zwischen den beiden Interventionen lag darin, dass mitder Massenbehandlung in Rakai sowohl symptomatische als auch asymptomati-sche STD erreicht wurden, während in Mwanza asymptomatische Infektionen undsolche, für die die Patienten keine Behandlung suchten, nicht behandelt wurden,abgesehen von asymptomatischen Fällen, die als Partner von symptomatischenPersonen behandelt wurden. Während die medizinischen Leistungen in Mwanzajedoch durchgehend allen zur Verfügung standen, die eine Behandlung wünsch-ten, wurde die Massenbehandlung in Rakai in Abständen von zehn Monatendurchgeführt und zwischen diesen Behandlungsrunden standen zur Behandlungsymptomatischer STD nur begrenzt medizinische Leistungen zur Verfügung.Symptomatische STD werden gewöhnlich mit einem höheren Entzündungsgradin Verbindung gebracht, und es ist daher wahrscheinlich, dass nicht behandeltesymptomatische STD einen größeren Kofaktoreffekt auf die HIV-Übertragungausüben können als asymptomatische Infektionen. Daraus ließe sich schließen,dass zur Behandlung symptomatischer STD durchgehend zur Verfügung stehendemedizinische Leistungen effektiver sind bei der Prävention der HIV-Übertragungals eine periodisch durchgeführte Massenbehandlung. Dies erklärt die relativ star-ke HIV-Auswirkung, die in Mwanza trotz der geringen Behandlung asymptoma-tischer STD beobachtet wurde. Zur Untersuchung dieser Hypothese sind nochweitere Forschungsarbeiten erforderlich. Die Hypothese impliziert nicht, dassasymptomatische STD vernachlässigt werden sollten: sie spielen bei der Übertra-gung von STD wahrscheinlich eine große Rolle und tragen wesentlich zu derenKomplikationen bei wie z.B. PID, ektopische Gravidität und Unfruchtbarkeit.

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Wiedereinschleppen von STD

Zu den in Rakai verabreichten Medikamenten gehörten Azithromycin, Cipro-floxacin und Benzathin-Penicillin. Bei allen handelt es sich um hochwirksame,einzeldosierte Medikamente. Trotz dieser Wirkungen wurde nach Ablauf jedesdarauf folgenden Zeitraumes von zehn Monaten eine erhebliche STD-Prävalenzbeobachtet, was auf eine hohe Infektions- und Neuinfektionsrate im Anschluss andie Massenbehandlung hinweist. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Popu-lation der Rakai Studie eine offene Kohorte mit Personen war, die bei einer vor-herigen Behandlungsrunde fehlten oder die Behandlung ursprünglich abgelehnthatten. An der Massenbehandlung nahmen ca 70 % der gemeldeten erwachsenenEinwohner teil, die mehr als 80 % der Bevölkerungsgruppe repräsentierten. Per-sonen, die nicht an den Massenbehandlungsrunden teilgenommen hatten, warenwahrscheinlich mobilere Mitglieder der Bevölkerung, möglicherweise mit einemüberdurchschnittlich hohen STD-Risiko. Zusätzlich dauerte es eine gewisse Zeit,bis die Massenbehandlungsrunden in jeder teilnehmenden Bevölkerungsgruppeabgeschlossen waren, so dass einige derjenigen, die sich einer Massenbehandlungunterzogen hatten, eventuell erneut von Sexualpartnern infiziert wurden, die nochnicht behandelt wurden. Wie bereits oben erwähnt, standen nur begrenzte Behand-lungsmöglichkeiten für neu infizierte und reinfizierte Fälle zur Verfügung. InMwanza gab es auch Reinfektionen und Neuinfektionen bei vorher nicht infizier-ten Personen, jedoch standen Personen mit symptomatischen Neuinfektionendurchgehend Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Prozentsätze, die der Bevölkerung zugeschrieben werden können

Der Anteil an HIV Infektionen, der auf im Laufe der Studie auftretende STDzurückgeführt werden konnte, wurde in beiden Versuchsbevölkerungen bestimmt[9, 24]. Dieser der Bevölkerung zuzuschreibende Prozentsatz (PAF) kann mitHilfe von Daten über das relative HIV-Risiko bei Personen mit und ohne STDberechnet werden, zusammen mit Daten über die Häufigkeit des Auftretens von

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STD. In Rakai konnten nur 10 % der neuen HIV-Infektionen STD-Symptomenoder behandelbaren STD zugeschrieben werden, und es gab keinen signifikantenUnterschied zwischen Interventions- und Vergleichsgruppen. In Mwanza dage-gen, betrug der PAF der HIV-Infektionen aufgrund symptomatischer STD bzw.neuer Syphiliserkrankungen bei Männern 43 %. In den Interventionsgruppenwurde der PAF bei Männern erfolgreich auf 11 % reduziert. Daraus kann ge-schlossen werden, dass symptomatische STD bei der HIV-Übertragung inMwanza eine wichtige Rolle gespielt haben können, zumindest bei Männern, unddies stimmt mit der Hypothese überein, dass die rechtzeitige symptomatischeBehandlung die Dauer der symptomatischen STD und somit deren Bedeutung alsKofaktoren reduziert hat. Die kleineren PAFs und der geringere Unterschied beiden PAFs in Rakai verglichen mit Mwanza spiegelt evtl. das Stadium der Epide-mie und die Prävalenz behandelbarer und nicht behandelbarer STD wie oben dis-kutiert wider. Ein Grund für die Tatsache, dass die Berechnungen sogar inMwanza keine höheren PAFs zeigten, liegt darin, dass die Berechnungen haupt-sächlich die STD-Kofaktoreffekte auf die HIV-Empfänglichkeit berücksichtigenund nicht vollständig die Wirkung auf die Erhöhung der Infektiosität HIV-positi-ver Personen berücksichtigen und daher wahrscheinlich Unterschätzungen sind.Obwohl die Intervention in Mwanza die HIV-Inzidenz sowohl bei Männern alsauch Frauen reduzierte, zeigten die PAF-Berechnungen keinen Interventions-effekt bei Frauen. Dies ist kein Widerspruch, da Frauen wahrscheinlich durch denInterventionseffekt ihrer männlichen Partner geschützt sind.

Zufall

Wie auch bei den Ergebnissen jeder anderen epidemiologischen Studie, kann esbei den Punktschätzungen für die Auswirkung auf die HIV-Übertragung der bei-den Versuche Stichprobenfehler geben. Während die Punktschätzung des MwanzaVersuches auf eine Senkung der HIV Inzidenz von 38 % hinweist, entsprachen dieDaten einer 95 %-igen Wahrscheinlichkeit, dass die tatsächliche Wirksamkeit ir-gendwo zwischen 15 % und 55 % lag. In Rakai wies die Punktschätzung auf eineSenkung der HIV-Inzidenz von 3 % hin, während die 95 %igen Konfidenzinter-valle für Wirksamkeit von minus 16 % bis (plus) 19 % reichten. Der Unterschiedzwischen den beiden Punktschätzungen war statistisch gesehen signifikant,

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jedoch entsprachen die Daten einer Wirksamkeit von beispielsweise 25 % inMwanza und 10 % in Rakai.

Wohin gehen wir von hier aus? Auswirkungen auf die Politikund Forschung

STD-Kontrolle zur HIV-Prävention

Welche Schlüsse können wir aus den vorliegenden Tatsachen für die Rolle derBehandlung von STD bei der HIV-Prävention ziehen? Es erscheint wenig zwei-felhaft, dass verschiedene STD als Kofaktoren wirken und die Übertragung vonHIV verstärken und dies dazu beiträgt, die schnelle Verbreitung von Infektionenbei Bevölkerungen mit hohen STD-Quoten zu erklären. Die Kontrolle von STDsollte eine der wichtigsten Strategien zur Senkung der HIV-Übertragung bleiben.

Daten der Mwanza und Rakai Versuche stützen die Hypothese, dass sich eineverbesserte Behandlung von STD auf der Ebene der Bevölkerung auf die HIV-Übertragung in Regionen mit einer hohen STD-Prävalenz und einem niedrigenoder mittleren Niveau an HIV-Epidemien auswirkt. Viele Länder in Afrika, unter-halb der Sahara, in Latein Amerika, viele Teile Indiens und andere asiatischeLänder, jedoch auch solche in Osteuropa befinden sich gegenwärtig genau in die-sem epidemiologischen Stadium. Für diese Länder ist die Einrichtung gut funk-tionierender und effektiver Programme zur Kontrolle von STD von absoluterDringlichkeit.

Welche Strategie?

Wie kann die Kontrolle von STD in einem bestimmten Kontext am besten erreichtwerden? Die Strategie sollte an die in einer bestimmten Bevölkerung vorherr-schenden Bedingungen angepasst werden. Besonders in den frühen Phasen derHIV-Epidemie und dort, wo kommerzieller Sex bei der HIV-Übertragung einewichtige Rolle spielet, sind die gezielte Kontrolle von STD und Programme zurFörderung der Benutzung von Kondomen unter Prostituierten und anderenHauptrisikogruppen von größter Bedeutung. Selbst bei sehr begrenzten finanziel-

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len Möglichkeiten sollten diese Strategien gewählt und rigoros durchgeführt wer-den. Solche Programme können ein verbessertes Fallmanagement, Screening,eine regelmäßige Behandlung von vermuteten STD oder eine Kombination dieserAnsätze enthalten.

Wann immer möglich, sollte für die allgemeine Bevölkerung ein verbessertesSTD-Fallmanagement verfügbar sein, jedoch ist dies von noch größerer Bedeu-tung, sobald sich die HIV-Epidemie nicht mehr nur auf typische Hauptrisikogrup-pen beschränkt.

Bei Epidemien im fortgeschrittenen HIV-Stadium, kann die relative Bedeu-tung des STD-Managements zwar sinken, jedoch kann die absolute Anzahl vonHIV-Fällen aufgrund von STD erheblich sein. Aus diesem Grund sollte die Kon-trolle von STD selbst in Regionen mit fortgeschrittenen HIV-Epidemien nichtvernachlässigt werden.

STD-Massenbehandlung?

Ist die Option der STD Massenbehandlung zur HIV-Prävention aufgrund desRakai-Versuchs in Misskredit geraten? Eine Massenbehandlung kann unter ande-ren epidemiologischen Bedingungen als in Rakai eine effektive Strategie sein.Computersimulationen mit den Hintergrunddaten der Mwanza-Bevölkerung wei-sen zum Beispiel darauf hin, dass eine Massenbehandlung in Regionen mit einerhohen Prävalenz behandelbarer STD und einer mittleren jedoch steigenden HIV-Prävalenz von substantieller Bedeutung sein können [16]. In diesem Modell führteine einzige Massenbehandlungsrunde zusammen mit einem verbesserten STD-Fallmanagement zu einer schnellen, steilen und dauerhaften Senkung der HIV-Inzidenz mit mehr als 60 % nach 5 Jahren. Computersimulationen basieren nichtnur auf verfügbaren empirischen Daten, sondern erfordern oft eine breite Reihevon Annahmen, z.B. über die Übertragungswahrscheinlichkeit, und ihre Vorher-sagen sollten daher mit Vorsicht betrachtet werden. Trotzdem sprechen dieseBeobachtungen für eine vorsichtige Beurteilung der Massenbehandlung unteranderen Bedingungen.

Die präsumtive Behandlung von STD in Hauptrisikogruppen ist eine weitereMöglichkeit, die kürzlich in einem Bergwerksgebiet in Südafrika eingeführt wur-de. Hier wurde eine Kohorte aus Prostituierten mit einer hohen STD-Prävalenz in

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monatlichen Abständen auf STD behandelt, gleichgültig ob sie Symptome anga-ben oder nicht. Jedoch führte diese Intervention nicht nur unter Prostituierten son-dern auch in der in dieser Region ansässigen männlichen Bevölkerung zu einemstarken und signifikanten Rückgang von STD [30]. Leider war es nicht möglich,die Auswirkung dieser Intervention auf die HIV-Übertragung in der allgemeinenBevölkerung zu bestimmen.

Obwohl wir sehr viel aus den Mwanza- und Rakai-Versuchen lernen konnten,sind wichtige Fragen und neue Hypothesen aufgetaucht, von denen einige fürkünftige politische Entscheidungen von großer Bedeutung sind. Drei wichtigeBereiche der Forschung sind erforderlich: die operationale Forschung, die klini-sche und epidemiologische Forschung und die Evaluation der Auswirkungen vonInterventionsstrategien.

Die operationale Forschung

Vergleicht man die Anzahl der Teilnehmer, die aus der Interventionsgruppe inMwanza an der Studie teilnahmen und über die Dauer des Versuchs eine STD-Erkrankung angaben mit der Anzahl der Patienten, die in den Interventions-gruppen tatsächlich eine Klinik aufsuchten, stellte sich heraus, dass trotz wieder-holter Kampagnen, in denen die Bevölkerung zur Behandlung in Kliniken aufge-fordert wurde, nur 50 % bis 75 % der symptomatischen STD-Patienten die besse-ren medizinischen Leistungen in Anspruch nahmen [1]. Die anderen suchten Hilfebei traditionellen Heilern oder reagierten offensichtlich überhaupt nicht. AndereForscher kamen zu ähnlichen Ergebnissen [22]. Es stellt sich die Frage, weshalbdies so ist und wie STD-Patienten zur Behandlung motiviert werden können.

Klinische und epidemiologische Forschung

Eine gegenwärtig noch unheilbare HSV-2-Infektion scheint sich erheblich auf dieHIV-Übertragung auszuwirken. Die Art dieser Interaktion muss noch geklärt wer-den, und finanzierbare und wirtschaftliche Strategien zur Kontrolle von HSV-2-Infektionen müssen noch entwickelt und evaluiert werden. Die Bandbreite derMöglichkeiten umfasst Impfungen, Antivirusbehandlung während der symptoma-

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tischen Krankheitsphasen, langfristige Therapie zur Eindämmung der Krankhei-ten und erzieherische Interventionen. Es ist wichtig herauszufinden, ob die Inzi-denz der genitalen Herpes in der allgemeinen Bevölkerung (sowohl unter HIVnegativen als auch HIV positiven Personen) in dem Maße zunimmt, wie sich dieHIV-Epidemie ausbreitet. Eine ähnliche Aufgabe besteht darin, die Rolle und rela-tive Bedeutung von bakterieller Vaginose zu klären, eine weitere Krankheit, dieschwer zu behandeln ist und in einigen Ländern sehr häufig vorkommt.

Es sind biologische Studien erforderlich, um die Rolle asymptomatischer STDbei der HIV- und STD-Übertragung zu erforschen. Einfache, genaue und finan-zierbare Diagnosetests, besonders für die gefährlichen, jedoch meistens asympto-matischen Zervixinfektionen bei Frauen müssen entwickelt werden. Sobald sol-che Tests vorliegen, müssen sie unter Feldbedingungen evaluiert werden.

Evaluation neuer Interventionsstrategien

Neue Strategien zur Kontrolle von STD- und HIV-Infektionen erfordern rigorosdurchgeführte gemeinschaftsbezogene randomisierte Kontrollversuche, bevor sieals Politik verallgemeinert werden und erhebliche Ressourcen erfordern. Dies istsicherlich der Fall für die Behandlungsoption vermuteter STD bei den obenbeschriebenen Hauptrisikogruppen [30]. Die Option der Massenbehandlung fürdie allgemeine Bevölkerung sollte nicht insgesamt aufgegeben werden, nur weilbei einem Versuch keine Auswirkung auf die HIV-Übertragung gezeigt werdenkonnte. Es ist möglich, dass eine einzige oder mehrere Massenbehandlungsrundenzusammen mit einem kontinuierlich guten STD-Fallmanagement eine effektiveSTD- und HIV-Kontrollstrategie für Länder mit einer hohen STD-Prävalenz undeiner geringen oder mittleren Prävalenz der HIV-Infektionen sind [16]. Der rela-tive Vorteil dieser Option sollte evaluiert werden, zusammen mit einem verbes-serten STD-Fallmanagement in der Kontrollgruppe.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Zusammenhänge zwischen STD und einer HIV-Infektion, die während der 80erund Anfang der 90er Jahre in Querschnitts-, Fallkontroll- und Längsschnittstudien

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beobachtet wurden, implizierten, dass STD die HIV-Übertragung verstärken. DieInterpretation dieser Beobachtungen war zunächst schwierig, weil sie möglicher-weise durch konfundierende Faktoren wie z.B. risikoreiches sexuelles Verhaltenerklärt werden konnten. Kürzlich haben biologische Studien einen zusätzlichenBeweis für die STD/HIV-Kofaktorhypothese geliefert, indem sie zeigen, dass dieHIV-Ausbreitung bei HIV infizierten Patienten bei Vorliegen von STD zunimmtund nach einer STD-Behandlung reduziert werden kann.

Unkontrollierte Interventionsstudien haben gezeigt, dass ein Programm zurKontrolle von STD bei Prostituierten die STD- und HIV-Inzidenz in diesen Grup-pen reduzieren kann. Zwei randomisierte Kontrollversuche, die durchgeführt wur-den, um die Auswirkung der STD-Behandlung auf die HIV-Übertragung in derallgemeinen Bevölkerung zu untersuchen, sind kürzlich abgeschlossen worden.Der Versuch aus Mwanza, Tanzania zeigte eine erhebliche Reduzierung der HIVInzidenz und einiger STD in einer ländlichen Bevölkerung nach der Einführungverbesserter Maßnahmen zur Kontrolle von STD, die in das vorhandene primär-ärztliche Versorgungssystem integriert wurden. Überraschenderweise zeigte derVersuch aus Rakai, Uganda, der die Wirkung einer STD-Massenbehandlung ineiner ländlichen Bevölkerung untersuchte, ebenfalls einige Auswirkungen auf dieSTD-Übertragung, jedoch nicht auf die HIV-Übertragung. Momentan läuft eineinteressante Diskussion zur Interpretation dieser Ergebnisse. Bei den Versuchenwurden verschiedene Interventionen in unterschiedlichen Settings der HIV-Epidemie mit verschiedenen Evaluationsmethoden getestet. Obwohl anfangs ver-wirrend, ergänzen sich die Ergebnisse eher als dass sie sich widersprechen.Mögliche Hypothesen schließen ein: Unterschiede im Stadium der HIV-Epidemie,die die HIV-Kontaktebene und die Ausbreitung der Virusbelastung bei den Infi-zierten beeinflussen können, Unterschiede in der Prävalenz von Genitalherpes(die nicht heilbar und schwer zu behandeln ist), stärkere STD/HIV-Kofaktor-effekte symptomatischer versus asymptomatischer STD und eine größere Wirk-samkeit kontinuierlich verfügbarer medizinischer Leistungen bei der Kontrolleeiner wiederholten STD-Infektion. Die Versuche führen zu neuen wichtigen Fra-gen in der Forschung.

