Ergebnisse einer empirischen Feldstudie von Jan … · 2016-05-18 · Auswahl der...

12
bergundsteigen 1/05 58 Jan Mersch, 33, Profibergführer seit 12 Jahren, bekennender "Erlebnis-Bergsteiger" und "Nicht-Sportler. Ergebnisse einer empirischen Feldstudie von Jan Mersch, Pauli Trenkwalder, Martin Schwiersch und Dieter Stopper Sportklettern ist eine sichere Sache. Hallenklettern ist narrensicher. Die Haken halten und sind in ausreichender Menge angebracht. Die feste Struktur bricht in der Regel nicht. Das Sicherungsmaterial ist genormt und kann eigentlich nicht versagen. Das Handling wird geschult und ist durch jahrzehntelange Weiterentwicklung nahezu perfekt. Dennoch treten beim Hallenklettern Unfälle mit zum Teil erheblichen Folgen auf: Britschgi (2004) berich- tet für eine Kletterhalle in einem Jahr fünf Bodenstürze bei ca. 100.000 Besuchen. Foto: Franklin Climbing

Transcript of Ergebnisse einer empirischen Feldstudie von Jan … · 2016-05-18 · Auswahl der...

ber

gundst

eigen

1/0

5

58

Jan M

ersc

h, 33, Pro

fiber

gfü

hre

r se

it 1

2 J

ahre

n, bek

ennen

der

"Erl

ebnis

-Ber

gst

eiger

" und "

Nic

ht-

Sport

ler.

Ergebnisse einer empirischen Feldstudie

von Jan Mersch, Pauli Trenkwalder, Martin

Schwiersch und Dieter Stopper

Sportklettern ist eine sichere Sache. Hallenklettern ist

narrensicher. Die Haken halten und sind in ausreichender

Menge angebracht. Die feste Struktur bricht in der Regel

nicht. Das Sicherungsmaterial ist genormt und kann

eigentlich nicht versagen. Das Handling wird geschult

und ist durch jahrzehntelange Weiterentwicklung nahezu

perfekt. Dennoch treten beim Hallenklettern Unfälle mit

zum Teil erheblichen Folgen auf: Britschgi (2004) berich-

tet für eine Kletterhalle in einem Jahr fünf Bodenstürze

bei ca. 100.000 Besuchen.

Foto: Franklin Climbing

59

� Das ist für die per se sichere Umwelt doch hoch. Es liegt auf

der Hand, dass die Ursachen für diese Unfälle wohl im mensch-

lichen Handeln und Verhalten zu suchen und zu erklären sind.

Die Erforschung des unbekannten Wesens "Hallenkletterer" ist

eines der Ziele der Arbeitsgruppe "Innere Sicherheit" innerhalb

der DAV-Sicherheitsforschung1.

Im vorliegenden Beitrag wird über die Studienmethodik und die

Arten und Häufigkeiten von Verhaltensfehlern beim Hallenklet-

tern berichtet, in einem zweiten Beitrag wird den Einflussfakto-

ren auf Verhaltensfehler nachgegangen.

Design der Studie und Vorannahmen

Unsere Vorstellungen von Unfallursachen und Fehlern sind in

diesem Bereich stark geprägt von Vorannahmen, Vorurteilen und

Spekulationen. Harte Fakten über Besucher, Fehler, Unfälle etc.

sind im Bereich Hallenklettern nur ansatzweise vorhanden2.

Auch sind die bisher veröffentlichten Untersuchungen nicht

standardisiert und konzentrieren sich entweder auf den anekdo-

tischen Bericht von Fehlern oder sie beleuchten nur einen Teil-

aspekt des gesamten Sicherungsverhaltens, wie z.B. die Bedie-

nung des Sicherungsgeräts.

Ziel unserer Studie war es, die Fehlerarten und deren Häufigkei-

ten zu erfassen, zu beschreiben und in ihrer Bedeutung für die

tägliche Wirklichkeit des Hallenkletterns einzuordnen. Um dies

zu erreichen ist es aber nötig, eine möglichst hoch repräsenta-

tive und dementsprechend aufwändige Untersuchung durchzu-

führen. Das heißt, den Blick immer auch auf Besuchergesamt-

zahl, Ausbildungsstand der Kletterer, regionale Unterschiede,

verschiedene Kletter- und Sicherungsvorgänge, Belegungsdichte

der Halle, Geschlecht etc. zu richten. Warum? Nur so ist es

möglich, die Relevanz bestimmter Fehler abzuschätzen. Zum

Beispiel war eine unserer Vorannahmen, dass mit steigender

Belegungsdichte der Hallen und somit mehr Enge, mehr Ablen-

kung, mehr Lärm auch die Fehleranfälligkeit steigen sollte. Dies

konnte jedoch nicht nachgewiesen werden: In einer nahezu lee-

ren Halle passieren relativ genauso viele Fehler wie bei Hochbe-

trieb! Zudem liefert uns die vorgestellte Untersuchung für wei-

tere Erhebungen die Basisraten bestimmter Fehler, und wir kön-

nen uns auf die Betrachtung der eigentlichen Ursachen konzen-

trieren, ohne immer wieder sämtliche Rahmenbedingungen mit-

beachten zu müssen.

Insofern war das Untersuchungsdesign relativ breit angelegt. Die

Studie untersuchte Hallenkletterer in sechs großen Publikums-

hallen in Deutschland und Österreich. Die Untersuchung erfasste

dabei jeweils das Verhalten über den gesamten Öffnungszei-

traum. Ein spezieller Beobachtungsbogen wurde entwickelt, der

es uns ermöglichte, Kletter- und Sicherungsverhalten standardi-

siert zu erheben. Zudem wurden mithilfe zweier Fragebögen

soziodemographische Daten und psychometrische Persönlich-

keitsmerkmale erfasst. Um die Repräsentativität zu gewährlei-

sten, wurde im Verhältnis zur Belegungsdichte der Hallen unter-

sucht, d.h. mehr Besucher, mehr Beobachtungen und mehr

Beobachter. Um die Belegungsdichte zu erfassen, wurde ein Per-

sonenzähler entwickelt, der zum einen Verlaufskurven über die

Belegungsdichte lieferte, zum anderen es uns ermöglichte, die

Relation Besucher-Beobachter gezielt zu steuern. Schließlich

wurden auch die Beobachter selbst einem ausführlichen Trai-

ning unterzogen und auf ihre Übereinstimmungsgüte überprüft.

Die Untersuchung wurde im Februar 2004 innerhalb einer neun-

tägigen "Hallentournee" durchgeführt. Dabei waren zwei Perso-

nen für Untersuchungssteuerung und Ablauf, vier für die Beob-

achtung und eine Person für die Fragebögen zuständig.

Die Auswertung des gesamten Datensatzes erfolgte mit einem

Statistikprogramm (SPSS), so dass beliebige Zusammenhänge

überprüft und dargestellt werden können.

Überlegungen zur Stichprobe

� Auswahl von "großen" Hallen mit deutlichem PublikumsverkehrDies dürfte die größte Bandbreite an "Nutzern" liefern. Die

Nichtberücksichtigung der vielen "kleinen" (Sektions-)hallen

könnte eine Verzerrung der Stichprobe dahingehend liefern, als

angenommen werden kann, dass in diesen Hallen durchschnitt-

lich mit besserem Ausbildungsniveau geklettert wird. Falls dies

stimmt, würde die Studie Verhaltensfehler methodisch über-

schätzen, da dieses Segment von Hallenkletterern nicht betrach-

tet wird. Dieser mögliche Fehler erscheint aber für die Studien-

frage weniger schwerwiegend als der umgekehrte, nämlich die

Unterschätzung von Fehlern.

