Europäische Union in guter Verfassung? · 11.08.2003 · Bürger ohne „variable Geometrie“...

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Marxistisches Forum Heft 47 Marxistisches Forum Heinz Behling†, Michael Benjamin†, Joachim Bischoff, Gerhard Branstner, Wolfgang Brauer, Erich Buchholz, Stefan Doernberg, Ernst Engelberg, Edeltraut Felfe, Susi Fleischer, Gert Friedrich, Kuno Füssel, Günter Görlich, Erich Hahn, Heidrun Hegewald, Manfred Hegner, Horst Heininger, Uwe-Jens Heuer, Klaus Höpcke, Helga Hörz, Detlef Joseph, Herbert Hörz, Ernstgert Kalbe, Heinz Kallabis, Horst Kellner, Hermann Klenner, Horst Kolodziej, Adolf Kossakowski, Dieter Kraft, Hans-Joachim Krusch, Volker Külow, Daniel Lewin, Ekkehard Lieberam, Peter Ligner, Renato Lorenz, Moritz Mebel, Harald Neubert, Harry Nick, Eberhard Panitz, Kurt Pätzold, Wilhelm Penndorf, Siegfried Prokop, Wolfgang Richter, Fritz Rösel, Ekkehard Sauermann, Gregor Schirmer, Walter Schmidt, Horst Schneider, Arnold Schölzel, Günter Schumacher, Hans-Joachim Siegel, Gisela Steineckert, Gottfried Stiehler, Armin Stolper, Wolfgang Triebel, Wolfram Triller, Ingo Wagner, Günter Wendel, Laura von Wimmersperg, Dieter Wittich, Winfried Wolf Redaktion: Kurt Pätzold, Hans-Joachim Siegel Berlin, März 2004 Preis 2,00 Euro Europäische Union in guter Verfassung? Von der Beratung des Marxistischen Forums am 12. Januar 2004 Mit Beiträgen von Norman Paech, Detlef Joseph, Gregor Schirmer, Uwe-Jens Heuer, Edeltraut Felfe und zwei Beschlüssen des Marxistischen Forums

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Marxistisches ForumHeft 47

Marxistisches Forum

Heinz Behling†, Michael Benjamin†, Joachim Bischoff, Gerhard Branstner, Wolfgang Brauer, Erich Buchholz,Stefan Doernberg, Ernst Engelberg, Edeltraut Felfe, Susi Fleischer, Gert Friedrich, Kuno Füssel, GünterGörlich, Erich Hahn, Heidrun Hegewald, Manfred Hegner, Horst Heininger, Uwe-Jens Heuer, Klaus Höpcke,Helga Hörz, Detlef Joseph, Herbert Hörz, Ernstgert Kalbe, Heinz Kallabis, Horst Kellner, Hermann Klenner,Horst Kolodziej, Adolf Kossakowski, Dieter Kraft, Hans-Joachim Krusch, Volker Külow, Daniel Lewin,Ekkehard Lieberam, Peter Ligner, Renato Lorenz, Moritz Mebel, Harald Neubert, Harry Nick, Eberhard Panitz,Kurt Pätzold, Wilhelm Penndorf, Siegfried Prokop, Wolfgang Richter, Fritz Rösel, Ekkehard Sauermann,Gregor Schirmer, Walter Schmidt, Horst Schneider, Arnold Schölzel, Günter Schumacher, Hans-Joachim Siegel,Gisela Steineckert, Gottfried Stiehler, Armin Stolper, Wolfgang Triebel, Wolfram Triller, Ingo Wagner,Günter Wendel, Laura von Wimmersperg, Dieter Wittich, Winfried Wolf

Redaktion: Kurt Pätzold, Hans-Joachim Siegel

Berlin, März 2004 Preis 2,00 Euro

Europäische Unionin guter Verfassung?

Von der Beratung des Marxistischen Forums am 12. Januar 2004

Mit Beiträgen vonNorman Paech, Detlef Joseph, Gregor Schirmer,

Uwe-Jens Heuer, Edeltraut Felfe undzwei Beschlüssen des Marxistischen Forums

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Europäische Union in guter Verfassung?Beratung des Marxistischen Forums am 12. Januar 2004

Inhalt:1. Prof. Dr. Norman Paech Eine Europäische Verfassung - so nicht! Seite 2

2. Prof. Dr. Detlef Joseph Die neue EU-Verfassung unddie Grund- und Menschenrechte Seite 8

3. Prof. Dr. Gregor Schirmer Militarisierung der Europäischen Union Seite 12

4. Marxistisches Forum Antrag an die 3. Tagung des 8. Parteitages der PDSBeschluss des Marxistischen Forums Seite 18

5. Prof. Dr. Uwe-Jens Heuer Wer sind die Preußen von heute?(Nachdruck aus der Jungen Welt) Seite 19

6. Prof. Dr. Edeltraut Felfe EU - sozial verfasst?(Nachdruck aus der Jungen Welt) Seite 23

Inhaltsverzeichnis 1

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Das europäische Verfassungsprojekt ist vorerst gescheitert- was ähnlich wie das Scheitern der WTO-Konferenz vonCancun im Herbst vergangenen Jahres von den einen alsKrise von den anderen als Chance begriffen wird. Damitist der Verfassungsgedanke für Europa nicht untergegan-gen und aus der Welt. Nur dieser Entwurf hat sich nichtdurchsetzen können u. zw. nicht etwa gegen die allmäh-lich öffentlich werdende Kritik der Bürgerinnen und Bür-ger,1 sondern gegen die Interessen zweier Regierungen.Was der polnischen und spanischen Regierung aber soübel angekreidet wird, ist nichts anderes als ihr Wider-stand gegen den Versuch der alten EU-Staaten, mittels derVerfassung ihren dominanten Einfluss auch in der erwei-terten Gemeinschaft durchzusetzen. Denn es geht um diezukünftige Macht in der von 15 auf 25 und mehr Mit-gliedstaaten erweiterten Union und damit auch um dieVerteilung der Mittel für die Agrar-, Regional- und Struk-turpolitik. Der von dem Konvent vorgeschlagene Verfas-sungsentwurf hätte gerade den von den Transferleistungenbesonders begünstigten Ländern (wie Spanien, Griechen-land, Portugal und bald auch Polen) die ihnen jetzt nochmögliche Sperrminorität genommen.

1. Verfassungsfragen sind Machtfra-gen: der demographische Faktor

Worum geht es? Seit Mitte der neunziger Jahre steht dieReform der institutionellen Architektur auf der Agenda deEU. Vor allem die Größe der Europäischen Kommission,die Gewichtung der Stimmen im Europäischen Rat unddie Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen bedurfteneiner Neuregelung. Hinzu kam mit der Erweiterung dieNeuverteilung der Sitze im größer werdenden Europäi-schen Parlament. Während 1997 in Amsterdam nochkeine Übereinkunft erzielt werden konnte, brachte derGipfel von Nizza im Dezember 2000 eine Einigung überdie Neuverteilung der Sitze im Parlament. Danach verrin-gert sich die Abgeordnetenzahl aller Mitgliedstaaten deralten Union, ausgenommen ist Deutschland, welchesseine 99 Sitze behält. Damit wurde zum ersten Mal derdemographische Faktor berücksichtigt, der auch eineÄnderung der Abstimmungen im Rat zur Folge hat. EinRatsbeschluss kann nunmehr angefochten werden, wenner nicht mindestens 62 Prozent der EU-Bevölkerungrepräsentiert. Allerdings musste sich Deutschland bei derGewichtung der Stimmen im Rat mit den gleichen29 Stimmen zufrieden geben wie Frankreich, Großbritan-nien und Italien. Spanien und Polen, obwohl nicht einmalgemeinsam so viele Einwohner aufweisend wie Deutsch-land, erhielten jeweils 27 Stimmen.

Der Konventsentwurf wollte diese Gewichtung nun eben-falls an der Bevölkerungszahl ausrichten. Das hätte eine

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erhebliche Einflussverlagerung zugunsten der vier bevöl-kerungsstärksten Länder zur Folge. Deutschlands prozen-tualer Anteil an den 345 Gesamtstimmen stiege von 8,4 %auf 17 %, der Anteil Frankreichs, Großbritanniens und Ita-liens auf jeweils 12 %. Mit insgesamt 53 % hätten die vierLänder fast schon die im Verfassungsentwurf vorgesehe-nen 60 % der Gesamtbevölkerungszahl für eine qualitati-ve Mehrheit erreicht. Da sie zusätzlich die Mehrheit von13 Mitgliedsstaaten mit nur je einer Stimme benötigen,könnten sie den kleinen Staaten Bündnisse anbieten. Diemittelgroßen Staaten wie Polen und Spanien, derengewichteter Anteil sich lediglich von 7,8 % (Nizza) auf8 % (Konventsentwurf) erhöhen würde, verlören deutlichan Einfluss, wie übrigens auch Griechenland, Belgien,Portugal und die Tschechische Republik. Diese Länderbesitzen jetzt noch eine Sperrminorität, würden sie abermit der Verfassung verlieren. Vor diesem Hintergrund istauch ihr Widerstand gegen die Einführung qualifizierterMehrheiten bei Entscheidungen in der Außen- oderRechtspolitik zu verstehen. Wie unsicher allerdings dasBündnis der kleinen und mittelgroßen Staaten ist, zeigt,dass gerade die beiden Koalitionäre gegen die neue Stim-mengewichtung Spanien und Polen, scharfe Konkurrentenum die Transferleistungen sein werden.

Der Integrationsprozess, der durch die Verfassung neueDynamik erhalten soll, entpuppt sich somit als ein Macht-kampf über die zukünftige Führung in der EU, der vorallem über die derzeit eher wachsenden ökonomischenund sozialen Gegensätze in der Union entscheiden wird -also alles andere als eine „neue geistige Grundsteinlegungfür die Europäische Union“, wie es der Präsident des Kon-vents Giscard d'Estaing in seiner Eröffnungsrede am28. Februar 2002 formuliert hatte.2 Der Widerstand gehtvon den ärmeren Staaten aus, die eine starke nationalePosition, d. h. ihre Souveränität in die Waagschale derkünftigen Verteilungskämpfe werfen, um nicht von dem„alten Europa“ dominiert zu werden. Die engere Koordi-nierung der Eurozone wie auch die strukturierte Zusam-menarbeit einiger Staaten auf dem Gebiet der Verteidi-gungspolitik, die der Verfassungsentwurf ermöglichenwill, verweisen zudem auf manifeste hegemoniale Ten-denzen auch innerhalb Europas. Schon vor dem Zusam-mentritt des Konvents wurden derartige Absichten hinterden Formeln vom „Europa der konzentrischen Kreise“oder „Europa der variablen Geometrie“ bzw. „Kerneuro-pa“ und „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ verborgen,die nach dem Scheitern wieder verstärkt in den Vorder-grund treten und die die kleinen Staaten vehement ableh-nen, da sie zu einer voraussehbaren Spaltung in Zentrumund Peripherie führen werden.3

1 Vgl. z.B. jüngst Klaus Lüdersens Ankündigung eines alternativen Gegenentwurfes zu den strafrechtlichen Teilen des Verfassungstextes, FAZ 2003,S. 29

2 Deutscher Bundestag, Der Weg zum EU-Verfassungskonvent. Berichte und Dokumentationen, Berlin 2002. Rede des Präsidenten Valery Giscardd'Estaing, S. 652 ff., 659.

3 Das ist z.B. der Kern der Kontroverse zwischen dem neuen Ratspräsidenten, dem irischen Regierungschef Ahearn, und dem Kommissionspräsi-denten, dem Italiener Prodi. Vgl. „Aufbegehren der „Kleinen“ in der Europäischen Union. Widerstandsparolen und Kritik am Verfassungsentwurf,

Norman Paech

Eine Europäische Verfassung - so nicht!

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2.Wozu eine Europäische Verfassung?Eine Verfassung allerdings sollte diese manifesten Ten-denzen unterbinden statt verstärken. Unabhängig davon,ob sie eine eher föderalistische oder intergouvernementa-le Variante der Integration vertritt, sollte die Gleichheitder Entwicklungschancen aller Mitgliedsstaaten, ihreGleichberechtigung bei der Formulierung aller Politikbe-reiche und den Wohlstand aller ihrer Bürgerinnen undBürger ohne „variable Geometrie“ oberstes Gebot sein.Der Anklang an heroische Zeiten der Verfassungsgebungist mit der Wahl des Namens „Europäischer Konvent“offensichtlich bewusst gewählt worden. Der Konvent vonPhiladelphia, der 1787 in nur wenigen Monaten die 1776gegründete Konföderation in den Bundesstaat der Ameri-kanischen Union umwandelte und ihm eine Verfassunggab, obwohl ihm dazu gar kein Mandat gegeben war, magin mehrfacher Absicht zum Vorbild genommen worden zusein. Zum einen verkörpert er wohl die Sehnsucht nichtunerheblicher Kräfte nach einer Integration Europas zueinem Bundesstaat US-amerikanischen Zuschnitts, umsich dadurch schließlich auf die selbe politische Höhe dereinzig verbliebenen Supermacht heben zu können.4 Zumanderen symbolisiert er republikanisches Revolutionspa-thos, das der heutigen Situation vollkommen abgeht - eine„konstitutionelle Revolution“ wird nur dort beschworen,wo erfahrungsgemäß Revolutionen nie herkommen, imAußenministerium.5 Seine historische Aura soll jedochder bürokratischen Veranstaltung von 105 Vertretern dereuropäischen Parlamente und Regierungen die fehlendeAufbruchstimmung von unten und Verfassungslegitimati-on simulieren.

Der Europäische Konvent ist eine „Kopfgeburt voneuropäischen Regierungschefs und ministerialen Stäben“6

Nüchtern und institutionell-formal lauten die Aufgaben,die der Europäische Rat im Dezember 2001dem Konvent„zur Zukunft der EU“ gestellt hatte: Eine bessere Vertei-lung und Abgrenzung der Kompetenzen in der EU sowiedie Vereinfachung ihrer Instrumente. Sodann die Steige-rung der demokratischen Legitimierung und Transparenzsowie der Effizienz der EU-Organe. Und schließlich dieVereinfachung und Neuordnung der bestehenden EU-Ver-träge in einem Verfassungstext.7 Was dann in den folgen-den anderthalb Jahren beraten wurde, geschah mitgeschäftiger Diskretion, durchaus transparent aber weit-gehend abseits des Blicks der EU-Bürgerinnen und Bür-ger. Zwar waren alle möglichen Organisationen aufgefor-

dert, ihre Stellungnahmen abzugeben, es wurde eineHomepage eingerichtet, auf der die Materialien undDokumente einzusehen waren, ein „Konvent der JugendEuropas“ hatte getagt und die prominentesten Philoso-phen hatten sich zu Wort gemeldet, doch die europäischeÖffentlichkeit nahm an dem Verfassungsprozess erstAnteil, als er scheiterte. Ein europäischer „Verfassungspa-triotismus“, wie ihn in den siebziger Jahren Dolf Stern-berger gegen den Nationalismus stellte, und in den achtzi-ger Jahren Jürgen Habermas als Voraussetzung zur Aus-bildung rationaler kollektiver Identitäten propagierte,konnte sich nicht einstellen. „Für Brüssel sterben?“8 istzwar ebenso unsinnig wie „Für Deutschland sterben“,macht aber in besonderer Weise deutlich, wie wenig denverschiedenen Völkern, Kulturen und Traditionen eineeuropäische Identität übergestülpt werden kann. Verfas-sungen sind an Staaten und diese an ein Staatsvolk gebun-den. Ohne diese machen Verfassungen keinen Sinn.9 DasBundesverfassungsgericht hatte in seinem Maastricht-Urteil vom 12. Oktober 1993 unzweideutig erklärt, dassder Unionsvertrag „keinen sich auf ein europäischesStaatsvolk stützenden Staat“ begründet: „Die EuropäischeUnion ist nach ihrem Selbstverständnis als Union der Völ-ker Europas ein auf dynamische Entwicklung angelegterVerbund demokratischer Staaten“.10 Verfolgte der Kon-vent evtl. jetzt das unterschwellige Ziel, mittels einer Ver-fassung ein europäisches Volk und einen Staat zu kreie-ren?

3. Gegen ein zentralistisches und exe-kutivisches Verfassungsziel

Die Diskussion um die „Finalität“, das „Staatsziel“ desVerfassungsprozesses wurde bereits frühzeitig durch dieAlternative zwischen einer am Modell Deutschland orien-tierten bundesstaatlichen Föderation und einer auf dernationalen Souveränität der Mitgliedsstaaten aufbauendenVariante eines Staatenbundes geprägt. Sie begann offiziellmit Außenminister Fischers Rede in der Humboldt-Uni-versität am 12. Mai 2000, in der er angesichts der kom-menden Herausforderungen an die EU eine „EuropäischeFöderation“ mit einer Souveränitätsabgrenzung zwischender Union und den Nationalstaaten propagierte.11 Bereitsdamals erhöhte er den Druck auf die Länder, die diesemModell nicht folgen wollten, durch die Ankündigung einer„Avantgarde“ einiger Staaten, die als „Gravitationszen-trum“ die Integration vorantreiben würden.12 Der Hinweis

Neue Züricher Zeitung v. 19. Dezember 2003. Vgl. auch Ruge, Undine (2003), S. 314 ff. Auch Jürgen Habermas und Jaques Derrida favorisieren inihrem gemeinsamen Aufruf die Bildung eines Kerneuropas, FAZ v. 31. Mai 2003.

4 Derartige Sehnsüchte vermuten auch Emanuel Richter (2002), S. 11 und Uwe-Jens Heuer (2003) S. 10 f.5 Außenminister Fischer in einer Diskussion mit Jean Pierre Chevènement, Die Zeit v. 20. Juni 2000.6 Emanuel Richter, 2002, S. 11.7 Vgl. Erklärung „Zur Zukunft der EU“, Europäischer Rat (Laeken) v. 14., 15. Dezember 2001. Abgedruckt in: Deutscher Bundestag, Referat Öffent-

lichkeitsarbeit (Hg.), Der Weg zum Verfassungskonvent. Berichte und Dokumentationen, Berlin 2002, S. 442 ff.8 So die Überschrift des Artikels von Jan-Werner Müller in der NZZ (2003).9 An der Frage, ob es eine Verfassung ohne Staat geben kann, hat sich vor allem die juristische Diskussion entzündet, vgl. Christoph Möllers (200....),

S. 1 ff. und Volker Epping (2003) S. 824.10 Vgl. BVerfGE 89, 155 ff., 184.11 Joschka Fischer, 2000, S. 752 ff. Die Idee vom Kerneuropa ist älter und stammt bereits aus den achtziger Jahren und ist auch strategischer Teil des

Papiers von Schäuble und Lamers von 1994.12 Vgl. Undine Ruge, 2003, S316 f.

