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25 Geschichte im Westen (GiW) Jahrgang 27 (2012), 25–52 © Klartext Verlag, Essen, ISSN 0930-3286 Karola Fings Erinnerungskultur entlang des Westwalls Das Problem affirmativer Praktiken und der Sonderfall Hürtgenwald Die Überreste des Westwalls, jener 630 Kilometer langen militärischen Befesti- gungslinie, erstrecken sich über vier Bundesländer hinweg, von Kleve bis an die schweizerische Grenze. Der Westwall ist damit das größte erhalten gebliebene Flächendenkmal aus der NS-Zeit auf dem Gebiet der Bundesrepublik. 1 Doch anders als vergleichbare NS-Hinterlassenschaften, etwa das „Reichsparteitags- gelände“ in Nürnberg, die „Kraft-durch-Freude“-Ferienanlage Prora auf Rügen oder Hitlers zweiter Regierungssitz auf dem „Obersalzberg“, 2 hat der Westwall bislang nur wenig Interesse bei Museumsfachleuten, Trägern der politischen Bil- dung oder Historikerinnen und Historikern erregt. Dies ist umso bedauerlicher, als sich in den letzten Jahrzehnten in vielen kleinen Museen entlang des Westwalls, flankiert von oftmals von interessierten Laien geschriebenen Publikationen, eine Erinnerungslandschaft entwickelt hat, die ein problematisches Geschichtsbild in Szene setzt. Dieser Beitrag wirft einen Blick auf eine Entwicklung, die eines kritischen Diskurses bedarf. 1 Die Hinterlassenschaften des „Westwalls“ werden in europäischer Perspektive von dem „Atlan- tikwall“ um einiges überboten: Er erstreckte sich an den Westküsten von Norwegen bis Frank- reich auf über 2.600 Kilometern. 2 Vgl. Stephan Porompka, Hilmar Schmundt (Hg.), Böse Orte. Stätten nationalsozialistischer Selbstdarstellung – heute, Berlin 2005; Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich, hg. von Horst Möller, Volker Dahm und Hartmut Mehringer (= Obersalz- berg – Orts- und Zeitgeschichte. Eine ständige Dokumentation des Instituts für Zeitgeschichte in Berchtesgaden, Text- und Bildband mit Exponatnachweis), München 1999; Eckart Dietz- felbinger, Gerhard Liedtke, Nürnberg – Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände. Vorge- schichte und schwieriges Erbe, Berlin 2004; Faszination und Gewalt. Das Dokumentations- zentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg. Das Buch zur Ausstellung, Nürnberg 2006; Das „Paradies“ der „Volksgemeinschaft“. Das KdF-Seebad Prora und die „Volksgemeinschaft“, hg. vom Dokumentationszentrum PRORA der Stiftung NEUE KULTUR, Berlin 3 2008.

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Geschichte im Westen (GiW) Jahrgang 27 (2012), 25–52 © Klartext Verlag, Essen, ISSN 0930-3286

Karola Fings

Erinnerungskultur entlang des WestwallsDas Problem affirmativer Praktiken und der Sonderfall Hürtgenwald

Die Überreste des Westwalls, jener 630 Kilometer langen militärischen Befesti-gungslinie, erstrecken sich über vier Bundesländer hinweg, von Kleve bis an die schweizerische Grenze. Der Westwall ist damit das größte erhalten gebliebene Flächendenkmal aus der NS-Zeit auf dem Gebiet der Bundesrepublik.1 Doch anders als vergleichbare NS-Hinterlassenschaften, etwa das „Reichsparteitags-gelände“ in Nürnberg, die „Kraft-durch-Freude“-Ferienanlage Prora auf Rügen oder Hitlers zweiter Regierungssitz auf dem „Obersalzberg“,2 hat der Westwall bislang nur wenig Interesse bei Museumsfachleuten, Trägern der politischen Bil-dung oder Historikerinnen und Historikern erregt. Dies ist umso bedauerlicher, als sich in den letzten Jahrzehnten in vielen kleinen Museen entlang des Westwalls, flankiert von oftmals von interessierten Laien geschriebenen Publikationen, eine Erinnerungslandschaft entwickelt hat, die ein problematisches Geschichtsbild in Szene setzt. Dieser Beitrag wirft einen Blick auf eine Entwicklung, die eines kritischen Diskurses bedarf.

1 Die Hinterlassenschaften des „Westwalls“ werden in europäischer Perspektive von dem „Atlan-tikwall“ um einiges überboten: Er erstreckte sich an den Westküsten von Norwegen bis Frank-reich auf über 2.600 Kilometern.

2 Vgl. Stephan Porompka, Hilmar Schmundt (Hg.), Böse Orte. Stätten nationalsozialistischer Selbstdarstellung – heute, Berlin 2005; Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich, hg. von Horst Möller, Volker Dahm und Hartmut Mehringer (= Obersalz-berg – Orts- und Zeitgeschichte. Eine ständige Dokumentation des Instituts für Zeitgeschichte in Berchtesgaden, Text- und Bildband mit Exponatnachweis), München 1999; Eckart Dietz-felbinger, Gerhard Liedtke, Nürnberg – Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände. Vorge-schichte und schwieriges Erbe, Berlin 2004; Faszination und Gewalt. Das Dokumentations-zentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg. Das Buch zur Ausstellung, Nürnberg 2006; Das „Paradies“ der „Volksgemeinschaft“. Das KdF-Seebad Prora und die „Volksgemeinschaft“, hg. vom Dokumentationszentrum PRORA der Stiftung NEUE KULTUR, Berlin 32008.

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Offiziell begannen die Besatzungsmächte gemäß der Direktive Nr. 22 des Alliierten Kontrollrats im Jahr 1946 mit der Sprengung der Westwall-Anlagen.3 Mit Gründung der Bundesrepublik ging die Zuständigkeit zunächst auf die Län-der über. Seit dem 13. Juni 1957 sind die Anlagen im Eigentum des Bundes als dem Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Damit hatte der Bund nicht nur den Abriss zu steuern, sondern auch dafür zu sorgen, dass von den Anlagen des Westwalls „keine Gefahr für Leben oder Gesundheit“ ausgeht. In den 1980er Jahren setzte eine Trendwende gegen den kostspieligen Abriss ein: Viele Pri-vatpersonen oder Vereine erwarben Bunker und andere Anlagen des Westwalls, übernahmen die Verkehrssicherungspflicht, eigneten sich den Westwall als Teil ihrer Geschichte an und etablierten darin sogenannte Westwall-Museen.

Seriöse Forschung gab es bis in die 1980er Jahre hinein kaum. Es war zunächst die Denkmalpflege, die sich nicht nur für die Unterschutzstellung einzelner Bau-ten des Westwalls – und damit für deren Erhalt – interessierte, sondern auch erste historische Einordnungen vornahm. 1982 leitete Reiner Pommerin die bis heute als Standardwerk geltende Publikation von Manfred Groß mit einem historischen Essay ein,4 wenige Jahre später war es erneut die rheinische Bodendenkmalpflege, die sich dem „Denkmalwert des Unerfreulichen“ widmete.5 Doch diese Bände waren ebenso rasch vergriffen wie der Begleitband zu einer Berliner Ausstellung, die erstmals Mythos und Realität des Westwalls beleuchtete und den Umgang mit den Überresten der Anlage kritisch reflektierte.6 In die vorhandene publizistische Lücke stießen und stoßen immer wieder Publikationen, deren Titel eine Gesamt-darstellung versprechen, die jedoch keineswegs wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Sie nähern sich dem Thema mit einer engen Perspektive und tragen oft mehr zur Verklärung des Gegenstandes als zu dessen Erhellung bei.7

3 Vgl. hierzu Eberhard Elfert, „Ewig währt am längsten“. Über den Umgang mit einer Befes-tigungsanlage des „Tausendjährigen Reiches“ nach 1945, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e. V. (NGBK), Wir bauen des Reiches Sicherheit. Mythos und Realität des Westwalls 1938 bis 1945 (Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung), Berlin 1992, S. 153–167, hier S. 153 f.

4 Manfred Groß, Der Westwall zwischen Niederrhein und Schnee-Eifel. Mit einem einführenden historischen Beitrag von Reiner Pommerin, Köln 1989 (Erstausgabe 1982).

5 Manfred Groß, Horst Rohde, Rudi Rolf, Wolfgang Wegener, Der Westwall. Vom Denkmalwert des Unerfreulichen (= Führer zu archäologischen Denkmälern des Rheinlands, Bd. 2, hrsg. von Harald Koschick für den Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Amt für Bodendenkmal-pflege), 2 Bände, Köln 1997.

6 Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e. V. (wie Anm. 3).7 Dies gilt etwa für Dieter Bettinger, Hans-Josef Hansen, Daniel Lois, Der Westwall von Kleve

bis Basel. Auf den Spuren deutscher Geschichte. Ein Tourenplaner, Eggolsheim 2006 (identisch mit der 2002 im Verlag Podzun-Pallas in Wölfersheim-Berstadt erschienenen Taschenbuchaus-gabe); Jörg Fuhrmeister, Der Westwall. Geschichte und Gegenwart, 2. Auflage, Stuttgart 2004

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Angesichts dieser Defizite organisierten der Arbeitskreis der NS-Gedenk-stätten in Nordrhein-Westfalen, die Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis aus Köln, die Konejung Stiftung: Kultur, der Landschaftsverband Rheinland und der Arbeitskreis für historische Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e. V. (ARKUM), unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung in Nord-rhein-Westfalen, im Mai 2007 eine Tagung in Bonn. Ziel dieser Tagung, die sich vor allem an diejenigen richtete, die in der Denkmalpflege, in der Geschichtswis-senschaft oder in Behörden tätig sind oder aktiv ein Westwall-Museum betreiben, war es, Wege zu einem verantwortungsbewussten Umfang mit den Überresten der NS-Anlage zu entwickeln.8 Tagung und Tagungsband haben durchaus einige Akteure und Akteurinnen zu einem Umdenken angeregt, doch längst nicht alle erreicht oder überzeugen können.

Der Westwall als historischer Ort

Bevor beispielhaft die Musealisierungspraxis entlang des Westwalls betrachtet wird, erfolgt eine thesenartige Übersicht über das Potenzial, das der Westwall als historischer Ort für die politische Bildung bieten könnte. Betrachtet man nämlich den Westwall als einen integralen Bestandteil des NS-Regimes, ergeben sich zahlreiche Aspekte, die zu einer Reflektion über Charakter und Ziele der NS-Herrschaft anregen und Bildungsprozesse anstoßen. Diese Aspekte will ich im folgenden in zehn Punkten zusammenfassen.9

(Erstausgabe 2003); Ingo Eberle, Anja Reichert (Hg.), Der Westwall. Erhaltung, gesellschaft-liche Akzeptanz und touristische Nutzung eines schweren Erbes für die Zukunft (Tagungsband zum Symposium FORTIS 2005 vom 11.–13. März an der Universität Trier), hg. als Band 1 der „Beiträge zur angewandten Festungsforschung, Norderstedt 2006 (= Books on Demand GmbH). Vgl. zur Einschätzung dieser Publikationen Karola Fings, Im Westen nichts Neues? Ein kritischer Seitenblick auf Literatur zum Westwall, in: Geschichte in Köln, 2007, Heft 54, S. 262–270.