Die Kontrolle von STD ist weiterhin ein wichtiges Element der Programmezur Kontrolle von AIDS besonders in Gebieten mit einer hohen STD-Prävalenzund niedrigen oder mittleren Niveau von HIV-Epidemien. Die Behandlung von

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STD ist ebenfalls erforderlich, um die Belastung durch STD-Komplikationen be-sonders auf die Gesundheit von Frauen im gebärfähigen Alter zu reduzieren.

Ein effektives STD Fallmanagement ist daher ein wichtiger Bestandteil einesBasispaketes gesundheitlicher Versorgung, zu dem jeder Zugang haben sollte.

Die in diesem Papier diskutierten epidemiologischen Aspekte können fürDeutschland zunehmend relevant werden. Eine größere STD-Epidemie hat in den90er Jahren Russland und andere osteuropäische Länder erfasst, mit sowohl klas-sischen STD- als auch HIV-Infektionen und greift noch weiter um sich. DieEpidemie wird zum Teil mit internen und grenzüberschreitenden Wanderbewe-gungen in Verbindung gebracht und mit Migranten, die kommerziellen Sex ausü-ben. Dies ist für diese Länder Anlass zur Sorge, jedoch auch für das öffentlicheGesundheitswesen in Deutschland und anderen Teilen Westeuropas, da zwischenden beiden Regionen engere wirtschaftliche und soziale Verbindungen entstehen.

Danksagung

Dieser Bericht basiert zum Teil auf einem Artikel, den der Autor und Mitarbeiterder Mwanza- und Rakai-Versuche kürzlich im Lancet veröffentlicht haben [12].Ich bedanke mich für die Beiträge beider Teams. Mein Dank gilt auch Dr RuairiBrugha für seine wertvollen Kommentare zu einer früheren Version desManuskriptes.

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Infektiologie in NRW

Dr. Manfred Zieger, Ministerium fürFrauen, Jugend, Familie und Gesundheitdes Landes Nordrhein-Westfalen

Infektiologie und Infektionsepidemiolo-gie in Nordrhein-Westfalen kann nichtexklusiv anders sein als in anderen Re-gionen in Deutschland. Das Wissen darü-ber schon eher. Es sollte auf jeden Fallbesser als in den zurückliegenden Jahrensein. Die Rahmenbedingungen sind gün-stiger den je in Deutschland und in Euro-pa und unter Einbeziehung der WHOauch weltweit, aber auch speziell in Nord-rhein-Westfalen.

Die Globalisierung und die damit verbundene Internationalisierung gebietetneue Denkansätze und neue Einsätze zur verbesserten Erkenntnisgewinnung füreine moderne Strategie der Bekämpfung von Infektionskrankheiten.

Es ist noch nicht lange her, dass in Deutschland über Infektionsepidemiologienur wenig gesprochen wurde – und das im Mutterland von Koch, Behring undEhrlich. Das auch um so erstaunlicher, wo doch das Wort „Epidemie“ in gerade-zu klassischer Verbindung zu Seuchen steht.

Was ist schief gelaufen, dass die Infektionsepidemiologie in der jüngerenVergangenheit – zum Glück nicht in der jüngsten – nicht unbedingt das Charak-teristikum der Seuchenbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland war?Sicher ist unser nicht besonders Public Health freundliches Versorgungssystem,einschließlich der auf Kuration ausgerichteten Medizinerausbildung, daran nichtganz unschuldig. In den letzten Jahren galt es deshalb, diese Defizite auszuräu-men, es galt einiges im Vergleich zu internationalen Erfahrungen, insbesondere imVergleich zu den angelsächsischen Ländern, aufzuarbeiten.

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Was nun im letzten Jahrzehnt wissenschaftlich in der Förderung der Infek-tionsepidemiologie zum Glück wieder in Deutschland aufgenommen wurde, giltes nunmehr als praktischen Gebrauch in den Ämtern – und ich schließe dasMinisterium mit ein – umzusetzen. Das Ministerium ist gleichsam beides: Lernerund Förderer der Instrumente der Infektionsepidemiologie. Dies ist insbesonderedurch die gute Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für den ÖffentlichenGesundheitsdienst NRW erreicht worden und wird weiter ausgebaut.

Die Rahmenbedingungen sind auf Bundesebene durch das überfällige neueInfektionsschutzgesetz äußerst günstig. Das Gesetz ist nunmehr von der Bundes-regierung verabschiedet worden und befindet sich z.Z. in der offiziellen Länder-abstimmung im Bundesrat.

Verbesserung der Erkenntnisgewinnung über Infektionswege und ihreAusbreitung führt zu verbesserten Instrumenten der Bekämpfung. Durch ein ver-bessertes Informations- und Meldesystem, das das neue Gesetz kennzeichnet,wird das auch erreicht werden können. Charakteristisch für einen modernen In-fektionsschutz ist schon lange nicht mehr der seuchenpolizeiliche Ansatz, wo dieKeime und Keimträger gejagt werden, sondern das Gesetz nimmt wirksamereBekämpfungsinstrumente auf. Es fordert quasi den kundigen Infektionsepidemio-logen, der viel über Prävention von Infektionskrankheiten vermittelt und ange-messene, sachgerechte, nicht übers Ziel hinausschießende Maßnahmen ergreift,der eine knifflige Stituation managt, Infektionsquellen wirkungsvoller und schnel-ler eruiert und Infektionsgefährdete schützt und berät, und dies nicht als Einzel-kämpfer, sondern als vernetzter Teamplayer, der weiß, wie man sich Informa-tionen und unterstützenden Kenntnisse besorgt.

Über die Jahre haben wir bei einer breiten Palette der meldepflichtigen Er-krankungen – wie man so schön sagt – Fliegenbeine gezählt. Generell hat dieMeldepflicht mit ihrer unvollständigen Erfassung keine entscheidene Erkenntnis-gewinne gebracht, die sofort zur besseren Erkennung von Handlungsbedarf führ-te, um die Sicherheit der Handelnden bei Ergreifen der richtigen Maßnahme zuerhöhen. Das liegt auch daran, dass der zur Meldung Verpflichtete keine Motiva-tion zur Meldung erkannte und meldete, weil es eben gesetzlich gefordert war.Wird dem Meldenden die Gründe der Erkenntnisgewinnung zur besseren allge-meinen gesundheitspolitischen Strategiebildung, um die Infektionskrankheiten zuminimieren, klar, wird ihm deutlich, dass auch er von der Meldung profitiert. Sogelingt es vielleicht die Grunddatenlage in der Infektiologie zu verbessern und

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damit die Voraussetzung für eine vollständige und ausagefähige Gesundheitsbe-richterstattung in der Infektiologie zu schaffen. Sie wird die Herausforderung dernächsten Jahre für die Gesundheitsämter und für das lögd sein.

Das neue Gesetz wird das Meldesystem, aber auch die Koordination bei Früh-erkennungs- und Bekämpfungsmaßnahmen verbessern helfen.

Für den Bürgern und den Gefährdeten und Betroffenen soll die Eigenverant-wortlichkeit gestärkt werden. Unsinnige Pflichtuntersuchungen, z.B. die einmali-gen Untersuchungen im Lebensmittelbereich und bei der Betreuung von Kindernund Jugendlichen, die nichts gebracht haben, und für staatliche Organe und ebenauch für die Betroffenen als reine Alibifunktion rangierten, werden ersetzt durchAufklärung, Belehrung und Stärkung der Eigenverantwortlichkeit. Dies passt bes-ser Weltbild des mündigen Bürgers.

Dieser Paradigmenwandel hat sich generell in der Infektiologie vollzogen,nunmehr auch in der Bundesrepublik. Das Subjekt-/Objektverhältnis oder dasUntertan- und Amtsverhältnis passt nicht mehr für die Mehrheit der Bürgerinnenund Bürger. Dies muss als generelle Marschrichtung gelten.

Einzelfälle dagegen verderben zwar immer wieder das Gesamtbild, und Ein-zelfälle sind es häufig auch, die den Überwachungsbehörden Kopfschmerzen undSchwierigkeiten bereiten, um zu sachgerechten und ebenso angemessenen Maß-nahmen greifen zu können. Gerade in diesem Bereich ist eine gegenseitige Unter-richtung und ein regelmäßiger Austausch von Erfahrungen als ein ständiger Pro-zess erforderlich. Dem trägt das neue Gesetz Rechnung. Dieser neuen Philosophiewollen auch wir in Nordrhein-Westfalen folgen.

Das Infektionsschutzgesetz gibt einen Handlungsrahmen vor, der von denLändern und Kommunen sinnvoll und realbezogen auszufüllen ist. Dies wird beider Umsetzung des Gesetzes auf dem Verordnungswege eng mit den Kommunenabgestimmt werden. Hierbei wird uns, wenn es soweit ist, insbesondere dasLandesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst helfen.

Es stellt mit dem Aufbau seiner infektionsepidemiologischen Abteilung sozu-sagen die Brücke dar: vom Robert-Koch-Institut des Bundes zu Einrichtungen imLand: die unteren Gesundheitsbehörden, bzw. die Gesundheitsämter, die Staat-lichen Regionaldirektionen, wie zukünftig die staatlichen Mittelbehörden heißenwerden, und letztlich die Landesregierung selbst. Ein Brücke für Austausch vonInformationen und Bewertungen in beide Richtungen.

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Wohlgemerkt: nach wie vor liegt die vorrangige Zuständigkeit bei den Ge-sundheitsämtern, an der Basis des Geschehens. Dort wird das Erscheinungsbildund die Marschrichtung eines modernen Infektionsschutzes vorgegeben und ge-prägt. Diese Tatsache muss von den Koordinierungsebenen, von den Bezirksre-gierungen, vom lögd und vom Ministerium erkannt und gestärkt werden, dieBedürfnisse und Bedarfe der Kommune sind insofern zu berücksichtigen. Wirhaben also mit Umsicht bei dem neuen Infektionsschutzgesetz die entsprechendenErfordernisse der Gesundheitsämter anzuerkennen und zu stärken. Dieses möch-te ich insbesondere vor dem Hintergrund betonen, dass es in der Vergangenheitvielleicht nicht immer so ausgesehen hat, als ob das Land die Kommunen geradebei den klassischen Aufgaben der Gesundheitsämter im Infektionsschutz unter-stützen würde.

Mit der Stärkung des lögd in der Infektionsepidemiologie konnte es allerdingsdarüber aber keinen Zweifel geben. Wir werden die Unterstützung der Gesund-heitämter forcieren. Das lögd dient beiden, den Kommunen und dem Land, mitseiner Mittlerfunktion sogar dem Robert-Koch-Institut. Es wird eine entschei-dende Rolle dabei spielen, dass vor Ort durch verbesserte infektionsepidemiolo-gische Kenntnisse besser gehandelt werden kann.

Ich bin überzeugt, dass auch die diesjährigen Infektionstage dazu einen Bei-trag leisten können. Die Ergebnisse dieser zwei Tage werden uns neue Erkennt-nisse geben können, an welcher Stelle wir uns verbessern müssen und inwieweitwir uns dann auf entsprechende Maßnahmen bei der Umsetzung des neuen Infek-tionsschutzgesetz vorbereiten müssen.

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Infektionskrankheiten-Surveillance in NRW

Dr. Horst-G. Baumeister, lögdDr. Ralf Reintjes, lögd

Nach den Erfolgen der kurativen Medizinin den letzten Jahrzehnten war eine Beob-achtung und epidemiologische Auswer-tung des Krankheitsgeschehens immermehr in den Hintergrund getreten. Beson-ders Infektionskrankheiten schienendurch die gezielte Anwendung von Anti-biotika praktisch besiegt und offensicht-lich war es nur eine Frage der Zeit, bis diewichtigsten Seuchen ausgerottet wären.Erst in den letzten Jahren wurde, hervor-gerufen durch eine zunehmende Resis-tenzentwicklung der Erreger, Ausbildung von Allergien und andere Faktoren, eineTrendwende erkennbar. Alte Erkenntnisse, wie sie z. B. vor ca. 350 JahrenBernadus Rottendorf, der Münstersche Stadtarzt, formulierte, wurden wieder sehraktuell. Im Urton hieß es:

„Setzt dir ewan eine Kranckheit zu, im Anfang ihr begegnen thu.Dann Artzney kompt viel zu spat, wenn überhand die Kranckheithat.“

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Um einer Erkrankung schon am Anfang begegnen zu können, ist eine sinnvolleInfektionskrankheiten-Surveillance zwingend notwendig. Wie Sie bereits in vor-hergehenden Vorträgen gehört haben, bedeutet Surveillance von Infektionskrank-heiten Beobachtung, Registrierung und Auswertung des aktuellen Infektionsge-schehens. Auf diese Weise erhält man Informationen über den Gesundheitszu-stand, die die Kontrolle der Infektionskrankheit ermöglichen und Hilfe bei Ent-scheidungsprozessen geben. Auch die epidemiologische Forschung wird durchdiese Informationen gefördert und vorangetrieben.

Bis jetzt beschränkt sich die Epidemiologie auf die Beobachtung, Registrie-rung und Verwaltung der vom Gesundheitsamt nach BSeuchG erhobenen Datenüber meldepflichtige Erkrankungen mit den Einschränkungen: hohe Dunkelziffer,relativ langsam, großer administrativer Aufwand, zeitraubend und unvollständig.Es werden allenfalls vierteljährliche und jährliche Statistiken erstellt, ihre Inter-pretation ist mühsam und zeitraubend und meistens landen diese Statistiken in denAktenschränken.

Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz wird eine Meldung, Erfassung undAuswertung auf Landes- und Bundesebene gefordert. Dieses neue Infektions-schutzgesetz (insbesondere §§ 6 - 9, 11 und 12) bietet die rechtliche Grundlage füreine vom Arzt oder Labor über das Gesundheitsamt, die Länderebene, das RKI biszur EU-Ebene durchgehende Meldung und für die jeweiligen epidemiologischenAuswertungen. Der Wortlaut von § 11 (1) Infektionsschutzgesetz, in dem eindeu-tig festgelegt wird, wie und in welcher Form die Meldung zu erfolgen hat, lautet:

§ 11

Übermittlung durch das Gesundheitsamt und die zuständige Landesbehörde

1. Die an das Gesundheitsamt der Hauptwohnung namentlich gemeldeten Erkrankungen,Todesfälle sowie Nachweise von Krankheitserregern werden gemäß den nach § 4,Abs. 2, Nr.2 Buchstabe a veröffentlichten Falldefinitionen zu einer Diagnosezusammengeführt und wöchentlich, spätestens am dritten Arbeitstag der folgendenWoche, an die zuständige Landesbehörde sowie von dort innerhalb einer Woche andas Robert Koch-Institut ausschließlich mit folgenden Angaben übermittelt:

1. Geschlecht2. Monat und Jahr der Geburt3. Erste 3 Ziffern der Postleitzahl der Hauptwohnung4. Tag der Erkrankung oder Tag der Diagnose, gegebenenfalls Tag des Todes und

wenn möglich Zeitpunkt oder Zeitraum der Infektion5. Art der Diagnose6. Wahrscheinlicher Infektionsweg, wahrscheinliches Infektionsrisiko, Zugehörigkeit

zu einer Erkrankungshäufung7. Land, soweit die Infektion wahrscheinlich in Ausland erworben wurde8. Bei Tuberkulose Geburtsland und Staatsangehörigkeit9. Aufnahme in ein Krankenhaus10. Zuständiges Gesundheitsamt

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Die folgende schematische Darstellung verdeutlicht nochmals den Übermittlungs-weg. Sie zeigt, dass das Gesundheitsamt die wichtige Funktion hat, die vom Arztund ggf. Labor erhaltenen Daten zu einer Diagnose gemäß der vom RKI zuerstellenden Falldefinition zusammen zu stellen.

Auf der nächsten, der Landesebene werden die Daten der Gesundheitsämter ge-sammelt, für das Land epidemiologisch ausgewertet und an das RKI weiterge-leitet. Die hier beschriebene Vorgehensweise wurde von allen Bundesländerngebilligt und es wurde ein minimaler Datensatz für die Einzelerfassung von Er-krankungen beschlossen. Damit erlaubt das Infektionsschutzgesetz eine bundes-einheitliche Lösung, die den EU-Richtlinien entspricht.

Diese Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz sind eine der möglichenDatenquellen, auf die sich eine Infektionskrankenheiten-Surveillance stützt. Wei-tere mögliche Datenquellen sind Erkrankungsdaten (z.B. Krankenhausstatistik),Todesursachenstatistik, Labor- und Bevölkerungsdaten. Soweit die Grundlagen,auf die sich eine Infektionskrankheiten-Surveillance stützen kann.

