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  • Julius Evola

    Revoltegegen die moderne Welt

  • Einfhrung

    ber den Untergang des Abendlandes, die Krise der heutigen Kultur,ber ihre Gefahren, ihre Zerstrungen und Entfremdungen zu sprechen, istseit einiger Zeit beinahe zur Mode geworden. Ebenso gerne macht manProphezeiungen ber die Zukunft Europas und der Welt und erlt auchAufrufe zur Verteidigung der einen oder anderen Sache.

    In der Regel ist in alldem wenig mehr als intellektueller Dilettantismus zufinden. Nur zu leicht liee sich zeigen, wie oft dabei wahre Prinzipien fehlen;wie vieles von dem, was man auf der einen Seite ablehnt, gerade in dementhalten ist, was die Mehrheit derer, die auf Gegenaktion dringen, auf deranderen Seite wieder vertritt; wie wenig gewut wird, was man will, und wiesehr man dagegen irrationalen Impulsen erliegt - ganz besonders, wenn manzur Praxis bergeht und mit undisziplinierten, gewaltttigen Demonstra-tionen beginnt, die Ausdruck eines Protestes sind, der vielfach allumfas-send sein will, whrenddessen er nur auf Folge- und Enderscheinungen derallerletzten Zeit und Kulturstufe eingeht.

    Wenn es auch unberlegt wre, in derartigen Vorgngen etwas Positiveszu erblicken, so haben sie doch unbestreitbar den Wert eines Symptoms. Siezeigen, da der Boden unter unseren Fen, der bis jetzt als fest galt, zuwanken beginnt und die idyllischen Zukunftsvorstellungen eines Fort-schrittglaubens nicht mehr aufrechtzuerhalten sind. Aber ein unbewuterAbwehrinstinkt hlt von der berschreitung einer bestimmten Grenze zu-rck, gleich der Macht, die die Schlafwandler daran hindert, den Abgrund,den sie entlanggehen, wahrzunehmen. Noch ist es nicht mglich, ber eingewisses Ma hinaus zu zweifeln, und gewisse intellektualistische oderirrationale Reaktionen scheinen dem modernen Menschen quasi gestattet zusein, um ihn abzulenken, um ihn auf seinem Wege zu jener allumfassendenund furchtbaren Vision aufzuhalten, die ihm die heutige Welt nur als einenleblosen Krper zeigt, der einen Abhang hinabstrzt, wo ihn bald nichtsmehr aufzuhalten vermag.

    Es gibt Krankheiten, die lange im Verborgenen wirken und erst dannoffenbar werden, wenn ihr unterirdisches Werk beinahe vollbracht ist.Genauso verhlt es sich mit dem Niedergang des Menschen lngs der Wege,die er als Kultur par excellence rhmte. Wenn die moderne Welt1 erst heuteein dunkles Schicksal fr das Abendland zu erahnen beginnt, so haben dochschon seit Jahrhunderten Ursachen gewirkt, die die geistigen und materiellenBedingungen eines Niederganges so weit festgelegt haben, da den meistennicht nur die Mglichkeit einer Revolte und einer Rckkehr zum Normalzu-

    ' Wir sagen: Die moderne Welt, weil, wie wir sehen werden, der Gedanke eines Abstieges,eines fortschreitenden Sich-Entfernens von einem hheren Leben und das Gefhl des Herein-bruches noch hrterer Zeiten fr die zuknftige Menschheit, dem traditionalen Altertum sehrwohlbekannte Themen waren.

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  • stand genommen ist, sondern auch und vor allem von ihnen gar nicht mehrverstanden werden kann, was Normalzustand und Gesundheit eigentlichbedeuten. Wie aufrichtig also auch die Absicht einiger sein mag, die heuteAlarm rufen und sich erheben, so wenig ist es mglich, sich Illusionen berihre Ergebnisse zu machen. Es ist nicht einfach, sich darber klar zu werden,bis zu welcher Tiefe man graben mu, bevor man auf die erste und einzigeUrsache stt, die naturgegeben und notwendigerweise diese Folgen habenmute, und zwar nicht nur da, wo ihr negativer Aspekt jedermann klar ist,sondern auch bei den so vielen anderen Auswirkungen, die auch die khn-sten Geister nicht aufhren, als ihre eigene Grundlage hochzuhalten, unddenen sie selbst Zugang zu ihrer Art zu denken, zu fhlen, zu lieben geben.Man reagiert, man protestiert. Wie knnte man auch davon absehenangesichts bestimmter verzweifelter Aspekte der heutigen Gesellschaft, Mo-ral, Politik und Kultur? Aber es handelt sich eben nur um Reaktionen,nicht um Aktionen, nicht um positive, vom Inneren ausgehende Krfte, dieden Besitz einer Grundlage, eines Prinzips, eines Zentrums anzeigen wr-den. Man hat im Abendlande schon zu lange mit Kompromissen undReaktionen gespielt. Die Erfahrung hat gelehrt, da damit nichts erreichtwerden kann, was wirklich wichtig wre. Es geht nicht darum, da man sichim Totenbett auf die eine oder andere Seite wlzt, sondern darum, da manerwacht und sich erhebt.

    Die Dinge sind heute an einem Punkte angelangt, da man sich fragt, werdenn noch fhig sei, die moderne Welt nicht nur in einem ihrer Teilaspektewie Technokratie, Konsumwelt etc. zu erfassen, sondern als Ganzes,auch die den letzten Sinn umfassende Gesamtheit. Nur das knnte einwahrer Anfang sein.

    Aber dazu mu man aus dem Zauberkreis ausbrechen, das Andereerfassen knnen, sich neue Augen und neue Ohren fr Dinge schaffen, diedurch die Entfernung unsichtbar und unhrbar geworden sind. Nur wennman auf die Bedeutungen und die Anschauungen zurckgeht, die herrsch-ten, bevor sich die Ursachen der heutigen Kultur bildeten, wird man einenabsoluten Bezugspunkt finden, den Schlssel fr das tatschliche Verstnd-nis aller modernen Verirrungen, und gleichzeitig wird man den festen Dammhaben, die unbrechbare Widerstandslinie derer, denen es trotz allem gege-ben sein wird, aufrecht zu bleiben. Heute zhlt einzig und allein das Werkdessen, der sich auf den Gipfellinien zu halten vermag: Fest in den Prinzi-pien, unzugnglich fr jedes Zugestndnis, gleichgltig gegenber den Fie-bern und Krmpfen, gleichgltig gegenber dem Aberglauben und demSich-Selbst-Verkaufen, nach deren Rhythmus die letzten Generationentanzten. Nur das schweigsame Standhalten der Wenigen zhlt, deren uner-schtterliche Gegenwart als Steinerne Geladene dazu dient, neue Bezie-hungen, neue Distanzen und neue Werte zu schaffen, einen Pol zu bilden,der, wenn er sicherlich auch nicht diese Welt von Verirrten und Ruhelosendaran hindern wird, zu sein, was sie eben ist, so doch dem einen oderanderen das Erlebnis der Wahrheit geben wird, ein Erlebnis, das vielleichtauch den Beginn einer befreienden Krisis darstellt.

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  • Innerhalb der Grenzen, die den Mglichkeiten des Verfassers gezogensind, soll dieses Buch ein Beitrag zu einem solchen Werke sein. SeineGrundthese ist also der Gedanke eines naturgegebenen Niederganges dermodernen Welt. Sein Zweck ist, diesem Gedanken Beweiskraft zu gebendurch Hinweis auf den Geist der Universalkultur, aus deren Trmmern allesModerne erwachsen ist, und zwar als Voraussetzung jeder weiteren Mglich-keit und als nachdrckliche Rechtfertigung einer Revolte. Denn nur dannwird sich deutlich erweisen, wogegen man reagiert und vor allem in wessenNamen man reagiert.

    Einleitend ist zu sagen, da uns nichts so widersinnig erscheint als jenerGedanke des Fortschrittes und der daraus folgende der berlegenheit dermodernen Zivilisation, der sich selbst seine wissenschaftlichen Alibisgeschaffen hat, indem er die Geschichte flschte, zerstrende Mythen in dieGehirne pflanzte und sich in jener unwrdigen, plebejischen Ideologie, ausder er letztlich entstanden ist, als Herrscher aufspielt. Man mu schon tiefgesunken sein, um zur Vergtterung dieser Kadaverweisheit zu gelangen:Denn nicht anders knnen wir diese Weisheit nennen, die im modernenMenschen, der der letzte Mensch ist, nicht den alten Mann sieht, denHinflligen, den Zerstrten, den Untergangsmenschen, sondern in ihm denberwinder, den Rechtfertiger, den wahrhaft Lebendigen feiert. Jedenfallszeugt es von einer seltenen Verblendung, wenn der moderne Mensch glaubt,er knne alles nach seinen Mastben messen und seine Kultur als eineprivilegierte betrachten, zu der gleichsam die gesamte bisherige Mensch-heitsgeschichte nur einen Vorspann bilde und neben der es nichts alsDunkelheit, Barbarei und Aberglauben gebe.

    Wir mssen zwar eingestehen, da angesichts der ersten Erschtterun-gen, mit denen sich die innere Auflsung des Abendlandes auch auf dermateriellen Ebene zu zeigen begann, der Gedanke der Pluralitt der Kultu-ren und damit auch der Relativitt der modernen, manchem nicht mehr soextravagant und ketzerisch erscheint wie noch vor einiger Zeit. Das jedochgengt keinesfalls: Es mu eingesehen werden, da die moderne Kulturnicht nur, wie so viele andere, spurlos verschwinden kann, sondern da sie zujenem Typus gehrt, dessen Verschwinden und kurzem Leben nur der Werteiner reinen Zuflligkeit zukommt, wenn man ihn zur Ordnung des Seien-den und jeder Kultur, die dem Seienden angehrte, in Beziehung setzt.Jenseits eines Kultur-Relativismus mu man eben einen Kultur-Dualis-mus anerkennen. Alle unsere Betrachtungen werden sich immer wieder umden Gegensatz zwischen moderner Welt und traditionaler Welt, zwischenmodernem Menschen und traditionalem Menschen bewegen, einem Gegen-satz, der vielmehr ideeller als historischer Natur ist, also morphologischerund sogar metaphysischer Art.

    Was die geschichtliche Seite betrifft, so halten wir schon jetzt fr ntzlich,darauf hinzuweisen, wie stark der Horizont erweitert werden mu. Dieersten Krfte des Verfalls im antitraditionalen Sinne haben sich nmlichschon deutlich zwischen dem 8. und 6. vorchristlichen Jahrhundert zu zeigen

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  • begonnen, wie man ersten, noch vereinzelten, aber schon charakteristischenVernderungen entnehmen kann, die in jenem Zeitraum in den sozialen undgeistigen Lebensformen vieler Vlker aufgetreten sind. Damit wird vielfachdiese Grenzlinie mit dem Beginn der sogenannten geschichtlichen Zeitzusammenfallen, denn fr viele hrt das, was vor die eben erwhnte Epochefllt, auf, Gegenstand der Geschichte zu sein. Legende und Mythos tretenan ihre Stelle, und die positiven Forschungen werden unsicher. Dashindert nicht, da nach traditionalen Lehren die erwhnte Epoche ihrerseitsnur Wirkungen noch weiter zurckliegender Ursachen aufgesammelt hat: Inihr ist nur das Vorspiel der kritischen Phase eines viel greren Zyklus zuerblicken, der im Orient Dunkles Zeitalter, im klassischen Altertumeisernes Zeitalter und in der nordischen Welt Zeitalter des Wolfesgenannt wird.2 In jedem Falle haben wir innerhalb der historischen Zeit undim abendlndischen Bereich eine zweite und viel deutlicher sichtbare Phasemit dem Niedergang des Rmischen Reiches und dem Aufstieg des Christen-tums. Eine dritte Phase beginnt schlielich mit dem Untergang der feudali-stisch (lehensrechtlich) kaiserlichen Welt des europischen Mittelalters, diemit Humanismus und Reformation endgltig an den entscheidenden Punktgelangt ist. Von jenem Zeitraum bis zum heutigen Tage sind die Krfte, dienoch frher vereinzelt und unterirdisch gewirkt hatten, schlielich ans volleTageslicht getreten und haben unmittelbar die Lenkung jeder europischenStrmung des materiellen wie geistigen, individuellen wie kollektiven Lebensbernommen; und sie haben Stck fr Stck das bestimmt, was man imengeren Sinne als moderne Welt zu bezeichnen pflegt. Von damals an istdieser Proze immer schneller, zerstrender und umfassender geworden:Eine furchterregende Flut, die mit Sicherheit jede berlebende Spur eineranderen Kultur fortschwemmen wird, um damit einen Zyklus zu vollenden,eine Maske zu vervollstndigen und ein Schicksal zu besiegeln.

