ERFAHRUNGSBERICHT AUSLANDSEMESTER - hsr.ch · Ohne Dokument A erhält man Formular B nicht....

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Mitte September 2017 machte ich mich mit dem Zug und zwei vollgepackten Koffern auf den Weg nach Wien. Für ein Semester (nämlich das fünfte) sollte ich an der Tech- nischen Universität Wien (TU Wien) Raumplanung und Raumordnung studieren. Für diese Zeit konnte ich bereits im Voraus zusammen mit einem Mitstudenten aus Rap- perswil eine möblierte Wohnung in Wien organisieren. Die Logie war also sichergestellt. Ich war froh, mich darum in den ersten Tagen nicht auch noch kümmern zu müssen. Denn die Anmeldung in der Stadt selbst, das einschreiben für Kurse und diverse weitere administrative Aufgaben liessen kaum Zeit zum veratmen. An dieser Stelle emp- fehle ich allen, die mit einem Auslandsemester in Wien liebäugeln, mindestens zwei Wochen vor Studienbeginn anzureisen. Die wienerische Bürokratie ist nicht ohne. Ohne Dokument A erhält man Formular B nicht. Doku- ment A gibt es aber nur, wenn man bereits Vertrag C vom Dekanat Y unterschreiben lassen hat. Dies in Kombination mit der missglückten Anmeldung für sämtliche Kurse und Module an der TU Wien sorgten für einen fulminanten Start ins Semester. Mein Kollege und ich füllten das «Le- arning Agreement» anhand einer Liste mit Modulen aus, die nur im Sommersemester durchgeführt werden. Da wir aber fürs Wintersemester in Wien waren, hiess es: Alles ummelden, Anträge stellen, abklären was angerechnet werden kann, etc. Hier stellte ich den ersten grossen Unterschied zwischen Rapperswil und Wien, bzw. zwischen Hochschule und Universität fest. Während an der HSR die Anmeldung für Module klar geregelt ist und einem kaum Freiheiten dazu bleiben, herrscht an der TU Wien die Devise «Eigenini- tiative und Selbstorganisation». Für Kurse schreibt man sich nicht bereits Wochen im Voraus ein. Module werden spontan doch nicht durchgeführt und das Abtauschen von Vorlesungen ist kein Problem. Musterstundenpläne gibt es nicht. Klappt etwas nicht, sucht man den direkten Kontakt mit den Modulverantwortlichen. Sind alle Plätze für eine Vorlesung besetzt, reicht ein Mail mit der Bitte, doch teilnehmen zu können, da man Eramsus-Studi sei und sonst keine Möglichkeit mehr hätte. Ich habe diese Freiheiten und die damit verbundene Selbstverantwortung sehr genossen. Etwa die Hälfte der Kurse, die ich in Wien besuchte, wurden von der Abteilung für Architektur. Eine willkommene Abwechslung zum eher verkehrs- und raumplanungslastigen Studium an der HSR. Aber nicht nur der Studienalltag bot Abwechslung. Im Ge- gensatz zu Rapperswil ist Wien eine äusserst attraktive Studierendenstadt. Das kulturelle Angebot, die Möglich- keiten zum Ausgehen, Ausstellungen zu raumplanerischen Themen, usw. sind immens. Der Unterschied von 30‘000 zu 2 Millionen Einwohner*innen war stets spürbar. Das Wort «intensiv» fasst meine Zeit in Wien wohl am besten zusammen. Jeden Tag sich für eines von vielen An- geboten entscheiden zu müssen / dürfen ist nicht immer leicht. Ständig auf Trab zu sein, immer eine volle Agenda zu haben und andauernd neue Dinge kennen zu lernen ist eine einmalige Möglichkeit im Austauschsemester. Nach den fünf Monaten in Wien, war ich beinahe schon froh, wider ihn das gemächlichere Leben in Rapperswil ein- tauchen zu können. Wenn du in Rapperswil nach einem langen Schultag noch ein Feierabendbier trinken willst, musst du dich nur zwischen Bären und Nelson entschei- den. Wenn die Sonne scheint, geht man ja eh an den See dafür. So einfach war das in Wien nicht. ERFAHRUNGSBERICHT AUSLANDSEMESTER - RAUMPLANUNG AN DER TU WIEN - MAX ALTHERR

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Mitte September 2017 machte ich mich mit dem Zug und zwei vollgepackten Koffern auf den Weg nach Wien. Für ein Semester (nämlich das fünfte) sollte ich an der Tech-nischen Universität Wien (TU Wien) Raumplanung und Raumordnung studieren. Für diese Zeit konnte ich bereits im Voraus zusammen mit einem Mitstudenten aus Rap-perswil eine möblierte Wohnung in Wien organisieren.

Die Logie war also sichergestellt. Ich war froh, mich darum in den ersten Tagen nicht auch noch kümmern zu müssen. Denn die Anmeldung in der Stadt selbst, das einschreiben für Kurse und diverse weitere administrative Aufgaben liessen kaum Zeit zum veratmen. An dieser Stelle emp-fehle ich allen, die mit einem Auslandsemester in Wien liebäugeln, mindestens zwei Wochen vor Studienbeginn anzureisen. Die wienerische Bürokratie ist nicht ohne. Ohne Dokument A erhält man Formular B nicht. Doku-ment A gibt es aber nur, wenn man bereits Vertrag C vom Dekanat Y unterschreiben lassen hat. Dies in Kombination mit der missglückten Anmeldung für sämtliche Kurse und Module an der TU Wien sorgten für einen fulminanten Start ins Semester. Mein Kollege und ich füllten das «Le-arning Agreement» anhand einer Liste mit Modulen aus, die nur im Sommersemester durchgeführt werden. Da wir aber fürs Wintersemester in Wien waren, hiess es: Alles ummelden, Anträge stellen, abklären was angerechnet werden kann, etc.

