Ernährungsmedizinische Strategie bei Reizdarmsyndrom · Alarm-zeichen für organische...

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© Biologische Medizin / Heft 2 / Juni 2006 1 Kolumnentitel Ernährungsmedizinische Strategie bei Reizdarmsyndrom Das Reizdarmsyndrom (RDS) gehört no- sologisch zu den funktionellen Erkran- kungen des Gastrointestinaltraktes. In vielen Fällen finden sich klinisch auch Zeichen einer funktionellen Dyspepsie. Die Prävalenz wird weltweit mit 6–25%, für Deutschland mit 15–25% ( w:m = 2– 3:1) angegeben (2). Der Häufigkeitsgip- fel liegt zwischen dem 30. und 50. Le- bensjahr. Die sozioökonomische Bedeu- tung wird durch eine langfristige und ausgeprägte Einschränkung der Lebens- qualität mit krankheitsbedingten Arbeits- ausfällen und/oder Frühberentungen ge- prägt (1). Zu den typischen Beschwerden des RDS gehören gemäß Konsensusbericht der DGVS (1): • abdominelle Schmerzen, oft in Bezie- hung zur Defäkation (meist Erleichte- rung durch Defäkation) • Veränderung der Defäkation in min- destens zwei der folgenden Aspekte: – Frequenz – Konsistenz (hart, breiig, wässrig, Veränderung konstant oder wech- selnd) – Passage mühsam, gesteigerter Stuhl- drang; Gefühl der inklompletten Darmentleerung; Schleimabgang • Häufig assoziiert sind ein Gefühl der abdominellen Distension und/oder Blähungen. Auch wenn es sich beim RDS um eine Er- krankung handelt, die nicht zu einer ver- minderten Lebenserwartung führt, ist der Leidensdruck der Betroffenen erheb- lich. Im Praxisalltag wird die Ernährung als mögliche Ursache und Therapieprin- zip von den Patienten immer wieder ins Gespräch gebracht. Daher kommt einer adäquaten und individuellen ernäh- rungsmedizinischen Beratungsstrategie eine wichtige Funktion im therapeuti- schen Gesamtkonzept zu. Pathogenetische Konzepte Für das Reizdarmsyndrom werden ver- schiedene pathophysiologische Mecha- nismen angenommen (Abb. 1). Durch übereinstimmende Ergebnisse unabhän- giger Studien gilt eine viszerale Hyper- sensitivität als gesichert. Zu den wahr- scheinlichen Einflusskomponenten ge- hören durchgemachte bakterielle Darm- infektionen, belastende Lebensereig- nisse und Alltagsstress. Die Auswahl und Zubereitung von Nahrungsmitteln sowie das Ess- und Ernährungsverhalten der Patienten können das Symptomenbild ebenfalls beeinflussen. Dabei spielen Zusammenfassung Das Reizdarmsyndrom ist eine funktionelle Erkrankung des Verdauungstraktes mit hoher Inzidenz. Neben einer gesicherten viszeralen Hypersensitivität wirken verschiedene pathophysiologische Mechanismen als Einflusskomponenten. Für Betroffene stehen Ernährungsfaktoren sehr häufig als Ursache und Therapieprinzip im Vordergrund. Die notwendigen ernährungsmedizinischen Instrumente zur Diffe- renzialdiagnose, Ernährungsberatung und individuellen Ernährungstherapie werden vorgestellt. Empfehlungen zum sinnvollen Einsatz von Ballaststoffen sowie zur gezielten Lebensmittelauswahl haben eine hohe ernährungsmedizinische Bedeutung, um eine Malnutrition zu vermeiden. Aspekte und Methoden der traditio- nellen chinesischen Diätetik ergänzen und erweitern westliches Ernährungswissen in besonderer Weise. Schlüsselwörter: Reizdarmsyndrom, Nahrungsmittelintoleranzen, Ernährungs- therapie, Ernährungsprotokoll, Ballaststoffe, chinesische Diätetik Uwe Siedentopp Ernährungsmedizinische Strategie bei Reizdarmsyndrom Mög- liche patho- physiologische Mechanismen des RDS Abb. 1:

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K o l u m n e n t i t e lE r n ä h r u n g s m e d i z i n i s c h e S t r a t e g i e b e i R e i z d a r m s y n d r o m

Das Reizdarmsyndrom (RDS) gehört no-sologisch zu den funktionellen Erkran-kungen des Gastrointestinaltraktes. Invielen Fällen finden sich klinisch auchZeichen einer funktionellen Dyspepsie.Die Prävalenz wird weltweit mit 6–25%,für Deutschland mit 15–25% ( w:m = 2–3:1) angegeben (2). Der Häufigkeitsgip-fel liegt zwischen dem 30. und 50. Le-bensjahr. Die sozioökonomische Bedeu-tung wird durch eine langfristige undausgeprägte Einschränkung der Lebens-qualität mit krankheitsbedingten Arbeits-ausfällen und/oder Frühberentungen ge-prägt (1).

Zu den typischen Beschwerden des RDSgehören gemäß Konsensusbericht derDGVS (1):• abdominelle Schmerzen, oft in Bezie-

hung zur Defäkation (meist Erleichte-rung durch Defäkation)

• Veränderung der Defäkation in min-destens zwei der folgenden Aspekte: – Frequenz – Konsistenz (hart, breiig, wässrig,

Veränderung konstant oder wech-selnd)

– Passage mühsam, gesteigerter Stuhl-drang; Gefühl der inklomplettenDarmentleerung; Schleimabgang

• Häufig assoziiert sind ein Gefühl derabdominellen Distension und/oderBlähungen.

Auch wenn es sich beim RDS um eine Er-

krankung handelt, die nicht zu einer ver-minderten Lebenserwartung führt, istder Leidensdruck der Betroffenen erheb-lich. Im Praxisalltag wird die Ernährungals mögliche Ursache und Therapieprin-zip von den Patienten immer wieder insGespräch gebracht. Daher kommt eineradäquaten und individuellen ernäh-rungsmedizinischen Beratungsstrategieeine wichtige Funktion im therapeuti-schen Gesamtkonzept zu.

Pathogenetische KonzepteFür das Reizdarmsyndrom werden ver-schiedene pathophysiologische Mecha-nismen angenommen (Abb. 1). Durchübereinstimmende Ergebnisse unabhän-giger Studien gilt eine viszerale Hyper-sensitivität als gesichert. Zu den wahr-scheinlichen Einflusskomponenten ge-hören durchgemachte bakterielle Darm-infektionen, belastende Lebensereig-nisse und Alltagsstress. Die Auswahl undZubereitung von Nahrungsmitteln sowiedas Ess- und Ernährungsverhalten derPatienten können das Symptomenbildebenfalls beeinflussen. Dabei spielen

ZusammenfassungDas Reizdarmsyndrom ist eine funktionelle Erkrankung des Verdauungstraktes mithoher Inzidenz. Neben einer gesicherten viszeralen Hypersensitivität wirkenverschiedene pathophysiologische Mechanismen als Einflusskomponenten. FürBetroffene stehen Ernährungsfaktoren sehr häufig als Ursache und Therapieprinzipim Vordergrund. Die notwendigen ernährungsmedizinischen Instrumente zur Diffe-renzialdiagnose, Ernährungsberatung und individuellen Ernährungstherapie werdenvorgestellt. Empfehlungen zum sinnvollen Einsatz von Ballaststoffen sowie zurgezielten Lebensmittelauswahl haben eine hohe ernährungsmedizinischeBedeutung, um eine Malnutrition zu vermeiden. Aspekte und Methoden der traditio-nellen chinesischen Diätetik ergänzen und erweitern westliches Ernährungswissenin besonderer Weise.

Schlüsselwörter: Reizdarmsyndrom, Nahrungsmittelintoleranzen, Ernährungs-therapie, Ernährungsprotokoll, Ballaststoffe, chinesische Diätetik

Uwe Siedentopp

Ernährungsmedizinische Strategie bei Reizdarmsyndrom

Mög-liche patho-physiologische Mechanismendes RDS

Abb. 1:

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Forschung und Praxis

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schaftliche Studien weltweit anerkanntsind

• Diarrhötyp• Obstipationstyp.

