Ergebnisse einer empirischen Feldstudie von Jan … · 2016-05-18 · Auswahl der...
Transcript of Ergebnisse einer empirischen Feldstudie von Jan … · 2016-05-18 · Auswahl der...
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Sport
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Ergebnisse einer empirischen Feldstudie
von Jan Mersch, Pauli Trenkwalder, Martin
Schwiersch und Dieter Stopper
Sportklettern ist eine sichere Sache. Hallenklettern ist
narrensicher. Die Haken halten und sind in ausreichender
Menge angebracht. Die feste Struktur bricht in der Regel
nicht. Das Sicherungsmaterial ist genormt und kann
eigentlich nicht versagen. Das Handling wird geschult
und ist durch jahrzehntelange Weiterentwicklung nahezu
perfekt. Dennoch treten beim Hallenklettern Unfälle mit
zum Teil erheblichen Folgen auf: Britschgi (2004) berich-
tet für eine Kletterhalle in einem Jahr fünf Bodenstürze
bei ca. 100.000 Besuchen.
Foto: Franklin Climbing
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� Das ist für die per se sichere Umwelt doch hoch. Es liegt auf
der Hand, dass die Ursachen für diese Unfälle wohl im mensch-
lichen Handeln und Verhalten zu suchen und zu erklären sind.
Die Erforschung des unbekannten Wesens "Hallenkletterer" ist
eines der Ziele der Arbeitsgruppe "Innere Sicherheit" innerhalb
der DAV-Sicherheitsforschung1.
Im vorliegenden Beitrag wird über die Studienmethodik und die
Arten und Häufigkeiten von Verhaltensfehlern beim Hallenklet-
tern berichtet, in einem zweiten Beitrag wird den Einflussfakto-
ren auf Verhaltensfehler nachgegangen.
Design der Studie und Vorannahmen
Unsere Vorstellungen von Unfallursachen und Fehlern sind in
diesem Bereich stark geprägt von Vorannahmen, Vorurteilen und
Spekulationen. Harte Fakten über Besucher, Fehler, Unfälle etc.
sind im Bereich Hallenklettern nur ansatzweise vorhanden2.
Auch sind die bisher veröffentlichten Untersuchungen nicht
standardisiert und konzentrieren sich entweder auf den anekdo-
tischen Bericht von Fehlern oder sie beleuchten nur einen Teil-
aspekt des gesamten Sicherungsverhaltens, wie z.B. die Bedie-
nung des Sicherungsgeräts.
Ziel unserer Studie war es, die Fehlerarten und deren Häufigkei-
ten zu erfassen, zu beschreiben und in ihrer Bedeutung für die
tägliche Wirklichkeit des Hallenkletterns einzuordnen. Um dies
zu erreichen ist es aber nötig, eine möglichst hoch repräsenta-
tive und dementsprechend aufwändige Untersuchung durchzu-
führen. Das heißt, den Blick immer auch auf Besuchergesamt-
zahl, Ausbildungsstand der Kletterer, regionale Unterschiede,
verschiedene Kletter- und Sicherungsvorgänge, Belegungsdichte
der Halle, Geschlecht etc. zu richten. Warum? Nur so ist es
möglich, die Relevanz bestimmter Fehler abzuschätzen. Zum
Beispiel war eine unserer Vorannahmen, dass mit steigender
Belegungsdichte der Hallen und somit mehr Enge, mehr Ablen-
kung, mehr Lärm auch die Fehleranfälligkeit steigen sollte. Dies
konnte jedoch nicht nachgewiesen werden: In einer nahezu lee-
ren Halle passieren relativ genauso viele Fehler wie bei Hochbe-
trieb! Zudem liefert uns die vorgestellte Untersuchung für wei-
tere Erhebungen die Basisraten bestimmter Fehler, und wir kön-
nen uns auf die Betrachtung der eigentlichen Ursachen konzen-
trieren, ohne immer wieder sämtliche Rahmenbedingungen mit-
beachten zu müssen.
Insofern war das Untersuchungsdesign relativ breit angelegt. Die
Studie untersuchte Hallenkletterer in sechs großen Publikums-
hallen in Deutschland und Österreich. Die Untersuchung erfasste
dabei jeweils das Verhalten über den gesamten Öffnungszei-
traum. Ein spezieller Beobachtungsbogen wurde entwickelt, der
es uns ermöglichte, Kletter- und Sicherungsverhalten standardi-
siert zu erheben. Zudem wurden mithilfe zweier Fragebögen
soziodemographische Daten und psychometrische Persönlich-
keitsmerkmale erfasst. Um die Repräsentativität zu gewährlei-
sten, wurde im Verhältnis zur Belegungsdichte der Hallen unter-
sucht, d.h. mehr Besucher, mehr Beobachtungen und mehr
Beobachter. Um die Belegungsdichte zu erfassen, wurde ein Per-
sonenzähler entwickelt, der zum einen Verlaufskurven über die
Belegungsdichte lieferte, zum anderen es uns ermöglichte, die
Relation Besucher-Beobachter gezielt zu steuern. Schließlich
wurden auch die Beobachter selbst einem ausführlichen Trai-
ning unterzogen und auf ihre Übereinstimmungsgüte überprüft.
Die Untersuchung wurde im Februar 2004 innerhalb einer neun-
tägigen "Hallentournee" durchgeführt. Dabei waren zwei Perso-
nen für Untersuchungssteuerung und Ablauf, vier für die Beob-
achtung und eine Person für die Fragebögen zuständig.
Die Auswertung des gesamten Datensatzes erfolgte mit einem
Statistikprogramm (SPSS), so dass beliebige Zusammenhänge
überprüft und dargestellt werden können.
Überlegungen zur Stichprobe
� Auswahl von "großen" Hallen mit deutlichem PublikumsverkehrDies dürfte die größte Bandbreite an "Nutzern" liefern. Die
Nichtberücksichtigung der vielen "kleinen" (Sektions-)hallen
könnte eine Verzerrung der Stichprobe dahingehend liefern, als
angenommen werden kann, dass in diesen Hallen durchschnitt-
lich mit besserem Ausbildungsniveau geklettert wird. Falls dies
stimmt, würde die Studie Verhaltensfehler methodisch über-
schätzen, da dieses Segment von Hallenkletterern nicht betrach-
tet wird. Dieser mögliche Fehler erscheint aber für die Studien-
frage weniger schwerwiegend als der umgekehrte, nämlich die
Unterschätzung von Fehlern.
� Auswahl von Hallen in allen RegionenDeutschlands und in ÖsterreichOb dies einen Einfluss auf Fehlerarten und -häufigkeiten hat, ist
nicht bekannt. Es erschien uns aber wichtig, nicht nur in einer
Region oder gar nur in einer Halle zu untersuchen, da in diesem
Fall vorliegende Verzerrungen nicht erkannt worden wären. Die
Studie kann somit auch Hinweise auf Unterschiede zwischen
Regionen bzw. Hallen liefern. Eine Unterscheidung zwischen
Region und untersuchter Halle ist allerdings nicht möglich, da
aus studienökonomischen Gründen pro Region nur eine Halle
untersucht wurde.
