EURESCO (European Science Foundation)-Conference: Biomedicine within the limits of Human Existence

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Ethik Med (2002) 14:38–40 Tagungsberichte EURESCO (European Science Foundation)- Conference: Biomedicine within the limits of Human Existence Bioethics – an interdisciplinary Challenge and a cultural Project Davos, 8.–13. September 2001 Julia Wolf Die biomedizinische Forschung eröffnete neue Möglichkeiten, biologische Grenzen des menschlichen Daseins zu erweitern und zu überschreiten. Die Grenzen selbst werden dabei nur noch als Behinderung und Einschränkung empfunden und damit negativ beurteilt. Ziel der EURESCO-Konferenz in Davos war es, die Wahrnehmung von biologischen Begrenzun- gen und das damit verbundene neue Selbstverständnis des Menschen in den Biowissenschaf- ten und der Bioethik zu hinterfragen. Unter dem Titel „Biomedicine within the limits of hu- man existence“ erörterten Referenten und Referentinnen sowie Teilnehmende aus Europa und den USA die gegenwärtige und zukünftige Rolle der Bioethik. Der Schwerpunkt lag da- bei auf den verschiedenen Methoden bioethischer Reflexion und Analyse, die unterschiedli- che Formen des moralischen Diskurses initiieren. Die Auftaktveranstaltung dieser zweiteili- gen Konferenzreihe fand in Zusammenarbeit mit der Schweizer Gesellschaft für Biomedizi- nische Ethik unter dem Vorsitz von Dr. Christoph Rehmann-Sutter (Universität Basel) sowie Prof. Dietmar Mieth und Dr. Marcus Düwell (Universität Tübingen) statt und wurde von der Schweizer Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften, dem Bundesamt für Bildung und Wissenschaft sowie dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissen- schaftlichen Forschung unterstützt. In der diesjährigen Zusammenkunft wurden zunächst Zwischenergebnisse und Fragestellungen erarbeitet, die innerhalb der geplanten zweiten Konferenz im Sommer 2003 in Tübingen evaluiert und in der Diskussion fortgesetzt werden sollen. Die Konferenz bot neben Vorträgen zu verschiedenen Themenbereichen auch Work- shops an, in denen konkrete Probleme und Fragestellungen und eigene Projekte einzelner Konferenzteilnehmer zu Diskussion gestellt werden konnten. Die Vielfalt und Fülle an Bei- trägen war beeindruckend und lässt sich im Rahmen dieses Artikels leider nicht vollständig wiedergeben. Zu Beginn der Tagung befassten sich die Referenten und Teilnehmer zunächst mit den ge- genwärtigen Herausforderungen der Bioethik. Albert Jonsen (University of Washington) ging in diesem Zusammenhang auf die amerikanische Auseinandersetzung mit bioethischen Fragestellungen aus historischer und methodischer Sicht ein. Sein Vortrag verdeutlichte die pragmatische Ausrichtung der amerikanischen Bioethik und verwies gleichzeitig auf die Grenzen dieses Ansatzes. Jonsens Beschreibung der amerikanischen Bioethikdebatte brachte die interessante Frage nach einer spezifisch europäischen Methodik und Diskussionskultur auf und regte zum Nachdenken über kulturelle und historische Einflüsse auf bioethische Dis- kurse an. Dipl. biol. Julia Wolf Graduiertenkolleg Ethik in den Wissenschaften, Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Keplerstraße 17, 72074 Tübingen, Deutschland © Springer-Verlag 2002

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Ethik Med (2002) 14:38–40

Tagungsberichte

EURESCO (European Science Foundation)-Conference: Biomedicine within the limits of Human ExistenceBioethics – an interdisciplinary Challenge and a cultural Project Davos, 8.–13. September 2001

