F05 StaerkstesDorf [P] - Oliver Schulz
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er Hüne mit dem fein gezwirbelten Schnauzbart verzieht keine Miene. Mit nacktem Oberkörper steht er im offenen Gelände zwischen abgeernteten Senffeldern – versteckt in einem Labyrinth
aus hohen Mauern, umringt von traditionellen Bauernhöfen sowie feinen Farmhouses, in denen Millionäre residieren. Dazu duckt sich ein Tempel für den Affen gott Hanuman zwischen alten Feigenbäumen, dürre Mobilfunkmasten ragen in den diesigen Himmel. Ein unwirklicher Platz für Körperkult, doch der Hüne, der es locker auf 1,90 Meter bringt und sich SP nennt, lächelt sanft: „Das ist eben unser Fitnessstudio für alle.“ 13 Kilo hat er auf die Hanteln gelegt. Langsam stemmt er sie erst mit der Linken, dann mit der Rechten. Er ist noch beim Warmup. Wie in einer Zeitblase versteckt, liegt AsolaFatehpur Beri in Delhis feinem südlichen FarmhouseGürtel. Das
Doppeldorf mit gut 5000 Einwohnern, in dem die Reichen der Republik immer neue Wohnpaläste hochziehen, war einst berühmt für seine traditionellen Ringer. Auch heute stemmen die jungen Männer aus der Hirtenkaste der Gujjar noch immer Gewichte, üben sich im Seilspringen und Liegestütz. Allerdings nicht mehr, um sich beim Ringkampf zu messen. Stattdessen haben sie ihren Platz
in der modernen indischen Gesellschaft gefunden – genauer gesagt: vor den Toren der Clubs in den Vergnügungsvierteln der Hauptstadt. Rund 200 Männer aus AsolaFatehpur Beri arbeiten dort derzeit als Türsteher. Sie verachten Liebesheiraten, Alkohol und Pornos – und wenn sie ihren Job antreten, treffen Welten aufeinander. SP wird uns heute Abend mitnehmen auf seine Spätschicht.
Die Hauptstraße des Dorfs wirkt trotz des Geldes, den der Verkauf des wertvollen Lands am Südrand Delhis den einstigen Bauern in die Kassen gespült hat, unscheinbar: eine für Nordindien typische Ansammlung aus Kiosken und Nachbarschaftsläden, Tee
dTExT Oliver Schulz
StärkSteDas
Trainieren im Staub für den Glamour-Job
IrrwItzIndIenS
FOTO Siddharth Jain
Gruppendynamik: auf dem akhara – dem trainingsplatz – treffen sich die Männer zum Work- out (1). Balram „Balli“ vibhay geht zusätzlich noch ins Fitnessstudio (2)
Dorf der WeltTagsüber trainieren sie auf dem Dorfplatz, nachts sind sie Türsteher vor Delhis Nobelclubs: Die Männer von Asola-Fatehpur Beri leben von ihrer archaischen Fitness
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www.siddharth
jain.co.in
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stuben und Apotheken. Das Einzigartige hier ist anderswo: Etwa dreißig junge Männer und einige Zuschauer haben sich am Vormittag auf dem Akhara eingefunden. So heißt der Trainingsplatz, auf dem auch SP trainiert – es ist die
tra ditionelle Bezeichnung für eine Kampfsport arena.
Die Ringer streifen ihre Alltagskleidung ab und wickeln sich kunstvoll die knappen Baumwoll tücher um den Unterleib. Sie ent blößen dabei Ober arme wie Flaschen kürbisse und Schenkel wie Baby bäuche. Letzte Vor bereitungen werden getroffen: Zwei Männer
lockern mit Metall hacken die Erde der etwa zehn mal zwanzig Meter großen Arena. Andere ziehen schwere, an Hanfseilen be festigte Holzbalken darüber, um die Kampffläche plan zu machen.
