KINDHEIT IN DER DDR - ...der „Frösi“ („Fröhlich sein und Singen“) und im „Atze“ waren...

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18 Ganz oben: Kinder kommen in der DDR fast ausschließlich im Krankenhaus zur Welt, Hausgeburten sind nicht vorgesehen und die Hebammen arbeiten im Krankenhaus im Schichtbetrieb. Rechte Seite: Herr Fuchs, die rote Nelke für den 1. Mai, Schnatterinchen, das Leipziger Messemännchen, Frau Elster, Pittiplatsch und Bummi gehören fest zur Kindheit in der DDR. 19 „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“: Aus dem Kopf bekommen werde ich dieses Lied nimmermehr. Auf ewig wird es für mich der DDR-Soundtrack sein. Auch als Kind schwirrte es immer um mich herum, auch wenn mir das damals schon zu getragen vorkam; vielleicht, weil ich dieses stimmliche Hoch-Tief- Hoch selbst nicht hinbekam. Geier Sturzflugs „Bruttosozialprodukt“ intonierte ich dafür viel öfter im Kindergarten. Dessen ironischen Kern bekam ich natürlich nicht mit und Ärger über das Westexport- Liedgut gab es auch nicht von den Erzieherinnen. Das wird anderen anderswo anders ergangen sein. Meine Erfurter Kindheit durchlief im Vollprogramm der DDR-Päda- gogik der 1980er. Da die DDR-Frauen im Gegensatz zur domi- nierenden Hausfrauen- und Mutterrolle der BRD fast alle berufstätig waren, gab es ein umfassendes Netz der Kinderbetreuung. Klein- kinder kamen in den 1970er und 1980er Jahren nach 20 Wochen in die Kinderkrippe – wie ich. Ab drei Jahren folgte dann der Kinder- garten. Meine Erinnerungen an diese Jahre schillern bunt und fröhlich. Als Einzelkind war ich über Spielgefährten dankbar, wir bastelten und musizierten, lernten die Zahlen und Schnürsenkel- binden, tobten im Freien durch die vier Jahreszeiten und machten Kinderquatsch. Vom Staatsziel, mit der Rundumbetreuung kleine sozialistische Persönlichkeiten auszubilden, merkte ich nichts. Vielleicht war das der Plan. Ob der aufging? Auf die – wie ich später fand – geschmacklose Idee, das Challenger-Unglück mit Plaste- Steckbausteinen nachzuspielen, kam ich jedenfalls von selbst. Und ein „Loch im Kopf“ hätte ich mir als Ungestüm auch an einer Heizung im Westen geholt. Vollbetreuung herrschte auch in der Schule mit angeschlossenem Hort, wo ich Hausaufgaben machte und danach spielen, basteln, mich selbst beschäftigen konnte. Das lief insgesamt leger und auch die Ferien verbrachte ich oft im Hort – wenn wir nicht gerade ver- reisten – mit Ausflügen und dergleichen. Allerdings schien es für mich damals auch selbstverständlich, dass man sich mit einer Gute- Vorsatz-Liste (fleißig sein, gute Noten, nett zu den Eltern ...) zum Republikgeburtstag selbst verpflichten sollte. An der „Solidarität mit den Kindern in Nicaragua“ fand ich ebenso wenig Schlimmes wie am „Weltfrieden“. In die Schule wollte ich ursprünglich gar nicht, Stillsitzen und Frontalunterricht waren nicht meine Sache. Als ich dann lesen konnte, eröffnete sich mir eine neue Welt. Von den DDR-Presse- erzeugnissen für Kinder las ich am liebsten die Bildgeschichten; die Worte Cartoon und Comics kannte ich zunächst nicht. Begeistert war ich von den in der Weltgeschichte herumturnenden Abrafaxen im „Mosaik“ (Mein Papa kannte die Frau am Kiosk gut, so dass ich diese Bückware jeden Monat lesen konnte.). Die Witzqualität in der „Frösi“ („Fröhlich sein und Singen“) und im „Atze“ waren da schon gemischter und hier waren auch heroische Texte zu lesen, etwa vom antifaschistischen Partisanenkampf im Zweiten Weltkrieg. Solche Themen kamen hin und wieder auch neben Blätterbe- stimmen im Heimatkundeunterricht vor. Das war für mich weit weg und ich verstand sie als klassische Heldenerzählungen, so wie ich die griechischen Mythen verschlang. Meine Mama hortete die oft schwer zu bekommenden Kinderbücher seit meiner Geburt, so dass ich immer vielfältigen Lesestoff hatte. Wenn die Oma mal auf Westbesuch war, brachte sie „Das lustige Taschenbuch“ und „Fix und Foxi“ mit. Mit dem blauen Halstuch konnte ich wohl genauso viel anfangen wie meine Mitschüler. Man trug es manchmal zum weißen Hemd, meistens aber gestaltete sich die Mitgliedschaft bei den Jungpionieren als gemeinsame Nachmittage ohne Uniform, in denen wir uns mit allem Möglichen beschäftigten. Tüfteln mit dem Stabilbaukasten für die „Messe der Meister von morgen“ und Matheolympiaden kann man als Leistungsstriezen interpretieren, mich trieben vielmehr Spaß und denksportlicher Ehrgeiz an. Kastanien für die Wildtiere sammelte ich genauso wie Altpapier und -glas beim Wettstreit mit anderen Klassen. Dass ich damit auch einen Beitrag für die DDR- Wirtschaft leistete, war mir nicht bewusst. Ausgereicht zu ihrer Rettung hat er offensichtlich nicht. KINDHEIT IN DER DDR Der Kindergarten, die Grundschule und die Jungen Pioniere von Tobias Prüwer „Unsere Heimat“ „Unsere Heimat“ ist das Lieblingslied von Wilhelm Pieck, der 1949 – 1960 erster und einziger Präsident der DDR ist. Es ist das Lied der Pioniere, wird aber auch außerhalb der Organisation gesungen. Bückware Umgangssprachlich für Mangelwaren aller Art, die vom Verkaufspersonal oder der Verkaufsstellenleitung nach Sympathieverteilung, Verwandtschaftsgrad oder Trinkgeld- aufkommen – kurz: nach „Gesichtskontrolle“ – der Konsu- menten unter der Ladentheke oder aus dem Privatlager geholt wird, wofür man sich eben bücken muss. Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ Als sozialistische Massenvereinigung wird 1948 die Pionier- organisation für Kinder der Klassenstufen 1 – 7 gegründet. Benannt ist sie nach dem führenden Kommunisten Thälmann (siehe Seite 23 „Frühe Jugend in der späten DDR“). Die Leitung hat die Freie Deutsche Jugend inne. Sie ist in den Schulen integriert und soll die sozialistischen Ideale vermitteln. Das geschieht spielerisch, beim gemeinsamen Singen, Fahnenappellen etc. Damit soll das Individuum ins Kollektiv eingebunden werden. Jungpioniere bis 3. Klasse tragen blaue Halstücher zum weißen Hemd, Thälmannpioniere ein rotes Tuch. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, wird aber als selbstver- ständlich erachtet. 1989 sind 98 Prozent aller Schüler Pioniere.

