Ernst-Wilhelm Haendler Kunst Kritik DasGeld
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Ernst-Wilhelm Hndler
Die Kunst, die Kritik und das Geld
Es gibt in der Gegenwart keine Kunstkritik. Zugleich stt man jedoch,
nicht zuletzt in an das Publikum gerichteten Periodika, auf eine stndig
zunehmende Anzahl von Texten ber Kunst. Die Proliferation des Verba-
len hat natrlich zuerst etwas mit der Proliferation der Kunst selbst zu tun.
Michael Hutter schtzt in Texte zur Kunst, dass in den letzten zwanzig
Jahren die Zahl der weltweit mit Gewinn operierenden Galerien von
auf angestiegen ist. Der Umsatz des Marktfhrers (der Auktionshu-ser Christies) betrug circa , Milliarden Dollar, circa , Mil-
liarden. Der Zuwachs an Galerien bildet die Tatsache ab, dass immer mehr
Kunst produziert wird, die auch Kufer findet. Das Wachstum der Auk-
tionshuser spiegelt die exorbitante Preisentwicklung wider.
Texte ber Kunst wollen verkaufen, informieren und deuten. Wer sich
einmal fr einen professionellen kunstnahen Lebenslauf entschieden hat,
zu dem das Schreiben ber Kunst gehrt, ist immer auf einem von zwei
Geleisen: Wenn er fr eine Galerie oder Christies arbeitet, Verkaufen, In-
formation und unkontroverse Deutung. Wenn er fr Artforumoder Frieze
oder in einem Museum ttig ist, Information und Deutung ohne Verkau-
fen. Das ist allerdings optimistisch formuliert, ganz ohne Verkaufen geht
es nicht. Im Kunsthandel steht der Deal ganz oben, aber auch Museen ms-
sen Tickets, Zeitschriften mssen Exemplare verkaufen. Die Zeiten, in de-
nen ein Galerist kommentarlos Ektachromes verschicken konnte und die
Museumsausstellung lediglich durch das Plakat neben dem Eingang desMuseums angekndigt wurde, sind vorbei. Schriftlich bewertet wird Kunst
nur klandestin, im Museum und auf Kunsthochschulen dann, wenn fr
Ankufe und Stipendien Gutachten erstellt werden mssen.
Doch es gibt in der Gegenwart noch einzelne Anflle von Kritik. Aber
sie treffen nur Jeff Koons. Es hat etwas rhrend Nostalgisches, wenn des-
sen Skulpturen vorgeworfen wird, sie seien kitschig und dass es sich dabei
gar nicht um Kunst handle. Zugleich ist Jeff Koons der teuerste lebende
Knstler. Ein orangefarbener Balloon Dogwurde bei Christies fr, Millionen Dollar zugeschlagen. Unter anderem stellt sich die Frage,
warum die Kritikanflle nicht etwa auch die Manga-nahe Kunst von Ta-
kashi Murakami treffen. Sind die polka dots, mit denen Yayoi Kusama
Leinwnde, Menschen und andere Objekte belegt, weniger kitschig, weil
sie nicht figrlich sind?
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Mit der Gesamtmenge der Texte ber Kunst wchst die Anzahl der Ver-
suche, fr die Gegenwart Aufgabe und Raum fr Kunstkritik zu definieren.
Hufig wird argumentiert, klassische Kunstkritik sei in der Gegenwart nicht
mehr mglich. Voraussetzung seien universale sthetische Kategorien undKriterien, ber die ein Konsens existiert, die Kritik bestnde dann in der Be-
urteilung, ob ein Kunstwerk die Kriterien erfllt oder nicht. Die Zeitlufte
htten sich jedoch dahin entwickelt, dass jede Kunst, jeder Knstler eigene
sthetische Kategorien und Kriterien definiert.
Dieses historische Bild ist falsch. Knstler haben schon immer ihre eigenen
Kategorien entwickelt. Zu jeder Klassik gab es zeitgleich oder geringfgig
zeitverschoben eine Antiklassik. Ansonsten konnten sich die Gesellschaften
der Vergangenheit schlicht nicht so viele Knstler und Kunstrichtungen leis-ten wie die Gesellschaften der Gegenwart. Die Gesellschaften der Vergan-
genheit waren nicht imstande, einer derart groen Zahl von Knstlern ein
Auskommen zu bieten wie die heutigen. Sie hatten auch nicht die Kapazitt,
in hohem Mae unkoordinierte und einander widersprechende knstleri-
sche Kognitionen und Emotionen zu verarbeiten, ohne die eigene Stabilitt
zu gefhrden.
DieKunst hat es nie gegeben, und die Kunst war niemals autonom. Auch
wenn mit einer knstlerischen Idee immer die Variation und die Gegenidee
einherging. Ein Entwicklungsgesetz der Kunst wrde natrlich unbe-
dingt nach Kritik verlangen. Aber technologische und gesellschaftliche Ent-
wicklungen nehmen so unbersehbar Einfluss auf die Kunst, dass es nahezu
absurd anmutet, das Entwicklungsgesetz der Kunst als Innovation aus
sich heraus zu bestimmen, wobei der einzelne Knstler nicht viel mehr als
der Energielieferant fr diesen Prozess sein soll.
In der Vergangenheit haben Knstler Manifeste formuliert, die in derRegel einen sehr ausgeprgten Sollens-Charakter besaen. In der Gegen-
wart gibt es praktisch keine Kunst mehr, die nicht ihre eigene Theorie ver-
kndet. Die ist nicht mehr normativ, sondern deskriptiv. Jemand anderem
vorzuschreiben, wie er Kunst machen soll, ist nicht politically correctund,
schlimmer: ein absoluter turn-off. Bei alldem ist der Knstler jedoch kein
Mathematiker. Warum um alles in der Welt sollte ein Knstler an Dingen
wie Folgerichtigkeit, Widerspruchsfreiheit oder Vollstndigkeit interessiert
sein? Nicht selten ist er gerade deswegen Knstler geworden, um sich nichtmit solchen Ansprchen herumplagen zu mssen. Fr das Verhltnis von
Kunst und ihrer selbstverkndeten Theorie sind alle Figuren zulssig: Die
Theorie kann den ernsthaften Versuch darstellen, die Kunst zu erklren, sie
zu durchdringen. Mglicherweise hat die Theorie aber auch gar nichts mit
der Kunst zu tun, oder die Theorie besteht aus purem Bullshit. Mitnichten
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desavouieren die beiden letzteren Flle die Kunst, sie sind mit dem ersten
vllig gleichberechtigt.