    Soviel ber die geschichtliche Seite. Aber diese Seite ist von vlligrelativer Wichtigkeit. Wenn, wie erwhnt, alles, was geschichtlich ist,schon in die Moderne gehrt, so mu jenes vllige Zurckgehen hinter diemoderne Welt, das allein ihren Sinn aufzuzeigen vermag, im wesentlichenein Zurckgehen ber das hinaus sein, was von den meisten als Geschichtebezeichnet wird. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu verstehen, daman in einer solchen Richtung nichts mehr antrifft, was wiederum Geschich-te werden knnte. Die Tatsache, da jenseits eines gewissen Zeitraumes diepositive Forschung keine Geschichte mehr machen konnte, ist fr uns allesandere als zufllig und sicherlich nicht nur durch die Unsicherheit derQuellen, Daten und fehlenden Spuren bedingt. Um nmlich die Geistigkeitjeder nicht modernen Kultur zu verstehen, mu man sich deutlich vor Augenfhren, da der Gegensatz zwischen geschichtlichen Zeiten und Zeiten, dieman prhistorisch oder mythologisch nennt, nicht ein blo relativer Gegen-satz zwischen zwei gleichartigen Teilen derselben Zeit ist, sondern einqualitativer, wesenhafter. Es ist der Gegensatz zwischen Zeiten (Zeiterfah-

    2 Vergleiche R. GUENON: La crise du monde moderne, Paris, 1927, Seite 21 ff.

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  • rungen), die tatschlich nicht von der gleichen Art sind.3 Der traditionaleMensch hatte nicht die gleiche Zeiterfahrung, wie sie der moderne Menschhat: Er hatte ein berzeitliches Empfinden in der Zeitlichkeit, und in diesemEmpfinden erlebte er jede Erscheinung seiner Welt. Daher mssen diemodernen Forschungen im geschichtlichen Sinne an einem gewissen Punk-te die Reihe unterbrochen finden, eine unbegreifliche Kluft antreffen, jen-seits der sie nichts geschichtlich Feststehendes oder Bedeutungsvollesaufbauen knnen und nur auf uerliche, oft widerspruchsvolle Bruchstckezhlen knnen, uere Methode und Mentalitt ndern sich vollstndig.

    Wenn wir also die traditionale der modernen Welt gegenberstellen, hatdieser Gegensatz auf Grund der erwhnten Prmisse gleichzeitig einen Seins-Charakter. Der Charakter der Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit gehrttatschlich im wesentlichen nur einer dieser beiden Welten an, whrend dieandere, die sich auf die Gesamtheit des traditionalen Kulturtypus bezieht,vom Empfinden all dessen gekennzeichnet ist, was ber der Zeit liegt, d.h.vom Kontakt mit der metaphysischen Realitt, die der Zeiterfahrung eineganz andere, mythologische, gleichsam mehr rhythmische und rumlicheals in Zeitablufen gestaffelte Form gibt.4 Als verfallene Reste finden sichSpuren dieser Form von qualitativ verschiedener Zeiterfahrung noch heutebei einigen sogenannten Primitiv-Vlkern.5 Diesen Kontakt verloren zuhaben, das Gefangengenommen-Werden in der Fata Morgana eines reinenFlieens, eines reinen Fortlaufens, eines Strebens, das das eigene Ziel immerweiter hinausschiebt, eines Prozesses, der sich mit keinem Besitz zufriedengeben will und kann und der sich in allem und fr alles in den BegriffenGeschichte und Werden aufzehrt - das ist eines der Hauptmerkmale dermodernen Welt. Das ist der Grenzstein, der zwei Zeitrume voneinandertrennt, und zwar nicht nur und nicht so sehr in geschichtlicher Hinsicht,sondern vor allem im seinsbezogenen, morphologischen und metaphysischenSinne.

    Damit wird aber der Umstand, da sich die Kulturen traditionalerPrgung von heute aus gesehen in der Vergangenheit befinden, ein reinzuflliger: Moderne Welt und traditionale Welt knnen als zwei universelleArten, als zwei gegenstzliche apriorische Kategorien von Kulturen angesehenwerden. Und doch erlaubt uns dieser zufllige Umstand, begrndet festzu-halten, da, wo immer sich eine Kultur gezeigt hat oder zeigen wird, die alsMittelpunkt und Inhalt das zeitliche Element aufweist, man ein Wiederaufle-ben in mehr oder minder verschiedener Form der gleichen Haltung, dergleichen Werte und der gleichen Krfte sehen wird, wie sie die moderne Zeitim eigentlichen Sinne des Wortes bestimmt haben; und wo immer sichhingegen eine Kultur gezeigt hat oder zeigen wird, die als Mittelpunkt und

    3 Vergleiche F.W. SCHELLING, Einleitung in die Philos. der Mythologie, S.W. Ausgabe 1846,

    Abt. II, Bd. I, S. 233-2354 Vergleiche J. EVOLA. L'rco e la Clava (Mailand, 1968) 1. Kap. (Kultur des Raumes und

    Kultur der Zeit)5 Vergleiche HUBERT MAUSS, Melanges d'Histoire des Religions, Paris, 1929, S. 189 ff. ber

    den sakralen und qualitativen Sinn der Zeit vergleiche weiter unten I, Paragraph 19

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  • Inhalt das berzeitliche Element aufweist, wird man in mehr oder minderverschiedener Form ein Wiederaufleben der gleichen Sinngehalte, der glei-chen Werte und der gleichen Krfte sehen, wie sie die antiken Kulturtypen be-stimmt haben. Damit ist die Bedeutung dessen klar dargelegt, was wir im Hin-blick auf die verwendeten Begriffe (modern und traditional) Kultur-Dualis-mus genannt haben; und das sollte auch gengen, um ber unseren Traditio-nalismus keine Miverstndnisse aufkommen zu lassen. Das war nicht nureinmal - das ist immer - , 6.

    Der Grund fr jeden unserer Rckgriffe auf nicht moderne Formen,Institutionen und Erkenntnisse liegt in dem Umstand, da diese Formen,Institutionen und Erkenntnisse ihrer ganzen Natur nach leichter verstnd-lichere Symbole, bessere Annherungen und glcklichere Hinweise darstel-len fr das, was vor und ber der Zeit und der Geschichte, also dem Gesternund Morgen, liegt und allein eine wahre Erneuerung, eine vita nova etperennis (ein neues und ewiges Leben) in dem bewirken kann, der nochfhig ist, sie aufzunehmen. Und nur, wer so weit gekommen ist, kann jedeFurcht abstreifen und wird im Schicksal der modernen Welt nichts anderesund auch nichts Schlimmeres sehen als das bedeutungslose Geschehen umeinen Nebeldunst, der aufsteigt, sich zusammenballt, um dann zu vergehen,ohne den freien Himmel verdecken zu knnen.

    Nachdem wir in der Einleitung auf den Hauptpunkt hingewiesen haben,mssen wir noch kurz ber unsere Methode sprechen.

    Die bereits gemachten Andeutungen sollten gengen, und wir brauchennicht auf das zu verweisen, was wir am gegebenen Orte ber den Ursprung,die Reichweite und den Sinn des modernen Wissens ausfhren werden, umzu verdeutlichen, inwieweit unsere Betrachtungen alles das mitbedenkenwerden, was in letzter Zeit offiziell den Stempel der Geschichts-Wissen-schaft in bezug auf antike Religionen, Institutionen und berlieferungenempfangen hat. Wir mchten ganz deutlich festhalten, da wir mit einersolchen Ordnung der Dinge, wie auch mit jeder anderen, die von dermodernen Geisteshaltung ausgeht, nichts zu tun haben wollen und densogenannten wissenschaftlichen oder positivistischen Standpunkt mitseinen verschiedenartigen und leeren Ansprchen der Zustndigkeit undAusschlielichkeit im besten Falle als mehr oder weniger denjenigen derUnwissenheit ansehen. Wir sagen im besten Falle. Wir leugnen sicherlichnicht, da die Gelehrten und beraus fleiigen Arbeiten der Spezialistenein ntzliches Rohmaterial ans Licht bringen knnen, das vielfach frdenjenigen notwendig ist, der nicht ber andere Informationsquellen verfgtund nicht die Zeit und die Lust hat, sich selbst damit eingehend zu beschfti-gen und das, was er in untergeordneten Bereichen braucht, zu sammeln undzu prfen. Fr uns steht jedoch gleichzeitig fest, da, wo immer die ge-schichtlichen und wissenschaftlichen Methoden der modernen Welt auftraditionale Kulturen angewendet werden, dies fast immer auf gewaltttige

    6 SALLUST: De Diis et Mundo, IV

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  • Angriffe hinausluft, auer sie beschrnken sich nur auf die grbere Seiteder hinterlassenen Spuren und Zeugnisse. Diese Methoden zerstren denGeist, beschrnken, verunstalten und fhren zwangslufig in die Sackgassender Alibis, die von den Vorurteilen der modernen Denkweise geschaffenwurden, um vor allem und berall sich selbst zu verteidigen und aufs neue zubehaupten. Und dieses zerstrende und verunstaltende Werk ist seltenzufllig; es geht seinerseits fast immer, wenn auch indirekt, auf dunkleEinflsse und Anregungen zurck, deren sich ironischerweise gerade diewissenschaftlichen Geister, auf Grund ihrer Denkart, berhaupt nichtbewut werden.

    Im allgemeinen ist die Ordnung der Dinge, mit denen wir uns hauptsch-lich befassen, so, da jedes Material, das historischen oder wissenschaftli-chen Wert hat, das am wenigsten Brauchbare ist; und das, was als Mythos,Legende oder Sage ohne historischen Wahrheitsgehalt und ohne Beweiskraftist, gerade dadurch eine hhere Wertigkeit erlangt und zur Quelle einerechteren und sichereren Erkenntnis wird. Genau das ist die Grenze, dietraditionale Lehre von profaner Kultur trennt. Das gilt nicht nur fr dasAltertum und fr die Erscheinungsformen eines mythologischen, also ber-geschichtlichen Lebens, wie es schlielich jedes traditionale Leben war.Whrend man vom Standpunkt der Wissenschaft aus den Mythos nachseinem geschichtlichen Gehalt bewertet, bewerten wir im Gegenteil dieGeschichte nach ihrem mythischen Gehalt und nach jenen Mythen, die sichim geschichtlichen Ablauf als Ergnzung des Geschichts-Sinnes verborgenhalten. Nicht nur das Rom der Legende spricht fr uns eine deutlichereSprache als das geschichtliche, sondern auch die Sagen um Karl den Groenunterrichten uns besser ber die Bedeutung des Frankenknigs, als dieChroniken und positiven Dokumente der Zeit es tun usw.

    Die wissenschaftlichen Bannflche in dieser Hinsicht sind uns gutbekannt: Willkrlich, subjektiv, phantasievoll. Fr uns gibt es nichts Will-krliches, nichts Subjektives und nichts Phantasievolles, aber auch nichtsObjektives und Wissenschaftliches, wie es in der modernen Weltauffassungbesteht. Das alles existiert nicht. Das alles steht auerhalb der Tradition. DieTradition beginnt dort, wo es mit der Erlangung eines berindividuellen undnicht rein menschlichen Standpunktes gelingt, sich ber das alles zu stellen.Am Diskutieren und Beweisen liegt uns daher wenig. Die Wahrheiten, diedie Welt der Tradition verstehen lassen, sind nicht jene, die man erlerntoder ber die man diskutiert. Entweder sind sie, oder sie sind nicht.7 Mankann sich nur an sie erinnern (eigentlich wrtlich: sie in das Herz zurckru-fen) und das dann, wenn man sich von den Hindernissen befreit hat, die

    7 Etwas spter werden vielleicht die Worte des LAOTSE (Tao-te-king, LXXXI) klar werden:

    Der Mensch, der die Tugend hat, diskutiert nicht, der Mensch, der diskutiert, hat die Tugendnicht und gleichermaen die traditionalen indo-arischen Aussprche ber die Texte, die nichtvon Sterblichen verfat sein knnen und die auch nicht am menschlichen Verstand gemessenwerden knnen. (Mnavadharmacastra XII, 94). Am selben Ort wird hinzugefgt: AlleBcher, die nicht auf der Tradition beruhen, sind aus Menschenhand hervorgegangen undwerden untergehen: dieser ihr Ursprung zeigt, da sie nutzlos und falsch sind.

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  • durch die verschiedenen menschlichen Konstruktionen aufgebaut wurden,wobei im besonderen alle Resultate und Methoden der autorisierten For-scher zu nennen sind; wenn man also die Fhigkeit erworben hat, vomauermenschlichen Standpunkt aus zu sehen, der gleichzeitig auch der tradi-tionale Standpunkt ist. Das wre brigens auch wert, einer der Haupt-Protest-Auf rufe zu sein fr jemanden, der es heutzutage wirklich ernstmeint.