� Auswahl von Hallen in allen RegionenDeutschlands und in ÖsterreichOb dies einen Einfluss auf Fehlerarten und -häufigkeiten hat, ist

nicht bekannt. Es erschien uns aber wichtig, nicht nur in einer

Region oder gar nur in einer Halle zu untersuchen, da in diesem

Fall vorliegende Verzerrungen nicht erkannt worden wären. Die

Studie kann somit auch Hinweise auf Unterschiede zwischen

Regionen bzw. Hallen liefern. Eine Unterscheidung zwischen

Region und untersuchter Halle ist allerdings nicht möglich, da

aus studienökonomischen Gründen pro Region nur eine Halle

untersucht wurde.

Pauli T

renkw

ald

er, 30, Pro

fiber

gfü

hre

r, F

der

Alp

insc

hule

mounta

in p

rofe

ssio

nals

Südti

rol,

Dip

lom

and d

er P

sych

olo

gie

.ber

gundst

eigen

1/0

5

Abb. 1: Personenanzahl in Halle (Beispiel)Die Farben bedeuten im Einzelnen:

schwarz: die Gesamtanzahl

(ausschlaggebend für den Dichtewert)

rot: die zur Beobachtung relevanten Personen

grün: die nach Ausschlusskriterien gezählten Personen

(Boulderer, 16 und jünger, Kursteilnehmer)

ber

gundst

eigen

1/0

5

60

� Auswahl eines "typischen" Klettertags in einer HalleWünschenswert wäre ein repräsentatives Abbild der gesamten

Klettertätigkeit in einer Halle. Diese schwankt jedoch mögli-

cherweise saisonal, sicher aber wochen- und tageszeitlich. Zum

Beispiel könnte es in einer Halle einen bestimmten Wochentag

geben, an dem sie am Nachmittag für Ausbildungskurse genutzt

wird. Daher wurde so vorgegangen, dass in Rücksprache mit

dem Hallenbetreiber ein "typischer" Klettertag ohne besondere

Gruppenbenutzung gewählt wurde. Tageszeitliche Schwankun-

gen können durch eine Beobachtung über die ganze Öffnungs-

zeit kontrolliert werden. Saisonale Schwankungen konnten aus

studienökonomischen Gründen nicht einbezogen werden: Die

Untersuchung fand in allen untersuchten Hallen im Winterhalb-

jahr statt.

� Auswahl des Beobachtungsfensters innerhalb des untersuchten WochentagsDas Beobachtungsfenster bestand aus der gesamten Öffnungs-

zeit an dem gewählten Tag. Hier konnten also Verzerrungen

ausgeschlossen werden - sofern innerhalb der Öffnungszeit eine

repräsentative Menge der jeweils anwesenden Personen erhoben

wurde.

� Auswahl der UntersuchungspersonenWünschenswert ist eine repräsentative Stichprobenziehung

nach interessierenden Personmerkmalen (Alter, Geschlecht, Klet-

terkönnen, Ausbildungsstand).

Da die Verteilung dieser Personenmerkmale in der Population

der Hallenkletterer nicht bekannt ist, wurde so vorgegangen,

dass nach einem nach Praktikabilität festgelegten Auswahlver-

hältnis diejenigen Personen aufgenommen werden, die die Halle

betreten, z.B. "jede/r Zehnte". Unter der Annahme, dass in den

obigen Vorentscheidungen keine groben Verzerrungen bereits

festgelegt wurden, kann weiter angenommen werden, dass

durch eine solche Auswahl ebenfalls keine Selektion in Bezug

auf Personenmerkmale vorliegen dürfte.

� Auswahl der VerhaltensstichprobeDie Beobachtungseinheit pro ausgewählter Person besteht aus

einem Kletter- und einem Sicherungsvorgang. Ab dem Augen-

blick, in dem die Person per Ziehung an der Reihe war, wurden

bei dieser Person je ein Kletter- und ein Sicherungsvorgang in

der Reihenfolge ihres Auftretens beobachtet. "Vorgang" bedeu-

tete entweder Vorstieg (VS) oder Nachstieg/Topropeklettern (NS)

sowie das Sichern eines Vorsteigers (VSS) oder Nachsteigers

(NSS). Die Auswahl des Vorgangs musste wiederum zufällig sein.

Dies geschah dadurch, dass die Beobachtungszeit eines ausge-

wählten Kletterers innerhalb seiner gesamten Verweildauer in

der Kletterhalle zufällig gewählt wurde. Damit dürfte sich auf

lange Sicht ein repräsentatives Bild z.B. der in dieser Halle

gekletterten Schwierigkeiten ergeben.

Untersuchungsinstrumentarium

� Zufallsgenerator und PersonenzählerUm die Zufälligkeit der Personenstichprobe wie auch der Verhal-

tensstichprobe zu gewährleisten, wurde ein computergestützter

Zufallsgenerator entwickelt. Nach folgenden vier Gesichtspunk-

ten wurde das Verfahren jeweils eingestellt, um die Repräsenta-

tivität zu gewährleisten:

1. Durchschnittliche Aufenthaltszeit der Kletterer in der Halle

2. Anzahl der Kletterer im Peak (Maximalanzahl zur gleichen

Zeit, geschätzt vom Betreiber)

3. Durchschnittliche Beobachtungszeit (abhängig von Routen-

länge, Zugang zur Wand ...)

4. Anzahl der zur Verfügung stehenden Beobachter

Dementsprechend ergibt sich mit 2) mal 3) geteilt durch 4) mal

1) der Wert für jede "x-te" Person (also die anzusprechenden

und zu untersuchenden Personen). Je nach Genauigkeit der

Angaben ergibt sich ein Intervall, wobei der kleinere Wert ange-

nommen wird, damit möglichst viele Studienteilnehmer beob-

achtet werden können.

Dieses Verfahren lieferte als Nebenergebnis auch den Dichtever-

lauf über die Belegung in der betreffenden Halle (Abbildung 1

zeigt ein Beispiel).

� Beobachtungsbogen und Durchführung der BeobachtungDer Beobachtungsbogen zur Erhebung des Sicherungs- und

Kletterverhaltens wurde von der Forschungsgruppe der Sicher-

heitsforschung des DAV im Konsensverfahren erarbeitet. Ausge-

hend von der Annahme, dass mögliche Verhaltensfehler beim

Hallenklettern bekannt sein dürften, wurde ein geschlossenes

Kategoriensystem entwickelt, d.h. alle relevanten Verhaltensfeh-

ler wurden vorab festgelegt. Für jeden Verhaltensfehler (= Beob-

achtungskategorie) wurde eine inhaltliche Operationalisierung,

also eine Vorschrift, wann er vorliegt, entwickelt. Die Verhal-

tensfehler wurden in einem Beobachtungsbogen zusammenge-

fasst. Der Beobachtungsbogen beinhaltet vier verschiedene Vor-

gänge: Vorsteigen, Vorstiegsichern, Nachsteigen und Nachstieg-

sichern.

Die einzelnen Verhaltensfehler (Kategorien) sind voneinander

unabhängig. Das heißt, dass das Ankreuzen einer Kategorie nie

zum Ankreuzen einer anderen zwingt. Gleichzeitig können aber

mehrere Kategorien angekreuzt werden.

Mart

in S

chw

iers

ch, 45, ber

ufs

täti

g a

ls P

sych

olo

ge

und f

rüher

auch

als

Ber

gfü

hre

r, a

rbei

tet

in d

er S

icher

hei

tsfo

rsch

ung d

es D

AV

mit

.

Gle

icht

mangel

nde

Zei

t fü

rs B

erggeh

en d

urc

h d

esse

n p

sych

olo

gis

che

Erf

ors

chung a

us.