Hier liegt das zentrale Problem fr das Desiderat einer universalen Kunst-
kritik: Welche Mastbe sollen fr das Verhltnis der Theorie des Kritikerszu seinem Gegenstand, der Kunst, gelten? Wird man der Kunst wirklich nur
dann gerecht, wenn man sich ihr mit Ethos nhert? Darf der Knstler Bull-
shit als Theorie produzieren, aber der Kritiker nicht?
Wenn nun Kritik gem universalen Mastben nicht mglich ist, wie
wre es mit partikulren Mastben. Frage: Lst der Knstler X mit sei-
nem Werk Y die Kriterien Z ein, die er selber formuliert? Antwort: Warum
sollte er.
Eine andere Form von partikulrer Kritik beginnt mit dem Kunstinter-essierten. Es wird von bestimmtem Vorwissen und bestimmten Vorlieben
ausgegangen und gecheckt, ob eine Kunst dazu passt oder nicht. Das
Problem dieser Art von Kritik besteht darin, dass sie eigentlich das Geschft
des Verkaufens betreibt, ohne dass der Textverfasser etwas zu verkaufen
htte. Folgerichtig und automatisch wird der Sammler, der sich etwa in
einer Galerie fr einen bestimmten Knstler interessiert und dessen Port-
folio angefordert hat, mit PDF-Versionen von entsprechenden Artikeln
bombardiert. Unabhngig davon, ob die partikulre Kritik die Kunst oder
den Kunstinteressierten in den Mittelpunkt stellt: Eine Wenn-dann-Kritik
ist nicht wirklich eine Kritik. Kritik bedeutet ein Makro-Richtig / Falsch-
Raster. Ein Mikro-Richtig / Falsch-Raster gert immer in die Nhe der
Privatangelegenheit.
Das Problem der Mastbe fr das Verhltnis der Theorie des Kunst-
betrachters zu seinem Gegenstand wird in der Praxis des Schreibens ber
Kunst rabiat gelst: In keinem anderen Feld gibt es so viele inkonsistente undvor allem triviale Texte wie in der Literatur ber Kunst. In einem er-
schienen Buch liest man etwa: In der neuen symbolischen Kunstform nach
Beuys gilt es dagegen, Stck fr Stck eine neue Formenwelt zu entdecken,
neue Formen, die sich der gewandelten Wahrnehmungsweise zu erschlieen
vermgen. In einen solchen weitergehenden Entdeckungszusammenhang,
scheint mir, ist nun auch das Werk des Beuys-Schlers Imi Knoebel hinein-
gestellt Der Tenor seines Werkes steht, wenn ich es richtig sehe, fr ein
drangementder Moderne sui generis, d. h. zugleich fr ein neues, nochunbenanntes expressives Grndungsgeschehen, das eine noch verborgene
Struktur nach der Moderne sichtbar macht. Man ist zunchst einmal
dankbar fr das scheint mir und das wenn ich es richtig sehe. Wei-
ter liest man: Was der Dichter Peter Handke von seiner Arbeit sagt, trifft
in gewisser Weise auch auf die Arbeiten Imi Knoebels zu: Die vergessene,
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anonyme Sprache aller Menschen wiederfinden, und sie wird erstrahlen in
Selbstverstndlichkeit. Imi Knoebels Bilder sind solche Wiederfindungen
der vergessenen, anonymen Sprache aller Menschen und sie erstrahlen in
stiftender Selbstverstndlichkeit.An dieser Stelle greift eine Fallunterscheidung. Wenn Imi Knoebel nicht
zu den Lieblingsknstlern des Lesers zhlt, wird der durchatmen und sa-
gen: Esagerato. Er wrde der Kunst von Imi Knoebel nicht diese spezifische
Bedeutung zuschreiben, und er wrde ihr nicht diesen Rang verleihen. Ist
Imi Knoebel ein Lieblingsknstler, dann wird der Leser vielleicht ebenfalls
durchatmen. Er mchte doch gern wissen: Grndet das angesprochene Ge-
schehen oder macht es lediglich eine verborgene Struktur sichtbar, grn-
det es also nicht? Welche ist die vergessene, anonyme Sprache aller Men-schen, welche Elemente in den Bildern des Malers entsprechen welchen
Komponenten der vergessenen Sprache? In Parenthese: Wren Handke und
Heidegger mit dem Knstler glcklich?
Es geht auch ganz ohne Inhalt. Ein Lieblingsknstler des Verfassers dieser
Zeilen ist Mike Kelley. In der Bestrzung ber den Selbstmord des Knstlers
schlgt er ein Heft der Texte zur Kunstauf, das sich ausschlielich Mike
Kelley widmet, und findet zum Beispiel in der Einleitung, die die Thesen
der Beitrger vorstellt: beschreibt den groen Scharfsinn, mit dem
Kelley auf Kultur blickt: Obwohl sein Werk eine Beziehung zu historischen
Vorlufern aufbaut und ihnen zugleich mit Ironie und hhnischem Spott
begegnet, ist es ganz Kind seiner Zeit.
Es liegt nicht unbedingt an Texte zur Kunstoder am Kunstforum. Auch
in Artforumund Friezefinden sich keineswegs nur grundstrzende Texte.
Drei spontane Reaktionen auf die Trivialitt der Textproduktion zur Kunst
bieten sich an. Erstens: Die Kunst entsteht so schnell, dass man nicht nach-kommt, etwas Gescheites drber zu Papier zu bringen. Zweitens: Gleich
was geschrieben wird, die Kunst entfaltet sich so oder so. Die beiden Reak-
tionen sind gut miteinander kombinierbar. Drittens: Cut the bullshit.
Dont Cut the Bullshit
An dieser Stelle ist ein komparatistischer Blick ber die Grenzen zu den Wis-
senschaften instruktiv. Ausschlielich in den Naturwissenschaften und derMathematik ist trivialgleich berflssig. Fachzeitschriften, Fachverlage und
auch Wikipedia sieben berflssiges aus. Zwar bewegen sich viele empiri-
sche und theoretische Papers sehr nahe an anderen, Analogien erscheinen
oft nicht berraschend, sind aber deswegen noch nicht selbstverstndlich.
