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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRGE
SWR2 Musikstunde Jazz across the border
Mit Gnther Huesmann
Sendung: 4. Mrz 2017
Redaktion: Martin Roth
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschlielich zum persnlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfltigung und Verbreitung bedarf der ausdrcklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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SWR2 Musikstunde: Jazz across the border
SWR2, 4. Mrz 2017
9.05-10.00 Uhr
Manuskript: Gnther Huesmann
Redaktion: Martin Roth
Mit Gnther Huesmann, guten Morgen! Herzlich willkommen zu einer aktuellen
Ausgabe von Jazz across the border.
Signet
Heute feiert ein ganz besonderer Musiker seinen 70sten Geburtstag: der
norwegische Saxofonist Jan Garbarek. Was hat man nicht alles aus seinem Ton
heraus gehrt: Feuer und Eis, die Se von Trauer und Melancholie. Kein anderer
hat unser Bild von dem, was skandinavischer Jazz bedeutet, so sehr geprgt wie der
Norweger. Er hat wesentliche Anste zur Emanzipation des europischen Jazz
gegeben. Vor allem aber hat er uns die Ohren weit geffnet fr die Klnge der Welt
in der improvisierten Musik. Und deshalb widmen wir ihm die heutige Ausgabe von
Jazz across the border, und sagen: Happy Birthday, Jan Garbarek!
1) Weaving A Garland
Komponist: trad./Jan Garbarek
Interpret: Jan Garbarek
ECM 1200 LC 02516
CD: Eventyr
Track 4 2:13
Jan Garbarek am Sopransaxofon, er gilt als berragender Klangmaler auf seinem
Instrument. Weaving A Garland spielte er zusammen mit dem Gitarristen John
Abercrombie.
Jan Garbarek ist ein bedeutender Pionier des Euro-Jazz. Ein Spieler, der mit seinen
Reflexionen ber skandinavische Folklore und Balkan-Melodien unzhligen Musikern
den Weg gewiesen hat. Denn der Saxofonist zeigte, dass man durch die Besinnung
auf die eigenen musikalischen Wurzeln einen potenten Jazz machen kann - jenseits
der Kopie amerikanischer Vorbilder. Heute ist es nichts Besonderes mehr, wenn sich
Improvisatoren auf das vielfltige Erbe der nordischen Sounds und der world music
beziehen. Anfang der 1970er Jahre war dieser Saxofonist fast allein: Jan Garbarek.
2) Folk Song
Trad.
Interpret:Charlie Haden/Jan Garbarek/Egberto Gismonti
Label: ECM 1170 LC 2516
CD: Folk Songs Track 1 3:30
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Jan Garbarek, Sopransaxofon; Charlie Haden, Kontrabass und Egberto Gismonti,
Gitarre mit dem Folk Song.
Das grte Jazz-Musik-Talent, das Europa nach Django Reinhardt hervorgebracht
hat, so hat der Komponist George Russell Anfang der 1970er Jahre einmal Jan
Garbarek bezeichnet.
Ironischerweise war es ein Afroamerikaner, ein berhmter Jazzer aus den USA der
Jan Garbarek darauf brachte, skandinavische Folklore in seine Musik zu integrieren:
Don Cherry. Da war Garbarek 17 Jahre jung, er spielte mit Cherry bei einer Jam
Session, und mit allem hatte Garbarek gerechnet, aber nicht damit, dass
ausgerechnet der Free-Jazz-Trompeter Cherry einen traditionellen norwegischen
Folkloremusiker mitbringen wrde. Von nun an reflektierte der Saxofonist Garbarek
seine eigenen nordischen Roots. Er ffnete sich vielfltigen weltmusikalischen
Einflssen, besonders jenen aus dem asiatischen und indischen Raum.
Ergebnis: Seine Linien erschlossen pltzlich Rume von magischer Weite:
Traumbilder von entrckter Schnheit.
3) Witchi-Tai-To
Komponist: Jim Pepper
Interpret: Jan Garbarek-Bobo Stenson Quartet
ECM 1041 LC 02516
CD: Witchi-Tai-To
Track 4 4:24
Witchi-Tai-To, der indianische Jazz-Song von Jim Pepper, Jan Garbarek hat ihn mit
seiner Interpretation von 1973 weltberhmt gemacht. Und das Quartett, das hier
spielte das Jan Garbarek-Bobo Stenson-Quartett gehrte damals zu den
erfolgreichsten Tour-Bands.
Jan Garbarek hat den flammenden Cry der Free-Jazz-Saxofonisten auf
dramatische Weise elegisiert und sthetisiert. Dass man seine Musik mit Fjorden und
mit Eisblcken verglichen hat ist allerdings etwas irrefhrend. Der Bassist Eberhard
Weber, in dessen Band Garbarek viele Jahre lang gespielt hat, weist darauf hin:
kaum ein Saxofonist spielt so laut wie Garbarek, sein Ton hat die Kraft Garbarek-
Verchter wrden sagen die Penetranz eines Schneidbrenners.