MöglicheMelde- undInformations-wege zumeldepflichti-gen Infektions-krankheiten inNRW

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Wie sieht es nun zum augenblicklichen Zeitpunkt in NRW aus? Nach wie vorgilt in Deutschland das alte Bundesseuchengesetz und es besteht der alte Melde-weg nach BSeuchG, nach dem die Gesundheitsämter wöchentlich ihre Infektions-daten an die Bezirksregierungen melden. Nach diesem Konzept muss die Frage:„Sind Daten gleich Informationen?“ verneint werden. Es fehlt eine systematischeVerarbeitung und Analyse, die die Umsetzung der Daten in Informationen erstbewerkstelligt. Wie bereits erwähnt, werden nach diesem bisherigen Konzept dieDaten in Statistiken zusammengetragen und z.B. im Epidemiologischen Bulletinveröffentlicht. Für eine sinnvolle und zeitnahe Infektionsbekämpfung kommt dieso gewonnene Information zu spät und der Weg, sich aus diesen gehäuften Dateneine brauchbare Information über Infektionsgeschehen, Infektionshäufungen undAusbrüche zu bilden, ist zeitraubend und mühsam.

Seit dem Frühjahr 1999 wurden in NRW vom lögd neue Wege beschritten, umzu einer sinnvollen Surveillance zu kommen. Ein erster Schritt, um eineUmsetzung der Daten in wichtige Gesundheitsinformationen zu erreichen, war dieEinbindung des lögd in den Meldeweg. Im Sommer wurden die Gesundheitsämtervom MFJFG per Erlass gebeten, die Infektionsmeldungen nach BSeuchG parallelsowohl zu den Bezirksregierungen als auch zum lögd zu senden. Dies geschiehtzur Zeit zum größten Teil per Fax oder Brief und in einigen Fällen per E-Mail. Fürdie Zukunft wird angestrebt, diesen Meldevorgang vollständig auf E-Mailumzustellen. Durch diesen Schritt wird eine zeitnahe Weiterleitung der Daten andas lögd erreicht und die so erhaltenen neuen Daten werden mit historischenDaten der letzten Jahre verglichen. So wird es möglich, Abweichungen vomjahreszeitlichen Erfahrungswert aufzuzeigen. Dieses sogenannte Infektionsbaro-meter, das seit dem 01.10.1999 in regelmäßigen Zeitabständen (zur Zeit vier-wöchentlich) allen Gesundheitsämtern in NRW zugeschickt wird, gibt sofortAuskunft, wo Abweichungen vom Infektionsdurchschnitt bestehen und unter Um-ständen Häufungen und Gefahren zu befürchten sind.

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Barometer

Der Aufbau der Infektionsdatenbank, in der alle eingehenden Daten der Gesund-heitsämter gespeichert werden, erlaubt in Zukunft weitere Auswertungen, wiez.B. eine räumliche Zuordnung der Infektionen und deren Ausbreitung innerhalbeines bestimmten Zeitraumes – alles wichtige Informationen, die notwendig sind,um die richtigen Entscheidungen zur Verhinderung und Bekämpfung vonInfektionskrankheiten zu treffen.

Auch andere für die Infektionssurveillance wichtigen infektionsepidemiolo-gische Untersuchungen und Tätigkeiten werden vom lögd durchgeführt, wie z.B.die Ausbruchuntersuchungen über die in einem späteren Kapitel berichtet wird.

Um neben der zeitnahen Beurteilung des Infektionsgeschehens ein deutlichesBild über das Vorkommen von Infektionskrankheiten in unserem Lande zuerhalten, bedarf es zusätzlicher Informationen. Als Beispiel für die Beschreibungwichtiger Infektionskrankheiten möchte ich die begonnenen Aktivitäten zurSurveillance von Meningokokkenerkrankungen darstellen. Hierzu läuft zur Zeitein Projekt mit der Universität Bielefeld, in dem die Erkrankungshäufigkeitanhand der Meldedaten und der Daten des Nationalen Referenzlaboratoriums inHeidelberg ausgewertet sowie mit Hilfe der Capture-Recapture-Methode über-prüft werden soll. Diese Studie soll als Ergänzung zu den Meldezahlen ein Maßfür die wirkliche Anzahl von Erkrankungen liefern. Hierdurch wird Licht auf dieDunkelziffer geworfen und erreicht eine realistische Einschätzung der Erkran-kungszahlen. Damit dürfte für Meningokokken eine umfassende Übersicht fürNRW möglich werden. Gleiches wird in der Zukunft auch für andere Infektions-krankheiten angestrebt.

Über die Landesgrenzen hinaus wird über das RKI eine Infektionsüberwa-chung und -auswertung nach dem Infektionsschutzgesetz bundesweit möglich(siehe oben) und hier wird sowohl vom RKI wie auch vom lögd eine engeZusammenarbeit angestrebt.

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Ebenfalls über Meningokokken ist eine grenzüberschreitende Zusammenar-beit in einem EUREGIO-Projekt in Arbeit. Unter Federführung des KreisesHeinsberg werden Infektionsdaten aus dem deutschen Teil der EUREGIO Maass-Rhein sowie des niederländischen und belgischen Teils dieser Region gesammelt,ausgewertet und zu einem Infektionsbarometer zusammengestellt. Auch ein Aus-tausch der Infektionsdaten mit den benachbarten Niederlanden wird vom lögd mitZustimmung des MFJFG angestrebt, so dass auch hier grenzüberschreitend Infek-tionssurveillance zum Nutzen der Bewohner NRW’s erfolgen kann. In Zeitenoffener Grenzen ist diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Gebietder Infektionskrankheiten unbedingt notwendig, denn Infektionen machen vorkeiner Grenze halt.

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Rechtliche Grundlagen der Infektions-Surveillancein Deutschland

Dr. Hans J. Boschek, Gesundheitsamt Ennepe-Ruhr

Aufgaben der Infektions-Surveillance

Unter Surveillance versteht man die kon-tinuierliche und systematische Samm-lung, Analyse und Interpretation von Ge-sundheitsdaten (Monitoring) im Kontextvon Beschreibung und Beobachtung ge-sundheitsbezogener Ereignisse [5]. Infek-tions-Surveillance ist eine wesentlicheKomponente des modernen Infektions-schutzes, sie gehört zu den zentralen Auf-gaben der Gesundheitsbehörden. Surveillance dient dabei nicht der epidemiologi-schen Forschung, sondern sie ist handlungsbezogen („Surveillance is informationfor action.“). Die Surveillancedaten sind die Basis für die Planung, Implemen-tierung und Evaluation von Interventionsmaßnahmen und Programmen zur Infek-tionsverhütung, -erkennung und -bekämpfung [4].

Surveillance alsPublic Health-Strategie

Surveillance als Public Health-Strategie

Surveillance =+ ergänzende Modellierung, ggf. auch zur Prognostik+ Interpretation der Ergebnisse+ Kommunikation mit Entscheidungsträgern und

der Öffentlichkeit

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Infektions-Surveillance bedarf eines fachlich ausgerichteten und rechtlich defi-nierten Melde- und Auswertungssystems, dessen organisatorischer Aufbau unddessen Aufgaben sämtlichen Beteiligten verbindlich vorgeschrieben sind. Darausergibt sich die Bedeutung von rechtsverbindlichen Vorgaben auf dem Gebiet derInfektions-Surveillance, die sich an die unmittelbar am Einzelfall beteiligten Ärz-te, die hinzugezogenen Institutionen (Labore, Kliniken), die staatlichen Behörden(kommunale und Landesgesundheitsbehörden) richten. Die Vielzahl der Betei-ligten verlangt eindeutig beschriebene Meldewege und -verfahren, damit die rele-vanten Informationen zügig und zuverlässig erfasst werden können. Darüber hin-aus verlangt ein funktionierendes Surveillance-System eine zentrale Zusammen-führung und Analyse der Infektionsdaten anhand abgestimmter Kriterien (Fallde-finitionen). Mit der zunehmenden Globalisierung wächst auch die Bedeutungeines organisierten Datenaustauschs und der Abstimmung von Maßnahmen iminternationalen Zusammenhang (Europäische Union, WHO).

Prioritäten in der Infektions-Surveillance

Im Rahmen eines Systems zur Erfassung und Bekämpfung übertragbarer Krank-heiten existieren unterschiedliche Begründungen und Prioritäten von Surveil-lance-Maßnahmen.

Im Vordergrund steht sicherlich die frühzeitige Erfassung relevanter Krank-heitsdaten zur rechtzeitigen Einleitung von Bekämpfungs- und Präventionsmaß-nahmen. Eine moderne und wirksame Infektions-Surveillance muss eine verläss-liche Einschätzung des Gesundheitsstatus, der Infektionsrisiken und der beste-henden Möglichkeiten der medizinischen Versorgung in einer Gesellschaft er-möglichen. Auf der Basis dieser Daten kann perspektivisch eine Gesundheitsstra-tegie entwickelt werden, deren wesentliches Element die Qualität im Gesund-heitsschutz bei Infektionskrankheiten ist.

Die Europäische Union hat in ihrer Begründung für die Schaffung eines euro-päischen Netzwerks zur Surveillance von übertragbaren Erkrankungen die rele-vanten Infektionen entsprechend konkretisiert.

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Die Prioritäten in der Infektions-Surveillance lassen sich sachlich auch andersbegründen und systematisieren. Sie dienen vor allem der Festlegung der Melde-vorschriften und der Begründung von Schutz- und Präventionsmaßnahmen undumfassen im wesentlichen die folgenden Kategorien:

Surveillance von Infektionen mit hoher MortalitätEin typisches Beispiel von großer gesundheitlicher Bedeutung ist das Monitoringund die Analyse der epidemiologischen Situation bei den Virus-Hepatitiden(Hepatitis B und C). Gründe sind ihre weite Verbreitung in der Bevölkerung(Prävalenz: 6,1 % in der BRD [14]) mit insgesamt ca. 0,5 % HbsAg-Träger. Dassind ca. 400.000 Fälle einer chronischen Hepatitis B [14]. Bei diesen chronischenVerlaufsformen ist mit schwerwiegenden Gesundheitsfolgen zu rechnen (z.B.(Leberzirrhose, Leberzellkarzinom). Dieses Beispiel belegt, dass eine wirkungs-volle Surveillance oft sehr spezifisch sein muss. Erst nach der Entwicklung ent-sprechender Labormethoden zur Differenzierung der unterschiedlichen Hepatitis-Erreger war es möglich, Screeningverfahren einzuführen, die beispielsweise zu

Kategorien übertragbarer Erkrankungen in der EU-Richtlinie

• durch Impfungen zu verhindernde Krankheiten• sexuell übertragbare Erkrankungen• Virus-Hepatitiden• durch Lebensmittel übertragene Infektionen• durch Wasser übertragene Erkrankungen und Infektionen aus der

Umwelt• nosokomiale Infektionen• andere Infektionen durch unkonventionelle Erreger (einschließlich

Creutzfeldt-Jakob-Erkankung)• meldepflichtige Erkrankungen nach den internationalen Gesund-

heitsvorschriften (Gelbfieber, Cholera und Pest)• andere Erkrankungen (Tollwut, Typhus, virale hämorrhaghische

Fieber, Malaria und andere bisher nicht klassifizierte epidemischeKrankheiten)

KategorienübertragbarerErkrankungenin der Infek-tions-Surveil-lance [1]

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einer nachhaltigen Verbesserung der Sicherheit im Transfusionswesen geführthaben.

Surveillance von Erkrankungen mit hoher MorbiditätEpidemiologisch sind nicht nur Infektionen mit einer hohen Letalität und Mor-talität bedeutsam. Sogenannte Bagatellerkrankungen, die entweder spontan aus-heilen oder gut behandelbar sind, stellen eine erhebliche wirtschaftliche Belastungdes Gesundheitssystem durch prinzipiell vermeidbare Behandlungskosten undwirtschaftliche Schäden durch Produktionsausfälle dar. Dies gilt z.B. für dieinfektiösen Darmerkrankungen (Letalität unter 1 %), deren hohe Inzidenz (1999:BRD: 195.000 Fälle [3]) zu hohen Folgekosten für das Gesundheitssystem unddie Wirtschaft führen. Eine funktionierende Surveillance kann die Grundlage fürVerbesserungen in der Prävention sein und zu einer Senkung der Erkrankungs-zahlen führen. Dies gilt grundsätzlich für alle durch Kontamination von Lebens-mitteln oder Trinkwasser bedingte Infektionen. Exner [4] nennt Folgekosten von150 Millionen Dollar für die 1993 in Milwaukee beobachtete trinkwasserbeding-te Kryptosporidiosis-Epidemie. Hygiene-Mängel bei der industriell geprägtenNahrungsmittelproduktion oder in der zentralen Trinkwasseraufbereitung unsererZeit bedeuten in der Regel die Gefährdung größerer Gruppen von Konsumenten.Dem Monitoring dieser Infektionen kommt daher eine besondere Bedeutung zu.

Dasselbe gilt auch für die Chlamydien-bedingten Genitalinfektionen, die einehohe Infektiosität und eine hohe Morbidität aufweisen. Es wird geschätzt, dassetwa einer Viertel aller Urethretiden durch Chlamydia trachomatis verursachtwerden. Werden diese Genitalinfektionen bei Frauen chronisch, können sie zueiner Infertilität führen.

Surveillance bei emerging infectionsEine systematische Infektionssurveillance hat einen besonderen Stellenwert beider Erfassung ungewöhnlicher epidemiologischer Ereignisse oder der Entdeckungvon Indizien für das Auftauchen übertragbarer Krankheiten bisher unbekannterHerkunft. So sind seit 1973 mehr als 20 neue bedeutsame Krankheitserreger iden-tifiziert worden. Besonders wichtige Beispiele sind die Entdeckung des Ebola-

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Virus, von Legionella pneumophila, Campylobacter pylori, Helicobacter pyloriund des HIV-Virus [12].

In diesem Zusammenhang hat sich der Begriff der „emerging infections“ ein-gebürgert. Darunter werden Infektionskrankheiten verstanden, die entweder neuin eine Population eingetragen werden oder bereits bekannt waren, aber plötzlichin ihrer Inzidenz oder ihrer geographischen Ausbreitung zunehmen oder durch dieEntwicklung von Multiresistenzen neue epidemiologische Bedeutung erlangen.Typische Beispiele für das Wiederauftreten zurückgedrängter Infektionskrank-heiten sind die Diphtherieepidemie in Osteuropa oder die weltweite Zunahme derTuberkulose. Die Tuberkulose ist ein Beispiel für das Problem der Entwicklungvon Multiresistenzen. Bedeutsam ist weiter die Resistenzentwicklung bei Staphy-lococcus aureeus und den Enterococcen.

Ein modernes Infektionssurveillance-System muss auf das Problem der emer-ging infections eingerichtet sein.

Surveillance von PräventionsprogrammenWesentlich ist die Erfassung von Krankheiten, die durch präventive Maßnahmen,vor allem durch Impfungen verhindert werden können. Wichtige Beispiele sinddie Masern und die Varizelleninfektionen, die einen hohen ökonomischen Stellen-wert haben. Gleichzeitig ergeben sich aus dem Monitoring bestimmter Infektions-daten Hinweise auf die Wirksamkeit bestimmter Präventionsprogramme wiedurch Impfungen verhütbare Infektionen Ein Beispiel ist die Erfassung der kon-natalen Röteln-Infektionen, die auf Lücken im Rötelnimpfschutz der Bevölkerunghinweisen.

Nosokomiale InfektionenNosokomiale Infektionen stellen ein erhebliches gesundheitliches und finanziel-les Problem für die westlichen Industriestaaten dar. Die Entwicklung der Resis-tenzlage bei mehreren Problemkeimen verschärft die Situation noch. Für die Bun-desrepublik Deutschland wird die Zahl der Krankenhausinfektionen auf ca.600.000 pro Jahr geschätzt [(2, 11]. Die Folgen sind vermeidbare Leiden und To-desfälle, eine Verlängerung der durchschnittlichen Klinikbehandlungszeit um ca.

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neun Tage [2] und dadurch bedingte Mehrkosten von mehreren Milliarden DM.Dabei gelten prinzipiell 1/3 der nosokomialen Infektionen durch hygienischeMaßnahmen als vermeidbar [8]. Bei der dargestellten Größenordnung des Prob-lems gehört die Surveillance der Krankenhausinfektionen unverzichtbar zu einemmodernen Berichtswesen.

Jedes Surveillance-System sollte auch die internationalen Impfvorschriftenberücksichtigen; das heißt, Infektionen wie Gelbfieber, Cholera und Pest müssentrotz ihrer für Europa seuchenhygienisch unbedeutenden Rolle nach internationa-lem Gesundheitsrecht erfasst und an die WHO berichtet werden.

Rechtsnormen der Infektions-Surveillance

Die Rechtsvorschriften zur Erfassung und Kontrolle übertragbarer Krankheitenbilden ein teilweise hierarchisches System, beginnend mit den landesrechtlichenVorschriften der deutschen Bundesländern, die den Aufbau und die Aufgaben desöffentlichen Gesundheitsdienstes regeln, bis zu den weltweit geltenden Vorschrif-ten des internationalen Gesundheitsrechtes.

Rechtsnormen in der Infektions-Surveillance

Landesrecht NW• Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG)• Krankenhausgesetz (KHGNW)

Bundesrecht• Bundes-Seuchen-Gesetz• Infektionsschutz-Gesetz

Europäisches Recht• Decision No. 2119/98/EC of the European Parliament and of the

Council of 24 September 1998 setting up a network for theepidemiological surveillance and control of communicable diseases inthe Community

Internationale Gesundheitsvorschriften• insbesondere Teil II. Meldungen und epidemiologische Auskünfte

Rechtsnormenin der

Infektions-Surveillance

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Die landesrechtlichen Vorschriften haben eine geringe Bedeutung. Betrachtet mandas relativ neue Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst [7] in Nordrhein-Westfalen (ÖGDG), so muss man feststellen, dass das ÖGDG dem Infek-tionsschutz keinen herausragenden Stellenwert einräumt und insbesondere dieInfektions-Surveillance nicht explizit erwähnt. Dies gilt, obwohl der § 21 ÖGDGden Aufbau einer kommunalen Gesundheitsberichterstattung vorsieht, allerdingsohne speziellen Bezug zum Thema Infektions-Surveillance. Eine Nebenrollespielt in Nordrhein-Westfalen das Krankenhausgesetz [10], das in § 8 die Erfas-sung nosokomialer Infektionen vorschreibt und die Einsetzung einer Hygiene-Kommission als ein organisatorisches Element der Surveillance im Krankenhausverbindlich macht.