    Wiederholen wir: In jedem antiken Weltverstndnis sind die traditiona-len Wahrheiten im wesentlichen immer als auer-menschlich angesehenworden. Die Betrachtungsweise von einem auer-menschlichen Standpunktaus, objektiv im transzendenten Sinne, ist eben die traditionale Betrach-tungsweise, die man im Hinblick auf die traditionale Welt anwenden mu.Charakteristisch fr diese Welt ist die Allgemein-Gltigkeit; das Axiom:quod ubique, quod ab omnibus et quod semper (was berall, was von allenund was immer) trifft diesen Kern. Im Begriff traditionale Kultur selbst istunmittelbar jener einer Gleichwertigkeit oder bereinstimmung all derverschiedenartigen in Raum und Zeit aus ihr entstandenen Formen enthal-ten. Die Entsprechungen sind vielleicht uerlich nicht erkennbar; dieVerschiedenheit der vielen mglichen, aber immer in sich gleichwertigenAusdrucksformen kann berraschen; in einigen Fllen werden die Entspre-chungen ihrem Geiste nach respektiert werden, in anderen nur in der Formoder in der Bezeichnung; in einigen Fllen werden die Grundprinzipienvollstndig angewendet sein, in anderen nur bruchstckhaft; in einigenerscheinen die Ausdrucksformen in der Legende, in anderen auch historisch,aber immer gibt es etwas Konstantes, etwas Zentrales, das ein einheitlichesWeltbild und einen einheitlichen Menschen charakterisiert und das in einund demselben Gegensatz zu allem steht, was modern ist.

    Wer, von einer einzelnen traditionalen Kultur ausgehend, diese zu ver-vollkommnen versteht, indem er sie von ihren geschichtlichen und zuflligenAspekten befreit und damit die Grundgesetze ihrer Entstehung auf diemetaphysische Ebene bertrgt, wo sie sozusagen in reinem Zustand existie-ren - der mu dieselben Grundgesetze auch hinter den verschiedenenAusdrucksformen anderer, ebenfalls traditionaler Kulturen erkennen. Undso entwickelt sich innerlich ein Gefhl transzendenter, universaler Sicherheitund Objektivitt, das durch nichts mehr zerstrt und auch auf keine andereWeise erlangt werden kann.

    So werden wir in unserer Darstellung einmal auf die eine und dann aufdie andere Tradition des Orients oder Okzidents hinweisen, indem wir vonFall zu Fall diejenige whlen, die einen deutlicheren und vollstndigerenAusdruck immer derselben Grundgesetze oder spirituellen Erscheinungsfor-men darstellt. Das hat jedoch so wenig mit Eklektizismus oder der verglei-chenden Methodik gewisser moderner Forscher zu tun, wie die parallakti-sche Methode, die dazu dient, die genaue Position eines Sternes mittelsBezugspunkten an verschiedenen Orten festzulegen; oder um ein Bild vonGuenon zu verwenden8 - wie die Wahl derjenigen unter verschiedenen

    8 R. GUENON, Le Symbolisme de la Croix, Paris, 1931, S. 10.

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  • bekannten Sprachen, die den besten Ausdruck fr einen bestimmten Gedan-ken bietet. So ist das, was wir als traditionale Methode bezeichnen, imallgemeinen von zwei Prinzipien charakterisiert: In der Seins-Lehre undobjektiv durch das Prinzip der Entsprechung, das eine funktioneile, wesen-hafte Wechselbeziehung zwischen analogen Elementen sicherstellt, indem essie als einfache, bereinstimmende Erscheinungsformen eines einheitlichen,zentralen Sinngehaltes darstellt; in der Erkenntnistheorie und subjektivdurch den generellen Gebrauch des Induktionsprinzips, das hier als metho-disch aufbauende Annherung an eine geistige Intuition verstanden wird, diedann die Vervollkommnung und Vereinheitlichung der verschiedenen vergli-chenen Elemente in einem einzigen und einheitlichen Sinngehalt und ineinem einzigen und einheitlichen Grundgesetz ergibt.

    Auf diesem Wege werden wir also versuchen, den Sinn der Traditions-welt so wiederzugeben, da er als ein Ganzes und als ein universeller Typuserscheint, der geeignet ist, Bezugs- und Bewertungspunkte zu geben, die vondenjenigen verschieden sind, an die sich die meisten im Abendlande passivund halb unbewut gewhnt haben; er ist deshalb ebenso geeignet, dieGrundlage fr eine eventuelle Revolte des Geistes gegen die moderne Weltzu bilden, die sich nicht nur in Worten erschpft, sondern wirklich undpositiv ist.

    Und hier wenden wir uns nur an diejenigen, die angesichts der leichtvorhersehbaren Anschuldigung, anachronistische Utopisten zu sein, dienichts von geschichtlicher Konkretheit verstehen, unberhrt bleiben kn-nen, da sie verstehen, da den Verteidigern des Konkreten nicht mehrzugerufen werden soll: Haltet ein oder Kehrt um oder Erhebt dasHaupt, sondern vielmehr: Schneller, immer schneller, immer weiter ab-wrts, strmt die Ziele, reit die Dmme ein. Ketten, die Euch halten, gibtes nicht. Sammelt den Ruhm all Eurer Eroberungen. Eilt mit immer schnel-leren Flgeln, voll von Stolz, der durch Eure Siege, durch Eure Eroberun-gen, durch Eure Reiche und Eure Demokratien immer grer wird. DieGrube mu gefllt sein, und Dnger ist ntig fr den neuen Baum, derflammend Eurem Ende entspringen wird.9

    Im vorliegenden Werk mssen wir uns darauf beschrnken, richtungsweisen-de Prinzipien zu geben, deren angemessene Anwendung und Entwicklungebensoviele Bnde beanspruchen wrde, wie hier Kapitel vorhanden sind:Wir werden also nur die wesentlichen Elemente aufzeigen. Wer will, kanndiese dann als Grundlage nehmen, um vom traditionalen Standpunkt aus dieMaterie in einzelnen Bereichen weiterzuordnen und zu vertiefen und sie soauszuweiten und weiterzuentwickeln, wie es der Umfang dieses Werkesleider nicht gestattet.

    Im ersten Teil wird unmittelbar eine Art Doktrin der Kategorien destraditionalen Geistes vorgelegt: Wir werden die fundamentalen Grundgesetze

    ' Diese Worte stammen von G. Dl GIORGIO (Zero) in Die Trme strzen (Zeitschrift LaTorre Nr. 1, 1930)

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  • aufzeigen, nach denen sich das Leben des traditionalen Menschen ausrichte-te. In diesem Zusammenhang wird der Begriff Kategorie im Sinne einesvon vornherein festgelegten, gesetzgebenden Prinzips verwendet. Die For-men und Sinngehalte, auf die wir hinweisen, sind daher nicht als eigentlicheRealitt zu verstehen in dem Sinne, da sie Realitt sind oder waren,sondern vielmehr als Ideen, die das Leben und die Wirklichkeit bestimmenund formen sollen und deren Wert davon unabhngig ist, inwieweit im einenoder anderen konkreten Fall ihre Verwirklichung, die ja niemals vollkom-men sein kann, feststellbar ist. Das sollte das Miverstndnis und denEinwand desjenigen aus dem Wege rumen, der entgegnet, da die histori-sche Realitt kaum die zu besprechenden Formen und Sinngehalte rechtfer-tigt. Man kann das vielleicht auch eingestehen, ohne da man jedoch deshalbzum Schlsse kommen mte, alles wren nur Fiktionen, Utopien, Ideali-sierungen oder einfach Illusionen. Die hauptschlichen Formen des tradi-tionalen Lebens haben als Kategorien die gleiche Wertigkeit wie dieethischen Grundgesetze: Sie haben einen Wert an sich und verlangen nur,da sie anerkannt und gewollt werden, da sich der Mensch innerlich fest ansie hlt und sich selbst und sein Leben an ihnen mit, wie es eben auch immerund berall der traditionale Mensch tat. Deshalb stellen hier der geschichtli-che und reale Aspekt nur einen rein anschaulichen und dem besserenVerstndnis dienenden Beitrag fr Werte dar, die heute und morgen genausoaktuell sein knnen wie gestern.

    Das historische Element wird im zweiten Teil dieses Werkes besprochen.Der zweite Teil zeigt die Entwicklung der modernen Welt und die Vorgngeauf, die in den geschichtlichen Zeiten zu ihr gefhrt haben. Aber da derBezugspunkt immer die traditionale Welt in ihrer Eigenschaft als symboli-sche, auergeschichtliche und gesetzgebende Wirklichkeit ist und auch dieMethode eben die ist, die zu erkennen versucht, was ber die zwei Oberfl-chen-Dimensionen der Erscheinungsformen hinaus Triebkrfte sind undwaren, handelt es sich eigentlich um eine Metaphysik der Geschichte.

    Mit beiden Untersuchungen glauben wir demjenigen gengend Elementegegeben zu haben, der heute oder morgen noch aufzuwachen imstande istoder sein wird.

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  • Erster Teil

    Die Welt der Tradition

    Die Meister der alten Zeiten waren frei und se-hend. In der Weite ihrer Geisteskrfte gab es nochkein Ich; und diese Unmittelbarkeit ihrer inne-ren Kraft gab ihrer Erscheinung Gre. Sie warenvorsichtig wie derjenige, der durch einen winterli-chen Flu watet; wachsam wie derjenige, der sichvom Feinde umgeben wei; ungreifbar wie schmel-zendes Eis; rauh wie unbehauenes Holz; weit wiedie groen Tler; undurchdringlich wie das trbeWasser.

    Wer kann heute mit seines eigenen LichtesGre die innere Dunkelheit erhellen? Wer kannheute mit seines eigenen Lebens Gre den inne-ren Tod zu neuem Leben erwecken?

    In ihnen war der Weg. Sie waren Einzelwesen,Herren des Ichs: Und in Vollkommenheit lstesich ihr Mangel auf.

    (LAOTSE, Tao-te-king, Vers XV)

  • 1. Das Grundgesetz

    Um die traditionale Geisteshaltung und die moderne Zivilisation als derenabsoluten Gegensatz verstehen zu knnen, mu man von einem grundlegen-den Punkt ausgehen: und zwar von der Lehre der zwei Naturen.

    Es besteht also eine physische Ordnung, und es besteht eine metaphysi-sche Ordnung. Es besteht die sterbliche Natur, und es besteht die Natur derUnsterblichen. Es besteht das bergeordnete Gebiet des Seins und jenesniedrigere des Werdens. Ganz allgemein: es gibt ein Wahrnehmbares,Greifbares, und vor dem und jenseits davon gibt es ein Nicht-Wahrnehmba-res, Nicht-Greifbares als berwelt,.Grundgesetz (Prinzip) und wahres Le-ben. berall in der Welt der Tradition, im Osten und Westen, hat es in dereinen oder anderen Form dieses Wissen gegeben, das wie eine unerschtter-liche Achse war, um die alles brige angeordnet wurde.

    Man spricht hier von Wissen und nicht von Theorie. So schwierig es frdie Modernen auch sein mag, dies zu erfassen, mu man doch von demGrundgedanken ausgehen, da der traditionale Mensch um die Wirklichkeiteiner viel breiteren Ordnung des Seins wute als diejenige, die wir heuteblicherweise unter dem Begriff Wirklichkeit verstehen. Heute verstehtman grundstzlich unter Wirklichkeit nur das, was nicht ber die Welt derKrper in Raum oder Zeit hinausgeht. Natrlich gibt es Leute, die nochetwas, was ber das Wahrnehmbare hinausgeht, anerkennen: aber da dieseAnerkennung immer im Namen einer Hypothese oder eines wissenschaftli-chen Gesetzes, einer spekulativen Idee oder eines religisen Dogmas erfolgt,geht man im Prinzip ber die obengenannte Begrenzung nicht hinaus.Praktisch gesehen, d.h. auf Grund direkter Erfahrungen, formt der moderneMensch, wie sehr auch seine materialistischen und spiritualistischenGlaubensauffassungen auseinandergehen mgen, sein Bild der Wirklichkeitnur an Hand der krperlichen Welt.

    Das ist der wahre Materialismus der Modernen, der anzuklagen ist; dieweiteren Materialismen, im Sinne philosophischer oder wissenschaftlicherMeinungen, sind nur Folgeerscheinungen.

    Bei diesem ersten, wahren Materialismus geht es also nicht um eineMeinungsfrage oder theoretische Frage, sondern um den tatschlichen Zu-stand, der einem Menschentypus eigen ist, dessen Erfahrung nichts alskrperliche Dinge erfassen kann. Daher mu ein groer Teil der derzeitigenintellektuellen Aufstnde gegen die materialistischen Ansichten als sinnlo-se Reaktion gegen Endfolgen und Randauswirkungen angesehen werden,die auf weit zurckliegende und tiefe Ursachen zurckgehen und sich in ganzanderen Bereichen bildeten als denjenigen der Theorie. Die Erfahrung destraditionalen Menschen ging weit ber eine solche Begrenzung hinaus; dasgilt als berbleibsel fr einige sogenannte primitive Vlker auch heutenoch. Das Nicht-Wahrnehmbare stellte ein ebenso wirkliches, ja sogar einwirklicheres Element dar als die einzelnen Sinneswahrnehmungen. Und

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  • jeder Lebensbereich, sowohl der individuelle als auch der kollektive, trugendem Rechnung.