Innsbruck

Köln

Hamburg

München

Dresden

Berlin

männlich 68,3 %

weiblich 31,7 %

gesamt 278 Personen

Abb. 2: Regionale Verteilung Abb. 3: Geschlechterverteilung

ber

gundst

eigen

1/0

5

61

Hier ein Beispiel einer Operationalisierung einer Beobachtungs-

kategorie für den Vorgang "Vorstiegsichern":

Man kann der Operationalisierung entnehmen, dass Verhaltens-

fehler dann als "aufgetreten" angegeben wurden, wenn durch

sie eine Gefährdung von Personen entstand.

� Offene / verdeckte BeobachtungDas zentrale Problem einer offenen Beobachtung ist die Verhal-

tensänderung durch das Wissen, beobachtet zu werden. Verhal-

tensweisen, von denen der Beobachtete glaubt, dass sie für den

Beobachter "negativ" sind (z.B. Unaufmerksamkeit), werden ver-

mutlich weniger gezeigt. Dies ist ein gut untersuchtes Phäno-

men. Der Vorteil offener Beobachtung besteht allerdings darin,

dass nachträglich soziodemographische Daten erhoben werden

können und die Akzeptanz der Studie erhöht werden kann.

Schließlich ist in diesem Fall die informierte Einwilligung gege-

ben. Unsere Forschungsgruppe hat sich für ein offenes Vorgehen

entschieden.

� BeobachtungsfokusDer Beobachtungsfokus liegt auf der Frage: "Stellt dieses Ver-

halten im Falle eines Sturzes eine verletzungsträchtige Unfallge-

fährdung dar?" Nicht relevant sind Verhaltensfehler, die in der

gegebenen Situation im Falle eines Sturzes nicht unfallträchtig

sind bzw. kein hohes Verletzungspotenzial haben.

Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass, wie Vor-

untersuchungen gezeigt haben, eine umfassende sicherheitsrele-

vante Verhaltensbeobachtung praktisch nicht möglich ist.

� FragebögenMit Hilfe eines Fragebogens wurden soziodemografische Daten

der beobachteten Kletterer erhoben. Neben diesen wurden

sportartspezifische Aspekte wie Kletterkönnen, Ausbildungs-

stand, Sicherungsgerät etc. erfasst. Ein letzter Abschnitt be-

fasste sich mit Selbsteinschätzungen bzgl. sicherheitsrelevanten

Kodierungsvorschrift für Verhaltensfehler beim Vorsiegsichern mit HMSGefährdung durch komplettes Loslassen

Gefährdung beim Einnehmen, Umgreifen ohne angemessenes

Umschließen (3 Finger) des Bremsseils durch die Führungshand

Gefährdung durch Führung des Seils über Schnapper (v.a. beim

Ablassen)

Gefährdung durch Hand im/am Sicherungsgerät, bezüglich Ein-

klemmens von Hautlappen oder offenen Haaren)

Aspekten und Verhaltensfehlern. Mit Hilfe des Hamburger Per-

sönlichkeitsinventars (HPI, Andresen) wurden Persönlichkeits-

merkmale erhoben, die sich an der derzeit gängigen Theorie der

"big five" orientieren. Vor allem interessierte die Persönlichkeits-

eigenschaft "Risikobereitschaft", die dabei miterfasst wird.

Schließlich wurden mit einem weiteren Fragebogen "Allgemeine

Situationsanalyse Halle" zum einen Vorinformationen zur Aus-

wahl der Stichprobe (typische Wochentage, geschätzte maxima-

le Anzahl Kletterer in der Halle) und zum anderen Informationen

zu baulichen etc. Besonderheiten der Halle erfasst.

Ergebnisse

� Die StichprobeInsgesamt nahmen 278 Personen an der Studie teil, die sich, wie

in Abbildung 2 ersichtlich, auf Kletterhallen in München, Dres-

den, Berlin, Hamburg, Köln und Innsbruck verteilten.

Die Abbildungen 3 und 4 zeigen die Geschlechts- und die

Altersverteilung. Es zeigt sich, dass Hallenklettern kein Männer-

sport ist und kein Sport, der vorrangig von jungen Erwachsenen

ausgeübt wird. (Allerdings wurden Jugendliche bis 16 Jahre

nicht in die Studie aufgenommen.)

Beobachtungsdaten liegen für 245 Personen vor. Tab. 1 zeigt die

Anzahl der beobachteten Personen für die einzelnen Vorgänge.

Die Zahlen summieren sich nicht auf 245, da jede Person sowohl

in einem Kletter- wie in einem Sicherungsvorgang beobachtet

wurde (was aber nicht in allen Fällen gelang). Der hohe Anteil

von beobachteten Nachstiegen und Nachstiegsicherungen ent-

steht v.a. durch die Halle in Köln, in der reger Gebrauch von den

fix installierten Topropeseilen gemacht wurde.

Die Schwierigkeit der Routen, in denen die Kletterer beobachtet

wurden, verteilt sich über einen breiten Bereich mit einem

Schwerpunkt bei "mittleren Graden" (siehe Abb. 5).

� Häufigkeiten von VerhaltensfehlernWie häufig passieren welche Fehler? Die Abbildungen 6 bis 10

fassen die Häufigkeiten der beobachteten Verhaltensfehler

zusammen. Die Angaben erfolgen aus Gründen der Vergleichbar-

keit in Prozent; hierzu ein Beispiel: Bei 4,1 % der Vorsteiger war

VorgangVorstieg

Vorstiegsicherung

Nachstieg

Nachstiegsicherung

Anzahl PersonenN = 98

N = 90

N = 144

N = 145

Abb. 4: Verteilung der Altersgruppen Abb. 5: Schwierigkeitsgrad der gekletterten Routen

Die

ter

Sto

pper

, 37, B

ergfü

hre

r und d

ipl.

Geo

phys

iker

, Le

iter

der

DA

V-S

icher

hei

tsfo

rsch

ung

Abso

lute

Wer

te

Häufi

gke

iten

Altersgruppe

62

die Gefahr des "Einfädelns" zu beobachten. Es fällt auf, dass die

meisten Verhaltensfehler beim Vorstiegsichern gemacht werden

(Abb. 7): Ein Drittel der Vorstiegsicherer bedient das Sicherungs-

gerät mangel- oder fehlerhaft. Dies unterstreicht die Ergebnisse

von Britschgi (2003), der in einer Studie in der Kletterhalle

"Gaswerk" in Zürich bei der Hälfte der beobachteten Siche-

rungsfehler feststellte. Mehr als ein Viertel der Sicherer gefähr-

det den Vorsteiger durch Schlappseil: In diesen Fällen wurde so

gesichert, dass ein Sturz der kletternden Person auf den Boden

nicht auszuschließen war. Insgesamt ein Fünftel der Sicherer

gefährdeten sich durch ihre Standposition: Entweder wäre die

Sicherungsperson im Sturzfall des Vorsteigers mit diesem

zusammengestoßen (11 %) oder sie wäre an die Wand gezogen

worden (mit der Gefahr, dann reflexhaft die Sicherung auszulas-

sen, abgesehen von der eigenen Verletzungsgefahr) (9 %). Die

weiteren erhobenen Verhaltensfehler treten deutlich weniger

häufig auf. Sie werden hier aus Platzgründen nicht beschrieben

(siehe Abb. 6 bis 9).

� Selbst- und PartnercheckEbenfalls beobachtet wurde, wie häufig der Selbst- und Part-

nercheck vor dem Einsteigen praktiziert wurde. Insbesondere der

Partnercheck wird nur wenig praktiziert: Zwischen 40 und

knapp 50 % der Kletterer checkten den Partner nicht. Ist der

Partnercheck nötig? Wir meinen Ja: Denn viermal knüpfte ein

Kletterer den Anseilknoten falsch und in sechs Fällen legten die

Sicherungspersonen die Sicherung nicht richtig ein bzw. ver-

wendeten ungeeignete Verschlusskarabiner. Diese Fehler hätten

durch den Check seitens des Partners zumindest zum Teil aufge-

deckt werden können. Der Partnercheck ist deshalb keine über-

flüssige Routine, sondern wäre notwendig, um Fehlern ent-

gegenzuwirken.