In den Geisteswissenschaften ist trivial dann nicht berflssig, wenn etwas
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aus dem historischen Gedchtnis verschwunden ist oder getilgt wurde,
aber wieder in das Gedchtnis eingefhrt werden soll. Die entsprechenden
Publikationsorgane exekutieren das historische Gedchtnis.
Sowohl fr die Natur- wie fr die Geisteswissenschaften gilt: Es gibtfachbezogene Mastbe fr die Verwaltung der Abgrenzung von trivial und
berflssig. Solche Mastbe gibt es weder in der Kunst noch fr die Be-
urteilung von Kunst. Nicht nur deswegen, weil jeder Knstler seine eigene
Kunst macht, das wre trivial. Der interessantere Grund ist das Manage-
ment der Blickweite in der Kunst, das sich radikal von demjenigen in den
Wissenschaften unterscheidet: Auf der einen Seite bringt das Kunstwerk
dem Betrachter die Welt nher, auf der anderen entfernt es die Welt vom
Betrachter oder den Betrachter von der Welt. Beides geschieht immer si-multan. Damit soll auf gar keinen Fall gesagt sein, dass Kunst etwa die Welt
mimetisch abbildet (mimetic disclaimer).
Ein Paradebeispiel fr die simultane nahe und ferne Blickweite eines
Kunstwerks auf die Welt sind etwa Las Meninasvon Velzquez. Das Ge-
mlde zeigt die Hoffrulein und ihre menschlichen Unterhaltungen in al-
len Einzelheiten ihrer physiognomischen und modischen Schnheit und
Unschnheit, zugleich entfaltet es ein Bild der ganzen Gesellschaft: Ist der
Knig in dem dsteren, vom Boden zur Decke mit Gemlden dekorierten
Raum seiner Residenz real prsent, oder ist das Bild im Spiegel dasjenige des
Gemldes des Knigs, das der Maler zu malen im Begriff ist?
Kunst ist immer auch die Gleichzeitigkeit des nahen und des fernen Blicks.
Eine solche Gleichzeitigkeit gibt es in den Wissenschaften nicht. Natrlich
variieren die Wissenschaften ebenfalls die Entfernung des Betrachtenden
von der Welt, im Kleinsten wie im Grten. Aber die Variation erfolgt in
den Naturwissenschaften arbeitsteilig: Die eine Forschergruppe ist fr dieNhe, die andere fr die Weite zustndig. Die Geisteswissenschaften sind
vorwiegend, aber nicht restlos arbeitsteilig: Historische und soziologische
Darstellungen betrachten sowohl aus der Nhe wie aus der Ferne. Aber die
verschiedenen Blickweiten mssen unbedingt miteinander kompatibel sein.
Es wird ein narratives Modell verlangt, das die Blickweiten ohne Wider-
sprche vereinigt.
Die Blickweite des Kunstwerks auf die Welt fhrt die Gesetzesproble-
matik in die Kunst ein. Die Entfernung von der Unmittelbarkeit der Dingedient nicht dazu, deren Konturen ohne weiteres Ziel unscharf zu machen.
Sie frdert vielmehr ein bigger picture, dessen neue Konturen dann auch
gesetzesartige Elemente besitzen beziehungsweise solche abbilden. In den
Wissenschaften ist der Umgang mit Gesetz und Einzelfall fantasielos ein-
dimensional geregelt: Grundstzliches Ziel ist immer die Reduktion der
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Einzelflle, die nicht unter ein Gesetz passen. Dagegen sind in der Kunst
Gesetz und Einzelfall absolut gleichrangig. In den Wissenschaften macht
es nur Sinn, den Einzelfall anzufhren, wenn er als Beleg fr das Gesetz
dient. Ist das Gesetz akzeptiert, kommt der Einzelfall in der Wissenschaftnicht mehr vor, mglicherweise wird er zum technologischen Anwendungs-
fall. Das Kunstwerk prsentiert simultan Einzelfall und Gesetz, weit ent-
fernt von den Einschrnkungen der Wissenschaften. Die Gleichzeitigkeit
der Blickweite in der Kunst und die Ungleichzeitigkeit der Blickweite in den
Wissenschaften bedingen den so unterschiedlichen Umgang mit berflssig.
Bei der Betrachtung der Welt knnen die Wissenschaften der Kunst keine
Mastbe fr berflssiggeben. Dasselbe gilt fr die Beurteilung von Kunst.
Es ist ebenso folgerichtig wie unerlsslich, dass sich die Fokussierung derDinge in ihrer Unmittelbarkeit und die simultane Entfernung von der Un-
mittelbarkeit der Dinge auch im Schreiben ber die Kunst abbilden. Wrde
man, per Metakritik, versuchen, die Vielzahl der trivialen Texte zu reduzie-
ren, wrde das unweigerlich zu einer Beschneidung der Ausdrucksmglich-
keiten beim Reden ber Kunst fhren, die sich rchen wrde. Die rigiden
Selektionsmechanismen der Wissenschaften htten in der Kunstkritik ver-
heerende Folgen. Welche ist die richtige, welche die falsche Wiederholung?
Diese Frage macht genauso wenig Sinn wie die Frage, welche ist die richtige
und welche die falsche Kunst. Also: Dont cut the bullshit.
Die Apotheose der kunstbezogenen Textproduktion ohne Grenzen ist
ohne Zweifel das Interviewprojekt The Conversation Series von Hans-
Ulrich Obrist. Nach der Fama schlft der Kodirektor der Londoner Ser-
pentine Gallery nicht mehr als zwei Stunden pro Tag, weil er sich stndig
im Gesprch mit Knstlern befindet. Hans-Ulrich Obrist will definitiv kein
Metaknstler sein. Das versuchen viele, aber keiner kommt an HaraldSzeemann heran. Vielmehr ist Hans-Ulrich Obrist Traum und Alptraum
sowohl von Foucault als auch von Luhmann. Er fhrt Knstlerinterviews,
wie paradigmatisch im letzten Jahrhundert der Kunstkritiker David Sylves-
ter mit Francis Bacon. Alle Gesprche werden gefilmt, bis zum gegenwr-
tigen Zeitpunkt ergibt das Stunden, Stunden sind transkribiert.