DiagnostikAls Basis für eine Diagnosesicherung gel-ten ein festes Symptomenmuster undder gezielte Ausschluss relevanter Diffe-renzialdiagnosen (Laktoseintoleranz,Fruktose-Sorbit-Malabsorption, Nah-rungsmittelallergie, exokrine Pankreasin-suffizienz). Zur Basisdiagnostik gehöreneine exakte Anamneseerhebung incl.gründlicher Ernährungsanamnese, einekörperliche Untersuchung, Basislabormit BSG, Blutbild, Differenzialblutbild,CRP, BZ, SD-Werten, Elektrolyten, Lebe-renzymen, Urinstatus, okkultes Blut,mikrobiologische Stuhluntersuchungen,Abdomen-Sonographie und Koloskopie(nicht obligat).

Die weiterführende Zusatzdiagnostikorientiert sich an der prädominantenSymptomatik: Ausschluss einer exo-krinen Pankreasinsuffizienz, H2-Atem-teste zum Ausschluss einer Laktose-intoleranz, Fruktose-/Sorbitintoleranzund einer bakteriellen Fehlbesiedlung.Bei RDS finden sich in circa 50% Lebens-mittelintoleranzen oder Kohlenhydrat-malabsorptionen. Eine pathologischeFermentation geht mit einer deutlichvermehrten Wasserstoffproduktion ein-her (4).

ErnährungsmedizinischeGrundlagenDas Therapiekonzept des Reizdarmsyn-droms basiert auf drei wesentlichen Säu-len (Abb. 2). Neben einer psychosomati-schen Grundversorgung/Psychotherapiewird eine symptomorientierte medika-mentöse Behandlung durchgeführt. ImRahmen der Allgemeinmaßnahmen gilteine stabile Arzt-Patienten-Beziehung alswichtigste Grundlage. Als Bausteinekommen hier eine individuelle Ernäh-rungsberatung, körperliche Bewegung,Maßnahmen zum Stressabbau sowie Ent-spannungsübungen zum Einsatz.

Als Ziele einer ernährungsmedizinischenTherapie gelten die Linderung der Be-schwerden, die Vermeidung einer unaus-gewogenen, einseitigen Kost- oder Diät-form aus Angst vor Symptomauslösungsowie die Abklärung und Behandlungvon nachgewiesenen Nährstoffdefiziten.Zu den ernährungswissenschaftlichen Ba-sisdaten gehört nicht nur die Ermittlungdes Body-Mass-Index (BMI), sondernauch die Frage der Gewichtsentwicklungin den vergangenen 6–12 Monaten.

Als wichtigstes Instrument der Ernäh-rungsdiagnostik wird der Einsatz einessymptombezogenen Ernährungsproto-kolls (Abb. 3) empfohlen (8). Im Gegen-satz zur Ernährungsanamnese wird hier-bei das tatsächliche Essverhalten doku-mentiert und in einen zeitlichen Bezugzu körperlichen Beschwerden gestellt.Im Praxisalltag hat sich eine Protokoll-dauer von 5–7 Tagen (incl. Wochenende)als gut geeignet erwiesen. Die Complian-ce der Patienten ist erfahrungsgemäßsehr hoch. Ein derartiges Ernährungsta-gebuch dient insbesondere zur Bestim-mung von Eliminationskostformen beisubjektiven Nahrungsmittelintoleranzen(exclusion diet).

Für verschiedene Lebensmittelgruppenkonnten King und Mitarbeiter (4) Unver-träglichkeitsreaktionen bei RDS-Patien-ten nachweisen. Milch und Milchproduk-te sowie Weizenerzeugnisse fielen mit

Allergien, Intoleranzen und unspezifi-sche Effekte eine Rolle. Motilitätsstörun-gen und Störungen des enteralen sowieautonomen und zentralen Nervensys-tems werden als weitere Einflussfaktorendiskutiert (2).