Hier stellte ich den ersten grossen Unterschied zwischen Rapperswil und Wien, bzw. zwischen Hochschule und Universität fest. Während an der HSR die Anmeldung für Module klar geregelt ist und einem kaum Freiheiten dazu bleiben, herrscht an der TU Wien die Devise «Eigenini-tiative und Selbstorganisation». Für Kurse schreibt man sich nicht bereits Wochen im Voraus ein. Module werden spontan doch nicht durchgeführt und das Abtauschen von Vorlesungen ist kein Problem. Musterstundenpläne gibt es nicht. Klappt etwas nicht, sucht man den direkten Kontakt mit den Modulverantwortlichen. Sind alle Plätze für eine Vorlesung besetzt, reicht ein Mail mit der Bitte, doch teilnehmen zu können, da man Eramsus-Studi sei und sonst keine Möglichkeit mehr hätte.

Ich habe diese Freiheiten und die damit verbundene Selbstverantwortung sehr genossen. Etwa die Hälfte der Kurse, die ich in Wien besuchte, wurden von der Abteilung für Architektur. Eine willkommene Abwechslung zum eher verkehrs- und raumplanungslastigen Studium an der HSR. Aber nicht nur der Studienalltag bot Abwechslung. Im Ge-gensatz zu Rapperswil ist Wien eine äusserst attraktive Studierendenstadt. Das kulturelle Angebot, die Möglich-keiten zum Ausgehen, Ausstellungen zu raumplanerischen Themen, usw. sind immens. Der Unterschied von 30‘000 zu 2 Millionen Einwohner*innen war stets spürbar.

Das Wort «intensiv» fasst meine Zeit in Wien wohl am besten zusammen. Jeden Tag sich für eines von vielen An-geboten entscheiden zu müssen / dürfen ist nicht immer leicht. Ständig auf Trab zu sein, immer eine volle Agenda zu haben und andauernd neue Dinge kennen zu lernen ist eine einmalige Möglichkeit im Austauschsemester. Nach den fünf Monaten in Wien, war ich beinahe schon froh, wider ihn das gemächlichere Leben in Rapperswil ein-tauchen zu können. Wenn du in Rapperswil nach einem langen Schultag noch ein Feierabendbier trinken willst, musst du dich nur zwischen Bären und Nelson entschei-den. Wenn die Sonne scheint, geht man ja eh an den See dafür. So einfach war das in Wien nicht.

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Auch der Tagesablauf hat sich markant geändert. In Wien absolvierte ich «nur» 20 ETCS, wovon ich 16 abschloss. An der HSR waren es jeweils 30-40 Credits. Damit war ich aber kein Exote unter meinen Komiliton*innen an der TU Wien. Kaum jemand studiert dort in der Regelstudi-enzeit. Dadurch bleibt mehr Zeit für einem selbst. Mehr Zeit für Reflektion der Materie, autodidaktische Weiter-bildung, Party und Erholung. Dass ich meinen (Raumpla-nungs-) Horizont in Wien so gut erweitern konnte, lag in erster Linie daran. Nebst den Vorlesungen besuchte ich viele Veranstaltungen mit Raumplanungsbezug. Dadurch konnte ich mein Wissen verbreitern und Raumplanung gesamthafter denken. Eine gute Erfahrung. Und Wohl der Hauptunterschied zwischen den Systemen Hochschule und Universität.

Das Angebot an Vorlesungen ist – der Grösse des Studi-engangs entsprechend – deutlich variabler. Das interdiszi-plinäre Projektstudium Raumplanung an der HSR stattet einem mit allen nötigen Mitteln aus, bereits nach dem Bachelor in die Arbeitswelt zu gehen. Jedoch Sind die erwähnten Mittel bloss Antworten für raumplanerische Fragestellungen und Herausforderungen, die ein Anderer / eine Andere erarbeitet hat. Die TU Wien bietet einem mit ihrem Kurrikulum die Möglichkeit, selbst Antworten auf diese Fragen und Herausforderungen zu suchen. Dies geschieht mit weniger Projektarbeiten, mehr Essays und viel mehr Eigenverantwortung. Dabei ist Eigendisziplin und ein Interesse für die vermittelte Materie gefordert.

Diese Unterschiede selbst feststellen zu dürfen, war eine grosse Bereicherung für mich. Die Gesprächskultur der Raumplanungsstudierenden in Wien hat es mir besonders angetan. Es lohnt sich, alle Facetten des Studierendenle-bens an der TU Wien auszukosten. Nicht nur Vorlesungen besuchen und Prüfungen absolvieren. Genauso wichtig waren für mich die Stunden dazwischen und danach.

Zu Wien selbst noch bleibt zu sagen, dass es schwer ist diese Stadt in Worte zu fassen. Am eheste trifft die Be-zeichnung Millionen-Dorf zu. Trotz der Dichte und der Grösse, ist Wien gemütlich. Beinahe schon ein Wenig verschlafen. Das ist sympathisch. Genauso wie die Wie-ner*innen selbst. Die ticken nämlich recht ähnlich wie «ihre» Stadt. Aber wenn ich von Wiener*innen spreche, meine ich nicht in Wien geborene. Mit denen kam ich kaum in Kontakt. Viel zu divers und multikulturell war mein Alltag. Tolle Erfahrung.

Nach einem chaotischen Start gewöhnte ich mich schnell an die feinen kulturellen Unterschiede und an das Wiener Leben. Wien sei die lebenswerteste Stadt der Welt (vor Zürich und Vancouver). Das stimmt auch. Aber nicht we-gen Sissi, Schnitzel und Riesenrad. Wien ist viel mehr. Ich empfehle allen, dies selbst herauszufinden.