Seine Interviews sind Teil eines unendlichen Diskurses, einer unendlichen
Kommunikation. Der Interviewer beschrnkt seine Rolle auf diejenige des
Stichwortgebers. Wenn man irgendwo sagen kann, dass die Kunst selbstspricht, dann ist das bei den Interviews von Hans-Ulrich Obrist der Fall.
Der Gedanke des Kanons und derjenige der Kritik sind so weit weg wie
der Beobachtungshorizont des Universums. Es geht um die Kunst in ihrem
Kontext. Alles, aber auch wirklich alles, was das Umfeld der Kunst bildet,
kommt als Diskursgegenstand in Frage. Die Frage Ist das noch Kunst-
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diskurs? ist sinnlos geworden. Das heit allerdings nicht, dass etwa alle
Teile des Kunstdiskurses gleich folgenlos wren. Unterschiedliche Dis-
kursausschnitte knnen sehr unterschiedliche Wirkungen auf die Reputa-
tion des Knstlers und seiner Kunst haben.
Lutz Bacher kann noch berhmter werden
Eine nicht unwichtige Nebenwirkung des Prinzips Dont cut the bullshitist
die Tatsache, dass es im westlichen Kunstbetrieb der Gegenwart keine un-
entdeckten interessanten Knstler mehr gibt. Das war in der Vergangenheit
anders. Paul Thek, Eva Hesse und Helio Oititica waren etwa in ihrer Zeit
kaum sichtbar, es gab nur wenig Textmaterial, erst nachtrglich wurden siedem Vergessen entrissen. Wenn der Kunstdiskurs begrenzt wird, schwin-
den auch die Chancen, die Kunstgeschichte nachtrglich zu korrigieren. Der
Umgang mit Berhmtheit und Unberhmtheit bleibt eine zentrale Heraus-
forderung beim Schreiben ber Kunst. Gerhard Richter kann nicht noch
berhmter werden. Muss man noch etwas ber Gerhard Richter schreiben?
Die Unberhmten der Gegenwart sind nicht unsichtbar, sie sind jedoch
keine Celebrities. Wie viel muss man beispielsweise ber Lutz Bacher
schreiben? Lutz Bacher kann noch berhmter werden.
Trotz aller offensichtlichen Widerlegungen ist die Vorstellung universa-
ler sthetischer Kategorien und Kriterien immer noch wirksam, allerdings
auf dem Umweg einer Art von negativer Theologie: Universale sthetische
Kategorien existieren, aber es ist unangemessen, sie positiv zu beschrei-
ben. Angemessen beziehungsweise wahr sind nur negative Beschreibungen,
insbesondere Aussagen ber falsche sthetische Kategorien. Die negative
Theologie ist dabei regelmig mit einem gnostischen Demiurgen-Glaubenverbunden: Das Geld ist ein Untergott, der einen vllig verfehlten Kunst-
betrieb geschaffen und die Kunst zerstrt hat. Ein Beispiel fr diese Denk-
linie ist etwa das Pamphlet Geld frisst Kunst Kunst frisst Geld() von
Markus Metz und Georg Seelen, mit der charakteristischen Aussage:
Der Kunstmarkt ist ein Instrument des Kapitalismus zur Vernichtung der
dissidenten Kraft der Kunst.
Kann die Kunst in einer Nichtdiktatur eine dissidente Kraft haben?
In der emanzipativen Theorie der Vergangenheit sollte das staatlich-ffent-liche Museum einen Raum des herrschaftsfreien Diskurses ber die Kunst
und der herrschaftsfreien Auswahl aus dem Ganzen der Kunst darstellen.
Im Museum sollten die kapitalistische Logik der Reprsentation durch-
brochen und den herrschenden Reprsentationen andere gegenbergestellt
werden. Der Kapitalismus realisiert alle technologisch machbaren und
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finanzierbaren Mglichkeiten. Welchen Sinn macht da noch das Wort dis-
sident? Wenn der Kapitalismus alle Reprsentationen realisiert, wie kann
da noch irgendeine Reprsentation durchbrochen werden? Das Destabi-
lisierungspotential von Kunst lag niemals allein in einzelnen knstlerischenAussagen. Eine viel wichtigere grundstzliche Antigleichgewichtswirkung
der Kunst besteht darin, dass die Kunst die nachhaltige Koexistenz von
Widersprchen in das Leben der Einzelnen und in den gesellschaftlichen
Prozess einfhrt.
Es war im brigen schon immer khn, der Kunst eine in die Breite
gehende emanzipatorische Wirkung zuzuschreiben. Wenn sich Knstler von
ihren Vorgngerknstlern emanzipieren, dann ist damit noch keine durch-
schlagende gesellschaftliche Wirkung gegeben. Natrlich war etwa derManierismus von Pontormo und Bronzino eine Emanzipation von den
durch Leonardo, Michelangelo und Raffael verkrperten Idealen der Hoch-
renaissance. Aber es bleibt die Frage nach der Durchschlagskraft dieser
kunstinternen Entwicklung fr das Ganze der Gesellschaft.
Man mag zum Kapitalismus stehen, wie man will, aber es ist keineswegs
allein den Kapitalisten zu verdanken, wenn der Kapitalismus auf ganzer Li-
nie die Oberhand behlt. Mit dem nordrhein-westflischen Finanzminister
Norbert Walter-Borjans ist es ein kompromissloser Verfolger steuerhinter-
ziehender Kapitalisten, dem die Kunstwelt die przise Formulierung staat-
licher sthetischer Prinzipien verdankt: Ein Kunstwerk hat einen Wert,
wenn es zu veruern ist.
Die einzige, wenn man so will, dissidente Idee zum Thema Kritik stammt
von Jean-Franois Lyotard: Die Kritik msse es unternehmen, das Kunst-
werk als solches abzugrenzen vom Rauschen der Umgebung, von der Un-
verstndlichkeit der Welt und vom rein konomisch bedingten Furor derInnovation. Der konomisierte Kunstbetrieb der Gegenwart braucht keine
Kunstkritik, um die behandelte und gehandelte Kunst stringent und nach-
haltig von irgendetwas anderem abzugrenzen. Wenn die Kunstkritik be-
streitet, dass Jeff Koons Kunst produziert, dann ist sie seinem Galeristen
Larry Gagosian nur behilflich, den Knstler mit schrferen Konturen zu
positionieren.