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wurde einen Monat später von dem französischen Präsi-denten Jacques Chirac in seiner Rede vor dem DeutschenBundestag positiv aufgenommen,13 während sich derdamalige Premierminister Lionel Jospin später skeptischzu diesen Avantgarde-Plänen äußerte.14 Der Widerstandvor allem der kleinen und sozial wie ökonomischschwächeren Länder richtet sich gegen ein Verständnisdes Integrationsprozesses, welches vorwiegend auf insti-tutionelle Effektivität, Handlungs- und Durchsetzungs-fähigkeit ausgerichtet ist. Ihre Befürchtungen gehendahin, dass damit die nationalen Möglichkeiten der sozia-len, kulturellen und ökonomische Selbstbestimmungebenso wie die demokratische Gleichberechtigung großerwie kleiner, starker wie schwacher Staaten in der Regie-rungsmaschine der Brüsseler Bürokratie zusehends unter-gehen. So sehr diese Staaten von der Notwendigkeit ihrerMitgliedschaft überzeugt sind und in die EU drängen, ihreSkepsis und Kritik richtet sich gegen exekutivische undbürokratische Bestimmung der Integration.

Weite Politikbereiche sind bereits den nationalen Institu-tionen entzogen und stehen in vorwiegend europäischerVerantwortung. So die Währungspolitik (ausschließlicheAufgabe der Europäischen Zentralbank - EZB), die Wett-bewerbspolitik und die europäische Agrarpolitik, dieHöhe und Art der Subventionen festlegt, die an die Bau-ern gezahlt werden dürfen. Andere Bereiche sind nach wievor in einzelstaatlicher Verantwortung wie die Steuer- undArbeitsmarktpolitik, während die Haushalts- und Wirt-schaftspolitik einem komplizierten Abstimmungsmoduszwischen europäischer und nationaler Ebene unterliegt.Die sich daraus ergebenden Widersprüche sind an demStreit um die 3%-Grenze für die Neuverschuldung natio-naler Haushalte zwischen der Kommission und Deutsch-land und Frankreich deutlich geworden. Die berechtigtenZweifel daran, ob eine rigide Stabilitätspolitik den sozia-len Problemen aller Mitgliedstaaten gerecht wird, einmalbeiseite gelassen: nur mächtige Staaten können diegemeinsamen Vertragsabreden durchbrechen, ohne dieeigentlich fälligen Strafgelder in Milliardenhöhe zu zah-len. Schwächere Staaten haben nicht die Option des unge-straften Vertragsbruches, sie stehen unter dem doppeltenDiktat der Union und ihrer mächtigsten Vertreter - eineSituation, die sich im Europa der zwei Geschwindigkeitennoch verschärfen wird.

Vertragstreue ist auch durch eine Verfassung nicht zuerzwingen, selbst wenn sie durch weitere Konstitutionali-sierung, Straffung und Effektivierung sowie Stärkung dereuropäischen Exekutive und Legislative die staatsrechtli-

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che Qualität der EU vorantreibt. Die Ausdehnung derAmtszeit des Präsidenten auf zweieinhalb Jahre, dieSchaffung einer eigenen Rechtspersönlichkeit der EU,Art. I.-VI, die Installierung eines Außenministers, Art. I-27, der gleichzeitig Vizepräsident der Kommission wäre,die Ausdehnung der Mehrheitsentscheidungen im Mini-sterrat,15 die engere Koordinierung der Eurozone und die„strukturierte Zusammenarbeit“ der militärisch stärkstenStaaten16 sind neben dem Systemwechsel in der Stim-mengewichtung zur doppelten Mehrheit17 Entscheidun-gen, die nicht nur eine Zentralisierung sondern auch eineschärfere Hierarchisierung der EU-Exekutive bewirken -aber Vertragstreue nicht unbedingt fördern.

4. Keine Abhilfe beim Demokratiede-fizit

Die schwache Rechtsstellung und mangelnden Gesetzge-bungsbefugnisse des Europäischen Parlaments gegenüberder umfassenden Entscheidungskompetenz der Exekuti-vorgane (Kommission, Ministerrat, Rat der Regierungs-und Staatschefs) war in den vergangenen Jahr einer derhauptsächlichen Kritikpunkte. Immer wieder hat man das„Demokratiedefizit“ der EU beklagt. Die Erweiterung derRechte des Parlaments ist deshalb zwar erfreulich aberdoch nicht so spektakulär wie mitunter gerühmt. Das Mit-entscheidungsverfahren mit weitgehender Gleichberechti-gung zwischen Parlament und Ministerrat wird zumRegelverfahren erklärt, Art. I-19, 33 (1), in bestimmtenFällen erhält das Parlament sogar ein Initiativrecht, Art. I-33 (2). Außerdem soll es den Kommissionspräsidentenaufgrund eines Vorschlags des Europäischen Rats mit ein-facher Mehrheit wählen, Art. I-26 (1). In den so wichtigenBereichen der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- undVerteidigungspolitik wird das Parlament aber nur gehörtund „auf dem Laufenden gehalten“, Art. III-162, Gesetz-gebungs- und Kontrollmöglichkeiten hat es nicht, Art. I-39 (6), I-40 (8). Selbst der Gerichtshof kann nicht zurKontrolle angerufen werden. Hier hat man nicht einmaldie einfachsten Selbstverständlichkeiten parlamentari-scher Demokratien berücksichtigt.

Dieser Mangel wird auch nicht dadurch behoben, dasssich der Konvent in zwei Arbeitsgruppen (I und IV) voninsgesamt elf18 mit der Rolle der nationalen Parlamenteund der Kompetenzverteilung zwischen der nationalenund internationalen Ebene beschäftigte. Denn bereits 60% der Gesetzesmaterie im EU-Bereich wird von derenOrganen und nicht mehr von nationalstaatlichen entschie-den. Die nationale Gesetzgebungsarbeit tritt gegenüber

13 Jaques Chirac (2000): Rede vor dem Deutschen Bundestag am 27. Juni 2000. In: Blätter für deutsche und internationale Politik Heft 8, S. 1017 ff.14 Lionel Jospin, Rede am 28. Juni 2001, vgl. U. Ruge, 2003), S. 317.15 Bei den wichtigeren politischen Entscheidungen muss immer noch einstimmig entschieden werden, wie in der Aussen- und Sicherheitspolitik, im

Steuerbereich und Strafrecht. Dort hat man sog. Passerellen für einen erleichterten Übergang zu Mehrheitsentscheidungen eingebaut, Art. I-39 (8).Oppermann, 2003, S. 1238 Anm. 80 bemerkt zu Recht, dass eine vollständige Auflösung des 2. und 3. Pfeilers der Maastricht-EU und Integrationin das allgemeine System der Verfassung „die EU dem Europäischen Bundesstaat ziemlich nahe gebracht „ hätte. Vgl. zu den Problemen der Mehr-heitsentscheidungen in der EU Georg Vobruba, 2003, S. 1371 ff.

16 Art. I-40 (6): „Die Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Mis-sionen mit höchsten Anforderungen untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind, begründen eine strukturierte Zusammenarbeit imRahmen der Union.“

17 Mehrheit der Mitgliedstaaten (50 %), die zusammen mindestens 60 % der Bevölkerung repräsentieren, vgl. S. S. 2.18 AG I: Subsidiarität, II: Charta, III: Rechtspersönlichkeit, IV: Nationalstaatliche Parlamente, V: Ergänzende Zuständigkeiten, VI: Ordnungspolitik,

VII: Außenpolitik, VIII: Verteidigung, IX: Vereinfachung, X: Freiheit, Sicherheit und Recht, XI: Soziales. Vgl. Janna Wolf/Olaf Leiße, 2003, S.325 ff.

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der der EU immer weiter zurück. Mit dem Vertrag vonMaastricht 1992 war bereits das Subsidiaritätsprinzip ein-geführt worden, welches der nationalen Gesetzgebungwichtige Kompetenzen erhalten sollte. Dem Konventstellte sich also lediglich die Aufgabe, die Anwendung desPrinzips zu konkretisieren und seine Kontrolle zu normie-ren, eine Umverteilung zurück zu den nationalstaatlichenParlamenten stand nicht zur Diskussion. Und so entfaltetsich das, was im allgemeinen Verständnis des Subsi-diaritätsprinzips eigentlich als Handlungssicherung und -erweiterung der unteren Ebene angelegt ist, bei genauerLektüre von Art. I-9 (3)19 und des zusätzlichen Protokol-ls als Unterordnung unter ein von oben organisiertes Effi-zienzprinzip. Die Mitgliedstaaten können lediglich einenVerstoß gegen das Prinzip vor dem EuropäischenGerichtshof rügen.

Die Aufgabe des Konvents, die demokratische Legitimati-on der EU zu erhöhen, wird nicht nur an der Beteiligungdes Parlaments an der Gesetzgebung und Kontrolle derExekutive gemessen, sondern auch mit dem Stellenwertverbunden, den die Verfassung den Grund- und Men-schenrechten einräumt. Der enttäuschende Beitrag desKonvents zu dieser Frage wird in dem Beitrag von .....deutlich. An dieser Stelle sollen deshalb nur einigeAnmerkungen zur Wirtschaftsordnung der EU eine spezi-elle Seite der Verfassungsdebatte hervorheben.

5. Eine neo-liberale Wirtschaftsver-fassung

Es stehen noch eine Reihe brisanter Einzelentscheidungenan, die der Konvent treffen sollte, die aber nach seinemScheitern nun wieder auf der Agenda erscheinen: so dieVerschärfung der Einklagbarkeit des Stabilitätspaktes,eine Satzungsänderung der Europäischen Zentralbank unddes Zentralbanksystems sowie die Einschränkung der Par-lamentsrechte bei der Beschlussfassung über das EU-Bud-get durch das Veto des Ministerrats. Sie fügen sich alle indie theoretisch-ideologische Basis der „neuen“ Wirt-schaftsordnung, die nichts anderes als die Fortschreibungder alten Maastrichtverfassung enthält. Alle Koordinateneiner kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind fast unver-ändert aus dem Vertrag in die neue Verfassung übernom-men worden: das ausgewogene Wirtschaftswachstum unddie „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Markt-wirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fort-schritt zielt“ Art. I-3 (3). Im umfangreichen dritten Teilder Verfassung ist die Gewichtung allerdings etwasanders, wo die Mitgliedstaaten in Art. III-69 auf den„Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiemWettbewerb verpflichtet“ werden. Während man das„nichtinflationäre Wachstum“ aus dem Maastrichtvertragvergeblich sucht, wird die gleiche Zielsetzung in der Ver-fassung durch die Preisstabilität als vorrangiges Ziel derEuropäischen Wirtschafts- und Währungspolitik in Art.III-77 normiert. Diese ist nun auch mit erheblich strikte-

ren und detaillierten Sanktionsmöglichkeiten bewährt,wenn gegen die Pflicht des Art. III-76, „übermäßigeöffentliche Defizite zu vermeiden“, verstoßen wird, als beiSünden in der Beschäftigungspolitik. Art. III-99 ver-pflichtet die Mitgliedstaaten nur zur Zusammenarbeit,Unterstützung und Ergänzung bei ihrem Ziel der Vollbe-schäftigung, Sanktionen sind hier nicht vorgesehen.

Der durchgängig neo-liberale Ansatz dieser Wirtschafts-verfassung wird besonders bei der jetzt ausschließlichenZuständigkeit der EU in der Handelspolitik deutlich, derden Handel mit Dienstleistungen und geistigem Eigentumder Verantwortung der nationalen Regierungen und Parla-mente entzieht. In einer interessanten Koalition habenSylvia-Yvonne Kaufmann von der PDS und der Minister-präsident von Baden-Württemberg Erwin Teufel (CDU)versucht, den Handel mit elementaren Dienstleistungenwie Gesundheit, Bildung, Sozialdiensten und Mediendurch das Einstimmigkeitsprinzip zu schützen, was vonder Mehrheit allerdings abgelehnt wurde. Während dieunternehmerische Freiheit im Grundgesetz im Rahmendes allgemeinen Rechts auf Handlungsfreiheit des Art. 2GG garantiert wird, reichte eine derartige Sicherung denKonventsmitgliedern offensichtlich nicht aus, sie widme-ten ihr einen eigenen Art. I-16. Auch das Eigentumsrechterfährt in Art. I-17 einen stärkeren Bestandsschutz als imGrundgesetz. Denn ein Artikel 14 Absatz 2 GG: „Eigen-tum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohleder Allgemeinheit dienen,“ fehlt in dem Verfassungsent-wurf. Stattdessen heißt es dort in Artikel I-16 Absatz 1:„Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregeltwerden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erfor-derlich ist.“ Es ist schon mehr als ein grundsätzlicherUnterschied nämlich eine Umkehrung des Prinzips, wennnicht der Eigentümer in seiner Nutzung dem Allgemein-wohl verpflichtet wird, sondern der Staat bei seinem Ver-such, die Eigentumsnutzung zu regeln. Eine dem Art. 15GG entsprechende Sozialisierungsvorschrift fehlt voll-ständig. Dies ist nicht allein mit der historischen Rea-litätsferne und Unattraktivität einer solchen Perspektive inder Bundesrepublik und damit in allen kapitalistischenLändern zu begründen. Die Vorschrift hat u.a. dem Bun-desverfassungsgericht bei der Begründung für die Neutra-lität und Offenheit der Wirtschaftsverfassung in der BRDgedient, die es dem Gesetzgeber ermöglicht, „ordnendund lenkend in das Wirtschaftsleben einzugreifen“.20

Fehlt eine solche Vorschrift, können dem öffentlichenwirtschaftslenkenden Einfluss leichter Schranken gesetztwerden, um dem freien Spiel der Wirtschaftskräfte imSinne des neo-liberalen Dogmas noch mehr Raum zugeben.

19 Art. I-9 (3): „Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig,sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokalerEbene ausreichend erachtet werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser erreicht wer-den können.“ Vgl. dazu das „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“.

20 Vgl. BVerfGE 4, S. 7 ff. 13.

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6. Die Festung Europa als der „Raumder Freiheit, der Sicherheit und desRechts“

Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf den „Raum derFreiheit, der Sicherheit und des Rechts“, den die Uniongem. Art. I-41 bilden soll. Dahinter steckt mehr als dieschlichte Koordination bürgerlicher Freiheitsgarantien.Laut Sekretariat des Konvents geht es um „die interne undexterne Sicherheit (Terrorismus, Kriminalität, Drogenhan-del, Menschenhandel, illegale Einwanderung), das Zivil-recht und das Strafrecht sowie die Freiheit, die durch kon-krete Maßnahmen, wie diejenigen für den freien Perso-nenverkehr oder im Asylbereich umgesetzt wird.“21 Esgeht um nichts anderes als das, was man mit dem zwarpolemischen aber dennoch zutreffenden Begriff die „Fest-ung Europa“ umschreibt. Um diesen „Herausforderun-gen“ nicht ungeschützt ausgeliefert zu bleiben, hat sichder Konvent vor allem in der Arbeitsgruppe X um eineinstitutionelle Stärkung der EU bemüht.

In ihrem Abschlussbericht schlägt die Arbeitsgruppedaher vor, „im Rat eine effizientere Struktur für die Koor-dinierung der operativen Zusammenarbeit auf Ebenehochrangiger Fachleute zu schaffen. Hierzu könnten ver-schiedene bereits bestehende Gruppen verschmolzen unddie ständige Aufgabe des ‚Ausschusses Artikel 36'22 imneuen Vertrag neu definiert werden; dieser Ausschuss soll-te künftig weniger an der Rechtsetzungsarbeit des Ratesmitwirken, sondern sich vielmehr darauf konzentrieren,die operative Zusammenarbeit zu koordinieren. Auch soll-te eingehender geprüft werden, wie die Task Force derPolizeichefs am besten in die Arbeit eingebunden werdenkönnte. Eine solche reformierte Struktur im Rat könntedie technische Aufgabe übernehmen, das gesamte Spek-trum der operativen Maßnahmen in den Bereichen Polizeiund Sicherheit (u.a. polizeiliche Zusammenarbeit, Erkun-dungsmissionen, Förderung der Zusammenarbeit zwi-schen Europol und Eurojust, gegenseitige Bewertung,Zivilschutz) zu koordinieren und zu überwachen.“23 Dasbedeutet nichts anderes, als dass schließlich ein Stab Brüs-seler Beamter die Polizei- und Sicherheitsarbeit derganzen EU dirigieren und auch die Verwaltung der Außen-

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grenzen übernehmen wird. Der neue Art.36-Ausschusswird so zum Dreh- und Angelpunkt der internen undexternen Sicherheitsaufgaben und mit seiner Fülle anKontakten und Unterstützung durch den großen Personal-stab der Generaldirektion H zum De-facto-Innenministeri-um der EU. Nach Art. III-157 wird dieser Ausschusslediglich nach Anhörung des Europäischen Parlamentsdurch Beschluss des nicht öffentlich tagenden Minister-rats eingerichtet wird. Eine gerichtliche Kontrolle seinerTätigkeit durch den Europäischen Gerichtshof ist nichtvorgesehen. Dem Ministerrat allein obliegt die Kontrolledes Gremiums, welches er selbst eingerichtet hat.

7. Die Chancen der Verzögerung nut-zen

Dieses wenig überzeugende Modell demokratischerGewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive hatdie EU seit Jahrzehnten gehütet, obwohl in der Zwi-schenzeit die Innen- und Justizpolitik von einem Randge-biet zu einem zentralen Element der EU geworden ist.

Aber auch die Überführung der Asyl-, Einwanderungs-und Grenzpolitik von der dritten in die erste Säule, umdamit die Verabschiedung von Verordnungen und Richtli-nien zu ermöglichen, hat den Einfluss des EuropäischenParlamentes nicht entsprechend gestärkt. Die Union folgteben anderen Imperativa: dem Zusammenwachsen ihrerLänder, der Stärkung ihrer Institutionen, der Effektivie-rung ihrer Arbeit, insgesamt also einem Zentralismus, dervor allem der Etablierung eines neuen Weltgewichtsgegenüber der USA und den neuen HerausforderungenChinas, Japans und Russlands dient.

Insbesondere der deutsche Außenminister macht erhebli-chen Druck, dass der Verfassungsentwurf in der vorlie-genden Form noch in diesem Jahr verabschiedet wird.Obwohl das Scheitern durch die Ablehnung Polens undSpaniens nicht aus Gründen des Demokratiedefizits undanderer parlamentarischer Mängel erfolgte, auf diese Län-der in der Kritik also nicht zu zählen sein wird, sollten wirdie Chance der Verzögerung nutzen, um die eindeutigenMängel der Verfassung herauszuarbeiten, in die Öffent-lichkeit zu geben und auf Alternativen zu bestehen.

21 Justiz und Inneres - Stand der Arbeiten und allgemeine Problematik, CONV 69/02 vom 31. Mai 2002.22 Dieser Ausschuss ist ein nach Art. 36 EU-Vertrag benanntes Koordinierungsgremium, welches im Anschluss an den Gipfel in Tampere 1999 gebil-

det wurde. Neben der Koordinierung soll er die Arbeiten des Rates im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachenvorbereiten.

23 Schlussbericht der Arbeitsgruppe X „Freiheit, Sicherheit und Recht“, CONV 426/02, S. 4

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Norman Paech 7

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Zu den enthusiastisch begrüßten Dokumenten des EU-Verfassungswerks gehört als Teil II die Charta der Grund-rechte. Diejenigen, die dieser Charta positiv gegenüber-stehen, sind der Ansicht, dass die Charta die Rechte derBürger gegenüber den Institutionen der EU sichert, für dieEinhaltung der Europäischen Menschenrechtskonventionbedeutsam ist und teilweise über sie hinausgeht und sichfür die Unteilbarkeit von bürgerlichen, politischen undsozialen Grundrechten engagiert. Das ist die allgemeinebefürwortende Aussage. Im Konkreten und Einzelnensieht es dann allerdings etwas anders aus. Diese Chartaunterliegt, was nicht verwunderlich ist, den Beschränkun-gen, die der kapitalistischen Gesellschaftsordnungwesenseigen sind.