� Wieviele Personen machen wie viele Fehler?Eine personenbezogene (im Unterschied zur fehlerbezogenen)

Auswertung zeigt, dass zwei Drittel der beobachteten Kletterer

die Vorgänge fehlerfrei durchführen. Ein oder zwei Fehler treten

bei knapp 28 % der Kletterer auf (siehe Abb. 10).

Zwischenbilanz

Sicherungsverhalten muss als hoch routiniertes und in Stan-

dardsituationen gleich ablaufendes Verhalten angesehen wer-

den. Die Frage, ob Kletterer viele oder wenige Verhaltensfehler

machen, kann im Grunde nur durch einen Vergleich mit sicher-

heitsrelevantem Verhalten in anderen Lebensbereichen (z.B.

beim Autofahren, Fahrradfahren auf öffentlichen Straßen)

beantwortet werden. Es darf zudem nicht vergessen werden,

Abb. 7: Verhaltensfehler beim VorstiegsichernIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt. Stürze der Vor-

steiger traten kaum auf; gefährliches Sicherungsverhalten beim

Sturz wurde nicht beobachtet.

ber

gundst

eigen

1/0

5

dass angemessenes Sicherungsverhalten auch bedeutet, zur

rechten Zeit das Richtige zu tun. Der Sicherheitsforschung ging

es weniger um die Frage: "Sichern Kletterer gut oder schlecht"

sondern darum: "Was sind die relevanten Verhaltensfehler beim

Hallenklettern?" An diesen muss die Bewusstmachung und die

Ausbildung ansetzen. Und hier zeigen sich klare Ergebnisse,

deren wesentlichste wir als Verhaltenshinweise zusammenfassen

möchten:� Lege Dir eine Routine bei der Bedienung des Sicherungsge-

räts zu, die in jedem Moment und bei allen Handgriffen einen

Absturz des Kletterers verhindert. Die Drei-Beinlogik ist dabei

eine hilfreiche Leitlinie, sie muß aber sicherungsgerätbezogen in

genauere Bedienungsstandards ausgearbeitet werden.� Nobody is perfect. Deshalb konsequenter Partnercheck!� Überprüfe immer, ob Du beim Vorstiegsichern zu viel Seil

ausgegeben hast ("Schlappseil").� Achte darauf, ob Du beim Sturz des Vorsteigers mit diesem

zusammenprallen oder an die Wand gezogen werden könntest.

Bei Beherzigung dieser Hinweise können die häufigsten Verhal-

tensfehler reduziert werden.

Nach dem Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", sollte

auch der Kletterer hin und wieder ein scharfes Auge auf das

Verhalten des Sichernden werfen. Ein brechender oder sich dre-

hender Griff und schon geht es in der "leichten" Route rasant

abwärts. Entweder greift dann die routinierte und zuverlässige

Sicherung oder der Sturz endet unsanft auf dem Boden.

Die Verhaltenshinweise rufen nach Erfahrungsexperimenten.

Denn ab welcher ausgegebenen Seilmenge liegt gefährliches

Schlappseil vor? Wie weit fällt ein Vorsteiger herunter, wenn er

am Haken stürzt? Wie weit kann ich von der Wand entfernt ste-

hen, ohne zu ihr hingerissen zu werden? Sichere ich im Moment

des "Umgreifens" wirklich sicher? Diese Fragen müssen in der

Praxis beantwortet werden.

Es lohnt sich, einmal einen schweren Rucksack als "Vorsteiger"

fallen zu lassen. Dann werden die Auswirkungen von Schlappseil

deutlich. Oder mit verbundenen Augen Seil auszugeben und der

Partner zieht abrupt beim Umgreifen. Solche Verhaltensexperi-

mente können am besten in einem Kurs durchgeführt werden.

Ausblick

Wovon hängt es nun ab, wer wann welche Verhaltensfehler

begeht? Wenn man versuchen will, Verhaltensfehler zu reduzie-

ren, muss ja eine begründete Vorstellung davon bestehen, wel-

che Faktoren sie verursachen oder verhindern. Spielen Ausbil-

dung, Kletterkönnen, die Dichte der Bekletterung der Halle eine

Rolle? Diesen Fragen wird im zweiten Beitrag nachgegangen. �

Abb. 6: Verhaltensfehler beim VorstiegIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt oder bestand eine

Schmelzverbrennungsgefahr durch das Übereinanderliegen meh-

rerer Seile.

Abb. 9: Verhaltensfehler beim NachstiegsichernIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt, stand die Siche-

rungsperson unangemessen, wurde mit Schlappseil gesichert

oder in wichtigen Momenten nicht oder falsch kommuniziert.

Abb. 10: Verhaltensfehler pro PersonZwei Drittel der beobachteten Kletterer führten die Vorgänge

fehlerfrei durch. Ein oder zwei Fehler traten bei knapp 28 % der

Kletterer auf.

Abb. 8: Verhaltensfehler beim NachsteigenIn keinem Fall wurde der Gurt falsch angelegt, die Umlenkung

überstiegen oder bestand eine Anprall- oder Pendelgefahr.

Der Forschungsbericht zu dieser Studie kann angefordert werden

bei der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins

(www.alpenverein.de).

1 An der Entwicklung der Studie waren beteiligt: Tobias Bach,

Caspar Güntsch, Jan Mersch, Nicholas Mailänder, Martin

Schwiersch, Christian Semmel, Dieter Stopper, Pauli Trenkwal-

der; Die Datenerhebung führten durch: Tobias Bach, Max

Bolland, Hans-Christian Hocke, Nicholas Mailänder, Dieter Stop-

per (Beobachter), Kerstin Kindermann, Jan Mersch, Pauli Trenk-

walder (als Studienorganisatoren). Die Studienauswertung

erfolgte durch Martin Schwiersch und Pauli Trenkwalder.

2 R. Scherer publizierte Anfang 2004 eine anekdotisch angeleg-

te hochinteressante Sammlung von Verhaltensfehlern beim Hal-

lenklettern (Scherer, 2004), Walter Britschgi ebenfalls eine Ana-

lyse des Unfallgeschehens im Gaswerk Zürich (Britschgi, 2004)..

ber

gundst

eigen

2/0

5

52

Jan M

ersc

h, 33, Pro

fiber

gfü

hre

r se

it 1

2 J

ahre

n, bek

ennen

der

"Erl

ebnis

-Ber

gst

eiger

" und "

Nic

ht-

Sport

ler.

Teil 2. Einflussfaktoren auf Verhaltensfehler

von Pauli Trenkwalder, Martin Schwiersch, Jan Mersch &

Dieter Stopper

In bergundsteigen 1/05 haben die Experten des deut-

schen Alpenvereins eingehend über Design und Methodik

einer empirischen Sportkletterstudie berichtet, die in

ihrer Konzeption bislang einzigartig ist und erstmals sta-

tistisch gesicherte Daten über Fehlerarten und Fehler-

häufigkeiten beim Hallenklettern liefert. In diesem Bei-

trag geht es nun um die brennende Frage, von welchen

Faktoren Verhaltensfehler abhängen.

Ein klares Ergebnis der Studie: Die meisten Fehler machen die Personen, die Vorsteiger sichern.