Jan Garbarek ist Autodidakt. Mit 14 Jahren gab es einen Wendepunkt in seinem
Leben. Er hrte zum ersten Mal John Coltrane. Das war 1961. Seine Eltern saen im
Wohnzimmer und lasen Zeitung, das Radio lief. Die Musik kam aus einem kleinen
Mono-Radio und traf den jungen Garbarek ins Innerste. Da dachte er:Das ist
wunderbar, dem mchte ich nahe sein. Coltrane htte, glaubt Garbarek, jede Art von
Musik spielen knnen. Coltrane htte die Fhigkeit, durch sein Instrument zu
sprechen. Es war das Stck Countdown aus Coltranes Album Giant Steps, das
den jungen Norweger zum Jazz brachte. Garbarek hatte einen tragbaren
Plattenspieler. Jeden Morgen, beim Zhneputzen, bevor er zur Schule ging, hrte er
darauf das Album Giant Steps. Nach zwei Jahren kannte er die Platte auswendig.
Garbarek sagte: Coltrane war der Meister und ich wurde einer seiner vielen
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Lehrlinge. Er war nicht nur ein Meister, sondern auch ein Zauberer. Was von seiner
Musik ausging, war nicht nur der Effekt handwerklichen Knnens, sondern etwas
Mystisches. Trotz dieser vielen Tne, dieser immensen Aufregung, dieses Brennens,
trotz allem war da ein ruhendes, ja statisches Element. Etwas Schweres.
sagte Garbarek. Aber er htte es genauso gut ber seine eigene Musik sagen
knnen. Befreit von seinem Vorbild, spielte er 1973 diese Version des kubanischen
Revolutionsliedes Hasta Siempre ein.
4) Hasta Siempre
Komponist: Carlos Puebla
Interpret: Jan Garberek-Bobo Stenson Quartet
CD: Witchi-Tai-To
Track 3 8:10
Ein Meilenstein des frhen Euro-Jazz. Hasta Siempre, Jan Gabareks Version der
kubanischen Melodie mit einem Ausschnitt aus dem Album Witchi-Tai-To von 1973.
Damals stand der Garbarek-Sound fr eine radikal andere Saxofon-sthetik wie sich
die israelische Pianistin Anat Fort erinnert. Die Tradition des Saxofonspiels,
besonders des Jazz-Saxofonspiels war damals sehr festgelegt. Es habe da einen
bestimmten blues- und bebopfixierten Klang gegeben, den die Saxofonisten
anstrebten, der Sound der verrucherten Clubs und Jazzkeller. Und dann kam dieser
andere Sound: als ob da jemand auf dem Berg stehe und zum Wind spielen wrde.
Dieser Unterschied zum traditionellen Ansatz habe sie in den Bann geschlagen. Ein
groartiger Musiker, meint Anat Fort.
Und im nchsten Track Viddene spielt Jan Garbarek buchstblich mit dem Wind,
oder genauer: mit einer Windharfe, die an der sdnorwegischen Kste steht und die
von den landeinwrts wehenden Winden der Nordsee zum Klingen gebracht wird.
Ein weiterer Mitspieler ist der Gitarrist Ralph Towner.
5) Viddene
Komponist: Jan Garbarek
Interpret: Jan Garbarek
Label: ECM 1093 LC 02516
CD: Dis
Track 3 5:36
Der Polarstern des nordischen Jazz, wie man ihn genannt hat. Jan Garbarek ist ein
Zauberer der Melodie. Diese Eigenschaft seine Fhigkeit, Klnge zu finden mit
einem extrem hohen melodischen Gewicht hat den norwegischen Saxofonisten
schnell in Kontakt mit einem anderen Melodien-Magier gebracht: mit dem
amerikanischen Pianisten und Bandleader Keith Jarrett. In dessen europischem
Quartett schuf Garbarek Juwelen des Jazz der 1970er Jahre.
Jarrett leitete zur gleichen Zeit auch ein anderes Quartett, sein sogenanntes
amerikanisches Quartett, das rauer, dichter, expressiver und experimenteller
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spielte. Garbarek dagegen brachte Melos und Melancholie in das europische
Quartett eine jubilierende Melancholie, die zum Markenzeichen des Saxofonisten
werden sollte. Mit Jan Garbarek schuf das europische Keith Jarrett Quartett
Meilensteine des elegischen Kammer-Jazz: jubilierend und melodientrunken.
6) My Song
Komponist: Keith Jarrett
Interpret: Keith Jarrett Quartet
Label: ECM 1115 LC 02516
CD: My Song
Track 2 6:09
Das europische Keith Jarrett Quartett mit dem Titelstck des Albums My Song von
1977. Keith Jarrett, Klavier; Jan Garbarek, Sopransaxofon; Palle Danielson,
Kontrabass und Jon Christensen, Schlagzeug.
Nach John Coltrane hat ein anderer Saxofonist Jan Garbarek elementar beeinflusst:
ein Mitglied des Duke Ellington Orchesters, der Altsaxofonist Johnny Hodges. Beim
Anhren von dessen Soli, habe es bei ihm Click gemacht, bekannte Jan Garberek.
