Erlesene - Corinne Holtz€¦ · Skandal:˜Edith Piaf heiratet den 20 Jahre jüngeren Sänger Théo...

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27. Oktober 2013 NZZ am Sonntag 25 NZZ am Sonntag 27. Oktober 2013 Sachbuch Matthias Franz, André Karger (Hrsg.): Scheiden tut weh. Elterliche Trennung aus Sicht der Väter und Jungen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 286 Seiten, Fr. 37.90. Von Walter Hollstein Dass eine Scheidung vielfältiges Leiden verursacht, ist kein neuer Befund. Was aber neu ist, ist der Tatbestand, dass in den letzten Jahren die Auswirkungen von Scheidung und Trennung zuneh- mend empirisch untersucht werden. Der 2. Wissenschaftliche Männerkongress an der Universität Düsseldorf hat sich im vergangenen Jahr der bisher vernachläs- sigten Frage angenommen, was Schei- dung im einzelnen für Väter und Jungen bedeutet. So erleben in Deutschland jährlich zirka 2oo ooo Kinder das Drama einer Trennung. Das Protokoll der Ta- gung liegt nun als ansehnliches Buch vor, das vor allem für die helfenden Berufe ebenso wie für die juristischen überaus nützlich sein dürfte. Besonders gravierend sind die Folgen für Buben. Ihnen fehlt mit dem Vater auch das Vorbild für die eigene Ge- schlechtsidentität. Das wiederum kann – auch noch in späten Jahren – zu Drogen- abhängigkeit, Gewaltverhalten oder De- pressionen führen. Jungen weisen nach der Trennung der Eltern häufiger Über- gewicht auf, rauchen mehr, konsumieren Genderforschung Wie neue Forschungen zeigen, leiden Buben besonders stark unter der Trennung ihrer Eltern Scheiden tut weh Jens Rosteck: Edith Piaf. Hymne an das Leben. Propyläen, Berlin 2013. 462 Seiten, Fr. 34.90, E-Book 30.–. Von Corinne Holtz Wer über Edith Piaf schreibt, dem ist bis heute Aufmerksamkeit sicher. Vor fünf- zig Jahren – am 10. Oktober 1963 – ver- starb die Ikone des französischen Chan- sons nach Tagen quälender Agonie im Hinterland von Cannes in der Nähe des Prominentendorfes Mougins und wurde in einer halsbrecherischen Fahrt über Nacht nach Paris gefahren. Einer ihrer Vertrauensärzte war auf ihre Anordnung hin vor Ort und erklärte seine ehemalige Patientin erst am Morgen des 11. Oktober für tot. Piaf kam in Paris zur Welt und wollte auch in der von ihr eroberten Stadt sterben. Piaf führte bis zum letzten Atemzug Regie und hatte sich immer wieder selbst «erfunden», ist ihr jüngster Biograf Jens Rosteck überzeugt. Der Publizist und Musikforscher ist der erste deutschspra- chige Autor, der sich an eine Lebens- beschreibung aus grösserer Distanz wagt und den 49 Piaf-Biografien eine 50. hin- zufügt. Das ist darum notwendig, weil die bisherigen Darstellungen die Lebens- leistung der Sängerin aussen vor lassen und stattdessen Legendenbildung be- treiben. Das gilt beispielhaft für Piafs Le- benserinnerungen, die sie laut Rosteck befreundeten Journalisten «in die Feder diktierte» und die sich wie Romane lesen. Tollkühn geht es auch in Simone Berteauts Piaf-Saga zu, in der die Freun- din und Akrobatin von den gemeinsa- men Auftritten in der Pariser Bohème und den Erfahrungen im Rotlichtviertel Pigalle erzählt. Als gesichert gilt Piafs Herkunft aus einer Artistenfamilie und eine Kindheit, die keine war. Dieses Kapitel überzeugt durch seine unsentimentale Darstellung und zählt in seiner psychologischen Klugheit zu den stärksten Passagen. Edith wuchs vernachlässigt von ihren El- tern bei der Grossmutter auf und war sich selber überlassen. Sie traf auf Armut und damit verbundene Folgen wie Un- terernährung und