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Eurozentrismus in der Entwicklungszusammenarbeit Dr. Franziska Müller Universität Kassel [email protected] [email protected]

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Eurozentrismus in der Entwicklungszusammenarbeit

Dr. Franziska Müller

Universität Kassel

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Gegenstand und Phänomen• Definition: Eurozentrismus äußert sich, wenn „bewußt oder unbewußt

unsere Haltung gegenüber Angehörigen einer anderen Kultur in hohem Maße durch die in unserer eigenen Kultur erlernten Wahrnehmungs-, Wertungs- und Verhaltensmuster gesteuert wird.“ (Henning Melber)

Spezifische Form des Ethnozentrismus = Denkweise, bei der ‚das Andere‘

wahrgenommen und bewertet wird durch die Brille des ‚Eigenen‘

Eigener Normenkanon

Aufklärerische, liberaleindividualistische Normen,Heute: inkl. Nachhaltigkeit,

Chancengleichheit, Geschlechtergleichstellung

• 1:1-Transfer („copy and paste“)• Universalisierung statt emanzi-

patorischer Aneignung + Kon-textualisierung

• Instrumentalisierung? • Legitimationsstrategie?

Raum für Hybridität? Lernprozesse? Widersprüche?

Grundstruktur: „entwickelter globaler Norden“ vs. „unterentwickelter globaler Süden“ linearer + universaler Entwicklungsprozess

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Expertenhierarchie

privilegiertes WissenProblemformulierungUniversale Lösungen

Geberhierarchie

Geber-Empfänger-Beziehung; institutionelle

Machtstrukturen

Normenhierarchie

Überlegenheit der eigenen normativen

Ordnung; Normtransfer angestrebt

Eigene Rolle/individuelle Ebene

Institutionelle/konzep-tionelle Ebene

Ebene der Repräsentation

Wirkungen von Eurozentrismen

Eigene Rolle

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ExpertenrolleExpertIn? Gast? Urenkel Albert Schweitzers?

Welche Rollen sind gewünscht?

Wie umgehen mit externen Zuschreibungen?

Raum für wechselseitige Lernprozesse?

Freiwilligenprogramme• Teilnehmer_innenspektrum: „wer geht weltwärts?“ (Kontzi 2015)

BMZ (2011): deutsche Abiturientin ohne Behinderung als Prototyp (aber: ICJA–Programm an Berufsschulen!); 12% Personen mit Migrationshintergrund bei ‚weltwärts‘; bei ‚kulturweit‘ noch deutlich weniger Empowerment der bereits Empowerten?

• Zielsetzungen: wer lernt was von wem? weltwärts als „Lerndienst, der interkulturellen Austausch in Entwicklungsländern ermöglicht“ Ambivalenz aus persönlicher Bewusstseinsbildung und dem ‚Eindruck‘ im Land tatsächlich zu ‚helfen‘; Expert_innenrolle durch Status/ Zuschreibung, aber ohne eigentliche Ausbildung. Botschafter_innenrolle, man steht für „Weltoffenheit und Verständigung, für neue Perspektiven und globales Lernen“ (Niebel 2010)

• Organisation und Prozess: welche Rolle haben Partnerorganisationen in Gremien oder in Vorbereitungsseminaren? Inwieweit sind sie institutionell/strukturell eingebunden? Warum und wofür fungieren sie als „authentische ExpertInnen“?)

• Dissemination und Dokumentation: wer spricht? Wie werden Partner_innendargestellt?

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Individuelle Rollen

• Wie beschreiben Freiwillige ihr Tun? Wie schreiben sie über das Gastland?• Kontzi (2015):

– Die ‚Anderen‘ aktivieren (Eigeninitiative, am Ball bleiben müssen, Partnerin „wird immer fauler“ …. aber dann werden die TN in ihrer Einstellung selbst ‚afrikanischer‘ !)

– Modernität bringen (Sprechen von ‚Tradition vs. Moderne‘, Vergleich mit dem europäischen ‚Original‘, Nicht-Moderne als ‚natürlicher‘ Zustand beschrieben)

– Förderung von Umwelt- und Ressourcenschutz: (Personen im Zielland sind ja noch nicht aufgeklärt hinsichtlich Mülltrennung, müssen Nachhaltigkeit erst erklärt bekommen – von Personen mit hohem CO2-Abdruck? Geschichtslosigkeit von Umweltproblemen)

– Sich einsetzen für Frauenrechte: (white volunteers saving brown women? Um welche/wessen Feminismusvariante geht es hier – bspw. angesichts der langen Tradition eines schwarzen Feminismus ?!)

– Bildung und Ordnung bringen: (Deutsches Schulsystem als Vergleichsgrundlage, Schulsysteme in den Zielländern defizitär Geschichtslosigkeit von Bildungssystemen)

transitives Konzept von Entwicklung; Entwicklung der ‚Anderen‘ fördernWas wird gelernt? Selbstbildung, ‚sich entwickeln‘, Gegensätze erfahren (als Dichotomien? Als Kontinuum?), interkulturelles Lernen (Kulturbegriff??) aber auch : Weißsein erfahren und kritisch reflektieren Subjektivation: Weltbürger_in aus Deutschland; Rückkehrer_in sein welche Potentiale haben diese Rollen? Was ermöglichen bzw. verhindern sie?