    Wenn also auch in der Tradition das, was man heute Wirklichkeitnennt, nur als eine Art einer viel umfassenderen Gattung galt, so wurde dochnicht ohne weiteres das Nicht-Wahrnehmbare mit dem bernatrlichengleichgesetzt. Dem Begriff der Natur entsprach traditional nicht nur dieWelt der wahrnehmbaren Krper und Formen, auf die sich die verweltlichteWissenschaft der Modernen konzentriert hat, sondern, und zwar grundle-gend, auch ein Teil eben dieser nicht wahrnehmbaren Wirklichkeit. Esbestand das lebendige Wissen um eine untere Welt, beherrscht vondunklen und zweifelhaften Mchten jeglicher Art - die dmonische Seeleder Natur, grundlegendes Substrat aller Formen und Energien eben dieserNatur -, der gegenber die ber der Vernunft liegende sternenhafte Klarheiteines bergeordneten Bereiches stand. Aber darber hinaus beinhaltete derBegriff Natur traditional auch all das blo Menschliche, das dem gleichenSchicksal von Geburt und Tod, der Unstetigkeit, der Abhngigkeit undVernderung nicht zu entfliehen vermag, also all demjenigen, das demunteren Bereich entspricht. Schon rein definitionsgem kann die Gattungdessen, was ist, nichts zu tun haben mit menschlichen oder zeitbedingtenSituationen und Zustnden: Die eine ist die Gattung der Menschen, eineandere jene der Gtter, obwohl man aber auch sehr genau erfassen mu,da gerade das Sich-Beziehen auf die berweltliche, hhere Ordnung jenerEinordnung und Reinigung des blo Menschlichen im Nicht-MenschlichenRichtung zu geben vermochte, was, wie man sehen wird, allein als Wesens-kern und Ziel jeder wirklich traditionalen Kultur galt.

    Welt des Seins und Welt des Werdens - der Dinge, der Dmonen undder Menschen: Darber hinaus brachte jede ber die Dingwelt hinausgehen-de und ihr zugrundeliegende Vorstellung dieser beiden Bereiche - sei sieastral, mythologisch, theologisch oder religis - den traditionalen Menschenzu den zwei Seinsbereichen zurck und galt als ein Symbol, das in einerinneren Erfahrung oder im Vorausahnen einer inneren Erfahrung aufgelstwerden mute. So ist in der Tradition der Hindus, und ganz besonders imBuddhismus, das Bild des Samsara - jenes Stromes, der alle Ausgestal-tungen und Wesenheiten der unteren Welt beherrscht und mit sich reit -eng gebunden an einen Grundzustand des Lebens, der blindes Begehren undvernunftlose Selbstauslschung in der Identifikation ist. Der Hellenismuserkannte gleichfalls oft in der Natur die ewige Leere dessen, was daseigene Prinzip und die eigene Handlungsfhigkeit auerhalb seiner selbstliegen hat, ohne Unterla fliet und doch bis in Unendlichkeit sich selbstentflieht - was gerade in seinem Werden eben einen ursprnglichen undvollstndigen Verlust und einen immerwhrenden Mangel an Schrankenanzeigt1. Materie und Werden drcken in solchen Traditionen das aus,

    1 Typische Worte in PLOTIN, Enn. I, VIII, 4-7; II, xxi, 5-8; VI vi 18, 1; II, ix, 4. Vgl,

    PLUTARCH, ber Isis und Osiris, 56.

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  • was in einem Wesen unbezhmbare Unbestimmtheit oder dunkle Notwen-digkeit ist, Unfhigkeit sich in einer vollkommenen Form zu erfllen und sichin einem Gesetz zu erfassen, und sagten die Griechen;adharma sagten die Asiaten. Und die Scholastik hatte, im Anerkennen vonCupiditas und Appetitus innatus als Wurzel jeder nicht erlsten Natur,eine hnliche Auffassung. In der einen oder anderen Weise entdeckte alsoder Mensch der Tradition in der Erfahrung der begehrenden Identifikation,die das Sein verdunkelt und verletzt, das Geheimnis jenes Zustandes, dessenunaufhrliches Werden und ewigwhrende Instabilitt und Zuflligkeit inder niedrigeren Region als eine kosmisch-symbolische Materialisation er-scheinen. Im Gegensatz dazu sah man den richtigen Weg im Sich-Selbst-Gehren, indem man sich selbst eine Form gab, indem man in sich selbst dasGrundgesetz eines nicht mehr weit verstreuten Lebens trug: da man sichalso nicht mehr selbst vernichtete, berall auf der Suche nach anderen oderanderem, um sich zu vervollstndigen und zu rechtfertigen, da man nichtmehr gespalten war von der Notwendigkeit und der irrationalen Gier nachdem Auenliegenden und dem Anderen; in einem Worte also: man erkanntein der Erfahrung der Askese den Weg, um diesen anderen Bereich zuverstehen, diese Welt des Seins, die nicht mehr physisch, sondern meta-physisch ist, die erkennende Natur frei vom Schlafe, fr die Sonnensymbo-le, uranische Regionen, Licht- oder Feuerwesen, Inseln und Bergeshhendie traditionalen bildlichen Darstellungen waren. Das sind die beiden Natu-ren. Man kannte auch die Mglichkeit der Geburt nach der einen oderanderen Natur, sowie auch den bergang von der einen Geburt zur anderen,weil gesagt wurde: Ein Mensch ist ein sterblicher Gott, ein Gott aber einunsterblicher Mensch.2

    Die traditionale Weltauffassung kannte diese beiden groen Gegenpoleder Existenz sowie auch die Wege, die vom einen zum anderen fhren.ber der Welt in der Gesamtheit ihrer Formen, sowohl sichtbarer als auchunsichtbarer, menschlicher als auch untermenschlicher und dmonischerArt, kannte sie noch eine berwelt - - wobei die eine von deranderen abgefallen war und die andere als die Befreiung der einenangesehen wurde. Sie erkannte die Geistigkeit als das, was ber Leben undTod hinausgeht. Sie erkannte, da die uerliche Existenz, das Leben,nichts ist, wenn es nicht eine Annherung an die berwelt ist, an das, wasMehr-als-Leben ist, wenn das hchste Ziel nicht aktive Befreiung von derFessel des Menschseins und Teilhaftigkeit an der berwelt ist. Sie erkannte,da jede Autoritt falsch ist, jedes Gesetz ungerecht und gewaltttig, jedeInstitution sinnlos und hinfllig, wenn die Autoritten, Gesetze und Institu-tionen nicht dem hheren Prinzip des Seins zugeordnet sind, d.h., vonoben und nach oben gerichtet sind.

    Die traditionale Welt kannte das Gottesknigtum. Sie wute vom Aktdes berganges: der Einweihung, wo sich zwei groe Wege der Annherungzeigten: die heroische Tat und die Kontemplation - vom Mittler: dem Ritus

    2 Vgl. HERAKLIT, Diels, Fr. 62,; Corpus Hermeticum, XII, 1.

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  • und der Treue - von der groen Sttze: dem traditionalen Gesetz und derKaste - vom irdischen Symbol: dem Reich.

    Dies sind die Grundfesten der Hierarchie und der traditionalen Kultur,die in allem zerstrt wurde von der siegreichen humanen Zivilisation dermodernen Welt.

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  • 2. Das Knigtum

    Jede traditionale Kulturform ist durch das Vorhandensein von Individuengekennzeichnet, die durch eine angeborene oder erworbene berlegenheitber das einfache Menschen-Dasein, mitten in der zeitlichen Ordnung, dielebendige und wirkende Gegenwart einer Kraft von oben verkrpern. Dazugehrt dem inneren Sinn seiner Etymologie und dem ursprnglichen Wertseiner Funktion nach der Pontifex (Vorsteher des Priesterkollegiums imantiken Rom), wrtlich der Brckenbauer oder Wegbereiter - ponshatte archaisch auch die Bedeutung Weg - zwischen dem Natrlichen unddem bernatrlichen. Darber hinaus war der Pontifex traditional mit demRex (Knig) identisch. Es war Brauch bei unseren Vorfahren, da derKnig Pontifex und Priester war, berichtet Servius1, und ein Losungswortder nordischen Tradition war: Wer unser Fhrer ist, sei auch unsereBrcke.2 Die wahren Herrscher verkrperten also stndig jenes Leben, dasjenseits allen Lebens ist. Durch ihre einfache Gegenwart oder durch ihrepontifikale (brckenschlagende) Vermittlung und die Kraft der Riten, dieauf Grund der eigenen Macht oder derjenigen der Institutionen, derenMittelpunkt sie bildeten, wirksam wurde, strahlten geistige Einflsse in dieWelt der Menschen aus, die ihre Gedanken, Absichten und Handlungendurchdrangen; damit bildeten sie einen Schutzwall gegen die dunklen Krfteder niederen Natur, ordneten das gesamte Leben, damit es eine mglicheGrundlage fr die Lichterkenntnis bilden konnte, und halfen, die allgemei-nen Bedingungen fr Wohlstand, Gedeihen und Glck zu schaffen.

    Die wichtigste Grundlage der Autoritt und des Rechts der Knige undFhrer, das, weshalb man ihnen gehorchte, sie frchtete und verehrte, war inder traditionalen Welt letzten Endes diese ihre transzendente, auermensch-liche Eigenschaft, die nicht blo als leere Redensart galt, sondern alsmchtige und furchterregende Wirklichkeit.

    Je mehr man den Seinsrang des dem sichtbaren und zeitlichen Vor- undHhergeordneten anerkannte, um so mehr wurde solchen Wesen ein natrli-ches und absolutes Herrscherrecht zuerkannt. Den traditionalen Kulturenfehlt vllig - was ausschlielich eine Angelegenheit spterer und dekadenterZeiten war - die rein politische Auffassung der hchsten Autoritt, derGedanke also, da die Grundlage des Herrschertums nur Kraft und Gewaltoder natrliche und weltliche Eigenschaften, wie Intelligenz, Weisheit, Kn-nen, physischer Mut und bis ins kleinste gehende Sorge fr das Allgemein-wohl sein knne. Die Autoritts-Grundlage hat im Gegenteil immer einenmetaphysischen Charakter gehabt. Der Tradition ist z.B. der Gedankeabsolut fremd, da die Macht des Fhrers von denen kme, die er regiert,da seine Autoritt also Ausdruck der Gemeinschaft und ihrer Zustimmung

    1 Vergleiche SERVIUS Aeneid. III, 268

    2 In den Mabinogion

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  • unterworfen sei. Es ist Zeus, der den gttlich geborenen Knigen die bertrgt, wobei als Gesetz von oben nichts mit dem zu tunhat, was spter sein wird, das politische Gesetz der Gemeinschaft.3 Ander Wurzel jeder weltlichen Gewalt stand also eine geistige Autoritt,gleichsam wie eine gttliche Natur in menschlicher Gestalt. Es war z.B.eine indo-arische Auffassung, da der Herrscher nicht ein einfacher Sterbli-cher, sondern eine mchtige Gottheit in menschlicher Gestalt sei.4 Imgyptischen Knig sah man eine Verkrperung von R oder Horus. DieKnige von Alba und Rom personifizierten Jupiter, die assyrischen Baal, dieiranischen den Lichtgott; aus demselben Geschlecht des Tiuz, des Odin undder sen kamen die nordisch-germanischen Frsten; die griechischen Kni-ge des dorisch-achischen Kulturkreises nannten sich oder -, um auf ihre gttliche Herkunft hinzuweisen. Unabhngig von allermannigfaltigen Verschiedenheit der mythischen und sakralen Ausdrucksfor-men besteht das immer wiederkehrende Prinzip des Knigtums darin, eineinnewohnende Transzendenz zu sein, d.h., in der Welt gegenwrtig zu seinund in ihr zu wirken. Der Knig - nicht Mensch, sondern sakrales Wesen - istschon durch sein Wesen, nur durch seine Gegenwart, das Zentrum und derGipfelpunkt. Gleichzeitig ist in ihm die Kraft, die alle rituellen Handlungen,die er vollziehen kann, erst wirksam macht und in denen man einen Bestand-teil des wahren Regierens und die bernatrlichen Sttzpfeiler des Ge-samt-Lebens innerhalb der Tradition sah.5 Deshalb herrschte das Knigtumund wurde in natrlicher Weise anerkannt. Die materielle Gewalt bentigtees nur als Beigabe. Es setzte sich vor allem und unwiderstehlich mittels seinesGeistes durch. Herrlich ist die Wrde eines Gottes auf Erden, sagt einindo-arischer Text6, aber schwer fr die Schwachen zu erreichen. Wrdig,Knig zu werden, ist nur, wer Mut und Geist dafr besitzt. Als denjenigenzugehrig, die Gtter sind unter den Menschen, erscheint der Herrscher.7

    In der Tradition ist mit dem Knigtum oft das Sonnensymbol verbunden.Man erkannte dem Knig dieselbe Glorie und denselben Sieg zu, wieder Sonne und dem Licht - Symbole der hheren Natur -, die jeden Morgenber die Finsternis triumphieren. Als Knig steigt er den Thron des Horusder Lebenden empor, gleichzeitig mit seinem Vater R (der Sonne), jedenTag. - Ich habe bestimmt, da Du Dich als Knig des Sdens und desNordens auf dem Throne des Horus erhebst, wie die Sonne in Ewigkeit.Das sind Worte aus der antiken gyptischen Knigstradition.8 Diese Worte

    3 Vergl. Handbuch der klassisch. Altertumswissenschaft, Berlin, 1887, Bd. IV, S. 5-25.

    4 Mnavadharmacstra (Gesetz des Manu), VII, 8; VII, 4-5

    5 Wenn sich aber der Knig in Griechenland oder Rom seines priesterlichen Amtes als

    unwrdig erwies, wo er als rex sacrorum (Knig der Heiligtmer) gleichzeitig weltlicherHerrscher und erster und oberster Vollzieher der Riten der Gemeinschaft war, so konnte ernicht mehr Knig sein. Vergl. DECOULANGES, La Cite antique, Paris17, 1900, S. 204.