Die größte rechtliche und praktische Bedeutung für die Infektions-Surveillance inder Bundesrepublik Deutschland hat das Bundesrecht. Hier gilt momentan dieBesonderheit, dass das zur Zeit geltende Bundesseuchen-Gesetz [13], nach lan-gem Vorlauf, in absehbarer Zeit durch das sogenannte Infektionsschutzgesetz [6]abgelöst werden soll.

Infektionsschutz im Gesetz über den öffentlichenGesundheitsdienst in NRW (ÖGDG)

• Die untere Gesundheitsbehörde trägt zur Verhütung undBekämpfung übertragbarer Krankheiten bei (§ 9 (1) ÖGDG).

• Die untere Gesundheitsbehörde wirkt auf die Sicherstellung desnotwendigen Impfangebotes hin (§ 9(2) ÖGDG).

Infektionsschutzim Gesetz überden öffentlichenGesundheitsdienst NRW

Surveillance im Bundes-Seuchengesetz

• §§ 3-8 BSeuchG: Meldepflicht für übertragbare Krankheiten• § 9: Meldepflicht in besonderen Fällen

Surveillance imBundes-Seuchengesetz

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Das Bundes-Seuchengesetz von 1961 enthält im zweiten Abschnitt (Vorschriftenzur Meldepflicht) umfangreiche Regelungen über die Erfassung übertragbarerKrankheiten. Die wesentliche Motivation des Gesetzgebers war dabei aus-drücklich die Erfassung des einzelnen Erkrankungsfalles als Basis für die Planungvon einzelfallbezogenen seuchenhygienischen Schutzmassnahmen wie aus demamtlichen Kommentar hervorgeht [13]. Dabei besteht kein direkter Bezug zumSurveillance-Prinzip, sondern es liefert nur die Grundlage (im § 5a BseuchG) füreine Medizinalstatistik (ergänzt durch die Statistik der Geschlechtskrankheitennach § 11a GeschlKG). Surveillance-Gesichtspunkte werden höchstens in derErmächtigung deutlich, die Meldevorschriften der epidemiologischen Lage anzu-passen. In den letzten Jahren ist diese Rechtsvorschrift per Rechtsverordnung dieErfassungspflicht auf wichtige neue infektionsepidemiologische Entwicklungenauszudehnen, mehrfach genutzt worden. Dazu gehört die gesonderte Meldung beiEHEC-Erkrankungen, die Differenzierung der Meldungen bei infektiösenDarmerkrankungen und die Verpflichtung zur Meldung von BSE-Verdachtsfällen.

Ebenfalls zu erwähnen ist die bereits seit 1987 geltende Laborberichtspflicht überden Labornachweis von HIV-Erregern. Mit allen diesen Maßnahmen wurde dasBundes-Seuchengesetz in Richtung auf die Infektions-Surveillance weiterentwi-

Verordnungenzur Erweiterung

der Melde-pflicht

Erweiterungen der Meldepflicht seit 1987

• Verordnung über die Berichtspflicht für positive HIV-Bestätigungstests (Laborberichtspflicht) BGBl. I S. 2819,18.12.1987

• Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 3 desBundes-Seuchengesetzes auf das enteropathische hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) und die Infektion durchenterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) BGB I9.11.1998

• Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht auf diehumanen spongiformen Enzephalopathien. BGBl. I, S. 1455,01.07.1994

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ckelt. Die epidemiologisch begründete Anwendung des § 5a BSeuchG zeigt daswachsende Bewusstsein in der Bundesrepublik für die Bedeutung der Sur-veillance bei der Aufdeckung und der Verhütung übertragbarer Erkrankungen.

Erwähnenswert ist auch die Meldepflicht für Ausbrüche nosokomialer Infek-tionen im § 8 BSeuchG. Allerdings muss festgestellt werden, dass zwar die Bedeu-tung des Problems früh erkannt wurde; praktische Konsequenzen für die Be-schreibung und Verbesserung der Krankenhaushygiene hat diese Regelung wegenfehlender Konkretisierungen nicht gehabt.

Angesichts dieser unbefriedigenden Situation verfolgt das neue Infektions-schutzgesetz (IfSG), das am 01.01.2001 in Kraft treten wird, konsequent dieEinführung der Infektions-Surveillance als wichtiges Element des Gesundheits-schutzes. Das IfSG orientiert sich dabei an den Vorgaben der Europäischen Union.

Zunächst werden die Voraussetzungen für ein nationales Meldesystem ge-schaffen, in dem dem Robert-Koch-Institut (RKI) die zentrale nationale Koor-dination und die Verbindung zum europäischen Netzwerk zugewiesen wird. ZurKoordination gehört auch die Entwicklung von epidemiologischen und mikrobio-logischen Standardverfahren, insbesondere ist die Festlegung von Falldefinitionenzur Vereinheitlichung der Dokumentation und der Analyse erforderlich.

Surveillance imEntwurf desInfektions-schutzgesetzes

Surveillance im Entwurf des Infektionsschutz-Gesetzes

§ 4 IfSG: Surveillance-Aufgaben des Robert-Koch-Instituts• Entwicklung und Durchführung epidemiologischer und laborgestützter

Analysen zu übertragbaren Krankheiten• Koordinierung im Europäischen Netz für die epidemiologische

Überwachung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten

§ 5 IfSG: Bund-Länder-Informationsverfahren• Verhinderung der Einschleppung und Bekämpfung von gefährlichen

Erkrankungen und Epidemien

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Grundlage eines Infektions-Surveillance-Systems sind die Daten über das Auftre-ten infektiöser Krankheiten. Das Infektionsschutzgesetz beschreibt drei Verfahrender Datenerhebung: Meldung einer Erkrankung oder eines Erkrankungsverdachtsaufgrund des klinischen Bildes, Meldung eines Erregernachweises im Labor undsogenannte Sentineluntersuchungen.

Der § 6 IfSG nennt dabei Infektionen mit besonderem Gefährdungspotential oderErkrankungen, die auf Hygienemängel hinweisen und die sofortiges Handeln derGesundheitsbehörden erforderlich machen. Ein Beispiel für den ersten Fall stelltdie Diphtherie dar. Lebensmittelintoxikationen epidemischen Ausmaßes sind inder Regel typische Fälle der zweiten Kategorie und Folge von Hygieneproblemen,die umgehend untersucht und abgestellt werden müssen.

In zahlreichen Erkrankungsfällen ist ein direkter oder indirekter Labornach-weis eines Krankheitserregers ausschlaggebend für die Feststellung einerInfektion. Die präzise Diagnose ist die Voraussetzung für eine diagnostisch abge-sicherte Surveillance. Die Verordnungen zur Erweiterung der Meldepflicht nachdem BseuchG werden daher konsequenterweise in das IfSG integriert. Ausdrück-lich mit der Notwendigkeit einer Surveillance begründet hat der Gesetzgeber dieAufnahme von sechs Infektionserkrankungen. Dazu zählen der Labornachweisvon Lues und HIV, um die epidemiologische Lage und den Erfolg von Präven-tionsstrategien beurteilen zu können. Dieselbe Argumentation gilt für die Melde-pflicht bei konnatalen Toxoplasmose- und Rötelninfektionen. Die Malaria alswichtigste parasitäre Importerkrankung wurde ebenfalls in die Surveillance ein-bezogen, um bei Änderungen der epidemiologischen Situation die Informationund Aufklärung für Reisende rechtzeitig anpassen zu können. Experten rechnenmit einer Zunahme der Echinococcus-Infektionen, da als Folge der erfolgreichenTollwutbekämpfung die Fuchspopulation in Deutschland wächst. Die Überwa-

Meldewesen im Entwurf des Infektionsschutz-Gesetzes

§ 6 IfSG: Meldepflichtige Erkrankungen§ 7 IfSG: Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern

Meldewesen imEntwurf des In-fektionsschutz-

Gesetz

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chung der Erkrankungshäufigkeit erlaubt die Planung von veterinärmedizinischenKontrollmaßnahmen.

Die Inhalte der Meldungen sind für die Zwecke der Auswertung erweitert undstandardisiert worden (§§ 9 - 10 IfSG). Die Liste der meldepflichtigen Infektionenkann damit auch künftig an die epidemiologische Entwicklung angepasst werden.Die entsprechende Rechtsgrundlage stellt der § 15 IfSG dar.

Sogenannte Sentineluntersuchungen als Methode der infektionsepidemiologi-schen Überwachung werden im § 13 IfSG eingeführt. Sentineluntersuchungensollen vor allem den Trend einer bestimmten Krankheitsentwicklung beobachten,um gegebenenfalls Präventionsprogramme besser planen zu können. Sie kommenin Betracht, wenn die üblichen Meldestatistiken kein zureichendes Bild der Infek-tionslage ergeben. Typische Beispiele sind die Epidemiologie sexuell übertragba-rer Erkrankungen oder der Immunstatus bei Diphtherie oder Pertussis. Sentinelun-tersuchungen werten routinemäßig anfallende Daten, z.B. das Ergebnis vonBluttests für die Erhebungszwecke aus. Ein funktionierendes Beispiel stellt dieHIV-Erfassung in der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis der Verordnungüber die Berichtspflicht für positive HIV-Bestätigungstests dar.

Die nosokomialen Infektionen stellen im IfSG wegen ihrer Bedeutung einen be-sonderen Schwerpunkt dar. Die Krankenhäuser werden verpflichtet, eine umfas-sende Dokumentation über die Infektionslage in ihrer Einrichtung zu führen undauf Verlangen der Gesundheitsbehörde zur Verfügung zu stellen. Im Vordergrundder Surveillance im Krankenhaus steht dabei die Beobachtung der Resistenzlage.Zur Bewertung der epidemiologischen Situation und zur fachlichen Unterstützung

Sentineluntersuchungen im Entwurf des Infektionsschutz-Gesetzes

§ 13 IfSG:Ermöglicht dem RKI spezielle Untersuchungen über die Verbreitungübertragbarer Krankheiten, wenn diese Krankheiten von großergesundheitlicher Bedeutung für das Gemeinwohl sind und dieseKrankheiten wegen ihrer Häufigkeit oder aus anderen Gründen überEinzelfallmeldungen nicht erfasst werden können.

Sentinelunter-suchung zurErfassung derEpidemiologiebesondererErkrankungen

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Surveillance von Infektionskrankheiten

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der Infektionsprävention in den deutschen Kliniken erhält die Kommission fürKrankenhaushygiene des RKI eine gesetzliche Grundlage.

Für zahlreiche Infektionen bieten Impfungen einen wirksamen Schutz. Voraus-setzung ist ein ausreichender Durchimpfungsgrad der Bevölkerung und damit ver-bunden eine möglichst hohe Akzeptanz dieser Schutzmassnahme. Das IfSG siehtdaher die routinemäßige Erhebung des Impfstatus bei den Erstklässlern vor,außerdem bieten sich Sentineluntersuchungen für konkrete Fragestellungen indiesem Zusammenhang an.

Nosokomiale Infektionen im Entwurf des Infektionsschutz-Gesetzes

§ 6 (3) IfSG:• Dem Gesundheitsamt ist unverzüglich das gehäufte Vorkommen noso-

komialer Infektionen, bei denen ein epidemischer Zusammenhangwahrscheinlich ist oder vermutet wird, als Ausbruch nichtnamentlich zumelden.

§ 23 IfSG:• In Kliniken und Einrichtungen für ambulantes Operieren müssen nach

den Vorgaben des RKI die nosokomialen Infektionen und das Auftretenvon Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzenaufgezeichnet werden

• Das RKI richtet eine Kommission für Krankhaushygiene undInfektionsprävention ein

Erfassung noso-komialer Infek-tionen im Infek-

tionsschutz-Gesetz

Erfassung von Impfstatus und Impfschäden im Infektionsschutz-Gesetz

§ 6 Abs 2 IfSG:• Meldepflicht bei Verdacht auf eine gesundheitliche Schädigung durch

eine Impfung

§ 34 Abs. 11 IfSG:• Erfassung des Impfstatus bei Erstklässlern

Impfstatus derBevölkerung

und Dokumen-tation von

Impfschäden imInfektions-

schutz-Gesetz

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Surveillance von Infektionskrankheiten

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Zusammenfassung:

Die Infektions-Surveillance bedarf einer rechtlichen Grundlage zur Sicherungihrer organisatorischen Infrastruktur und der Qualität der erhobenen Daten. Daszur Zeit in der Bundesrepublik noch gültige Bundes-Seuchengesetz wird trotzverschiedener Ergänzungen durch Rechtsverordnungen den Anforderungen aneine moderne Infektions-Surveillance nicht gerecht. Das Bundes-Seuchengesetzwird voraussichtlich im Jahr 2001 vom Infektionsschutz-Gesetz (IfSG) abgelöst.Wesentliche Elemente des IfSG sind die Installation eines bundesweiten Melde-systems mit dem RKI als zentraler nationaler Koordinierungsstelle im Infektions-schutz. Das RKI hat auch die Aufgaben der Standardisierung im Meldeverfahrenund der Informationsweitergabe im internationalen Rahmen.

Die Meldepflicht, insbesondere der Labore wird konsequent nach Surveil-lance-Gesichtspunkten formuliert, außerdem wird künftig das epidemiologischeInstrument der Sentineluntersuchungen in Deutschland routinemäßig zur Ver-fügung stehen.

Nosokomiale Infektionen stellen ein besonders wichtiges gesundheitlichesProblem dar. Das IfSG schafft die Voraussetzungen für eine bundesweit einheitli-che Erfassung der Krankenhausinfektionen unter besonderer Beachtung derResistenzlage. Zur Verbesserung der Impfepidemiologie ist künftig die routine-mäßige Erfassung des Impfstatus bei den Erstklässlern vorgesehen.

Mit den beschriebenen gesetzlichen Neuerungen wird die Infektions-Sur-veillance eine zentrale Stelle im bundesdeutschen Infektionsschutzrecht einneh-men und sich auch in den europäischen Rahmen einordnen.

Literatur:

1. Decision No. 2119/98/EC of the European Parliament and of theCouncil of 24 September 1998 setting up a network for the epidemiologi-cal surveillance and control of communicable diseases in the CommunityOfficial Journal of the European Communities L 268 3.10.1998, p. 1-7

2. Deutsche Krankenhausgesellschaft. Ermittlung und Analyse vonKrankenhausinfektionen. Grundsätze und Maßnahmen zur Optimierungder Hygiene im Krankenhaus. Düsseldorf 1990

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3. Epidemiologisches Bulletin Nr. 7 (2000)4. Exner, M. Grundlagen der Infektionssurveillance, Gesundheitswesen 59

(1997), 686-695.5. Fehr R, Brand H. Methoden der Gesundheitsberichterstattung am

Beispiel von Assessment und Surveillance in: Streich, W., P. Wolters, H.Brand (Hrsg.): Berichterstattung im Gesundheitswesen. Analysen zurEntwicklung und Perspektiven für einen Neubeginn

6. Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften(Seuchenneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG) vom 20.07.2000 (BGB1.IS.1045) Art. 1: Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektions-krankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom20.07.2000 (BGB1.I S. 1045)

7. Gesetz zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte undGemeinden in Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1997 (GV.NW. S. 430)Art. 3: Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG) vom25.11.1997 (GB.NW. S. 431)

8. Haley R.W., Quade D, Freeman HE, Bennett JV. Center for DiseaseControl SENIC Planning Commitee: Study on the efficacy of nosocomialinfection control: summary of study design. Am J Epidemiol 111, 472-485, (1980)

9. Internationale Gesundheitsvorschriften in der Fassung vom 10.4.1975.BGBl. II S.456ff.

10. Krankenhausgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen – KHG NRW –Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen. Nr. 51vom 22. Dezember 1998. S. 696-704.

11. Rüden H. Nosokomiale Infektionen in Deutschland: Erfassung undPrävention; (NIDEP-Studie); Teil 1: Prävalenz nosokomialer Infektionen;Qualitätssicherung in der Krankenhaushygiene. Hrsg.: DasBundesministerium für Gesundheit Baden-Baden 1995

12. Satcher D. Emerging Infections: Getting Ahead of the Curve. EmergingInfections Diseases, Vol. 1, 1-10 (1999)

13. Schuhmacher/Meyn. Bundes-Seuchengesetz. Mit amtlichenBegründungen und ausführlichen Erläuterung für die Praxis NeueKommunale Schriften 43. Köln 1992.

14. Statisches Bundesamt (Hg.): Gesundheitsbericht für Deutschland:Gesundheitsberichterstattung des Bundes Stuttgart 1998

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Ausbruch-Management

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Ausbruch-Management

Ausbruchuntersuchungen: Methoden und Beispiele

Dr. Ralf Reintjes, lögd

Einleitung

Der Überwachung des aktuellen Vorkom-mens von Infektionskrankheiten, der Sur-veillance, schließt sich bei auffälligen Be-funden der Bedarf nach Aufklärung desAusbruchs an. Hierbei handelt es sich umeine systematische Suche nach Infek-tionsquellen und -wegen. Die Untersu-chung von Ausbrüchen ist ein wichtigerBestandteil der Praxis des öffentlichenGesundheitsdienstes. Das Ziel ist es,einen stattfindenden Ausbruch zu stoppenund eine Basis zur Vermeidung künftiger Fälle und Ausbrüche zu schaffen, indemdie Faktoren, die diesen Ausbruch ermöglicht haben, festgestellt werden. Darüberhinaus wird durch eine erfolgreiche Untersuchung das Wissen über Ursachen undRisikofaktoren von Krankheiten verbessert. Das auf diesem Weg gewonneneWissen kann allgemeine Rückschlüsse ermöglichen und neue Trends aufspüren,die den Weg zu neuen Präventivmaßnahmen aufzeigen. Des Weiteren kann aufdiese Weise einem wichtigen Problem verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt wer-den und das Vorgehen bei Ausbrüchen geübt werden.