Für das klinische Erscheinungsbild hatsich die Einteilung nach Leitsymptomenbewährt:• Abdomineller Schmerz- und Gas-Bläh-

typ: Die Klinik entspricht den ROM-II-Kriterien, die als Basis für wissen-

DreiSäulen Therapiebei RDS

Abb. 2:

>Deutsche Reizdarmselbsthilfee.V., Mörikeweg 2, 31303Burgdorf, Tel. 05136 - 896106,Fax 05136 - 873662

>Darm Vital – Gesundheitsma-gazin der Deutschen Reiz-darmselbsthilfe e.V.

>www.reizdarmselbsthilfe.de>www.rds-forum.de>Meinhardt S, Scholl C. Darm

im Stress – Lebensführung,Essen, Trinken. Ein Ratgeberzum Reizdarmsyndrom. Deut-sche Reizdarmselbsthilfe e.V.

>Kruis W, Iburg A. Reizdarm.Endlich Ruhe im Bauch durchrichtige Ernährung. Trias Ver-lag 2004

Adressen und Bücher

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30–35% am häufigsten auf. Eier, Kaffeeund Schokolade führten in 20–30% zukörperlichen Beschwerden. Nüsse, Zi-trusfrüchte, Tee und Hafererzeugnisserangieren bei 10–20%. Früchte undFruchtsäfte führten gehäuft zu Diar-rhöen. In 250 ml Apfelsaft sind immerhin16 g Fruktose und 1 g Sorbit enthalten.Aber auch salizylatreiche Lebensmittel(Rosinen, Honig, Datteln, Mandeln,Orangen und Ananas) und Lebensmittel

mit hohem Anteil biogener Amine (His-tamin) wie Gouda, Camembert, Rotwein,Thunfisch, Makrele, Bananen haben Ein-fluss auf das komplexe Beschwerdebild.Die Wirkmechanismen dieser Reaktions-muster sind wissenschaftlich derzeitnoch unklar.

Praktische ErnährungstherapieEine regelmäßige, ausgewogene, dem Al-ter sowie den individuellen Bedürfnissenangemessene Kost- und Ernährungsformsollte angestrebt werden. Bei nachgewie-sener Unverträglichkeit sollte eine Elimi-nationskostform für zunächst drei Mona-te eingehalten werden. Danach kannprobatorisch eine sukzessive Wiederein-gliederung der Speisen erfolgen. MittelsRotationsernährung werden dabei zwei-mal pro Woche die Lebensmittel neu inden Speiseplan integriert. Aus zahlrei-chen klinischen Erfahrungen und Selbst-hilfeforen ergeben sich weitere ungünsti-ge Lebensmittel, die es möglichst zumeiden gilt: Fette, blähende und sehrsüße Speisen, scharfe Gewürze, zu kalteoder heiße und kohlensäurehaltige Ge-tränke, Alkohol und vor allem frische,ungenügend ausgebackene Teig- undBrotwaren.

Von der Deutschen Gesellschaft für Ver-dauungs- und Stoffwechselkrankheiten(DGVS) wird eine gut verträgliche Misch-kost empfohlen. Die Verordnung speziel-

Sym-ptombezogenesErnährungs-protokoll

Abb. 3:

>Das Reizdarmsyndrom ist eineAusschlussdiagnose. Alarm-zeichen für organische Er-krankungen müssen erkanntund gezielt erfragt werden.Häufig geht das RDS mit Stö-rungen weiterer intestinalerOrganfunktionen von Ösopha-gus, Magen und Dünndarmeinher (irritable bowel syn-drome).

>Veränderte Symptome imKrankheitsverlauf müssenernst genommen, überprüftund evtl. diagnostisch neu ab-geklärt werden. Der Patientmuss darüber aufgeklärt wer-den, dass es sich um keine le-bensbedrohliche Erkrankunghandelt.

>Lassen Sie den Patienten über7 Tage ein symptombezogenesErnährungsprotokoll führen,um subjektive Nahrungsmit-telunverträglichkeiten abzu-klären.

>Der Einsatz von Ballaststoffenrichtet sich in der Art undMenge nach der Leitsympto-matik. Quellstoffe (Kleie) be-nötigen eine ausreichendeFlüssigkeitszufuhr. Wasser-lösliche Pektine und Flohsa-menpräparate eignen sich so-wohl für den Obstipations- alsauch für den Diarrhötyp.