Vereinzelung, bekam «jeden Morgen die Flasche mit Rotwein», erduldete Hautkrankheiten und soll buchstäblich im letzten Moment von ihrem Vater gerettet worden sein. Louis Gassion zog als Schlangenmensch durch die Lande, trat im Zirkus auf und tingelte auf eigene Rechnung. Die Mutter Annet- ta Jacqueline, geborene Maillard, ver- kaufte auf Jahrmärkten Notriegel und schlug sich als Gelegenheitssängerin durch. Die Ehe zerbrach, kaum war Edith geboren. Jens Rosteck beschreibt die Stehauf- Konditionierung einer Frau, die es von der Gosse in die Carnegie Hall in New York geschafft hat und sich das Chanson auf eine ganz eigene Weise erschloss. Sie sang von einer versunkenen Welt, etwa von Matrosen und Legionären und immer wieder von der Projektion des idealen Mannes und von bedingungs- loser Liebe. Diese Themen nahmen sich neben dem Profil eines Elvis Presley oder der Beatles merkwürdig altmodisch aus, trafen jedoch in der musikalischen Um- setzung und deren Interpretation bis hin zur Selbstaufgabe den Nerv der Zeit. Edith Piaf kostete ohne Rücksicht auf ihre Stimme Grenzgebiete aus. Lange sang sie ohne direktes Mikrofon, stets in dem ihr eigenen ekstatischen Pathos, galt es doch, dem Publikum nach eigener Aussage alles zu geben. Der Hunger nach Anerkennung trieb sie an. Sie mutete sich in den 1950er Jahren bis zu vier Auf- tritte pro Tag zu, war alkohol- und dro- genabhängig und unterzog sich zahl- Chanson Die Sängerin Edith Piaf (1915–1963) kostete ihr kurzes Leben voll aus. Sie schuf sich ihre eigene Kunstform Von der Gosse in die Carnegie Hall häufiger gewohnheitsmässig illegale Drogen, haben mehr Schulprobleme und berichten häufiger über psychosomati- schen Schmerz. Sie haben mehr Verhal- tensprobleme, sind häufiger hyperaktiv, haben mehr Schwierigkeiten mit Gleich- altrigen und grössere Defizite in persona- len, familiären und sozialen Ressourcen als Jungen in Kernfamilien. Der Kongress hat sich nicht mit der Diagnose begnügt, sondern auch Forde- rungen erhoben, die das Trennungsleid zumindest lindern könnten. Dazu gehört unter anderem: • Um den Bedürfnissen aller Betroffenen eines Trennungskonfliktes gerecht zu werden, sind ideologiefreie Hilfen in staatlich finanzierten Konfliktberatungs- stellen für Männer, Frauen und Kinder notwendig. • Die politische Dimension der derzeiti- gen «Vaterentwertung» sollte in den Blick genommen werden. • In Schulen und Kindertageseinrich- tungen sollte eine Männerquote einge- führt werden • In behördlichen und gerichtlichen Ver- fahren muss eine geeignete Vertretung des betroffenen Kindes oder Jugendli- chen ermöglicht werden. Allgemein wird konstatiert, dass im Kontext von Trennung und Scheidung oft eine Benachteiligung von Vätern be- stehe – diese gelte es zu beheben. Walter Hollstein ist emeritierter Profes- sor für Soziologie und Männerforscher. losen Entziehungskuren. Gleichzeitig fesselte sie sich an die Überzeugung, «dass das Publikum das Recht hat, in die Intimität von Stars vor- und einzudrin- gen. Niemals darf man es in dieser Hin- sicht enttäuschen.» Dass die Abgründe ihrer Existenz hin- ter ihrer Lebensleistung sichtbar wer- den, ist das grösste Verdienst dieser neuen Biografie. Ihr letzter grosser Skandal: Edith Piaf heiratet den 20 Jahre jüngeren Sänger Théo Sarapo. Hier bei der Ziviltrauung am 9. Oktober 1962 in Paris. UPPA / PHOTOSHOOT R ipasso V alpoli cella Campo Bastigli a Gambe ro Ros so 20 13 als einzi ge sW ein- gut Italiensmit 2x3 Bicchieri ausge- zeichnet. Fr .1 r r 8.90 H ei d a A OC Ch Fr .1 r r 9. 50