Dass bürgerliche Politiker die Grundrechtscharta des EU-Verfassungsentwurfs bejubeln, ist verständlich. Dass aberauch PDS-Politiker sich des Lobes nicht enthalten kön-nen, ist schon merkwürdig. Denn woraus die Überzeu-gung gewonnnen wird, der Verfassungsentwurf würde„insbesondere mit seinem Grundrechte-Teil den Bürgerin-nen und Bürgern erstmalig reale Rechte“ einräumen,1 istnicht erkennbar. Vielleicht hat man dabei zwar an die vonJoseph Fischer vorgebrachte Auffassung gedacht, dass dieGrundrechte-Charta als Bestandteil der geplanten europäi-schen Verfassung Menschenrechte der sogenannten drit-ten Generation einschließe, nämlich soziale und wirt-schaftliche Grundrechte,2 befindet sich damit jedoch mitden Tatsachen wohl kaum in Übereinstimmung. Nicht nur,dass formulierte Grundrechte das eine und deren tatsäch-liche Erfüllung das andere ist, sind selbst nicht wenigeFormulierungen durchaus von Apologetik und Verschleie-rung der Realität geprägt. Dabei sollte dennoch gelten,dass das von den Mächtigen verbal Akzeptierte von denAbhängigen und nicht Mächtigen optimal zu nutzen istund zugleich der permanenten Kritik unterworfen seinmuss. Was von linken Kritikern des Entwurfs nicht durch-gesetzt werden konnte, ist immer wieder einzufordern.Das Geschaffene und Beschlossene ist aber nicht zu beju-beln, sondern kritisch zu würdigen und zugleich zu vertei-digen Das fordert die Pflicht, Verschleierungen der Wirk-lichkeit nicht mitzutragen, sondern offen zu legen. Illusio-nen sind schließlich auch machterhaltend, zumal gesell-schaftliche Prozesse gern vernebelt werden. Das hat nichtsdamit zu tun, sich etwa „schmollend und schimpfend“zurückzuziehen, weil „linke Positionen nicht lupenrein“durchsetzbar waren.3 Nur sollte man als Opposition nicht

8 Marxistisches Forum 47/2004

nachlaufend „anzukommen“ versuchen. So bildet dieBehauptung des Art. 1 den Einstieg, dass die Würde desMenschen unantastbar sei. Sicher ein schöner Programm-satz und ein wichtiges Argument, um sich gegen Verlet-zungen der Würde des Menschen zur Wehr zu setzen. Alsallerdings in der PDS im April 2001 der erste Entwurfeines neuen Parteiprogramms vorgelegt wurde, erklärteHermann Klenner mit Bezug auf diesen „Würde-Satz“ zuRecht, mit einer Lüge solle man kein Parteiprogrammbeginnen, jedenfalls nicht das einer sozialistischen Par-tei.4 Auf keinen Fall sollte man außer Betracht lassen,dass der Widerspruch zwischen Formulierung und Durch-setzbarkeit der politischen und der sozialen Grundrechteauch in der EU-Verfassung nicht aufgehoben ist. HansModrow hat deutlich formuliert: „Der tatsächliche Grund-rechtsschutz für EU-Bürger würde hinsichtlich der indivi-duell einklagbaren Bürger- und Freiheitsrechte imWesentlichen wie bisher durch die Europäische Men-schenrechtskonvention und die Rechtsprechung durch denEuropäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestimmt.Die darüber hinausgehenden Sozialnormen im Grund-rechtskatalog des EU-Verfassungsentwurfs würden -wiebisher vergleichbare bzw. weitergehende soziale Grund-rechte aus völkerrechtlich verbindlichen Konventionen -auch auf der Grundlage dieser EU-Verfassung nicht indi-viduell einklagbar sein.“5

Die damalige Bundesjustizministerin Frau Däubler-Gme-lin betonte im November 2000, dass die EuropäischeMenschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 schon1992 über die Art. 6 und 49 des EU-Vertrages „praktischTeil des Gemeinschaftsacquis“ geworden sei.6 Die Tatsa-che, dass nun noch eine spezielle Europäische Grundrech-te-Charta erarbeitet wurde, die Bestandteil des Vertragesüber die EU-Verfassung sein soll, veranlasste die Ministe-rin zu der Feststellung, es sei damit gelungen, „dieEuropäische Menschenrechtskonvention, den Bestand annationalen Grundrechten in den Mitgliedstaaten und dieGrundrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ...sowie auch die nationalen Grundrechteordnungen zu die-ser gemeinschaftlichen, modernen Charta weiterzuent-wickeln.“7 Es ist darauf zu verweisen, dass zu den Arti-keln des Entwurfs der EU-Grundrechte-Charta „Erläute-rungen“ beigegeben wurden, die allerdings nicht zumoffiziellen Text der EU-Charta gehören. Hier ist, wasdurchaus lobenswert ist, eine Verbindung hergestellt zur

1 Beschluss des PDS-Parteivorstandes vom 08.11.2003, in: PD Nr. 47/2003, S. 312 Joseph Fischer. Diskussionsrede, in: P. Nr. 45-46 v. 3./10.11.200, S. 33 Karsten Neumann. In: ND v. 02.10.20034 Hermann Klenner: Würde, Werte und Gerechtigkeit, in: Wortmeldungen, Schkeuditz 2001, S. 615 Hans Modrow: Die Union der 25 - militärisch klotzen, demokratisch kleckern? In: ND v. 13./14.12.2003, S., 106 Herta Däubler-Gmelin. Rede im Bundestag, in: P. Nr. 45-46 v. 3./10.11.2000, S. 3. Gemeint ist der Vertrag über die EU v. 07.02.1992. Konsolidier-

te Fassung mit den Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam v. 02.10.1997.7 ebenda

Detlef Joseph

Die neue EU-Verfassung unddie Grund- und Menschenrechte

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EMRK, zu Beschlüssen und Übereinkommen der EUsowie zur EU-Rechtsprechung.

Die Erarbeitung der Charta geht auf einen Vorschlag derBundesregierung von 1999 zurück, man solle die „auf derEbene der Union geltenden Grundrechte in einer Charta“zusammenfassen und dadurch sichtbar machen. Die Char-ta wurde dann in Nizza beschlossen und später in den Ent-wurf des Vertrages der EU-Verfassung (als Teil II) inte-griert. Bislang ist die Charta kein verbindliches Gemein-schaftsrecht der EU.

Welcher Normalbürger soll mit eigenem Verstand undWissen eigentlich noch durchsehen, über welche Grund-und Menschenrechte er denn nun theoretisch wirklich ver-fügt. Es wurde allerdings betont, bei der Ausarbeitung derGrundrechte-Charta habe man „überall dort, wo es ver-gleichbare Artikel der EMRK gab, fast wortwörtlich soformuliert, wie es in der Menschenrechtskonventionsteht“.8 Und man habe „sichergestellt“, dass keineBestimmung der Grundrechte-Charta so ausgelegt werdenkönne, dass das „Schutzgebot“ der EMRK unterschrittenwerde. Trotz dieser hoffnungsvollen Worte kann man sichmit Blick auf die Wirklichkeit des Eindrucks nicht erweh-ren, dass die Interpretation zur Spielwiese der Politikerund Juristen geworden ist. Was tatsächlich an Positivemfür den einzelnen Menschen herauskommt, steht eben aufeinem anderen Blatt, denn auch die Einklagbarkeit vonvermutlich verletzten Grundrechten, ist der politischenKonjunktur unterworfen, wie man spätestens aus der Ent-scheidung des Straßburger Europäischen Gerichtshofs fürMenschenrechte in Sachen Kessler und andere weiß. Sar-kastisch, aber zutreffend, verweisen einige Autoren dar-auf, dass man sich bezüglich der Einhaltung von Men-schenrechten - und das gilt adäquat für Grundrechte - kei-nen Illusionen hingeben dürfe. Menschenrechte seienihrer Natur nach „eine Bedrohung der Machtansprücheder Regierenden, weshalb das Motto ‚Wasch mir den Pelz,aber mach mich nicht nass' ausgeprägt“ bleibe.9 Ebensokritisch heißt es in Bezug auf die Menschenrechtskom-mission in Genf, sie sei ein politisches Organ, „in dem‚doppelte Moral' und Heuchelei bei der Bewertung vonMenschenrechtsverletzungen gang und gäbe“ seien.10

Es liegt nahe, zur Wirklichkeit der bislang bereits ver-brieften Grund- und Menschenrechte wenigstens andeu-tungsweise Stellung zu nehmen. Schlussfolgerungen kannman daraus für die Zukunft der EU-Grundrechte-Chartaziehen. Zur Erinnerung und in ungeordneter Reihenfolge:Die Verurteilung von Kessler, Streletz und Krenz unterVerletzung des Rückwirkungsverbots sowohl durch dienationale als auch die Rechtsprechung des EuropäischenGerichtshofes für Menschenrechte. Das Ausbleiben derRehabilitierung jener Alt-Bundesbürger, die u.a. durch das1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1951, dem sogenann-

ten Blitzgesetz, der politischen Strafverfolgung unterlagenund Opfer des Kalten Krieges sind. Ferner, um in dieGegenwart zu gehen, die rechtsstaatwidrige Praxis derVideo-Überwachung öffentlicher Straßen und Plätze; derereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen; derwahllosen Verhängung von Platzverweisen bei Demon-strationen; des Unterbindungsgewahrsams; der Schnell-prozesse.11 Zu nennen ist der Europäische Haftbefehl, deraufgrund eines EU-Rahmenbeschlusses bis Ende 2003 innationales Recht umgesetzt werden muss. Wobei derKatalog der Delikte mit Begriffen arbeitet, „die in ihrerSchwammigkeit dem Bestimmtheitsgebot widerspre-chen.“ Heribert Prantl schrieb unter anderem deswegenvon den „Gefahren für die europäische Rechtskultur“.12

Nicht zuletzt sei auf die Diskussion über die Wiederein-führung der Folter verwiesen. Dabei dekretiert Art. 4 derCharta das Verbot der Folter.

Mit diesen Erinnerungen soll keineswegs die positiveBedeutung der EMRK und anderer entsprechender Kon-ventionen herabgewürdigt werden. Es soll nur vor allzueuphorischer Denkweise gewarnt werden. Auch Grund-und Menschenrechte sind Herrschafts- sprich: Klassenin-teressen unterworfen und ihre Anwendung unterliegt demWillen und Wollen der Machthabenden. Das jedenfalls hatbislang jede sorgfältige Prüfung des Umgangs mit denGrund- und Menschenrechten bewiesen. Der Bundestags-abgeordnete Christian Schwarz-Schilling erklärte, diehistorische Erfahrung zeige, dass die Umsetzung der Men-schenrechte in die Politik und in die Strukturen unserergesellschaftlichen Situation „ein ganz mühsamer Prozess“sei und ständiges Argumentieren verlange. Was er aller-dings zu den möglichen Ursachen dieser Erscheinungsagte, ist weit ab von den tatsächlichen gesellschaftlichenUrsachen. Man müsse, so der Politiker, ständig um dieEinhaltung der Menschenrechte kämpfen, denn die „Naturdes Menschen“ lasse leider zu, dass ein „erreichter Standganz schnell wieder hinunter fließen“ könne.13 Das ist dieBerufung auf das „ewig Böse“ im Menschen, obwohl es inWirklichkeit keine Ewigkeit solchen Inhalts gibt. Das Ver-halten des Menschen ist das Produkt seiner Stellung in derGesellschaft. Die Menschen sind nicht „von Natur aus“böse, sondern die von den Menschen gemachten und aufdem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhen-den gesellschaftlichen Verhältnisse, denen sie dann selbstunterworfen sind, sind es, die sie „böse machen“.

Es beginnt bekanntlich bei der Formulierung der Grund-und Menschenrechte. Man kann natürlich behaupten, dassdie Kodifizierung von Grund- und Menschenrechten neueRechte nicht schaffe, weil jeder Mensch „von Geburt anunantastbare, unveräußerliche Rechte und Freiheiten“besitze. Rechte und Freiheiten, die niemand ihm gebenoder gewähren könne, die allerdings durch staatlichesoder nichtstaatliches Handeln eingeschränkt oder entzo-

8 Peter Altmaier. Diskussionsrede, in: P. Nr. 45-46 v. 3./10.11.2000, S. 69 Bruno Simma/ Ulrich Fastenrath: Einführung, in: Menschenrechte - Ihr internationaler Schutz, München 1992, S. XXXV10 Volker Weyel: In Genf herrschen Heuchelei und doppelte Moral, in: P. Nr. 31-32 v. 28.07./04.08.2000, S. 511 Vgl .Karsten Hübner. Diskussionsrede, in: P. Nr. 45-46 v. 3./10.11.2000, S. 312 Heribert Prantl: Ach, Europa!, in: Süddeutsche Zeitung v. 07.07.200313 Christian Schwarz-Schilling. Diskussionsrede, in: P. Nr. 45-46 v. 3./10.11.2000, S. 3

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gen werden könnten.14 Wenn es so wäre, wäre es schonmerkwürdig, dass diese angeblich natürlichen Rechte imVerlaufe der Geschichte in höchst unterschiedlicher Weiseformuliert wurden und werden., wobei insbesondere dieAuslassung tatsächlich grundlegender Bereiche außeror-dentlich auffällig ist. Erinnert sei insbesondere an dasRecht auf Arbeit und die im Kapitalismus nicht vorhande-nen Mechanismen seiner Durchsetzung.

Es ist schon darauf verwiesen worden, dass die EU-Grun-drechte-Charta auch soziale Grundrechte enthalten soll.Dieses Problem behandelte u.a. ein Beitrag in derWochenzeitung „Das Parlament“.15 Bemerkenswert istdie Behauptung, die meisten sozialen Grundrechte seienrelativ jung und erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstan-den. Soziale Grundrechte seien weder in den klassischenMenschenrechtserklärungen noch in den europäischenVerfassungen, die bis in die Nachkriegszeit nach demZweiten Weltkrieg entstanden seien, enthalten. DieIgnoranz gegenüber der historischen Wahrheit ist kenn-zeichnend. Als hätte es die Verfassungen der Volksdemo-kratien und schon seit 1936 die Verfassung der UdSSRnicht gegeben, in der im Kapitel X neben anderen Grund-rechten die sozialen Rechte und die Grundlagen ihrerGewährleistung fixiert wurden. Und bei aller Kritik an derMissachtung von insbesondere politischen Grundrechtensollte die Tatsache nicht negiert werden, dass beispiels-weise das Recht auf Arbeit (Art. 118) nicht einfach nur einnicht realisierbares Staatziel war.

Die kapitalistische Beschränkung von Grundrechten wirdbesonders deutlich bei dem Recht auf Arbeit, das in derGrundrechte-Charta nicht als ein solches festgeschriebenwird. Zwar verkündet I-3 Abs. 3 als Ziel der sozialenMarktwirtschaft „Vollbeschäftigung und sozialen Fort-schritt“, aber es heißt dann im Art. II-15 Abs. 1 nur vage:„Jeder Mensch hat das Recht, zu arbeiten und einen freigewählten oder angenommenen Beruf auszuüben.“ Abs. 2dieses Artikels bestimmt: „Alle Unionsbürgerinnen undUnionsbürger haben die Freiheit, in jedem MitgliedstaatArbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oderDienstleistungen zu erbringen.“ Das ist ein Recht, dasbesonders pikant wirkt in den Zeiten der Massenentlas-sungen und der rapide ansteigenden Arbeitslosenzahlen.Wo es darauf ankäme die Grundlage, nämlich das Rechtauf Arbeit, eindeutig und einklagbar zu fixieren, hüllt dieCharta sich in Schweigen. Auch die „Erläuterungen“ zurEU-Charta umgehen geschickt das Unangenehme: Dortwird zwar auf Art 1. der Sozialcharta verwiesen, wo esunter der Überschrift „Das Recht auf Arbeit“ heißt, dasszur Gewährleistung der „wirksame(n) Ausübung desRechtes auf Arbeit“ die Vertragspartner sich zu bestimm-ten Maßnahmen verpflichten, aber genau diese Sätze wer-den in den „Erläuterungen“ nicht zitiert, sondern lediglich

10 Marxistisches Forum 47/2004

Ausführungen zur Berufsfreiheit gemacht.16 Ein derarti-ges Vorgehen der Charta ist typisch. Es reflektiert dasGrundproblem, dass bei bestehendem kapitalistischenEigentum nicht die Arbeit des Menschen als erste undwichtigste Voraussetzung seines Menschseins garantiertwird, sondern die Profiterzeugung das bewegende Ele-ment ist und demzufolge lediglich die Ware Arbeitskraftauf einem Arbeitsmarkt gehandelt wird Wie heißt es dochbei Marx schon 1850: „Das Recht auf Arbeit ist im bür-gerlichen Sinn ein Widersinn, ein elender frommerWunsch, aber hinter dem Recht auf Arbeit steht dieGewalt über das Kapital, hinter der Gewalt über das Kapi-tal die Aneignung der Produktionsmittel, ihre Unterwer-fung unter die assoziierte Arbeiterklasse, also die Aufhe-bung der Lohnarbeit, des Kapitals und ihres Wechselver-hältnisses“17

So steht das selbstverständlich nicht in der Charta. Dennauch deren Funktion ist es, reale Verhältnisse ideologischzu verklären. Deshalb heißt es in II-16: „die unternehme-rische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den ein-zelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheitenanerkannt.“ Und dazu passend wird verkündet, dass „Dis-kriminierung“ u.a. wegen „des Vermögens“ verboten ist(II-21 Abs. 1). Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass,wie Martin Kutscha befürchtet, mit diesem Artikel z.B.eine hohe Besteuerung von Großvermögen „schlichtwegals Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht inkriminiertwerden“ kann.18

Zur Bedeutung des Rechts auf Arbeit gehört, wie AngelaKlein betont, die Erinnerung daran, dass dieses Rechtauch eine Schlussfolgerung aus der Analyse der Ursachenfür das Aufkommen das Faschismus ist.19 Das mit derArbeitslosigkeit verbundene soziale Elend war ein nichtunwesentlicher Grund für den demagogiegetragenenErfolg des Faschismus.