Am fehlerfreiesten wird der Nachstieg praktiziert. Und weiters:

Das Sicherungsmittel mit der geringsten Fehlerrate ist die HMS-

Sicherung, gefolgt von Tuber und Grigri. Der Achter stellte sich

als dasjenige Sicherungsgerät heraus, bei dem die meisten

Bedienungsfehler zu beobachten sind.

53

Verhaltensfehler hängen von der Komplexität des Vorgangs ab

Das Ergebnis gleich vorweg: Die meisten Fehler machen die Per-

sonen, die Vorsteiger sichern. Am fehlerfreiesten wird der Nach-

stieg praktiziert (siehe Abb. 11).

Die Fehlerrate beim Vorstiegssichern hebt sich deutlich von den

anderen Vorgängen ab. Woran könnte das liegen? Vorstiegssi-

chern verlangt viel mehr gleichzeitige geistige und technomoto-

rische Leistungen als die anderen Vorgänge: Während das

Sicherungsgerät zu jedem Zeitpunkt gut bedient werden muss,

geht die Aufmerksamkeit immer wieder hoch zur kletternden

Person. Gleichzeitig müssen - zumindest bis in die Höhe der

fünften Zwischensicherung - das "Schlappseil" und die eigene

Standposition beachtet und gegebenenfalls korrigiert werden.

Dabei darf aber keinesfalls außer Acht gelassen werden, das Seil

angemessen auszugeben. Dieser kurze "Schnappschuss" macht

deutlich, dass die Sicherung des Vorsteigers eine anspruchsvolle

Tätigkeit ist und wesentlich mehr beinhaltet als nur die Bedie-

nung des Sicherungsgeräts. Im Vergleich dazu stellen sich die

anderen Vorgänge als "einfacher" dar. Was unter den Kletterern

gut bekannt ist, wird hier noch einmal bestätigt: Nicht der vor-

steigenden Person gebührt die Ehre, sondern der Person, die sie

sichert. Sie erbringt eine komplexere Aufmerksamkeits- und in

Bezug auf Sicherheitshandeln auch technomotorische Leistung

als die kletternde Person. Auf die Sicherungspersonen muss

daher auch bei der Ausbildung ein Schwerpunkt gelegt werden.

Ausbildung macht einen Unterschied

Hallenkletterer, die einen Ausbildungskurs durchlaufen haben,

begehen etwas weniger Fehler als Hallenkletterer, die das

Hallenklettern im Freundeskreis gelernt oder sich selbst beige-

bracht haben (siehe Abb. 12). Die Unterschiede zwischen Ausge-

bildeten und nicht Ausgebildeten zeigen sich vor allem beim

häufigsten und relevantesten Verhaltensfehler, der mangelnden

bzw. fehlerhaften Bedienung des Sicherungsgeräts: Ausgebildete

Kletterer sichern besser als unausgebildete.

Eine formale Ausbildung "bringt also etwas". Sie ist notwendig

und wirksam. Natürlich haben auch diejenigen, die das Klettern

im Freundeskreis erlernten oder sich selbst beibrachten, die

Sicherungspraxis im Wesentlichen erlernt. Aber die ausgebilde-

ten Personen begehen - vor allem bei der Bedienung des Siche-

rungsgeräts - weniger Fehler. Für die Ausbildung bedeutet dies,

dass ein Schwerpunkt auf die weiteren Sicherungsaspekte gelegt

werden muss: Abstand zur Wand, Schlappseil etc.

Vorurteile werden nicht bestätigt

Ein Ergebnis hat die Sicherheitsforschung überrascht: Personbe-

zogene Faktoren erklären die beobachteten Verhaltensfehler nur

zu einem geringen Teil:

Alter: Es besteht kein Zusammenhang zwischen Alter und Ver-

haltensfehlern.

Geschlecht: Männer begehen mehr Fehler als Frauen. Inhaltlich

kann der Unterschied jedoch nicht als besonders gravierend

angesehen werden, da sich nur eine geringe Effektstärke des

Unterschieds zeigt.

Zeit der Klettersportausübung: Es gibt keine Unterschiede in

der Anzahl der Fehler (über alle Vorgänge gerechnet) für die

Kletterzeit in Jahren: Kletterer machen unabhängig von der

Anzahl der Jahre, die sie klettern gehen, Fehler oder keine Fehler.

Kletterkönnen: Es gibt keine Zusammenhänge zwischen Anzahl

der Fehler und dem Schwierigkeitsgrad, in dem sich die Befrag-

ten wohlfühlen ("Wohlfühlgrad") sowie dem derzeit gekletterten

Rotpunktgrad.

Selbsteinschätzung des Sicherungskönnens: Es bestehen keine

Zusammenhänge zwischen der Güte der Selbsteinschätzungen

über das eigene Sicherungskönnen und Verhaltensfehlern beim

Hallenklettern.

Selbsteinschätzung des Könnens in Hallen allgemein: Zwi-

schen selbsteingeschätzter Kompetenz und beobachteter Kom-

petenz im Verhalten besteht kein Zusammenhang.

Selbsteinschätzung, einen Fehler gemacht zu haben: Die

Selbsteinschätzung, einen Fehler gemacht zu haben, hängt nicht

mit beobachteten Fehlern zusammen

Befindlichkeit "Wohlgefühl": Es sieht so aus, als ob mit höhe-

rem Wohlgefühl Fehler eher zunehmen. Aber das ist nicht signi-

fikant und daher nicht interpretierbar.

Befindlichkeit "Unwohlgefühl": Hier ergeben sich signifikante

Unterschiede zwischen den Personen, aber in einem schwer zu

interpretierenden nicht linearen Zusammenhang: "Je unwohler,

desto mehr Fehler" bestätigt sich nicht.

Häufigkeit, in der die ProbandInnen in der Halle klettern: Es

zeigen sich keine Unterschiede zwischen der Häufigkeit des Hal-

lenkletterns und Verhaltensfehlern.

Alpin kletternde Personen: ProbandInnen, die auch alpin klet-

tern, machen statistisch tendenziell mehr Fehler. Das Ergebnis

ist aufgrund des geringen Unterschieds praktisch nicht relevant.

Persönlichkeitsfaktoren: Personen mit vielen Verhaltensfehlern

unterscheiden sich in den Persönlichkeitsfaktoren nicht von

denjenigen mit weniger oder keinen Fehlern.

Das bedeutet: Jüngere Kletterer begehen nicht mehr oder weni-

Pauli T

renkw

ald

er, 30, Pro

fiber

gfü

hre

r, F

der

Alp

insc

hule

mounta

in p

rofe

ssio

nals

Südti

rol,

Dip

lom

and d

er P

sych

olo

gie

.ber

gundst

eigen

2/0

5

Abb. 11: Durchschnittliche Fehlerrate pro Person beiden verschiedenen Sicherungsvorgängen Die absolute

Anzahl von beobachteten Fehlern pro Vorgang wurde

dividiert durch die Anzahl der bei diesem Vorgang beob-

achteten Personen. Die so entstehende Fehlerrate pro

Person ist für die vier Vorgänge angetragen. Unterlassene

Selbst- und Partnerchecks wurden nicht einbezogen.

ber

gundst

eigen

2/0

5

54

ger Verhaltensfehler als ältere. Erfahrene Hallenkletterer, die

schon lange klettern, sind nicht besser oder schlechter als sol-

che, die erst seit kurzem (zum Beispiel seit einem Jahr) klettern.

Kletterer, die häufig klettern gehen, zeigen sich nicht nachlässi-

ger als die weniger routinierten. Verhaltensfehler werden auch

nicht häufiger von denjenigen begangen, die in leichten Routen

beobachtet wurden. Auch das Kletterkönnen spielt keine Rolle.