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Ganz oben: Kinder kommen in der DDR fast ausschließlich im Krankenhaus zur Welt, Hausgeburten sind nicht vorgesehen und die Hebammen arbeiten im Krankenhaus im Schichtbetrieb.Rechte Seite: Herr Fuchs, die rote Nelke für den 1. Mai, Schnatterinchen, das Leipziger Messemännchen, Frau Elster, Pittiplatsch und Bummi gehören fest zur Kindheit in der DDR.

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„Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“: Ausdem Kopf bekommen werde ich dieses Lied nimmermehr. Auf ewigwird es für mich der DDR-Soundtrack sein. Auch als Kind schwirrtees immer um mich herum, auch wenn mir das damals schon zugetragen vorkam; vielleicht, weil ich dieses stimmliche Hoch-Tief-Hoch selbst nicht hinbekam. Geier Sturzflugs „Bruttosozialprodukt“intonierte ich dafür viel öfter im Kindergarten. Dessen ironischenKern bekam ich natürlich nicht mit und Ärger über das Westexport-Liedgut gab es auch nicht von den Erzieherinnen. Das wird anderenanderswo anders ergangen sein.

Meine Erfurter Kindheit durchlief im Vollprogramm der DDR-Päda-gogik der 1980er. Da die DDR-Frauen im Gegensatz zur domi-nierenden Hausfrauen- und Mutterrolle der BRD fast alle berufstätigwaren, gab es ein umfassendes Netz der Kinderbetreuung. Klein-kinder kamen in den 1970er und 1980er Jahren nach 20 Wochenin die Kinderkrippe – wie ich. Ab drei Jahren folgte dann der Kinder-garten. Meine Erinnerungen an diese Jahre schillern bunt undfröhlich. Als Einzelkind war ich über Spielgefährten dankbar,wir bastelten und musizierten, lernten die Zahlen und Schnürsenkel-binden, tobten im Freien durch die vier Jahreszeiten und machtenKinderquatsch. Vom Staatsziel, mit der Rundumbetreuung kleinesozialistische Persönlichkeiten auszubilden, merkte ich nichts.Vielleicht war das der Plan. Ob der aufging? Auf die – wie ich späterfand – geschmacklose Idee, das Challenger-Unglück mit Plaste-Steckbausteinen nachzuspielen, kam ich jedenfalls von selbst.Und ein „Loch im Kopf“ hätte ich mir als Ungestüm auch aneiner Heizung im Westen geholt.