Hodges zeigte ihm, dass man allein mit dem Sound mehr Geschichten erzhlen
knne als durch das Abspulen virtuoser Linien. In Johnny Hodges fand Jan Garbarek
sein Rollenmodell. Es geht ihm nicht so sehr um das virtuose Befragen von
musikalischem Material. Es geht ihm um das Zeichnen von Stimmungsbildern und
Atmosphren.
Der ebenso klare wie elegische Ton von Jan Garbarek, er gehrt mit seiner
jubilierenden Melancholie, mit seiner klagenden Freude zu den persnlichsten
Jazzsounds, die aus Europa kommen. Sein Saxofonspiel zeigt: es kommt nicht auf
die Flle der Noten an, sondern darauf, dass der Spieler den Sound zu einem
Kraftwerk der Gefhle macht.
Charakteristisch fr Jan Garbarek ist auch, dass er sich nicht in der Enge nordischer
Fjorde einrichtet und kein nationales norwegisches Sppchen kocht. Seine Musik ist
trotz aller Bezge auf das Joiken der Samen-Folklore, auf norwegische
Traditionals, auf skandinavische Kirchenlieder universell und unvergleichlich offen.
Was ihn antreibt ist immer auch die Frage, wie nordische Folklore und die Musik des
Balkans, die Musiken Kleinasiens und Indiens miteinander zusammenhngen.
Garbarek hrt dort weniger Trennendes, sondern vielmehr Gemeinsames und
Verbindendes.
7) Raga II
Komponist: Ustad Fateh Ali Khan
Interpret: Jan Garbarek
Label ECM 1442 LC 02516
CD: Ragas and Sagas
Track 3 4:40
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Vom Jazz her kommend hat Jan Garbarek zahlreiche Richtungen nichtwestlicher
Musik fr sich entdeckt. Er liebt es ber den Tellerrand der eigenen Kultur
hinauszuschauen, interessiert sich fr Spieler, die eine vollkommen andere
Herangehensweise an das Musikmachen haben. Raga Two zeigte ihn im
Zusammenspiel mit dem pakistanischen Snger Ustad Fateh Ali Khan.
Garbareks grter Crossover-Erfolg das Album Officium mit dem Hillard
Ensemble bildete den Startschuss fr viele andere Begegnungsprojekte zwischen
Jazz und Alter Musik. Auch wenn dem Saxofonisten gelegentlich Kitsch vorgeworfen
wurde: selten ist der Dialog zwischen Jazz und Alter Musik so gelungen wie in
Garbareks Zusammenspiel mit diesem Vokalensemble aus drei Tenren und einem
Counter-Tenor. Der Saxofonist berldt die Atmosphre nicht, er ergnzt und
erweitert sie, indem er hier fast vollstndig auf das Tenorsax verzichtet. In der
Konstellation mit dem Hillard Ensemble spielt er zu 95 Prozent das Soprano ein
Instrument, das ihm die Freiheit gibt, in elysische Hhen aufzusteigen und seine
Saxofonklnge ber den Sngern schweben zu lassen.
8) Parce Mihi Domine
Komponist: K. Christobal de Morales/arr. Hillard Ensemble-Jan Garbarek
Interpret: Jan Garbarek/Hilliard Ensemble
Label: ECM 1525 LC 02516
CD: Officium
Track 1 6:42
Parce Mihi Domine von Christobal de Morales, der Saxofonist Jan Garbarek im
Zusammenspiel mit dem Hilliard Ensemble.Er sei immer noch unterwegs und suche
den Raum zwischen den Tnen, meint Jan Garbarek. Stille sei das Hchste. Stille sei
der Ausgangspunkt fr den nchsten Ton. Aus Stille msse etwas erwachsen. Sie
sei fr ihn der Atem der Musik. Vielleicht deshalb ist Garbarek auch im Laufe der
Jahre zu einem Minimalisten geworden. Stilistisch aber steht er fr eine groe
Offenheit. Der world musician Jan Garbarek arbeitet nicht wie ein Sammler, der
exotische Fundstcke unter seine musikalische Lupe hlt. Der Saxofonist folgt
vielmehr seinem Gespr fr menschliche Beziehungen. Alles beginne mit
persnlichen Begegnungen, sagt der Norweger, mit einem besonderen Interesse fr
bestimmte Menschen. Und dieses Interesse hat ihn auch in Kontakt gebracht mit
dem in Paris lebenden tunesischen Oud-Spieler Anouar Brahem und dem
pakistanischen Tablaspieler Shaukat Hussain.Hier kommen sie zum Abschluss der
SWR2 Musikstunde und Jazz across the border mit dem Track Sull Lull. Happy
Birthday sagen wir noch einmal zu Jan Garbarek, der heute 70 Jahre alt wird. Mein
Name ist Gnther Huesmann. Ich wnsche Ihnen ein schnes Wochenende.
9) Sull Lull
Komponist: trad./arr. Jan Garbarek
Interpret: Garbarek/Brahem/Hussain
Label: ECM 1515 LC 02516 CD: Madar Track 1 1:40