1. rOutine: täglich trainiert SP auf dem
akhara, oft vor zuschauern 2. KOntrOlle: im
nebenraum beobachten sich die athleten bei ihren
liegestützen im Spiegel 3. andacht: im tempel
neben dem akhara treffen sich trainer vijay
und SP zum Gebet 4. Finale: höhepunkt des
trainings sind die gemeinsamen ringkämpfe
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ebenan, in einem kargen Trainingsraum, praktizieren zwei
Jungen mit überbreitem Kreuz bereits Liegestütze – mit den Händen auf zwei Ziegelsteinen, die Füße werden von einem Helfer auf Hüfthöhe gehalten. Sie sind 16 und 17 Jahre alt, die jüngsten Ringer aus dem Dorf.
„Dies ist eine sehr alte Tradition“, sagt Vijay Pahalwan, der Trainer der Ringer. „Sie nennt sich Kushti, traditionelles indisches Ringen. Außerdem machen wir hier Kabaddi, ein Fangspiel und klassischer Mannschaftssport. Und ganz einfach: Wir joggen viel. Diese Jungs hier leben so gesund, wie es nur geht. Vermutlich sind wir das fitteste Dorf Indiens.“ Wie aufs Stichwort präsentiert uns ganz in der Nähe eine Frau lachend ihre muskulösen Oberarme. Sie ruft durch den Winterwind: „Ich bin eine Pahalwani“, eine Ringerin, wie ihr. Doch Trainer Vijay winkt gleichmütig ab. „Frauen? Nein, nein, Frauen dürfen doch nicht ringen.“ Seine Welt bleibt den starken Männern vorbehalten.
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„Stark? Ja, das sind wir, auch wegen unserer Ernährung“, sagt SP und legt die Hantel beiseite. „Wir nehmen vor allem natürliche Proteine zu uns, dabei täglich vier Liter Milchprodukte: morgens zwei Liter Milch, 250 Gramm Butter, saisonale Früchte, 250 Gramm Sprossen, 250 Gramm Dalia – ein indisches Porridge.“ Mittags verspeist der 28Jährige zusätzlich zu einem indischen Standardmittagessen einen halben Liter Joghurt. Von Doping will einer wie er nix wissen, nicht mal von Nahrungsergänzung: „Nur natürliches vegetarisches Essen. Das ist unsere Religion!“
Eine Horde Affen tobt jetzt vom Tempel her in die Arena und versucht, den von Holz
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bänken zuschauenden Kindern Chips aus ihren Tüten zu stibitzen. Trainer Vijay vertreibt sie mit Steinwürfen. Die ersten Paare haben begonnen zu ringen. Jetzt ist SP an der Reihe. Der 140KiloMann reibt sich die Hände mit Sand ein. „Wir mischen Kurkuma rein“, sagt er. „Das hat eine antiseptische Wirkung.“ Der Kampf ist ausgeglichen. Zunächst hat SPs Gegner keine Mühe, ihn mehrfach auf den Boden zu drücken. Doch in den nächsten Runden behält der Koloss mit dem Schnauzbart die Oberhand. „Ich brauche vielleicht etwas länger, um in Fahrt zu kommen“, sagt SP, als das Training nach drei Stunden vorbei ist und er sich an einem Wasserschlauch an der Mauer zum Tempel den gelben Sand vom Körper spült: „Aber wenn ich erst mal durchstarte, bin ich unschlagbar.“
Nicht weit weg, in einer Nebenstraße des Zentrums, trainiert Balram „Balli“ Vibhay im Steel Fitness Gym. Das erste Studio im Dorf wurde vor 15 Jahren eröffnet, heute gibt es drei. 130 junge Männer gehen regelmäßig hin. BollywoodHits scheppern durch die verspiegelte Halle des „Steel“, eine Traube Jungs