8 Vgl. Karola Fings, Frank Möller (Hrsg.), Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwor-tungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage (= Materialien zur Bodendenkmal-pflege im Rheinland 20, hrsg. von Jürgen Kunow, Landschaftsverband Rheinland, Rheinische Bodendenkmalpflege), Weilerswist 2008.

9 Im Zusammenhang mit einer Diskussion über eine touristische Inwertsetzung des Westwalls habe ich diese Aspekte erstmals dargelegt, vgl. Karola Fings, Zum Stand der wissenschaftlichen Bewertung des Westwalls, in: Der Westwall in der Eifelregion. Aktuelle Nutzungen, touristi-sche Potentiale und Möglichkeiten einer Vermarktung, hrsg. von EuRegionale 2008 und projekt 2508 Kultur- und Tourismusmarketing GmbH, Bonn 2008, Anhang (zu finden unter http://www.eifel.info/westwall.htm, letzter Aufruf 10.9.2012).

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Erstens: Die Entstehung des Westwalls ist nur im Kontext europäischer Politik nach dem Ersten Weltkrieg zu erklären, denn die in den 1920er, aber mehr noch in den 1930er Jahren festzustellende „Festungskonjunktur“ beruhte auf den Erfah-rungen des Ersten Weltkrieges. In Frankreich oder Belgien, den Niederlanden, Polen, der Tschechoslowakei oder etwa der Schweiz entstanden moderne, meist defensive Wehranlagen, um die Länder vor einem militärischen Einmarsch zu schützen.10 Das Deutsche Reich, das den Weltkrieg entfesselt und verloren hatte, war im Friedensvertrag von Versailles unter anderem darauf verpflichtet worden, keine militärischen Anlagen zu bauen. Zwar entstanden bereits kleinere Grenz-befestigungen im Osten Deutschlands nach dem Ende alliierter Aufsicht im Jahr 1927, aber derartige Aktivitäten wären noch während der Weimarer Republik im Westen undenkbar gewesen. Erst das nationalsozialistische Deutschland unter Adolf Hitler bahnte den Weg für eine militärische Befestigungsanlage im Westen, und zwar unter Missachtung internationaler Konventionen und mit dem Bruch vertraglicher Verpflichtungen: 1933 erfolgte der Austritt aus dem Völkerbund, 1935 begann die Aufstellung der Wehrmacht, 1936 schließlich kam es zur völ-kerrechtswidrigen Besetzung der entmilitarisierten Zone im Westen.

Zweitens: Die militärstrategische Bedeutung des Westwalls muss im Kontext nationalsozialistischer Kriegsziele für eine Neuordnung Europas unter deutscher Vorherrschaft betrachtet werden. Der Westwall war ein Kernstück in der aggres-siven Außenpolitik des Deutschen Reiches. Zum einen war der Bau Bestandteil einer Hinhaltestrategie Hitlers gegenüber den Westmächten, indem nach außen defensive Absichten demonstriert wurden. Dabei gab es einen schleichenden Übergang von befestigten Zonen (1935) hin zu stark ausgebauten Stellungen mit Bunkeranlagen (1937). Zugleich sollte die befestigte Westgrenze die Rich-tung Osten zielenden deutschen Expansionspläne strategisch absichern. Das so genannte Münchner Abkommen von 1938, mit dem die Tschechoslowakei westli-che Grenzgebiete an das Deutsche Reich abtreten musste, war – so gesehen – der erste außenpolitische Erfolg des Westwalls.

Drittens: Die Wirkung der mit dem Westwall gezielt und aufwändig betrie-benen Propaganda war sowohl außen- als auch innenpolitisch enorm.11 Nach außen wurde der Westwall als gigantische Festungsanlage dargestellt, an der jeder Gegner scheitern müsse. Nach innen wurde er als „Schutzwall“ propagiert,

10 Vgl. Christoph Rass, Die Bedeutung des Westwalls für die nationalsozialistische Politik und Kriegsführung, in: Fings/Möller (wie Anm. 8), S. 49–57, hier S. 49 f.

11 Vgl. Eckhard Gruber, „Mystisch, barbarisch, gelangweilt“ – Die Propaganda um den West-wall in den Jahren 1938–1945, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e. V. (wie Anm. 3), S. 42–86; Ders., „Eine unsichtbare Mauer aus Stahl und Beton“. Die visuelle Vermittlung des Westwalls durch Photo und Film, in: Ebd., S. 144–152; Achim Konejung, Der Westwall im Propagandafilm, in: Fings/Möller (wie Anm. 8), S. 67–76.

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als großartige Verteidigungsleistung eines Volkes, das sich vor einem dro-henden Gegner schützt. Zugleich war die Mehrheit der Bevölkerung tat-sächlich begeistert von der demonst-rativen Stärke des „Dritten Reiches“, war doch die Revision des Vertrages von Versailles ein weit verbreiteter Wunsch. Der Mythos vom unbezwing-baren Westwall war vor allem für eine psychologische Mobilisierung und damit Orientierung der Bevölkerung auf einen Krieg von großer Bedeu-tung.12 Zeitgenössische Berichte von Männern, die am Westwall eingesetzt waren, lassen etwas von dieser Wir-kung erahnen. „Das Werk im Westen ist eine Sinfonie der Macht“, heißt es beispielsweise in dem 1939 erschie-nenen Buch von Werner Flack.13 Die „Sudetenkrise“, die dem Münchner Abkommen vorausging, erlebte der am Westwall eingesetzte Flack folgendermaßen: „Wenn jetzt Krieg wird, denke ich. Wenn ein zweiter Weltkrieg ausbricht! Ich bin nicht feige. Ich empfinde keine Angst. (…) Aber doch ist in mir eine leise Trauer: wenn ein Weltkrieg entsteht, was wird aus dem deutschen Aufbau? (…) Aber ich sehe auch die Bunker, die Eisenbetonklötze im Lande. Und ich denke: wir sind stark. Es ist jetzt nicht die Zeit, weich zu werden. Wir sind gerüstet. Hinter unserer stählernen Front, da steht das deutsche Volk in Waffen.“14 Auch der Zusammenhang zwischen dem Bau des Westwalls und einer Expansion im Osten wurde von diesem Zeitgenossen durchaus klar erkannt.15 Die reichsweite Propaganda, aber vor allem das immer wieder beschworene Gemeinschaftserlebnis beim Bau des Westwalls waren dar-über hinaus von großer Bedeutung für die Formierung der nationalsozialistischen

12 Vgl. Hermann-Josef Berk, Faszination in Beton. Eine psychohistorische Skizze, in: Ebd., S. 37–44.

13 Werner Flack, Wir bauen am Westwall. Ein Fronterlebnis deutscher Jugend im Frieden, Olden-burg i. O./Berlin 1939, S. 182.

14 Ebd., S. 159.15 So heißt es in Ebd., S. 177: „Wir haben im Westen gebaut, dass das Reich im Osten wachsen

konnte“.

Abb. 1: Propagandabroschüre über den Westwall, um 1938

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„Volks-“ und „Schicksalsgemeinschaft“. Bei Flack findet sich eine eindringliche Beschreibung, wie das Individuum nunmehr in einem Kollektiv aufgeht: „Das Ich liegt am Boden. Das Übermächtige hat es bezwungen. Jetzt wissen wir, wie ohnmächtig wir als einzelne sind. Wir vermögen nichts. (…) Das Werk ist weit gewaltiger als alle unsere Kraft.“16

Viertens: Diese Faszinationskraft des Westwalls erklärt sich nicht zuletzt aus der tatsächlich erbrachten Bauleistung, die durchaus beeindruckend war. In rela-tiv kurzer Frist wurden nach bescheidenen Anfängen im Jahr 1936 von 1938 bis 1940 auf 630 Kilometern rund 17.000 Einzelbauwerke und über 260 Kilo-meter Panzerhindernisse (die heute teilweise noch als „Höckerlinien“ zu finden sind) errichtet. Diese Bauleistung ging nicht nur auf die Umsetzung von damals durchaus innovativen Standardisierungs- und Serienbaukonzepten zurück, son-dern beruhte im Wesentlichen auf einem grenzenlos scheinenden Zugriff auf Ressourcen – sowohl im Hinblick auf das verwendete Material als auch auf die eingesetzte Anzahl der Arbeitskräfte. Die Bewunderung dieser Bauleistung ist ein bis heute nachwirkendes Element des Westwall-Mythos. Staunend und begeistert zugleich notierte Flack: „Wie ist das alles entstanden? Uns ist, als ob wir es noch nie bewusst erlebt hätten. Ist das ungeheuere Werk das Ergebnis u n s e r e r Arbeit? Dieses Werk ist ein Wunder an strategischer Überlegung, an bestem baulichen Können, an hervorragender Fachleistung. Es ist ein Wunder der Arbeitseinteilung und Arbeitstechnik. Es ist fesselnd vom kleinsten Bunker bis zur selbständigen Festungsanlage.“17

Fünftens: Der Bauerfolg war freilich nur aufgrund eines hemmungslosen Griffs in die Staatskasse möglich. Gebaut wurde auf Kredit, ein Prinzip, mit dem die Konjunktur in den Jahren der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung herbeige-führt wurde. So müsste auch der Zusammenhang zwischen der Finanzierung des Westwalls und der Kompensation der Kosten durch Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung und später der besetzten europäischen Länder genauer erforscht werden. Das gleiche gilt für die Mikroebene. Die lokale Wirtschaft erfuhr durch den Westwall wichtige Impulse, einzelne Firmen oder auch Privatleute profitier-ten erheblich vom Westwallbau, nicht wenige Unternehmen im Westen nahmen in dieser Zeit ihren Anfang. Aber es standen bei weitem nicht alle auf der Seite der Gewinner, zum Beispiel nicht jene Landwirte, deren Äcker regelrecht zer-schnitten wurden und die für eine berufliche Neuorientierung nicht flexibel genug waren.

Sechstens: Nicht zu unterschätzen sind die gesellschaftlichen Veränderungen, die der Zustrom von bis zu 500.000 Arbeitskräften (Festungspioniere, Solda-

16 Ebd., S. 96.17 Ebd., S. 103.

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ten, Männer des Reichsarbeitsdienstes, Angehörige der Organisation Todt) in die westliche Grenzregion bedeutete.18 Die Migration der Arbeitskräfte hat die soziale Struktur der Orte stark und nachhaltig verändert; allein zahlenmäßig wurden die bestehenden Sozialgefüge gesprengt. Verschlafene Dörfer wurden plötzlich zu überlaufenen Verkehrsknotenpunkten. Die Arbeiter, die aus vielen verschiedenen Regionen des Reiches stammten, brachten ein anderes Sozialverhalten und neue Eindrücke mit, zum Beispiel in kultureller Hinsicht durch die Rezeption von Film und Musik. Es gab vor Ort durchaus zahlreiche Konflikte, etwa wegen hohen Alkoholkonsums der Arbeiter, tödlichen Verkehrsunfällen, Liebesbeziehungen zwischen zugezogenen Männern und einheimischen Frauen. Aber es kam auch zu politischen Auseinandersetzungen, beispielsweise zwischen ortsansässigen Kir-chenvertretern und neu angesiedelten NS-Anhängern und -Funktionären. Unter dem Strich waren die Auswirkungen des Westwallbaus für die betroffenen Regi-onen daher durchaus ambivalent: Einerseits kam es zu einem Aufschwung und zu einer Modernisierung der Lebensweisen, andererseits wurden die bis dahin gültigen Sozialgefüge und Normen in Frage gestellt.