P r a x i s t i p p s

ler Diätformen ist in der Regel nicht er-forderlich (1). Neben einer genügendenTrinkmenge wird häufig die Umstellungauf eine Ballaststoff reiche Kost empfoh-len. Bei der Ernährungsberatung sollteman aber diesbezüglich sehr vorsichtigund schrittweise vorgehen. IndividuelleReaktionsmuster müssen unbedingt be-achtet werden!

Ballaststoffe Bei den Ballaststoffen unterscheidet manzwei Gruppen. Wasserlösliche struktu-rierte Faserstoffe führen durch bakteriel-le Spaltung initial zu einer vermehrtenGasbildung. Dies kann für die Patientenunter Umständen sehr unangenehmsein. Die Wirkung auf die Darmfunktionerfolgt über ihre Quellfähigkeit und dieErhöhung der Bakterienmasse. Somitbietet sich diese Gruppe primär für denObstipationstyp an. Wasserlösliche Gel-bildner mit Wasserbindung in Gelen undviskösen Lösungen entwickeln keineoder nur eine sehr geringe Gasbildung.Ihre Wirkung beruht auf der Wasserbin-dungsfähigkeit im Darm. Damit ist ihrEinsatz sowohl beim Obstipations- alsauch beim Diarrhötyp indiziert.

Als ballaststoffreiche Lebensmittel geltenVollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemü-se, Salat, Kartoffeln, Obst, Trockenfrüch-te, Nüsse und Samen. Von der Deut-schen Gesellschaft für Ernährung wird

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Forschung und Praxis

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eine Mindestmenge von 30 g Ballaststof-fen pro Tag als Zufuhr für Gesunde emp-fohlen. Eine ballaststoffreiche Kost erfor-dert definitionsgemäß eine tägliche Zu-fuhr von 40–50 g/Tag. Ein Lebensmittelgilt als ballaststoffreich, wenn es 6 g/100 g enthält (z. B. Vollkornbrot).Getreideballaststoffe weisen einen be-sonders hohen Quelleffekt auf. 100 gWeizenkleie binden 500 ml Wasser undführen so zu einer erheblichen Vermeh-rung des Stuhlvolumens.

Wissenschaftliche Studien zum Einsatzvon Weizenkleie bei RDS zeigen wider-

sprüchliche Ergebnisse. Positive Effektewerden nur bei den Subgruppen mitdem Hauptsymptom Obstipation deut-lich (3). Die Kleiezufuhr wurde dabeistufenweise von 5 auf 15 g/Tag gestei-gert. Zu beachten ist hierbei, dass 1 EL= 5 g Kleie = 2,5 g Ballaststoffe enthält.Die Flüssigkeitszufuhr muss dabei also150 ml/EL betragen (5)!

Chinesische MedizinAls wirksames komplementär-medizini-sches Verfahren bietet sich auch eine Er-nährungstherapie nach den Kriterien derTraditionellen Chinesischen Medizin(TCM) an. Die Anamnesetechnik derTCM ermöglicht eine sehr individuelleund gezielte Syndromzuordnung. In An-lehnung an die klinische Befundsituationlässt sich das Reizdarmsyndrom häufigden Syndromen „Leber-Qi-Stagnation“,„Milz-Qi-Mangel“ oder „Nahrungsreten-tion im Magen“ einordnen (10). Die diä-tetischen Empfehlungen in der TCM ba-sieren auf qualitativen Lebensmittelmerk-malen wie Temperaturverhalten (heiß,warm, neutral, kühl, kalt), Geschmacks-richtung (sauer, bitter, süß, scharf, salzig)und Funktionskreisbezug (Leber/Gallen-blase, Herz/Dünndarm, Milz/Magen, Lun-ge/Dickdarm, Niere/Blase) (9).