Julia Wolf

Die biomedizinische Forschung eröffnete neue Möglichkeiten, biologische Grenzen desmenschlichen Daseins zu erweitern und zu überschreiten. Die Grenzen selbst werden dabeinur noch als Behinderung und Einschränkung empfunden und damit negativ beurteilt. Zielder EURESCO-Konferenz in Davos war es, die Wahrnehmung von biologischen Begrenzun-gen und das damit verbundene neue Selbstverständnis des Menschen in den Biowissenschaf-ten und der Bioethik zu hinterfragen. Unter dem Titel „Biomedicine within the limits of hu-man existence“ erörterten Referenten und Referentinnen sowie Teilnehmende aus Europaund den USA die gegenwärtige und zukünftige Rolle der Bioethik. Der Schwerpunkt lag da-bei auf den verschiedenen Methoden bioethischer Reflexion und Analyse, die unterschiedli-che Formen des moralischen Diskurses initiieren. Die Auftaktveranstaltung dieser zweiteili-gen Konferenzreihe fand in Zusammenarbeit mit der Schweizer Gesellschaft für Biomedizi-nische Ethik unter dem Vorsitz von Dr. Christoph Rehmann-Sutter (Universität Basel) sowieProf. Dietmar Mieth und Dr. Marcus Düwell (Universität Tübingen) statt und wurde von derSchweizer Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften, dem Bundesamt für Bildungund Wissenschaft sowie dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissen-schaftlichen Forschung unterstützt. In der diesjährigen Zusammenkunft wurden zunächstZwischenergebnisse und Fragestellungen erarbeitet, die innerhalb der geplanten zweitenKonferenz im Sommer 2003 in Tübingen evaluiert und in der Diskussion fortgesetzt werdensollen. Die Konferenz bot neben Vorträgen zu verschiedenen Themenbereichen auch Work-shops an, in denen konkrete Probleme und Fragestellungen und eigene Projekte einzelnerKonferenzteilnehmer zu Diskussion gestellt werden konnten. Die Vielfalt und Fülle an Bei-trägen war beeindruckend und lässt sich im Rahmen dieses Artikels leider nicht vollständigwiedergeben.

Zu Beginn der Tagung befassten sich die Referenten und Teilnehmer zunächst mit den ge-genwärtigen Herausforderungen der Bioethik. Albert Jonsen (University of Washington)ging in diesem Zusammenhang auf die amerikanische Auseinandersetzung mit bioethischenFragestellungen aus historischer und methodischer Sicht ein. Sein Vortrag verdeutlichte diepragmatische Ausrichtung der amerikanischen Bioethik und verwies gleichzeitig auf dieGrenzen dieses Ansatzes. Jonsens Beschreibung der amerikanischen Bioethikdebatte brachtedie interessante Frage nach einer spezifisch europäischen Methodik und Diskussionskulturauf und regte zum Nachdenken über kulturelle und historische Einflüsse auf bioethische Dis-kurse an.

Dipl. biol. Julia WolfGraduiertenkolleg Ethik in den Wissenschaften, Zentrum für Ethik in den Wissenschaften,Keplerstraße 17, 72074 Tübingen, Deutschland

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Der Einfluss von kulturellen (Pavel Tichtchenko, Russische Akademie der Wissenschaf-ten; Erica Haimes, University of Newcastle) wie historischen Hintergründen (Claudia Wiesemann, Universität Göttingen) auf die Wahrnehmung und Bearbeitung bioethischer Pro-bleme wurde in den Vorträgen zum Thema Biomedizin in ihrem kulturellen Kontext wiederaufgegriffen. Bioethik wurde in diesem Sinne als kulturelles und soziales Projekt, oder wiePavel Tichtchenko es ausdrückte, als ein neues kulturelles Paradigma ausgewiesen.

Mit der Vielfalt von Herangehensweisen und moralischen Bewertungen innerhalb einesöffentlichen Diskurses befasste sich auch Adele Cortina (Universität Valencia). Cortina unter-strich die Notwendigkeit einer Analyse von Werten und Prinzipien einzelner gesellschaftli-cher Gruppen und betonte deren Bedeutung für eine öffentliche Diskussionskultur. Ausge-hend von einem minimalen Grundkonsens in einer Gesellschaft, argumentierte Cortina, könn-te man diesen durch einen deliberativen und interdisziplinären Prozess zu einer ethics of maxima erweitern.

Die häufig eingeforderte universelle Gültigkeit ethischer Abwägungen macht es, so Christoph Rehmann-Sutter (Universität Basel) notwendig, regionale, historische und eigenepersönliche Grenzen zu überwinden. Rehmannn-Sutter lenkte damit die Aufmerksamkeit aufGrenzen der bioethischen Expertise und des ethischen Urteilens. Wie diese Grenzen in kon-kreten Situationen der Entscheidungsfindung im biomedizinischen Kontext überwunden wer-den können, war auch Thema der Gegenüberstellung verschiedener theoretischer Ansätze inForm einer Podiumsdiskussion. Die möglichen Vorteile pragmatischer Ansätze wurden am Beispiel der medizinethischen Prinzipien von Beauchamps und Childress von BettinaSchöne-Seifert (Universität Hannover) vorgestellt, die damit auch an den Vortrag von Jonsenanknüpfte. Im Gegensatz dazu versuchte Marcus Düwell (Universität Tübingen) die Notwen-digkeit deontologischer Argumente in der Bioethikdebatte aufzuzeigen und stellte diese derPrinzipienethik und utilitaristischen Theorien gegenüber. Brigitte Feuillet-Le Mintier (Uni-versität Rennes) und Roberto Mordacci (Universität Vita-Salute San Raffaele, Mailand) erör-terten im Anschluss daran, das Für und Wider liberaler und kommunitaristischer Argumentein der bioethischen Debatte.