Siebtens: Der Westwallbau markiert arbeitsmarktpolitisch den Übergang von „freier Lohnarbeit“ hin zu einem verpflichtenden Arbeitseinsatz, der zunehmend militarisiert wurde. Die Masse der Arbeiter wurde über den „Reichsarbeitsdienst“ oder später durch die „Organisation Todt“ rekrutiert. Längst nicht alle Arbeiter waren freiwillig gekommen, und längst nicht alle arbeiteten unter den gegebenen Bedingungen – kasernierte Unterbringung, lange Trennzeiten von der Familie, zeitweise schlechte Versorgung, sehr schwere körperliche Arbeit – so diszipliniert, wie das die Propaganda suggerierte. Daher entstand am Westwall relativ früh ein polizeiliches Überwachungs- und Strafsystem, mit dem die Arbeiter diszipliniert wurden. Die „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo, in die Arbeiter über mehrere Wochen unter Bedingungen, welche den Konzentrationslagern ähnlich waren, inhaftiert wurden, sind im Kontext des Westwallbaus entstanden.19 Der Zwangs-charakter der Arbeitsverhältnisse blieb auch nach der ersten Bauphase erhalten und wurde im Laufe des Krieges weiter verschärft. So wurden zum Beispiel 1940/41 Kriegsgefangene des Stalag Arnoldsweiler bei der Desarmierung des nun militärisch nicht mehr notwendigen Westwalls eingesetzt. In diesen Kontext gehört auch die Zwangsrekrutierung von Frauen, älteren Männern, Jugendlichen

18 Vgl. etwa die Lokalstudie von Walter Hanf, Westwallbau und Dorfalltag, in: Nationalsozialis-mus im Kreis Euskirchen, hg. vom Geschichtsverein des Kreises Euskirchen e. V., 20 (2006), Band 2, S. 801–843.

19 Vgl. Gabriele Lotfi, KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart/Mün-chen 2000, S. 58–69; Uwe Bader, Beate Welter, Das SS-Sonderlager/KZ Hinzert, in: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, hg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel, Bd. 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme, München 2007, S. 17–42.

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und ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern zum Schanzen am Westwall in den letzten Kriegsmonaten.

Achtens: Die Bauarbeiten am Westwall bedeuteten einen tiefen und bis heute nachwirkenden Eingriff in die Landschaft. Ökologisch gesehen war der Bau eine Katastrophe, angefangen bei den Abholzungen über die Zerschneidung von Ländereien bis hin zu einer völligen Überformung alter Kulturlandschaften mit Betonbauten. Dieser damalige Eingriff bedarf ebenfalls einer genaueren Betrach-tung, zumal die Linie des Westwalls heute vom Naturschutz als ökologische Nische gepriesen wird.20

Neuntens: Auch am Westwall waren die militärischen Ziele des nationalsozia-listischen Regimes eng mit den bevölkerungspolitischen Zielen verbunden, die auf einer „Aufartung“ der „arischen“ Bevölkerung bei gleichzeitiger „Ausmerze“ der „minderwertigen“ und „fremdrassigen“ Bevölkerung basierten. Die am Westwall gelegenen Regionen waren in eine ländliche Strukturpolitik einbezogen, mit der bestimmte so genannte Notstandsgebiete – also Gebiete mit unterdurchschnittli-cher Bevölkerungsdichte, schlechten Erwerbsmöglichkeiten, zersplitterten und unrentablen Kleinbetrieben – durch Bevölkerungsaustausch aufgelöst werden sollten.21 Dies geschah in mehrere Richtungen: durch Ansiedlung von Bauern aus den Grenzregionen im eroberten Osten, durch Bildung von neuen Siedlungen und durch Umsiedlung von den Bevölkerungsanteilen, die dem Westwallbau zu weichen hatten. Von dieser Bevölkerungspolitik waren viele Menschen in der Region betroffen. Besonders traf es aber diejenigen, die nicht zur nationalsozia-listischen „Volksgemeinschaft“ zählten. Vor allem die jüdische Bevölkerung der Regionen am Westwall wurde zur Migration gezwungen beziehungsweise schon mit Kriegsbeginn in Deportationen einbezogen. Die Militarisierung am Westwall bedeutete auch, dass der Emigrationsweg für jüdische Flüchtlinge im Westen abgeschnitten wurde.22

20 Vgl. etwa den Slogan vom „Grünen Wall im Westen“, mit dem der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) seit mehreren Jahren für den Erhalt des Westwalls als öko-logischer Nische wirbt, vgl. http://gwiw.bund-rlp.de/(letzter Aufruf: 10.9.2012).

21 Vgl. Andreas Dix, Der Westwall im Rahmen von Raumplanung und Strukturpolitik in der NS-Zeit, in: Fings/Möller (wie Anm. 8), S. 59–66.

22 Hunderte jüdischer Flüchtlinge waren im Sommer und Herbst 1938 dabei gescheitert, die wegen des Westwallbaus stark bewachte Westgrenze in die Niederlande oder nach Belgien zu überqueren. Sie wurden in grenznahen Gefängnissen inhaftiert, von wo aus sie in das Konzentrationslager Dachau deportiert werden sollten. Dank eines Kölner jüdischen Hilfsver-eins erhielten rund 1.000 von ihnen Pässe und Fahrkarten, mit denen ihnen die Flucht in die Schweiz gelang. Die Schweiz, durch die Fluchtbewegung von Juden aus Österreich seit dem „Anschluss“ Österreichs ohnehin unter Druck, war nicht an einem weiteren Zuzug jüdischer Flüchtlinge interessiert, und vereinbarte mit der deutschen Regierung, dass die Pässe von Juden mit einem eingestempelten „J“ gekennzeichnet wurden. Damit wurden die Fluchtmög-

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Zehntens: Die militärische Bedeutung des Westwalls wird meist überhöht, wobei paradoxerweise das reale Kriegsgeschehen weitgehend ausgeblendet wird. Bezüglich der Kriegführung am Westwall sind mehrere Phasen zu unter-scheiden. 1939 und 1940 wirkte der Westwall vor allem als eine psychologische Waffe: Seine Existenz hatte die Briten und Franzosen tatsächlich abgeschreckt, militärisch einzugreifen, nachdem das Deutsche Reich am 1. September 1939 Polen überfallen hatte. Der bei Kriegsbeginn noch nicht fertig gestellte Westwall wurde nach dem Einmarsch in Frankreich und den Beneluxländern desarmiert und in der Folgezeit mit nur wenigen Soldaten besetzt. 1944 folgte dann eine hektische und allenfalls provisorische Instandsetzung, der Mythos vom Westwall wirkte dennoch. Die Alliierten zögerten mit ihrem Vormarsch an der Westgrenze, und die deutschen, aus dem Westen zurückkehrenden Soldaten fühlten sich psy-chologisch gestärkt, als sie die Linie des Westwalls erreichten.23 Die Folge war ein monatelanger, überaus grausamer und für beide Seiten verlustreicher Krieg, der auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zog. Direkt am Westwall wur-den Ortschaften zerbombt und verwüstet, die Bevölkerung aus ihren Dörfern vertrieben, Kinder und Jugendliche an der Front regelrecht verheizt. Aber auch im Reich selbst führte die erneut propagandistisch überhöhte Abwehrschlacht der deutschen Soldaten im Westen dazu, dass Hunderttausende ihr Leben las-sen mussten. Die Alliierten flogen nochmals schwere Bombenangriffe, um die militärische Niederlage des Deutschen Reiches zu erzwingen. Währenddessen trieben SS-Mannschaften Hunderttausende von KZ-Häftlingen auf „Todesmär-sche“, mordeten Gestapoangehörige systematisch ihre Gefangenen. Viele von ihnen wären am Leben geblieben, wenn der Vormarsch der Amerikaner, Briten und Kanadier nicht ein halbes Jahr lang im Westen aufgehalten worden wäre.

„Wildes Gedenken“ entlang des Westwalls

Betrachtet man den Westwall in seinen Kontexten, also als „Ganzes“, so bleibt wenig von dem mythischen, faszinierenden Gehalt übrig, der heute noch eine starke Anziehungskraft auszuüben scheint. Stattdessen zeigt sich die ganze Grau-samkeit eines Staates, dessen aggressiver Nationalismus und Rassismus ein ver-

lichkeiten für die im Reich lebenden Juden nochmals erheblich erschwert. Vgl. Zvi Asaria (Hg.), Die Juden in Köln. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Köln 1959, S. 344–348; Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (Hg.), Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, Bd. 17, Zwischenbericht von 1999, S. 75–88, vgl. http://www.uek.ch/de/index.htm (letzter Aufruf: 12.9.2012).

23 Christoph Rass spricht von dem Westwall als einer „Korsettstange“ für die militärischen Ope-rationen im Westen, vgl. Rass, Bedeutung des Westwalls (wie Anm. 10), S. 56.

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branntes Europa hinterließ. Wie ist demgegenüber das Geschichtsbild, das in den meist von sogenannten Westwall- oder Festungsforschern betriebenen West-wallmuseen präsentiert wird, einzuschätzen?24 Meist stehen die Mythen über den Westwall (seine Unbezwingbarkeit, die übermenschliche Bauleistung, die Größe der Bauwerke etc.) im Vordergrund. Die Präsentation des Themas geht nicht in die Breite, sondern folgt einem Tunnelblick: Die Rezeption ist fast ausschließlich auf die Baugeschichte (einzelne Bauphasen, Bautätigkeit, Beschreibung der Anla-gen und Typen) und die militärtechnische Ausstattung begrenzt, als zweites wird die militärische Bedeutung des Westwalls betrachtet. Sehr oft kommt das Wort „Nationalsozialismus“ in den beigegebenen Erklärungen überhaupt nicht vor, der Westwall wird also seines historischen Kontextes „entkleidet“. Stattdessen wer-den gefährliche Subtexte transportiert, etwa der, dass der Bau notwendig gewesen sei, um sich vor einem drohenden Angriff Frankreichs zu schützen. Gerne wird auch die „Kameradschaft“ der am Westwall aktiv gewesenen Männer glorifiziert und eine Gemeinschaft beschworen, die schon zur damaligen Zeit lediglich ein Propagandabild war, das mit der harten Realität nicht viel gemein hatte. Sofern das Kriegsgeschehen 1944/45 betrachtet wird, stehen taktische Überlegungen und die Schicksals- und Opfergemeinschaft der deutschen Soldaten und der Zivilbe-völkerung im Vordergrund.