Wir müssen uns also lösen von Vorurteilen, die da lauten könn-

ten: Junge sind schlechter als Ältere, Erfahrene praktizieren das

Hallenklettern besser als weniger Erfahrene oder Routiniers

werden nachlässiger. Natürlich kann man immer einzelne Klet-

terer beobachten, auf die dies zutrifft - aber bei einer systema-

tischen Betrachtung von vielen Kletterern zeigt sich, dass solche

Schlüsse vom Einzelfall auf die Gesamtheit in die Irre gehen.

Ein leichter personbezogener Unterschied konnte aber festge-

stellt werden: Frauen begehen etwas weniger Verhaltensfehler

beim Vorsteigen als Männer (Abb. 14). Der Unterschied ist

statistisch "tendenziell signifikant". Das liegt aber nicht daran,

dass Frauen nicht vorsteigen würden (und daher gar keine Gele-

genheit haben, dabei Fehler zu begehen): Sie steigen vielmehr

im gleichen Maße vor wie die beobachteten Männer. Bei den

weiteren Vorgängen zeigen sich auch Unterschiede in der Feh-

lerhäufigkeit, aber sie spielen keine Rolle, da sie sich nicht

statistisch unterscheiden. Damit gilt als wesentliches Ergebnis:

Die Ähnlichkeiten in Bezug auf Verhaltensfehler beim Klettern

zwischen Frauen und Männer überwiegen die Unterschiede.

Selbsteingeschätztes Können und gezeigtes Können hängennicht zusammen

Weiter zeigt sich, dass zwischen der selbsteingeschätzten und

der im Verhalten gezeigten Kompetenz kein Zusammenhang

besteht. Ebenso gibt es keinen Zusammenhang zwischen der

Selbsteinschätzung der Befragten, an diesem Klettertag einen

Verhaltensfehler begangen zu haben und bei ihnen an diesem

Tag beobachteten Fehlern. Praktisch heißt das, dass als Antwort

auf die Frage: "Kannst du sichern?" ein "Ja" nicht als gültig

genommen werden darf - und ein "Nein" auch nicht.

Das bedeutet für Ausbilder und solche, die als Erfahrene andere

anleiten, dass eine Selbstauskunft nicht hinreicht, sondern

immer eine persönliche Vergewisserung notwendig ist.

Für die Kletterer selbst ist dieses Ergebnis eine bittere Pille:

Bedeutet es doch, dass das, was jemand glaubt, zu können,

wenig mit dem zu tun hat, was jemand tatsächlich tut. Wie

kann so etwas entstehen? Wir glauben, dass es mit einem Man-

gel an Rückmeldung zu tun hat. Es ist unüblich, sich wechsel-

seitig auf die Finger zu sehen, gerade wenn es um andere Hal-

lenkletterer geht, mit denen man nichts zu tun hat. Und auch

beim Partner, mit dem man klettert, schaut man eher nicht hin

- siehe Partnercheck. In Bezug auf das Sichern geht das schon

deswegen nicht, weil die kletternde Person während des

Sicherns mit sich selbst beschäftigt ist. So kann es entstehen,

dass eingeschliffene Routinen als "Ich kann es gut" wahrgenom-

men werden, weil kaum jemand mal sagt: "He, was machst du

denn da!". Der Partner nicht, weil er es nicht sieht und andere

Hallenkletterer schon gar nicht. Was wir also brauchen, ist eine

Rückmeldekultur - keine Kontrolle, aber kollegiales Feedback.

Wissen und Verhalten hängen nicht direkt zusammen

Verhaltensfehler sind insgesamt gut bekannt unter den Klette-

rern: In einer offenen Frage konnten die ProbandInnen die ihnen

bekannten typischen Verhaltensfehler frei angeben. Insgesamt

gaben die Befragten rege Auskunft: 245 Personen beantworte-

ten diese Frage und machten dabei insgesamt 673 Auskünfte.

Eine Person gab mithin im Durchschnitt 2,75 Verhaltensfehler

ihres Wissens an (die fünf häufigst genannten "typischen Ver-

haltensfehler" zeigt Abbildung 15).

Schlechtes Sichern ist ein typischer Verhaltensfehler aus Sicht

der Befragten, ebenso gibt knapp ein Drittel "Schlappseil" als

typischen Verhaltensfehler an. Die Fehler als solche sind

bekannt. Trotzdem werden sie begangen. Woran könnte dies lie-

gen? Drei Erklärungen bieten sich an:

1. Es besteht eine Diskrepanz zwischen einer Vorstellung über

einen Verhaltensfehler und dem, was eine Person an sich und

anderen beobachten kann. Dies sei für den Begriff "Schlappseil"

näher beschrieben: Eine Person hat eine Vorstellung davon, was

Schlappseil ist - und stellt doch keinen Zusammenhang mit dem

Seil, das sie vor sich zur kletternden Person nach oben ziehen

sieht, her: Selbst wenn es "Schlappseil" ist, geht, obwohl der

Begriff bekannt ist, "kein Licht an". Sie kann den Begriff

"Schlappseil" nicht übersetzen auf das, was sie vor sich sieht -

da die hierzu nötigen Erfahrungen fehlen.

2. Die sichernde Person geht davon aus, dass die kletternde Per-

son "eh nicht stürzt". Diese Annahme ist ziemlich realistisch, ist

doch in der ganzen Beobachtungswoche lediglich ein (!) Sturz

beobachtet worden. Warum immer sichern wie eine "Eins",

wenn ein Sturz ohnedies nicht vorkommt oder sich zumindest

ankündigt (durch Keuchen, Zittern oder einen Ruf der klettern-

den Person!). Hallenklettern würde aufgrund des seltenen Auf-

tretens des Schlimmstmöglichen, des überraschenden Sturzes,

zur Sorglosigkeit erziehen.

3. Die sichernde Person ist unaufmerksam bzw. lenkt ihre Auf-

Mart

in S

chw

iers

ch, 45, ber

ufs

täti

g a

ls P

sych

olo

ge

und f

rüher

auch

als

Ber

gfü

hre

r, a

rbei

tet

in d

er S

icher

hei

tsfo

rsch

ung d

es D

AV

mit

.

Gle

icht

mangel

nde

Zei

t fü

rs B

erggeh

en d

urc

h d

esse

n p

sych

olo

gis

che

Erf

ors

chung a

us.

Abb. 12: Unterschiede in der durchschnittlichen Fehlerratezwischen ausgebildeten und nicht ausgebildeten Hallen-kletterern.

� Abb. 13: Unterschiede zwischen ausgebildeten und nichtausgebildeten Hallenkletterern bei der Bedienung des Sicherungsgeräts beim Vorstiegssichern.

�� Abb. 14: Unterschiede in der durchschnittlichen Feh-lerrate zwischen Männern und Frauen.

ber

gundst

eigen

2/0

5

55

merksamkeit auf anderes als das Sichern - zum Beispiel auf den

Durchstiegsversuch der Person, die sie sichert. Die ersten beiden

Erklärungen können dabei zwei Gründe sein, warum eine Person

nicht angemessen aufmerksam ist: "Ich mache keinen Fehler"

und "es passiert eh nichts."

Selbsteinschätzung

Die erste der oben genannten Erklärungen wird durch ein weite-

res Ergebnis unterstützt: Zwischen der Selbsteinschätzung,

einen Fehler gemacht zu haben und tatsächlich aufgetretenen

Fehlern besteht kein Zusammenhang (siehe Abb. 16).

Die Personen, die von sich glauben, keinen Fehler begangen zu

haben, begehen im Durchschnitt 0,59 Fehler, während diejeni-

gen, die einräumen, einen Fehler begangen zu haben, weniger

häufig Fehler machen: im Durchschnitt 0,47. Auch wenn es so

aussieht, als ob Selbstkritik zu weniger Fehlern führen würde,

lässt sich das Ergebnis statistisch nicht absichern. Damit bleibt:

Selbsteinschätzung und Wissen hängen nicht mit Verhaltens-

fehlern zusammen.