    6 Nitisra IV, 4.

    7 Ebd. I, 63

    8 A. MORET, Le rituel du culte divin en Egypte, Paris, 1902, S. 26-27; Du caractere religieux

    de la Royaute pharaonique, Paris 1902, S. 11

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  • stimmen genau mit der iranischen berein, wo der Knig als vom selbenGeschlecht der Gtter angesehen wird, der denselben Thron wie Mithrahat und mit der Sonne emporsteigt9 und particeps siderum (Teilhaftiger derSterne) genannt wird und Herr des Friedens, Heil der Menschen, ewigerMensch, Sieger, der mit der Sonne emporsteigt10. Und die Weiheformellautet: Du bist die Macht, Du bist die Kraft des Sieges, Du bist unsterb-lich . . . aus Gold gemacht steigt ihr beide im Morgenlicht empor, Indra unddie Sonne11. Bezugnehmend auf Rohita, die erobernde Kraft, die Perso-nifikation eines Aspektes der Sonnenhaftigkeit und des gttlichen Feuers(Agni) wird in der indo-arischen Tradition gesagt: Vorwrtsschreitend hater (Agni) in dieser Welt das Knigtum geschaffen. Dir hat er das Knigtumgegeben und Deine Feinde zerstreut12. In antiken rmischen Darstellungenbergibt der Gott Sol (die Sonne) dem Imperator eine Kugel als Zeichen derWeltherrschaft; und auf die Sonnenhaftigkeit beziehen sich die Worte, dieauf die Bestndigkeit und die Herrschaft Roms Bezug nehmen: Sol Conser-vator, Sol dominus romani imperii (Sonne als Bewahrer, Sonne als Herr desrmischen Reiches)13. Auf die Sonne war auch das letzte rmische Glau-bensbekenntnis bezogen, da der letzte Vertreter der antiken rmischenTradition, Kaiser Julianus, seine Dynastie, seine Geburt und kniglicheWrde auf die Sonnenhaftigkeit, als von der berwelt ausstrahlendergeistiger Kraft, zurckfhrte.14 Ein Abglanz davon hlt sich bis zu denStaufer-Kaisern, und man konnte noch bei Friedrich II. von Hohenstaufenvon einer deitas solis (Gottheit der Sonne) sprechen.15

    Diese sonnenbezogene Glorie oder Siegeskraft, die mit dem Knigtumverbunden war, beschrnkte sich aber nicht auf ein bloes Symbol, sondernwar eine metaphysische Realitt und wurde als auermenschlich wirkendeKraft angesehen, die der Knig, eben weil er Knig war, besa. Fr diesenGedankengang ist eine der bezeichnendsten unter den traditional-symboli-schen Ausdrucksformen die mazdaistische: Hier ist das hvareno (neuereAusdrcke hvorra oder farr) - die Glorie, die der Knig besitzt - einbernatrliches, den himmlischen Wesenheiten, aber vor allem der Sonnezugehriges Feuer, das ihn an der Unsterblichkeit teilhaben lt und das ihnmit dem Sieg als Knig bezeugt16: Dieser Sieg ist, wie man sehen wird, so zuverstehen, da die beiden Bedeutungen, mystisch die eine, militrisch (mate-riell) die andere, sich nicht ausschlieen, sondern sich gegenseitig bedin-

    9 F. CUMONT, Textes et Mon. figure's relatifs aux Mysteres de Mithra, Bd. 2, S. 27; Vergl. Bd. 2,

    S. 123, wo hervorgehoben wird, wie diese Symbolik auf das kaiserliche Rom berging. Auch inChalda wurde fr den Knig der Titel Sonne der gesamten Menschheit verwendet. (Vergl.G. MASPERO, Hist. andenne des peuples de l'Orient class., Paris, 1895, Bd. 2, S. 622).

    10 F. SPIEGEL, Eranische Altertumskunde, Leipzig, 1871, Bd. III, S. 608-609

    11 A. WEBER, Ryasrya, S. 49

    12 Atharva-Veda, XIII, 1, 4-5.

    13 SAGLIO, Dictionn. des antiquites grecques et romaines, Bd. IV, S. 1384-1385.

    14 JULIANUS IMPERATOR, Helios, 131b zu vergl. mit 134 a-b, 158 b-c

    15 Vergl. E. KANTOROWICZ, Kaiser Friedrich II, Berlin, 1927, S. 629

    16 Vergl. SPIEGEL, a.a.O., Bd. II, S. 42-44, Bd. III, S. 654. F. CUMONT. Les Mysteres de

    Mithra, Bruxelles2, 1913, S. 96 ff.

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  • gen.17 Bei den nicht iranischen Vlkern vermischte sich dieses hvarenospter mit der Fortuna, Glck, ; auf diesem Wege taucht sie in derrmischen Tradition wieder unter dem Mantel jener Fortuna regia (knig-liches Glck) auf, die die Csaren einander rituell bertrugen und woruntereine aktive, triumphale bernahme des personifizierten Schicksals derStadt verstanden wurde, das schon mit dem Ritus ihrer Grn-dung festgelegt war. Das knigliche Attribut felix (glckhaft) bei den R-mern ist im gleichen Zusammenhang zu sehen, nmlich als Besitz einer nichtgewhnlichen virtus (Gabe, Tugend). In der vedischen Tradition gibt eseinen gleichwertigen Begriff: das Agni-Vaiqvanara, welches als spirituellesFeuer angesehen wird, das die Knige als Eroberer zum Sieg fhrt.

    Im antiken gypten wurde der Knig nicht nur Horus, sondern kmp-fender Horus - Hr h - genannt, um diese Eigenschaft des Sieges und derGlorie des Sonnenprinzips, das im Herrscher gegenwrtig war, zu bezeich-nen: Der Knig war in gypten nicht nur gttlicher Abstammung, sondernwurde als Knig berhaupt erst durch Riten begrndet und periodischbesttigt; Riten, die eben den Sieg des Sonnengottes Horus ber Typhon-Set, den Dmon des unteren Reiches, neu aufleben lieen.18 Diesen Ritenschrieb man die Macht zu, eine Kraft und ein Leben zu beschwren, dieauf bernatrlichem Wege das Wesen des Knigs umfaten.19 Aber dieKraft, uas, hat als Ideogramm das Zepter, das die Gtter und Knigetragen, ein Ideogramm, das in den lteren Texten auch ein gezacktes Zepterzeigt, in dem man das Zick-Zack des Blitzes erkennen kann. Die kniglicheKraft wird damit zu einer Erscheinungsform der himmlischen Kraft desBlitzes; und die Vereinigung der Zeichen Leben und Kraft - nshs -ergibt ein Wort, das auch die Flammenmilch bezeichnet, von der sich dieUnsterblichen ernhren und die ihrerseits auch mit dem uraeus in Beziehungsteht, dieser gttlichen Flamme, die einmal lebenspendend und dann wiederfurchtbar zerstrend ist und deren schlangenhnliches Symbol das Haupt desgyptischen Knigs krnzt. In dieser traditionalen Ausdrucksweise treffendie verschiedenen Elemente also im einheitlichen Gedanken eines nicht-irdischen Kraftstromes oder Fluidums - sa - zusammen, das die sonnenhafttriumphale Natur des Knigs weiht und bezeugt und die von einem Knigzum anderen schnellt - sotpu. So bildet es die ununterbrochene goldene

    17 ber hvareno vergl. Yashl, XIX passim und 9: Wir opfern der erschreckenden Knigsglo-

    rie - havaem hvareno -, die von Mazda als hchste Macht der Eroberung geschaffen wurde, dievon hchster Wirkkraft ist und mit der Heil, Weisheit und Glck verbunden sind und die in derZerstrung mchtiger ist als irgend etwas sonst.

    18 MORET, Royaute Phar., a.a.O., S. 21, 98, 232. Ein Abschnitt dieser Riten war das

    Umkreisen, eben wie die Sonne den Himmel umkreist; und auf dem Wege des Knigs wurdeein dem Typhon zugeschriebenes Tier geopfert als magisch-rituelle Beschwrung des Sieges vonHorus ber Typhon und Set.

    19 Vergl. ebd., S. 255 das hieroglyphische Wort: Ich habe Dein Fleisch mit dem Leben und

    mit der Kraft umfat, hinter Dir ist das Fluidum fr Dein Leben, fr Dein Heil, fr DeineKraft, das der Gott bei der Weihe zum Knig sprach. S. 108-109: Komme in den Tempel(Deines) Vaters Amon-R, auf da er Dir die Ewigkeit gebe als dem Knig der beiden Lnderund auf da er Dein Fleisch umfasse mit dem Leben und der Kraft.

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  • Kette des gttlichen Geschlechts,, das dazu ausersehen ist, rechtmig zuregieren.20 Es ist sicherlich interessant, hervorzuheben, da die Gloriesogar im Christentum als gttliches Attribut gewertet wird und sich nach dermystischen Theologie in der Glorie die seligmachende Vision vollendet.Die christliche Ikonographie fat sie gewhnlich als einen Schein rund umdas Haupt auf, der deutlich den Sinngehalt des gyptischen uraeus und derStrahlenkrone des sonnenhaften iranisch-rmischen Knigtums wiedergibt.

    Nach der fernstlichen Tradition hat der Knig als Sohn des Himmels -t'ien-tze - d.h., er gilt als nicht durch gewhnliche Geburt, wie die brigenSterblichen, Geborener - einen himmlischen Auftrag - t'ien-ming - 21,was ebenfalls den Gedanken einer realen, auernatrlichen Kraft beinhaltet.Die Seins-Weise dieser Kraft vom Himmel ist nach den Worten des Lao-tse ein Handeln ohne Handeln (wei-wu-wei), d.h. ein nicht materiellesHandeln, das durch die bloe Gegenwart erfolgt.22 Diese Kraft ist unsichtbarwie der Wind, und doch hat ihre Wirkung die Unausweichlichkeit derNaturkrfte: Die Krfte der gewhnlichen Menschen, sagt Meng-tse, beugensich ihr, wie Grashalme sich unter dem Winde beugen.23 Zum Handeln ohneHandeln liest man in einem Text: Die im hchsten Grade vollkommenenMenschen sind durch die Weite und Tiefe ihrer Tugend der Erde gleich;durch deren Hhe und Glanz sind sie dem Himmel gleich; durch derenAusdehnung und Dauer sind sie dem endlosen Raum und der ewigen Zeitgleich. Wer in dieser hchsten Vollkommenheit lebt, zeigt sich nicht, unddennoch offenbart er sich wie die Erde durch seine Wohltaten; er bewegt sichnicht, und doch bewirkt er wie der Himmel vielfachen Wandel; er handeltnicht, und dennoch bringt er wie Raum und Zeit seine Werke zur hchstenVollendung. Nur ein solcher Mensch ist wrdig, die hchste Autoritt zubesitzen und den Menschen zu befehlen24.

    Fest in dieser Kraft oder Tugend verankert, hatte der Herrscher -wang - im antiken China die hchste Aufgabe, als Zentrum zu fungieren, alsdritte Kraft zwischen Himmel und Erde. Man war berzeugt, da von seinemVerhalten insgeheim Glck oder Unglck seines Reiches ebenso wie diesittlichen Eigenschaften seines Volkes abhingen (es ist die Tugend, die andas Sein des Herrschers gebunden ist und nicht sein Tun, das dasBetragen seines Volkes gut oder schlecht werden lt)25. Diese Funktion

    20 Vgl. M O R E T , ebd., S. 4 2 - 4 3 , 45, 48, 293, 300

    21 Vgl. M A S P E R O , La Chine antique, Paris, 1925, S. 144-145 .

    22 Vgl. -te-king XXXVII, zu vergl. mit LXXIII, wo die Attribute des Siegens ohne zu

    kmpfen, des sich Gehorsam-Verschaffens ohne zu befehlen, des An-Sich-Ziehens ohne zurufen und des Handelns ohne zu tun besprochen werden.

    23 Lun-yu, XII, 18,19. Zur Art der Tugend, die der Herrscher besitzt, vgl. Tschung-yung,

    XXXIII, 6, wo gesagt wird, da die geheimen Aktionen des Himmels den hchsten Grad vonUnstofflichkeit haben; sie haben weder Klang noch Geruch und sind fein wie die leichtesteFeder.

    24 Tshung-yung XXVI, 5-6, XXXI, 1.

    25 ber die vollkommenen oder transzendenten Menschen wird im Tshung-yung (XXII, 1;

    XXIII, 1) berichtet, da sie dem Himmel und der Erde helfen knnen, das zu ndern, was zurAufrechterhaltung der Menschen dient, damit diese ihre volle Entwicklung erlangen: so bildensie mit Himmel und Erde eine dritte Macht.