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Abb. 1: Personenanzahl in Halle (Beispiel)Die Farben bedeuten im Einzelnen:
schwarz: die Gesamtanzahl
(ausschlaggebend für den Dichtewert)
rot: die zur Beobachtung relevanten Personen
grün: die nach Ausschlusskriterien gezählten Personen
(Boulderer, 16 und jünger, Kursteilnehmer)
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� Auswahl eines "typischen" Klettertags in einer HalleWünschenswert wäre ein repräsentatives Abbild der gesamten
Klettertätigkeit in einer Halle. Diese schwankt jedoch mögli-
cherweise saisonal, sicher aber wochen- und tageszeitlich. Zum
Beispiel könnte es in einer Halle einen bestimmten Wochentag
geben, an dem sie am Nachmittag für Ausbildungskurse genutzt
wird. Daher wurde so vorgegangen, dass in Rücksprache mit
dem Hallenbetreiber ein "typischer" Klettertag ohne besondere
Gruppenbenutzung gewählt wurde. Tageszeitliche Schwankun-
gen können durch eine Beobachtung über die ganze Öffnungs-
zeit kontrolliert werden. Saisonale Schwankungen konnten aus
studienökonomischen Gründen nicht einbezogen werden: Die
Untersuchung fand in allen untersuchten Hallen im Winterhalb-
jahr statt.
� Auswahl des Beobachtungsfensters innerhalb des untersuchten WochentagsDas Beobachtungsfenster bestand aus der gesamten Öffnungs-
zeit an dem gewählten Tag. Hier konnten also Verzerrungen
ausgeschlossen werden - sofern innerhalb der Öffnungszeit eine
repräsentative Menge der jeweils anwesenden Personen erhoben
wurde.
� Auswahl der UntersuchungspersonenWünschenswert ist eine repräsentative Stichprobenziehung
nach interessierenden Personmerkmalen (Alter, Geschlecht, Klet-
terkönnen, Ausbildungsstand).
Da die Verteilung dieser Personenmerkmale in der Population
der Hallenkletterer nicht bekannt ist, wurde so vorgegangen,
dass nach einem nach Praktikabilität festgelegten Auswahlver-
hältnis diejenigen Personen aufgenommen werden, die die Halle
betreten, z.B. "jede/r Zehnte". Unter der Annahme, dass in den
obigen Vorentscheidungen keine groben Verzerrungen bereits
festgelegt wurden, kann weiter angenommen werden, dass
durch eine solche Auswahl ebenfalls keine Selektion in Bezug
auf Personenmerkmale vorliegen dürfte.
� Auswahl der VerhaltensstichprobeDie Beobachtungseinheit pro ausgewählter Person besteht aus
einem Kletter- und einem Sicherungsvorgang. Ab dem Augen-
blick, in dem die Person per Ziehung an der Reihe war, wurden
bei dieser Person je ein Kletter- und ein Sicherungsvorgang in
der Reihenfolge ihres Auftretens beobachtet. "Vorgang" bedeu-
tete entweder Vorstieg (VS) oder Nachstieg/Topropeklettern (NS)
sowie das Sichern eines Vorsteigers (VSS) oder Nachsteigers
(NSS). Die Auswahl des Vorgangs musste wiederum zufällig sein.
Dies geschah dadurch, dass die Beobachtungszeit eines ausge-
wählten Kletterers innerhalb seiner gesamten Verweildauer in
der Kletterhalle zufällig gewählt wurde. Damit dürfte sich auf
lange Sicht ein repräsentatives Bild z.B. der in dieser Halle
gekletterten Schwierigkeiten ergeben.
Untersuchungsinstrumentarium
� Zufallsgenerator und PersonenzählerUm die Zufälligkeit der Personenstichprobe wie auch der Verhal-
tensstichprobe zu gewährleisten, wurde ein computergestützter
Zufallsgenerator entwickelt. Nach folgenden vier Gesichtspunk-
ten wurde das Verfahren jeweils eingestellt, um die Repräsenta-
tivität zu gewährleisten:
1. Durchschnittliche Aufenthaltszeit der Kletterer in der Halle
2. Anzahl der Kletterer im Peak (Maximalanzahl zur gleichen
Zeit, geschätzt vom Betreiber)
3. Durchschnittliche Beobachtungszeit (abhängig von Routen-
länge, Zugang zur Wand ...)
4. Anzahl der zur Verfügung stehenden Beobachter
Dementsprechend ergibt sich mit 2) mal 3) geteilt durch 4) mal
1) der Wert für jede "x-te" Person (also die anzusprechenden
und zu untersuchenden Personen). Je nach Genauigkeit der
Angaben ergibt sich ein Intervall, wobei der kleinere Wert ange-
nommen wird, damit möglichst viele Studienteilnehmer beob-
achtet werden können.
Dieses Verfahren lieferte als Nebenergebnis auch den Dichtever-
lauf über die Belegung in der betreffenden Halle (Abbildung 1
zeigt ein Beispiel).
� Beobachtungsbogen und Durchführung der BeobachtungDer Beobachtungsbogen zur Erhebung des Sicherungs- und
Kletterverhaltens wurde von der Forschungsgruppe der Sicher-
heitsforschung des DAV im Konsensverfahren erarbeitet. Ausge-
hend von der Annahme, dass mögliche Verhaltensfehler beim
Hallenklettern bekannt sein dürften, wurde ein geschlossenes
Kategoriensystem entwickelt, d.h. alle relevanten Verhaltensfeh-
ler wurden vorab festgelegt. Für jeden Verhaltensfehler (= Beob-
achtungskategorie) wurde eine inhaltliche Operationalisierung,
also eine Vorschrift, wann er vorliegt, entwickelt. Die Verhal-
tensfehler wurden in einem Beobachtungsbogen zusammenge-
fasst. Der Beobachtungsbogen beinhaltet vier verschiedene Vor-
gänge: Vorsteigen, Vorstiegsichern, Nachsteigen und Nachstieg-
sichern.
Die einzelnen Verhaltensfehler (Kategorien) sind voneinander
unabhängig. Das heißt, dass das Ankreuzen einer Kategorie nie
zum Ankreuzen einer anderen zwingt. Gleichzeitig können aber
mehrere Kategorien angekreuzt werden.
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Innsbruck
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Hamburg
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Dresden
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männlich 68,3 %
weiblich 31,7 %
gesamt 278 Personen
Abb. 2: Regionale Verteilung Abb. 3: Geschlechterverteilung
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Hier ein Beispiel einer Operationalisierung einer Beobachtungs-
kategorie für den Vorgang "Vorstiegsichern":
Man kann der Operationalisierung entnehmen, dass Verhaltens-
fehler dann als "aufgetreten" angegeben wurden, wenn durch
sie eine Gefährdung von Personen entstand.
� Offene / verdeckte BeobachtungDas zentrale Problem einer offenen Beobachtung ist die Verhal-
tensänderung durch das Wissen, beobachtet zu werden. Verhal-
tensweisen, von denen der Beobachtete glaubt, dass sie für den
Beobachter "negativ" sind (z.B. Unaufmerksamkeit), werden ver-
mutlich weniger gezeigt. Dies ist ein gut untersuchtes Phäno-
men. Der Vorteil offener Beobachtung besteht allerdings darin,
dass nachträglich soziodemographische Daten erhoben werden
können und die Akzeptanz der Studie erhöht werden kann.