Mit dem Begriff Ausbruch verbindet man eine Anzahl von Fällen, die deutlichhöher liegt als die Anzahl, die in einem bestimmten Gebiet über einen gegebenenZeitraum erwartet wird. Charakteristisch für einen Ausbruch ist, dass das Problemin aller Regel unerwartet auftritt, einen direkten Einsatz von Maßnahmen erfor-

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Ausbruch-Management

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dern kann und dass das Ausmaß der Untersuchung unter anderem durch den In-terventionsbedarf limitiert ist. Daher muss das Ziel einer Ausbruchuntersuchung„die Maximierung der wissenschaftlichen Qualität der Untersuchung angesichtsvon Einschränkungen und gegensätzlichen Interessen“ sein.

In den meisten Ländern Europas sind Einrichtungen des öffentlichen Gesund-heitsdienstes auf kommunaler Ebene dafür zuständig, auf akute Bedrohungen derGesundheit der Bevölkerung zu reagieren. Je nach den Merkmalen und Ursachendes Krankheitsausbruchs ist jedoch eventuell eine enge Zusammenarbeit zwi-schen dem öffentlichen Gesundheitsdienst, der Lebensmittelaufsichtsbehörde,ggf. den Veterinärbehörden und anderen Stellen auf kommunaler, regionaler,Landes- und Bundesebene erforderlich. Der Ausbruch selbst und die zu seinerEindämmung ergriffenen Maßnahmen haben eventuell weitreichende Konse-quenzen auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit, der Wirtschaft und derPolitik (z.B. Handel und Landwirtschaft). Aus diesem Grund muss die Untersu-chung gezielt und engagiert durchgeführt werden, wobei die verfügbaren Res-sourcen der unterschiedlichen Berufsgruppen und Behörden optimal eingesetztwerden müssen. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit hängt vom vorherigen Wissenum die Rollen der unterschiedlichen Behörden ab. Verständnis und gegenseitigerRespekt und sollten aufgebaut werden.

Ausbruchsmanagement

Bei der Untersuchung werden gleichzeitig mikrobiologische, toxikologische, epi-demiologische und klinische Methoden angewandt, um über die Ursache desAusbruchs Hypothesen aufzustellen und diese zu testen. Im Folgenden sollenmethodische Aspekte Schritt für Schritt besprochen und anhand von praktischenBeispielen erläutert werden.Vorläufige Hypothesen müssen evtl. im Laufe derUntersuchung mit Vorliegen zunehmender Informationen revidiert werden.Jedoch müssen selbst in der frühesten Phase der Untersuchung auf vorläufigenHypothesen beruhende Maßnahmen ergriffen werden, um zu versuchen, denAusbruch einzudämmen, selbst wenn die endgültige Ursache des Ausbruchs nochnicht feststeht. Die Untersuchung sollte aus einer logischen Abfolge von Unter-suchungsschritten bestehen. Diese Schritte werden in Form eines Flussdiagramms

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Ausbruch-Management

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in der folgenden Abbildung dargestellt. In der Praxis kann sich ihre Reihenfolgeändern, oder mehrere Schritte können gleichzeitig durchgeführt werden.

Jeder Schritt des Vorgehens wird im Folgenden behandelt und praktisch am Bei-spiel der Untersuchung eines Q-Fieber-Ausbruchs beschrieben.

Beispiel: Ein Q-Fieber-Ausbruch

Beim beschriebenen Q-Fieber-Ausbruch kamen die ersten Meldungen von einerniedergelassenen Ärztin. Die Praxis befindet sich in dem Stadtteil, aus dem die

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Ausbruch-Management

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meisten gemeldeten Q-Fieber-Fälle stammen und in dem 6 Jahre vorher bereitsein vergleichbarer Ausbruch stattfand.

Das Gesundheitsamt und das Veterinäramt der Stadt Dortmund haben imSommer 1999 gemeinsam mit dem Landesinstitut für den Öffentlichen Gesund-heitsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen (lögd) und mit Unterstützung desRobert Koch-Institutes (RKI) diesen Ausbruch untersucht.

Ausbruchverdacht

Der Verdacht eines Ausbruchs kann zuerst sowohl auf kommunaler, regionaleroder nationaler Ebene bestehen. Der Verdacht auf einen Ausbruch kann entstehen,wenn der Hausarzt oder Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes Da-ten mehrerer Fälle miteinander vergleichen und gemeinsame Merkmale feststel-len. Bei diesen Merkmalen kann es sich um das Auftreten mehrerer Fälle zumgleichen Zeitpunkt oder am gleichen Ort im Anschluss an gemeinsame Kontakteoder mit den gleichen Symptomen handeln.

Zur Überprüfung – ob ein Ausbruch tatsächlich vorliegt – muss zunächst dieDiagnose der vermutlichen Fälle gesichert werden und die Zahl der Fälle mit derAnzahl, die üblicherweise zu erwarten gewesen wäre, verglichen werden. Mög-

Q-Fieber:Q-Fieber ist eine Zoonose, die durch die sich obligat intrazellulär vermehrende RickettsieCoxiella burnetii hervorgerufen wird.1,2 Coxiella burnetii zeichnet sich durch eine hoheWiderstandsfähigkeit aus. So kann dieser Erreger sowohl in Wasser oder Milch als auchin getrocknetem, sporenartigem Zustand ein bis zwei Jahre überleben.3 Das Wirts-spektrum des Erregers umfasst viele Nutz- und Wildtierarten, vor allem Wiederkäuer wieSchafe, Kühe, Ziegen, Hirsche und Rehe, aber auch Haustiere, Vögel und vieleZeckenarten.1,2 Nach dem Bundesseuchengesetz ist Q-Fieber beim Menschen einemeldepflichtige Erkrankung. Der häufigste Übertragungsweg ist aerogen mit infektiösenStaubpartikeln. Die orale Aufnahme des Erregers führt seltener zu klinisch manifestemQ-Fieber. 4 Klinisch kann diese Erkrankung einen asymptomatischen, akuten oderchronischen Verlauf nehmen. Die akute Form des Q-Fieber ähnelt symptomatisch einerInfluenza. Es treten plötzliches, hohes Fieber mit starken, retro-orbitalen Kopfschmerzen,Schüttelfrost, Krankheitsgefühl, Glieder- und Gelenkschmerzen auf. 2 ErheblicherGewichtsverlust ist charakteristisch. Obwohl die klinische Untersuchung der Lunge meistohne Befund bleibt, wird röntgenologisch bei ca. 30 - 50 % der Patienten eine atypischePneumonie beobachtet. 4 Beim chronischen Verlauf kann es zur Q-Fieber-Endokarditisoder zu einer chronischen, granulomatösen Hepatitis kommen.4 In vergangenen Jahrenkam es öfters zu Häufungen dieser Krankheit in Deutschland. 5-11 Bei allen Ausbrüchenspielte die Übertragung durch Schafe eine zentrale Rolle.

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Ausbruch-Management

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• Gewichtsverlust > 2 kg• Rückenschmerzen

Die Diagnose Q-Fieber galt als serologisch bestätigt, wenn eindeutig positiveserologische Untersuchungen vorlagen.

Fälle ermitteln

Gewöhnlich sind die Patienten, die durch das herkömmliche Meldesystem oderauf anderem Wege erfasst werden, nur ein Teil von denen, die während des Aus-bruchs erkranken. Diese Diskrepanz hat u.a. folgende Gründe:

• nicht alle erkrankte Personen gehen zum Arzt; für viele ist das nicht nötig• Ärzte schicken nicht immer eine Probe zur mikrobiologischen Analyse ein• den Labors gelingt es nicht immer, den Kausalerreger in der Probe zu

bestimmen• nicht alle positive Befunde werden dem Gesundheitsamt gemeldet.

Bei den meisten Untersuchungen sollten Fälle lokalisiert werden, auf die dieErmittler nicht direkt aufmerksam gemacht worden sind. Ziel kann es sein, denUmfang und die Verteilung des Ausbruchs besser einzuschätzen, die Ausbruchs-population zu bestimmen oder eine ausreichende Anzahl von Fällen für weitereUntersuchungen zu erhalten.

Eine aktive Fallsuche kann durchgeführt werden, indem

• registrierte Patienten danach befragt werden, ob sie andere Personen kennen,die krank waren

• Ärzte, klinisch-mikrobiologische Labors und Krankenhausstationen befra-gen, ob sie weitere Patienten mit akuten Erkrankungen kennen, mitSymptomen, die für den Ausbruch charakteristisch sind oder mit bestimmtenDiagnosen

• Mitglieder der Ausbruchspopulation angesprochen werden, z.B. anhand vonGäste- oder Teilnehmerlisten von Feiern, Reisen, Sportveranstaltungen, usw.

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• öffentliche Ankündigungen in der örtlichen Presse, im Lokalradio, sonstigenMassenmedien, durch Firmenmitteilungen, elektronische Netzwerke erfol-gen.

Bei der Untersuchung des Q-Fieber-Ausbruches wurden behandelnde Ärzte inden Stadtteilen, in denen sich der Ausbruch abspielte, schriftlich über den Aus-bruch informiert und telefonisch befragt, ob sie mögliche Patienten mit Q-Fieberbehandelt hatten. Die Ermittlungen ergaben, dass der erste im Jahre 1999 gemel-dete Q-Fieber-Fall am 27.04.1999 erkrankte. Zwischen dem 18.05.1999 und dem13.08.1999 erkrankten insgesamt 81 weitere Personen mit Symptomen typisch fürQ-Fieber. Bei den Fällen handelte es sich um 46 Männer und 35 Frauen. DasDurchschnittsalter ist 43 Jahre (Median 41 Jahre).

Charakterisierung des Ausbruchs

Deskriptive Epidemiologie

Jede Untersuchung beginnt mit einer Beschreibung dessen, was passiert ist, wannund wo es passierte und wer davon betroffen ist (deskriptive Epidemiologie).Hierbei ist vor allem an die Variablen Zeit, Ort und Person (ZOP) zu denken. DieCharakterisierung des Ausbruchs, z.B. anhand des Alters des Patienten, seinGeschlecht, geographische Verteilung und Zeitpunkt des Krankheitsbeginns kön-nen dazu beitragen, die Ausbruchsbevölkerung zu definieren, Risikogruppen zubestimmen und Hypothesen über den Infektionsherd aufzustellen.

Wann, wo, wer und was

Um eine Interpretation und somit das Aufstellen von Hypothesen zu erleichtern,kann es hilfreich sein, die Daten in Form von Tabellen, Diagrammen oder Kartenvorzulegen. Das Ziel besteht darin, Antworten auf Fragen zu suchen wie: Habendie Patienten etwas gemeinsam? Gibt es eine echte Häufung nach Geschlecht,Altersgruppen, Beruf, sonstigen demographischen Variablen, geographischenBereichen, Zeit etc.?

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Epidemiekurve

Um den zeitlichen Verlauf des Ausbruchs optisch beschreiben zu können, wirdeine Epidemiekurve verwandt. Die Kurve ist ein Histogramm, bei dem der Beginnder einzelnen Erkrankungen auf einer Zeitskala markiert wird. Andere wichtigeEreignisse (z.B. der Zeitraum der Verteilung von Schafmist oder des Genussesvon in Verdacht stehenden Lebensmitteln) können auf der gleichen Skala markiertwerden. Dieses erleichtert einen Überblick über die Ereignisse und das Aufstellenvon Hypothesen über den Fall. Die Form der Epidemiekurve kann eine Entschei-dung darüber erleichtern, ob es sich um einen kontinuierlichen Infektionsherdoder um einen zeitlich begrenzten Ausbruch handelt. Drei Beispiele für typischeEpidemiekurven sollen im Folgenden vorgestellt werden:

Ein Ausbruch aufgrund eines punktuellen Infektionsherdes wird durch einen Herdverursacht, der nur über einen begrenzten Zeitraum aktiv ist, z.B. eine einzigeMahlzeit oder ein Lebensmittel, das nur für eine kurze Zeit erhältlich war. NeueFälle treten nur für wenige Tage auf.

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Ein punktuellerInfektionsherd

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In diesem Beispiel handelt es sich um Angestellte eines Betriebes, die nachder gemeinsamen Weihnachtsfeier und der dabei eingenommenen Mahlzeit aneiner viralen Gastroenteritis erkrankten.

Besteht der Infektionsherd über einen längeren Zeitraum, so treten neue Fälle überviele Tage oder Wochen auf, bis der Infektionsherd beseitigt oder der Übertra-gungsweg unterbrochen ist. In diesem Beispiel handelt es sich um den bespro-chenen Q-Fieberausbruch im Sommer 1999. Die Exposition durch infektiösesMaterial bestand über mehrere Wochen.

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Bei dieser Übertragungsform wird die Infektion direkt von einem Infizierten aufweitere Personen übertragen. In diesem Beispiel handelt es sich um einenAusbruch von viraler Meningitis.

Örtliche Verteilung

Bei der Untersuchung des Q-Fieber-Ausbruchs zeigte sich eine Häufung vonFällen unter Personen, die in einem Stadtteil wohnten. Das Markieren derWohnadresse von Fällen in einem Stadtplan demonstriert deutlich die örtlicheHäufung.

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July August September October NovemberÜbertragung

von Person zuPerson

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Betroffene Personen

Zur Beurteilung der Betroffenengruppe betrachtet man demografische Angabenzu gemeldeten Fällen. Hierbei zeigte sich für den Q-Fieber-Ausbruch, dasssowohl Männer als auch Frauen erkrankten. Alle Altersgruppen zwischen 12 und78 Jahren waren betroffen, wobei die meisten Erkrankungsfälle zwischen 30 und40 Jahren alt waren.

Örtliche Vertei-lung vonFällen, Q-Fieber-Ausbruch 1999

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Aufstellen von Hypothesen über die Infektionsquelle

Die Beschreibung des Ausbruchs sollte Hinweise auf eine oder mehrere Infek-tionsquellen geben. Mit der systematischen Beschreibung des Ausbruches werdendie Charakteristika des Geschehens deutlich. Laboruntersuchungen, vor Ortdurchgeführte Inspektionen, Interviews und klinische Untersuchungen könnendazu beitragen, dass eine qualifizierte Hypothese über die Infektionsursache ent-wickelt wird. Hierfür schließt sich eine analytische Studie an.

Folgende Hypothesen wurden während des Q-Fieber-Ausbruches getestet:

1. eine Übertragung des Erregers durch Kontakt zum Schafmist eines Schaf-haltungsbetriebes

2. Nähe zu infizierten Schafen, z. B. auf einem Schafhof oder auf den umlie-genden Weideplätzen

3. Kontakt zu anderen infizierten Nutz- oder Haustieren mit Bezug zu ihremAufenthaltsort (z.B. Bauernhof, Reithof, usw.)

4. Konsum von infizierter Rohmilch5. Übertragung durch Zecken direkt auf den Menschen.

Testen der Hypothesen

Die Hypothesen können jeweils anhand zweier Verfahren getestet werden, die aufLabormethoden und analytischer Epidemiologie basieren:

Laborverfahren (basierend auf mikrobiologischen Proben)Das Ziel dieser Methoden besteht darin, Mikroben oder Toxine von in Verdachtgeratenen Übertragungsmedien zu isolieren, zu charakterisieren und nach Mög-lichkeit zu quantifizieren und Krankheitserreger von Patienten anhand epidemio-logischer Markeranalysen zu vergleichen.

Der Nachweis gleicher pathogener Mikroben sowohl bei Patienten als auch inVerdacht geratenen Übertragungsmedien ist vielleicht kein ausreichender Beweisfür eine epidemiologische Verbindung, da die Mikrobe vielleicht auch in anderenInfektionsherden vorkommen kann.

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Analytisch-epidemiologische Methoden (basierend auf Fragebögen)Patienten und nicht-erkrankte Kontrollpersonen der Ausbruchsbevölkerung wer-den im Hinblick auf ihren Kontakt zu Risikofaktoren während der Inkubationszeitder Krankheit miteinander verglichen. Ihre Antworten werden anhand statistischerMethoden analysiert, um wichtige Unterschiede in ihren Kontakten aufzuzeigen.

Die Laborverfahren sind traditionsgemäß die am häufigsten verwendete Me-thode für Untersuchungen eines Krankheitsausbruchs in Deutschland. Analytisch-epidemiologische Verfahren werden in aller Regel seltener eingesetzt. In vielenFällen sind diese Methoden jedoch der effektivste oder einzig mögliche Ansatz fürdie Untersuchung eines Ausbruchs. Diese beiden Verfahrensweisen schließen sichnicht gegenseitig aus, sondern sollten parallel durchgeführt werden. Im Folgendenwerden die analytisch-epidemiologischen Methoden näher beschrieben.

Analytisch-epidemiologische Verfahren

Durch eine analytisch-epidemiologische Untersuchung kann der Infektionsherdunabhängig von den Labormethoden festgestellt werden. Bei dieser Art Studiewerden gewöhnlich kürzlich erkrankte Patienten über mögliche Risikofaktorenwährend der Inkubationszeit befragt. Ihre Kontakte werden mit denen nicht-erkrankter Kontrollpersonen der gleichen Ausbruchsbevölkerung (Quellenbevöl-kerung) verglichen. Planung, Durchführung und Analyse dieser Studien sollten inZusammenarbeit mit erfahrenen Epidemiologen erfolgen. Die Fragen sollten sichauf eine kleine Anzahl von Hypothesen konzentrieren, die auf der Basis frühererUntersuchungsphasen aufgestellt wurden. Die zu beantwortenden Fragen bezie-hen sich auf das „Wie?“ und „Warum?“.