Geld und Mrkte fallen zunchst in die Zustndigkeit der konomie.
Hier ist trocken festzustellen: Fr den Kunstbereich existieren keine spezi-fischen konomischen Gesetzmigkeiten. Es ist ein hoffnungsloses Unter-
fangen, aus Statistiken zur Kunst irgendetwas herausfiltern zu wollen, was
nicht schon vorher intuitiv klar ist.
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Prozent
Es gibt lediglich zwei gesicherte aussagekrftige konomische Befunde fr
die Kunst. Der erste ist prima vista einigermaen desillusionierend: DieWahrscheinlichkeit, dass ein Werk eines Knstlers, der nur auf dem Pri-
mrmarkt prsent ist der von einer Galerie vertreten wird, aber nicht im
Auktionsmarkt Fu gefasst hat , nach einiger Zeit komplett seinen Wert
verliert, liegt bei etwa Prozent. Auch wenn neue Kunst in Galerien an-
geboten wird, die noch so fancysind, zu Preisen von bis Dollar
oder Euro eine Generation spter vermgen nur ungefhr drei Prozent der
gezeigten Werke ihren Einkaufspreis wieder einzuspielen oder einen hhe-
ren Preis zu erzielen. Eine maximal peinliche Situation entsteht regelmigdann, wenn ein Kunstkufer den Galeristen zum Rckkauf des Werks eines
Knstlers bewegen will, den es auf dem Sekundrmarkt nicht gibt.
Das Abgleiten in die konomische Wertlosigkeit ist so gut wie aus-
nahmslos mit dem Vergessen in der Kunstszene verbunden. Wo kein Preis,
da keine Museumsausstellungen, wo keine Museumsausstellungen, da kein
Preis. Das ist auf der einen Seite bitter, fr Prozent der Knstler und ihre
Kufer. Aber es muss auf der anderen Seite einen Selektionsmechanismus
fr die stndig wachsende Kunstproduktion geben. Wrde auch nur jeder
zweite Knstler brig bleiben, dann wrden bald smtliche materiellen
Ressourcen der Gesellschaft in die Kunst flieen. Bei aller Kunstbegeiste-
rung kann das kein gesellschaftliches Ziel darstellen. Hier stellt sich natr-
lich die Frage: Muss dieser Selektionsmechanismus ein konomischer, ein
marktwirtschaftlicher sein?
Fr die Geldanlage kommt nur Kunst in Frage, die die Schwelle zum
Sekundrmarkt berschritten hat. Kunst ist ein Vermgensgegenstand.Aber wenn man die Summe aller Vermgensgegenstnde auf dem Planeten
berechnet, dann ist die Kunst, die sich in privaten Hnden befindet, ver-
nachlssigbar. Als Geldanlage im klassischen Sinn, mit einem niedrigen
Verlustrisiko, eignen sich strenggenommen nur die Bilder von Picasso. Alle
andere Kunst ist hochspekulativ, mit einem enormen Verlustrisiko behaftet.
Das ist auch der Grund dafr, dass es nur eine winzige Zahl von Kunstfonds
gibt. Die Anzahl der Menschen, die durch Kunst signifikant reicher gewor-
den sind, ist im Vergleich zur Gesamtzahl der Reichen des Planeten vlligvernachlssigbar.
Der zweite gesicherte konomische Befund fr Kunst betrifft die Preis-
entwicklung. Die Preise fr Kunst steigen nicht mit dem Bruttoinlands-
produkt oder dem verfgbaren Einkommen, sondern mit zunehmender
Einkommensungleichheit. Wer sagt, dass die Verbreitung von Kunst eine
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Nebenwirkung von Einkommensungleichheit ist, hat schlicht recht. Es gibt
allerdings auch Evidenz dafr, dass die Kunst im Kapitalismus lediglich
einen Spezialfall einer allgemeineren Relation in der Geschichte der Mensch-
heit darstellt: Unabhngig vom konomischen oder Subsistenzregime wardas Auftreten von Kunst wohl schon immer mit einer Ungleichheit der
Lebensverhltnisse verbunden.
Fr das Geld ist auch die Soziologie zustndig. Das Standardmodell der
Kunstszene im deutschen Feuilleton ist ein verschwrungstheoretisches:
Das Geld fliee in die Kunst und gestalte die Kunst und die Kunstszene
gem seinen Bedrfnissen. Sammler wie Franois Pinault, der Leader auf
dem Gebiet der privaten Museen, Galeristen wie Larry Gagosian, der die
umsatzstrkste Galerie fr Contemporary Art betreibt, und Kuratoren wieHans-Ulrich Obrist machten unter sich aus, was Kunst beziehungsweise
gute Kunst ist und was nicht. Hans-Ulrich Obrist ist zwar nicht reich, so die
gngige Denkart, aber er hat ja eine schne Position im Museum.
Portrts von Sammlern und Galeristen sind die Klimax der Langewei-
le. Sammler ergehen sich grundstzlich in vllig unertrglicher Selbstbe-
weihrucherung. Egal, ob der Sammler ein Me-too-Sammler ist oder sogar
eine eigenstndige Sammlung aufgebaut hat. Ersteres hufig mit bezahltem
Kurator, zweiteres meist ohne. Galeristen preisen bergangslos ihre Knst-
ler und sich selbst an, manchmal ist gar nicht zu unterscheiden, wer gemeint
ist. Eine andere Spezies sind die Mitarbeiter der groen Auktionshuser.
Selbst die sogenannten Starauktionatoren prsentieren sich angenehm un-
eitel gem dem corporate spiritihres Arbeitgebers.
