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Page 1: Erwartungen an Weihnachten 1 - kirche- · PDF fileErwartungen an Weihnachten Liebe Festgemeinde! Nun ist also Weihnachten geworden, sogar einmal weiße Weihnacht, wie wir uns das jahrelang

Erwartungen an Weihnachten

Liebe Festgemeinde!

Nun ist also Weihnachten geworden, sogar einmal weiße Weihnacht, wie wir uns das jahrelang gewünscht haben. Obwohl: man nach vier Wochen Schnee und Verkehrschaos weiß man eben doch nicht so recht , ob man sich darüber freuen soll. Aber das ist ja auch typisch für Weihnachten, dass die Erwartungen an dieses Fest ganz unterschiedlich sind und die Gefühle hin- und hergerissen. Viele klagen über Weihnachtsstress, der offensichtlich dadurch entsteht, dass man so viele Geschenke kaufen muss oder dass man sich auf ein Fest vorbereiten muss. Andere haben keine Verpflichtungen, weil sie allein sind, aber eben das wird ihnen in dieser Zeit besonders schmerzhaft bewusst.

Weihnachten, ein Fest großer Gefühle, aber auch widersprüchlicher Gefühle. Da, wo man sich große Hoffnungen macht, wird man auch schnell enttäuscht. Wo man sich besonders bemüht, sein Bestes zu geben und wenigstens für ein paar Tage miteinander liebevoll und freundlich umzugehen, da kommt schnell an seine Grenzen. Zu keiner Zeit gibt es mehr Tränen und mehr Streitereien als ausgerechnet beim Fest der Liebe und der Familie.

Und wer glaubt, das sei früher alles besser gewesen, der muss nur in alten Briefen nachlesen und wird feststellen: das war damals auch nicht anders. Friedrich Nietzsche schreibt 1870 als 26jähriger Professor in Basel an seine Mutter und seine Schwester: „Schönsten Gruß zum Weihnachtsfest, dieses Jahr gibt nicht viel her. Seien wir froh, dass es bald zu Ende geht, ohne dass es uns selbst verschlungen hat.

Schließlich ist das immer noch das beste Geschenk, das wir uns machen können.

Nehmt vorlieb mit dem, was ich euch hier schicke. Dir, liebe Lisbeth, ein Band Schumannscher Lieder - es sind viel mehr, als du dir gewünscht hast, was hoffentlich nicht übel vermerkt wird – die obligaten Handschuh und ein Schachbrett. Wenn du nicht zufrieden bist, sag es, ich nehm’s dir diesmal gar nicht übel.

Allgemeines Erstaunen. Man hatte doch mehr erwartet. So ruppig ist noch kein Weihnachten ausgefallen, Hohn und Gelächter begleiten die Eröffnung des Basler Weihnachtskästchens. Ich verschwinde verschämt im Hintergrunde.“

Man merkt, es sind die gleichen Probleme, die auch uns heute plagen: vor lauter Überlegung, ob man es denn auch allen recht macht, ob die Geschenke wohl richtig ankommen, vergisst man, was man eigentlich vorhatte, was der Sinn der ganzen Sache war. Als Zwölfjähriger hatte Nietzsche es noch gewusst; damals hatte er in sein Tagebuch geschrieben: „Wir leben jetzt inmitten von Weihnachtsfreuden… Es ist schon der zweite Weihnachtstag, aber ein beglückendes Gefühl strahlt hell von dem ersten Weihnachtsabend. Es war ja der Tag, an dem der Welt einst zu Bethlehem das größte Heil widerfuhr.“ Vierzehn Jahre später ist es nur noch ein Tag, den er am liebsten weit hinter sich lassen würde.