Vollbetreuung herrschte auch in der Schule mit angeschlossenemHort, wo ich Hausaufgaben machte und danach spielen, basteln,mich selbst beschäftigen konnte. Das lief insgesamt leger und auchdie Ferien verbrachte ich oft im Hort – wenn wir nicht gerade ver-reisten – mit Ausflügen und dergleichen. Allerdings schien es fürmich damals auch selbstverständlich, dass man sich mit einer Gute-Vorsatz-Liste (fleißig sein, gute Noten, nett zu den Eltern ...) zumRepublikgeburtstag selbst verpflichten sollte. An der „Solidaritätmit den Kindern in Nicaragua“ fand ich ebenso wenig Schlimmeswie am „Weltfrieden“.

In die Schule wollte ich ursprünglich gar nicht, Stillsitzen undFrontalunterricht waren nicht meine Sache. Als ich dann lesenkonnte, eröffnete sich mir eine neue Welt. Von den DDR-Presse-erzeugnissen für Kinder las ich am liebsten die Bildgeschichten;die Worte Cartoon und Comics kannte ich zunächst nicht. Begeistertwar ich von den in der Weltgeschichte herumturnenden Abrafaxenim „Mosaik“ (Mein Papa kannte die Frau am Kiosk gut, so dass ichdiese Bückware jeden Monat lesen konnte.). Die Witzqualität inder „Frösi“ („Fröhlich sein und Singen“) und im „Atze“ waren daschon gemischter und hier waren auch heroische Texte zu lesen,etwa vom antifaschistischen Partisanenkampf im Zweiten Weltkrieg.

Solche Themen kamen hin und wieder auch neben Blätterbe-stimmen im Heimatkundeunterricht vor. Das war für mich weitweg und ich verstand sie als klassische Heldenerzählungen, so wieich die griechischen Mythen verschlang. Meine Mama hortetedie oft schwer zu bekommenden Kinderbücher seit meiner Geburt,so dass ich immer vielfältigen Lesestoff hatte. Wenn die Oma malauf Westbesuch war, brachte sie „Das lustige Taschenbuch“ und„Fix und Foxi“ mit.

Mit dem blauen Halstuch konnte ich wohl genauso viel anfangenwie meine Mitschüler. Man trug es manchmal zum weißen Hemd,meistens aber gestaltete sich die Mitgliedschaft bei den Jungpionierenals gemeinsame Nachmittage ohne Uniform, in denen wir uns mitallem Möglichen beschäftigten. Tüfteln mit dem Stabilbaukastenfür die „Messe der Meister von morgen“ und Matheolympiadenkann man als Leistungsstriezen interpretieren, mich trieben vielmehrSpaß und denksportlicher Ehrgeiz an. Kastanien für die Wildtieresammelte ich genauso wie Altpapier und -glas beim Wettstreit mitanderen Klassen. Dass ich damit auch einen Beitrag für die DDR-Wirtschaft leistete, war mir nicht bewusst. Ausgereicht zu ihrerRettung hat er offensichtlich nicht.

KINDHEIT IN DER DDRDer Kindergarten, die Grundschule und die Jungen Pioniere

von Tobias Prüwer

„Unsere Heimat“„Unsere Heimat“ ist das Lieblingslied von Wilhelm Pieck,der 1949 – 1960 erster und einziger Präsident der DDR ist.Es ist das Lied der Pioniere, wird aber auch außerhalbder Organisation gesungen.

BückwareUmgangssprachlich für Mangelwaren aller Art, die vomVerkaufspersonal oder der Verkaufsstellenleitung nachSympathieverteilung, Verwandtschaftsgrad oder Trinkgeld-aufkommen – kurz: nach „Gesichtskontrolle“ – der Konsu-menten unter der Ladentheke oder aus dem Privatlager geholtwird, wofür man sich eben bücken muss.

Pionierorganisation „Ernst Thälmann“Als sozialistische Massenvereinigung wird 1948 die Pionier-organisation für Kinder der Klassenstufen 1 – 7 gegründet.Benannt ist sie nach dem führenden Kommunisten Thälmann(➛ siehe Seite 23 „Frühe Jugend in der spätenDDR“). Die Leitung hat die Freie Deutsche Jugend inne. Sieist in den Schulen integriert und soll die sozialistischen Idealevermitteln. Das geschieht spielerisch, beim gemeinsamen Singen,Fahnenappellen etc. Damit soll das Individuum ins Kollektiveingebunden werden. Jungpioniere bis 3. Klasse tragen blaueHalstücher zum weißen Hemd, Thälmannpioniere ein rotesTuch. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, wird aber als selbstver-ständlich erachtet. 1989 sind 98 Prozent aller Schüler Pioniere.