Schließlich ist in diesem Fall die informierte Einwilligung gege-
ben. Unsere Forschungsgruppe hat sich für ein offenes Vorgehen
entschieden.
� BeobachtungsfokusDer Beobachtungsfokus liegt auf der Frage: "Stellt dieses Ver-
halten im Falle eines Sturzes eine verletzungsträchtige Unfallge-
fährdung dar?" Nicht relevant sind Verhaltensfehler, die in der
gegebenen Situation im Falle eines Sturzes nicht unfallträchtig
sind bzw. kein hohes Verletzungspotenzial haben.
Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass, wie Vor-
untersuchungen gezeigt haben, eine umfassende sicherheitsrele-
vante Verhaltensbeobachtung praktisch nicht möglich ist.
� FragebögenMit Hilfe eines Fragebogens wurden soziodemografische Daten
der beobachteten Kletterer erhoben. Neben diesen wurden
sportartspezifische Aspekte wie Kletterkönnen, Ausbildungs-
stand, Sicherungsgerät etc. erfasst. Ein letzter Abschnitt be-
fasste sich mit Selbsteinschätzungen bzgl. sicherheitsrelevanten
Kodierungsvorschrift für Verhaltensfehler beim Vorsiegsichern mit HMSGefährdung durch komplettes Loslassen
Gefährdung beim Einnehmen, Umgreifen ohne angemessenes
Umschließen (3 Finger) des Bremsseils durch die Führungshand
Gefährdung durch Führung des Seils über Schnapper (v.a. beim
Ablassen)
Gefährdung durch Hand im/am Sicherungsgerät, bezüglich Ein-
klemmens von Hautlappen oder offenen Haaren)
Aspekten und Verhaltensfehlern. Mit Hilfe des Hamburger Per-
sönlichkeitsinventars (HPI, Andresen) wurden Persönlichkeits-
merkmale erhoben, die sich an der derzeit gängigen Theorie der
"big five" orientieren. Vor allem interessierte die Persönlichkeits-
eigenschaft "Risikobereitschaft", die dabei miterfasst wird.
Schließlich wurden mit einem weiteren Fragebogen "Allgemeine
Situationsanalyse Halle" zum einen Vorinformationen zur Aus-
wahl der Stichprobe (typische Wochentage, geschätzte maxima-
le Anzahl Kletterer in der Halle) und zum anderen Informationen
zu baulichen etc. Besonderheiten der Halle erfasst.
Ergebnisse
� Die StichprobeInsgesamt nahmen 278 Personen an der Studie teil, die sich, wie
in Abbildung 2 ersichtlich, auf Kletterhallen in München, Dres-
den, Berlin, Hamburg, Köln und Innsbruck verteilten.
Die Abbildungen 3 und 4 zeigen die Geschlechts- und die
Altersverteilung. Es zeigt sich, dass Hallenklettern kein Männer-
sport ist und kein Sport, der vorrangig von jungen Erwachsenen
ausgeübt wird. (Allerdings wurden Jugendliche bis 16 Jahre
nicht in die Studie aufgenommen.)
Beobachtungsdaten liegen für 245 Personen vor. Tab. 1 zeigt die
Anzahl der beobachteten Personen für die einzelnen Vorgänge.
Die Zahlen summieren sich nicht auf 245, da jede Person sowohl
in einem Kletter- wie in einem Sicherungsvorgang beobachtet
wurde (was aber nicht in allen Fällen gelang). Der hohe Anteil
von beobachteten Nachstiegen und Nachstiegsicherungen ent-
steht v.a. durch die Halle in Köln, in der reger Gebrauch von den
fix installierten Topropeseilen gemacht wurde.
Die Schwierigkeit der Routen, in denen die Kletterer beobachtet
wurden, verteilt sich über einen breiten Bereich mit einem
Schwerpunkt bei "mittleren Graden" (siehe Abb. 5).
� Häufigkeiten von VerhaltensfehlernWie häufig passieren welche Fehler? Die Abbildungen 6 bis 10
fassen die Häufigkeiten der beobachteten Verhaltensfehler
zusammen. Die Angaben erfolgen aus Gründen der Vergleichbar-
keit in Prozent; hierzu ein Beispiel: Bei 4,1 % der Vorsteiger war
VorgangVorstieg
Vorstiegsicherung
Nachstieg
Nachstiegsicherung
Anzahl PersonenN = 98
N = 90
N = 144
N = 145
Abb. 4: Verteilung der Altersgruppen Abb. 5: Schwierigkeitsgrad der gekletterten Routen
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Altersgruppe
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die Gefahr des "Einfädelns" zu beobachten. Es fällt auf, dass die
meisten Verhaltensfehler beim Vorstiegsichern gemacht werden
(Abb. 7): Ein Drittel der Vorstiegsicherer bedient das Sicherungs-
gerät mangel- oder fehlerhaft. Dies unterstreicht die Ergebnisse
von Britschgi (2003), der in einer Studie in der Kletterhalle
"Gaswerk" in Zürich bei der Hälfte der beobachteten Siche-
rungsfehler feststellte. Mehr als ein Viertel der Sicherer gefähr-
det den Vorsteiger durch Schlappseil: In diesen Fällen wurde so
gesichert, dass ein Sturz der kletternden Person auf den Boden
nicht auszuschließen war. Insgesamt ein Fünftel der Sicherer
gefährdeten sich durch ihre Standposition: Entweder wäre die
Sicherungsperson im Sturzfall des Vorsteigers mit diesem
zusammengestoßen (11 %) oder sie wäre an die Wand gezogen
worden (mit der Gefahr, dann reflexhaft die Sicherung auszulas-
sen, abgesehen von der eigenen Verletzungsgefahr) (9 %). Die
weiteren erhobenen Verhaltensfehler treten deutlich weniger
häufig auf. Sie werden hier aus Platzgründen nicht beschrieben
(siehe Abb. 6 bis 9).
� Selbst- und PartnercheckEbenfalls beobachtet wurde, wie häufig der Selbst- und Part-
nercheck vor dem Einsteigen praktiziert wurde. Insbesondere der
Partnercheck wird nur wenig praktiziert: Zwischen 40 und
knapp 50 % der Kletterer checkten den Partner nicht. Ist der
Partnercheck nötig? Wir meinen Ja: Denn viermal knüpfte ein
Kletterer den Anseilknoten falsch und in sechs Fällen legten die
Sicherungspersonen die Sicherung nicht richtig ein bzw. ver-
wendeten ungeeignete Verschlusskarabiner. Diese Fehler hätten
durch den Check seitens des Partners zumindest zum Teil aufge-
deckt werden können. Der Partnercheck ist deshalb keine über-
flüssige Routine, sondern wäre notwendig, um Fehlern ent-
gegenzuwirken.
� Wieviele Personen machen wie viele Fehler?Eine personenbezogene (im Unterschied zur fehlerbezogenen)
Auswertung zeigt, dass zwei Drittel der beobachteten Kletterer
die Vorgänge fehlerfrei durchführen. Ein oder zwei Fehler treten
bei knapp 28 % der Kletterer auf (siehe Abb. 10).