In den folgenden Abschnitten werden einige Aspekte der Planung, Durch-führung und Analyse der analytisch-epidemiologischen Studien als Teil der Unter-suchung eines Ausbruchs beschrieben.

Auswahl der Fälle und KontrollpersonenBeschränkt sich der Ausbruch auf eine begrenzte, geschlossene Bevölkerung (z.B.Teilnehmer einer Feier, eine Familie, eine Krankenstation), sollten vorzugsweisesämtliche Personen berücksichtigt werden, die anwesend waren, sowohl jene, die

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krank wurden als auch solche, die nicht krank wurden. Hierbei handelt es sich umeine retrospektive Kohortenstudie.

Kommt es in einer größeren, offenen Bevölkerung (z.B. einer Stadt odereinem ganzen Land) zum Ausbruch, wird nur ein Ausschnitt der erkrankten undnicht erkrankten Bevölkerung (der Quellen- oder Ausbruchsbevölkerung) berück-sichtigt. Dies ist eine Fall-Kontrollstudie.

In beiden Fällen sollte bei der Auswahl der Fälle und Kontrollpersonen an fol-genden Prinzipien festgehalten werden:

• Sämtliche Patienten und mögliche Kontrollpersonen sollten im Idealfall diegleiche Chance haben, in die Studie eingeschlossen zu werden.

• Die Kontrollpersonen dürfen die in Frage kommende Krankheit nicht haben.In der Praxis kann jeder ausgeschlossen werden, der die gleichen Symptomewie die Patienten hat oder kürzlich hatte.

• Die Krankheitsfälle müssen die in Frage kommende Krankheit haben. • Die Kontrollpersonen müssen aus der gleichen Bevölkerung wie die Fälle

kommen, nämlich der Ausbruchs- oder Quellenbevölkerung.

Statistische AnalyseKontakte zu möglichen Risikofaktoren der Krankheitsfälle und Kontrollpersonenwerden statistisch miteinander verglichen. Dies geschieht, indem das relativeRisiko oder das Wahrscheinlichkeitsverhältnis, die Odds Ratio, für jeden Kontaktzu einem möglichen Risikofaktor und der damit verbundene statistische P-Wertund das Konfidenzintervall (CI) berechnet werden. Bei retrospektiven Kohorten-studien (Ausbrüche in der geschlossenen Bevölkerung) kann das relative Risikoberechnet werden. Bei den Fall-Kontrollstudien (Ausbrüche in der offenenBevölkerung) wird das Wahrscheinlichkeitsverhältnis (Odds Ratio) benutzt, umdas relative Risiko einzuschätzen.

Berechnung desrelativen

Risikos (RR)und des Wahr-scheinlichkeits-

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Sind das Relative Risiko (RR) oder das Wahrscheinlichkeitsrisiko (OR) erheblichgrößer als 1, wird die Hypothese, dass die Exposition mit der Infektionsursachezusammen hängt, verstärkt. Weichen RR oder OR nicht wesentlich von 1 ab, gibtes keine Basis für den Verdacht, daß die Exposition die Infektionsursache ist.

Statistische Verbindung - KausalzusammenhangDer statistische Zusammenhang, der in einer analytisch-epidemiologischen Studiefestgestellt wird, ist vielleicht nicht immer ein Kausalzusammenhang. DerZusammenhang kann zufällig hergestellt werden, vielleicht aufgrund einer einsei-tigen Ausrichtung in der Planung, Durchführung oder Analyse oder aufgrundeiner Verwechslung mit der tatsächlichen Ursache, die nicht im Fragebogen ent-halten ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich tatsächlich um einen Kausalzu-sammenhang handelt, erhöht sich, wenn

• der Zusammenhang biologisch und technologisch plausibel ist• die Ergebnisse denen anderer Untersuchungen wie Laboranalysen und

Inspektionen entsprechen• das Risiko als groß eingeschätzt wird, oder• es einen Bezug zwischen Dosis und Wirkung gibt (das Risiko erhöht sich

mit der konsumierten Menge des in Verdacht geratenen Infektionsherdes).12

Bei dem besprochenen Q-Fieber-Ausbruch wurde eine Fall-Kontroll-Studiedurchgeführt. Von insgesamt 77 Personen der angeschriebenen Fälle schickten 72einen ausgefüllten Fragebogen zurück (Response-Rate: 94 %). Da bei vier dieserPersonen die serologische Diagnostik negativ für Q-Fieber war, wurden sie vonder Analyse ausgeschlossen. Von den 149 angeschriebenen Kontrollpersonenkamen vier Fragebögen als unzustellbar zurück. Von den verbleibenden 145 An-geschriebenen schickten 111 Personen einen ausgefüllten Fragebogen zurück(Response-Rate: 77 %). Da eine Kontrollperson angab, in der Vergangenheit be-reits an Q-Fieber erkrankt gewesen zu sein, und 10 weitere Kontrollpersonen kli-nische Symptome entsprechend eines Falls berichteten, wurden sie von der Ana-lyse ausgeschlossen. Somit standen für die Analyse 68 Fälle und 100 Kontrollenzur Verfügung.

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In der folgenden Tabelle sind die Odds Ratios, an Q-Fieber erkrankt zu sein,für mögliche Risikofaktoren dargestellt. Hier wird ein positiver Zusammenhangzwischen dem Auftreten der Erkrankung und dem Aufenthalt in der Nähe einesSchafhofes deutlich. Der starke Zusammenhang mit dem Aufhalten in der Nähedes Schafhofes wird unterstützt durch die Beobachtung, dass Fälle häufiger imZentrum des Stadtteils einkaufen als Kontrollen: Im Median kaufen Fälle 2,5 malwöchentlich dort ein, Kontrollen jedoch nur 1,0 mal wöchentlich. Der Unter-schied ist statistisch signifikant.

Weiterhin zeigt sich ein Zusammenhang mit dem Aufenthalt in der Nähe vonFeldern, wo Schafmist verstreut wurde. Kein überzeugender Zusammenhang wur-de mit dem Aufenthalt in der Nähe von Feldern, auf denen Schafe weideten, ge-funden.

Nach eigenen Angaben hielten sich Fälle häufiger als Kontrollen auf Wegenund Feldern auf, wo Schafkot lag. Sie hielten sich ebenfalls häufiger in der Nähevon Feldern auf, wo Schafmist verteilt war. Ein hoher Anteil der Fälle undKontrollen gab jedoch an, nicht zu wissen, ob sie dieser Exposition ausgesetztwaren. Fälle gaben an, generell mehr Zeit im Freien verbracht zu haben alsKontrollen: Fälle hielten sich durchschnittlich 4,1 ± 2,7 Stunden pro Woche imFreien auf, während Kontrollen dies 3,3 ± 2,4 Stunden pro Woche taten. Es ergabsich jedoch kein Zusammenhang mit speziellen Aktivitäten im Freien. Es wurdekein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Q-Fieber und dem Besucheines Bauern- oder Reithofes beobachtet. Kein signifikanter Zusammenhang wur-de zwischen dem Auftreten des Q-Fiebers und dem direkten Kontakt zu Nutz-tieren beobachtet. Es wurde kein Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Q-Fiebers und dem Verzehr von Rohmilch oder dem Auftreten eines Zeckenbisseswährend des Studienzeitraums beobachtet. Kontrollen gaben signifikant häufigerals Fälle an, in dem Studienzeitraum abwesend von zu Hause gewesen zu sein(Urlaub).

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Zusammenfassend bestätigte die Untersuchung die Vermutung, dass der Schafhal-tungsbetrieb die Infektionsquelle für das epidemische Auftreten von Q-Fieber indemselben Ort darstellt. Dieses wird durch verschiedene Evidenzquellen gestützt.

Zum einen ist die erkennbare Nähe der erkrankten Personen hinsichtlich ihrerWohnorte und auch ihrer sonstigen Aufenthaltsgewohnheiten (z.B. Aufenthalt imFreien in der Nähe des Hofes, Einkaufen in der Nähe des Hofes) im Vergleich zuKontrollpersonen deutlich. Zum anderen hielten sich Fälle häufiger in der Nähevon einigen Feldern auf, auf denen Schafmist von diesem Hof verstreut wurde.Der verstreute Mist enthielt Geburtsprodukte von mit Q-Fieber infizierten Scha-fen (Muttertiere, die auf dem Schafhof gelammt hatten, hatten positive Q-Fieber-Antikörpertiter). Weiterhin zeigten serologische Untersuchungen der Schafe einehohe Durchseuchungsrate. Da, wie bereits beschrieben, der Erreger Coxiella bur-netii sehr resistent gegen Witterungseinwirkungen ist, geben die beschriebenenUmstände und die epidemiologischen Ergebnisse Anhaltspunkte genug, denSchafhaltungsbetrieb als die wahrscheinlichste Infektionsquelle zu identifizieren.Andere mögliche Quellen konnten durch die Untersuchung mit hoher Wahr-

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Berechnung desWahrscheinlich-keitsverhältnis-ses (OR) von Q-Fieber-Fällenund Kontrollen,Sommer 1999

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scheinlichkeit ausgeräumt werden, so eine direkte Übertragung durch Zecken,eine Übertragung durch den Verzehr von Rohmilch, die Übertragung durchKontakt zu anderen Tierhaltungsbetrieben. Auch der direkte Kontakt mit Schafenwar nicht als Risikofaktor zu erkennen; dieses spricht ebenfalls für die indirekteÜbertragung mittels infektiösem Schafmist.

Beseitigen des Infektionsherdes, Unterbrechung des Übertra-gungsweges und Vermeidung neuer Ausbrüche

Um den Ausbruch zu stoppen, müssen die Infektionsquelle beseitigt oder dieÜbertragungswege unterbrochen werden. Ein wichtiges Ziel der Untersuchungendes Ausbruchs ist, die Bedingungen zu vermeiden, die den Krankheitsausbruchermöglicht haben. Die Untersuchung ist nicht eher abgeschlossen, bis Präventiv-maßnahmen ergriffen worden sind und man sicher ist, dass diese effektiv sind. Diefolgenden Maßnahmen sind Beispiele, die angewandt werden können, um denAusbruch zu stoppen oder neue Ausbrüche zu verhindern:

• Reinigung oder Desinfektion• Verbesserung der Hygiene• Impfung• Rückruf von Produkten• Änderungen in den Vorschriften oder Richtlinien• Warnung seitens des Öffentlichen Gesundheitsdienstes• Informations- und Erziehungskampagnen.

Bericht

Abschließend sind die Untersuchungsergebnisse allen beteiligten Behörden mit-zuteilen. Die Patienten, besonders diejenigen, die an der Untersuchung teilge-nommen und dazu beigetragen haben, können ebenfalls informiert werden. DieÖffentlichkeit kann allgemein durch die Massenmedien informiert werden (sieheZeitungsartikel aus der WAZ vom 01.09.1999). Der Bericht sollte speziell dieje-

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nigen erwähnen, die zur Untersuchung beigetragen haben. Der Bericht darf keineInformationen enthalten, die Rückschlüsse auf die Identität von Einzelpersonenzulassen. Der Inhalt sollte Kollegen durch Wissenschaftsmagazine und Bulletinszugänglich gemacht werden, damit alle von den Erfahrungen und Einsichten pro-fitieren können.

Danksagung

Mein Dank für die Beteiligung an der Untersuchung des Q-Fieber-Ausbruches giltFrau Dr. W. Hellenbrand, Frau Dr. A. Düsterhaus, Herrn Dr. U. Lepper, Herrn Dr.A. Biallas, Herrn R. Schlottke, Herrn R. Hesse, Frau E.-M. Gries, Herrn C.Altena, Herrn Dr. B. Striegler und Herrn Dr. H.-G. Baumeister.

WestdeutscheAllgemeineZeitung (WAZ)01.09.1999

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Literatur

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Zwei Ausbrüche von Trichinellose in Nordrhein-Westfalen (NRW), Oktober – Dezember 1998

S. Rehmet1, G. Sinn1, O. Robstad1, L.Petersen1,5, A. Ammon1, D. Lesser2, H.David3, K. Nöckler4, Gesundheitsämterund Veterinärämter in Nordrhein-Westfalen

1 Robert Koch-Institut Berlin2 Ministerium für Frauen Jugend,Familie und Gesundheit NRW, 3 Ministerium für Umweltschutz,Raumordnung und Landwirtschaft, 4 Bundesinstitut für gesundheitlichenVerbraucherschutz und Vetrinärmedizin5 National Center for Infectious Diseases(CDC)

Hintergrund

Von November bis Dezember 1998 waren in den Regierungsbezirken Düsseldorf,Köln und Münster 19 Menschen an Trichinellose erkrankt und den zuständigenBehörden gemeldet.

Am 22.12.1998 fand eine Besprechung im Ministerium für Frauen, Jugend,Familie und Gesundheit NRW (MFJFG) statt, an der Vertreter dieses Ministe-riums, der betroffenen unteren Gesundheitsbehörden, des Ministeriums fürUmwelt, Raumordnung und Landwirtschaft (MURL) und des Robert Koch-Instituts (RKI) teilnahmen. Es sollten die Ergebnisse der bisherigen Unter-suchungen vorgestellt und das weitere Vorgehen besprochen werden. Zu diesemZeitpunkt waren 15 weitere Fälle in NRW bekannt geworden.

Erkrankung und Tod an Trichinellose sind in Deutschland nach dem Bundes-Seuchengesetz meldepflichtig. Die durchschnittlichen Erkrankungsmeldungen in

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Deutschland von 1987 bis 1998 betrugen weniger als elf Fälle jährlich. Unter Zu-grundelegung dieser Zahlen konnte ein Ausbruch mit Trichinellose in diesemBundesland bestätigt werden.

Aus den Untersuchungen der unteren Gesundheitsbehörden hatten sich deut-liche Hinweise ergeben, dass viele der Erkrankten Mettwürstchen einer bestimm-ten Herstellerfirma (Firma L.) gegessen hatten.

Da anzunehmen war, dass auch die am 22.12.1998 bekannten 34 Fälle nochnicht das endgültige Ausmaß des Geschehens darstellten, und noch andere mögli-che Infektionsquellen untersucht werden sollten, wurde das Fachgebiet Infek-tionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts für die weitergehende Untersu-chung des Ausbruches um Unterstützung gebeten. In Zusammenarbeit mit denunteren Gesundheitsbehörden und den zuständigen Ministerien sollte eine Fall-Kontroll-Studie durchgeführt werden.

Die Trichinellose ist eine Erkrankung, die durch den Nematoden Trichinellaspp. – meistens Trichinella spiralis – verursacht wird. Die Infektion ist weltweitzoonotisch verbreitet. Die Infektion erfolgt üblicherweise durch den Verzehr vonrohem oder nicht ausreichend gegartem Fleisch von Schweinen, Wildschweinen,Pferden, gelegentlich auch anderen Wirten wie Bären, Puma etc., und Produkten,die aus deren Fleisch hergestellt wurden, z.B. Rohwurst, Hackfleisch, roherSchinken. Die meisten Infektionen werden aus Europa und den USA gemeldet.

Nach dem Verzehr entwickeln sich die im verzehrten Muskelfleisch einge-kapselten Larven im oberen Dünndarm des Wirtes innerhalb weniger Tage zuadulten Würmern, von denen die Weibchen über einen Zeitraum von zwei bis vierWochen, möglicherweise jedoch bis zu drei Monaten 1.000 - 1.500 Larven pro-duzieren (enterische Phase). Die Larven durchbohren die Darmwand und errei-chen über die Blutzirkulation die quergestreifte Muskulatur, wo sie weiter ausrei-fen und sich nach drei bis sechs Wochen einkapseln (Invasionsphase). Die einge-kapselten Larven können in der menschlichen Muskulatur Jahre bis Jahrzehntelebensfähig bleiben. Die Symptome, die die Trichinellose beim Menschen verur-sacht, entsprechen den Lebenszyklen der Nematode, leichte Infektionen sindmeist asymptomatisch.

Während der enterischen Phase, d.h. in den ersten 7 - 14 Tagen, entwickelnsich überwiegend gastrointestinale Symptome wie Durchfall, Bauchschmerzen,Übelkeit und Erbrechen.

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Nach etwa sieben Tagen beginnen die Symptome, die durch die Migration derLarven im Körper ausgelöst werden: Fieber, Schüttelfrost, Myalgien, Lidödeme,urtikarielle Exantheme, petechiale Blutungen. Sowohl zentrale als auch peripherneurologische Symptome sind häufig.

Nach etwa zehn Tagen sieht man im Blutbild eine Leukozytose mit Eosino-philie. CK- und LDH-Erhöhung werden ebenfalls ab dieser Zeit beobachtet undspiegeln die muskuläre Beteiligung wider [1, 2, 3].

Beweisend für eine frische Infektion ist der Nachweis von spezifischem IgM,das nach ein bis zwei Wochen positiv werden kann. Spezifische IgG-Antikörpergegen Trichinella sind im Serum frühestens drei Wochen nach Infektion nach-weisbar.

Fall-Kontroll-Studien

Aus den ersten Recherchen ergaben sich Hinweise, dass es sich wahrscheinlichum zwei getrennte Ausbrüche handelte. Die Fälle aus NRW außer Mettmann-Langenfeld (ML) gaben alle an, Mettwürstchen der Firma L. gegessen zu haben,im Gegensatz zu den Fällen aus Mettmann-Langenfeld. Deshalb wurden zwei ge-trennte Fall-Kontroll-Studien durchgeführt.

Methoden

Falldefinition

Ein Fall von Trichinellose war definiert als ein Einwohner NRWs, bei dem nachdem 01. September 1998 IgG und/oder IgM-Antikörper gegen Trichinella nach-gewiesen wurden.