Weihnachten, ein fest, das offenbar so überladen ist mit Erwartungen und mit Gefühlen, das manche es als Belastung empfinden und nach Alternativen suchen. Da hilft es nun aber wenig, den Weihnachtsbaum in der Kirche Kopf stehen zu lassen und Chuck Berry aufzulegen oder über die

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Feiertage in den Süden fliegen – das alles sind keine Lösungen, sondern nur Fluchtbewegungen. Viel besser wäre es, darüber nachzudenken, wie wir das Eigentliche wieder finden, wie wir die ursprüngliche Freude an diesem Fest wiederentdecken. Denn das gab es ja mal, das uns der Sinn von Weihnachten deutlicher war. Nur: wie kam das? Und wie kann man das heute wiederentdecken?

Wenn man Ältere fragt, an welches Weihnachtsfest sie sich noch besonders erinnern, dann berichten viele vom Winter 1945 / 46. Vor 65 Jahren. Es war damals auch ein harter Winter. Aber es waren die ersten „Friedensweihnachten“. Der Zweite Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen, das Land lag noch in Trümmern. Fenster mussten notdürftig zugeklebt waren, es gab kaum etwas zu essen, Heizmaterial musste „organisiert“ werden, und das hieß meist: gestohlen. Man wusste auch nicht so recht, ob man denn überhaupt feiern sollte, denn viele Männer waren ja noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt, in Gefangenschaft oder wurden vermisst. Wie sollte man da fröhlich sein, wie sollte man an Geschenke kommen oder an einen Festtagsbraten?

Also: Weihnachten feiern so wie wir es heute feiern, war undenkbar. Es war eine ganz andere Welt. Aber sie ähnelte verblüffenderweise der Geschichte, die da an diesem Heiligen Abend vorgelesen wurde. Und das begannen die Menschen in diesem besonderen Jahr zu begreifen. Heinrich Albertz, der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, war damals Flüchtlingspfarrer in Celle. Er schreibt in seinen Erinnerungen:

„Niemals in meinem Leben habe ich so deutlich erfahren, wie unabhängig von Besitz und Sicherheit, ja geradezu als eine Gegenwelt … die Weihnachtsgeschichte unmittelbar

und fast wörtlich verständlich wurde, und wie dieses Kind, dessen Geburt wir über Generationen hin in gesicherter Bürgerlichkeit gefeiert hatten, nun plötzlich das Gesicht der eigenen Kinder annahm. Viele fürchteten sich vor dem Fest und weigerten sich zunächst, sich vorzubereiten. Aber ich erinnere mich, wie in den Adventswochen die sonntäglichen Gottesdienste immer voller wurden, und wie die Lieder, die von Kindheit an vertraut waren, immer lauter und überzeugter klangen, als wollte man sich an ihnen festhalten. Ja sie wurden zum ersten Mal wirklich gehört und neu verstanden. Man brauchte kaum etwas hinzuzufügen. Denn das ‚kein Raum in der Herberge’ hatten ja nun alle erlebt.“

Das ist kein nostalgischer Versuch, die Vergangenheit zurückzufinden, nach dem Motto „Es müsste den Menschen wieder schlechter gehen, damit sie sich wieder auf Gott besinnen.“ Darum geht’s nicht. Aber es geht darum zu verstehen, dass diese Geschichte, die uns da immer wieder zu Weihnachten vorgelesen und vorgespielt worden ist und die wir in vielen Liedern besungen haben, dass wir sie vielleicht gar nicht gehört haben und gar nicht richtig verstanden haben. Dass es jedenfalls eine Gegengeschichte ist zu der Art und Weise, wie Weihnachten heute gefeiert wird. Denn da geht es um ein Kind, das in einem Stall zur Welt kommt, weil es sonst „keinen Raum in der Herberge gab.“ Genauer gesagt: Weil es dort in Bethlehem Menschen gab, die sich an diesem Tag hinter die festen Mauern ihrer Häuser zurückzogen und niemanden rein ließen. Und wir feiern das, indem wir uns selbst hinter die festen Mauern unserer Häuser zurückziehen und niemanden rein lassen. Wir hören eine Geschichte, die von armen Menschen handelt, von Hirten und von Suchenden, die Könige hat man

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erst später hineingedichtet. Und wir feiern ein Fest, das wie kein anderes geprägt ist von Reichtum und Überfluss.