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  • eines Zentrums setzte voraus, da er diese innere triumphale Seinsart, vonder wir sprechen, aufrechterhielt, wie sie sich im Sinngehalt der Worte:Unvernderlichkeit der Mitte widerspiegelt. Dazu kommt noch die Lehre,da sich in der Unvernderlichkeit der Mitte die Tugend des Himmelsoffenbart26. Wenn das der Fall war, gab es grundstzlich keine Macht, dieden geordneten Ablauf der menschlichen Geschehnisse und des Staates httendern knnen.27

    Im allgemeineren Sinne taucht der Gedanke, da der Knig oder dasOberhaupt als erste und wesentlichste Aufgabe die Durchfhrung der Ritenund Opfer bernommen hat, die ja den Schwerpunkt des Lebens in dertraditionalen Welt darstellten, immer wieder in einem weiten Kreis vontraditionalen Kulturen auf, vom prkolumbianischen Peru und dem FernenOsten bis zu den griechischen Stdten und zu Rom, und besttigt damit dieschon erwhnte Untrennbarkeit der kniglichen Wrde von der priesterlichpontifikalen. Die Knige, sagt Aristoteles28, haben ihre Wrde dadurch,da sie die Priester des gemeinschaftlichen Kultes sind. Die wichtigsteHandlung, die dem Knig von Sparta zukam, war die Durchfhrung derOpfer, und das gleiche knnte man von den ersten Knigen Roms und hufigauch von den rmischen Herrschern der Kaiserzeit sagen. Der Knig, mitberirdischer Kraft ausgestattet, im hheren Leben verwurzelt, erschienauf natrliche Weise als derjenige, der die Kraft der Riten am wirksamsten inGang setzen und die Wege zur berwelt ffnen konnte. Deshalb gehrte derKnig in jenen Traditionsformen, wo es eine eigene Priesterkaste gab, aufGrund seiner ursprnglichen Wrde und Funktion dieser als ihr Oberhauptan. Auer im Rom der Anfnge war das auch im antiken gypten der Fall(eben, um die Riten wirksam zu gestalten, wiederholte der Pharao tglichden Kultus, dem man die Erneuerung der gttlichen Kraft in ihm zuschrieb)und ebenso im Iran, wo, wie man bei Firdusi liest und wie Xenophonberichtet29, der Knig auf Grund seines Amtes als Abbild des Lichtgottes aufErden angesehen wurde, zur Magierkaste gehrte und deren Oberhaupt war.Wenn umgekehrt bei gewissen Vlkern der Brauch bestand, das Oberhauptabzusetzen oder gar zu tten, wenn ein Unglck geschah - denn dieserschien als sicheres Zeichen, da die mystische Glcks-Kraft, die ja allein

    26 Vgl. Lun-y, VI, 27: Die Unvernderlichkeit der Mitte ist das, was die Tugend ausmacht.

    Die Menschen verharren nur selten darin.27

    Vgl. A. REVILLE, La religion chinoise, Paris, 1889, S. 58-60, 137: Die Chinesenunterscheiden ganz deutlich das kaiserliche Amt von der Person des Kaisers. Es ist das Amt, dasgttlich ist und das die Person verklrt und vergttlicht, solange sie sich im Amt befindet. Wennder Kaiser den Thron besteigt, gibt er seinen persnlichen Namen auf und nimmt denkaiserlichen Titel an, den er selbst whlt oder der fr ihn ausgewhlt wird. Er ist weniger einePerson als vielmehr ein Element, eine der groen Naturkrfte, etwa wie die Sonne oder derPolar-Stern. Das Unglck, ja selbst der Aufstand der Massen bedeutet, da die Person dasGrundprinzip verraten hat, das nach wie vor aufrecht bleibt: Es ist ein Zeichen des Himmelsfr den Verfall des Herrschers, und zwar nicht als solcher, sondern als Person.

    28 ARISTOTELES, Pol., VI, 5, II; vergl. III, 9

    29 Cirop, VIII, Vers 26; VI, Vers 17.

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  • das Recht gab, Oberhaupt zu sein30, geringer wurde -, so zeigt dieser Brauchdie gleichen Gedankengnge, mag er auch noch so sehr auf einen aberglubi-schen Verfall hinweisen. Bei den nordischen Stmmen galt bis zur Gotenzeitein unglckbringendes Ereignis, obwohl das Prinzip der kniglichen Heilig-keit festblieb (der Knig wurde als Ase und Halbgott angesehen - semideosid est ansis - der auf Grund seiner Glcks-Kraft siegte - quorum quasifortuna vincebat31), nicht so sehr als Fehlen der mystischen Kraft desGlckes - Fortuna -, die an den Knig gebunden war, sondern vielmehrals Folge von etwas, was der Knig als sterblicher Mensch begangen habenmute und was deshalb die tatschliche gegebene Wirkkraft der Fortunagelhmt hatte.32 Weil er die indo-europische Grundtugend, die Wahrheits-liebe, verletzt und sich mit Lge befleckt hatte, verlie z.B. nach derTradition die Glorie, die mystische Wirkkraft, den antiken iranischenKnig Yima.33 Bis zum frnkisch-karolingischen Mittelalter und selbst inner-halb des Christentums traten Bischofskonzile zusammen, um herauszufin-den, auf welche Verirrung der Vertreter der weltlichen und kirchlichenGewalt sich die Ursache eines bestimmten Unglckes zurckfhren lie. Dasstellt noch einen letzten Auslufer des erwhnten Gedankens dar.

    Man verlangte deshalb vom Knig, da er die symbolische und sonnen-hafte Eigenschaft des invictus - Unbesiegten - sol invictus (unbesiegte Sonne) - und damit den Zustand seiner Zentralitt (Mittel-punktshaftigkeit) aufrechterhalte, was dem fernstlichen Gedanken derUnvernderlichkeit der Mitte entspricht. Sonst konnte die Kraft und damitauch das Amt auf den bergehen, der bewies, da er sie besser in sichsammeln konnte. Schon hier kann man auf einen der Flle hinweisen, in demder Begriff des Sieges zum Knotenpunkt verschiedener Bedeutungen wird.Wer ihn im tiefstmglichen Sinne versteht, wird in diesem Zusammenhangdie archaische Sage vom Knig der Wlder von Nemi interessant finden,dessen gleichzeitig knigliche und priesterliche Wrde auf den berging, deres fertigbrachte, ihn zu berraschen und zu ermorden. Bekannt ist dabeiauch der Versuch von Frazer, auf diese Sage vielfltige gleichartige Traditio-nen aus aller Welt zurckzufhren.

    Der krperliche Kampf als Prfung, ob er nun stattgefunden hat odernicht, ist dabei nur die materialistische Ableitung eines hheren Bedeutungs-inhaltes. Er kann auch auf den allgemeinen Gedanken der Gottesurteile

    30 Vergl. J. F R A Z E R , The Golden Bough, ital. bersetzung, R o m , 1925, Bd. II , S. 11 ff; LEVI -

    B R U H L (La mentalite primitive, Paris4 , 1925, S. 318-337, 351) zeigt den Gedanken der so-genannten primitiven Vlker auf, demgem jedes Unglck auf mystischem Wege disqua-lifiziert, als Gegenstck zum anderen Gedanken , da der Erfolg nie allein auf natrlicheUrsachen zurckzufhren ist. ber dieselbe Auffassung, nur in einer hheren Fo rm, die sich aufdas hvaren oder die mazdaistische Glorie bezieht, vergl. Spiegel, Eran. Altert., a.a.O., I II , S.598, 654.

    31 J O U R D A N E S , XIII bei W. Golther , Handbuch der germanischen Mythologie, Leipzig, 1895,

    S. 194.32

    Vergl. M. BLOCH, Les Rois thaumaturges, Strassburg, 1924, S. 55-58.33

    Yasht, XIX, 34-35. Das hvaren hat Yima dreimal verlassen, gem seiner dreifachenWrde als Priester, als Krieger und als Ackerbauer.

    39

  • zurckgefhrt werden, auf die wir noch zu sprechen kommen werden. Umden tieferen Sinn aufzuzeigen, der sich in der Legende des Priesterknigs vonNemi verbirgt, mu darauf hingewiesen werden, da der Tradition nach nurein entflohener Sklave (d.h. esoterisch, ein den Fesseln der niederen Naturentflohenes Wesen) das Recht hatte, sich mit dem Rex Nemorensis (Knigvon Nemi) zu messen, wobei er zuvor noch in den Besitz eines Zweiges derheiligen Eiche gelangen mute. Und diese Eiche ist dem Weltenbaumgleichzusetzen, der in vielen Traditionen ein hufiges Symbol fr die ur-sprngliche Lebenskraft und auch Siegeskraft darstellt34; was besagen will,da nur dann jemand danach streben kann, dem Rex Nemorensis seineWrde zu entreien, wenn er imstande war, dieser Kraft teilhaftig zuwerden. Zu dieser besonderen Wrde mssen wir noch bemerken, da dieEiche und auch der Wald, dessen rex der knigliche Priester von Nemiwar, mit Diana in Beziehung stand und da Diana gleichzeitig die Gemah-lin des Knigs der Wlder war. Die groen asiatischen Gttinnen desLebens wurden in den antiken Traditionen des stlichen Mittelmeerraumeshufig als heilige Bume versinnbildlicht: Vom hellenischen Mythos derHesperiden zum nordischen der Gttin Idun und dem glischen des MagMell, der Heimat strahlend schner Gttinnen und des Siegesbaumesusw., erscheinen immer wieder traditionale symbolische Verbindungen zwi-schen Frauen oder Gttinnen, Krften des Lebens, der Unsterblichkeit oderWeisheit und Bumen.

    Beim Rex Nemorensis offenbart sich also auf Grund der Symbole dieVorstellung eines Knigtums, das sich von der Vermhlung mit einer mysti-schen Kraft des Lebens oder von deren Besitzergreifung herleitet (wobeidiese Kraft ebenso transzendente Weisheit und Unsterblichkeit beinhaltet)und die in einer Gttin oder in einem Baum personifiziert wird.35 Die Sagevon Nemi enthlt daher das in vielen anderen traditionalen Mythen undLegenden wiederkehrende, allgemein bedeutungsvolle Geschehnis eines Sie-

    34 Der Baum Acvattha der Hindu-Tradition hat die Wurzeln oben, also in den Himmeln und

    im Unsichtbaren. (Vergl. Kthaka-UpanishadW, 1-2; Bhagavad-git, XV1-2) Im ersten dieserTexte, in dem der Baum mit der Lebenskraft (prna) und dem Blitz in Beziehung gesetztwird, verweist er unter anderem auf die Eigenschaften der Kraft, die im pharaonischen Zepterversinnbildlicht ist. Zu seiner Beziehung zur Siegeskraft vergl. Atharva-Veda (III, 6,1-3, 4), woder Agvattha als Bundesgenosse Indras, des Kriegsgottes, bezeichnet wird, da er Vrtra tteteund wo er folgendermaen angerufen wird: Du, der Du einem unwiderstehlichen Stier gleichsiegst, mit Dir, oh ac.vattha, knnen wir ber die Gegner triumphieren.

    35 In der gyptischen Tradition wird der Name des Knigs von den Gttern auf den

    Heiligen Baum ashed geschrieben, damit er dort ewig feststehe (vergl. MORET, Royaut. Phar.,103). In der iranischen Tradition gibt es eine Beziehung zwischen Zarathustra, dem Urtyp desgttlichen Knigtums der Parsen, und einem heiligen Baum, der auf dem Gipfel eines Bergesgepflanzt ist (Vergl. SPIEGEL, Er. Altert., I, S. 688). ber die Bedeutung von Erkenntnis,Unsterblichkeit und Leben, die mit dem Baum und den Gttinnen verbunden sind vergl.generell GOBLET D'ALVIELLA, La Migration des Symboles, Paris, 1891, S. 151-206. Im speziel-len, was den iranischen Baum Gaokena betrifft, der die Unsterblichkeit verleiht, vergl.Bundehesh, XIX, 19; XLII, 14; LIX, 5. Schlielich wollen wir die Pflanze erwhnen, die imheroischen Zyklus des Gilgamesch erwhnt ist und von der es heit: Hier ist die Pflanze, diedas ungestillte Verlangen befriedigt. Ihr Name ist: Ewige Jugend.

    40

  • gers oder Helden, der kmpfend in den Besitz einer Frau oder Gttinkommt36, die in anderen Traditionen entweder mittelbar als Hterinnen vonFrchten der Unsterblichkeit dargestellt werden (die Frauenfiguren, die inden Mythen von Herakles, Jason, Gilgamesch etc. mit dem symbolischenBaum in Verbindung stehen) oder unmittelbar als Verkrperungen dergeheimen Welten- und Lebenskraft und auch der auermenschlichen Weis-heit auftreten oder sich schlielich als unmittelbare Verkrperungen desHerrschaftsprinzips zeigen (der unbekannte Ritter oder Held, der Knigwird, sobald er eine geheimnisvolle Prinzessin erobert37).