So sind beispielsweise bei Leber-Qi-Stag-nation neutrale und warme Speisen mitscharfem und süßem Geschmack indi-ziert. Kalte sowie kühl/saure Lebens-mittel gilt es zu meiden. Bei einem Milz-Qi-Mangel sind regelmäßige, nicht zuspäte warme Mahlzeiten von großer Be-deutung. Liegt eine Nahrungsretentionim Magen vor, steht die Veränderung derEssgewohnheiten (Stress- und Zeitfak-tor) und des Mahlzeitenrhythmus des Pa-tienten absolut im Vordergrund.

>Patienten mit Reizdarmsyn-drom fühlen sich in ihrer Lebensqualität stark beein-trächtigt. Ernährungsfaktorenwerden daher häufig von Betroffenen als Verursacherund Therapieprinzip in dieDiskussion eingebracht.

>Nach Ausschluss einer Nah-rungsmittelallergie und/oder -intoleranz sollten subjektiveUnverträglichkeiten mit einemErnährungstagebuch ermitteltund im individuellen Kost- undSpeiseplan berücksichtigtwerden. Auf der Basis einervertrauensvollen und stabilenArzt-Patienten-Beziehungsollte eine individuelle ernäh-rungsmedizinische Beratungund Therapie eingeleitet undin regelmäßigen Zeitabstän-den überprüft werden. Mal-nutrition und Nährstoffman-gelzuständen müssen behan-delt werden.

>Die westliche Ernährungsme-dizin lässt sich in besondersgeeigneter Weise durch dieMethoden der TraditionellenChinesischen Ernährung und Diätetik ergänzen und erweitern.

F a z i t

Literatur1 Hotz J, Enck P et al. Konsensusbericht: Reiz-

darmsyndrom – Definition, Diagnosesicherung,Pathophysiologie und Therapiemöglichkeiten.Konsensus der Deutschen Gesellschaft für Ver-dauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Z Gas-troenterol 1999;37:685-700

2 Hotz J, Madisch A et al. Das Reizdarmsyndrom.Dt Ärztebl 2000;97:A 3263-70

3 Kasper H. Irritables Colon. In: Adam O (Hrsg.) Er-nährungsmedizin in der Praxis. Spitta Verlag, Ba-lingen 2005:Kap. 3/7.41,S. 1-2

4 King TS et al. Abnormal colonic fermentation inirritable bowel syndrome. Lancet 1998;352:1187-89

5 Kluthe R. Ballaststoffreiche Diät. In: Adam O(Hrsg.) Ernährungsmedizin in der Praxis. SpittaVerlag, Balingen 2005:Ka.4/7.5,S.1-4

6 Koula-Jenik H, Kraft M, Miko M, Schulz RJ(Hrsg). Leitfaden Ernährungsmedizin. Elsevier,München 2006

7 Krammer HJ, Schlieger F. So wird der Reizdarmerträglich. Der Allgemeinarzt 2005;14:26-29

8 Siedentopp U. Die Ernährungsanamnese. Journalfür Umweltmedizin, Supplement der Zeitung fürUmweltmedizin, medi Verlag, Hamburg 1994:18-21

9 Siedentopp U, Hecker HU. Chinesische Diätetik– Lebensmittel, ihre Indikationen und Zuordnun-gen zu den Wandlungsphasen, Temperaturver-halten und Geschmacksrichtungen. Drehscheibe.Siedentopp & Hecker GbR, Kassel 2004

10 Siedentopp U, Hecker HU. Praxishandbuch Chi-nesische Diätetik. Siedentopp & Hecker GbR,Kassel 2004

Anschrift des VerfassersDr. med. Dipl. oec. troph.Uwe SiedentoppAhnatalstraße 534128 Kasselwww.dr-siedentopp.de

The irritable bowelsyndrome is a functional disease ofgastrointestinal tract. Visceral hypersen-sitivity and other different factorsinfluence disease development. Forpatients nutritional factors are oftenresponsible for symptoms and importantfor therapy. Nutritional guidelines forindividual therapy are discussed. Instruc-tions for the use of dietary fibre and foodchoice are necessary for avoiding malnu-trition. Chinese nutrition and dieteticsespecially completes western nutritionalknowledge.

Key words: Irritable bowel syndrome,food intolerance, nutritional therapy,dietary record, dietary fibre, chinesenutrition

Summary