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Fallsuche

Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte wurden über den Ausbruch und dieSymptomatik einer Trichinellose informiert. Patienten mit verdächtiger Sympto-matik sowie deren asymptomatische Angehörige sollten einem serologischen Testauf Trichinella unterzogen werden.

Die Studienteilnehmer wurden aufgrund ihres Krankheitsstatus ausgewählt.Die Chance der Exposition der Fälle wurde verglichen mit der Expositionschancebei Kontrollen um sagen zu können, ob Personen mit einer bestimmten Expositioneine größere Chance haben krank zu werden als Kontrollpersonen ohne dieseExposition. Daraus kann ein epidemiologischer Zusammenhang zwischen Expo-sition und Erkrankung abgeleitet werden. Das Maß für diesen Zusammenhangwird als Odds-Ratio dargestellt.

Auswahl der Kontrollen

Die Kontrollen wurden aus den selben Städten wie die Fälle mit Hilfe computer-generierter Telefonnummern ausgewählt. Die Befragung von Fällen und Kontrol-len erfolgte telefonisch mit einem standardisierten Fragebogen. Für Studie 1(NRW ohne Mettmann-Langenfeld) wurde eine Kontrollperson pro Fall ausge-wählt, für Studie 2 (Mettmann-Langenfeld) vier Kontrollpersonen.

Ergebnisse

Deskriptive Untersuchung

Männer und Frauen waren zu gleichen Teilen betroffen. Fälle traten außerdem inallen Altersklassen auf in Mettmann-Langenfeld allerdings nur in den Alters-klassen 16 - 50 Jahre.

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Die Epidemiekurve zeigt die Trichinellosefälle nach Woche des Symptombe-ginns. Es erfüllten 52 Personen die Falldefinition. Aufgeführt sind nur die Datenvon 45 der insgesamt 52 Fälle, da 6 asymptomatisch waren und von einem derSymptombeginn nicht mehr zu eruieren war. Die dunklen Balken stellen die Fälleaus den 10 Städten NRWs ohne ML dar. Der erste Fall trat am 6. Oktober auf, derletzte am 12. Dezember. Ein deutlicher Gipfel zeigt sich in der letzten Oktober-woche. Die hellen Balken zeigen die Fälle aus Mettmann-Langenfeld, die vonAnfang bis Ende November auftraten. Unter Berücksichtigung der Inkubations-zeit von 5 - 45 Tagen, haben sich die Fälle aus NRW wahrscheinlich Ende Sep-tember bis Anfang Oktober infiziert, die aus Mettmann-Langenfeld etwa vierWochen später, Mitte bis Ende Oktober.

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Alters- und Ge-schlechtsvertei-lung der Per-sonen mitTrichinellose inNRW außer MLund Mettmann-Langenfeld

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Die räumliche und zeitliche Verteilung der Fälle erlaubte den Schluss, dass dieExposition weiträumig verteilt war und mehrere Tage bestanden haben muss. DieFälle aus NRW gaben alle an, Mettwürstchen der Firma L. gegessen zu haben,während alle Fälle aus Mettmann-Langenfeld Hackfleisch aus demselben Super-markt bezogen hatten.

Analytische Untersuchung

Studie 1: NRW außer Mettmann-Langenfeld

Die Studienpopulation bestand aus 39 Fällen und 44 Kontrollen. Aus dem Vergleich des Wurst - und Fleischkonsums zeigt sich, dass alle Fälle,

von denen es Informationen zu dem Wurstkonsum gab (38/38), aber nur 20 der 43Kontrollen geräucherte Mettwurst unbezeichneter Herkunft gegessen hatten. 34Fälle – aber keine Kontrollperson, hatten geräucherte Mettwurst der Firma L.

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gegessen. Die Fälle hatten auch mit einer größeren Wahrscheinlichkeit gemisch-tes Hackfleisch gegessen und Mettbrötchen. Der Nenner variiert, da dieErinnerung an die verzehrten Lebensmittel lückenhaft war.

Studie 2: Mettmann-Langenfeld

Die Studienpopulation bestand aus 8 Fällen und 29 Kontrollen.Aus dem Vergleich des Wurst- und Fleischkonsums der Fälle und Kontrollen

in Mettmann-Langenfeld zeigt sich, dass sieben der acht Fälle, aber nur elf der 28Kontrollen Schweinehackfleisch gegessen hatten. Alle Fälle und 21 der 29 Kon-trollen hatten gemischtes Hackfleisch gegessen. Die sechs Fälle, die sich erinnernkonnten, wo sie das Fleisch gekauft hatten, gaben an, dies ausnahmslos in Super-markt A getan zu haben. Von den Kontrollen hatte dort nur drei von elf gemisch-tes Schweinehackfleisch und 9 von 21 gemischtes Hackfleisch gekauft. Der Nen-ner variiert auch hier, da die Erinnerung an die verzehrten Lebensmittel lücken-haft war.

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Wurst- undFleischkonsum,NRW außer MLSeptember1998

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Umgebungsuntersuchungen

Die Umgebungsuntersuchungen für NRW außer ML konzentrierten sich auf dasin der letzten Septemberwoche zur Mettwurstproduktion verwendete Fleisch beiFirma L. Dabei handelte es sich einmal um tiefgefrorenes Fleisch aus Deutschlandund Belgien, das über einen ausreichenden Zeitraum tiefgefroren war (20 Tage bei-150 ). Zusätzlich wurde frischer Schweinenacken aus Spanien verarbeitet. DieZertifikate über die in Spanien durchgeführte Trichinenuntersuchung waren ange-fordert worden. Die Kontrollnummern auf den Begleitpapieren stimmten jedochnicht mit denen auf dem Fleisch überein. Auch von diesem Fleisch war die gesam-te Lieferung verarbeitet und somit eine Untersuchung nicht mehr möglich.

Bei drei der betroffenen Familien in ML konnten noch Reste von tiefgefrore-nem Hackfleisch in der Tiefkühltruhe gefunden werden, das in dem fraglichenZeitraum gekauft worden war. Bei der Untersuchung im Bundesinstitut fürgesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin konnte die in der fol-genden Abbildung dargestellte Larve von T. spiralis isoliert werden.

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Wurst- undFleischkonsumvon Fällen und

Kontrollen,Mettmann-Langenfeld

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Es handelte sich um gemischtes Hackfleisch und stammte aus Supermarkt A.Dieser Supermarkt gehört zu einer großen Supermarkt-Kette mit einer zentralenFleischbelieferung. In der Woche als das kontaminierte Fleisch ausgeliefertwurde, war dies aus neun verschiedenen Schlachthöfen in Deutschland, Belgienund den Niederlanden bezogen. Die Schlachthöfe ihrerseits hatten das Fleisch vonüber vierzig verschiedenen Erzeugerbetrieben bezogen, so dass eine Rückver-folgung nicht mehr möglich war.

Schlussfolgerungen

Da man davon ausgehen kann, dass die in der fraglichen Zeit produzierten 10 - 14. 000 Würstchen auch gegessen wurden, ist zu vermuten, dass das Ausmaß desAusbruchs weitaus größer war als durch die Fallmeldungen erfasst und hierbeschrieben. Gemeldet wurden nur die Fälle, die wegen Beschwerden einen Arztaufsuchten und richtig diagnostiziert wurden. Der Entdeckung des kleinen Aus-bruchs in Mettmann-Langenfeld war wahrscheinlich nur durch die erhöhte Auf-merksamkeit im Zusammenhang mit dem Geschehen in NRW möglich.

Trichinella spi-ralis

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Durch die fabrikmäßige Massenproduktion von Lebensmitteln und derengroßflächiger Verteilung können große Ausbrüche hervorgerufen werden, wennentsprechende Kontrollmaßnahmen fehlen. Obwohl die kontaminierten Lebens-mittel identifiziert werden konnten, war es nicht möglich, das zu deren Produktionverwendete Fleisch bis zu seinem Erzeugerbetrieb zurück zu verfolgen. Deshalbbleibt die Infektionsquelle weiter unklar.

Empfehlungen

Derzeit gibt es Überlegungen, in den Ländern der EU die routinemäßige Fleisch-beschauung auf Trichinella abzuschaffen. Unsere Untersuchungen haben gezeigt,dass solche Maßnahmen nicht nur aufrechterhalten, sondern qualitativ verbessertwerden müssen, um künftig ähnliche Ausbrüche zu vermeiden. Darüber hinaussollten weitergehende Möglichkeiten geschaffen werden, verarbeitetes Fleisch biszum Erzeuger zurück zu verfolgen.

Literatur

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2 Lang W. Tropenmedizin in Klinik und Praxis, Georg Thieme VerlagStuttgart, New York 1993

3 Manson’s Tropical Diseases, Edited by Gordon C. Cook, W .B.Saunders Company London, Philadelphia, Toronto, Tokyo, 20th Edition,

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Erfahrungen bei einem Meningokokkenausbruch –Möglichkeiten des Umgangs mit den Besorgnissender Bevölkerung

Dr. Karl-Heinz Feldhoff, Gesundheitsamtdes Kreises Heinsberg

Einleitung:

Meningokokkenerkrankungen in der Be-völkerung stellen nach wie vor eine He-rausforderung für gezieltes, qualitätsgesi-chertes und entschiedenes Handeln einesGesundheitsamtes dar. Jede Meningokok-kenerkrankung oder Sepsis in einemKreis oder einer kreisfreien Stadt erfor-dert ein eingeübtes und fachlich hochqua-lifiziertes Management, um sofort auftre-tenden Befürchtungen und BesorgnissenBetroffener und Nichtbetroffener begegnen zu können. Über die Erfahrungen mitmehreren, in kurzer zeitlicher Abfolge aufgetretenen Erkrankungen im Frühjahr1998, vor dem Hintergrund der damaligen akuten bayerischen Entwicklung unddie notwendigen Schlußfolgerungen aus ihr, wird berichtet.

Epidemiologie

Im Kreis Heinsberg erkranken jährlich vier bis fünf Menschen an Meningo-kokken-Meningitis, davon zwei am Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom.

Bei der Aufdeckung von Infektionsketten und der Ermittlung von Kontaktper-sonen ergeben sich immer wieder Verbindungen in den benachbarten niederländi-schen Grenzraum. Die Informationen aus den niederländischen Nachbargesund-heitsämtern, mit acht bis neun Meningokokkenerkrankungen und drei bis vier

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Sepsisverläufen bei gleicher Einwohnerzahl, spielen deshalb für die Beurteilungeine Rolle.

Fallbeschreibungen

Im Folgenden sollen drei Erkrankungen des Frühjahrs 1998 innerhalb von vierWochen mit unterschiedlichen Verläufen und Ausgängen vorgestellt werden, umdie Notwendigkeit des qualifizierten Ausbruchmanagements zu verdeutlichen.

Im ersten zu beschreibenden Fall erkrankte eine 46-jährige Mutter währendeines Ski-Aufenthaltes in Bayern an hohem Fieber und Halsschmerzen im März1998. In Bayern waren zu der gleichen Zeit mehrere Meningokokken-Erkran-kungen aufgetreten und hatten zu grossen Verunsicherungen geführt. Von den dreibegleitenden Kindern entwickelten zwei der Kinder ebenfalls Fieber und Hals-schmerzen. Die Reise wurde abgebrochen, dem Hausarzt in der Heimatgemeindewurden von der Mutter die fiebernden Kinder vorgestellt und daraufhin sympto-matisch und antibiotisch von ihm behandelt. Die Mutter selbst suchte keineKonsultation und bekam zwei Tage nach Beginn der Erstsymptomatik erneuthohes Fieber. Gegen Morgen des Folgetages erfolgte bei Eintrübung die Sofort-einweisung in das nächstgelegene Krankenhaus, von dort wegen petechialerBlutungen die Weiterleitung ins Klinikum Aachen mit der Verdachtsdiagnoseeines Waterhouse-Friedrichsen-Syndroms. Es wurde eine Meningokokken-Sepsisvom Typ B festgestellt, eine irreversible Schocksymptomatik mit Nieren- undLungenversagen führte nach fünf Tagen zum Tod.

Der zweite zu beschreibende Fall betraf einen 19-jährigen Schüler einer Abi-turklasse, der mit Freunden nach einem Discobesuch in Sittard (NL) und anschlie-ßender Übernachtung im Auto, 36 Stunden später an hohem Fieber, Glieder-schmerzen und Halsschmerzen erkrankte. Nach 20 Stunden trübte er ein, wurdevom Hausarzt direkt wegen des Verdachts auf Meningitis dem Klinikum Aachenzugewiesen, wo eine eingehende Diagnostik keinen Keimnachweis erbrachte. DerHausarzt leitete sofort eine hochdosierte antibiotische Behandlung ein. Entlassungdes Patienten nach fünf Tagen mit Restitutio ad integrum. Bei zwei der Freundewurden Keime der Meningikokkengruppe B nachgewiesen, bevor diese hausärzt-lich antibiotisch abgedeckt wurden.

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Eine 14-jährige Gesamtschülerin in einer kreisangehörigen Gemeinde, diezeitweise außerhalb des Kreises unterrichtet wurde, war als dritter zu beschrei-bender Erkrankungsfall betroffen. In dieser Klasse werden die Unterrichtsstundenmit Schülerinnen und Schülern aus dem benachbarten niederländischen Kerkradegestaltet. Zum Zeitpunkt der Unterrichtung hatte die Schule drei Meningokokken-erkrankungen bei Schülern aus den Niederlanden gemeldet bekommen. Währenddes Unterrichts erkrankte die Schülerin mit Halsschmerzen, Kopfschmerzen undhohem Fieber, verließ den Unterricht und trübte noch auf dem Weg nach Hauseein. Es erfolgte ebenfalls vom Hausarzt die unmittelbare Einweisung insKlinikum Aachen wegen des Verdachts auf Meningokokken-Sepsis bei zusätzlichaufgetretenen petechialen Blutungen. Ein Keimnachweis gelang hier nicht. Nachzehn Tagen konnte die Schülerin ohne bleibende Folgen entlassen werden.

Maßnahmen des Gesundheitsamtes

In allen drei Fällen erfuhr das Gesundheitsamt wenige Stunden nach Aufnahmeins Klinikum durch telefonische Mitteilung des Gesundheitsamtes Aachen überdie aufgetretenen Erkrankungen aus dem Kreis. Parallel war auch eine Mitteilungüber den Rettungsdienst und die Leitstelle erfolgt, da die den Transport durchfüh-renden Rettungsassistenten um Beratung durch das Gesundheitsamt, im Hinblickauf prophylaktische Maßnahmen, baten.

Nach Eingang der fernmündlichen Meldung erfolgte die Information desAmtsleiters und des Stellvertreters unmittelbar, so dass sofort notwendige Maß-nahmen eingeleitet werden konnten:

1. Bildung eines Infektionsteams (zwei Ärzte, der für den Bezirk zuständigeGesundheitsaufseher, sowie sein ständiger Vertreter, Amtsapothekerin)

2. Beurteilung der Epidemiologie: Die bisher bekannten klinischen Daten wur-den anhand der vorliegenden Informationen einer Falldefinition zugeordnet,die Kontaktpersonen wurden definiert und waren zu ermitteln, um möglicheVerbindungen zu weiteren Erkrankungsfällen zu eruieren. Es zeigte sich inallen drei Fällen, dass nur durch einen gezielten strukturierten Personalein-satz in kurzer Zeit die notwendigen Informationen beschafft werden konn-ten.

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3. Danach erfolgte die gezielte Angehörigeninformation anhand eines ausfor-mulierten Textes, in dem über Wesen der Erkrankung, mögliche Übertra-gungswege, Maßnahmen für die Kontaktpersonen und erreichbare (!)Ansprechpartner des Gesundheitsamtes informiert wurde.

4. Ein ähnlicher Text wurde in allen drei Fällen nach Absprache mit denAngehörigen mit Hilfe des Pressereferenten für die örtliche Presse erstelltund zeitgleich in Form einer Presseerklärung den Medien zur Verfügunggestellt. Wesentliche Elemente der Texte waren die Gleichartigkeit derInformationen, die Verständlichkeit des Textes und die klare Benennung der„engen Kontaktpersonen“ gemäß den RKI-Empfehlungen.

5. Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte erhielten eine gezielte Ärzteinformation zu den aufgetretenen Erkrankungen und den notwendigenMaßnahmen per Telefax. Die Erstinformation erfolgte an den KV-Vorsitzenden und den Kreisvertrauensapotheker, die ihrerseits erfahrungsge-mäß um ergänzende Informationen gebeten werden. In die Ärzteinformationwurden gezielte Dosierungsanleitungen nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts eingearbeitet. Dabei wurde das Fachwissen der Amtsapo-thekerin genutzt, die darüber hinaus entsprechende Informationen an dieApothekerschaft weitergeben konnte. Auch erwies es sich von Vorteil, dassdie Apotheker frühzeitig unterrichtet wurden, da es so nicht zu Problemender Arzneimittelversorgung mit RifampicinR kam. Immer wieder wurdenämlich erlebt, dass die Beteiligten/Betroffenen den Begriff „engeKontaktpersonen“ unterschiedlich interpretierten. Bei der Information derÄrzteschaft erwies sich die Bereithaltung aller Telefaxnummern der nieder-gelassenen Ärzte als vorteilhaft. Hier ist zukünftig eine weitereAutomatisierung anzustreben. Auch hatten einige Ärzte nach Praxisschlussdie Geräte ausgeschaltet, so dass Fehlermeldungen eingingen und hinterherdem Gesundheitsamt fehlende Informationspolitik vorgeworfen wurde. Beiden Apothekern des Kreises ist die Weitergabe von Informationen durch langeingeübte Rundrufe gang und gebe. Die in den genannten Fällen notwendigeInformationsversorgung klappte daher reibungslos.