Typische Beispiele für diese Art der heroisierenden Geschichtsdarstellung sind das Westwallmuseum in Bad Bergzabern, die Hohlganganlage Gerstfeldhöhe bei Pirmasens und das Panzerwerk Katzenkopf bei Irrel. Problematisch an dieser Art von Museen ist, dass sie unter der seriösen Marke „Museum“ die Geschichte des Nationalsozialismus verkürzen, verharmlosen, verklären und sogar verherrlichen. Dieser Effekt wird oft noch nicht einmal durch explizite Darstellungen erzielt, sondern es sind im Gegenteil die inszenatorischen Mittel, die einen bestimmten Gesamteindruck evozieren.25 Die Anlagen selbst werden meist sehr detailgetreu in ihren vermeintlichen Ursprungszustand zurückgebaut und als funktionstüchtige Stellungen re-inszeniert. Die verschiedenen Phasen der Nutzung und die sehr viel längere zivile Nachnutzung nach 1945 werden ausgeblendet. Als museale Objekte werden in erster Linie Waffen, Munition und anderes technisches Gerät zur Schau gestellt, deren Provenienz unklar bleibt und die dem historischen Ort meist nicht zugeordnet werden können. Hauptanliegen der Betreiber ist es nicht, bei den

24 Hierzu Frank Möller, Die Enthistorisierung des Westwalls. Vom mythisch überhöhten Schutzwall zum bewundernswerten Zeugnis deutscher Ingenieurskunst, in: Fings/Möller (wie Anm. 8), S. 23–36; Eberhard Elfert, Der Westwall zwischen „Wildem Gedenken“ und verant-wortungsvollem Umgang, in: Ebd., S. 109–114; Karola Fings, Der Westwall als Mahnmal? Kritische Anmerkungen zur derzeitigen Musealisierungspraxis, in: Ebd., S. 115–122.

25 Vgl. die reich bebilderte Analyse bei Möller, Enthistorisierung des Westwalls (wie Anm. 24), S. 29–36.

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Besucherinnen und Besuchern eine kritische Distanz hervorzurufen und damit zur Reflektion anzuregen, vielmehr soll eine „Einfühlung“ ermöglicht werden, die bis zur Identifikation reicht: man sieht aufwändig gestaltete Modelle von Gefechts-szenen, Dioramen mit uniformierten Schaufensterpuppen sorgen für Atmosphäre.

Erfährt schon allein durch die kontextlose Überrepräsentation von Militaria der Zweite Weltkrieg eine Entkleidung seiner historischen Dimension, so leistet der sinnstiftende Bezug auf damalige Militäreinheiten sein übriges. Im Panzer-werk Katzenkopf beispielsweise ist eine Gedenkstätte für das Düsseldorfer 39er Regiment gestaltet, mit dem einer Einheit, die von „Deutsch-Südwest“ bis nach Osteuropa eine Spur der Vernichtung hinterlassen hat, ein Denkmal gesetzt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Orte der Heldenverehrung von Verbre-chern und einem verbrecherischen Regime auch, so in Bad Bergzabern, von Ein-heiten der Bundeswehr aktiv für „lehrgeschichtliche Veranstaltungen“ genutzt werden. Dass Soldaten der Bundeswehr sich in die Tradition der Wehrmacht stellen, widerspricht dem Leitbild der Bundeswehr. Die Annahme, eine derartige

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Traditionspflege sei spätestens seit der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ wirksam tabuisiert,26 wird in zahlreichen Westwallmuseen widerlegt.

Als „wildes Gedenken“ haben Stephan Porombka und Hilmar Schmundt Prak-tiken charakterisiert, die an Orten nationalsozialistischer Selbstinszenierung – den so genannten Täterorten – Mythen und Erinnerungen tradieren, die in der offiziellen Gedenkkultur nicht repräsentiert sind.27 „Wildes Gedenken“ besetzt Leerstellen des offiziellen Diskurses und betreibt, in Anlehnung an den Begriff des „Wilden Denkens“ bei Claude Lévi-Strauss, eine „vorwissenschaftliche Sinnstiftung“.28 Es liegt auf der Hand, dass die Art der Sinnstiftung, die in vielen Westwall-Museen betrieben wird, dem Gründungskonsens der Bundesrepublik widerspricht. Professionelles und zivilgesellschaftliches Engagement wäre daher notwendig, um einen Perspektivwechsel am ehemaligen „Westwall“ herbeizu-führen.

Wie aber kann der augenscheinliche Widerspruch zwischen Fachwissenschaft und Amateuren aufgelöst, wie kann ein Dialog hergestellt werden? Immerhin gibt es zwei Beispiele, die zeigen, wie durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit von Westwall-Aktivisten und öffentlicher Hand Projekte qualitätvoll entwickelt werden können. In dem einen Fall, dem B-Werk Besseringen im Saarland, hat die Stadt Merzig ein Rahmenkonzept etablieren können, mit dem die Anlage unter denkmalpflegerischen und historischen Aspekten restauriert wurde.29 In dem anderen Fall, dem „WestWallWeg“ in der Südpfalz, war es die Verbandsge-meinde Bad Bergzabern, die für Konzeption und Umsetzung die Verantwortung übernahm.30 Voraussetzung für eine derartige Konversion, so das Fazit aus diesen Praxisbeispielen, ist nicht nur eine Dialogbereitschaft auf beiden Seiten, sondern vor allem die Einsicht in die Notwendigkeit, verklärende Geschichtsbilder nicht zu tradieren, sondern mit ihnen zu brechen.

26 Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, Hamburg 1995; Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Vernichtungskrieg. Ver-brechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Ausstellungskatalog, Hamburg 1996.

27 Porombka/Schmundt (wie Anm. 2), S. 11 f.28 Elfert, Der Westwall (wie Anm. 24), S. 110.29 Vgl. Martina Malburg, Praxisbeispiel I: Das B-Werk Besseringen im Saarland, in: Ebd.,

S. 95–100. Neben dieser im Grundsatz positiven Entwicklung bleibt anzumerken, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung um die Engführung auf das Leid und die Verluste der Zivilbe-völkerung weiter zu leisten ist.

30 Vgl. Rolf Übel, Praxisbeispiel II: Der „WestWallWeg“ entlang des „Otterbachabschnitts“ in der Südpfalz, in: Ebd., S. 101–108.

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Der Hürtgenwald – eine ländliche Erinnerungsgemeinschaft

Einen Sonderfall der entlang des Westwalls gelegenen Museen stellt das Museum „Hürtgenwald 1944 und im Frieden“ dar. Thematischer Schwerpunkt sind die Kampfhandlungen im und um den Hürtgenwald, die von Mitte September 1944 bis Mitte Februar 1945 in dem Landstrich südlich von Aachen und Düren stattfan-den. Die „Schlacht um den Hürtgenwald“ gilt als die längste und verlustreichste Schlacht auf dem Boden des westlichen Reichsgebiets.31

Auf Grund der schweren Zerstörung der Dörfer und der Landschaft, den hohen Todes- und Verwundetenzahlen unter amerikanischen und deutschen Sol-daten sowie der Zivilbevölkerung32 blieb die Region weit über 1945 hinaus von diesem Kriegsereignis geprägt. Die Bergung von Leichen in den Wäldern von Hürtgen, die Räumung von Munition und der Wiederaufbau zogen sich über viele Jahre hin. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs wurde zum Fixpunkt der regionalen Identitätsbildung: 1969 schlossen sich die einstmals selbstständigen Gemeinden Bergstein, Brandenberg, Gey, Großhau, Hürtgen, Kleinhau und Straß als „Gemeinde Hürtgenwald“ zusammen, 1972 kam mit Vossenack ein weite-rer ehemaliger Schauplatz der Kämpfe von 1944/45 hinzu. Die Region gab sich damit, wohl einmalig in der Bundesrepublik, den Namen, den die amerikanischen Soldaten ihr gegeben hatten: „Hurtgen Forest“.33

Das Museum wird vom „Geschichtsverein Hürtgenwald e. V.“ betrieben und wurde offiziell am 15. September 2001 von Landrat Wolfgang Spelthahn und dem Bürgermeister von Vossenack, Axel Buch, eröffnet.34 Grundstock der Objekte, die im Museum präsentiert werden, ist eine Sammlung von Dokumenten und

31 Vgl. die kurze Zusammenfassung über Vorgeschichte und Verlauf bei Christoph Rass, Jens Lohmeier, René Rohrkamp, Der Hürtgenwald als Schauplatz massenhaften Tötens und Ster-bens, in: Geschichte in Köln, 56 (2009), S. 299–332, hier S. 302–310.

32 Die Anzahl der Todesopfer dieser Kampfhandlungen ist bis heute ungeklärt. Gesichert ist allerdings, dass die oft verbreitete Zahl von 68.000 toten Soldaten auf beiden Seiten deut-lich überhöht ist. Seriösere Schätzungen bewegen sich bei etwa 10.000 bis 12.000 getöteten US-Soldaten und etwa 13.000 getöteten deutschen Soldaten. Vgl. Ebd., S. 309. Eine seriöse Einschätzung dürfte von dem Forschungsprojekt zu erwarten sein, das die Konejung Stiftung: Kultur derzeit durchführt.

33 Vgl. die Darstellung auf der Internetseite der Gemeinde Hürtgenwald: http://www.huertgen-wald.de/de/tourismus-geschichte/entstehen-und-name-der-gemeinde-huertgenwald/ (letzter Aufruf: 16.9.2012).

34 Vgl. die Darstellung des ehemaligen Vorsitzenden des Geschichtsvereins, Leo Messenig, auf der Internetseite der Gemeinde Hürtgenwald: http://www.huertgenwald.de/de/kultur-bildung/museum-huertgenwald-1944-und-im-frieden/ (letzter Aufruf: 19.9.2012) und die Internetseite des Museums: http://www.museum-huertgenwald.de/ (letzter Aufruf: 19.9.2012), dort gibt es u. a. einen virtuellen Museumsrundgang.

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Militaria, die ein Privatmann aus der Region, Konrad Schall, seit Ende der 1950er Jahre zusammengetragen hatte. Die Sammlung wurde erstmals 1977 präsentiert und von 1984 bis 1992 in einer ehemaligen Scheune in Kleinhau als „Friedens-museum Hürtgenwald 1944“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Einen Teil der Sammlung erwarb die Gemeinde Hürtgenwald und stellte sie zusammen mit den Räumlichkeiten des Museums, zwei barackenartigen Pavillons, dem Geschichtsverein kostenlos zur Verfügung.