Verhaltensfehler bei verschiedenen Sicherungsgeräten

Es gibt Unterschiede in der Fehlerrate je nach verwendetem

Sicherungsgerät (siehe Abb. 17).

Das Sicherungsmittel mit der geringsten Fehlerrate (Anteil Feh-

ler an allen beobachteten Fällen) von 22 % ist die HMS-Siche-

rung, gefolgt von Tuber und Grigri, die mit einer Fehlerrate von

28,6 % gleichauf liegen. Dann geht es weiter mit dem Achter,

der eine Fehlerquote von 40 % aufweist. Der HMS-Karabiner

stellt sich als das Sicherungsgerät heraus, das am souveränsten

gehandhabt wird, der Achter als dasjenige, bei dem die meisten

Bedienungsfehler zu beobachten sind. Die Grigri hat einen Ruf

als gefährliches Vorstiegssicherungsgerät - aber wird recht gut

gehandhabt. Wieder werden Vorurteile nicht bestätigt - und es

wird deutlich, wo bei der Ausbildung der technomotorischen

Bedienung des Sicherungsgeräts angesetzt werden muss.

Unterschiede in Verhaltensfehlern zwischen Hallen / Regionen

Überraschend sind die Unterschiede in den Verhaltensfehlern

zwischen den Hallen / Regionen. Hier zeigen sich sehr deutliche

und auch statistisch signifikante Unterschiede. Die Abbildung

18 illustriert die Ergebnisse.

Wir haben keine eindeutige Erklärung dafür. Folgende Einfluss-

faktoren jedenfalls können die Unterschiede nicht erklären (sta-

tistisch geprüft):� das "Hallenfeeling", also das allgemeine Wohlgefühl in der

Die

ter

Sto

pper

, 37, B

ergfü

hre

r und d

ipl.

Geo

phys

iker

, Le

iter

der

DA

V-S

icher

hei

tsfo

rsch

ung

Halle (im Konsensverfahren unter den Beobachtern einge-

schätzt), � die Dichte der Bekletterung,� "künstliche Unterschiede" wie die Tatsache, dass in den Hal-

len unterschiedlich oft vorgestiegen und damit Vorstiege ge-

sichert wurden, � personenbezogene Unterschiede können ausgeschlossen

werden, da diese nur in Einzelfällen (Geschlecht / Ausbildung)

vorliegen und nicht so stark ausgeprägt sind, dass sie die

deutlichen Unterschiede zwischen den Hallen herbeiführen

könnten - selbst wenn in einer Halle nur gut ausgebildete

Frauen geklettert wären.

Unterschiede in den verwendeten Sicherungsgeräten je nach

Halle (die ja unterschiedlich fehleranfällig gehandhabt werden),

können die Fehlerunterschiede auch nicht zufriedenstellend auf-

klären. So liefert die Studie ganz zum Schluss noch ein Rätsel.

Konsequenzen

Sicherungsverhalten muss als hoch routiniertes und in Stan-

dardsituationen gleich ablaufendes Verhalten angesehen wer-

den. Die Frage, ob Kletterer viele oder wenige Verhaltensfehler

machen, kann im Grunde nur durch einen Vergleich mit sicher-

heitsrelevantem Verhalten in anderen Lebensbereichen (z.B.

beim Autofahren, Fahrradfahren auf öffentlichen Strassen)

beantwortet werden. Es darf zudem nicht vergessen werden,

dass angemessenes Sicherungsverhalten auch bedeutet, zur

rechten Zeit das Richtige zu tun. Der Sicherheitsforschung ging

es weniger um die Frage: "Sichern Kletterer gut oder schlecht?"

sondern darum: "Was sind die relevanten Verhaltensfehler beim

Hallenklettern?". An diesen müssen die Bewusstmachung und

die Ausbildung ansetzen. Und hier zeigen sich klare Ergebnisse,

deren wesentlichste wir als Verhaltenshinweise zusammenfassen

möchten:

� Lege dir eine Routine bei der Bedienung des Sicherungsge-

räts zu, die in jedem Moment und bei allen Handgriffen einen

Absturz des Kletterers verhindert. Die Drei-Beinlogik ist dabei

eine hilfreiche Leitlinie, sie muss aber sicherungsgerätbezogen

in genauere Bedienungsstandards ausgearbeitet werden.� Überprüfe immer, ob du beim Vorstiegssichern zu viel Seil

ausgegeben hast ("Schlappseil").� Achte darauf, ob du beim Sturz des Vorsteigers mit diesem

zusammenprallen oder an die Wand gezogen werden könntest.

Bei Beherzigung dieser Hinweise können die häufigsten Verhal-

tensfehler reduziert werden.

56

ber

gundst

eigen

2/0

5

Die Studie belegt, dass die Fehler, die durch "Checks" aufge-

deckt werden können, auch tatsächlich gemacht werden. Die

Studie zeigt aber auch, dass die relevantesten Verhaltensfehler

durch Selbst- und Partnercheck nicht aufgedeckt werden kön-

nen, da sie während des Kletterns passieren.

Quintessenz

Unerwartete Stürze treten beim Hallenklettern selten auf. Die

Vorsteiger haben das Klettern gut im Griff. Das ist die Basis von

Sicherheit. Verhaltensfehler bei den Sicherern können sich nur

auswirken, wenn der Vorsteiger stürzt, wobei der unerwartete

Sturz das Hauptrisiko darstellt, da sich die Sicherungsperson

nicht vorbereiten kann, sondern "kalt erwischt wird". Zwei Drit-

tel der Sicherer begehen keine Verhaltensfehler. Bei dem ver-

bleibenden Drittel könnten unerwartete Stürze zu einem ernst-

haften Problem führen. Hier besteht nach unserer Einschätzung

Verbesserungsbedarf, denn es muss betont werden, dass plötzli-

che Stürze zwar selten, aber dennoch jederzeit auftreten können

- und sei es durch einen sich drehenden Griff.

HinweisDer gesamte Forschungsbericht kann angefordert werden bei der

Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins:

[email protected]

LiteraturBritschgi (2003): Begreiflich. Manuskript des Kletterzentrums

"Gaswerk", Zürich

Britschgi W. (2004). Sicher partner sichern (1). Elementare

Sicherungsfehler und die 3-Bein-Logik. In: bergundsteigen, 2,

2004, 64-69.

Britschgi W. (2004). Sicher partner sichern (2). Risikomanage-

ment und Sicherheitstraining. In bergundsteigen 3/04, 40-48

Dewald W., Kraus L. & Schwiersch M. (2003). Missgeschicke -

Eine Sammlung erlebnispädagogischer Praxisfälle. Pfronten:

Eigenverlag Dewald-Kraus-Schwiersch GbR.

Schwiersch M. (2004). Die verflixte Basisrate. Der unbekannte

Boden des Risikos. In berg & steigen 2, 2004, 41-45

Scherer R. (2004). Kletterunfälle. Was man nicht für möglich

hält. In: bergundsteigen, 3, 2004, 40-48

Semmel C. & Stopper D. (2003). Sicher sichern In: DAV-Panora-

ma 4/2003, S. 58-61

Fotos: Foto Mario, mc2alpin �

Abb. 16: Verhaltensfehler und Selbsteinschätzung, einenFehler gemacht zu haben.