In Vorbereitung der Charta wurde insbesondere darübergestritten, ob die Einfügung der sogenannten sozialenGrundrechte überhaupt machbar und sinnvoll sei. Denn esstelle sich immer wieder die Frage, wie etwa das Rechtauf Arbeit oder intakte Umwelt durchgesetzt werdenkönne. Es sei „intelligent“, wie diese Problematikumschifft wurde, meinte der Präsident des Bundesge-richtshofes, Günter Hirsch, in einer Veranstaltung zurRolle der Grundrechte-Charta. Der Bürger erhalte kein„hartes“ Recht auf Arbeit, sondern ein Recht zu arbeiten.Damit sei die Charta der Grundrechte „eher ein integrati-onspsychologisches Anliegen und in rechtlicher Sichtweitgehend deklaratorisch“.20

Anzumerken ist, dass bei der Transformation der soziali-stischen Staaten in bürgerliche Demokratien selbstver-ständlich auch die bürgerliche Grundrechtscharta in die

14 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Diskussionsrede, in: P. Nr. 45-46 v. 3./10.11.2000, S. 415 Vgl. Hartmut Kaelble: Das Pro überwiegt ein beachtenswertes Contra, in: P. Nr. 31-32 v. 28.07./04.08.2000, S. 716 Vgl. Klemens h. Fischer: Der vertrag von Nizza, Baden-Baden, 2. Aufl. 2003, S. 52617 Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich, in: MEW 7, 4218 Martin Kutscha: Die Erweiterung der Europäischen Union: Weniger Souveränität = weniger Demokratie? In: Ansprüche, 3-4/2001, S. 3819 Vgl. Angela Klein: Knebelvertrag, in: jW v. 11.06.2003, Beilage, S. 620 Günter Hirsch, zit. in: O. Ulrich Weidner: Charta durch Referendum verankern, in: P. Nr. 44 v. 26.10.2001, S. 7

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neuen Verfassungen implantiert wurde. Bei aller Ableh-nung des Sozialismus hat die Erinnerung an das Recht aufArbeit in einigen Fällen den Untergang (zumindest teil-weise) offenbar überstanden. „Die osteuropäischen Staa-ten begnügen sich nicht damit, auch Sozialstaatlichkeit(10) und Umweltschutz (13) als Staatszielbestimmung zuverankern. In allen Verfassungen finden sich sozialeGrundrechte, so durchweg ein ausdrückliches Recht aufsoziale Sicherung (17), allerdings nur noch in der Hälfteder Länder (9) auch ein Recht auf Arbeit. Offenbar wirddabei an eine von vielen geschätzte Errungenschaft staats-sozialistischer Systeme angeknüpft, ...“21 Inzwischenweiß man von den verheerenden Folgen des Wiederein-zugs des Kapitalismus für die Lebensweise der einfachenMenschen. Und man weiß auch, dass die Länder der EUdem Recht auf Arbeit bestenfalls eine „Staatsziel“-Aner-kennung gewähren. Um es erinnernd zu wiederholen: DieEU-Verfassung enthält die typische Formel „Recht zuarbeiten“, nicht das Recht auf Arbeit.

Zu den fragwürdigsten Artikeln der EU-Charta dürfte Art.30 gehören, der den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mern einen Anspruch auf „Schutz vor ungerechtfertigterEntlassung“ gewährleisten soll. Man darf auf die erstenProzesse gespannt sein, wissend, dass Kapitalisten undihre Rechtsvertreter noch immer die gehörigen Argumen-te gefunden haben, um Entlassungen „wohl begründet“ zurechtfertigen. Von ähnlicher Güte ist Art. 31, der das„Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedin-gungen“ statuiert.

Es ist sicher auch kein Zufall und kein Versehen, dass überden Beitritt der EU zur EMRK gesprochen wurde, hinge-gen ein Beitritt zur 1961 in Turin beschlossenen Europäi-schen Sozialcharta - bis auf eine Erwähnung in der Präam-bel, man bekräftige sie -, und zur Charta der sozialenGrundrechte der Arbeitnehmer von 1989 nicht erwähntwurde. Diese Dokumente werden nur in den nichtoffiziel-len „Erläuterungen“ beigezogen. Die EMRK von 1950enthält kein Recht auf Arbeit, die Sozialcharta von 1961benennt in Art. 1 „Das Recht auf Arbeit“ und verpflichtet

zu Maßnahmen, um das Recht auf Arbeit zu gewährlei-sten, die Charta der Arbeitnehmer von 1989 spricht nurnoch davon, dass jeder „das Recht auf freie Wahl und Aus-übung eines Berufes“ hat. In der Grundrechte-Charta wirdim Gegensatz zur Sozialcharta weitgehend darauf ver-zichtet, die sozialen Rechte als Leistungsrechte auszuge-stalten. Lediglich der „Zugang“ zu bestimmten Rechtenist formuliert. „Zugang“ ist aber nicht „Gewährung“, son-dern lediglich das Recht, sich dem erstrebten Gut zu„nähern“, ist nicht die Pflicht, eine Leistung zu gewähren.So bestimmt beispielsweise II-14 Abs. 1, 2. Halbsatz dasRecht des Zugangs zur beruflichen Ausbildung und Wei-terbildung. Die Pflicht, einen Ausbildungsplatz zur Verfü-gung zu stellen, ist das nicht.

Vor allem wird vernebelt, dass auch die Menschenrechtedem Menschen keineswegs naturgegeben anhaften. Siesind auf der Grundlage von Machtinteressen formuliertund werden mit Blick auf diese Interessen angewendet.

Eventuell zu NutzendesDie Verurteilung von DDR-Sportfunktionären wegenangeblicher Körperverletzung durch die Vergabe vonDopingmitteln. Die Anklage erfolgte wegen Körperverlet-zung, die durch die medizinischen Gutachten nicht alskausal bestätigt wurde. Dennoch erfolgte eine Verurtei-lung durch die gegen das Gesetz formulierte Behauptung,allein die Vergabe von Dopingmitteln sei bereits strafbar.Im Wortlaut: „Für die Frage des Schuldspruchs ist dasUntersuchungsergebnis unerheblich, weil der objektiveTatbestand der Körperverletzung bereits durch die medizi-nisch nicht indizierte Verabreichung der ... aufgeführtenPräparate erfüllt ist.“22

Und erwähnt seien die Publikationen von Rechtsanwältenwie Diether Posser (Anwalt im Kalten Krieg), FriedrichWolff (Verlorene Prozesse), Endrik Wilhelm (Rechtsbeu-gung in der DDR), die Erschreckendes über die Verlet-zung von Grundrechten durch die juristische Praxis zuberichten wissen.

21 Wolfgang Ismayr (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas, Opladen 2002, S. 14. Die in Klammern gesetzten Zahlen verwiesen auf die Anzahlder betreffenden Länder.

22 Vgl. GRH (Hg): Information Nr. 2/2001, S. 16

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Das Projekt eines europäischen Verfassungsvertrags istnur vorläufig fehl geschlagen. Schon im Wahlkampf unddann nach den Wahlen zum Europäischen Parlament imJuni wird es wieder auf uns zukommen. Die etwa 50 Arti-kel im Verfassungsentwurf über das auswärtige Handelnder Union, über die Gemeinsame Außen- und Sicherheits-politik (GASP) und über die Gemeinsame Sicherheits-und Verteidigungspolitik (GSVP) werden sich bis dahinkaum geändert haben, jedenfalls nicht die auf die Milita-risierung der EU gerichteten Bestimmungen. Die Annah-me des Entwurfs durch den Europäische Rat im Dezember2003 ist nicht an diesen Bestimmungen gescheitert. Übersie war man sich auch mit den „Abweichlern“ Polen undSpanien einig, die bekanntlich den Aggressionskrieg derUSA gegen den Irak nicht nur gebilligt, sondernmilitärisch unterstützt haben. Mit der in Brüssel verab-schiedeten Europäischen Sicherheitsstrategie „Ein siche-res Europa in einer besseren Welt“ wurden Kernaussagendes Entwurfs schon vorab und in Kontinuität mit früherenVerträgen und Beschlüssen in Anwendung gebracht. Es istalso nach wie vor aktuell, diese oft schwer durchschauba-ren, verschwommen formulierten Bestimmungen genauerzu analysieren.

Ich beziehe mich im Folgenden auf den Konventionsent-wurf vom 13. Juni und 10. Juli 2003 und behandle dieArtikel mit direkten außen-, sicherheits- und verteidi-gungspolitischen Inhalten, nicht jedoch andere Politikbe-reiche, die der Entwurf in Titel V des Teils III unter derÜberschrift „Auswärtiges Handeln der Union“ zusam-menfasst, wie Handelspolitik, Zusammenarbeit mit Dritt-ländern und humanitäre Hilfe, restriktive Maßnahmen,internationale Übereinkünfte und Beziehungen der Union.

Ziele der EUIn der Präambel und in Teil I Titel I des Entwurfs sind frie-denspolitische Ziele festgeschrieben, die unterstützt wer-den können, wenn sie auch nicht besonders neu sind. DiePräambel des Entwurfs orientiert „auf Frieden, Gerechtig-keit und Solidarität in der Welt“. In Art. I-3,1 wird als Zielder Union angegeben, „den Frieden ... zu fördern“. Das istschön und darauf kann man sich berufen. Es darf aber hin-sichtlich praktischer politischer Tragweite nicht über-schätzt werden, weil diese Ziele im Entwurf nicht konkretund verpflichtend untersetzt sind, sondern eher unterlau-fen und ins Gegenteil verkehrt werden. In Abs. 4 diesesArtikels heißt es missionarisch und egoistisch: „In ihrenBeziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert dieUnion ihre Werte und Interessen.“ Die Werte und Interes-sen der EU sind die maßgeblichen Beweggründe für ihreBeziehungen zur „übrigen Welt“. Weiter wird als hehres,aber im Teil III Titel V „Auswärtiges Handeln der Union“

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inhaltlich wenig weiter konkretisiertes Ziel bestimmt:„Sie [die EU - G. S.] trägt bei zu Frieden, Sicherheit, nach-haltiger Entwicklung der Erde, Solidarität und gegenseiti-ger Achtung unter den Völkern, freiem und gerechtemHandel, Beseitigung der Armut und Schutz der Men-schenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowiezur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völ-kerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze derCharta der Vereinten Nationen“. Ähnlich wie Art. I-3 for-muliert Art. III-193 die Ziele und Grundsätze des auswär-tigen Handelns der EU. Ein ausdrücklicher Bezug auf dasVerbot der Androhung und Anwendung von Gewalt in deninternationalen Beziehungen fehlt.

Der Entwurf enthält keine Klausel zur Achtung des neu-tralen bzw. blockfreien Status einer Reihe gegenwärtigerund zukünftiger EU-Mitglieder im allgemeinen und inBezug auf die GASP im besonderen.

ZuständigkeitNach Art, I-11 ist die EU „dafür zuständig, eine gemein-same Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich derschrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidi-gungspolitik zu erarbeiten und zu verwirklichen“. DieseFormel wird in Art. I-15 wiederholt und ergänzt. DieZuständigkeit erstreckt sich danach auf „alle Bereiche derAußenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammen-hang mit der Sicherheit der Union, einschließlich derschrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidi-gungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigungführen kann“. Mit der Orientierung auf „Verteidigungspo-litik“ und „Verteidigung“ ist die EU als Militärunion kon-stitutionell verankert.

Das ist ein verhängnisvoller Weg. Die internationale Rolleund Glaubwürdigkeit der EU hängen nicht von ihrenmilitärischen Fähigkeiten und deren Einsatz ab, sondernvon ihrem zivilen Beitrag zu Frieden und Sicherheit. DieMilitarisierung der EU ist zur Erreichung der proklamier-ten Ziele unnötig, sie wird internationale und innerstaatli-che Konflikte einer Lösung nicht näher bringen. Sie führtzu neuem Wettrüsten auf Kosten sozialer Belange. Sieliegt nicht im Interesse der europäischen Völker, sonderndient dem Profit- und Machtstreben der in der EU poli-tisch und ökonomisch herrschenden Kräfte. Ein europäi-sches militärisches „Gegengewicht“ gegen die Welt-machtpolitik der USA kann damit nicht geschaffen wer-den. Soweit diese Militarisierung „Kampfeinsätze“ undandere Militäraktionen außerhalb des Kapitels VII derUNO-Charta vorsieht oder ermöglicht, stellt sie eine Ver-letzung völkerrechtlicher Verpflichtungen dar.

Gregor Schirmer

Militarisierung der Europäischen UnionTextanalyse der Bestimmungen über die Außen-, Sicherheits-und Verteidigungspolitik im Konventsentwurf des Vertragsüber eine Verfassung für Europa

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Die sich aus dieser Zuständigkeit ergebenden Verpflich-tungen der EU-Mitgliedstaaten sind an dieser Stelle desEntwurfs sehr allgemein und nichts sagend formuliert:Die EU-Mitglieder „unterstützen die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlosim Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidaritätund achten die Rechtsakte der Union in diesem Bereich.Sie enthalten sich jeder Handlung, die den Interessen derUnion zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit schaden könn-te“. Ähnlich wolkig wird in Art. III-195,2 formuliert. Diekonkreten Folgerungen aus der Zuständigkeit für „Vertei-digung“ werden an anderer Stelle gezogen. Diese Aller-welts-Verpflichtungen deuten schon darauf hin, dass es imBereich der Sicherheitspolitik im wesentlichen bei derintergouvernementalen, also zwischenstaatlichen, nichtsuprastaatlichen Zusammenarbeit bleibt, was stärkereIntegration auch auf diesem Gebiet nicht ausschließt.

Verhältnis zur UNONach Art. III-193 setzt sich die EU in ihrem auswärtigenHandeln „insbesondere im Rahmen der Vereinten Natio-nen für multilaterale Lösungen bei gemeinsamen Proble-men ein“. Das ist sicherlich eine gewisse Abgrenzungvom Unilateralismus der USA, zumal näher ausgeführtwird, dass die EU eine „Weltordnung“ fördert, „die aufeiner verstärkten multilateralen Zusammenarbeit undeiner verantwortungsvollen Weltordnungspolitik beruht“.Nach Art. III-229 führt die EU „jede zweckdienlicheZusammenarbeit mit den Vereinten Nationen ... herbei“.Diejenigen EU-Mitglieder, die zugleich Mitglieder desUNO-Sicherheitsrates sind, sollen sich nach Art. III-206untereinander abstimmen, die übrigen EU-Mitglieder „aufdem Laufenden“ halten und „für die Standpunkte undInteressen der Union“ eintreten. Spezielle Verpflichtungender zwei ständigen Mitglieder hinsichtlich der Handha-bung ihres Veto-Rechts gibt es nicht. Im übrigen gilt diePflicht nach Art. II-206 zur Koordinierung des Handelnsder EU-Mitglieder in internationalen Organisationen undauf internationalen Konferenzen auch für die UNO.

Eine eindeutige Ein- und Unterordnung der EU in undunter die UNO, wie sie noch im NATO- Vertrag (Art. 1und 7) zu finden ist, fehlt im Entwurf. Um Zweifeln vor-zubeugen: Der Verfassungsentwurf ist ein völkerrechtli-che Übereinkunft und unterliegt als solche nach Art. 103der Charta dem Vorrang der Verpflichtungen aus der Char-ta. Niemand kann sich auf die EU-Verfassung berufen, umdie UNO-Charta zu umgehen.

Es fällt auf, dass der Entwurf sich in den Artikeln, indenen die Charta der Vereinten Nationen genannt wird,auf deren Grundsätze, also auf Art. 2 der Charta, nichtaber auf die Charta insgesamt bezieht (Art. I-3 und II-193). So heißt es in Art. I-3, die EU trägt bei „zur striktenEinhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, ins-besondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta derVereinten Nationen“. Die Verpflichtung der EU auf dieseGrundsätze ist zweifellos bedeutsam, denn diese völker-rechtlich verbindlichen Grundsätze stellen das Grund-gerüst der völkerrechtlichen Friedensordnung dar. Aberwarum wird eine Verpflichtung auf die Charta insgesamtund ohne Einschränkung vermieden? Im Kontext mit der

zunehmenden Militarisierung der EU muss man die schonim EU-Vertrag enthaltene Beschränkung nur auf dieGrundsätze der Charta für bedenklich halten und schlus-sfolgern, dass die EU zwar die Grundsätze und damit auchdas Gewaltverbot des Art. 2 Ziffer 4 der Charta allgemeinanerkennt, sich aber den Einsatz militärischer Mittel auchaußerhalb des konkreten Handlungsrahmens der Charta,also ohne Rücksicht auf das Kapitel VII vorbehält, zumaldieses Kapitel nicht erwähnt wird.

Auflassung für Aggressionskrieg undvölkerrechtswidrige Militärinterventi-onDer Einsatz militärischer Mittel der Union wird in denArtikeln I-40 und III-210 ff. eindeutig und konkret festge-schrieben. Die Orientierung auf das Militärische ist zwarnicht neu, sondern wird seit dem Amsterdamer Vertragvon 1997 betrieben. Sie erhält nun aber Verfassungsrang.Der Übergang zur Militärunion wird abgeschlossen undeine neue, durch weltweite militärische Einsätze der EUgekennzeichnete Entwicklungsphase eingeleitet. NachArt. I-40,1 sichert die EU „die auf zivile und militärischeMittel gestützte Fähigkeit zu Operationen“. Ich verkennenicht, dass zuerst die zivilen Mittel genannt werden. Aberdie militärischen Mittel werden voraussetzungslos alsgleichrangige Option offen gehalten. VölkerrechtlicheKriterien und spezielle Voraussetzungen für die Anwen-dung militärischer Gewalt werden nicht formuliert.Gefährlich ist gerade, dass zivile und militärische Reak-tionen zur Verfolgung unterschiedlicher Ziele zur freienAuswahl nebeneinander gestellt sind. Die UNO-Chartatrifft dagegen genaue Unterscheidungen zwischen Maß-nahmen friedlicher Streitbeilegung, friedlichen undmilitärischen Sanktionsmaßnahmen und definiert diejeweiligen Voraussetzungen für deren Anwendung.

Während nach Art. I-15,1 die gemeinsame Verteidigungs-politik zu einer gemeinsamen Verteidigung führen „kann“,wird in Art. I-40,2 deutlicher bestimmt: Die GemeinsameSicherheits- und Verteidigungspolitik „führt zu einergemeinsamen Verteidigung, sobald der Europäische Rateinstimmig darüber beschlossen hat.“

Kollektive Selbstverteidigung der EU gegen einen Angriffvon außen nach Art. 51 der Charta ist mit dem hier ver-wendeten Verteidigungsbegriff nicht gemeint. Von Selbst-verteidigung im Sinne der Charta ist abgesondert in Art. I-40,7 die Rede. Dort wird bestimmt, dass im Rahmen der„engeren Zusammenarbeit“, „im Falle eines bewaffnetenAngriffs auf das Hoheitsgebiet eines an dieser Zusam-menarbeit beteiligten Staates die anderen beteiligten Staa-ten gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationenalle in ihrer Macht stehende militärische und sonstigeHilfe und Unterstützung“ leisten. Hier, und nur hier wer-den einem engeren Bündnis innerhalb der EU Aufgabender Selbstverteidigung im Sinne der Charta zugeordnet.Zu bestimmen, welche Hilfe und Unterstützung „in ihrerMacht steht“, bestimmen die beteiligten Staaten.

Der im übrigen verwendete Verteidigungsbegriff des Ver-fassungsentwurfs ist ein anderer. Er umfasst auch Kriegenach dem Muster der Aggressionen gegen Jugoslawien,

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Afghanistan und Irak und schließt militärische Eingriffezum Schutz von EU-Interessen und zur Begegnung„neuer“ Bedrohungen ein. Richtung und Inhalt dessen,was man unter einer solchen Verteidigung versteht, wirdschon aus Art. I-40,1 hinreichend deutlich: Auf die „aufmilitärische Mittel gestützte Fähigkeiten zu Operationen“kann sich die EU „bei Missionen außerhalb der Union“,also überall auf der Welt, stützen und zwar „zur Friedens-sicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internatio-nalen Sicherheit gemäß den Grundsätzen der

Charta“. Das ist eine verschleiernde Umschreibung ver-schiedener militärischer Optionen, die eine Auflassung zuvölkerrechtswidrigen Aktionen von militärischen EU-Ein-satzkräften bis hin zu Aggressionskriegen einschließen.