Mitglieder des Geschichtsvereins unterhalten das Museum in Vossenack ehrenamtlich und öffnen es von März bis November jeweils sonntags von 11.00 bis 17.00 Uhr. Die Sammlung wurde stetig durch weitere private Gaben erweitert, meist um Uniformen, Waffen, Orden, Ausweise, einige Alltagsge-genstände. Aber auch Gerätschaften zur Minenräumung, Bunkereinrichtungen, Modelle zum Westwall, ein Feuerwehrauto, Fundstücke aus der Jungsteinzeit und der Römerzeit wurden im Museum präsentiert. Aufgrund der Struktur der Sammlung und der Art der Präsentation – es werden vorwiegend Militaria und wie in den Westwall-Museen Dioramen und Schlachtenmodelle gezeigt – zieht das Hürtgenwald-Museum vor allem Militärtouristen an.35 Nach Angaben der

35 Florian Wöltering, 75 Jahre Kriegsende in räumlicher Perspektive. Ein standortübergreifendes, militärtouristisches Konzept für den Grenzraum Deutschland-Benelux, Magisterarbeit an der

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Betreiber werden pro Jahr rund 5.000 Besucher und Besucherinnen gezählt, seit der Eröffnung sollen es 60.000 gewesen sein, darunter 20.000 aus dem Ausland.

Dem kleinen Museum im Hürtgenwald würde hier nicht so viel Aufmerksam-keit gewidmet, wenn es nicht in den letzten Jahren eine intensive, doch bislang recht folgenlose Diskussion um das Geschichtsbild, das in diesem Museum trans-portiert wird, gegeben hätte. Als einer der ersten aus der Region wählte Achim Konejung, Autor, Dokumentarfilmer und Kabarettist, 2004 anlässlich des 60. Jah-restages der „Allerseelenschlacht“ im Hürtgenwald einen anderen Zugang zu der Geschichte des Hürtgenwaldes. Statt einer eindimensionalen Opfererzählung und einer Reduzierung auf die Schlachtengeschichte bot er in Exkursionen („Fahrt in die Vergangenheit“) und Führungen, mit einer Präsentation von Großfotos an den ehemaligen Originalschauplätzen, 2007 dann in einem viel beachteten Film und schließlich in Form eines „historisch-literarischen Wanderweges“ eine breite Kontextualisierung der Schlacht an. Auch setzte er mit einer Skulptur, die an eine amerikanisch-deutsche Feuerpause zur Bergung der Toten und Verwundeten im November 1944 erinnerte, einen Kontrapunkt zu der bis dahin gültigen Memori-alkultur in der Region.36

Erst im Zuge der Diskussion um die Musealisierungspraxis entlang des West-walls erregte das Museum Hürtgenwald auch die Aufmerksamkeit der Fachwis-senschaft.37 Das Museum wurde als eine „opulente Waffen- und Kleiderkam-mer der kriegführenden Armeen“ kritisiert, dessen Schau „weder erklären kann, warum wer den Krieg geführt hat“, noch „etwas über das Elend des Krieges und dessen Opfer erzählen“ könne.38 Im Mai 2009 fand auf Einladung der Gemeinde Hürtgenwald und in Kooperation mit dem Landschaftsverband Rheinland und der Konejung Stiftung: Kultur im Museum Hürtgenwald ein Fachgespräch statt. Dort referierten Peter Quadflieg (RWTH Aachen, Lehr und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte) und die Autorin unter anderem über Stan-dards in militärgeschichtlichen Museen und NS-Gedenkstätten und formulierten

RWTH Aachen, Geographisches Institut, 2010, S. 86 f. (Erscheint demnächst unter dem Titel „Das Echo des Krieges. Bestandsaufnahme und Konzeptentwicklung zum Kriegstourismus im Grenzraum Deutschland-Benelux.“).

36 Die Aktivitäten seit 2004 sind dokumentiert auf der Internetseite der Konejung Stiftung: Kul-tur, vgl. http://www.konejung-stiftung.de/ProjekteArchiv.htm (letzter Zugriff: 16.9.2012). Dort auch Hinweise auf die Filme „You enter Germany. Hürtgenwald – der lange Krieg am Westwall“ sowie „You enter Germany 2. Das Archivmaterial“ inklusive Wanderführer „His-torisch-literarischer Wanderweg Hürtgenwald 1938–1947“.

37 Vgl. Möller, Enthistorisierung des Westwalls (wie Anm. 24), S. 28–36; Rass, Lohmeier, Rohr-kamp (wie Anm. 31), S. 322–328.

38 Karola Fings, Rede anlässlich der Verleihung des Horst-Konejung-Preises am 14. Mai 2006 in Simonskall, vgl. http://www.konejung-stiftung.de/ProjekteArchiv.htm (letzter Zugriff 16.9.2012).

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bereits erste Vorschläge für eine Konversion des Hürtgenwald-Museums.39 In der Diskussion wurde deutlich, dass vor allem die im Geschichtsverein aktive Erleb-nisgeneration große Vorbehalte gegenüber der Fachwissenschaft hatte. Hinweisen auf die nicht zeitgemäße und konzeptionell nicht überzeugende Präsentation im Museum wurde mit der Aussage begegnet, dass den ehrenamtlich Engagierten die finanziellen Mittel und die fachlichen Ressourcen fehlten. Deutlich wurde in der Diskussion aber auch, dass die Ausstellung von einigen Bewohnerinnen und Bewohnern der Region wegen ihrer fragwürdigen Gesamtaussage abgelehnt wird. Vor allem Pädagogen und Pädagoginnen wünschten sich eine Neuausrichtung des Museums, damit es möglich wird, mit Schulklassen eine qualifizierte historische Ausstellung in ihrem unmittelbaren Umfeld aufsuchen zu können.

Im Sommer 2010 erarbeiteten Peter Quadflieg und die Autorin aus eigener Ini-tiative und als Angebot an den Geschichtsverein und die Gemeinde Hürtgenwald zusammen mit Studierenden der RWTH Aachen und der Universität zu Köln eine Bestandsaufnahme des Museums.40 Ziel der Lehrveranstaltung war es, anhand eines lokalen Beispiels die fachwissenschaftlichen und museumsdidaktischen Anforderungen an die Darstellung von Krieg und Kriegserfahrung in Museen zu erarbeiten und zugleich Anregungen für eine Neukonzeption des Museums und eine Neubearbeitung der vorhandenen Ausstellung zu geben. Untersucht wurden die Programmatik des Museums, das touristische Potenzial, die Ressourcen, die Organisationsstruktur sowie der Aufbau und die Navigation in der Ausstellung und die Präsentation der Exponate.

Als zentrales Problem wurde – neben vielen Einzelaspekten wie dem Umgang mit Symbolen der NS-Zeit oder die unzulängliche Beschriftung von Exponaten – die fehlende Konzeption für eine regionalgeschichtliche Präsentation des Themas „Hürtgenwald 1944 und im Frieden“ benannt. Es wurde empfohlen, zunächst eine Diskussion darüber zu führen, ob eine Neuausrichtung des Museums über-haupt gewünscht ist, was der erste Schritt für die Erarbeitung eines Leitbildes und eines darauf aufbauenden Ausstellungskonzeptes wäre. Als Anregung bot die Studie eine neue Strukturierung der Ausstellung mit sieben weiter ausdiffe-renzierten Themeneinheiten an, die geeignet sind, die Schlacht im Hürtgenwald 1944 angemessen zu kontextualisieren: 1) Geschichte des Museums und seiner

39 Vgl. Stephan Johnen, „Wissenschaftler: Museum Hürtgenwald entspricht nicht den Stan-dards“, in: Aachener Zeitung, 11. Mai 2009.

40 Karola Fings, Peter Quadflieg sowie Andreas Behnke, Ariane Breuer, Christian Ferreira, Andreas Krebs, Tanja Löwer, Frederik Marks, Imke Pannen, Christian Scherzenski, Dennis Stappen, Gerrit Wilken und Florian Wöltering, Das Museum „Hürtgenwald 1944 und im Frie-den“ in Hürtgenwald-Vossenack. Eine Bestandsaufnahme, Aachen und Köln im Juni 2010. Die reich bebilderte Studie ist zu finden unter http://de.wikipedia.org/wiki/Museum_Hürtgen-wald_1944 (letzter Zugriff 18.9.2012).

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Sammlung, 2) Die Nordeifel zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 3) Strukturpolitik und Kriegsvorbereitung in der Eifel 1933–1939, 4) Die Region im Krieg 1939–1944, 5) Kriegserlebnis September 1944 bis Februar 1945, 6) Nachkriegswir-kung, 7) Erinnerungsraum Hürtgenwald. Auch der Standort des Museums wurde in Frage gestellt und empfohlen, einen Ort zu wählen, der einen Ausblick in die historische Kriegslandschaft bietet, etwa in dem Bereich des Friedhofs in Vosse-nack. Als weitere Schritte wurden die Herauslösung nicht thematisch bezogener Ausstellungssegmente (wie die Artefakte zur Römerzeit), die strikte Trennung von Sammlung und Ausstellung sowie eine fachgerechte Inventarisierung der Sammlungsstücke angeraten.

Die Studie wurde im Sommer 2010 an den Geschichtsverein und die Gemeinde Hürtgenwald übergeben. Eine Rückmeldung auf die Ausführungen oder eine weitere Diskussion gab es nicht. Einige Anregungen griff der Verein auf und gestaltete die Ausstellung im Winter 2011/2012 teilweise um.41 Er „entrümpelte“ einige Ausstellungsräume und bemühte sich, den Ausstellungsrundgang thema-tisch klarer zu strukturieren, was als Fortschritt angesehen werden kann. Doch das Hauptproblem wurde nicht angegangen: Eine Neuausrichtung des Museums mit

41 Vgl. Stephan Johnen, „Museum ‚Hürtgenwald 1944‘ öffnet wieder seine Pforten“, in: Aache-ner Zeitung, 2.3.2012.

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einer umfassenden Perspektive auf das, was 1944/45 im Hürtgenwald geschah – die Ursachen, die Ereignisse, die Folgen.

„Tote Soldaten sind niemals allein“ – Affirmatives Heldengedenken statt Reflektion

Während auf nationaler und internationaler Ebene zahlreiche Militärmuseen sich mentalitäts-, kultur- und sozialgeschichtlichen Ansätzen geöffnet und ihre Museen in den vergangenen Jahren umgestaltet haben,42 verharrt man im Hürtgenwald in einer distanzlosen, unreflektierten und damit heroisierenden Sichtweise auf den Zweiten Weltkrieg. Diesen Gesamteindruck können alle in der Ausstellung oder auch in Faltblättern getroffenen Selbstaussagen des Vereins, man wolle zum Frie-den mahnen, nicht entkräften. Woran, so ist zu fragen, scheitern seit vielen Jahren alle Versuche, den Geschichtsverein und die Gemeinde Hürtgenwald zu einem Neuanfang zu bewegen? Eine Antwort hierauf geben neben der Ausstellung im Museum Hürtgenwald selbst weitere in der Region gelegene Erinnerungsstätten an den Zweiten Weltkrieg43 und die Praktiken des Gedenkens, die im Hürtgenwald seit Jahrzehnten gepflegt werden.