6. Den gleichen Text erhielten zeitgleich auch die betroffenen beiden Jahr-gangsstufen der Schulen in Abstimmung mit der Schulleitung in Form derSchulinformation. Im Fall des 19-jährigen Schülers eines Abiturjahrganges,der dem Gesundheitsamt drei Tage vor Beginn der Osterferien 1998 bekannt

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wurde, entschieden wir uns für die prophylaktische Vergabe von Rifampicinan die möglichen Kontaktpersonen der Jahrgangsstufe durch Ärzte desGesundheitsamtes während des laufenden Schulbetriebes, nach Informationder Eltern am Vortage. Es galt wegen der unmittelbar bevorstehendenFerienzeit keine Zeit damit zu verlieren, dass möglicherweise nicht mehr alleder angehenden Abiturienten erreicht werden würden, eine ungleichmäßigeRisikoverteilung entstünde und möglicherweise es bei den anstehendenKlausuren zu Ausfällen käme. Eine Eingrenzung der Vergabe auf die engenKontaktpersonen (Banknachbar im Schulbereich), gemäß RKI-Empfehlung,war aus infektionsepidemiologischen Gründen nicht möglich, da die hiervorzufindende Jahrgangsstufe sich aus Schülerinnen und Schülern aus 12verschiedenen Gemeinden mit ständig wechselnden Banknachbarn, davonzwei aus den Niederlanden, zusammensetzte.

7. Bei Auftreten des ersten Falles wurde unmittelbar die Verbindung zumReferenzzentrum für Meningokokken in Heidelberg aufgenommen. Hierdurchkonnte eine koordinierte Labordiagnostik durch die behandelnden Ärzte imKlinikum, insbesondere jedoch auch über das für unseren Bereich tätigemikrobiologische Institut, erreicht werden. Die Zusammenarbeit erwies sichals effizient, so dass auch die Melde- und Informationswege zu denReferenzeinrichtungen insgesamt bekannter geworden sind. Zukünftigkommt es darauf an, dass die Surveillance weiter intensiviert wird, um nochmehr Informationen über Verläufe, Erregerstämme und Resistenzen beiMeningokokken zu erhalten. Dazu soll ab Februar 2000 in einigen sich auffreiwilliger Basis beteiligenden Gesundheitsämtern des Landes NRW, eineentsprechende Erhebung beginnen.

Öffentlichkeitsarbeit

Es zeigte sich in allen drei Fällen, dass eine gezielte, gleichgeartete, verständlicheund glaubhafte Information geeignet war, den aus den davor liegenden Wochenherrührenden Befürchtungen in der Bevölkerung und in den betroffenen Schulenzu begegnen. Es ist für die eigenen Mitarbeiter ebenfalls unabdingbar, gleicheInformationen auch selbst und nicht über Radio oder Zeitung zu erhalten. Dazuwurden die Texte der Presseerklärung auch den anderen Ärztinnen und Ärzten des

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Amtes, sowie den Außenstellen des Gesundheitsamtes zur Verfügung gestellt.Eine Rufnummer des Gesundheitsamtes war für anfragende Bürgerinnen undBürger geschaltet und besetzt. Diskussionspunkt bei fast allen Nachfragen war dieDefinition der „engen Kontaktpersonen“. Nach der RKI-Empfehlung sind engeKontaktpersonen:

• alle Haushaltsmitglieder• Intimpartner• enge Freunde, evtl. Banknachbar in der Schule• medizinisches Personal• Kontaktpersonen in Kindereinrichtungen (Kinder bis zu sechs Jahren)• Kontaktpersonen in sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen.

Als Bereicherung in der Beherrschung der Meningokokkensituation im Gesund-heitsamt Heinsberg erweist sich die gezielte Zusammenarbeit mit der eigenenPressestelle im Hause, die wiederum die Verbindungen zur örtlichen Presse hat.Auch können Texte journalistisch aufgearbeitet werden, um die Botschaft: keineMassenerkrankung, keine ungezielten Medikamentengaben, keine unbegründetenVorsichtsmaßnahmen etc., den Bürgerinnen und Bürgern zeitnah zu übermitteln.Ein Interviewwunsch des lokalen Radiosenders trägt viel zu einer sachlichenInformationspolitik bei und sollte nicht verweigert werden.

Des Weiteren erfolgte eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit der Schullei-tung, mit der sofort ein Termin mit dem Arzt des Gesundheitsamtes vor Ort ver-einbart wurde. Die Informationen erfolgten so durch die primär mit der Angele-genheit befassten Mitarbeiter und wurden nicht durch Sekundärinformationenverwässert. Die Einbeziehung der Lehrer erfolgte nach kurzer primärer Informa-tion des Schulleiters über die beabsichtigten und notwendigen Maßnahmen undden zeitlichen Ablauf. Die Reaktionen der Öffentlichkeit und der Medien zeigten,dass durch diese abgestimmte Vorgehensweise keine Unruhe entstand. Für eingezieltes Kommunikationsmanagement ist es unabdingbar, dass im Vorfeld klareAbsprachen für das „wer informiert über was an welcher Stelle für wen“ getrof-fen worden sind oder im Rahmen des Infektionsteams anlassbezogen entschiedenwird.

In allen drei Fällen erwiesen sich die in der Euregio Maas-Rhein vorhandenenKommunikationsstrukturen zwischen den Gesundheitsämtern als vorteilhaft, um

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gezielte Informationen auch von dort erhalten bzw. weitergeben zu können.Zukünftig ist innerhalb der Euregio Maas-Rhein ein vereinbarter Meldetransferbei wichtigen Infektionskrankheiten, wie Meningokokken, wirksam. MitUnterstützung des lögd wird eine Infektionsdatenbank aufgebaut, mit der gleich-zeitig auch durch Beobachtung der aktuellen Entwicklungen die Häufigkeiten deraktuellen Erkrankungen mit denen der Vorjahre verglichen werden können. DerAufbau des Meningokokken-Infektionsbarometers für die Euregio Maas-Rheinwird ein weiterer wesentlicher Baustein sein, den Bürgerinnen und Bürgern deut-lichere Aussagen zu eventuellen Häufungen von Meningokokken-Erkrankungenzu machen. Ein Beispiel für die Entwicklungen der letzten Jahre, in Bezug aufMeningokokken in der Euregio, hatte Herr Dr. Baumeister in seinem Beitraggemacht.

Schlussfolgerungen:

Zur Beherrschung eines Meningokokkenausbruchs in einem Kreis, in einer kreis-freien Stadt, bedarf es eines umfassenden Infektions- und Kommunikations-managements durch engste Zusammenarbeit von Ärzten, Gesundheitsaufsehern,der Amtsapothekerin, sowie der Pressestelle. Die Bereithaltung eines sog. Infek-tionsteams stellt eine leicht zu realisierende Vorsorgemaßnahme eines Gesund-heitsamtes für solche Herausforderungen dar, bei denen nach wie vor nicht ge-kleckert, sondern geklotzt werden muss! Dazu bedarf es eines gezielt weiterge-bildeten Teams, das die neueste Literatur kennt, bzw. zumindest sich sehr schnellüber die aktuellen Entwicklungen und Empfehlungen unterrichten kann. Unter-stützend dafür – nicht eine qualifizierte Weiterbildung ersetzend – ist ein Internet-anschluss heute unerlässlich. Neben der Beurteilung der epidemiologischen Lage,der Überprüfung möglicher Falldefinitionen ist das zeitnahe, abgestimmte, offeneund gezielte Informieren der Beteiligten (Angehörige, Schule, niedergelasseneÄrztinnen und Ärzte, örtliche Presse) geeignet, aufkommenden Besorgnissen derBürgerinnen und Bürger begegnen zu können. Darüber hinaus erfordert dasManagement solcher Situationen die arbeitstägliche Lagebeurteilung, die Zusam-menarbeit mit dem Referenzzentrum zur Koordinierung der Labordiagnostik,sowie eine Schlussbeurteilung, um Konsequenzen für zukünftiges Vorgehen zie-hen zu können. Nicht zuletzt die neuesten Berichte über die Ausbreitung eines

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neuen Meningokokken-Klons der Serogruppe C mit hoher Letalität und relativhoher Erkrankungshäufigkeit bei Jugendlichen, erfordern in jedem Gesund-heitsamt qualifizierte, gut weitergebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, umden berechtigten Ansprüchen der Bevölkerung an eine Kreisverwaltung undihre/n gewählte/n Landrätin/Landrat zur Beherrschung solcher Situationen auchgerecht zu werden.

Literatur

1. Meningokokkenerkrankungen in Europa, EpiBul 6/972. Meningokokkenerkrankungen in Deutschland 1997, EpiBul10/983. Vorläufige Falldefinition Meningokokken-Meningitis oder –sepsis

(RKI, März 1998), EpiBul 10/984. Zum Vorgehen bei Ausbrüchen von Infektionen durch

Meningokokken der Serogruppe C, EpiBul 10/985. Meningokokken als Krankheitserreger in Deutschland 1998, EpiBul

9/996. Präventiv- und Bekämpfungsmaßnahmen bei Meningokokken, EpiBul

11/997. Ulrich Vogel, M.Achtman, M.Frosch. Epidemiologie der

Meningokokken-Meningitis, Dt.Ärztebl 1999; 96: A-3302-33058. Matthias Frosch. Meningokokken-Impfstoffe, Dt.Ärztebl 1999; 96:A-

3306-3308

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Zusammenfassung

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Zusammenfassung

Dr. Ralf Reintjes, Dr. Helmut Brand, lögd

Im ersten Teil dieses Buches werden vor allem internationale Perspektiven vonepidemiologischer Surveillance und epidemiologischen Studien zu Infektions-krankheiten behandelt. Das Referat von Herrn Dr. Grein (WHO, Genf) stellte dieglobale Bedeutung von Infektions-Surveillance und die von der WHO übernom-menen Aufgaben vor. Die Aktivitäten auf europäischer Ebene mit unterschied-lichen Netzwerken wurden von Professor Weinberg (City-University und PublicHealth Laboratory Services, London) dargestellt. Dr. Grosskurth (London Schoolof Hygiene and Tropical Medicine) berichtete praxisnahe Erfahrungen von inter-nationalen infektionsepidemiologischen Studien zu sexuell übertragbaren Krank-heiten und HIV.

Der zweite Teilbereich dieser Veröffentlichung befasst sich mit epidemiologi-scher Surveillance. Die Beiträge zeigen, dass Surveillance von Infektionskrank-heiten sowohl „old“ als auch „new Public Health“ ist und die Trennung zwischenalt und neu in diesem Bereich eher artifiziell ist.

Abschließend wurde ausführlich auf methodische Techniken bei der epide-miologischen Untersuchung von Ausbrüchen von Infektionskrankheiten und derVorgehensweise zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten eingegangen.

Angesichts der politischen Entwicklungen gewinnt der gesamte Bereich derInfektionskrankheiten-Epidemiologie und hier verstärkt der Bereich der Sur-veillance eine immer wichtigere Rolle. Surveillance ist als ein systematischer,dynamischer Prozess zur Erhebung, Verwaltung, Analyse, Zusammenfassung undBerichterstattung von Daten über das Auftreten von Ereignissen (Krankheiten) ineiner bestimmten Bevölkerung zu verstehen. Hätte Surveillance keinerlei Maß-nahmen zur Folge, wäre es eine reine Archivierungsaufgabe. Surveillance alsBegriff suggeriert das frühzeitige Entdecken einer epidemischen Bedrohung. DerProzess des aufmerksamen Abwartens, des sorgfältigen Zählens, und die Er-wartung einer Veränderung bei einem wichtigen Problem, das zu Maßnahmenberechtigt, machen das Wesen von Surveillance aus. Surveillance-Systeme sindNetzwerke von Personen und Tätigkeiten, die diesen Prozess unterhalten. Sie kön-

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nen sich von der lokalen bis auf die internationale Ebene erstrecken. Die meistenSurveillancesysteme werden im öffentlichen Gesundheitsbereich für die Steue-rung und Planung von Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen eingesetzt.

Es ist deutlich, dass Infektionskrankheiten nicht an Landesgrenzen halt ma-chen. Deshalb ist eine regionale, nationale und internationale Zusammenarbeit aufdiesem Gebiet unverzichtbar. Europäische Surveillance-Systeme werden zwar zurZeit aufgebaut, ergänzend ist aber die praktische Zusammenarbeit über Landes-grenzen hinweg wichtig.

Neue und wiederkehrende Infektionskrankheiten und durch Fernreisen impor-tierte Infektionen werden uns weiterhin gut beschäftigen und die, die in diesemBereich sich fortbilden, brauchen über Arbeitsmangel später nicht zu klagen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Infektionskrankheiten-Surveil-lance ein aktuelles Thema ist und im neuen Millennium bleiben wird. Wir solltenmehr von den internationalen Erfahrungen im Sinne eines „Benchmarking“ fürunsere Arbeit vor Ort lernen und die Kooperationen zwischen Institutionen mussregional, national und international verbessert werden.

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Anhang

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Autoren

Dr. Horst-G. BaumeisterLandesinstitut für den ÖffentlichenGesundheitsdienst NRW, lögdvon Stauffenberg-Str. 3648151 MünsterTel.: 02 51/77 93-1 42Fax: 02 51/77 93-1 04

Dr. Helmut BrandLandesinstitut für den ÖffentlichenGesundheitsdienst NRW, lögdPostfach 20 10 1233548 BielefeldTel.: 05 21/80 07-2 23Fax: 05 21/80 07-2 02

Dr. Hans-J. BoschekKreisgesundheitsamt Eneppe-RuhrHauptstr. 9258332 SchwelmTel.: 0 23 36/93 24 68Fax: 0 23 36/93 24 40

Dr. Karl-Heinz FeldhoffGesundheitsamtKreis HeinsbergValkenburger Str. 4552525 HeinsbergTel.: 0 24 52/13 53 01Fax: 0 24 52/13 53 96

Dr. Thomas GreinWorld Health Organization20 Avenue AppiaCH-1211 Geneva 27Tel.: +41-22/7 91-34 46Fax: +41-22/7 91-48 93

Dr. Heiner GrosskurthLondon School of Hygiene &Tropical MedicineKeppel StreetLondon WC1E 7HTUnited KingdomTel.: +44-1 71/6 36 86 36Fax: +44-1 71/6 37 43 14

Anhang

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Dr. Ralf ReintjesLandesinstitut für den ÖffentlichenGesundheitsdienst NRW, lögdvon Stauffenberg-Str. 3648151 MünsterTel.: 02 51/77 93-2 16Fax: 02 51/77 93-1 04

Dr. Gabriele SinnRobert Koch-InstitutGeneral-Pape-Str. 62 - 6612191 BerlinTel.: 0 30/45 47-34 87Fax: 0 30/45 47-35 33

Prof. Harrison C. SpencerLondon School of Hygiene &Tropical MedicineKeppel StreetLondon WC1E 7HTUnited KingdomTel.: +44-1 71/9 27 22 37Fax: +44-1 71/3 23 45 62

Anhang

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Dr. Julius WeinbergPHLS-CDSC61 Colindale AveLondon NW9 5EQUnited KingdomTel.: +44-1 81/2 00-68 68Fax: +44-1 81/2 00-81 30

Dr. Manfred ZiegerMinisterium für Frauen, Jugend,Familie und Gesundheit NRWAbt. III40190 DüsseldorfTel.: 02 11/8 55-35 65Fax: 02 11/8 55-32 39

Bei einer Autorengemeinschaft wird in der Autorenliste nur der Vortragendegenannt.

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lögd: Wissenschaftliche Reihe

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RHINE Consortium (Hrsg.)RHINE Policies and Strategies of Information and CommunicationTechnologies for Regional Health Administrations. Bielefeld 1998ISBN 3-88139-085-5

Neue Anforderungen an den ÖGD. Dokumentation zur Tagung in Bielefeld26./27.3.1998. Bielefeld 1999ISBN 3-88139-084-7

Hellmeier, W.Prävalenz von Atopien bei Kindern in Deutschland. Eine Meta-Analysevon Studien aus den Jahren 1987 - 1994. Bielefeld 1999ISBN 3-88139-081-2

RHINE Consortium (Hrsg.)RHINE Policies and Strategies of Information and CommunicationTechnologies for Regional Health Administrations. ConferenceDocumentation. Bielefeld 1999ISBN 3-88139-087-1

Herzinfarkt erkennen und richtig handeln. Methodik, Umsetzung undErgebnisse des Modellprojektes. Bielefeld 1999ISBN 3-88139-081-2

Brand, A.; Bredehöft, J.; Brand, H.Verbesserung der Vollständigkeit und Validität der flächendeckendenDokumentation angeborener Fehlbildung im Rahmen derPerinatalerhebung. Bielefeld 1999ISBN 3-88139-090-1

2. Jahrestagung des lögd für den ÖGD. Tagungspublikation. Bielefeld 2000ISBN 3-88139-098-7

An evaluation of the arrangements for managing an epidemiologicalemergency involving more than one EU member state. Bielefeld 2000ISBN 3-88139-100-2

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3. Jahrestagung des lögd für den ÖGD (in Vorbereitung)

Infektionskrankheiten-Epidemiologie und -Surveillance.Tagungsdokumentation der NRW Infektionstage. Bielefeld 2001ISBN 3-88139-104-5

Umweltbezogene Gesundheitsberichterstattung. Verbesserung derInformationsgrundlagen im Bereich Umwelt und Gesundheit (in Vorbereitung)

Alle Titel sind zu beziehen überLandesinstitut für den ÖffentlichenGesundheitsdienst NRW, lögdBerutha BentlagePostfach 20 10 12, 33548 BielefeldTel.: 05 21/80 07-2 24, Fax: 05 21/80 07-2 02Email: [email protected]

Alle Titel können zukünftig auch als PDF-Files unterhttp://www.loegd.nrw.de heruntergeladen werden.