Franois Pinault, der Eigentmer des Luxusgterkonzerns, zu dem etwa
Bottega Veneta, Gucci und Yves Saint Laurent gehren, zeigt im Palazzo
Grassi und in der Punta della Dogana in Venedig stndig wechselnde Aus-wahlen aus seiner etwa Werke umfassenden Sammlung. Man hlt
ihm vor, dass seine Sammlung nichts anderes als ein aus Kunstwerken zu-
sammengesetztes Selbstportrt sei und dass er die Kunstwerke laut und
fetischhaft als Konsumgegenstnde prsentiere. Der regelmige Venedig-
Besucher kann nur konstatieren: In den Pinault-Museen sieht es nicht we-
sentlich anders aus als in den technisch und knstlerisch auf den neuesten
Stand gebrachten staatlichen Museen. Der Besucher fragt sich auerdem:
Aus Kunstwerken ein Selfie basteln, wie soll das gehen? Natrlich setztsich der Museumsgrnder Denkmale. Aber man wre doch froh, wenn an-
dere Denkmale nur einen Bruchteil des Nutzens abwerfen wrden, den die
Allgemeinheit aus den kritisierten Museen zieht.
Larry Gagosian besitzt einen Privatjet, mit dem er seine Kunden besucht,
um deren Entscheidungsprozesse zu untersttzen. Zur Frderung der Kauf-
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entscheidung drfen auch manchmal die Knstler mitfliegen. Neue Bilder
von Cecily Brown brigens die Tochter von David Sylvester kosteten
bei ihrer alten Galerie Dollar. Nach dem Wechsel zu Gagosian hob
der den Einstiegspreis kontinuierlich an, mittlerweile ist das Neo-Rauch-Niveau mit etwa einer halben Million Dollar erreicht. Neo Rauchs Galerist
Judy Lbke hat keinen Privatjet. Ohne den Wechsel zu Gagosian wrden
Cecily Browns neue Bilder nicht so viel kosten.
Trotzdem: Gagosian, Pinault und Obrist knnen weder im Alleingang
noch zusammen aus einem beliebigen in Frage kommenden Knstler einen
sehr teuren, sehr berhmten Knstler machen. Das Infragekommen ist eine
notwendige Einschrnkung des Variantenpools, die vor allem in Bezug auf
zwei Features greift: Eine Kunst darf einer anderen, bereits existierendennicht zu hnlich sein das ist grundstzlich uninteressant , und die Kunst
muss sich in irgendeiner Form des gegenwrtigen knstlerischen Umfeldes
bewusst sein, sie baut auf anderer Kunst auf, lehnt sie ab etc. Wer als Knst-
ler das Gegenteil von sich behauptet, schauspielert.
So naiv das klingen mag: Wenn ein Knstler sehr teuer und sehr berhmt
ist, dann hat das etwas mit seinem Werk zu tun. Dabei gibt es schlicht kei-
nerlei vorgngigeKategorien oder Kriterien, gem denen irgendjemand,
ein Knstler, ein Galerist, ein Kurator, gezielt daraufhin zu arbeiten in der
Lage wre, dass Kunst entsteht, die berhmt und teuer wird. Wer htte zum
Beispiel mit dem Superstar der postinternet art, dem geborenen Video-
knstler Ryan Trecartin gerechnet? Ex post lassen sich natrlich immer Ka-
tegorien definieren, in die die anerkannte Kunst eingeordnet werden kann.
Aber insbesondere die entsprechenden Kriterien sind ohne Wert, weil sie
in der Regel umweglos aus der Charakterisierung der erfolgreichen Kunst
abgeleitet sind.Die Tatsache, dass es keine universalen sthetischen Kategorien und kei-
ne Ex-ante-Kriterien fr erfolgreiche Kunst gibt, verleitet auch differenzierte
Geister mitunter zu intellektuellen Kurzschlssen. Wenn eine monochro-
me Leinwand, ein auf den Kopf gestelltes Pissoir oder eine Fettecke Kunst
sein knnen, wo gab es da noch plausible Qualittskriterien? Sie brachen
weg. In seiner Betrachtung ber das Geld Mehr () setzt Christoph
Trcke den Kunstmarkt der Gegenwart mit der hollndischen Tulpenma-
nie im . Jahrhundert gleich. Der Philosoph sollte einen nicht unwichtigenUnterschied zwischen Blumen und der Kunst bercksichtigen: Tulpen als
Tulpen sagen nichts ber die Welt aus. Eine monochrome Leinwand, das
Fountainbetitelte und mit R. Mutt signierte, waagerecht prsentierte
Urinal und das Fettdreieck in einem Raum der Dsseldorfer Kunstakade-
mie sagen etwas ber die Welt aus. Keineswegs jede knstlerische Aussage
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ber die Welt begrndet einen finanziellen Wert oder die Anerkennung des
Betrachters. Aber ist ein finanzieller Wert einmal etabliert, dann wird die
Aussage dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit zu erhhen, dass der finan-
zielle Wert nicht annihiliert wird.Die meisten Kunstszenebetrachter knnen sich zwar vorstellen, wie es ist,
viel Geld zu haben und es fr Kunst auszugeben oder mit Kunst als Knst-
ler, Galerist oder Auktionator viel Geld zu verdienen. Aber sie knnen sich
nicht vorstellen, dass durch das Geld eigentlich nichts bewirkt wird: Der
Kunstbetrieb ist eine im Vergleich zu anderen Feldern vllig einmalige Kom-
bination von Geld und Machtlosigkeit. Nirgendwo sonst hat so viel Geld
so wenig Macht. Mit einer Einschrnkung. Jeff Koons oder Damien Hirst
knnen ihre Kunstwerke nur mit Hilfe von Mitarbeiterstben schaffen, diebezahlt werden mssen. Das Geld verleiht ihnen knstlerischen Spielraum.
Wrden sie nicht Preise in Millionenhhe erlsen, knnten sie diese Werke
nicht produzieren. Gerhard Richter, Cecily Brown und andere Berhmte
und Unberhmte malen ihre Bilder, Geld hin oder her. Ansonsten glaubt
auch niemand, dass es einen Unterschied etwa fr die Mathematik oder an-
dere nichtexperimentelle Naturwissenschaften oder gar fr die Geisteswis-
senschaften macht, wenn man viel Geld in die entsprechenden Fakultten
pumpt.