Zentraler Bezugspunkt der Gedenkpraxis im Hürtgenwald sind die „Wind-hunde“. Als „Windhunde“ bezeichneten sich die Angehörigen der 116. Panzer-division. Diese Division war hervorgegangen aus den Resten der seit 1941 in Jugoslawien, dann an der „Ostfront“ eingesetzten und im Frühjahr 1944 nach Frankreich verlegten 16. Infanterie-Division (mot.). Seit dem 12. September 1944 war die 116. Panzerdivision in Aachen, im Hürtgenwald und bei der Ardennenof-fensive aktiv, bis sie im April 1945 im so genannten Ruhrkessel kapitulierte.44 Ihren Namen und ihr Emblem – ein Windhund, der über eine stilisierte Steppe flieht – geht der Divisionslegende nach auf einen Hund zurück, der im Frühjahr 1943 der Einheit zugelaufen war und der seither als Maskottchen diente. For-

42 Vgl. hierzu grundlegend Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum (= Krieg in der Geschichte, Band 62, herausgegeben von Stig Förster, Bernhard R. Kroener, Bernd Wegner, Michael Werner), Paderborn u. a. 2010.

43 Vgl. die Aufstellung „Gedenken und mahnen in Hürtgenwald“ von Robert Hellwig (Geschichtsverein Hürtgenwald, derzeit 2. Vorsitzender), in: http://www.huertgenwald.de/de/tourismus-geschichte/huertgenwald-im-zweiten-weltkriegdenken-und-mahnen-in-huertgen-wald/(letzter Zugriff 19.9.2012) sowie Ders., Gedenken und Mahnen. Mahnmale im Hürt-genwald, Hürtgenwald 2007.

44 Vgl. Christoph Rass, René Rohrkamp, Peter M. Quadflieg, General Graf von Schwerin und das Kriegsende in Aachen. Ereignis, Mythos, Analyse. Aachen 2007, S. 22–27, 55–66. S. a. http://www.windhunddivision.de/(letzter Zugriff 18.9.2012).

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schungsarbeiten zur Geschichte dieser Division und damit eine Auseinanderset-zung mit der Frage, ob und in welchem Umfang deren Angehörige während des Zweiten Weltkrieges an Verbrechen beteiligt waren, liegen bis heute nicht vor.

Der Hürtgenwald hat sich seit den 1950er Jahren als zentrale Gedenkregion für die „Windhunde“ etabliert. Dieses Gedenken ist materiell verankert in der Aus-stellung im Museum Hürtgenwald, in einem Ehrenmal am Kriegsgräberfriedhof und in der Vossenacker Pfarrkirche. Die Gedenkpraxis, von der später noch die Rede sein wird, bezieht sich ausschließlich auf die während des Krieges getöteten Soldaten dieser Division. Nie ist mit einem einzigen Wort von den Menschen die Rede, die von Angehörigen dieser Division in West- und Osteuropa getötet wur-den. Im Museum selbst fallen zunächst mehrere Hinweistafeln mit dem Emblem der „Windhunde“ auf, die zu der am Ende der Ausstellung breit platzierten Prä-sentation der 116. Panzerdivision führen. Gleichsam als Höhepunkt werden hier Divisionslegende und -vermächtnis ausgebreitet. Die Darstellung enthält keine historisch-kritische Einordnung, sondern speist sich ausschließlich aus den höchst subjektiven, verkürzenden und verfälschenden Selbstzeugnissen von Angehöri-gen dieser Einheit. Im Museum werden unter anderem persönliche Memorabilia, von „Windhunden“ verfasste Divisionsgeschichten, Embleme, Fahnen und ähn-liches gezeigt. Zusammengestellt wurde sie von dem im März 2012 im Alter von 92 Jahren verstorbenen Kurt Wendt, der als Angehöriger der „Windhund“-Divi-sion das Emblem gestaltet hatte und nach 1945 mit seinen Publikationen die Sicht auf die „Windhunde“ maßgeblich prägte.45

Modell und Großfotografie einer lebensgroßen Skulptur, die das Zentrum des den „Windhunden“ gewidmeten Ehrenmals in Vossenack bildet, stimmen im Museum auf das Leid der Soldaten dieser Division und ihren angeblichen Opfermut ein. Dieser ans Sakrale grenzenden Einstimmung dient auch das Motto, das unter der Originalskulptur angebracht ist, und das hier großformatig und in Frakturschrift gezeigt wird: „Tote Soldaten sind niemals allein, denn immer werden treue Kameraden bei ihnen sein.“ Hinzu kommt eine geraffte, weiß auf signalrot gehaltene Divisionsgeschichte: „Die Waffen schweigen, doch die Verluste der Division sprechen für sich, die die Härte des Einsatzes aussagt (sic): In dem Zeitraum Jugoslawien 1941/Rußland 21.6.1941–Mai 1944/Frankreich Juni 1944 bis zum Ende im Ruhrkessel 16.4.1945 … Gesamtverlustzahl der 116. Panzer-Di-vision: 43.504.“

45 Vgl. http://home.arcor.de/axel.strube/html/kurt_wendt.html (letzter Zugriff 1.11.2012); Kurt Wendt (Hg.), Warum? Windhunde. Ein Bildband der 116. Panzer-Division, Ahrweiler 1976; Ders. (Hg.), Finale der Invasion. Bildband der 116. Panzer-Division, vormals 16. Panzer-Gre-nadier-Division, 16. Infanterie-Division (mot). Selbstverlag, Rellingen 1985.

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Einen breiten Raum nimmt die Dokumentation über das Ehrenmal für die „Windhunde“ in Vossenack ein.46 Danach pilgerten 1951 zum Volkstrauertag ehemalige Angehörige der 116. Panzer-Division zu dem vom Volksbund Deut-sche Kriegsgräberfürsorge angelegten Friedhof in Vossenack, der mit rund 2.300 Grabstätten für Wehrmachtsoldaten 1952 fertig gestellt wurde.47 Seitdem reisten jährlich immer mehr „Windhunde“ oder Witwen von „Windhunden“ mit ihren Angehörigen anlässlich des Volkstrauertages in den Hürtgenwald an. Sie orga-nisierten sich in dem „Familienverband der ehemaligen Angehörigen der Wind-hund-Division (116. Panzer-Division) e. V.“ und setzten sich für die Gestaltung von Erinnerungsstätten ein, die sich allmählich von einem Kirchenraum aus immer weiter in den öffentlichen Raum hinein erstreckten.

Der aktivste und einflussreichste Protagonist der „Windhunde“ vor Ort war Baptist Palm. Palm, 1924 in Vossenack geboren, war nach eigenen Angaben als junger Soldat bei den „Windhunden“ aktiv und mit diesen 1944 in seine Heimat

46 Sofern nicht anderes angegeben, beziehe ich mich auf die Exponate im „Museum Hürtgen-wald“.

47 Rass, Lohmeier, Rohrkamp (wie Anm. 31), S. 316. Demnächst auch Jens Lohmeier, „Ruhe in Frieden“. Erinnerungskultur an die Schlacht im Hürtgenwald und ihre Toten seit 1945, in: Christoph Rass und Peter M. Quadflieg: Kriegserfahrung im Grenzland. Deutsch-belgische Erfahrungen im 20. Jahrhundert (im Erscheinen begriffen). Grundlegende Forschungsarbeit leistete Jens Lohmeier mit seiner Magisterarbeit Totenruhe. Die Toten der Schlacht im Hürt-genwald, Magisterarbeit, RWTH Aachen 2008, 177 S.

Abb. 5: Blick in den „Windhund“-Bereich im Museum Hürtgenwald, 2012

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verlegt worden. Als Bürgermeister bzw. Ortsvorsteher in Vossenack (1961 bis 1994) trug er nicht nur maßgeblich zur Etablierung des Windhund-Gedenkens in der Region bei, sondern prägte mit seinen Veröffentlichungen auch die Sicht auf die Geschichte des Hürtgenwaldes.48 Baptist Palm dürfte ein Initiator des ersten Bausteins für die „Gedächtnisstätte der Windhund-Division“ gewesen sein, die eng mit der „Sühnekirche“ St. Peter in Vossenack verbunden ist. Der Divisions-legende nach wechselte die Kirche während der Kämpfe um den Hürtgenwald 30 Mal den Besitzer. Hier soll auch eine – nicht genannte – Anzahl Jugendlicher und Soldaten in den Kämpfen ums Leben gekommen sein. Der Familienverband der „Windhunde“ beteiligte sich durch Spenden an dem Wiederaufbau der Kirche. Man finanzierte die 1958 erworbene Glocke mit und spendete ein Kirchenfenster, das am Volkstrauertag 1961 eingeweiht wurde. Unter einem Lebensbaum ist ein Pelikan dargestellt, der seine Jungen mit seinem Blut speist, im unteren Bereich befindet sich das Windhund-Emblem. Der Tod der Soldaten der 116. Panzerdi-vision wird durch diese Symbolik mit dem Opfertod Christi gleichgesetzt. Unter dem Fenster ist ein Kreuz aufgebracht, unter dem wiederum drei Bronzetafeln folgende Inschrift tragen: „Der Tod ist das Fenster zum Leben. – Dieses Fenster wurde gestiftet von den ehem. Angehörigen der Windhund-Division/116. Pan-zer- vormals 16. Panz.-Grenadier u. 16. Inf.-Division mot./Zum Gedenken an ihre Gefallenen und vermissten Kameraden in den Feldzügen in West- und Ost-europa. – Möge ihr Opfertod die Überlebenden hier an geheiligter Stätte wo im Herbst 1944 Soldaten der Windhund-Division kämpften und starben, zum Frieden mahnen.“ Diese Opfererzählung wird bildlich und textlich auf der Kirchenpforte weitererzählt. Ein Bronzerelief zeigt „den Zug der Erlösten und der Verworfe-nen“, darüber ist der Drachen tötende St. Michael zu sehen. Die Inschrift lautet: „Zum Gedenken an die 68.000 deutschen und amerikanischen Opfer der Schlach-ten in der Umgebung von Vossenack.“ Die – nachweislich falsche – Zahl prangt nach wie vor ebenso unkommentiert an der Kirchentür wie sie in der Ausstellung in den Materialien zur 116. Panzer-Division als Tatsache wiedergegeben wird.49

Unter Palms Ägide entstand schließlich auch die unmittelbar neben dem öffentlichen Kriegsgräberfriedhof von Vossenack im Jahr 1966 eingeweihte „Windhund“-Ehrenanlage. Sie besteht aus einem von einer flachen Mauer umfrie-deten Rasengrundstück mit einem metallenen, von einem „Windhund“-Emblem gezierten Zugangstor. Neben dem Tor ist rechts und links in Stein gemeißelt zu lesen: „Mahnmal der Windhund-Division. Tritt ein mit Ehrfurcht vor dem

48 Vgl. Baptist Palm, Hürtgenwald – Das Verdun des Zweiten Weltkrieges, Oldenburg 1953; Ders., Vossenack zwischen 1945 und 1950, in: Das Monschauer Land. Jahrbuch 1973, S. 114–120, hier S. 117. Für den Hinweis danke ich Achim Konejung.