In Art III-210,1 wird der Verfassungsentwurf noch deutli-cher. Bei der Durchführung von „Missionen“ kann auf„militärische Mittel“ zurückgegriffen werden und dieseMissionen umfassen „Kampfeinsätze im Rahmen der Kri-senbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maß-nahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage“sowie „Unterstützung für Drittstaaten [also von Staatenaußerhalb der EU - G.S.], bei der Bekämpfung des Terro-rismus in ihrem Hoheitsgebiet“. Welche Art von Krisendurch Kampfeinsätze „bewältigt“ werden sollen, bleibtoffen. Mandate des UNO-Sicherheitsrates dafür werdennicht vorausgesetzt. Ebenso wenig wird auf das Selbstver-teidigungsrecht gegen einen bewaffneten Angriff nachArt. 51 der Charta Bezug genommen. Der Rat und dasKapitel VII kommen in den einschlägigen Bestimmungendes Entwurfs überhaupt nicht vor.

Eigene militärische Fähigkeiten undStrukturen der EUDie EU betreibt die Schaffung gegenüber der NATOeigenständiger militärischer Strukturen und Fähigkeitenfür Kampfeinsätze, vor allem durch schnelle Eingreiftrup-pen und auf Dauer wird das auch so kommen. Sie willohne geographische Einschränkung auch auf militäri-schem Gebiet autonom handeln können. Die formal fort-bestehende Westeuropäische Union, die laut Art. 17 desEU-Vertrags „integraler Bestandteil der Entwicklung derUnion“ sein sollte, hat offenbar ausgedient. Sie findet imVerfassungsentwurf keine Erwähnung, besteht aber for-mal weiter. Wird sie in Reserve gehalten?

„Gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen“ werden immerhinals Bestandteil der GSVP in Art. III-210,1 genannt. EineVerpflichtung, auf kontrollierte Abrüstung, darunter ato-mare, und auf Konversion hinzuarbeiten, ist das nicht. DasHauptanliegen des Entwurfs ist die Aufrüstung der EU. Eswird zur verfassungsrechtlichen Pflicht gemacht, die„militärischen Fähigkeiten“ der Mitgliedstaaten zu „ver-bessern“ und diese der EU zur Verfügung zu stellen. Dazuwird ein dem Ministerrat unterstelltes „Europäisches Amtfür Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“,also ein Aufrüstungsamt geschaffen (Art. I-40,3). In Art.III-212 werden die Aufgaben dieses Amts näher umrissen.Es geht um die Ermittlung von Zielen für die Rüstung, umBeschaffungsverfahren, um multilaterale Projekte, umRüstungsforschung und um Stärkung der industriellen und

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technologischen Basis der Rüstung. Mit diesen Bestim-mungen werden gesamteuropäische und weltweite Abrü-stungsschritte unterlaufen und ins Gegenteil verkehrt.Man muss die Bestimmungen über die „Verbesserung“der militärischen Fähigkeiten und über das Amt im Kon-text mit Art. III-342 lesen, wonach sich die Mitgliedstaa-ten der EU in Punkto Auskunftserteilung, Herstellung vonWaffen, Munition und Kriegsmaterial und Handel ihreeigene Entscheidung vorbehalten.

Für die militärischen Kommandostrukturen gibt es keineRegelung im Entwurf. Dem steht offenbar der Argwohnder USA entgegen und es fehlt noch der in Art. I-40,2 vor-gesehene Beschluss des Europäischen Rates über dieGemeinsame Verteidigung. Fest steht, dass ausschließlichder Ministerrat über „Missionen“, also auch über Kampf-einsätze beschließt. Laut Art. III-208 ist ein dubioses,durch den Vertrag von Nizza geschaffenes Politisches undSicherheitspolitisches Komitee vorgesehen, das dieDurchführung der vereinbarten Politik „überwacht“, unterder Verantwortung des Ministerrats „die politische Kon-trolle und strategische Leitung von Krisenbewältigungso-perationen wahr“ nimmt und vom Ministerrat ermächtigtwerden kann, „für den Zweck und die Dauer einer Kri-senbewältigungsoperation ... geeignete Maßnahmen hin-sichtlich der politischen Kontrolle und strategischen Lei-tung der Operation zu erlassen“. Der ebenfalls schon inNizza geschaffene Militärausschuss und der Militärstabfindet keine verfassungsrechtliche Verankerung.

SolidaritätsklauselMit enormer Unbestimmtheit der Begriffe jongliert eineaußerhalb von GASP und GSVP im Entwurf angesiedelte„Solidaritätsklausel“. Danach „mobilisiert“ die EU „alleihr zur Verfügung stehenden Mittel“, auch militärischeMittel, um „terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebietvon Mitgliedstaaten abzuwenden; die demokratischenInstitutionen und die Zivilbevölkerung vor etwaigen Ter-roranschlägen zu schützen; im Falle eines Terroranschlagseinen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Orga-ne innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen“ (Art.I-42). Damit werden - neben militärischer Katastrophen-hilfe - präventive und reaktive Militäreinsätze gegen Ter-rorismus innerhalb der EU sanktioniert. Polizeiliche undmilitärische Aufgaben werden vermischt. Bereits nichtnäher definierte „Bedrohungen“ und der Schutz vor„etwaigen“ Terroranschlägen sind für Militäreinsätze aus-reichend. Zur Anwendung dieser Klausel soll der Mini-sterrat einen Beschluss fassen (Art. III-231).

Europäische SicherheitsstrategieDer im Entwurf enthaltene Verfassungsauftrag zur Milita-risierung der EU korrespondiert mit der neuen Europäi-schen Sicherheitsstrategie. Diese ist zwar kein bloßerAbklatsch der Präventivkriegsstrategie der USA. Unter-schiede sind unverkennbar und nicht unwichtig. Die EUbetont den Rückgriff auf multilaterale Institutionen, vorallem auf die UNO und auf nichtmilitärische Mittel zurBegegnung „globaler Herausforderungen und Hauptbe-drohungen“. Die USA setzen auf militärische Mittel undauf ihren Alleingang, wenn das als notwendig erachtetwird. Aber am Ende treffen sich beide Strategien. Die EU

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übernimmt die Bedrohungsszenarien der USA. Auch siewill „unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidi-gung“ überwinden, weil „die erste Verteidigungslinie oft-mals im Ausland liegen“ wird. Nach der Strategie ist derEinsatz militärischer Mittel ohne jeglichen Vorbehalt derSelbstverteidigung nach Art. 51 der Charta und vonBeschlüssen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII möglich.„Jede dieser [neuen] Bedrohungen erfordert eine Kombi-nation von Instrumenten“, nämlich von militärischen undzivilen. Es wird „ein frühzeitiges, rasches und wenn nötigrobustes Eingreifen“ angekündigt, und das unter demNamen „Strategie-Kultur“. Die Unterscheidung zum Kon-zept des Präventivschlags Bushs verwischt sich bis zurUnkenntlichkeit. Auch die Rüstungsverpflichtungen desVerfassungsentwurfs sind der Europäischen Strategie zuentnehmen. Man kann schlussfolgern, dass die auf Milita-risierung gerichteten Verfassungsartikel unabhängig vonder Einigung über den Entwurf realisiert werden.

Transatlantische BeziehungenDas Verhältnis der EU zur NATO und die transatlanti-schen Beziehungen, deren einer Pfeiler die EU sein soll,werden im Verfassungsentwurf nicht näher definiert. Einausdrückliches Bekenntnis zu den transatlantischenBeziehungen fehlt. Das ist umso bemerkenswerter, als eseinen Titel „Die Union und ihre Nachbarn“ mit einemArtikel I-56 gibt, wonach die EU „besondere Beziehungenzu den Staaten in ihrer Nachbarschaft“ entwickelt.

In Art. III-229, der die Zusammenarbeit mit internationa-len Organisationen regelt, ist die NATO im Unterschiedzur UNO, dem Europarat, der OSZE und der OECD nichtausdrücklich genannt. Die NATO taucht im Verfassungs-entwurf insofern auf, als die beteiligten Staaten bei „derUmsetzung der engeren Zusammenarbeit im Bereich dergegenseitigen Verteidigung ... eng“ mit der NATO zusam-menarbeiten (Art. I-40,7) und die Rechte und Pflichtender beteiligten EU-Staaten aus dem NATO-Vertrag nichtberührt werden (Art. III-214). Im EU-Vertrag (Art. 17)war das Verhältnis zur NATO grundsätzlicher angelegt.Dort war ausdrücklich die Rede von der Achtung der Ver-pflichtungen der NATO-Mitglieder, die zugleich der EUangehören und von der Vereinbarkeit der Politik der EUmit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der NATO.Die Zusammenarbeit mit der NATO bei der Durchführungvon Kampfeinsätzen und anderen militärischen „Missio-nen“ bleibt verfassungsrechtlich ungeregelt.

Das Fehlen entsprechender Verfassungssätze ist nach mei-ner Meinung latenter Ausdruck der Widersprüche zwi-schen den USA und Teilen der EG. Die USA wollen einestarke europäische Militärkomponente, aber unter ihrerFührung. Die Europäer wollen militärisch eigenständighandeln können, vermeiden aber verfassungsrechtlicheund damit schwer veränderbare Festschreibungen derKonsequenzen für das transatlantische Verhältnis. ZurBeruhigung wird außerhalb des Verfassungsvertrags,zuletzt in der Europäischen Sicherheitsstrategie und in derErklärung des Europäischen Rates zu den transatlanti-schen Beziehungen vom Dezember 2003, der NATO undder Vorherrschaft der USA die nötige Achtung gezollt. Dererste Satz der Erklärung lautet: „Die transatlantischen

Beziehungen sind unersetzlich. Die EU bekennt sich wei-terhin uneingeschränkt zu einer konstruktiven, ausgewo-genen und zukunftsgerichteten Partnerschaft mit unserentransatlantischen Partner.“

Keine Vergemeinschaftung von GASPund GSVPIn der GASP und noch mehr in der GSVP haben nach demVerfassungsentwurf auch in Zukunft die Regierungen derMitgliedstaaten das Sagen. Von Vergemeinschaftung undSupranationalität ist nicht viel zu spüren. Die Mitglied-staaten entwickeln trotz der beschworenen gemeinsamenWerte und Ziele wenig Bereitschaft, in diesem Kernbe-reich der Souveränität auf Hoheitsrechte zu verzichtenund sie auf die EU zu übertragen. Die Weichen werdenschon bei der Definition der Beziehungen zwischen derUnion und den Mitgliedstaaten in Art. I-5 gestellt: DieUnion „achtet die grundlegenden Funktionen des Staates,insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrt-heit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung undden Schutz der inneren Sicherheit“ (Art. I-5,1 Satz 2).Bemerkenswert ist, dass die Wahrung der territorialenUnversehrtheit der Mitgliedstaaten vorsichtshalber ganzaußerhalb von GASP und GSVP postuliert ist. BeimSchutz ihrer territorialen Unversehrtheit wollen sich dieMitgliedstaaten nicht auf die EU verlassen, sondern dieSache in den eigenen Händen behalten.

Nach Art. I-39 bestimmt der Europäische Rat, also dasGremium der Staats- und Regierungschefs, „die strategi-schen Interessen der Union und legt die Ziele ihrergemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fest“ undzwar durch Konsens. Der Ministerrat in der Zusammen-setzung der Außenminister „gestaltet diese Politik“ in die-sem Rahmen. Die einzelstaatlichen Exekutiven entschei-den also nach den Machtinteressen und den gegeben Kräf-teverhältnissen. Die Mitgliedstaaten stimmen einander ab,konsultieren einander, befleißigen sich konvergentenHandelns, sind untereinander solidarisch - so lauten nichtssagende und zu nichts verpflichtende Floskeln der„Besonderen Bestimmungen“ für die Durchführung derGASP (Art. I-39). Die „Besonderen Bestimmungen“ überdie Durchführung der GSVP sind noch deutlicher auf dasEntscheidungsrecht der Regierungen orientiert (Art. I-40).

Die Kommission hat im Bereich des auswärtigen Han-delns der Union Kompetenzen in der Handels- und Ent-wicklungspolitik, beim Abschluss internationaler Übe-reinkünfte und bei der Zusammenarbeit mit internationa-len Organisationen und Drittländern. In den Kernberei-chen des auswärtigen Handelns, nämlich der GASP hat siewenig und in der GSVP praktisch keine Kompetenzen.Die großzügige Zusicherung des Art. 27 EU-Vertrag „DieKommission wird in vollem Umfang an den Arbeiten imBereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitikbeteiligt“, ist im Verfassungsentwurf nicht mehr enthalten.Europäische Gesetze, für deren Vorschlag die Kommissi-on zuständig wäre (Art. I-25, 2), sind in diesem Bereichausdrücklich ausgeschlossen (Art. I-39, 7 Satz 3). DasRüstungsamt soll seine Aufgaben „erforderlichenfalls inVerbindung mit der Kommission“ versehen (Art.III-212,2). Vom Aushandeln einer internationalen Überein-

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kunft, die sich „ausschließlich oder hauptsächlich auf dieGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezieht“,wird die Kommission ausdrücklich ausgeschlossen (Art.III-227,3).

An dieser Kaltstellung der Kommission ändert auch derdelikate „Doppelhut“ des vorgesehenen Außenministersder Union nichts. Dieser Außenminister „leitet“ die GASPund „handelt ebenso“ im Bereich der GSVP, was „Leiten“und „Handeln“ auch immer heißen soll. Er wird vomEuropäischen Rat mit Zustimmung des Präsidenten derKommission ernannt und ist vor allem ein Diener desMinisterrats. Zugleich ist er einer der Vizepräsidenten derKommission und „dort“ aber nur mit Außenbeziehungender Union insoweit betraut, als eine Zuständigkeit derKommission besteht (Art. I-27). Und die besteht in GASPund GSVP kaum.

Immerhin hat der Außenminister, unter welchem Hut auchimmer, Vorschlagsrechte im Europäischen Rat und imMinisterrat und führt im Ministerrat (Auswärtige Angele-genheiten) den Vorsitz (Art. I-23,2) ohne Stimmrecht. Ervertritt die EU im Bereich der GASP nach außen (Art. III-197), leitet die Sonderbeauftragten und Vertreter der EUin Drittstaaten und bei internationalen Organisationen. Ersoll über einen eigenen diplomatischen Dienst verfügen.Der Außenminister hat also eine starke Stellung und einengroßen Zuständigkeitsbereich. In Art. III-194 wird dieZwitterstellung des Außenministers zwischen Rat undKommission noch einmal deutlich: „Der Außenministerder Union und die Kommission können dem Ministerratgemeinsame Vorschläge vorlegen, wobei der Außenmini-ster für den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik unddie Kommission für die anderen Bereiche des auswärtigenHandelns zuständig ist.“ (Art. III-194,2) Was bei dieserstrengen Arbeitsteilung an der „Gemeinsamkeit“ der Vor-schläge übrig bleibt, ist schwer zu ermessen.

Dem Gerichtshof, der zu den Organen der Union gehört,wird, mit einer Ausnahme (Art. II-209), ausdrücklichbestätigt, dass er für Angelegenheiten der GASP nichtzuständig ist (Art. III-282,1).

Im Bereich von GASP und GSVP gelten besondere Ent-scheidungsverfahren, die die Dominanz der Regierungensichern. Die Grundsatzentscheidungen werden vomEuropäischen Rat durch Europäische Beschlüsse getrof-fen. Ein Europäischer Beschluss hat als „gesetztes Recht“der EU Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten (Art.I-10,1). Ein solcher Beschluss geht also auch dem deut-schen Grundgesetz vor. Er ist „ein Rechtsakt ohne Geset-zescharakter, der in allen seinen Teilen verbindlich ist“(Art. I-32,1). Zu Fragen der GASP erfordert ein Europäi-scher Beschluss im Europäischen Rat (Art. I-20,4) und inder Regel auch im Ministerrat Einstimmigkeit (Art. I-39,7). Für den Ministerrat sind Ausnahmen vorgesehen,wo die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheiterfolgt (Art. III-201,2). Sie betreffen Durchführungsbe-schlüsse zu bereits einstimmig verabschiedeten Europäi-schen Beschlüssen. Wenn ein Staat im Ministerrat „ausganz wesentlichen Gründen der nationalen Politik“erklärt, einen mit qualifizierter Mehrheit zu fassendenBeschluss abzulehnen, erfolgt keine Abstimmung, son-

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dern es wird eine „annehmbare Lösung angestrebt. Wenndiese misslingt, entscheidet letzten Endes der EuropäischeRat und zwar einstimmig (Art. III-21). Der EuropäischeRat kann weitere Fälle von Beschlussfassungen des Mini-sterrats mit qualifizierter Mehrheit festlegen - aber wie-derum einstimmig. Die Beschlussfassung mit qualifizier-ter Mehrheit gilt nicht für Beschlüsse „mit militärischenoder verteidigungspolitischen Bezügen“, wobei offenbleibt, worin diese „Bezüge“ bestehen.

Somit hat es jeder EU-Mitgliedstaat in der Hand,Beschlüsse zur Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigungdurch seine Gegenstimme zu Fall zu bringen. Ein zwei-schneidiges Schwert! Mit ihm lässt sich ein Contra wieein Pro zu US-Aggressionen, ein ziviles wie ein militäri-sches Engagement der EU zwar nicht verhindern, aberausbremsen..

Abgestufte IntegrationEs sind nämlich Vorkehrungen dafür getroffen, dass dieGASP und die GSVP auch bei Widerspenstigkeit einzel-ner EU-Staaten verwirklicht werden können. Vorgesehenist ein ganzes System abgestufter außen-, sicherheitspoli-tischer und militärischer Integration. Sonderkoalitionenunter dem Dach der EU zur Durchführung von Kampf-einsätzen sind damit jederzeit möglich.