Zwischenbilanz
Sicherungsverhalten muss als hoch routiniertes und in Stan-
dardsituationen gleich ablaufendes Verhalten angesehen wer-
den. Die Frage, ob Kletterer viele oder wenige Verhaltensfehler
machen, kann im Grunde nur durch einen Vergleich mit sicher-
heitsrelevantem Verhalten in anderen Lebensbereichen (z.B.
beim Autofahren, Fahrradfahren auf öffentlichen Straßen)
beantwortet werden. Es darf zudem nicht vergessen werden,
Abb. 7: Verhaltensfehler beim VorstiegsichernIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt. Stürze der Vor-
steiger traten kaum auf; gefährliches Sicherungsverhalten beim
Sturz wurde nicht beobachtet.
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dass angemessenes Sicherungsverhalten auch bedeutet, zur
rechten Zeit das Richtige zu tun. Der Sicherheitsforschung ging
es weniger um die Frage: "Sichern Kletterer gut oder schlecht"
sondern darum: "Was sind die relevanten Verhaltensfehler beim
Hallenklettern?" An diesen muss die Bewusstmachung und die
Ausbildung ansetzen. Und hier zeigen sich klare Ergebnisse,
deren wesentlichste wir als Verhaltenshinweise zusammenfassen
möchten:� Lege Dir eine Routine bei der Bedienung des Sicherungsge-
räts zu, die in jedem Moment und bei allen Handgriffen einen
Absturz des Kletterers verhindert. Die Drei-Beinlogik ist dabei
eine hilfreiche Leitlinie, sie muß aber sicherungsgerätbezogen in
genauere Bedienungsstandards ausgearbeitet werden.� Nobody is perfect. Deshalb konsequenter Partnercheck!� Überprüfe immer, ob Du beim Vorstiegsichern zu viel Seil
ausgegeben hast ("Schlappseil").� Achte darauf, ob Du beim Sturz des Vorsteigers mit diesem
zusammenprallen oder an die Wand gezogen werden könntest.
Bei Beherzigung dieser Hinweise können die häufigsten Verhal-
tensfehler reduziert werden.
Nach dem Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", sollte
auch der Kletterer hin und wieder ein scharfes Auge auf das
Verhalten des Sichernden werfen. Ein brechender oder sich dre-
hender Griff und schon geht es in der "leichten" Route rasant
abwärts. Entweder greift dann die routinierte und zuverlässige
Sicherung oder der Sturz endet unsanft auf dem Boden.
Die Verhaltenshinweise rufen nach Erfahrungsexperimenten.
Denn ab welcher ausgegebenen Seilmenge liegt gefährliches
Schlappseil vor? Wie weit fällt ein Vorsteiger herunter, wenn er
am Haken stürzt? Wie weit kann ich von der Wand entfernt ste-
hen, ohne zu ihr hingerissen zu werden? Sichere ich im Moment
des "Umgreifens" wirklich sicher? Diese Fragen müssen in der
Praxis beantwortet werden.
Es lohnt sich, einmal einen schweren Rucksack als "Vorsteiger"
fallen zu lassen. Dann werden die Auswirkungen von Schlappseil
deutlich. Oder mit verbundenen Augen Seil auszugeben und der
Partner zieht abrupt beim Umgreifen. Solche Verhaltensexperi-
mente können am besten in einem Kurs durchgeführt werden.
Ausblick
Wovon hängt es nun ab, wer wann welche Verhaltensfehler
begeht? Wenn man versuchen will, Verhaltensfehler zu reduzie-
ren, muss ja eine begründete Vorstellung davon bestehen, wel-
che Faktoren sie verursachen oder verhindern. Spielen Ausbil-
dung, Kletterkönnen, die Dichte der Bekletterung der Halle eine
Rolle? Diesen Fragen wird im zweiten Beitrag nachgegangen. �
Abb. 6: Verhaltensfehler beim VorstiegIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt oder bestand eine
Schmelzverbrennungsgefahr durch das Übereinanderliegen meh-
rerer Seile.
Abb. 9: Verhaltensfehler beim NachstiegsichernIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt, stand die Siche-
rungsperson unangemessen, wurde mit Schlappseil gesichert
oder in wichtigen Momenten nicht oder falsch kommuniziert.
Abb. 10: Verhaltensfehler pro PersonZwei Drittel der beobachteten Kletterer führten die Vorgänge
fehlerfrei durch. Ein oder zwei Fehler traten bei knapp 28 % der
Kletterer auf.
Abb. 8: Verhaltensfehler beim NachsteigenIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt, die Umlenkung
überstiegen oder bestand eine Anprall- oder Pendelgefahr.
Der Forschungsbericht zu dieser Studie kann angefordert werden
bei der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins
(www.alpenverein.de).
1 An der Entwicklung der Studie waren beteiligt: Tobias Bach,
Caspar Güntsch, Jan Mersch, Nicholas Mailänder, Martin
Schwiersch, Christian Semmel, Dieter Stopper, Pauli Trenkwal-
der; Die Datenerhebung führten durch: Tobias Bach, Max
Bolland, Hans-Christian Hocke, Nicholas Mailänder, Dieter Stop-
per (Beobachter), Kerstin Kindermann, Jan Mersch, Pauli Trenk-
walder (als Studienorganisatoren). Die Studienauswertung
erfolgte durch Martin Schwiersch und Pauli Trenkwalder.
2 R. Scherer publizierte Anfang 2004 eine anekdotisch angeleg-
te hochinteressante Sammlung von Verhaltensfehlern beim Hal-
lenklettern (Scherer, 2004), Walter Britschgi ebenfalls eine Ana-
lyse des Unfallgeschehens im Gaswerk Zürich (Britschgi, 2004)..
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Teil 2. Einflussfaktoren auf Verhaltensfehler
von Pauli Trenkwalder, Martin Schwiersch, Jan Mersch &
Dieter Stopper
In bergundsteigen 1/05 haben die Experten des deut-
schen Alpenvereins eingehend über Design und Methodik
einer empirischen Sportkletterstudie berichtet, die in
ihrer Konzeption bislang einzigartig ist und erstmals sta-
tistisch gesicherte Daten über Fehlerarten und Fehler-
häufigkeiten beim Hallenklettern liefert. In diesem Bei-
trag geht es nun um die brennende Frage, von welchen
Faktoren Verhaltensfehler abhängen.
Ein klares Ergebnis der Studie: Die meisten Fehler machen die Personen, die Vorsteiger sichern.
Am fehlerfreiesten wird der Nachstieg praktiziert. Und weiters:
Das Sicherungsmittel mit der geringsten Fehlerrate ist die HMS-
Sicherung, gefolgt von Tuber und Grigri. Der Achter stellte sich
als dasjenige Sicherungsgerät heraus, bei dem die meisten
Bedienungsfehler zu beobachten sind.
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Verhaltensfehler hängen von der Komplexität des Vorgangs ab
Das Ergebnis gleich vorweg: Die meisten Fehler machen die Per-
sonen, die Vorsteiger sichern. Am fehlerfreiesten wird der Nach-
stieg praktiziert (siehe Abb. 11).