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27. Oktober 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 2524 � NZZ am Sonntag � 27. Oktober 2013

Sachbuch

Matthias Franz, André Karger (Hrsg.): Scheiden tut weh. Elterliche Trennung aus Sicht der Väter und Jungen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 286 Seiten, Fr. 37.90.

Von Walter Hollstein

Dass eine Scheidung vielfältiges Leiden verursacht, ist kein neuer Befund. Was aber neu ist, ist der Tatbestand, dass in den letzten Jahren die Auswirkungen von Scheidung und Trennung zuneh-mend empirisch untersucht werden. Der 2. Wissenschaftliche Männerkongress an der Universität Düsseldorf hat sich im vergangenen Jahr der bisher vernachläs-

sigten Frage angenommen, was Schei-dung im einzelnen für Väter und Jungen bedeutet. So erleben in Deutschland jährlich zirka 2oo ooo Kinder das Drama einer Trennung. Das Protokoll der Ta-gung liegt nun als ansehnliches Buch vor, das vor allem für die helfenden Berufe ebenso wie für die juristischen überaus nützlich sein dürfte.

Besonders gravierend sind die Folgen für Buben. Ihnen fehlt mit dem Vater auch das Vorbild für die eigene Ge-schlechtsidentität. Das wiederum kann – auch noch in späten Jahren – zu Drogen-abhängigkeit, Gewaltverhalten oder De-pressionen führen. Jungen weisen nach der Trennung der Eltern häufiger Über-gewicht auf, rauchen mehr, konsumieren

Genderforschung Wie neue Forschungen zeigen, leiden Buben besonders stark unter der Trennung ihrer Eltern

Scheiden tut weh

Jens Rosteck: Edith Piaf. Hymne an das Leben. Propyläen, Berlin 2013.462 Seiten, Fr. 34.90, E-Book 30.–.

Von Corinne Holtz

Wer über Edith Piaf schreibt, dem ist bis heute Aufmerksamkeit sicher. Vor fünf-zig Jahren – am 10. Oktober 1963 – ver-starb die Ikone des französischen Chan-sons nach Tagen quälender Agonie im Hinterland von Cannes in der Nähe des Prominentendorfes Mougins und wurde in einer halsbrecherischen Fahrt über Nacht nach Paris gefahren. Einer ihrer Vertrauensärzte war auf ihre Anordnung hin vor Ort und erklärte seine ehemalige Patientin erst am Morgen des 11. Oktober für tot. Piaf kam in Paris zur Welt und wollte auch in der von ihr eroberten Stadt sterben.

Piaf führte bis zum letzten Atemzug Regie und hatte sich immer wieder selbst «erfunden», ist ihr jüngster Biograf Jens Rosteck überzeugt. Der Publizist und Musikforscher ist der erste deutschspra-chige Autor, der sich an eine Lebens-beschreibung aus grösserer Distanz wagt und den 49 Piaf-Biografien eine 50. hin-zufügt. Das ist darum notwendig, weil die bisherigen Darstellungen die Lebens-leistung der Sängerin aussen vor lassen und stattdessen Legendenbildung be-treiben. Das gilt beispielhaft für Piafs Le-benserinnerungen, die sie laut Rosteck befreundeten Journalisten «in die Feder diktierte» und die sich wie Romane lesen. Tollkühn geht es auch in Simone Berteauts Piaf-Saga zu, in der die Freun-din und Akrobatin von den gemeinsa-

men Auftritten in der Pariser Bohème und den Erfahrungen im Rotlichtviertel Pigalle erzählt.

Als gesichert gilt Piafs Herkunft aus einer Artistenfamilie und eine Kindheit, die keine war. Dieses Kapitel überzeugt durch seine unsentimentale Darstellung und zählt in seiner psychologischen Klugheit zu den stärksten Passagen. Edith wuchs vernachlässigt von ihren El-tern bei der Grossmutter auf und war sich selber überlassen. Sie traf auf Armut und damit verbundene Folgen wie Un-terernährung und Vereinzelung, bekam «jeden Morgen die Flasche mit Rotwein», erduldete Hautkrankheiten und soll buchstäblich im letzten Moment von ihrem Vater gerettet worden sein. Louis Gassion zog als Schlangenmensch durch die Lande, trat im Zirkus auf und tingelte auf eigene Rechnung. Die Mutter Annet-ta Jacqueline, geborene Maillard, ver-kaufte auf Jahrmärkten Notriegel und schlug sich als Gelegenheitssängerin durch. Die Ehe zerbrach, kaum war Edith geboren.

Jens Rosteck beschreibt die Stehauf-Konditionierung einer Frau, die es von der Gosse in die Carnegie Hall in New York geschafft hat und sich das Chanson auf eine ganz eigene Weise erschloss. Sie sang von einer versunkenen Welt, etwa von Matrosen und Legionären und immer wieder von der Projektion des idealen Mannes und von bedingungs-loser Liebe. Diese Themen nahmen sich neben dem Profil eines Elvis Presley oder der Beatles merkwürdig altmodisch aus, trafen jedoch in der musikalischen Um-setzung und deren Interpretation bis hin zur Selbstaufgabe den Nerv der Zeit.