49 Zu den Opferzahlen vgl. Fußnote 32.

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Opfertod der Soldaten aller Nationen, die im Hürtgenwald starben.“ und „Möge diese Gedenkstätte hier wo im Herbst 1944 Soldaten der Windhund-Division 16. rhein-westf. Inf. Div. 16. Inf. Division (mot.) 16. Panzer-Grenadier-Division 116. Panzer-Division kämpften und starben die Welt zum Frieden mahnen.“50 Im hinteren Bereich des Grundstücks steht auf einem Sockel die bereits erwähnte Skulptur. Sie stellt einen Soldaten dar, der einen weiteren – verwundeten, wie tot erscheinenden – Soldaten hält. Gestaltet hat die Skulptur Annemarie Suckow von Heydendorff (1912–2007), eine in Vertriebenenkreisen hoch angesehene Künst-lerin, finanziert wurde sie vom Familienverband der „Windhunde“.

Die Eröffnung des Windhund-Ehrenmals fand am Volkstrauertag 1966, dem 13. November, unter großer Anteilnahme sowohl ehemaliger Angehöriger der 116. Panzerdivision und deren Familien als auch lokaler und regionaler Politiker und Würdenträger sowie der ortsansässigen Bevölkerung statt.51 Vor einer Kulisse von 1.500 Menschen positionierte sich der Ehrenzug der Heeresunteroffizier-

50 Diese Tafeln wurden vermutlich erst später angebracht. In der im Museum gezeigten Grün-dungsurkunde vom 13. November 1966 heißt der Widmungsspruch. „Zum Gedenken an ihre gefallenen und vermißten Kameraden in den Feldzügen in West- und Osteuropa 1939–1945. Möge ihr Opfertod die Nachwelt hier an dieser Stätte, wo im Herbst 1944 Soldaten der ‚Wind-hund-Division‘ kämpften und starben, zum Frieden mahnen.“

51 Die Einweihung ist auf einer Tafel in der Ausstellung im Museum Hürtgenwald dokumentiert. Alle folgenden Zitate sind daraus entnommen.

Abb. 6: Die Gedenkanlage der „Windhunde“ in Vossenack, 2012

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schule II aus Aachen links vom Ehrenmahl. Rechts versammelten sich neben dem Knappenchor Eschweiler die Ehrengäste, darunter der Regierungspräsident Hubert Schmitt-Degenhardt aus Aachen, der Oberkreisdirektor Georg Stieler aus dem Kreis Monschau, der Dürener Oberbürgermeister Dr. Heinz Kotthaus, Pfarrer Matthias Hegger von St. Josef (bereits ausgezeichnet mit der Goldenen Windhundnadel), die Bildhauerin Dr. Annemarie Suckow von Heydendorff, Bür-germeister Baptist Palm und der ehemalige Divisionskommandant Gerhard Graf von Schwerin. Weitere Abordnungen verschiedener Soldatenverbände, u. a. der 6. Panzer-Division, Ehrenposten des Wachbataillons Siegburg, viele Offiziere der Bundeswehr und ehemalige Generäle gaben dem Geschehen einen militärischen Glanz.

Musikalisch umrahmt (das „Gebet“ von Händel, „Ich bete an die Macht der Liebe“, „Der gute Kamerad“, „Zapfenstreich der Infanterie“) folgte eine Reihe von Ansprachen. Der 1. Vorsitzende des Familienverbandes, „Kamerad“ Johan-nes Puppe, lobte die Verwirklichung des Ehrenmals mit den Worten: „Das, was wir da draußen im Felde an den Fronten in Nord und Süd, in Ost und West, so oftmals beschworen: Die Treue über das Grab hinaus, mag hier ihr äußeres Zeichen für die Welt finden. Sie mag wohltuend wissen, dass die Toten mit uns Lebenden verbunden sind.“ So, als ob er die Ehrerbietung für eine Einheit der NS-Wehrmacht legitimieren wollte, schrieb Puppe – wie im übrigen alle ande-ren Redner auch – dem Denkmal Frieden stiftenden Charakter zu: „Es lebe ein friedliebendes Deutschland, unser Vaterland. Es lebe Europa in einer Welt von Frieden und Freiheit.“

Als vorläufiger Höhepunkt folgte die Ansprache des „Familienvater“ genann-ten ehemaligen Generals der 116. Panzerdivision, Gerhard Graf von Schwerin. Er hob auf den Widmungstext unterhalb der Skulptur ab („Tote Soldaten sind niemals allein …“) und würdigte sie als Symbol der soldatischen Kameradschaft, Treue und Opferbereitschaft. Denn es gehe nicht um kriegerischen Ruhm und Ehre, sondern um die „innere Größe des Menschen in seiner Bereitschaft zur Pflichterfüllung bis zum Äußersten und bis zum Einsatz des eigenen Lebens“. Es oblag Baptist Palm, die Skulptur zu enthüllen. Im Anschluss beteten die Pfarrer Hegger und Alleweldt52.

Der Regierungspräsident von Aachen, zugleich als Vertreter der Landesre-gierung von Nordrhein-Westfalen zugegen, brachte seine Verbundenheit mit den „Windhunden“ folgendermaßen zum Ausdruck: „… Wir alle in diesem Raum füh-len uns den Truppenteilen, die hier gekämpft, gelitten und geblutet haben, beson-ders verbunden. Sie haben unsere Landschaft schützen wollen und alle Tapferkeit, die Menschen zumutbar ist, aufgebracht, ihre Pflicht zu erfüllen. Deshalb gebührt

52 Vermutl. Dieter Alleweldt, evangelischer Pfarrer in Monschau.

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ihnen ein immerwährendes ehrendes Gedenken.“ Die „Windhunde“ hätten sich auch durch ihren Beitrag zum Aufbau der Kirche in Vossenack „ein gewisses Hei-matrecht erworben“. Aachens Oberbürgermeister Hermann Heusch erinnerte an die „mutige Konsequenz und das menschliche Verhalten“ Schwerins, der – erneut eine Divisionslegende53 – nicht dem Befehl nachgekommen sei, Aachen bis zum letzten Stein zu verteidigen. „Aachen habe nicht nur ein Straße nach ihm benannt, sondern trage ihn und seine Windhunde im Herzen“, soll er ausgeführt haben.

Danach ging es zur Gebetsstunde in die „Sühnekirche“, wo Pfarrer Hegger nochmals die Verbundenheit mit den „Windhunden“ in der Region als genera-tionenübergreifendes Projekt beschrieb: „Diese Toten sind auf dem Acker der Pflicht gefallen und gestorben – und wir stehen jetzt auf ihren Schultern – wir dürfen weiterbauen an dem, was sie begonnen.“ Nach dem Gebet „Für Volk und Vaterland“ und dem Lied „Lobet den Herrn“ versammelte man sich „bei einer kräftigen Erbsensuppe“ im Saale zu Vossenack, wo Schwerin Bürgermeister Palm für seine Verdienste um die Errichtung des Ehrenmals mit der „Goldenen Wind-hundnadel“ auszeichnete.

Man wird, trotz aller Friedensfloskeln, die damals wie heute in die jeweiligen Reden einfließen, nicht umhin kommen, diese Form der „Gefallenenfeier“ als ein affirmatives, also die Toten und ihre Taten positiv besetzendes Heldengedenken zu bezeichnen. Seit 1966 fand jeweils am Volkstrauertag eine Feier mit dem „Famili-enverband“ statt, bis dieser auf einen zweiten Termin im Herbst auswich.54 Doch bis heute wird das Heldengedenken der „Windhunde“ getragen von lokalen und regionalen Politikern – also von Repräsentanten der demokratischen Bundesrepu-blik –, von den Pfarreien, von Verbänden der Bundeswehr, dem Geschichtsverein Hürtgenwald und von einem guten Teil der Bevölkerung.55 Auch 2012 fand die „Mahn- und Gedenkfeier ‚Windhunde mahnen zum Frieden‘“ am Vossenacker Ehrenmal statt, und wie seit 1966 üblich, ging es im Anschluss zum Gedenkgot-tesdienst in die Kirche St. Josef, danach gab es Erbsensuppe im Dorfgemein-schaftshaus Vossenack.56 Das Erbe der „Windhunde“ wurde bis zum heutigen Tag von Generation zu Generation in die Region hinein übertragen. Verantwortlich

53 Vgl. Rass, Rohrkamp, Quadflieg (wie Anm. 44); Diess., Ein „Kampfkommandant der Menschlichkeit“? Gerhard Graf von Schwerin im kommunikativen Gedächtnis Aachens, in: Geschichte im Westen, 24 (2009), S. 99–134.

54 Rass, Lohmeier, Rohrkamp (wie Anm. 31), S. 326 f.55 Vgl. den Bericht über die Feier 2009: „Was bleibt, ist großes Leid und verbrannte Erde“, in:

Aachener Nachrichten, Lokalteil Düren, 12.10.2009; Bericht über die Feier 2010: „Wind-hund-Division gedenkt der Opfer des Zweiten Weltkrieges“, in: Aachener Zeitung, Lokalteil Düren, 12.10.2010.

56 Vgl. die Ankündigung auf http://www.rurweb.de/termine/detail.html?termin=10512 (letzter Zugriff 19.9.2012).

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für die Veranstaltung zeichnet nicht mehr der „Familienverband“, sondern seit dem Jahr 2000 der Verein „Windhunde mahnen zum Frieden e. V.“. Ansprech-partner für die Veranstaltung am 14. Oktober 2012 war die Gemeinde Hürtgen-wald. In dieser Konstellation ist Helmut Rösseler eine der Schlüsselfiguren: Er ist Vorsitzender des „Windhund“-Vereins, seit vielen Jahren im Geschichtsverein Hürtgenwald aktiv und derzeit dessen Museumsbeauftragter. Rösseler ist zudem stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald. In dieser Funktion vertrat er auf der Gedenkfeier 2012 den in Urlaub befindlichen Bürgermeister Axel Buch. Die Institutionalisierung der „Windhund“-Tradition ganz unmittelbar in der Gemeinde Hürtgenwald lässt erkennen, wie stark diese Traditionspflege – vergleichbar etwa mit dem über viele Jahrzehnte gepflegten Gedenken an die „Gebirgsjäger“ im bayerischen Mittenwald57 – vor Ort verwurzelt ist. In diesem Licht wird deutlich, warum das Ehrenmal und das Ausstellungssegment zu den „Windhunden“ im „Museum Hürtgenwald“ als das eigentliche Kernstück des Museums so hartnäckig gegen jede Kritik verteidigt werden.58

Die Erinnerungslandschaft Hürtgenwald hat in den letzten Jahren auch des-halb einige Aufmerksamkeit erfahren, weil der Hürtgenwald ein Magnet für Ewiggestrige und Rechtsradikale geworden ist. Neben dem „Windhund“-Ehren-mal zieht der benachbarte Kriegsgräberfriedhof in Vossenack mit dem Grab von Generalfeldmarschall Walter Model, der seit dem 4. September 1944 als Ober-befehlshaber der Heeresgruppe B für die blutigen Abwehrschlachten im Westen verantwortlich war und in rechten Kreisen hoch verehrt wird, ein einschlägiges Publikum an.59 So veranstaltete die inzwischen verbotene „Kameradschaft Aache-ner Land“60 am 9. März 2008 eine Heldengedenkfeier am Friedhof in Vossenack, wo sie und die NPD Düren Kränze niederlegten. Im Internet wimmelt es von Erlebnisberichten von Westwall- und Schlachtfeld-Touristen im Hürtgenwald, die begeistert über die „Windhund“-Feiern berichten.“61

57 Vgl. Ralph Klein, Regina Mentner, Stephan Stracke, Mörder unterm Edelweiß. Dokumenta-tion des Hearings zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger, Köln 2004.