Die Fehlerrate beim Vorstiegssichern hebt sich deutlich von den
anderen Vorgängen ab. Woran könnte das liegen? Vorstiegssi-
chern verlangt viel mehr gleichzeitige geistige und technomoto-
rische Leistungen als die anderen Vorgänge: Während das
Sicherungsgerät zu jedem Zeitpunkt gut bedient werden muss,
geht die Aufmerksamkeit immer wieder hoch zur kletternden
Person. Gleichzeitig müssen - zumindest bis in die Höhe der
fünften Zwischensicherung - das "Schlappseil" und die eigene
Standposition beachtet und gegebenenfalls korrigiert werden.
Dabei darf aber keinesfalls außer Acht gelassen werden, das Seil
angemessen auszugeben. Dieser kurze "Schnappschuss" macht
deutlich, dass die Sicherung des Vorsteigers eine anspruchsvolle
Tätigkeit ist und wesentlich mehr beinhaltet als nur die Bedie-
nung des Sicherungsgeräts. Im Vergleich dazu stellen sich die
anderen Vorgänge als "einfacher" dar. Was unter den Kletterern
gut bekannt ist, wird hier noch einmal bestätigt: Nicht der vor-
steigenden Person gebührt die Ehre, sondern der Person, die sie
sichert. Sie erbringt eine komplexere Aufmerksamkeits- und in
Bezug auf Sicherheitshandeln auch technomotorische Leistung
als die kletternde Person. Auf die Sicherungspersonen muss
daher auch bei der Ausbildung ein Schwerpunkt gelegt werden.
Ausbildung macht einen Unterschied
Hallenkletterer, die einen Ausbildungskurs durchlaufen haben,
begehen etwas weniger Fehler als Hallenkletterer, die das
Hallenklettern im Freundeskreis gelernt oder sich selbst beige-
bracht haben (siehe Abb. 12). Die Unterschiede zwischen Ausge-
bildeten und nicht Ausgebildeten zeigen sich vor allem beim
häufigsten und relevantesten Verhaltensfehler, der mangelnden
bzw. fehlerhaften Bedienung des Sicherungsgeräts: Ausgebildete
Kletterer sichern besser als unausgebildete.
Eine formale Ausbildung "bringt also etwas". Sie ist notwendig
und wirksam. Natürlich haben auch diejenigen, die das Klettern
im Freundeskreis erlernten oder sich selbst beibrachten, die
Sicherungspraxis im Wesentlichen erlernt. Aber die ausgebilde-
ten Personen begehen - vor allem bei der Bedienung des Siche-
rungsgeräts - weniger Fehler. Für die Ausbildung bedeutet dies,
dass ein Schwerpunkt auf die weiteren Sicherungsaspekte gelegt
werden muss: Abstand zur Wand, Schlappseil etc.
Vorurteile werden nicht bestätigt
Ein Ergebnis hat die Sicherheitsforschung überrascht: Personbe-
zogene Faktoren erklären die beobachteten Verhaltensfehler nur
zu einem geringen Teil:
Alter: Es besteht kein Zusammenhang zwischen Alter und Ver-
haltensfehlern.
Geschlecht: Männer begehen mehr Fehler als Frauen. Inhaltlich
kann der Unterschied jedoch nicht als besonders gravierend
angesehen werden, da sich nur eine geringe Effektstärke des
Unterschieds zeigt.
Zeit der Klettersportausübung: Es gibt keine Unterschiede in
der Anzahl der Fehler (über alle Vorgänge gerechnet) für die
Kletterzeit in Jahren: Kletterer machen unabhängig von der
Anzahl der Jahre, die sie klettern gehen, Fehler oder keine Fehler.
Kletterkönnen: Es gibt keine Zusammenhänge zwischen Anzahl
der Fehler und dem Schwierigkeitsgrad, in dem sich die Befrag-
ten wohlfühlen ("Wohlfühlgrad") sowie dem derzeit gekletterten
Rotpunktgrad.
Selbsteinschätzung des Sicherungskönnens: Es bestehen keine
Zusammenhänge zwischen der Güte der Selbsteinschätzungen
über das eigene Sicherungskönnen und Verhaltensfehlern beim
Hallenklettern.
Selbsteinschätzung des Könnens in Hallen allgemein: Zwi-
schen selbsteingeschätzter Kompetenz und beobachteter Kom-
petenz im Verhalten besteht kein Zusammenhang.
Selbsteinschätzung, einen Fehler gemacht zu haben: Die
Selbsteinschätzung, einen Fehler gemacht zu haben, hängt nicht
mit beobachteten Fehlern zusammen
Befindlichkeit "Wohlgefühl": Es sieht so aus, als ob mit höhe-
rem Wohlgefühl Fehler eher zunehmen. Aber das ist nicht signi-
fikant und daher nicht interpretierbar.
Befindlichkeit "Unwohlgefühl": Hier ergeben sich signifikante
Unterschiede zwischen den Personen, aber in einem schwer zu
interpretierenden nicht linearen Zusammenhang: "Je unwohler,
desto mehr Fehler" bestätigt sich nicht.
Häufigkeit, in der die ProbandInnen in der Halle klettern: Es
zeigen sich keine Unterschiede zwischen der Häufigkeit des Hal-
lenkletterns und Verhaltensfehlern.
Alpin kletternde Personen: ProbandInnen, die auch alpin klet-
tern, machen statistisch tendenziell mehr Fehler. Das Ergebnis
ist aufgrund des geringen Unterschieds praktisch nicht relevant.
Persönlichkeitsfaktoren: Personen mit vielen Verhaltensfehlern
unterscheiden sich in den Persönlichkeitsfaktoren nicht von
denjenigen mit weniger oder keinen Fehlern.
Das bedeutet: Jüngere Kletterer begehen nicht mehr oder weni-
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Abb. 11: Durchschnittliche Fehlerrate pro Person beiden verschiedenen Sicherungsvorgängen Die absolute
Anzahl von beobachteten Fehlern pro Vorgang wurde
dividiert durch die Anzahl der bei diesem Vorgang beob-
achteten Personen. Die so entstehende Fehlerrate pro
Person ist für die vier Vorgänge angetragen. Unterlassene
Selbst- und Partnerchecks wurden nicht einbezogen.
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ger Verhaltensfehler als ältere. Erfahrene Hallenkletterer, die
schon lange klettern, sind nicht besser oder schlechter als sol-
che, die erst seit kurzem (zum Beispiel seit einem Jahr) klettern.
Kletterer, die häufig klettern gehen, zeigen sich nicht nachlässi-
ger als die weniger routinierten. Verhaltensfehler werden auch
nicht häufiger von denjenigen begangen, die in leichten Routen
beobachtet wurden. Auch das Kletterkönnen spielt keine Rolle.
Wir müssen uns also lösen von Vorurteilen, die da lauten könn-
ten: Junge sind schlechter als Ältere, Erfahrene praktizieren das
Hallenklettern besser als weniger Erfahrene oder Routiniers
werden nachlässiger. Natürlich kann man immer einzelne Klet-
terer beobachten, auf die dies zutrifft - aber bei einer systema-
tischen Betrachtung von vielen Kletterern zeigt sich, dass solche
Schlüsse vom Einzelfall auf die Gesamtheit in die Irre gehen.