Edith Piaf kostete ohne Rücksicht auf ihre Stimme Grenzgebiete aus. Lange sang sie ohne direktes Mikrofon, stets in dem ihr eigenen ekstatischen Pathos, galt es doch, dem Publikum nach eigener Aussage alles zu geben. Der Hunger nach Anerkennung trieb sie an. Sie mutete sich in den 1950er Jahren bis zu vier Auf-tritte pro Tag zu, war alkohol- und dro-genabhängig und unterzog sich zahl-

Chanson Die Sängerin Edith Piaf (1915–1963) kostete ihr kurzes Leben voll aus. Sie schuf sich ihre eigene Kunstform

Von der Gosse in die Carnegie Hall

häufiger gewohnheitsmässig illegale Drogen, haben mehr Schulprobleme und berichten häufiger über psychosomati-schen Schmerz. Sie haben mehr Verhal-tensprobleme, sind häufiger hyperaktiv, haben mehr Schwierigkeiten mit Gleich-altrigen und grössere Defizite in persona-len, familiären und sozialen Ressourcen als Jungen in Kernfamilien.

Der Kongress hat sich nicht mit der Diagnose begnügt, sondern auch Forde-rungen erhoben, die das Trennungsleid zumindest lindern könnten. Dazu gehört unter anderem:• Um den Bedürfnissen aller Betroffenen eines Trennungskonfliktes gerecht zu werden, sind ideologiefreie Hilfen in staatlich finanzierten Konfliktberatungs-

stellen für Männer, Frauen und Kinder notwendig.• Die politische Dimension der derzeiti-gen «Vaterentwertung» sollte in den Blick genommen werden.• In Schulen und Kindertageseinrich-tungen sollte eine Männerquote einge-führt werden• In behördlichen und gerichtlichen Ver-fahren muss eine geeignete Vertretung des betroffenen Kindes oder Jugendli-chen ermöglicht werden.

Allgemein wird konstatiert, dass im Kontext von Trennung und Scheidung oft eine Benachteiligung von Vätern be-stehe – diese gelte es zu beheben. �Walter Hollstein ist emeritierter Profes-sor für Soziologie und Männerforscher.

losen Entziehungskuren. Gleichzeitig fesselte sie sich an die Überzeugung, «dass das Publikum das Recht hat, in die Intimität von Stars vor- und einzudrin-gen. Niemals darf man es in dieser Hin-sicht enttäuschen.»

Dass die Abgründe ihrer Existenz hin-ter ihrer Lebensleistung sichtbar wer-den, ist das grösste Verdienst dieser neuen Biografie. �

Ihr letzter grosser Skandal: Edith Piaf heiratet den 20 Jahre jüngeren Sänger Théo Sarapo. Hier bei der Ziviltrauung am 9. Oktober 1962 in Paris.

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RipassoValpolicella

Campo

Bastiglia

ErleseneWeine …

ItalienVeneto

CorviCorvina,Rondinella,Corvinone

er GescGeschnhnetzetzelteeltes,chpfefferfefferfef und

Hartkäse

14–16°C

Die Familie Tessari produziert seit 130Jahren Wein, bei Soave im Veneto. DasWeingut hat sich ein hervorragendesRenomée im Weisswein erarbeitet. DieWeine zeichnen sich vor allem durchihre Eleganz und Trinkfreude aus. Die-selbe Trinkfreude findet man in denklassisch, traditionellen Rotweinen vonCa’Rugate. Der Ripasso Campo Bastigliaist ein sehr schönes Beispiel, wie sichKraft, Trinkfreude und Konzentration inperfekter Harmonie ergänzen.Das Weingut Ca’Rugate wurde imGambeGamberoro RosRossoso 20201313 alsals einzieinzigeges Ws Wein-ein-gut Italiens mit 2x3 Bicchieri ausge-zeichnet.

Fr. 1Fr. 1Fr 8.90

HeidaAO

CCh

ErleseneWeine …

SchweizWallis

HeidaAperitif oder alsBegleiter zuKrustentieren

10–12°C

Die Sorte Heida wird auch Païen oderSavagnin genannt und stammt vomTraminer ab. Sie gehört zum grossenkulturellen Schatz des Walliser Wein-baus und wird nur in homöopathischenMengen angebaut. Mit Chandra Kurtzusammen hat Provins einen charakter-starken Weisswein produziert, der sichkraftvoll und geschmeidig an denGaumen schmiegt. Ein hervorragenderEssensbegleiter mit viel Schmelz.

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