Der Kunstbetrieb ist prinzipiell konomisch organisiert, jedoch mit
demokratischen Elementen durchsetzt. Der Selektionsmechanismus, der
darber entscheidet, welche Kunst brig bleibt und welche nicht, ist dabei
keineswegs ein rein konomischer. Man knnte formulieren: Teilnehmer,
die weder Kufer noch Verkufer sind, stimmen ebenfalls ab. konomische
Erwgungen geben niemals den alleinigen Ausschlag.
Gagosian kann nicht aus jedem beliebigen Maler einen teureren machen.Er versucht es zweimal, keiner klebt einen roten Punkt an ein Bild in einer
Show, er wird es sein lassen. Wenn ein Knstler zwar von Gagosian vertreten
wird, aber nur von Pinault gesammelt und nur von Obrist gelobt bezie-
hungsweise berhaupt beachtet wird, dann gibt es ihn nicht wirklich. Es
gibt den Knstler erst, wenn sich auch andere Kuratoren und Kunstkritiker
ber ihn uern und wenn sich auch andere Sammler seiner annehmen. Der
Herdentrieb taugt hier nicht als Gegenargument. Ohne den Herdentrieb
wrde die Demokratie nicht funktionieren, es kme niemals zu Konzen-trationen und temporren Gleichgewichten.
Gerhard Richter erzhlt gern die Anekdote, wie er einmal als Edition
hundert kleine Originale malte, die er sehr billig anbot. Sie waren sofort
verkauft und wurden instantan in Versteigerungen angeboten. Die Kufer
haben aus konomischen Motiven gehandelt. Aber sie haben den Markt
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17Die Kunst, die Kritik und das Geld
fr Gerhard Richter nicht gemacht. Sie waren ganz einfach Arbitrageure,
die eine ungerechtfertigte Preisdifferenz ausgentzt haben. Es ergibt keinen
Sinn, die Kunst gegen das Geld verteidigen zu wollen. Die Kunst und das
Geld, das sind zwei unabhngig voneinander rotierende Galaxien, die sichnur partiell berschneiden.
Dessen ungeachtet harren die Fragen bezglich der eklatanten Ungleich-
heiten auf allen Ebenen des Kunstbetriebs einer Antwort: Warum bezahlt
jemand , Millionen Dollar fr die metallene Nachbildung des aus einem
aufgeblasenen Luftballon geformten Hundes von Jeff Koons? Warum ist
Gerhard Richter soviel berhmter und teurer als Lutz Bacher? Wie wurde
aus dem Posterverkufer in Santa Monica der Megagalerist Larry Gago-
sian? Eine verschwrungstheoretische Kritik kann diese Fragen bestimmtnicht beantworten.
Die Abwesenheit von Kritik in der Kunstszene kann ebenso wenig ver-
schwrungstheoretisch begrndet werden. Im amerikanisch dominierten
Kunstbetrieb ist eigentlich jeder zu jedem nett. Das Kunst- und Modemaga-
zin Sleekerlutert realistisch: Because why criticise when you can always
be nice? Being a truly honest critic is impossible in a network economy
where everyone is supposed to be everyones friend. Lets face it, the pay is
so meagre that youll need the free dinner you get in exchange for saying
nice things about the art. Bad boyswie die Autoren von Kunst frisst Geld
(Der Geldmensch macht die Kunst zu seiner Sache, indem er sie ffentlich
mit Geld zusch und an anderer Stelle verhungern lsst.) sind eher eine
deutsche Spezialitt. Siehe auch bei den Knstlern Jonathan Meese.
Natrlich wrden viele Akteure gerne Geld machen, indem sie zuknf-
tig teure Kunst jetzt billig kaufen. Aber dieses Ziel bildet nicht den eigent-
lichen Fokus der Kunstszene. Das Angeben mit Kunst ist ein weitverbrei-teter niederer Instinkt. Doch eigentlich mchte der Sammler gar nicht mit
dem Preis, mit der Berhmtheit der von ihm erworbenen Kunst prahlen.
Nichts kann sich mit der Aura eines Sammlers messen, der in der Zeit Kunst
zu vertretbaren Preisen erworben hat, die spter berhmt und teuer gewor-
den ist. Was der Sammler tatschlich mchte: Dass man sagt, er verstehe
wirklich etwas von Kunst.
Der Trost der Philosophie
Wird diese Kunst erfolgreich sein? Das ist die zentrale Frage, die alle Be-
teiligten des Kunstbetriebs umtreibt. Wenn die Metapher nicht so abge-
standen wre, knnte man sagen, dass die Frage Fetischcharakter hat. Der
Kunstbetrieb ist auch der Widerspruch, der darin besteht, dass es einerseits
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keine vorgngigen sthetischen Kategorien und Kriterien fr erfolgreiche
Kunst gibt, dass aber andererseits stndig formuliert und entschieden wird,
als gbe es zumindest Anhaltspunkte fr solche Kategorien und Kriterien.
Sptestens hier muss man auf den Gedanken kommen, begriffl ichen odervielleicht sogar inhaltlichen Trost bei der Philosophie zu suchen.
Die kunsttheoretischen berlegungen moderner Philosophen machen
da allerdings wenig Hoffnung. Leider ist die durchaus Staunen machende
Fehlbehandlung der Brillo Boxesvon Andy Warhol durch Arthur C. Danto
kein Einzelfall. Der Philosoph sieht das skulpturale Objekt aus Waschmit-
telverpackungen als einen weiteren Fall der Produktionsstrategie des Rea-
dymade nach Marcel Duchamp. Dabei haben Warhol und seine Helfer die
Brillo Boxesaus Sperrholz nachgebaut, grundiert und dann unter Benut-zung von sechs Sieben bedruckt. Damals gab es Thomas Demand noch
nicht, aber dem Philosophen htte der Unterschied zwischen gewhnlichen
Firmenkartons und Nachbildungen aus Sperrholz schon auffallen knnen.
In der philosophischen sthetik fhrt kein Weg an Kant und Hegel vorbei.
Sie spannen den Raum auf fr die Verortung der Kunst zwischen den Polen
individuelle Kunsterfahrung und objektiv gegebenes Kunstwerk. Kant in-
teressiert sich vorrangig fr die individuelle Kunsterfahrung, der auslsen-
de Gegenstand ist ihm mehr oder weniger egal. Hegel ist ausschlielich mit
dem Kunstwerk befasst, ihn interessiert nur, was dieses bedeutet. Fr die
Bedeutungsanalyse braucht er kein Individuum.