    Einige der alten berlieferungen ber einen weiblichen Ursprung derKnigsmacht38 knnen ebenfalls so interpretiert werden. Dieser Sinngehaltist allerdings dem frauenrechtlerischen, von dem noch die Rede sein wird,genau entgegengesetzt. Beim Baum sollte noch erwhnt werden, da er ingewissen mittelalterlichen Legenden mit der Kaiseridee in Verbindung steht:Der letzte Kaiser wird vor seinem Tode Zepter, Krone und Schild amDrren Baum aufhngen, der fr gewhnlich im symbolischen Reich desPriesters Johannes39 steht, genau wie der sterbende Roland sein unzer-brechliches Schwert am Baum aufhngt. Ein weiteres Zusammentreffen vonsymbolischen Inhalten: Frazer hat auf die Beziehung hingewiesen, die zwi-schen dem Zweig besteht, den der fliehende Sklave von der heiligen Eichevon Nemi abbrechen mu, um mit dem Knig der Wlder kmpfen zuknnen, und dem Zweig, der es neas gestattet, als Lebender in dieUnterwelt abzusteigen, d.h. als Lebender in den Bereich des Unsichtbareneinzudringen. Dazu kommt, da eine der Gaben, die Friedrich II. vomgeheimnisvollen Priester Johannes erhlt, eben ein Ring ist, der unsichtbarmacht (also: der in die Unsterblichkeit und in das unsichtbare Reich versetzt:Bei den griechischen berlieferungen ist die Unsichtbarkeit der Helden oftgleichbedeutend mit ihrem bergang zur Unsterblichkeit) und den Siegsicherstellt40: genauso wie Siegfried im Nibelungenlied (VI) mit der gleichensymbolischen Gabe der Unsichtbarkeit die gttliche Brunhilde bezwingt undzur kniglichen Hochzeit fhrt. Brunhilde wie Sigrdrife im Sigrdrifuml (4-6)

    36 Vergl. FRAZER, Gold. Bough, I, S. 257-263

    37 Vergl. P. WOLFF-WINDEGG, Die Gekrnten, Stuttgart, 1958, S. 114ff. ber die Beziehung

    zwischen gttlicher Frau, Baum und heiligem Knigtum vergl. auch die Worte des Zohar (III,50b; III, 51a, auch II, 144b, ]45a). Die rmische Tradition des Julianischen Hauses, das seinenUrsprung auf die Venus genitrix und auf die Venus victrix (die schpferische Venus und diesiegreiche Venus) zurckfhrte, weist teilweise auf die gleichen Gedankengnge hin. In derjapanischen Tradition, die bis in die neueste Zeit unverndert blieb, wurde der Ursprung derkaiserlichen Macht auf eine Sonnengttin - Amaterasu Omikami - zurckgefhrt und derMittelpunkt der Zeremonie bei der Machtbernahme - dajo-sai - war die Verbindung, die derHerrscher mit ihr durch die Gabe der neuen Speise erlangte.

    3 8 Im al ten Indien . . stellte sich das inners te Wesen des Knig tums in se inem Glnze in der

    Figur einer gttlichen oder halbgttlichen Frau dar - Shri, Lakshimi, Padm etc., die den Knigauswhlt oder ihn umarmt und neben seinen irdischen Ehefrauen ebenfalls als Ehefrau gilt.Vergl. The cultural heritage of India, Calcutta o. J., Bd. III, S. 252 ff.

    39 Vergl. A. GRAF, Roma neue memorie e neue immaginazioni del Medioevo, Turin, 1883,

    Bd. V, S. 488; EVOLA, Das Mysterium des Grals, Schwarzenburg, 1978.4 0

    Verg l . G R A F , a . a . O . , I I , S . 467

    41

  • erscheint als diejenige, die den Helden, die sie erwecken, die in den Runenenthaltenen Weisheits- und Siegesformeln bertrgt.

    Reste von berlieferungen, in denen die in der archaischen Sage desKnigs der Wlder gegebenen Themen wiederkehren, erhalten sich bis zumEnde des Mittelalters, wenn nicht sogar lnger, und sind immer mit demantiken Gedanken verbunden, da das rechtmige Knigtum Zeichenseiner bernatrlichen Natur auch in spezifischer und konkreter und fastmchten wir sagen experimenteller Weise geben mu. Ein einziges Beispiel:Vor Ausbruch des Hundertjhrigen Krieges verlangt Venedig von Philippvon Valois, da er durch eine der folgenden Proben sein tatschliches Rechtauf den Knigsthron beweise: Die erste, der Sieg ber den Gegner, mit demer an einen abgeschlossenen Platz htte kmpfen sollen, verweist auf denRex Nemorensis und auf die mystische Besttigung, die in jedem Siegesteckt.41 Was die anderen Proben betrifft, so liest man in einem zeitgenssi-schen Bericht: Wenn Philipp von Valois wirklich, wie er vorgibt, Knig vonFrankreich ist, soll er es beweisen, indem er sich hungrigen Lwen aussetzt,denn die Lwen werden nie einen wahren Knig verletzen. Oder aber ervollbringe das Wunder der Heilung von Kranken, wie es die anderen wahrenKnige vollbringen. Im Falle eines Mierfolges wrde man ihn der Herr-schaft unwrdig erachten. Der Gedanke einer bernatrlichen Macht, diesich im Sieg oder in einer thaumaturgischen (wunderttigen) Kraft offenbart,bleibt also in der Zeit eines Philipp von Valois, die sicherlich nicht mehr zurUrzeit gerechnet werden kann, untrennbar mit der Vorstellung verbunden,die man sich traditionell vom wahren und rechtmigen Knigtum machte.42Und sieht man davon ab, ob die einzelnen Personen tatschlich diesemPrinzip und dieser hohen Funktion gerecht wurden, so bleibt doch dieAnschauung, da was den Knigen soviel Verehrung gebracht hat, vor allenDingen die gttlichen Tugenden und Krfte waren, die sich nur bei ihnen

    41 Spter werden wir diesen Gedankengang, der hier, wie auch allgemein beim zur Zeit des

    ritterlichen Mittelalters hufigen Waffenurteil, nur noch in einer materialistischen Formbesteht, genauer besprechen. Nach traditionaler Anschauung war der Sieger nur deshalbsiegreich, weil sich in ihm eine auermenschliche Kraft verkrperte, aber andererseits verkr-perte sich eine auermenschliche Kraft in ihm deshalb, weil er siegreich war: zwei Momenteeines einzigen Aktes, das Zusammentreffen eines Abstieges mit einem Aufstieg.

    42 Vergl. BLOCH, Rois thaumat., a.a.O., S. 16. Die thaumaturgische Kraft ist von der

    Tradition auch fr die rmischen Kaiser Hadrian und Vespasian bezeugt (TACITUS, Hist. IV, 81-SUETON, Vespas., VII) Bei den Karolingern gibt es Anhaltspunkte fr den Gedanken, da dieheilende Kraft quasi materiell sogar die kniglichen Gewnder imprgnierte; beginnend beiRobert dem Frommen unter den franzsischen Knigen und Eduard dem Bekenner unter denenglischen Knigen bis zum Zeitalter der Revolutionen bertrgt sich dann von Knig zu Knigdie bernatrlich heilende Kraft, die zuerst auf alle Krankheiten wirkte und sich spter nur aufeinige beschrnkte. Sie zeigte sich in so vielen tausenden von Fllen, da sie, nach den Wortenvon PIERRE MATHIEU, als einziges kontinuierliches Wunder der christlichen Religion erschien.(Vergl. BLOCH, a.a.O., passim und S. 33, 40, 410). Noch ein C. AGRIPPA (Occ. phil. III, 35)schrieb: Die Knige und Oberpriester verkrpern also, wenn sie gerecht sind, die Gottheit aufErden und haben auch Teil an deren Macht. So gengt es, da sie die Kranken berhren, undschon heilen sie diese von ihren Leiden.

    42

  • und nicht bei anderen Menschen gezeigt haben43. Und Joseph de Maistreschreibt44: Gott schafft die Knige buchstblich. Er bereitet die Knigsge-schlechter vor und lt sie mitten in einer Wolke reifen, die ihren Ursprungverbirgt. Dann zeigen sie sich mit Ruhm und Ehre gekrnt; sie setzen sichdurch, und das ist das grte Zeichen ihrer Rechtmigkeit. Sie steigen wievon selbst empor, ohne Gewalt einerseits und ohne ausdrcklichen Ent-scheid andererseits. Es ist eine gewisse wunderbare Ruhe, die man nichtleicht in Worte kleiden kann. Rechtmige Usurpation wrde mir als ange-messener Ausdruck erscheinen (wenn er nicht zu gewagt wre), um diese Artvon Herrschaftsbeginn zu kennzeichnen, dem die Zeit dann noch mglichstschnell den Segen erteilt.45

    43 C. D'ALBON, De la Majeste royalle, Lyon, 1575, S. 29

    44 J. DE MAISTRE, Essai sur leprincipe generateur des constitutlonspolitiques, Lyon, 1833, S.

    XII-XIII.45

    Auch in der iranischen Tradition herrschte die Vorstellung, da sich die Natur eineskniglichen Wesens frher oder spter unweigerlich durchsetzen msse. (Vergl. SPIEGEL, Eran.Alten. III, S. 599) In der Textstelle des DE MAISTRE kommt wieder die mystische Auffassung desSieges zum Ausdruck, insofern als das Durchsetzen als das grte Zeichen fr die Rechtm-igkeit der Knige angesehen wird.

    43

  • 3. Die polare Symbolik

    Der Herr des Friedens und der Gerechtigkeit

    Man kann die vollkommene und ursprngliche Bedeutung des Knigsamtesmit einem weiteren Kreis von Symbolen und Mythen verknpfen, die alleber verschiedenste Versinnbildlichungen und analoge bertragungen zu einund demselben Punkte zurckfhren.'

    Als Ausgangspunkt kann man den hinduistischen Begriff des cakravartioder Herrn der Welt nehmen. In gewisser Weise kann man in ihm denUrtypus des Knigsamtes sehen, von dem die einzelnen Knigsmter, wennsie mit dem traditionalen Grundgesetz bereinstimmen, mehr oder wenigervollkommene Abbilder darstellen oder von dem sie - nach einem anderenGesichtspunkte - einzelne Ausflsse sind. Cakravarti heit wrtlich Herroder Dreher des Rades, was wiederum zum Gedanken eines Zentrumszurckfhrt, das auch einem inneren Zustand, einer Seins-Art oder bessergesagt der Art des Seins entspricht.

    Tatschlich ist das Rad auch ein Symbol fr das samsra, den Strom desWerdens ( , den Kreislauf der Wiedergeburten oderauch , rota fati, das Rad der Notwendigkeit der Helle-nen), und sein unbewegliches Zentrum drckt die feste, geistige Bestndig-keit desjenigen aus, der diesem Strome nicht unterworfen ist und deshalb dieKrfte und Ttigkeiten, die an die niedrige Natur gebunden sind, nach einemhheren Prinzip ordnen und beherrschen kann. Der cakravarti erweist sichalso als dharmarja, d.h. als Herr des Gesetzes oder des Rades desGesetzes2. Bei Kong-tse (Konfuzius) liest man dazu: Wer kraft seinerhimmlischem Tugend herrscht, gleicht einem Polarstern. Er bleibt fest anseinem Ort, aber alle Sterne kreisen um ihn3. Von daher kommt auch derursprngliche Sinn des Begriffes Revolution als geordnete Bewegung umeinen unbeweglichen Beweger, was sich in moderner Zeit dann zu einemmit Umsturz gleichwertigen Begriff wandelte.

    Unter diesem Blickwinkel erlangt das Knigtum also den Wertgehalteines Poles und verweist damit auf eine allgemeine traditionale Symbolik.

    1 Vergl. R. GUENON, Der Knig der Welt, wo viele der entsprechenden berlieferungen in

    bester Weise gesammelt und gedeutet werden.2 In dieser berlieferung hat das Rad auch einen triumphalen Sinngehalt: Sein Erschei-

    nen als Himmelsrad war ein Anzeichen dafr, da man zu Eroberern und Herrschern schicksals-bestimmt war; einem Rade gleich, wird der so Bezeichnete vorwrtsstrmen, alles berwltigenund beherrschen (vergl. die Legende des Hochherrlichen im Dighanikyo, XVII). Was diegleichzeitig ordnende Funktion anbelangt, so mag man sich hingegen des vedischen Bildeserinnern, (Rg-Veda, II, 23, 3) das vom lichtvollen und doch furchtbaren Wagen der Ordnung(rta) spricht, der die Feinde in Verwirrung strzt.