Ein leichter personbezogener Unterschied konnte aber festge-
stellt werden: Frauen begehen etwas weniger Verhaltensfehler
beim Vorsteigen als Männer (Abb. 14). Der Unterschied ist
statistisch "tendenziell signifikant". Das liegt aber nicht daran,
dass Frauen nicht vorsteigen würden (und daher gar keine Gele-
genheit haben, dabei Fehler zu begehen): Sie steigen vielmehr
im gleichen Maße vor wie die beobachteten Männer. Bei den
weiteren Vorgängen zeigen sich auch Unterschiede in der Feh-
lerhäufigkeit, aber sie spielen keine Rolle, da sie sich nicht
statistisch unterscheiden. Damit gilt als wesentliches Ergebnis:
Die Ähnlichkeiten in Bezug auf Verhaltensfehler beim Klettern
zwischen Frauen und Männer überwiegen die Unterschiede.
Selbsteingeschätztes Können und gezeigtes Können hängennicht zusammen
Weiter zeigt sich, dass zwischen der selbsteingeschätzten und
der im Verhalten gezeigten Kompetenz kein Zusammenhang
besteht. Ebenso gibt es keinen Zusammenhang zwischen der
Selbsteinschätzung der Befragten, an diesem Klettertag einen
Verhaltensfehler begangen zu haben und bei ihnen an diesem
Tag beobachteten Fehlern. Praktisch heißt das, dass als Antwort
auf die Frage: "Kannst du sichern?" ein "Ja" nicht als gültig
genommen werden darf - und ein "Nein" auch nicht.
Das bedeutet für Ausbilder und solche, die als Erfahrene andere
anleiten, dass eine Selbstauskunft nicht hinreicht, sondern
immer eine persönliche Vergewisserung notwendig ist.
Für die Kletterer selbst ist dieses Ergebnis eine bittere Pille:
Bedeutet es doch, dass das, was jemand glaubt, zu können,
wenig mit dem zu tun hat, was jemand tatsächlich tut. Wie
kann so etwas entstehen? Wir glauben, dass es mit einem Man-
gel an Rückmeldung zu tun hat. Es ist unüblich, sich wechsel-
seitig auf die Finger zu sehen, gerade wenn es um andere Hal-
lenkletterer geht, mit denen man nichts zu tun hat. Und auch
beim Partner, mit dem man klettert, schaut man eher nicht hin
- siehe Partnercheck. In Bezug auf das Sichern geht das schon
deswegen nicht, weil die kletternde Person während des
Sicherns mit sich selbst beschäftigt ist. So kann es entstehen,
dass eingeschliffene Routinen als "Ich kann es gut" wahrgenom-
men werden, weil kaum jemand mal sagt: "He, was machst du
denn da!". Der Partner nicht, weil er es nicht sieht und andere
Hallenkletterer schon gar nicht. Was wir also brauchen, ist eine
Rückmeldekultur - keine Kontrolle, aber kollegiales Feedback.
Wissen und Verhalten hängen nicht direkt zusammen
Verhaltensfehler sind insgesamt gut bekannt unter den Klette-
rern: In einer offenen Frage konnten die ProbandInnen die ihnen
bekannten typischen Verhaltensfehler frei angeben. Insgesamt
gaben die Befragten rege Auskunft: 245 Personen beantworte-
ten diese Frage und machten dabei insgesamt 673 Auskünfte.
Eine Person gab mithin im Durchschnitt 2,75 Verhaltensfehler
ihres Wissens an (die fünf häufigst genannten "typischen Ver-
haltensfehler" zeigt Abbildung 15).
Schlechtes Sichern ist ein typischer Verhaltensfehler aus Sicht
der Befragten, ebenso gibt knapp ein Drittel "Schlappseil" als
typischen Verhaltensfehler an. Die Fehler als solche sind
bekannt. Trotzdem werden sie begangen. Woran könnte dies lie-
gen? Drei Erklärungen bieten sich an:
1. Es besteht eine Diskrepanz zwischen einer Vorstellung über
einen Verhaltensfehler und dem, was eine Person an sich und
anderen beobachten kann. Dies sei für den Begriff "Schlappseil"
näher beschrieben: Eine Person hat eine Vorstellung davon, was
Schlappseil ist - und stellt doch keinen Zusammenhang mit dem
Seil, das sie vor sich zur kletternden Person nach oben ziehen
sieht, her: Selbst wenn es "Schlappseil" ist, geht, obwohl der
Begriff bekannt ist, "kein Licht an". Sie kann den Begriff
"Schlappseil" nicht übersetzen auf das, was sie vor sich sieht -
da die hierzu nötigen Erfahrungen fehlen.
2. Die sichernde Person geht davon aus, dass die kletternde Per-
son "eh nicht stürzt". Diese Annahme ist ziemlich realistisch, ist
doch in der ganzen Beobachtungswoche lediglich ein (!) Sturz
beobachtet worden. Warum immer sichern wie eine "Eins",
wenn ein Sturz ohnedies nicht vorkommt oder sich zumindest
ankündigt (durch Keuchen, Zittern oder einen Ruf der klettern-
den Person!). Hallenklettern würde aufgrund des seltenen Auf-
tretens des Schlimmstmöglichen, des überraschenden Sturzes,
zur Sorglosigkeit erziehen.
3. Die sichernde Person ist unaufmerksam bzw. lenkt ihre Auf-
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Abb. 12: Unterschiede in der durchschnittlichen Fehlerratezwischen ausgebildeten und nicht ausgebildeten Hallen-kletterern.
� Abb. 13: Unterschiede zwischen ausgebildeten und nichtausgebildeten Hallenkletterern bei der Bedienung des Sicherungsgeräts beim Vorstiegssichern.
�� Abb. 14: Unterschiede in der durchschnittlichen Feh-lerrate zwischen Männern und Frauen.
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merksamkeit auf anderes als das Sichern - zum Beispiel auf den
Durchstiegsversuch der Person, die sie sichert. Die ersten beiden
Erklärungen können dabei zwei Gründe sein, warum eine Person
nicht angemessen aufmerksam ist: "Ich mache keinen Fehler"
und "es passiert eh nichts."
Selbsteinschätzung
Die erste der oben genannten Erklärungen wird durch ein weite-
res Ergebnis unterstützt: Zwischen der Selbsteinschätzung,
einen Fehler gemacht zu haben und tatsächlich aufgetretenen
Fehlern besteht kein Zusammenhang (siehe Abb. 16).
Die Personen, die von sich glauben, keinen Fehler begangen zu
haben, begehen im Durchschnitt 0,59 Fehler, während diejeni-
gen, die einräumen, einen Fehler begangen zu haben, weniger
häufig Fehler machen: im Durchschnitt 0,47. Auch wenn es so
aussieht, als ob Selbstkritik zu weniger Fehlern führen würde,
lässt sich das Ergebnis statistisch nicht absichern. Damit bleibt:
Selbsteinschätzung und Wissen hängen nicht mit Verhaltens-
fehlern zusammen.
Verhaltensfehler bei verschiedenen Sicherungsgeräten
Es gibt Unterschiede in der Fehlerrate je nach verwendetem
Sicherungsgerät (siehe Abb. 17).