Erstens gibt es das Verfahren einer „konstruktiven Enthal-tung“ (Art. III-201). Stimmenthaltung im Ministerrat stehtdem Erlass eines Beschlusses nicht entgegen. Der sichenthaltende Mitgliedstaat kann eine förmliche Erklärungabgeben, dass er den Beschluss als für die EU bindendbetrachtet und seine Durchführung nicht behindern wird.Er ist dann nicht verpflichtet den Beschluss durchzu-führen. Dieses seltsame Verfahren soll offenbar Beden-kenträger und Widerspenstige neutralisieren. Zweitenskann der Ministerrat „eine Gruppe von Mitgliedstaatenmit der Durchführung einer [GSVP-] Mission im Rahmender Union beauftragen“ (Art. I-40,5 und III-211). Die„Fähigen“ und „Willigen“ können vorgeschickt werdenohne dass alle mitmachen müssen. Drittens besteht dieMöglichkeit der „strukturierten Zusammenarbeit“ nachArt. I-40,6 und III-213: „Die Mitgliedstaaten, dieanspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischenFähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionenmit höchsten Anforderungen untereinander festere Verbin-dungen eingegangen sind, begründen eine strukturierteZusammenarbeit im Rahmen der Union.“ Das ist einmilitärisches Sonderbündnis der Fähigen und Willigeninnerhalb der EU auf Dauer. Wer später zu diesem Bünd-nis hinzu stoßen will, kann sich nicht einfach anschließen,sondern muss durch die Zustimmung des Ministerrats inder Zusammensetzung der ursprünglichen Teilnehmer indieses Sonderbündnis aufgenommen werden (Art.III-213,2). Drittens steht das Instrumentarium der verstärktenZusammenarbeit nach Art. III-322 ff. auch für die gemein-same Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung.Danach können sich Mitgliedstaaten, die in der GASP ver-stärkt zusammenarbeiten wollen, ein Sonderbündnis grün-den. Die Ermächtigung und die Entscheidung über weite-re Beitritte erteilt der Ministerrat. Und viertens ist dieschon behandelte „engere Zusammenarbeit“ im Rahmen

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der kollektiven Selbstverteidigung gegen einen Angriff zunennen (Art. I-40,7 und III-214).

Entmachtung des ParlamentsIm Bereich von GASP und GSVP ist mit dem Entwurf einschlimmes und völlig inakzeptables Demokratie-Defizitder EU festgeschrieben: Der Ausschluss des EuropäischenParlaments von der Mitentscheidung und Kontrolle. DieseEntmachtung des Parlaments widerspricht den im Entwurfbeschworenen Werten der Demokratie und Rechtsstaat-lichkeit und seinen friedensorientierten Zielen. Der Ent-scheidungseinfluss des Parlaments in diesen Fragen ten-diert gegen Null. Die bisherige Entmannung des Parla-ments durch Art. 21 EUV wurde einfach fortgeschrieben.Es soll keinerlei Erhöhung des Einflusses des Parlamentsstattfinden. Der Außenminister der EU muss sich im Kol-lektiv der Kommissionskandidaten dem Zustimmungsvo-tum des Parlaments stellen (Art.I-26,2). Das ist das einzi-ge wirkliche Entscheidungsrecht des Parlaments. Ledig-lich über das Haushaltsrecht könnte vielleicht ein kleinerEinfluss geltend gemacht werden, soweit GASP undGSVP überhaupt aus dem Haushalt finanziert werden. BeiAusgaben „aufgrund von Maßnahmen mit militärischenoder verteidigungspolitischen Bezügen“ ist das nicht derFall. Sie werden von den Mitgliedstaaten bezahlt. (Art.III-215)

Ansonsten wird das Parlament ausdrücklich reduziert aufAnhörung und Unterrichtung und auch das nur, soweit esfür nötig gehalten wird. So heißt es in Art. I-39,6: „DasEuropäische Parlament wird zu den wichtigen Aspektenund den grundlegenden Weichenstellungen der Gemeinsa-men Außen- und Sicherheitspolitik regelmäßig gehört undüber ihre Entwicklung auf dem Laufenden gehalten“. DasParlament hat nichts zu entscheiden, es wird lediglichgehört und auf dem Laufenden gehalten, aber nicht zu

allen Aspekten, sondern nur zu den wichtigen und nicht zuallen Weichenstellungen der GASP, sondern nur zu dengrundlegenden. Das Parlament kann folgenlose Anfragenund Empfehlungen an den Ministerrat und den Außenmi-nister richten. Statt einmal jährlich wie bisher darf dasParlament nun zweimal jährlich „über die Fortschritte beider Durchführung“ von GASP und GSVP debattieren.(Art. III-206) Der Außenminister „hört das EuropäischeParlament ... an“ (Art. III-205). Wie gnädig! Müsste nichtumgekehrt das Parlament den Minister nicht nur anhören,sondern kontrollieren? Der Außenminister „achtet darauf,dass die Auffassungen des Europäischen Parlamentsgebührend Berücksichtigung finden“. Welch eine unde-mokratische und rechtsstaatswidrige Umkehrung des Ver-hältnisses von Legislative und Exekutive! Mit großerSorgfalt wird vermieden, dass in Einzelfragen nicht dochein Recht des Parlaments unterläuft. So wird eigens fest-gelegt, dass beim Abschluss von Übereinkünften, die aus-schließlich die GASP betreffen, das Parlament nichtgehört wird. Eine weitgehendere Entmündigung desEuropäischen Parlaments ist kaum vorstellbar. Das Parla-ment wird sich wohl dagegen wehren.

In keiner Verfassung der Mitgliedstaaten der EU ist eineso totale Entmachtung des Parlaments in der Außenpolitikfestgeschrieben, selbst im deutschen Grundgesetz und indessen wenig parlamentsfreundlicher Auslegung durchdas Bundesverfassungsgericht nicht. Dass diese Entmach-tung des Europäischen Parlaments zum Verfassungs-grundsatz erhoben werden soll, entwertet friedenspoliti-sche Bekenntnisse des Konventsentwurfs in ihrer Sub-stanz. Was ist eine Verfassung wert, kraft der die einzigeInstitution, die direkt vom Volk gewählt wird, in derlebenswichtigen Frage von Krieg und Frieden nichts zubestimmen hat?

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Zu Seite 2 nach Zeile 22 (vor „Europapoliti-sche Ziele der Partei ...“) einfügen:

Dieser notwendige radikale Politikwechsel kann allein aufparlamentarischem Wege nicht erreicht werden. Er setztvoraus, daß die an einem solchen Wechsel interessiertenMenschen sich ihrer Interessen bewußt werden und sichals politische Gegenkraft in unterschiedlicher Form orga-nisieren und entsprechenden Druck ausüben. Dies zuunterstützen und mit der parlamentarischen Arbeit zu ver-binden, ist die vornehmste Aufgabe der Abgeordneten derPDS im Europäischen Parlament.

18 Marxistisches Forum 47/2004

Begründung:

Auf Grund der neuen Rolle der globalisierungkritischenBewegungen halten wir eine exakte Bestimmung desheutigen Verhältnisses von parlamentarischer und außer-parlamentarischer Tätigkeit bereits in der Präambel fürunabdingbar.

Marxistisches Forum der PDS

Antrag an die 3. Tagung des 8. Parteitages der PDSÄnderungsantrag zum Leitantrag von 08. November 2003 (übersandtes einspaltiges Materialder Delegierten)

Beschluss des Marxistischen Forumsvom 12. Januar 2004Das Marxistische Forum lehnt die gegenwärtige neolibe-rale und auf Militarisierung gerichtete Politik und Strate-gie der Europäischen Union und den vorliegenden Ent-wurf eines Verfassungsvertrages ihrer Mitgliedstaaten, derdiesen Kurs fest- und fortschreibt, ab.

Er verpflichtet die Mitgliedstaaten zu militärischer Aufrü-stung und fordert die Bereitschaft zu weltweiten „Kampf-einsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließ-lich Frieden schaffender Maßnahmen“ und zur sogenann-ten Terrorismusbekämpfung auch in Drittstaaten. DieAusgestaltung der Außen- und Sicherheitspolitik im Ver-fassungsentwurf und die Aktivitäten Frankreichs, derBundesrepublik und Großbritanniens im Rahmen der„strukturierten Zusammenarbeit“ legen den Gedankennahe, dass dieser Strategie ein zentrale Funktion imgesamten weiteren Integrationsprozess in Europazukommt. Beschäftigungs- und Sozialpolitik werden demWirtschaftsliberalismus untergeordnet und Kapital undEinzelstaaten konkurrieren um niedrigste Kosten für dieArbeitskraft und um zunehmenden Zwang zu Lohnarbeitunter systematisch verschlechterten Bedingungen.

Militarisierung, Marktradikalismus, Privatisierung sindper se antidemokratisch. Und obwohl einige Mitentschei-dungsrechte des Europäischen Parlaments und Informati-ons- und Klagerechte einzelstaatlicher Parlamente sowieInformationsmöglichkeiten der Bürger verstärkt werdensollen, ist die EU mit dieser Verfassung von einer wirkli-chen Teilnahme der übergroßen Mehrheit der Unionsbür-ger an der politischen Gestaltung der Union weit entfernt.Organisierte Gegenkräfte, kämpferische Organisations-und Aktionsformen können legal aus den Entscheidungs-prozessen ausgeschlossen werden. Die Aufnahme des

Grundrechtskatalogs in die Verfassung wird kaum einengrößeren Grundrechtsschutz als den gegenwärtig gewähr-ten sichern.

Diese Verfassung würde keine Grundlage im Kampf fürein sozialeres, demokratischeres und friedensförderndesEuropa sein.

Zu den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parla-ment sollte die PDS mit den sozialen und politischenKräften, Wissenschaftlern und Künstlern, die für ein ande-res Europa eintreten, über den neoliberalen Charakter derEU und den Verfassungsentwurf aufklären, ihre Ableh-nung eindeutig öffentlich machen und mit grundsätzli-chen Alternativen Forderungen verbinden. Davon ausge-hend sollte eine Volksabstimmung in der Bundesrepublikzur EU-Verfassung gefordert werden: Nicht um diesenEntwurf zu legitimieren, wie aus dem Wahlprogramm zuentnehmen ist, sondern um demokratische Öffentlichkeitherzustellen, Alternativen einzufordern und diesen Verfas-sungsentwurf nicht mit den Wahlen passieren zu lassen.Dabei sehen wir die wichtigste Aufgabe in der außerpar-lamentarischen Arbeit und Bewegung, auch zur Erneue-rung und Umgestaltung politischer Systeme, in die wiruns einbringen werden.

Für das Europa-Parlament sollten solche Kandidaten auf-gestellt werden, die bereit und fähig wären, den außerpar-lamentarischen Kampf ins Parlament zu tragen und ihndort mit spezifischen Mitteln fortzuführen.

Damit würden Voraussetzungen mitgeschaffen, dass guteIdeen, Vorschläge und Wünsche aus dem EU-Wahlpro-gramm der PDS überhaupt eine Chance bekämen.

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Der Verfassungskonvent der EU hat am 13. Juni 2003wesentliche Teile eines Verfassungsentwurfs beschlossen,dem Gesamtentwurf stimmten dann am 20. Juni dieStaats- und Regierungschefs der Union zu. Im Oktoberbegann die Regierungskonferenz mit der wohl absch-ließenden Beratung. Ende dieses Jahres oder im Frühjahrnächsten Jahres beschließt eine EU-Gipfelkonferenz, dar-auf muß die Ratifizierung durch die Parlamente oder eineVolksabstimmung in den dann 25 EU-Staaten erfolgen.Was bedeutet dieser Entwurf, wenn er denn so Verfas-sungsrang erhält, für die Union, vor allem für die Völker?In welcher Hinsicht verändert er das politische System derEU und die Entwicklung der Demokratie?

Unter Demokratisierung verstehe ich die Erhöhung desEinflusses des Volkes, der Regierten auf die Regierung imweitesten Sinne. Die PDS-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann hat dem Entwurf im Einvernehmenmit dem Parteivorstand vor allem wegen bestimmterdemokratischer Elemente zugestimmt, obwohl die aufeine Militärmacht Europa zielenden Bestimmungen fürsie inakzeptabel seien.1 Im Entwurf für ein neues Partei-programm der PDS wird in absolutem Gegensatz zu denbereits feststehenden Festlegungen des Verfassungsent-wurfs sogar behauptet, dass die EU in der Außen- undSicherheitspolitik an einem Scheideweg zwischen zivilerKonfliktprävention und der Profilierung als eigene Groß-macht stünde.2

Fortschritte bei GrundrechtenEin Fortschritt ist zweifellos die Aufnahme einer Grund-rechtscharta als Teil II, auch wenn die sozialen Grund-rechte immer noch eine völlig untergeordnete Rolle spie-len. Ein ernsthafter Fortschritt in Bezug auf Demokrati-sierung ist weiterhin die im Artikel I-46 Abs. 4 vorgese-hene Möglichkeit einer Aufforderung von mindestenseiner Millionen Bürgern an die Kommission zu bestimm-ten Themen den Erlaß eines Rechtsakts in Angriff zu neh-men. Auch wenn diese Festlegung noch sehr unbestimmtist, das Verfahren noch durch ein europäisches Gesetzfestgelegt werden soll, ist hier doch eine echte Möglich-keit der Partizipation vorgesehen. Generell ist darüberhinaus bestimmt, dass alle Bürgerinnen und Bürger dasRecht haben, am demokratischen Leben der Union teilzu-nehmen. „Die Entscheidungen werden so offen und sobürgernah getroffen“. Politische Parteien auf europäischer

Ebene sollen zur Herausbildung eines europäischen poli-tischen Bewusstseins beitragen (Art. I-45).

Der tiefer gehende Vorgang ist der vorsichtige Ausbau derRechtsstellung des europäischen Parlaments, allerdingsverbunden mit einer Straffung der Machtausübung derExekutivorgane der EU. Auf diesen Zusammenhangwerde ich später noch eingehen. Das Parlament hatteursprünglich nach den römischen Verträgen nur eine bera-tende Funktion und wurde von den Parlamenten der Mit-gliedsländer, also nur indirekt vom Volk gewählt. Die EG(seit dem 1. 1. 1993 EU), wurde in den Entscheidungsfra-gen ausschließlich durch Organe der Exekutive (die Kom-mission, der Ministerrat und der Europäische Rat derRegierungs- und Staatschefs) repräsentiert. 1978 wurdedie Direktwahl eingeführt. In der Gesetzgebung ent-wickelten sich Anhörungsrechte des Parlaments, zum Teilauch Mitentscheidungsrechte, bzw. Zustimmungserfor-dernisse. Die Gesetzgebungsinitiative aber verblieb beider Kommission (der Quasi-Regierung), also dem einenExekutivorgan. Sie hat zugleich ein umfassendes Verord-nungsrecht. Im Jahre 2001 erließ sie allein 600 Verord-nungen und 18 Richtlinien.3 . Der Kommissionspräsidentwurde nach Anhörung des Parlaments von den imEuropäischen Rat versammelten Staats- und Regierung-schefs ernannt, die übrigen Mitglieder von den Mitglieds-staaten im Einvernehmen mit dem Präsidenten. Der Kom-mission kann durch das Europäische Parlament dasMißtrauen ausgesprochen werden. Der erste derartige Ver-such scheiterte am 14. 1. 1999 mit 232 gegen 293 Stim-men.4 Der Ministerrat besteht aus Ministern der Mit-gliedsländer und beschließt in der Regel gemeinsam mitdem Parlament die Gesetze.

Eine wachsende Rolle spielt der EuropäischeGerichtshofMit dem Eintritt immer neuer Staaten und 2004 weitererl0 (damit sind es insgesamt 25) wächst natürlich derAbstimmungsbedarf. Es entwickelten sich heftige Ausein-andersetzungen um die Rechte der einzelnen Organe derEU und vor allem um die Stärke der einzelnen Staaten indiesen Organen. Es geht also um politische Macht. 2000konnte in Nizza ein Erfolg nur erreicht werden (alle Ent-scheidungen auf völkerrechtlicher Ebene müssen ja, da essich um einen Vertrag handelt, einstimmig erfolgen), indem den kleineren Staaten eine relativ umfassende Vertre-tung vor allem im Ministerrat eingeräumt wurde. So ver-

1 EU-Verfassungsentwurf ist Meilenstein des europäischen Integrationsprozesses, Presse- und Informationsdienst der PDS 2003 Nr. 25, Verfassungs-entwurf ist historischer Kompromiss, ebenda Nr. 30.

2 Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, Überarbeiteter Entwurf, Pressedienst der PDS 2003 Nr. 35, S. 10. Vgl. dazu das Minderhei-tenvotum von, U.-J. Heuer, E. Brombacher, W. Wolf, Pressedienst ebenda Nr. 36.

3 R. Baubel, Die wirren Gesetze der Eurokraten, DIE ZEIT vom 1. 8. 2002.4 J. Fritz-Vannahame, Die ZEIT vom 21. 1. 1999.

Uwe-Jens Heuer 19

Uwe-Jens Heuer

Wer sind die Preußen von heute?Beitrag zur Diskussion am 6. Oktober 2003 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung BrandenburgNachdruck aus: Junge Welt vom 16.10. 2003 (http://www.jungewelt.de)

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fügten die 4 großen EU Staaten jetzt über je 29 Stimmen,Spanien und Polen über 27, also kaum weniger.5

Der Verfassungskonvent, überhaupt kein offiziellesInstrument der EU, eigens zu diesem Zweck Ende 2001von den EU-Staats- und Regierungschefs im belgischenLaeken aus 105 Vertretern der Parlamente, der Regierun-gen und der Kommission gebildet, war dann das Instru-ment, um die für erforderlich gehaltene Straffung imSinne der „Regierbarkeit“ durchzusetzen. Es gab keineförmliche Abstimmung. Man wollte eine Art Konsensent-scheidung erhalten, was späteren Widerspruch erschwerensollte, jetzt aber zu Problemen führt.

Bundesstaat oder Staatenverbund?Der immer wieder betonte Fortschritt ist die Verstärkungdes Einflusses des Parlaments. Es soll jetzt den Kommis-sionsvorsitzenden wählen, Voraussetzung ist allerdingsein von Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheitbeschlossener Vorschlag (Art. I-26). Der Bereich der Mit-wirkung an der Gesetzgebung wird ausgebaut, inbestimmten Fällen kann jetzt das Parlament sogar dieGesetzesinitiative ergreifen (Art. I-33,Abs. 2). In einemZusatzprotokoll wird einem Drittel der nationalen Parla-mente die Möglichkeit eingeräumt, von der EU-Kommis-sion die erneute Prüfung eines von ihr unterbreitetenGesetzesvorschlages zu verlangen. Letztlich aber ent-scheiden weiterhin die EU-Organe. Das ist deswegen sobedeutsam, weil immerhin 60 % der Gesetzesmaterie imEU-Bereich von deren Organen und nicht den nationalenOrganen beschlossen wird.

Parallel dazu soll die Kommissionsarbeit gestrafft werden,nicht mehr alle Staaten stellen Kommissionsmitglieder, imMinisterrat wird ein neues Abstimmungsverfahren durch-geführt, für die qualifizierte Mehrheit sind jetzt im Mini-sterrat und im Europäischen Rat die Hälfte der Staatensowie deren Repräsentanz für 60 % der Bevölkerungerforderlich ( Art I-24). Der Umfang der einstimmig zutreffenden Entscheidungen wurde eingeschränkt. In die-selbe Richtung der Straffung geht die Aufhebung der bis-herigen halbjährig wechselnden Präsidentschaft desEuropäischen Rates zugunsten eines für 2½ Jahre gewähl-ten Präsidenten mit der Möglichkeit der Wiederwahl,sowie die Bestallung eines Außenministers der EU.

Wie ist dieser Gesamtprozeß zu werten, in welche Rich-tung zielt er? Die Verbindung von - begrenzter - Demo-kratisierung auf der einen und von Straffung derMachtausübung der EU- Exekutive, also Einschränkungder Macht der (kleineren) Einzelstaaten auf der anderenSeite scheint mir ein einheitlicher Prozeß zu sein, wobeidas erste das zweite legitimiert. Das führt früher oder spä-ter zur Frage nach dem Staatscharakter der EU. Heute istsie ein Staatenverbund völkerrechtlicher Art, der jedoch

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durch den gemeinsamen Markt und die - teilweise -gemeinsame Währung und dementsprechende Zentralisie-rungen auch schon darüber hinaus reicht.