Kants Bezeichnung fr die sthetische Erfahrung ist die reflektierende
Urteilskraft. Motor des allgemeinen und schlielich wissenschaftlichen
Erkenntnisstrebens ist die bestimmende Urteilskraft. Sie subsumiert ein
Besonderes unter ein Allgemeines. Im Gegensatz dazu ist die reflektieren-
de Urteilskraft mit einem gegebenen Besonderen befasst, fr das kein ver-fgbares Allgemeines existiert, unter das es subsumiert werden knnte. Es
wre nicht zutreffend zu sagen, die reflektierende Urteilskraft konstruiere
ein Allgemeines zu dem Besonderen. Kant meint vielmehr einen Vermitt-
lungsprozess, durch den ein Allgemeines entsteht, in dessen Verlauf sich
jedoch auch das ursprnglich gegebene Besondere verndert. Die Einheit
des Kunstwerks ist in keiner Weise von vornherein gegeben, sie entsteht erst
durch die reflektierende Urteilskraft, sie wird allein durch die sthetische
Erfahrung erzeugt.Im Gegensatz dazu setzt Hegel die Einheit des Kunstwerks bedingungslos
voraus. Alles gestaltende menschliche Streben gilt der Wahrheit. Religion,
Philosophie und Kunst sollen Wahrheit aussagen beziehungsweise ausdr-
cken. Das Schne in der klassischen Kunst ist nichts anderes als das sinn-
liche Scheinen der Idee. Kunst ist eine Bewusstseinsform, keine Vorstellung
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19Die Kunst, die Kritik und das Geld
der Idee. Gehalt und Darstellung des Kunstwerks sind eins. In der roman-
tischen Kunst als Verfallsstadium nach der klassischen Kunst fallen Gehalt
und Darstellung des Kunstwerks systematisch auseinander. Die Gesamtheit
der nachklassischen Kunst verkrpert nur noch einewahre Idee: diejenigeder historischen Bedingtheit des Menschen.
Wenn man die philosophischen Systeme als Ganze und die Dinge wrtlich
nimmt, dann sind Kant und Hegel nicht sehr hilfreich. Das gilt allerdings
fr die meisten Philosophen. Hegel setzt einen Wahrheitsbegriff voraus, der
unabhngig von der Kunst ist. Niemand, der bei intellektuellen Sinnen ist,
wrde sich heute noch trauen, einen so umfassenden Wahrheitsbegriff zu
vertreten, wie er fr Hegel selbstverstndlich war. Kant charakterisiert den
Prozess der sthetischen Erfahrung rein transzendental. Der Teufel liegt imempirischen Detail, das Kant aus Prinzip nicht ausfhren will.
Trotzdem beschreiben die Grundideen Kants und Hegels zwei Attrakto-
ren, die auch in der Gegenwart unverndert relevant sind. Die individuel-
le sthetische Erfahrung wird von den Knstlern selbst nahezu stndig ins
Feld gefhrt. Es sei etwa an die Aussage von Francis Bacon erinnert: Im
just trying to make images as accurately as possible off my nervous system
as I can.
Der universale Wahrheitsbegriff hat in dem Kosmos, der durch die mo-
derne Gesellschaft gegeben ist, lngst abgedankt. Aber es gibt ihn noch
heftig in den Separatuniversen der Knstler und ihrer Kunst. Ein Anschau-
ungsbeispiel dafr ist etwa die Rolle des repressed memory syndromebei
Mike Kelley. Seine Theorie ist, dass unablssig Leerstellen im individuel-
len und kollektiven Gedchtnis als Folge von direkter physischer oder psy-
chischer Gewalt gegen den Gedchtnistrger entstehen. Paradigma ist der
sexuelle Missbrauch. In seinen skulpturalen und szenischen Arbeiten ana-lysiert er die Umstnde, unter denen Gedchtnisleerstellen entstehen und
wie diese vom Individuum und von der Gesellschaft ausgefllt werden. Die
universale Wahrheit besteht fr Kelley darin, dass sowohl der Einzelne als
auch die Gesellschaft in nicht hinwegzudenkender Weise durch Gewalt und
deren Unterdrckung im Gedchtnis geprgt sind. Seine Kunst soll dazu
dienen, diese Wahrheit zu erkennen.
Es kann hier nicht darum gehen, ein Urteil darber abzugeben, ob
Francis Bacon wirklich ausschlielich entlang den emotionalen und Wahr-nehmungsimpulsen seines Nervensystems malte, ob Mike Kelley die Gesell-
schaft zutreffend portrtiert oder nicht. Beide schufen ganz konkrete Kunst-
welten, in denen sich die Dinge so verhalten, wie ihre Schpfer erluterten.
Die Kunstkritik war immer schon ein uneingelstes Ideal. Der Gedanke
der Kunstkritik ist ein Konstrukt, das bei genauer Betrachtung weder einen
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legitimen Raum noch einen legitimen Zweck hat. Trotzdem existiert fr das
Schreiben ber Kunst die Mglichkeit eines Ethos, das vom Geld und seinen
Wirkungen unabhngig ist: Man nimmt die Kunstwelten der verschiedenen
Knstler ernst. Genauso ernst wie mathematische Theoreme, wie theore-tische und praktisch nutzbare naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wie
neue Technologien, wie anspruchsvolle geistesgeschichtliche Linien, wie,
last but not least, Bilanzen. Die Kunstwelten sind der skrupulsen Beschf-
tigung wert, weil sie eine herausragende Eigenschaft besitzen, die anderen
Schpfungen des menschlichen Geistes nicht eignet: Bilanzen, wenn sie
vorliegen, geistesgeschichtliche Linien, wenn sie herausgearbeitet sind,
Technologien, wenn sie gebrauchsreif sind, naturwissenschaftliche Erkennt-
nisse verpflichten die Individuen und die Gesellschaften, ohne dass es nochWahlmglichkeiten gbe. Nichts, aber auch gar nichts an einer Kunstwelt ist
von sich aus dazu in der Lage, Menschen zu Weiterem zu verpflichten. Der
Mensch hat die Wahl, die er bei den Wissenschaften, bei der Technologie,
bei der Bilanz nicht hat.
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