Das Sicherungsmittel mit der geringsten Fehlerrate (Anteil Feh-
ler an allen beobachteten Fällen) von 22 % ist die HMS-Siche-
rung, gefolgt von Tuber und Grigri, die mit einer Fehlerrate von
28,6 % gleichauf liegen. Dann geht es weiter mit dem Achter,
der eine Fehlerquote von 40 % aufweist. Der HMS-Karabiner
stellt sich als das Sicherungsgerät heraus, das am souveränsten
gehandhabt wird, der Achter als dasjenige, bei dem die meisten
Bedienungsfehler zu beobachten sind. Die Grigri hat einen Ruf
als gefährliches Vorstiegssicherungsgerät - aber wird recht gut
gehandhabt. Wieder werden Vorurteile nicht bestätigt - und es
wird deutlich, wo bei der Ausbildung der technomotorischen
Bedienung des Sicherungsgeräts angesetzt werden muss.
Unterschiede in Verhaltensfehlern zwischen Hallen / Regionen
Überraschend sind die Unterschiede in den Verhaltensfehlern
zwischen den Hallen / Regionen. Hier zeigen sich sehr deutliche
und auch statistisch signifikante Unterschiede. Die Abbildung
18 illustriert die Ergebnisse.
Wir haben keine eindeutige Erklärung dafür. Folgende Einfluss-
faktoren jedenfalls können die Unterschiede nicht erklären (sta-
tistisch geprüft):� das "Hallenfeeling", also das allgemeine Wohlgefühl in der
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Halle (im Konsensverfahren unter den Beobachtern einge-
schätzt), � die Dichte der Bekletterung,� "künstliche Unterschiede" wie die Tatsache, dass in den Hal-
len unterschiedlich oft vorgestiegen und damit Vorstiege ge-
sichert wurden, � personenbezogene Unterschiede können ausgeschlossen
werden, da diese nur in Einzelfällen (Geschlecht / Ausbildung)
vorliegen und nicht so stark ausgeprägt sind, dass sie die
deutlichen Unterschiede zwischen den Hallen herbeiführen
könnten - selbst wenn in einer Halle nur gut ausgebildete
Frauen geklettert wären.
Unterschiede in den verwendeten Sicherungsgeräten je nach
Halle (die ja unterschiedlich fehleranfällig gehandhabt werden),
können die Fehlerunterschiede auch nicht zufriedenstellend auf-
klären. So liefert die Studie ganz zum Schluss noch ein Rätsel.
Konsequenzen
Sicherungsverhalten muss als hoch routiniertes und in Stan-
dardsituationen gleich ablaufendes Verhalten angesehen wer-
den. Die Frage, ob Kletterer viele oder wenige Verhaltensfehler
machen, kann im Grunde nur durch einen Vergleich mit sicher-
heitsrelevantem Verhalten in anderen Lebensbereichen (z.B.
beim Autofahren, Fahrradfahren auf öffentlichen Strassen)
beantwortet werden. Es darf zudem nicht vergessen werden,
dass angemessenes Sicherungsverhalten auch bedeutet, zur
rechten Zeit das Richtige zu tun. Der Sicherheitsforschung ging
es weniger um die Frage: "Sichern Kletterer gut oder schlecht?"
sondern darum: "Was sind die relevanten Verhaltensfehler beim
Hallenklettern?". An diesen müssen die Bewusstmachung und
die Ausbildung ansetzen. Und hier zeigen sich klare Ergebnisse,
deren wesentlichste wir als Verhaltenshinweise zusammenfassen
möchten:
� Lege dir eine Routine bei der Bedienung des Sicherungsge-
räts zu, die in jedem Moment und bei allen Handgriffen einen
Absturz des Kletterers verhindert. Die Drei-Beinlogik ist dabei
eine hilfreiche Leitlinie, sie muss aber sicherungsgerätbezogen
in genauere Bedienungsstandards ausgearbeitet werden.� Überprüfe immer, ob du beim Vorstiegssichern zu viel Seil
ausgegeben hast ("Schlappseil").� Achte darauf, ob du beim Sturz des Vorsteigers mit diesem
zusammenprallen oder an die Wand gezogen werden könntest.
Bei Beherzigung dieser Hinweise können die häufigsten Verhal-
tensfehler reduziert werden.
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Die Studie belegt, dass die Fehler, die durch "Checks" aufge-
deckt werden können, auch tatsächlich gemacht werden. Die
Studie zeigt aber auch, dass die relevantesten Verhaltensfehler
durch Selbst- und Partnercheck nicht aufgedeckt werden kön-
nen, da sie während des Kletterns passieren.
Quintessenz
Unerwartete Stürze treten beim Hallenklettern selten auf. Die
Vorsteiger haben das Klettern gut im Griff. Das ist die Basis von
Sicherheit. Verhaltensfehler bei den Sicherern können sich nur
auswirken, wenn der Vorsteiger stürzt, wobei der unerwartete
Sturz das Hauptrisiko darstellt, da sich die Sicherungsperson
nicht vorbereiten kann, sondern "kalt erwischt wird". Zwei Drit-
tel der Sicherer begehen keine Verhaltensfehler. Bei dem ver-
bleibenden Drittel könnten unerwartete Stürze zu einem ernst-
haften Problem führen. Hier besteht nach unserer Einschätzung
Verbesserungsbedarf, denn es muss betont werden, dass plötzli-
che Stürze zwar selten, aber dennoch jederzeit auftreten können
- und sei es durch einen sich drehenden Griff.
HinweisDer gesamte Forschungsbericht kann angefordert werden bei der
Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins:
LiteraturBritschgi (2003): Begreiflich. Manuskript des Kletterzentrums
"Gaswerk", Zürich
Britschgi W. (2004). Sicher partner sichern (1). Elementare
Sicherungsfehler und die 3-Bein-Logik. In: bergundsteigen, 2,
2004, 64-69.
Britschgi W. (2004). Sicher partner sichern (2). Risikomanage-
ment und Sicherheitstraining. In bergundsteigen 3/04, 40-48
Dewald W., Kraus L. & Schwiersch M. (2003). Missgeschicke -
Eine Sammlung erlebnispädagogischer Praxisfälle. Pfronten:
Eigenverlag Dewald-Kraus-Schwiersch GbR.
Schwiersch M. (2004). Die verflixte Basisrate. Der unbekannte
Boden des Risikos. In berg & steigen 2, 2004, 41-45
Scherer R. (2004). Kletterunfälle. Was man nicht für möglich
hält. In: bergundsteigen, 3, 2004, 40-48
Semmel C. & Stopper D. (2003). Sicher sichern In: DAV-Panora-
ma 4/2003, S. 58-61
Fotos: Foto Mario, mc2alpin �
Abb. 16: Verhaltensfehler und Selbsteinschätzung, einenFehler gemacht zu haben.
Abb. 15: Die fünf am häufigsten angegebenen "typischen"Verhaltensfehler beim Hallenklettern (245 befragte Pers.).
to do
� Wir denken, dass eine Vereinheitlichung der Bedienung von
Sicherungsgeräten im Sinne von SOPs sinnvoll ist. Derzeit gibt
es gerade in technomotorischen Details große Unterschiede in
Ausbildung und Praxis. Dies halten wir nicht für eine förderliche
Sicherungskultur. Ein höherer Vereinheitlichungsgrad könnte
bedeuten, dass Sicherer mehr voneinander profitieren als bisher,
da sie "links und rechts" das jeweils gleiche technomotorische
Verhalten sehen ("Wiedererkennungseffekt"). "Richtige" und
"falsche" Bedienungen wären klarer und könnten durch andere
Personen (den Vorsteiger, Ausbilder) schneller und sicherer
erkannt werden. Schließlich bestünde auch ein gewisser Konfor-
mitätsdruck, wenn der überwiegende Teil der Kletterer eine ähn-
liche Handhabung zeigt. Wir halten es daher für sinnvoll, dass
länderübergreifend Handhabungen vereinheitlicht werden - bis
in die Details.