Es ist deshalb kein Wunder, dass Vergleiche zwischen die-sem Konvent und dem Konvent aufkommen, der 1787 inwenigen Monaten im Bildungsprozeß der USA denFöderalismus (Bundesstaat) statt der 1776 gegründetenKonföderation durchsetzte. Auch auf die beidemaligeÜberdehnung des Mandats, im Auftrag war von Verfas-sung überhaupt nicht die Rede, wurde hingewiesen.6

Ein offener historischer ProzeßDie PDS hat bisher zu dieser Frage der Tendenz nicht Stel-lung bezogen. Sylvia-Yvonne Kaufmann hat sie sogar fürgegenwärtig irrelevant erklärt. Wir hätten ein Gesell-schaftssystem hinter uns gelassen, in dem eine leninisti-sche Elite auf Grund ihrer vermeintlich wissenschaftli-chen Weltanschauung die Richtung für alle definierte. Sieplädiere deshalb dafür, „dass die europäische Integrationein offener historischer Prozeß bleibt. Künftige Genera-tionen ... sollten nicht auf eine vorbestimmte <Finalität>,sei es als Staatenverbund oder Föderation festgelegt wer-den“7. Wir müssen aber uns damit auseinandersetzen,welche Kräfte hier in welcher Richtung wirken, warumdie einen Staaten stärker auf einen Bundesstaat hinwirken,andere dagegenhalten, welche sozialen Kräfte hier wir-ken, wie jedenfalls der totalen Herrschaft des Neolibera-lismus entgegen getreten werden kann, welche Positionheute Sozialisten einnehmen sollten. Entgegen der Mei-nung der PDS-Abgeordneten, die sich enthalten hatten,hat im Europaparlament eine Mehrheit von 24 Abgeord-neten der Europäischen Linken/ Nordische Grüne Linkegegen den Entwurf gestimmt.8

Spanien, Polen und wohl 15 kleinere Staaten werdenoffenbar versuchen, die Straffungsvorhaben teilweiseanzugreifen. Es gibt jetzt schon Überlegungen, allzu hef-tige Rebellen aus der EU zu entfernen.9 Der Vorsitzendedes Bundesverfassungsgerichts, Hans- Jürgen Papier,erhob jetzt seine Stimme gegen eine Überschreitung der inder Verfassung gezogenen Grenzen für die Zuständigkeitder EU. Hierüber zu entscheiden sei nicht Sache desEuropäischen Gerichtshofes, sondern letztlich des Bun-desverfassungsgerichts.10 Die Umwandlung der EU ineinen Bundesstaat sieht er offensichtlich als grundgesetz-widrig an.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Maa-stricht-Urteil vom 12. 10. 1993 erklärt, „dem deutschenBundestag müssen Aufgaben und Befugnisse von sub-stantiellem Gewicht bleiben“, es spricht von einen„Kooperationsverhältnis zum Europäischen Gerichtshof.Der Unionsvertrag begründe „keinen sich auf ein europäi-sches Staatsvolk stützenden Staat“.11

5 C. Wernicke, Vertrag zu Lasten eines Dritten, DIE ZEIT vom 14. 12. 2000.6 J. Fritz-Vannahme, Eine feste Burg aus Buchstaben, Enger Staatenbund oder offenes Kunstwerk? Europa ringt um eine Verfassung, wie einst Ame-

rikaner und Deutsche, DIE ZEIT vom 14. 11. 2002.7 S.-Y. Kaufmann, Ziviler, demokratischer und sozialer, Neues Deutschland vom 16. 6. 2000.8 M. Standke, Wenig linke Gegenliebe, Neues Deutschland vom 26. 9. 2003.9 Vor dem Rausschmiß, Spiegel Nr. 40 2003.10 „Das tangiert die Grundfesten“, Spiegel Nr. 39 2003. Vgl. auch P. Kirchhof, Das Recht Europas und das der Staaten, FAZ vom 4. 12. 1996.11 Die Demokratie ausbauen, Frankfurter Rundschau vom 13. 10. 1993.

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Es ist heute zweifellos noch nicht so weit, aber über dieRichtung sollte schon nachgedacht werden. JoschkaFischer hatte bereits am 12. 1. 1999 in einer Grundsatzre-de vor dem EU-Parlament die größten Defizite im Bereichder politischen Integration und der Demokratie ange-mahnt. Deshalb stelle sich jetzt die Frage der Verfassung.„Je handlungstüchtiger die Union wird, um so größermuss die demokratische Legitimation ihrer Handlungensein“ beispielsweise bei der Wahl der Kommission.12 1½Jahre später wurde er in einer Diskussion mit Jean PierreChevènement noch erheblich deutlicher. Er wisse, dass essich faktisch um „eine europäische Revolution, ... einekonstitutionelle Revolution“ handele, vor der wir stehen.„Mit dem lockeren Geflecht des Staatenverbundes werdenwir im Zeitalter der Globalisierung keine Wirkung errei-chen können“. Er beschäftige sich im „Moment viel mitder frühen amerikanischen Verfassungsgeschichte nach1776“. Wie solle Europa sein, wenn nicht föderal? In derWährungsfrage seien wir es offenbar schon, wenn auchbürokratisch.13

Es gibt eine Gruppe von Staaten, an ihrer Spitze Deutsch-land und Frankreich, die diese Entwicklung besondersvorantreiben. Die Bildung eines solchen Kerneuropas istauch das eigentliche Anliegen eines Aufrufs von JürgenHabermas und Jacques Derrida vom 31. Mai.14 Einstwei-len seien wohl nur die kerneuropäischen Mitgliedstaatenbereit, der EU gewisse staatliche Qualitäten zu verleihen.Spezifisch europäisch seien „die sozialstaatliche Befrie-dung von Klassengegensätzen“, das größere „Vertrauenauf die zivilisierende Gestaltungsmacht eines Staates“auch gegenüber dem Marktversagen, sowie das „Ethosdes Kampfes für soziale Gerechtigkeit“. Der Anfang sollemit einer „gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Vertei-digungspolitik“ gemacht werden, wozu dann allerdingsjegliche Konkretisierung fehlt. So etwas paßt auch weni-ger in die Habermassche Logik des repressionsfreien Dis-kurses.

Diese Tendenz zu mehr Bundesstaat, zur „konstitutionel-len Revolution“ wird offensichtlich von dem zunehmen-den imperialistischen Kurs nicht nur der USA bestimmt.Die Position der US-amerikanischen Föderalisten wurdedurch den siegreichen Unabhängigkeitskrieg gegen Groß-britannien entscheidend gestärkt, ähnliches galt für dieGründung des Deutschen Reiches. Vorbereitung undFührung von Kriegen - andererseits natürlich auch sieg-reiche Revolutionen - sind mit der Straffung der exekuti-ven Macht eng verbunden. Für diese Interpretation sprichtauch der auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspo-litik zielende Kurs Er geht im Entwurf bis zur Verpflich-tung der Mitgliedstaaten, „ihre militärischen Fähigkeiten

schrittweise zu verbessern“, bis zur Festlegung der Bil-dung eines Amtes für Rüstung, Forschung und militäri-sche Fähigkeiten und umfasst auch den Einsatz von Mis-sionen zur Durchführung der gemeinsamen Sicherheits-und Außenpolitik (Art- I-40). Die Art und Weise des Ein-satzes von Missionen einschließlich von Kampfeinsätzenwird dann in den Art. III-205 bis 209 geregelt. Es geht beidiesen Missionen außerhalb der Union neben der Frie-denssicherung und Konfliktverhütung auch um „Kampf-einsätze im Rahmen der Krisenbewältigung“ (Art. III-205, Abs. 1). Für das Europäische Parlament gibt es dabeinur das Recht, angehört und auf dem Laufenden gehaltenzu werden (Art. I 40, Abs. 8). Auf Grund der wider-sprüchlichen Reaktionen auf den Irakkrieg will offen-sichtlich ein engerer Kreis von Staaten die gemeinsameAußen- und Sicherheitspolitik vorantreiben. Das Tor dafürist im Art. I-43 geöffnet. Die vor kurzem veröffentlichtenverteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesrepubliksind auf dieselbe Linie zugeschnitten.15 Mehr „Hand-lungstüchtigkeit (Fischer) bezieht sich offensichtlich auchauf die Fähigkeit, Kriege, auch präventive Kriege alsoAngriffskriege zu führen.

Karsten Neumann, Landtagsabgeordneter in Mecklen-burg-Vorpommern hat jetzt im Neuen Deutschland vom2. Oktober sich gegen diejenigen gewandt, die entsetztdarüber sind, dass der Text die wirtschaftlichen und poli-tischen Machtverhältnisse in Europa widerspiegele. „Wiesollte es denn anders sein?“ Wir könnten uns nur auf die-ser Basis bewegen und nur so „Europas Emanzipation vonder Superchaosmacht vorantreiben“ und „Chancen für einneues europäisches Sozialstaatsmodell“ erschließen, „stattsich im eigenen - ideologischen Graben gegenseitig ganzund gar unfriedlich niederzumetzeln“. Hans-HenningAdler dagegen schlußfolgert, „wer zur herrschenden Poli-tik der Europäischen Union und ihrer Mehrheit in Oppo-sition steht, kann eigentlich nicht zustimmen, wenn diesePolitik in den Verfassungsrang gehoben werden soll“.16

Positionen der LinkenEs ist noch keineswegs alles entschieden, und ein Kom-promiß der herrschenden Kräfte muss ja von uns nichtgeteilt werden. Es ist ja kein Kompromiß mit der soziali-stischen Linken eingegangen worden. Im gemeinsamenAufruf europäischer Linksparteien zur vorigen Europa-wahl hatte es geheißen: „Angesichts der Allmacht dereuropäischen Zentralbank wirft das die Frage auf, dasssich Politik und Öffentlichkeit in Gestalt der Regierungenund der Parlamente Möglichkeiten für ihr Eingreifen indie Wirtschaft zurückerobern müssen“.17 Das ist durchdiesen Entwurf keineswegs erleichtert, sondern eher

12 Eine Verfassung für Europa, DIE Zeit vom 21. 1. 1999.13 Streitgespräch von Joschka Fischer contra Jean-Pierre Chevènement, DIE ZEIT vom 21. 6. 2000.14 Die Wiedergeburt Europas, Blätter für deutsche und internationale Politik 2003 H. 7, S. 878-881.15 Aggressives Militärprogramm Verteidigungspolitische Richtlinien (Teil 1) Erlassen von P. Struck, Bundesminister der Verteidigung, am 21. Mai

2002, Junge Welt vom 22.5. 2003. Dort heißt es im Punkt 333: „Mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (RESVP) stärkt dieEU ihr Instrumentarium zum gemeinsamen Handeln in der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung auch über Europa hinaus“. Und im Punkt37 ist nach Ausführungen über vorbeugende Sicherheitspolitik zu lesen: „Gleichwohl sind die politische Bereitschaft und die Fähigkeit, Freiheitund Menschenrechte, Stabilität und Sicherheit notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen oder wiederherzustellen, unverzichtbare Vor-aussetzung für die Glaubwürdigkeit eines umfassenden Ansatzes von Sicherheitspolitik“.

16 Auf dem Weg zu einer EU-Verfassung, Neues Deutschland vom 2. 10. 2003.17 Für einen neuen Weg der europäischen Integration, Neues Deutschland vom 10. 1. 1999.

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erschwert worden. Der Irrtum beruht auf der Annahme aufGrund einiger Deklarationen zu Zielen und Werten, dassein Zusammenschluss imperialistischer Staaten einennichtimperialistischen Charakter tragen könne. Einebestimmte Einschränkung U.S.-amerikanischer Weltherr-schaftsambitionen ist möglich, eine prinzipiell anderePolitik vor allem im Bereich der Außen- und Sicherheits-politik nicht.

Was aber ist, wenn dieser Entwurf, mehr oder wenigerkorrigiert, zur Verfassung der EU wird? Diese Verfassungist dann zweifellos der Rahmen unserer Tätigkeit, so wiees das Grundgesetz auch ist. Engels hat in der vergleich-baren Situation nach den Kriegen von 1866 und 1870/71an Marx geschrieben, man dürfe sich im Gegensatz zuWilhelm Liebknecht „zu den Ereignissen und Resultatenvon 1866 nicht simplement negativ, d.h. reaktionär, son-dern kritisch“ verhalten. Man dürfe nicht den Antibism-arckismus zum alleinleitenden Prinzip erheben. „Die Süd-deutschen treten jetzt notwendig in den Reichstag ein unddamit erwächst dem Preußentum ein Gegengewicht.“ Dieganze Geschichte seit 1866 rückgängig zu machen seiBlödsinn.18 Das berührte aber natürlich nicht die Haltungzur neuen von den Fürsten (und den drei Stadtrepubliken)oktroyierten Reichsverfassung, die selbstverständlich vonden Sozialdemokraten abgelehnt wurde. Wilhelm Lieb-knecht erklärte im Reichstag, die „Verfassung sei einGewaltwerk von oben, über die sich die Fürsten verstän-

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digt hätten und zu dem der Reichstag einfach Ja sagensolle und müsse. Die Verfassung zeige, dass sie im Heer-lager zu Versailles ihren Ursprung habe.“19 Übrigens warauch die Verfassung des Deutschen Reiches wie vorherdie Verfassung des Norddeutschen Bundes mit einerwesentlichen Verstärkung des allgemeinen gleichen Wahl-rechts vor allem im Verhältnis zum preußischen Wahlrechtverbunden. Offensichtlich ist die Legitimierung vonerheblichen Straffung der Machtausübung der Exekutivedurch gleichzeitige Demokratisierungsschritte kein schonfrüher verfolgt. Das bedeutet keine Geringschätzung der-artiger Errungenschaften, aber Mißtrauen gegenüber demMachtzuwachs der Exekutive.

Aus der Analyse der historischen Entwicklung wie ausden sichtbar werdenden heutigen Konflikten habe ichgroße Bedenken, ob es richtig ist, wie Sylvia-YvonneKaufmann nur die Hauptkonfliktlinie zwischen denen zusehen, „die mehr Europa wollen und jenen, die auf dieNationalstaaten, ja auf Renationalisierung setzen“.20 Viel-leicht sollte man die Zielstellungen und Interessen der„Europäer“ einerseits, die ja wohl nicht nur Europäer sind,und der verschiedenen „Nationalstaatler“ andererseits dif-ferenziert untersuchen und sich dann erst positionieren.Wir sollten - mit einem zugespitzten Wort - überlegen, wervielleicht die Preußen von heute sind und ob wir bedin-gungslos an ihrer Seite stehen sollten?

18 Engels an Marx am 19. 12. 1867, Marx Engels Werke Bd. 31, Berlin 1965, S. 413 sowie Engels an Marx am 15 8. 1870, ebenda Bd. 33, Berlin1966, S. 40.

19 A. Bebel, Aus meinem Leben, Berlin 1930, S. 201.20 S. -Y. Kaufmann, EU mit mehr Demokratie, Neues Deutschland vom 21. 22./ 6. 2003.

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Die Einfügung u.a. von „sozialer Marktwirtschaft“, „Voll-beschäftigung“ und „sozialem Fortschritt“ in die Zielstel-lungen der Europäischen Union (Artikel I-3) wurde vonSilvia-Yvonne Kaufmann als „Bruch mit der einseitigneoliberalen Ausrichtung der EU“ gewertet. Statt der Fest-legung auf eine „offene Marktwirtschaft mit freiem Wett-bewerb“ sei eine „Zielkorrektur in Richtung sozialeMarktwirtschaft“ erreicht worden. Wer ein sozialeresEuropa wolle, könne sich künftig darauf berufen. (ND,21/22.6.; 27.6.03) Karsten Neumann, Landtagsabgeordne-ter der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, ruft unter Nut-zung des Klischees von der Politikunfähigkeit Anders-gläubiger und von „Grabenkämpfen“ zur Verteidigungdieses Entwurfs auf. (ND, 2.10.03)

Neue Ziele, alte WegeBekanntlich meint „soziale Marktwirtschaft“ eine kapita-listische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der derStaat jeweils Rahmenbedingungen für einen funktions-fähigen Markt schafft. Darin sind auch - je nach den kon-kreten Bedingungen und Kräfteverhältnissen - Aufgabenbei der Reproduktion und zur besseren Verwertung derArbeitskräfte sowie die soziale Absicherung des Systemseingeschlossen. Unterschiedliche Auffassungen zwischenVertretern dieses Systems über Art, Umfang und mehroder weniger sozialen Gehalt der Staatseingriffe könnensich in juristisch nicht definierten Beiworten wie „sozia-le“, „freie“ oder „offene“ Marktwirtschaft ausdrücken.

Im Verfassungsentwurf wird nun eine „in hohem Massewettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ angestrebt.(Artikel I-3) Diese Erweiterung schließt bereits die gegen-wärtige Praxis der Standortlogik mit Sozial- und Lohn-dumping ein. Die anschließende Bezugnahme im Text auf„Vollbeschäftigung“ und „sozialen Fortschritt“ ist dieserCharakterisierung der „sozialen Marktwirtschaft“ unter-geordnet. Vollbeschäftigung meint hier vor allem Zwangder Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Unterprivilegiertenetc., jede Arbeit zu immer schlechteren Bedingungenanzunehmen bzw. sich in mehreren unwürdigen Arbeits-verhältnissen zu verdingen, um leben zu können. So wiees EU-Politik zunehmend erzwingt und koordiniert.

Selbstverständlich ist hier auch inbegriffen, dass einimmer kleiner werdender Teil von Erwerbsabhängigen füreine gewisse Zeit seine Interessen an Berufsausbildung,Qualifikation und qualitativ guten Arbeitsaufgaben mitdem Grunderfordernis der „Wettbewerbsfähigkeit“ inÜbereinstimmung bringen kann. Aber dies auf Kosten vonwesentlichen Interessen, die nicht zu vermarkten sind.

Und letztlich auf Kosten einer würdigen Existenz vonMillionen anderer Menschen. Das ist im Verständnis vonSozialisten/Kommunisten kein sozialer Fortschritt.

Bei den sehr konkreten Festlegungen im Teil III des Ent-wurfs zur Wirtschafts- und Währungspolitik werden danndie Mitgliedstaaten dem „Grundsatz einer offenen Markt-wirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichtet. DieBeschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten muss wiederum„im Einklang mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik“stehen, und die Sozialpolitik darf „die Wettbewerbsfähig-keit der Wirtschaft der Union“ nicht gefährden. (Artikel69, 70, 98, 103)

Aus den Bestimmungen im Teil III werden die Kompe-tenzen und Befugnisse der Union direkt abgeleitet. Diesaus den Zielen tun zu wollen, stieße, wenn es „dem Wett-bewerb“ widerspräche, nicht nur auf faktische Machtbar-rieren. Nicht von ungefähr stellen die CDU/CSU in ihremumfangreichen Grundsatzpapier zum „Europäischen Ver-fassungsvertrag“ ebenso wie die FDP in einem Antrag inder Bundestagsdebatte zur EU-Verfassung und maßgebli-che konservative Verfassungsrechtler klar, dass Zielbe-stimmungen nicht zu Kompetenzzuweisungen führen undsie nicht legitimieren würden.1 Deshalb fordern Gewerk-schaften, konkrete Sozialbestimmungen eben in Teil IIIaufzunehmen.