58 Helmut Rösseler lobte auf der Feier am 14.10.2012 nicht nur ausdrücklich die Arbeit Kurt Wendts, der sowohl die „Windhund“-Ausstellung im Hürtgenwald-Museum als auch die Frei-luft-Ausstellung am Ehrenmal verantwortet hat, sondern erklärte sie zu einem Vermächtnis, das es zu bewahren gilt. Vgl. Ansprache Von Helmut Rösseler auf der Veranstaltung am Ehren-mal der „Windhunde“ vom 14.10.2012, Mitschnitt, liegt der Verf. vor.

59 Rass, Lohmeier, Rohrkamp (wie Anm. 31), S. 325 f.; Hermann Weiß (Hg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 1999, S. 321.

60 Michael Klarmann, „‚Kameradschaft Aachener Land‘: Provokationen, Prügel, Propaganda“, in: Aachener Zeitung, 29.8.2012.

61 Vgl. http://www.team-bunkersachsen.de/pages/zeitzeugen-berichten/windhund-divisi-on-teil-1.php (letzter Zugriff: 8.3.2012).

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Im Juni 2008 wurde in Reaktion auf den Neonazi-Aufmarsch die Friedhofs-ordnung für die Ehrenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack von dem zuständi-gen Kreistag des Kreises Düren grundlegend geändert. Verboten sind seitdem Veranstaltungen, die „an Formen und Inhalte nationalsozialistischen Heldenge-denkens oder an Verlautbarungen des Oberkommandos der Wehrmacht oder an bestimmte kennzeichnende Gebräuche und Gepflogenheiten nationalsozialisti-scher Organisationen“ anknüpfen, oder Veranstaltungen, in denen das „Unrecht des Angriffskriegs, einer Gewaltherrschaft, von Völkermord, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder den Kriegsverbrechen auch nur teilweise geleug-net, gebilligt oder verharmlost wird“, oder in denen „die verantwortliche oder auch nur tatsächliche Mitwirkung an diesem Unrecht oder an der Aufrechter-haltung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft, auch nur in Ansehung soldatischer Leistungen, als ehrenhaft oder sonst vorbildlich dargestellt wird“.62 Keiner Erlaubnis bedürfen die Veranstaltungen des Kreises Düren, des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und des Vereins „Windhunde mah-nen zum Frieden“.

So vorbildlich diese Friedhofsordnung auch ausformuliert ist: Würden diese Ansprüche gleichfalls an die Ausstellung im Hürtgenwald-Museum und an die Freiluftausstellung, die nach Restaurierung und Überarbeitung 2008 auf der Anlage des „Windhund“-Ehrenmals angebracht wurde,63 gestellt, so müssten beide, wie es bereits die „Antifa Düren“ 2009 forderte, geschlossen werden.64 Generell ist zu fragen, ob nicht schon das „Windhund“-Ehrenmal den in der Friedhofsordnung formulierten Grundsätzen widerspricht – und ob es überhaupt in den öffentlichen Raum einer demokratisch verfassten Gesellschaft gehört. Auch widerspricht die Praxis, dass Bundeswehreinheiten regelmäßig an den „Windhund“-Feierlichkeiten beteiligt sind, dem Traditionserlass der Bundeswehr. Dieser nimmt eine klare Abgrenzung zur Wehrmacht vor. Außerdem sollen aus-drücklich nur solche „Zeugnisse, Haltungen und Erfahrungen aus der Geschichte“ bewahrt werden, die als „ethische und rechtsstaatliche, freiheitliche und demo-kratische Traditionen auch für unsere Zeit beispielhaft und erinnerungswürdig

62 Kreis Düren, Friedhofsordnung für die Ehrenfriedhöfe Hürtgen und Vossenack vom 23.6.2008, zu finden unter http://www.kreis-dueren.de/service/recht/ordnung/Friedhofsordnung.pdf (letz-ter Zugriff: 19.9.2012).

63 Vgl. die Kritik bei Rass, Lohmeier, Rohrkamp (wie Anm. 31), S. 324 f., und den Bericht von Eckart Spoo, Ehrfurcht und Ehrenschild, in: Ossietzky 15/2011, zu finden unter http://www.sopos.org/aufsaetze/4e479c669e090/1.phtml (letzter Zugriff 19.9.2012).

64 Vgl. „Antifa Düren fordert Schließung des Museums ‚Hürtgenwald 1944 und im Frieden‘“, Presseerklärung vom 14. Mai 2009, in: http://www.antifa-dueren.org/cms/presseerklaerungen/page_2.html (letzter Zugriff: 8.3.2012).

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sind“.65 Eine solch vorbildliche Tradition kann man der 116. Panzerdivision wohl kaum zusprechen. Umso fragwürdiger ist es, wenn an den „Windhund“-Feiern 2012 erneut eine starke Präsenz und Beteiligung von Bundeswehrangehörigen festzustellen ist: Angereist waren Soldaten des Lippischen Panzergrenadierbatail-lons 212, die Reservistenkameradschaft Hürtgenwald und Oberstleutnant Mario Cremer von der Offiziersschule Dresden.66

Dass es möglich ist, auch mehr als sechzig Jahre nach dem Ende des NS-Re-gimes aus einer unseligen Tradition herauszutreten, hat die Stadt Aachen gezeigt. Sie hat sich nach einer langen und erbittert geführten Kontroverse von einem ihrer ehemaligen Kriegshelden losgesagt. 2007 wurde in einem von ihr in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Gutachten der jahrzehntelange Mythos von Ger-hard Graf von Schwerin als dem „Retter von Aachen“ widerlegt.67 Die Debatte um Schwerin kreiste vor allem um die Frage, ob er überhaupt jemals beabsichtigt hatte, sich dem ergangenen Räumungsbefehl zu widersetzen, um die Zivilbevöl-kerung zu schützen. Entzündet hatte sie sich an der Hinrichtung von zwei 14jäh-rigen Jugendlichen: Karl Schwartz und Johann Herren waren am 13. September 1944 in Aachen von einem Schwerin unterstehenden Standgericht des zweiten Bataillons des Panzergrenadierregiments 156 aufgegriffen und wegen angebli-cher Plünderung erschossen worden.68 Am 22. August 2007 beschloss der Rat der Stadt Aachen, einer im Jahr 1963 nach Schwerin benannten Straße ihre alte Bezeichnung wiederzugeben.69

Fazit

Sowohl die Geschichte des „Westwalls“ als auch die Kriegserfahrungen, die im Westen des Deutschen Reiches gemacht wurden, haben in den letzten Jahren Eingang in Museen gefunden, die an originalen Schauplätzen oder in historischen Anlagen entstanden sind. Dieser Befund ist zunächst positiv zu bewerten, denn

65 Der Traditionserlass ist zu finden unter http://www.bundeswehr.de (unter „Grundlagen – Geschichte – Tradition“, letzter Zugriff 22.9.2012).

66 Vgl. die Ansprachen auf der Veranstaltung am Ehrenmal der „Windhunde“ vom 14.10.2012 (wie Fußnote 58). Soldaten der Bundeswehr organisieren außerdem im Umfeld der „Wind-hund“-Feiern den sogenannten „Hürtgenwaldmarsch“, der 2013 zum 30. Mal stattfinden wird, vgl. „29. Hürtgenwaldmarsch: Symbol der Versöhnung über den Gräbern“, in: Aachener Nach-richten online, 15.10.2012.

67 Vgl. Rass, Rohrkamp, Quadflieg (wie Anm. 44).68 Ebd., S. 55–60.69 Rass, Rohrkamp, Quadflieg, „Kampfkommandant der Menschlichkeit“? (wie Anm. 53),

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die Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort ist ein wesentlicher Baustein für die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein. Wirft man aber einen Blick hinter die Kulissen, stellt man fest, dass in vielen der Museen unkritische, rück-wärtsgewandte, wenn nicht revisionistische Geschichtsbilder gepflegt werden. Entlang des ehemaligen Westwalls hat sich heute eine Erinnerungskultur etabliert, die häufig nahtlos an die Erzählungen der Erlebnisgeneration anschließt. Über-reste und Zeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus werden als vermeint-lich authentische und damit „wahre“ Geschichte tradiert. Dabei werden Ziele und Motive der Akteure nicht kritisch hinterfragt, die Zufälligkeit der Exponate nicht reflektiert, Ereignisse nicht kontextualisiert und die Folgen des Handelns ausgeblendet. In dieser Binnenperspektive werden weder die Verbrechen wahr-genommen, die während des Nationalsozialismus und auch von Wehrmachtange-hörigen begangen wurden, noch gibt es einen Platz für die Gegner und Opfer des Regimes oder des rassistischen Vernichtungskrieges, noch für die Lebensrealität der Mehrheitsbevölkerung während der Jahre 1933 bis 1945.70 Konstruiert wird stattdessen eine generationenübergreifende Gemeinschaft, die sich positiv auf die vermeintlichen Tugenden von Akteuren aus der NS-Zeit – seien es Ingenieure oder Soldaten – bezieht: Leistungsbereitschaft, Tapferkeit, Mut, Opferbereit-schaft, Heldentod. In dieser Perspektive hat es den Bruch, den der 8. Mai 1945 markiert hat, nie gegeben.

Ein Perspektivwechsel und damit eine fachlich fundierte Neukonzeption von solchen Museen kann, das haben verschiedene Beispiele gezeigt, durch die pro-fessionelle Begleitung von öffentlichen Institutionen und der Fachwissenschaft herbeigeführt werden. Der Sonderfall Hürtgenwald zeigt indes, auf welchen Wegen sich eindimensionale Geschichtserzählungen in eine Region einschreiben und wie sie durch ritualisierte Gedenktraditionen über Generationen verinnerlicht werden. Eine Dekonstruktion dieser mythologisierenden Erzählungen bedürfte einer Intensivierung der Forschung – und einer öffentlichen Debatte.

70 Vollkommen unverständlich ist es, dass in einem Beitrag der vom Militärgeschichtlichen For-schungsamt herausgegebenen Militärgeschichtlichen Zeitschrift ausgerechnet dem Hürtgen-wald-Museum eine „innovatorische Leistung für eine zeitgemäße Erinnerungsgestaltung“ und eine „tragfähige Konzeption“ für die angeblich „bisher noch kaum in Angriff genommene Aufgabe einer musealen Kriegs- und Schlachterinnerung am Ort der Katastrophe in Deutsch-land“ zugesprochen wird. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Autor das Museum nie besucht hat. Vgl. Bernd Mütter, Späte Erinnerung am „Westwall“. Das Museum „Hürt-genwald 1944 und im Frieden“ – Eine Premiere in Westdeutschland, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 69 (2010), S. 295–301.

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