� Doch ist mit einer Standardisierung von Bewegungsabfolgen
allein noch nichts gewonnen. Gerade die Diskrepanz zwischen
dem Wissen um das Problem des "Schlappseils" und der Häufig-
keit, mit der dieser Fehler auftritt, zeigt, wie wichtig Erfah-
rungsexperimente in der Ausbildung von Hallenkletterern sind.
Denn ab welchem ausgegebenen Seil liegt Schlappseil vor? Wie
weit fällt ein Vorsteiger herunter, wenn er am Haken stürzt?
Wie weit kann ich von der Wand entfernt stehen, ohne zu ihr
hingezogen zu werden? Sichere ich im Moment des "Umgrei-
fens" wirklich sicher? Diese Fragen kann man nicht am grünen
Tisch, sondern nur durch Ausprobieren beantworten. Es lohnt
sich, einmal einen schweren Rucksack als "Vorsteiger" fallen las-
sen, um zu sehen, wie sich Schlappseil auswirkt. Oder mit ver-
bundenen Augen Seil auszugeben und ein Partner zieht abrupt
beim Umgreifen (und simuliert damit einen unerwarteten Sturz).
Solche Verhaltensexperimente sind feste Bestandteile der Aus-
bildung von Kletterern und Bergsteigern - und wo nicht, sollten
sie es sein. Ideal wäre, dass jedes theoretische Sicherungskon-
zept mit einer erlebten Erfahrung hinterlegt ist. Die Simulation
eines denkbar ungünstigen Falles macht hoffentlich den Unfall
und - was viel häufiger vorkommt - den Beinahe-Unfall über-
flüssig.
� Weiter benötigen wir in den Kletterhallen eine positive
Rückmeldekultur, damit Kletterer lernen, sich selbst besser ein-
zuschätzen. Eine Ansprache sollte nicht als Unverschämtheit,
sondern als kollegiale Hilfestellung verstanden werden. Selbst-
und Partnercheck sind hier ein erster und notwendiger Schritt.
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In der Statistik heißen Unterschiede signifikant (=bedeutsam),
wenn sie mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht durch
Zufall zustande gekommen sind. Das heißt, die Signifikanz gibt
den Grad der Gewissheit an, mit der ein gefundenes Ergebnis die
Wirklichkeit abbildet.
In der Kletterhallenstudie zeigt sich, dass ausgebildete Kletterer
weniger Verhaltensfehler begehen als nicht ausgebildete. Das ist
ein "gefundenes Ergebnis". Bildet es die Wirklichkeit ab? Die
"Wirklichkeit" wäre ja ein Unterschied zwischen allen ausgebil-
deten bzw. nicht ausgebildeten Kletterern. Diese sogenannte
Population kann aber nicht untersucht werden, da man prak-
tisch nie mit der Studie aufhören könnte (es fangen ja immer
wieder Kletterer neu an, machen Kurse etc.). Aus diesem Grund
zieht man Stichproben. Das gefundene Ergebnis ist gültig für die
Stichproben. Von Interesse ist aber, ob allgemein gilt, dass aus-
gebildete Kletterer weniger Fehler machen. Die Signifikanz gibt
den Grad der Gewissheit an, mit der dies allgemeingültig ist.
Allerdings nur, wenn die Stichprobe auch so gezogen ist, dass
sie die Population "repräsentativ" wiedergibt - und wenn je
nach verwendetem Test bestimmte "Datencharakteristika" (Ska-
lenniveau, Normalverteilung) eingehalten werden, auf die hier
nicht eingegangen werden kann.
In der Statistik wird dazu folgendermaßen vorgegangen: Neh-
men wir an, dass in Wirklichkeit kein Unterschied in der Häufig-
keit der Fehler zwischen ausgebildeten und nicht ausgebildeten
Kletterern besteht. Wenn das so ist, dann könnte es trotzdem
sein, dass, wenn zwei Stichproben gezogen werden (eine von
ausgebildeten Kletterern und eine von nicht ausgebildeten Klet-
terern) die Mittelwerte der in diesen Stichproben gemachten
Fehler sich unterscheiden. Warum? Weil die Stichproben, auch
wenn sie repräsentativ für die Population sind, zufällig von der
Wirklichkeit abweichen können. Ein statistischer Test prüft, wie
wahrscheinlich das vorgefundene Ergebnis ist unter der Annah-
me, dass in Wirklichkeit keine Unterschiede bestehen.
Dies wird umso unwahrscheinlicher,� je größer der vorgefundene Unterschied in der Fehlerhäufig-
keit ist, � je größer die gezogene Stichprobe ist und � je geringer die Streubreite der Fehlerhäufigkeit (= Varianz
bzw. Standardabweichung) in den beiden Stichproben ist.
Dies errechnet der statistische Test und gibt - neben anderen
Kennwerten - eben auch einen "Signifikanzwert" aus. Dies ist
ein Wahrscheinlichkeitswert (kann also Werte zwischen 0 und 1
annehmen). Wenn er kleine Werte annimmt, dann ist es un-
wahrscheinlich, dass der Unterschied zwischen den Stichproben
ein Zufallsergebnis ist, mithin also wahrscheinlich, dass die
Stichproben einen wirklichen Unterschied ans Licht bringen. Das
ist etwas um die Ecke gedacht, aber die Logik des statistischen
Tests. Folgende sprachliche Markierungen sind für folgende
Werte vereinbart (analog den verbalen Beschreibungen der
Lawinenwarnstufe):
Signifikanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung
0,01 und kleiner bis 0,001 . . . . . . . . . . . . . . . . . hoch signifikant
0,05 und kleiner bis 0,01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . signifikant
0,1 und kleiner bis 0,1 . . . . . . . . . . . . . . . . tendenziell signifikant
größer 0,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nicht signifikant
Wenn die Wahrscheinlichkeit größer als 0,1 ist, dann darf ein
vorgefundener Unterschied nicht als Ausdruck eines wirklichen
Unterschiedes angesehen werden, da er wahrscheinlich ein
Zufallsergebnis der Stichprobenziehung ist.
Die Signifikanz dient also in der empirischen Forschung als
Schutz davor, fälschlicherweise Unterschiede zu interpretieren,
die in Wirklichkeit nicht vorliegen. Da der Unterschied zwischen
den ausgebildeten und nicht ausgebildeten Kletterern signifi-
kant ist, darf zu Recht gefolgert werden, dass Ausbildung Fehler
reduziert; wäre er nicht signifikant, müsste man in den sauren
Apfel beißen und sagen: Ausbildung ist vergebliche Mühe.
Das Ergebnis ist signifikant. Man kann aufatmen.
Martin Schwiersch
Abb. 17: Fehlerrate für verschiedene Sicherungsgeräte(untersucht bei Vorstiegssicherern)
Abb. 18: Spannbreite der durchschnittlichen Fehlerratezwischen den untersuchten Hallen.