Was bleibt, wenn Union und Mitgliedstaaten nirgendwoverpflichtet werden, konkrete soziale Mindeststandardsu.a. bei Krankheit, Kündigung, Arbeitslosigkeit und imAlter zu vereinbaren? Für soziale Zielbestimmungen wer-den keine verbindlichen Durchsetzungs-, Kontroll- undSanktionsmechanismen festgeschrieben, wie sie seit Jah-ren konkret und praktikabel vorgeschlagen worden waren.So sollte zum Beispiel die Möglichkeit gerichtlicher Kon-trolle bei Untätigkeit des Staates, bei offensichtlich sach-widrigen Maßnahmen und für einzelne besonders benach-teiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt vorgesehen wer-den. Besonderer konkreter Schutz sollte auch jenen zuteilwerden, die nicht in Normalarbeitsverhältnissen stehen.2Inzwischen wird das Prekäre die Norm und Schutz umsowichtiger.

Im Verfassungsentwurf ist auch kein Schutz gegen welt-weit erzwungenen Marktradikalismus, z.B. bei derDaseinsvorsorge, durch Organisationen wie die WTO,verankert. ATTAC hat Verschlechterungen im Verhältniszum geltenden Recht nachgewiesen.

Schließlich sind auch Sozialbestimmungen im Grundrech-tekatalog der neoliberalen Kapitallogik der Verfassung

1 Politische Studien, Sonderheft 1/2003; Deutscher Bundestag: Drucksachen 15/577, v.12.3.2003; Rupert Scholz, Zeitschrift für Gesetzgebung, Son-derheft 2002

2 Wolfgang Däubler: Die soziale Dimension des europäischen Binnenmarktes, Baden-Baden 1990; derselbe als Hg.: Sozialstaat EG?, 1989)

Edeltraut Felfe 23

Edeltraut Felfe

EU - sozial verfasst?Der EU-Verfassungsentwurf und die PDS-DebatteNachdruck aus: Junge Welt vom 25./26. Oktober 2003 (http://www.jungewelt.de)

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unterworfen. Es hat schon seinen Sinn, wenn dort nichtein „Recht auf Arbeit“ steht, sondern, dass jeder Menschdas „Recht (hat), zu arbeiten“. Die „unternehmerischeFreiheit“ wird anerkannt, nicht aber eine Sozialbindungdes Eigentums verlangt, die umso stärker wirksam werdenmüsste, je mehr Kapital in der Sozialsphäre verwertetwird. Genau das, was gegenwärtig durch Liberalisierungund Privatisierung der Daseinsvorsorge geschieht. Der„Zugang“ zu Sozialleistungen ist durch Erläuterungen undRechtsprechung eingeschränkt, und das „Schutzniveau“aus Artikel II-53 des Entwurfs bezieht sich nur auf dieVerletzung der „Menschenrechte und Grundfreiheiten“,zu denen soziale Grundrechte und Staatszielbestimmun-gen nach herrschender Auffassung nicht gehören. Wie sol-len bei all dem soziale Zielformulierungen im Entwurf fürdie Einhaltung „verbindlicher sozialer Grundrechte“durch EU und Mitgliedstaaten, bürgen, wie in der Debat-te behauptet wurde. (ND, 9.10.03)

Neoliberale AusrichtungZudem, wenn von einer „Zielkorrektur in Richtung sozia-le Marktwirtschaft“ die Rede ist, kann die gegenwärtigeneoliberale Ausrichtung dieses Leitbildes nicht ignoriertwerden. Danach steht das Adjektiv „sozial“ für notwendi-ge Korrekturen und Rahmensetzungen und sei kein Ein-fallstor für einen „überdehnten Sozial- oder interventioni-stischen Wohlfahrtsstaat“. Auf diese Weise könne die„Soziale Marktwirtschaft“ Grundlage für einen neuenGesellschaftsvertrag und als das Leitbild für alle Subsy-steme deren missbräuchliche Ausnutzung verhindern.3Dass es um die Abwicklung des Sozialstaates geht, sagteine neulich gegründete „Initiative Neue Soziale Markt-wirtschaft“ deutlicher.

Es kommt eine weitere Komponente hinzu. Gerade jetztmit dem sozialen Kahlschlag wird die Stärkung des sogenannten Sozialkapitals oder des „sozialen Zusammen-halts“ gefordert. Kooperations-, nicht nur Kommunikati-onskultur zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sei„ein Stück lebendiger sozialer Marktwirtschaft“ undbeweise die ungebrochene Aktualität dieses Leitbildes.Streit auf dem Arbeitsmarkt verschlinge finanzielle Res-sourcen und nutze nur Gewerkschaftsfunktionären, die einGesellschaftskonzept brauchten, das seinem Wesen nachimmanent streitig sei. „Die Soziale Marktwirtschaft ... istaber final auf Aussöhnung ausgerichtet“, weiß man in derCSU-Nahen Hanns- Seidel-Stiftung.4

Im Verfassungsentwurf kommt diese Grundstrategie u. a.in Formulierungen vom „wirtschaftlichen, sozialen undterritorialen Zusammenhalt“ (Artikel I-3), von der „För-derung des sozialen Dialogs“ (Artikel I-47) und der „Soli-darität“ (Teil II, Titel IV) zum Ausdruck. Also ein „Gesell-schaftsvertrag“, der unvereinbare Interessen zu denBedingungen der Herrschenden zusammenschnürt undjeglichen - vor allem gewerkschaftlichen Widerstand -aufweicht und klein arbeitet.

24 Marxistisches Forum 47/2004

Neoliberale Strategen wie auch juristische Detailuntersu-chungen sehen mit dem Verfassungsentwurf dann auchkeine Veränderungen der bisherigen Orientierung der EUam „freien Wettbewerb“ und an dem „Grundsatz eineroffenen Marktwirtschaft“. Die FDP selbst hatte in demschon erwähnten Antrag gefordert, die „soziale Markt-wirtschaft“ in den EU-Verfassungsentwurf aufzunehmen.

Wo ist da ein Bruch mit der neoliberalen Ausrichtung derEU? Und warum eigentlich soll die PDS das Leitbild vonder „sozialen Marktwirtschaft“ zu dem ihren machen, wiedem aktuellen Programmentwurf zu entnehmen ist. Dortheißt es: „Seit 1990 haben wir dafür gewirkt, dass Sozial-staat und soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublikausgebaut und nicht weiter zerstört werden.“5

Freiheiten des MarktesIm Staatsvertrag zwischen der DDR und der BRD vom18.5.1990, der verfassungsrechtliche Vorgaben für diedeutsche Einheit festlegte, wurde in der Präambelbestimmt, die „Soziale Marktwirtschaft“ als Grundlagefür die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Ent-wicklung ... in der DDR einzuführen. Im Grundlagenkapi-tel des Vertrages wurde festgelegt: „Grundlage der Wirt-schaftsunion ist die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsa-me Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien. Sie wirdinsbesondere bestimmt durch Privateigentum, Leistungs-wettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volleFreizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstlei-stungen; ...“ (Bundesgesetzblatt 1990, Teil II, S.537)

Auch die Sozialunion wurde inhaltlich an die „SozialeMarktwirtschaft“ gebunden, und in dem Gesetz des Bun-destages zur Durchsetzung des Vertrages vom 18.5.1990wurde der absolut vorrangige Stellenwert des kapitalisti-schen Eigentums und seiner „freien Entfaltung“ als Kernder sozialen Marktwirtschaft in Rechtsnormen umgesetzt.(ebenda, S. 518 ff.) Mit diesem Vorgehen waren Bestre-bungen verbunden, die „soziale Marktwirtschaft“ in derBundesrepublik entgegen dem Grundgesetz und derRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Ver-fassungsrang in die Rechtsordnung des Bundes einzufü-gen.

Der Verfassungsrechtler Hans-Peter Schneider stellte fest,dass mit dem Staatsvertrag viel weitergehende Freiheitendes Marktes festgeschrieben wurden, als sie zu jener Zeitin der Bundesrepublik politische Praxis waren, z.B. freiePreisbildung und vollständiger Abbau von Subventionen.(Der Spiegel19/1990, S.37 ff.) Da war schon ein Sieg vor-weggenommen. Ihn in das Grundgesetz einzuschreiben,gelang damals unter dem Druck weitreichender sozialerund demokratischer Impulse aus dem „Verfassungsent-wurf für die DDR“ vom Runden Tisch vom April 1990nicht.

3 Siegfried F. Franke: Wählerwille und Wirtschaftsreform. Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage Das Parlament, 18-19/2003, S. 294 Politische Studien, Editorial, Mai/Juni 20035 PDS-Pressedienst, Nr.35/2003, S. 30

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SozialstaatsprinzipIn den Verfassungen der anderen bisherigen Mitgliedstaa-ten der EU ist eine „soziale Marktwirtschaft“ ebenfallsnicht festgeschrieben. Entsprechende Aussagen für eineverfassungsmäßige Wirtschaftsordnung sind z.B. auch inder tschechischen und der polnischen Verfassung nichtenthalten, was sich in Hinsicht auf den marktwirtschaftli-chen Transformationsprozess als „bedauerlicher Mangel“erweise. Die Verfassungen Ungarns und der Slowakeiwürden mit ihrer ausdrücklichen Festlegung auf die„soziale Marktwirtschaft“ einem „Trend der europäischenVerfassungsentwicklung, der sich nicht zuletzt in den Ver-trägen über die Europäische Union mit ihrer Festlegungauf eine ›offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb‹manifestiert“, entsprechen. Die Verpflichtung auf die„Soziale Marktwirtschaft“ diene auch als Auslegungs-und Überprüfungsmaßstab für die Wirtschaftspolitik unddie entsprechende Rechtsordnung. Dabei sei der wichtig-ste Koordinationsmechanismus „natürlich der Markt“.6

Die „soziale Marktwirtschaft“ soll nun also für die EUund ihre Mitgliedsländer Verfassungsrang bekommen.Den Begriff des Sozialstaates oder das Sozialstaatsprinzipals ein Kernelement europäischer Verfassungstraditionfindet man im Verfassungsentwurf jedoch weder unter den„Werten der Union“ Menschenwürde, Freiheit, Demokra-tie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Men-schenrechte (Artikel I-2) noch an anderer Stelle. In denVerfassungen der bisherigen EU-Mitgliedsländer (außerBelgien) ist der „Sozialstaat“ aber verankert und imUnterschied zum Leitbild der „sozialen Marktwirtschaft“politisch und juristisch, ungeachtet aller Auslegungsfähig-keit, inhaltlich so definiert, dass er für den sozialenAbwehrkampf trotz aller Schwierigkeiten nutzbar ist.Ähnlich ist es mit der Sozialbindung des Eigentums, dieman im Verfassungsentwurf der EU vergeblich sucht.

Für die damalige Justizministerin der BundesrepublikHerta Däubler-Gmelin war es offensichtlich noch selbst-verständlich, dass mit einer EU-Verfassung „die „Grund-prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Sozi-alstaatlichkeit verbindlich in der ganzen EU gelten“ soll-ten. (www.fes.de/rechts-politischer-kongress/)

Selbstverständlich müssen im Kapitalismus sozialstaatli-che Verfassungsprinzipien, die auf soziale Gerechtigkeitund menschenwürdiges Dasein aller gerichtet sind, gegendas Grundprinzip dieser Marktwirtschaft kämpferischgenutzt werden, sonst braucht man für sie nicht zu strei-

ten. Aus dem Sozialstaatsprinzip als einer nicht aufhebba-ren Fundamentalnorm des Grundgesetzes kann in Verbin-dung mit dem Postulat der Menschenwürde, dem Gleich-heitssatz und aus der Eigentumsgarantie sowie aus demGrundsatz des Vertrauensschutzes und aus sozialstaatli-chen Schutzpflichten ein gewisser verfassungsrechtlicherBestandsschutz eingefordert werden. Und sicher werdensich jetzt Rentner und Arbeitslose auf dieser Grundlagewehren und dies in notwendigen Massenkampf einbrin-gen.

Unter diesen Gesichtspunkten ist die Orientierung auf„soziale Marktwirtschaft“ und die fehlende Fixierung desSozialstaatsprinzips im Verfassungsentwurf der EU einRückschritt im Verhältnis zu den Verfassungen der Mit-gliedstaaten und zu den Anforderungen an den gegenwär-tigen sozialen Verteidigungskampf. Eine Unionsverfas-sung würde immer, wenn Unionsrecht durch ihre Organeoder die Mitgliedstaaten angewendet oder umgesetzt wird(das macht über 60 Prozent der Staatstätigkeit auf den ver-schiedenen Ebenen aus) jeglichem nationalen Verfas-sungsrecht der Mitgliedsländer übergeordnet sein und imÜbrigen zu dessen Auslegung und Neuschöpfung heran-gezogen werden.

Bei der Diskussion um den sozialen Gehalt des Verfas-sungsentwurfs kann auch nicht unberücksichtigt bleiben,dass er die Mitgliedstaaten und die Union zu noch mehrAufrüstung und Militarisierung verpflichtet und kriegeri-sche Konfliktlösungen zumindest legitimiert. Damit istprogrammiert, dass nicht nur klassische bürgerliche Indi-vidualrechte, sondern auch soziale Errungenschaften undArbeiterrechte, Chancen und Auslegungsspielräume fürSozialpolitik weiter eingeschränkt und unterlaufen wer-den.

Und schließlich bietet der Entwurf bei all dem Wortgeras-sel über ein „demokratischeres Europa“ der übergroßenMehrheit der europäischen Bevölkerung, den Erwerbsab-hängigen in den Unternehmen, den Arbeitslosen und dennicht mehr Verwertbaren, die immer mehr werden, kaumneue Möglichkeiten, ihre sozialen Interessen zu artikulie-ren, zu bündeln und politikwirksam zu machen. Am Poli-tikgeschäft auf nationaler und europäischer Ebene sollenvielmehr von Markt und/oder Staat eingebundene „zivil-gesellschaftlich Organisierte“ beteiligt werden. Für diesepolitische Ergänzung des neoliberalen Gesellschaftsver-trages gibt diese Verfassung vor allem Raum. Jenen füreinen Bruch mit dem kapitalistischen Marktradikalismusmüssen sich die Interessierten selber erstreiten.

6 Werner Gärtner: Die Neugestaltungen der Wirtschaftsverfassungen in Ostmitteleuropa, Berlin 1996

Edeltraut Felfe 25

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Weitere Hefte aus den Publikationen des Marxistischen Forums

Heft 21/22 Der historische Platz der DDRBeiträge aus zwei Debatten im MarxistischenForumGNN Schkeuditz 1999,ISBN 3-932725-44-1, Preis: 3,50 Euro, 40 S.

Heft 23 Ingo WagnerFür einen neuen Sozialismus als historischgesell-schaftliche Alternative zum KapitalismusGNN Schkeuditz 1999,ISBN 3-89819-018-8, Preis: 2,00 Euro, 32 S.

Heft 24 Gerd FriedrichAuf dem Weg zum "globalen Kapitalismus"GNN Schkeuditz 2000,ISBN 3-89819-025-5, Preis: 2,00 Euro, 28 S.

Heft 25 Gerdhard BranstnerMarxismus der BeletageGNN Schkeuditz 2000,ISBN 3-89819-029-3, Preis: 2,00 Euro, 28 S.

Heft 26/27 Beiträge zur Diskussion über Programmdebatten inder deutschen Linken in Vergangenheit undGegenwart auf einer Tagung des MarxistischenForums der PDS am 27. November 1999 in BerlinGNN Schkeuditz 2000,ISBN 3-89819-033-1, Preis: 3,50 Euro, 56 S.

Heft 28/29 Beiträge zur Konferenz des Marxistischen ForumsSachsen am 4. März 2000 in LeipzigGNN Schkeuditz 2000,ISBN 3-89819-035-8, Preis: 3,50 Euro, 56 S.

Heft 30/31 Ingo WagnerAuf der Suche nach sozialer GerechtigkeitPlädoyer für eine soziale Gerechtigkeitskonzeptionder Partei des Demokratischen Sozialismus ausmarxistischer Sicht.GNN Schkeuditz 2000,ISBN 3-89819-048-X, Preis: 3,50 Euro, 40 S.

Heft 32/33 Zur Programmdebatte der PDS Positionen -Probleme - PolemikKonferenz des Marxistischen Forums am16. September 2000 in Berlin.GNN Schkeuditz 2000,ISBN 3-89819-060-9, Preis: 3,50 Euro, 80 S.

Heft 34/35 Ehrenfried Pößneck, Ingo WagnerEduard Bernstein, Rosa Luxemburg und derSozialismus der ModerneGNN Schkeuditz 2001,ISBN 3-89819-066-8, Preis: 3,50 Euro, 36 S.

Heft 36/37 Reformalternative als GesellschaftsalternativeBeiträge zur Theoretischen Konferenz desMarxistischen Forums Sachsen am 9. Juni 2001 inLeipzigGNN Schkeuditz 2001,ISBN 3-89819-095-1, Preis: 3,50 Euro, 52 S.

Heft 38 Gerdhard BranstnerDie neue Weltofferte Was Marx nicht wußte - EineBlütenleseGNN Schkeuditz 2002,ISBN 3-89819-114-1, Preis: 2,00 Euro, 28 S.

Heft 39 Die Welt nach dem 11. September und dem 7.Oktober 2001GNN Schkeuditz 2002,ISBN 3-89819-118-4, Preis: 2,00 Euro, 16 S.

Heft 40/41 Krieg, neue Weltordnung und sozialistischeProgrammatik - 100 Jahre John A. Hobson: DerImperialismusGNN Schkeuditz 2002,ISBN 3-89819-133-8, Preis: 3,50 Euro, 48 S.

Heft 42 Ingo WagnerIn welcher Epoche leben wir eigentlich? - Versucheiner AnnäherungGNN Schkeuditz 2002,ISBN 3-89819-134-6, Preis: 2,00 Euro, 28 S.

Heft 43 Die Linke nach der BundestagswahlKonferenz des Marxistischen Forums Sachsen, derKPF Sachsen und der Plattform International am 5.Oktober 2002 in LeipzigGNN Schkeuditz 2002ISBN 3-89819-138-9, Preis: 2,00 Euro, 27 S.

Heft 44/45 Finale? Zur Programmdebatte der PDSGNN Schkeuditz 2003ISBN 3-89819-151-6, Preis: 2,00 Euro, 30 S.

Heft 46 Was erwarten wir vom 21. Jahrhundert?Wissenschaft - Hoffnung - TraumColloqium aus Anlass 75. Geburtstag U.-J. HeuerGNN Schkeuditz 2003ISBN 3-89819-175-3

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ImpressumISBN:Herausgeber: Marxistisches Forum der PDSVerlag: GNN Verlag Sachsen/Berlin m.b.H., SchkeuditzRedaktionsschluß: 31. Januar 2004

Zieldes Marxistischen Forums ist es, einen Beitrag zur theoretischen Profilierung der Politik der PDS zu leisten. Dazusoll die Schriftenreihe einen Beitrag leisten. Die veröffentlichten Beiträge stellen die Auffassung der Autoren dar.