„ich will meinen footprint im Land hinterlassen“

„Die Straßenszenen hier sind echt krass: total dreckig, überall liegt Müll rum, mittendrin wird

gekocht, dazwischen Frauen in glitzernden Saris“

Institutionelle/konzeptionelle Ebene

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Institutionelle Verankerung im

Zielland

• Beziehung „Entsendeorganisation“ vs. lokales Personal?

• Verhältnis zwischen „traditionellen“ und „neuen“ Gebern

Konzeptionelle Ebene

• Geberrollen und Zuschreibungen: ‚Traditionelle‘ vs. ‚Neue

Geber‘; ‚Juniorpartner‘ in der Dreieckskooperation Diversifizierung in Form eines Geberkontinuums

• DAC-Gebernormenkonsens der Pariser Erklärung (2005) nun aber Suche nach „globaler

Partnerschaft für Entwicklung“

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Ebene der Repräsentation

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Sprechen, Bloggen, Fotografieren des AuslandeinsatzesRepräsentation in Sozialen Medien: Twitter, Facebook, YouTube

Spendenwerbung, Charity: Medienstrategie, Story-Formate

Wer spricht, wer schweigt? Darstellung von Kindern?

Wer handelt – wer ist ohnmächtig?Werden Stereotype reproduziert… oder durchbrochen?

Gibt es Empowerment, Multiplikatorenrollen?

Problematiken• Effekte: Ausblendungen; defizitärer Blick; Exotisierungen/

Rassialisierungen; „Othering“ + Dichotomiebildung

• Eigene Rolle: Verständigungsschwierigkeiten, „Kulturschock“, Lernprozesse bleiben aus, Demotiviertheit, Erfahrungen bleiben tendenziell einseitig => Reverse-Komponente

• Institutionelle/konzeptionelle Ebene: Situation der Partnerorgani-sationen suboptimal Institutionelle Rolle? Personalpolitik?

• Ebene der Repräsentation: Sprechen/Schreiben/Marketing bedient + verfestigt Vorurteile (White Charity; Rusty Radiator Awards)

• Beispiel Ebola: Barry Hewlett

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„Wie nennen die Leute Ebola eigentlich in ihrer

eigenen Sprache ?!‟

Eurozentrismen überwinden

Konzeptionelle Ebene: Heterodoxe Entwicklungstheorien:

a) Post-Development/postkoloniale Studien, Überwindung der Grundstruktur „Problem hier vs. Problemlösungskompetenz dort“; Kritik des Entwicklungs-begriffs

b) Intersektionalität als entwicklungstheoretischer Ansatz: Einbezug multipler und verwobenener Diskriminierungsverhältnisse

Entwicklung pluraler Normen; emanzipatorisches Potential mitdenken; tatsächlich wechselseitige Lernprozesse ermöglichen

Tatsächlich EZ als globale Strukturpolitik betrachten

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Eurozentrismen überwinden

Individuelle Ebene: Stationen entlang eines Freiwilligenprogramms: Konzeption: wer ist der_die idealtypische Teilnehmer_in? Wer repräsentiert wen + warum?

Rolle und Erfahrungen von People of Color/Personen mit Migrationserfahrung?!

Vorbereitungsseminare: welche Trainingsangebote? Wann + mit welcher Intensität? Welche Reflexionen + Lernprozesse sind angestrebt/erwünscht? Eigene Motivation reflektieren: Welche Rolle spielen Altruismus oder Heroismus? Welche Rolle spielt das Motiv der Solidarität?

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Interkulturalität?! BetzavtaAnti-Bias Critical Whiteness

Eurozentrismen überwindenEbene der Repräsentation:

Diskussion

• Wo kommt Eurozentrismuskritik an – wo bleibt sie außen vor? Welche Ambivalenzen erleb(t)en Sie in Ihrer Arbeit, bei Auslandsaufenthalten etc.…?

• Welche Auseinandersetzungen mit Eurozentrismus spielen sich in Ihren Organisationen ab? Was sind Erfolge/neuralgische Punkte/Heraus-forderungen/inspirierende Ideen? Welche Ziele erweisen sich als besonders schwierig, was bleibt womöglich auf der Strecke?

• Welche Erfahrungen mit Reverse-Komponenten bestehen in dieser Runde?

• Wie verläuft die Vorbereitung? Mit welchen Seminarinhalten/-konzepten wird Eurozentrismus entgegengewirkt wie fallen die Erfahrungen aus?

• Welche Anregungen sind wichtig für die Rückkehrer_innenarbeit?

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Literatur• Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (2010): Checklisten zur Vermeidung

von Rassismus in der entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeithttp://ber-ev.de/download/BER/09-infopool/checklisten-rassismen_ber.pdf

• Glokal e.v. (2012): Mit kolonialen Grüßen… Reiseberichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet. http://www.glokal.org

• Kontzi, Kristina (2015): Postkoloniale Perspektiven auf „weltwärts“. Ein Freiwilligendiens in weltbürgerlicher Absicht. Nomos, Baden-Baden.

• Melber, Henning (1992): Der Weißheit letzter Schluß. Rassismus und kolonialer Blick, Frankfurt/M.

• Müller, Franziska/Ziai, Aram (2015): Eurozentrismus in der Entwicklungszusam-menarbeit: Phänomen, Transformation und Alternativen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 7–9/2015.

• Sachs, Wolfgang Sachs (1993), Wie im Westen, so auf Erden. Ein polemisches Handbuch zur Entwicklungspolitik, Reinbek.

• http://www.weltwaertsincolor.de/

• Elina Marmer // Georg-Eckert Institut für Schulbuchforschung

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