Die neuen Möglichkeiten in den Biowissenschaften regen jedoch nicht nur zur Diskussionüber ethische Methoden und den gesellschaftlichen Diskurs an, sondern tangieren auch dasmenschliche Selbstverständnis und die menschliche Identität. Unter dem Titel Körper, Exi-stenz und Identität wurden die Auswirkungen der Biowissenschaften auf unsere Vorstellun-gen über den Menschen und das Menschsein diskutiert. Biomedizinische Techniken, die unse-re Lebenswelt verändern, bezeichnete Jean-Pierre Wils (Universität Nijmegen) auch als „anthropo-techniques“, die menschliches Leben zum biotechnischen Großprojekt machenund dadurch die Grenze zwischen Kultur und Natur bedeutungslos erscheinen lassen. DieBiomedizin nimmt damit eine Schlüsselposition im gegenwärtigen Verständnis vom Men-schen und dessen körperlichen Grenzen ein, merkte Jackie Leach-Scully (Universität Basel)an, die sich in ihrem Vortrag mit den Begrenzungen und Ausgrenzungen behinderter Men-schen auseinander setzte. Die Referentin kritisierte die biomedizinische Hermeneutik und ihreideologische Funktion in der Diskussion und dem Verständnis menschlicher Behinderungenund verwies auf die Möglichkeit, Behinderung als Variation menschlichen Lebens zu verste-hen. Biologische Grenzen und menschliche Grenzsituationen können gerade auch als Heraus-forderung begriffen werden, um neue Fragestellungen zu eröffnen und zu einem erweitertenVerständnis von menschlicher Endlichkeit beizutragen. Beat Sitter-Liver (Universität Fri-bourg) deutete daraufhin, dass gerade die Endlichkeit menschlicher Existenz einen zu Un-recht vernachlässigten Aspekt bioethischer Diskussionen darstelle. Die Bioethik ist letztlichmit verschiedenen Problemen und Grenzfragen konfrontiert, die sich wie Walter Lesch (Uni-versität Louvain-La Neuve) anmerkte, nicht innerhalb einer Disziplin lösen lassen, sonderneine transdisziplinäre Auseinandersetzung einfordern.

Am letzten Tag der Konferenz standen nochmals die Aufgaben und Methoden der Bioethikauf dem Programm, die durch die Vorträge von Hille Haker (Universität Tübingen) und Sigrid Graumann (Universität Tübingen) kritisch erfragt und durch den Workshop tools andmethods in bioethics thematisch ergänzt wurden. Während Haker die Bedeutung einer narrati-ven Bioethik im klinischen Kontext aufzeigte, befasste sich Graumann mit dem Selbstver-ständnis von Bioethik sowie Bioethikern und Bioethikerinnen. In diesem Zusammenhangwurde die Frage aufgeworfen, wer bzw. welche Gruppen sich als bioethische Experten undAkteure ausgeben und in gegenwärtigen Debatten in Erscheinung treten.

In einer abschließenden Gesamtbewertung fasste Dietmar Mieth (Universität Tübingen) dieErgebnisse der diesjährigen Konferenz zusammen und verdeutlichte nochmals die unter-schiedlichen Perspektiven in der bioethischen und öffentlichen Diskussion, die durch eineKultur moralischer Dissense gekennzeichnet ist. Mieth unterstrich die Notwendigkeit einer„rationalen Bioethik“, die es ermöglicht, die im Laufe der Tagung vorgetragenen unterschied-lichen Ansichten und Ansätze zu respektieren, ihre Hintergründe zu analysieren und in eineminterdisziplinären Rahmen zusammenzuführen. Noch offene Fragen zur Kontextualität derBioethik, der Frage nach einer interdisziplinären Methodik und zur zukünftigen Rolle derBioethik wurden gesammelt und werden als Anregung für die zweite Konferenz im Jahr 2003in Tübingen festgehalten.

Die internationale Tagung wurde von den Ereignissen des 11. Septembers 2001 überschat-tet, die nicht ohne Einfluss auf die Teilnehmer und die Diskussionen blieben und zugleich dieGrenzen des Fassbaren aufzeigten.

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