    3 Lun-y, II, 1

    45

  • Zum Beispiel kann man hier auer Midgard - das mittlere gttliche Land dernordischen Tradition - den Hinweis Piatons bringen: dort, wo Zeus mit denGttern Rat hlt, um ber das Schicksal von Atlantis zu beschlieen, ist ihrerhabener Sitz, der in der Mitte der Welt steht und einen gesamten berblickgestattet auf alles, was am Werden teilhat4. Der vorhin erwhnte Begriffdes cakravarti steht darber hinaus mit einem Zyklus rtselhafter berliefe-rungen im Zusammenhang, die die tatschliche Existenz eines Zentrumsder Welt betreffen, das auf der Erde das hchste Fhrungsamt innehtte.Einige Grundsymbole des Knigtums hatten ursprnglich eine echte Bezie-hung zu dieser Art von Gedankengngen: in erster Linie das Zepter, daseinem seiner wichtigsten Aspekte gem zur Achse der Welt in Analogiesteht5; dann der Thron, der erhabene Ort, wobei durch das bewegungsloseAuf-ihm-Sitzen auer der Bedeutung von Stabilitt, die an den Pol und dasunbewegliche Zentrum gemahnt, noch die diesem entsprechenden innerenund metaphysischen Sinngehalte eingeschlossen sind. Auf Grund der ur-sprnglich anerkannten Entsprechung zwischen der Natur des Knigs undder des Eingeweihten kommt in den klassischen Mysterien immer wieder derRitus des Sich-unbeweglich-auf-einen-Thron-Setzens vor6, der so wichtigerscheint, da er manchmal der Einweihung selbst gleichgesetzt wird: DerAusdruck (inthronisiert) gilt hufig als gleichbedeutend mit, d.h. Eingeweihter7. In der Tat ging in gewissen Fllen beimAblauf der in Rede stehenden Einweihung der , die kniglicheInthronisation, dem Einswerden mit der Gottheit voraus8.

    Dieselbe Symbolik findet sich auch im Zikkurat, der assyrisch-babyloni-schen, in Terrassenform angelegten Pyramide, dann im Plane der iranischenHerrscherstdte (wie in Ekbatana) und im Idealbild des kniglichen Palastesdes cakravarti: hier zeigt sich auf architektonische Weise die Ordnung derWelt mit ihren Hierarchien in ihrer Abhngigkeit von einem unbeweglichenMittelpunkt. Rumlich in einem Gebude entspricht diesem Zentrum ebender Thron des Herrschers. Umgekehrt bringen in Indien und in Griechen-land Einweihungsformen, die das Ritual der sogenannten Mandala verwen-den, in dramatisierter Form den Mysten im allmhlichen bergang vomweltlich-dmonischen zum heiligen Raum, bis er schlielich ein Zentrumerreicht; und ein fundamentaler Ritus hierzu trgt den Namen mukatabishe-ka, d.h. mit Krone oder Tiara auf dem Haupte, denn wer das Zentrum desMandala erreicht, wird zum Knig gekrnt, weil er ber das Spiel derniedrigen Naturkrfte hinausgewachsen ist.9 Es ist auch interessant, darauf-hinzuweisen, da die Zikkurat, das heilige Gebude, das den Stadtstaat

    4 PLATON, Kritias, 121 a-b

    5 R. GUENON, Autorite spirituelle etpouvoir temporel, Paris, 1929, S. 137

    6 Vergl. PLATON, Eutyph., 227 d.

    7 V. MACCHIORO, Zagreus, Florenz, 1931, S. 41-42; V. Magnien, Les Mysteres d'Eleusis,

    Paris, 1929, S. 196.8 MACCHIORO, a.a.O., S. 40; K. Stoll, Suggestion u. Hypnotismus in der Vlkerpsychologie,

    Leipzig, 1904, S. 104.9 Vergl. G. Tucci, Teoria e pratica dei mandala, Rom, 1949, S. 30-32, 50-51.

    46

  • berragt und dessen Zentrum sie auch war, in Babylonien die BezeichnungEckstein trug und in Larsa Ring zwischen Himmel und Erde genanntwurde10: was uns wieder zum Thema des Steines und der Brckezurckfhrt. Der fernstliche Ausdruck dritte Kraft zwischen Himmel undErde ist uns ja auch schon bekannt.

    Das sind Spuren und Entsprechungen, deren Wichtigkeit uns nicht entge-hen kann. Besonders die unerschtterliche Bestndigkeit-Festigkeit weistden gleichen doppelten Aspekt auf. Die indo-arische Formel der Herrscher-weihe hat einen zum Kernpunkt: Stehe fest und unerschtterlich ... Weichenicht. Sei unerschtterlich wie ein Berg. Stehe fest wie der Himmel und haltedie Macht in Deiner Hand fest. Fest ist die gesamte Welt der Lebenden, undfest ist auch dieser Knig der Menschen11. Auch in den Formeln desgyptischen Knigtums stellt die Bestndigkeit-Festigkeit ein wesentlichesAttribut dar, das beim Herrscher zum Attribut der Lebenskraft hinzu-kommt. Und wie die Lebenskraft, auf deren Entsprechung mit einemgeheimen Feuer wir schon hingewiesen haben, hat auch die Bestndigkeit-Festigkeit einen himmlischen Bezugspunkt: Ihre Hieroglyphe ded drcktdie Bestndigkeit der Sonnengtter, die auf Himmelssulen oder -strahlenruhen aus.12 Das bringt uns wieder zur Initiationsebene zurck, denn eshandelt sich dabei nicht um rein abstrakte Gedankengnge: Bestndigkeit-Festigkeit ist ein innerer Zustand und gleichzeitig eine Energie, eineTugend, die sich wie ein Fluidum von einem Knig zum anderen bertrgt,um ihn auf bernatrliche Weise zu sttzen.

    Dem Zustand Bestndigkeit-Festigkeit sind esoterisch noch die Attri-bute olympisch und Friede zugehrig. Die Knige, die ihre uralteMacht auf den obersten Gott zurckfhren und den Sieg aus seinen Hndenempfangen haben, sind Lichter des Friedens im Sturm13. Neben Glorie,Zentralitt (Pol-Sein) und Festigkeit ist Friede eines der Grundattributedes Knigtums, was sich bis in relativ moderne Zeiten erhalten hat: Dantespricht vom Imperator pacificus, dem friedvollen Herrscher, einem Titel,den schon Karl der Groe empfangen hatte. Natrlich handelt es sich dabeinicht um den weltlichen, ueren, auf das politische System bezogenenFrieden, der hchstens Widerschein sein kann, sondern um einen inneren,positiven Frieden, der mit dem schon besprochenen triumphalen Elementverbunden ist, so da er nicht ein Aufhren, sondern vielmehr eine Vervoll-kommnung des Handelns ausdrckt, eines reinen, gesamthaften und in sichgesammelten Handelns. Es ist jene Ruhe gemeint, die tatschlich das ber-natrliche bezeugt.

    Nach Konfuzius14 hat der zum Herrschen bestimmte Mensch im Gegen-satz zum gewhnlichen ein Prinzip der Festigkeit und der Ruhe anstelle derUnruhe; er hat die Ewigkeit in sich anstelle pltzlicher Freudebewegun-

    10 C. DAWSON, The Age of the Gods, London, 1943, VI, 2.

    11 Rg-Veda, X, 173.

    12 MORET, Royaut. Phar., S. 42-43.

    13 Corpus Hermeticum, XVIII, 10-16

    14 Lun-y, VI, 21.

    47

  • gen. Daher kommt diese ruhige Gre, die eine unwiderstehliche berle-genheit zum Ausdruck bringt, die erschreckt und doch gleichzeitig zurVerehrung zwingt, die sich aufdrngt und kampflos entwaffnet, indem siesofort das Empfinden einer transzendenten Kraft aufkommen lt, die zwarvollkommen beherrscht wird, aber immer zur Entladung bereit ist und denwunderbaren und schrecklichen Sinn des numen (unpersnliche, geistigeKraft) aufzeigt.15 Diepax romana et augusta, der kaiserlich rmische Friede,der an den transzendenten Sinngehalt des Imperium Romanum (rmischesReich) anknpfte, kann als eine Ausdrucksform dieses Sinngehaltes inner-halb eines universellen, geschichtlichen Tatbestandes gelten; dagegen ist dasEthos der berlegenheit gegenber der Welt, der beherrschenden Ruhe undder mit der Bereitschaft zum absoluten Befehl verbundenen Unerschtter-lichkeit, das als Charakteristikum verschiedener aristokratischer Gestaltenauch nach der Verweltlichung des Adels verblieben ist, noch als fernerWiderhall jenes Elementes zu deuten, das ursprnglich ebenso kniglich wiespirituell und transzendent war.

    Der cakravarti, der Weltenherrscher, wird auer Herr des Friedensnoch Herr des Gesetzes (oder der Ordnung-rta-) und der Gerechtigkeitgenannt und ist dharmarja. Friede und Gerechtigkeit sind zwei weitereHauptattribute des Knigtums und haben sich in der westlichen Welt bis zuden Hohenstaufen und Dante erhalten, wenn auch in Auffassungen, indenen der politische Aspekt ganz deutlich die hhergelegene Bedeutungberdeckt, die eigentlich immer seine Voraussetzung sein mte.16 DieseAttribute finden sich in der geheimnisvollen Person des Melchisedek, Knigsvon Salem, wieder, der in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine derverschiedenen Verbildlichungen des Amtes des Weltenherrschers: Gue-non hat darauf hingewiesen, da mekki-tsedeq in Hebrisch eben Knig derGerechtigkeit heit und Salem, wo er Herrscher ist, nicht eine Stadt ist,

    15 Wie im Altertum die Blitzeskraft, die durch das Zackenzepter und den pharaonischen

    Uraeus symbolisiert wurde, nicht nur ein einfaches Symbol war, so waren diese Zeremonial-handlungen des Hofes in der traditionalen Welt nicht nur Ausdruck des Hflingswesens unddienten nicht der Schmeichelei, sondern entstanden direkt aus spontanen Empfindungen, diedie knigliche Tugend bei den Untergebenen hervorrief. Vergl. z.B. den Eindruck einesBesuches bei einem gyptischen Knig der XII. Dynastie: Als ich seiner Majestt nher kam,warf ich mich zu Boden und verlor vor ihr das Bewutsein. Der Gott sprach mich mitfreundlichen Worten an, aber ich war wie von Blindheit geschlagen. Die Sprache versagte mir,die Glieder zitterten, und ich sprte das Herz nicht mehr in der Brust, und ich erkannte denUnterschied zwischen Leben und Tod. (G. MASPERO, Les contes populaires de l'Egypleancienne, Paris2, 1889, S. 123 ff.) Vergl. Mnavadharmacstra, VII, 6: (Der Knig) verbrenntwie die Sonne die Augen, die Herzen, und niemand auf Erden kann in sein Antlitz sehen.

    16 Friedrich II. erkennt in der Gerechtigkeit und im Frieden die Grundlage aller

    Regierungen (constitutiones etactapublica Friedendsecundi, in Mon. Germ., 1893-6, Bd. II, S.365). Im Mittelalter wurde die Gerechtigkeit oft mit der Wahrheit zu Einem, um eben denSeinsrang des herrschaftlichen Prinzips anzuzeigen. (Vergl. A. DE STEFANO, L'idea imperiale diFederico II, Florenz, 1927, S. 74) Bei den Goten galten Wahrheit und Gerechtigkeit alsknigliche Eigenschaften par excellence. (M. GUIZOT, Essais sur l'hist. de France, Paris, 1868,S. 266) Das sind erhaltengebliebene Spuren der Urlehre. ber den Kaiser als Gerechtigkeit,die Mensch geworden ist im besonderen, siehe KANTOROWICZ, Kaiser Friedrich, a.a.O., S.207-238, 477, 485.

    48

  • sondern - wie schon die paulinische Exegese vorwegnimmt -, Friedebedeutet.17 Die Tradition verficht die berlegenheit des PriesterknigsMelchisedek gegenber Abraham. Schon jetzt mchten wir darauf aufmerk-sam machen, da es nicht ohne tieferen Sinn ist, wenn gerade Melchisedek inder rtselhaften mittelalterlichen Allegorie der drei Ringe erklrt, daweder Christentum noch Islam mehr wissen, welche die wahre Religion sei;auch wurde die knigliche Religion des Melchisedek oft von der gibellini-schen Ideologie gegen die Kirche verfochten.

    Dabei entspricht Knig der Gerechtigkeit dem Ausdruck dharmarja,der schon fr den Weltenherrscher verwendet wurde. Daraus geht aberhervor, da der Begriff Gerechtigkeit in ebensowenig profanem Sinnverstanden wird, wie der Friede selbst. Tatschlich bedeutet dharma imSanskrit auch Eigennatur, Eigengesetz eines Wesens. In Wahrheit wird aufjene Urgesetzgebung hingewiesen, die hierarchisch nach Gerechtigkeit undWahrheit jede Lebensfunktion und Lebensform nach der jedem Einzelwe-sen gegebenen eigenen Natur ordnet - svadharma -, und zwar nach einemSystem, das nach oben ausgerichtet ist. Eine hnliche Auffassung der Ge-rechtigkeit ist auch fr die platonische Staatslehre kennzeichnend, die nichtso sehr ein abstraktes utopistisches Modell darstellt, sondern in vielerleiHinsicht als ein Widerhall traditionaler Einrichtungen aus ltesten Zeitengelten kann. Bei Piaton hat der Gedanke der Gerechtigkeit - die der Staat verkrpern soll, eine enge Beziehung mit oderdem suum cuique (jedem das Seine) -, mit dem Grundgesetz also, nachdemjeder die Funktion erfllen soll, die seiner eigenen Natur entspricht. So istder Knig der Gerechtigkeit auch der Urgesetzgeber, der Begrnder derKasten und derjenige, der die mter und Riten festlegt, jene ethisch-sakraleGesamtheit, die im arischen Indien das Dharmnga ist und in anderenberlieferungen das lokale Ritualsystem mit d