Abb. 15: Die fünf am häufigsten angegebenen "typischen"Verhaltensfehler beim Hallenklettern (245 befragte Pers.).

to do

� Wir denken, dass eine Vereinheitlichung der Bedienung von

Sicherungsgeräten im Sinne von SOPs sinnvoll ist. Derzeit gibt

es gerade in technomotorischen Details große Unterschiede in

Ausbildung und Praxis. Dies halten wir nicht für eine förderliche

Sicherungskultur. Ein höherer Vereinheitlichungsgrad könnte

bedeuten, dass Sicherer mehr voneinander profitieren als bisher,

da sie "links und rechts" das jeweils gleiche technomotorische

Verhalten sehen ("Wiedererkennungseffekt"). "Richtige" und

"falsche" Bedienungen wären klarer und könnten durch andere

Personen (den Vorsteiger, Ausbilder) schneller und sicherer

erkannt werden. Schließlich bestünde auch ein gewisser Konfor-

mitätsdruck, wenn der überwiegende Teil der Kletterer eine ähn-

liche Handhabung zeigt. Wir halten es daher für sinnvoll, dass

länderübergreifend Handhabungen vereinheitlicht werden - bis

in die Details.

� Doch ist mit einer Standardisierung von Bewegungsabfolgen

allein noch nichts gewonnen. Gerade die Diskrepanz zwischen

dem Wissen um das Problem des "Schlappseils" und der Häufig-

keit, mit der dieser Fehler auftritt, zeigt, wie wichtig Erfah-

rungsexperimente in der Ausbildung von Hallenkletterern sind.

Denn ab welchem ausgegebenen Seil liegt Schlappseil vor? Wie

weit fällt ein Vorsteiger herunter, wenn er am Haken stürzt?

Wie weit kann ich von der Wand entfernt stehen, ohne zu ihr

hingezogen zu werden? Sichere ich im Moment des "Umgrei-

fens" wirklich sicher? Diese Fragen kann man nicht am grünen

Tisch, sondern nur durch Ausprobieren beantworten. Es lohnt

sich, einmal einen schweren Rucksack als "Vorsteiger" fallen las-

sen, um zu sehen, wie sich Schlappseil auswirkt. Oder mit ver-

bundenen Augen Seil auszugeben und ein Partner zieht abrupt

beim Umgreifen (und simuliert damit einen unerwarteten Sturz).

Solche Verhaltensexperimente sind feste Bestandteile der Aus-

bildung von Kletterern und Bergsteigern - und wo nicht, sollten

sie es sein. Ideal wäre, dass jedes theoretische Sicherungskon-

zept mit einer erlebten Erfahrung hinterlegt ist. Die Simulation

eines denkbar ungünstigen Falles macht hoffentlich den Unfall

und - was viel häufiger vorkommt - den Beinahe-Unfall über-

flüssig.

� Weiter benötigen wir in den Kletterhallen eine positive

Rückmeldekultur, damit Kletterer lernen, sich selbst besser ein-

zuschätzen. Eine Ansprache sollte nicht als Unverschämtheit,

sondern als kollegiale Hilfestellung verstanden werden. Selbst-

und Partnercheck sind hier ein erster und notwendiger Schritt.

ber

gundst

eigen

2/0

5

57

In der Statistik heißen Unterschiede signifikant (=bedeutsam),

wenn sie mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht durch

Zufall zustande gekommen sind. Das heißt, die Signifikanz gibt

den Grad der Gewissheit an, mit der ein gefundenes Ergebnis die

Wirklichkeit abbildet.

In der Kletterhallenstudie zeigt sich, dass ausgebildete Kletterer

weniger Verhaltensfehler begehen als nicht ausgebildete. Das ist

ein "gefundenes Ergebnis". Bildet es die Wirklichkeit ab? Die

"Wirklichkeit" wäre ja ein Unterschied zwischen allen ausgebil-

deten bzw. nicht ausgebildeten Kletterern. Diese sogenannte

Population kann aber nicht untersucht werden, da man prak-

tisch nie mit der Studie aufhören könnte (es fangen ja immer

wieder Kletterer neu an, machen Kurse etc.). Aus diesem Grund

zieht man Stichproben. Das gefundene Ergebnis ist gültig für die

Stichproben. Von Interesse ist aber, ob allgemein gilt, dass aus-

gebildete Kletterer weniger Fehler machen. Die Signifikanz gibt

den Grad der Gewissheit an, mit der dies allgemeingültig ist.

Allerdings nur, wenn die Stichprobe auch so gezogen ist, dass

sie die Population "repräsentativ" wiedergibt - und wenn je

nach verwendetem Test bestimmte "Datencharakteristika" (Ska-

lenniveau, Normalverteilung) eingehalten werden, auf die hier

nicht eingegangen werden kann.

In der Statistik wird dazu folgendermaßen vorgegangen: Neh-

men wir an, dass in Wirklichkeit kein Unterschied in der Häufig-

keit der Fehler zwischen ausgebildeten und nicht ausgebildeten

Kletterern besteht. Wenn das so ist, dann könnte es trotzdem

sein, dass, wenn zwei Stichproben gezogen werden (eine von

ausgebildeten Kletterern und eine von nicht ausgebildeten Klet-

terern) die Mittelwerte der in diesen Stichproben gemachten

Fehler sich unterscheiden. Warum? Weil die Stichproben, auch

wenn sie repräsentativ für die Population sind, zufällig von der

Wirklichkeit abweichen können. Ein statistischer Test prüft, wie

wahrscheinlich das vorgefundene Ergebnis ist unter der Annah-

me, dass in Wirklichkeit keine Unterschiede bestehen.

Dies wird umso unwahrscheinlicher,� je größer der vorgefundene Unterschied in der Fehlerhäufig-

keit ist, � je größer die gezogene Stichprobe ist und � je geringer die Streubreite der Fehlerhäufigkeit (= Varianz

bzw. Standardabweichung) in den beiden Stichproben ist.

Dies errechnet der statistische Test und gibt - neben anderen

Kennwerten - eben auch einen "Signifikanzwert" aus. Dies ist

ein Wahrscheinlichkeitswert (kann also Werte zwischen 0 und 1

annehmen). Wenn er kleine Werte annimmt, dann ist es un-

wahrscheinlich, dass der Unterschied zwischen den Stichproben

ein Zufallsergebnis ist, mithin also wahrscheinlich, dass die

Stichproben einen wirklichen Unterschied ans Licht bringen. Das

ist etwas um die Ecke gedacht, aber die Logik des statistischen

Tests. Folgende sprachliche Markierungen sind für folgende

Werte vereinbart (analog den verbalen Beschreibungen der

Lawinenwarnstufe):

Signifikanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung

0,01 und kleiner bis 0,001 . . . . . . . . . . . . . . . . . hoch signifikant

0,05 und kleiner bis 0,01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . signifikant

0,1 und kleiner bis 0,1 . . . . . . . . . . . . . . . . tendenziell signifikant

größer 0,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nicht signifikant

Wenn die Wahrscheinlichkeit größer als 0,1 ist, dann darf ein

vorgefundener Unterschied nicht als Ausdruck eines wirklichen

Unterschiedes angesehen werden, da er wahrscheinlich ein

Zufallsergebnis der Stichprobenziehung ist.

Die Signifikanz dient also in der empirischen Forschung als

Schutz davor, fälschlicherweise Unterschiede zu interpretieren,

die in Wirklichkeit nicht vorliegen. Da der Unterschied zwischen

den ausgebildeten und nicht ausgebildeten Kletterern signifi-

kant ist, darf zu Recht gefolgert werden, dass Ausbildung Fehler

reduziert; wäre er nicht signifikant, müsste man in den sauren

Apfel beißen und sagen: Ausbildung ist vergebliche Mühe.

Das Ergebnis ist signifikant. Man kann aufatmen.

Martin Schwiersch

Abb. 17: Fehlerrate für verschiedene Sicherungsgeräte(untersucht bei Vorstiegssicherern)

Abb. 18: Spannbreite der durchschnittlichen Fehlerratezwischen den untersuchten Hallen.