Wie passt das zusammen: die Weihnachtsgeschichte und die Geschichte, die wir aus Weihnachten gemacht haben? Offensichtlich nicht so gut. Konsequenterweise hat die Figuren der Geschichte auch ausgetauscht, statt des Christkinds kommt nun der Weihnachtsmann, der ist auch gemütlicher, statt Ochs und Esel Rentier Rudolf, und die erwarten nicht, dass man ihnen Gold, Weihrauch und Myrrhe vor die Krippe legt, die bringen uns was. Diese Weihnachtsgeschichte passt viel besser, sie ist auch kompatibel mit anderen Religionen, so dass man dieses Fest nun überall in der Welt feiern kann. Das Evangelium nach Walt Disney.

Ich weiß: es hilft nichts, darüber zu spotten. Die Frage ist: Wie machen wir’s besser? Vielleicht darf ich, ohne Ihnen und euch zu nahe zu treten, ein paar Ideen weitergeben, die sogar biblisch begründet sind.

Erstens: Die Bibel unterscheidet zwischen Gesetz und Evangelium. Gesetz heißt: Du musst (zum Beispiel Gottes Gebote befolgen), sonst wirst du bestraft. Evangelium heißt: Du kommst nach Gottes Willen leben, weil du ein Kind Gottes bist, tu es aus Liebe zu ihm. Das kann man auch auf Weihnachten anwenden, zum Beispiel auf den schönen Brauch, sich gegenseitig zu beschenken. Gesetz bedeutet da: sieh zu, dass du allen genug schenkst, sonst kriegst du Ärger. Evangelium heißt: wenn du Geschenke machst, dann rechne nicht, was es kostet und was du dafür bekommst. Sondern schenke, weil du es gern tust, weil es dir Freude macht, Menschen zu beschenken, die du liebst. Wenn das aber nicht geht, wenn ihr schon zu stark in dem System von

Geben und Nehmen festgelegt seid, dann ist es vielleicht auch gut, einmal nichts oder weniger zu schenken, einfach damit es wieder etwas Besonderes wird. Und gib dafür Menschen etwas, die dir nichts wiedergeben können.

Zweitens: Weihnachten handelt von ganz einfachen Dingen. Davon, dass man ein Dach über dem Kopf braucht. Davon, dass man Licht braucht, wenn es dunkel ist. Dass man einen Sinn im Leben braucht und ihm nachgehen muss, so wie man einem Stern folgt. Also nutz diese Zeit, um die einfachen und elementaren Dinge wiederzuentdecken. Und wieder zu fragen: Was ist mir wichtig? Welche Menschen sind mir besonders wichtig? Zu welchem Ziel bin ich eigentlich unterwegs? Um dem dann auch nachzugehen und entsprechend zu leben. Das neue Jahr muss nicht unbedingt mit guten Vorsätzen überfrachtet werden, aber es ist kein schlechter Anlass für Kursänderungen.

Und schließlich drittens: lassen Sie uns bei allem, was sich an Traditionen um Bräuche um die Weihnachtsgeschichte gelegt hat, nicht vergessen, worum es ursprünglich geht. Das ist die Botschaft: Euch ist heute der Heiland geboren. Und „euch“ bedeutet dabei: Euch, die ihr euch noch freuen könnt an diesem Tag, aber auch euch, die ihr heute besonders einsam seid – euch, die ihr euch darum bemüht, als Christen zu leben, und euch, denen der Glaube irgendwann abhanden gekommen ist euch, die ihr die Botschaft hört und euch, die ihr sie nicht hören wollt – euch Pfarrern, die ihr so viel von Gott redet und ihm so selten zuhört, und euch, die ihr mehr handelt als redet – euch allen ist der geboren, der euer Leben heil machen will.

Amen.