lungert um einen Tresen im Eingang und fummelt an Handys herum, in einem kleinen Schrein für den Elefantengott Ganesh zerbröseln die Opferblumen. Die Geräte allerdings wirken knackig: Han telbänke, Kabelzüge, Klimmzugstange, Beinpressen, Dipsmaschinen, Multipressen, Lauf bänder. Doch ist die Atmosphäre spürbar provinzieller als in den auch von Frauen besuchten Fitnessstudios in New Delhi. Balli ist das egal, er verbindet einfach Tradition mit modernem Sport: „Ich übe morgens auf dem Akhara wie die anderen. Dann laufe ich noch einmal 15 Kilometer, und dann trainiere ich hier“, sagt er, während er die Langhantel stemmt. Zwölf Kilo hat er aufgelegt, 350 Wiederholungen sind angesagt. „Der Akhara ist gut für Schnelligkeit und Ausdauer“, stößt er zwischen zwei Übungen aus, „das Fitnesscenter ist für Stärke und Muskelaufbau.“
abei hilft der 120KiloMann – anders als alle, die rein traditionell trainieren – allerdings ein wenig nach: „Ich habe zwar dieselbe Diät wie sie, aber ich nehme auch Prote
ine zur Ergänzung.“ Jetzt geht er noch an die Kurzhantel: Je 80mal wird Balli die 15 Kilo hochstemmen, und das dreimal auf jeder Seite. Dann ist sein Sportprogramm für heute beendet. Beinahe jedenfalls – denn ein Ziel hat er ja noch. Balli schwingt sich auf sein schweres Motorrad der Marke Enfield Bullet. „Ich muss noch nach Gurgaon“, sagt er. Das ist eine der feinen Satellitenstädte am Stadtrand von
Delhi. „Dort arbeite ich als Trainer in einem Fitnessclub.“
Und auch SP muss sich langsam auf den Weg machen. Denn berühmt geworden sind die Ringer von AsolaFatehpur Beri vor allem dafür, dass sie als Türsteher in Delhis Bars, Clubs und Diskotheken ihren Mann stehen. Auch SP macht diesen Job – im „Zook“ im Nobelviertel Saket in Süddelhi. 800 Euro verdient er dafür pro Monat – dreimal so viel wie ein Grundschullehrer und deutlich mehr als das indische Durchschnittseinkommen von rund 110 Euro. „Die Arbeit ist nicht gefährlich, körperliche Auseinandersetzungen sind selten“, sagt er entspannt. „Allein unsere Erscheinung sorgt für Ruhe.“
Die Fahrt nach Saket dauert eine Dreiviertelstunde. In der Bar lässt ein DJ hinter der schweren Metalltür TechnoBeats über die belebte Tanzfläche dröhnen. Ein nepalesischer Barmann serviert Gin Tonic und Bier. Sikhs mit Turbanen prosten sich in Ledersesseln zu. Draußen steht SP bullig am Tresen und verhandelt mit zwei angetrunkenen jungen Männern. Sie krakeelen und pöbeln, als er ihnen den Eintritt verwehrt. Aber SP bleibt ruhig. „Brüder“, sagt er, „geht besser nach Hause. Macht euch hier doch nicht lächerlich.“ Und tatsächlich verschwinden die beiden nach gut zehn Minuten weiterer Diskussion mit gesenktem Kopf.
So effektiv und einkömmlich es ist, SPs Verhältnis zum Nachtleben bleibt deutlich distanziert. Nein, er habe keine Lust, mal hineinzugehen und ein Glas Bier zu trinken oder mit den Mädchen in der Bar zu tanzen, beteuert er: „Nichts gegen das moderne Leben. Aber den Respekt bekomme ich hier für meine Fitness. Für meine Stärke. Und beides habe ich allein wegen meiner Tradition.“
Kein Alkohol, aber jede Menge Milch
Alte Schule
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d 1. hilFe vOn OBen:
Balli vor dem Ganesha- Schrein im Fitnessstudio
2. teaMWOrK: das Warm- up auf dem akhara wirkt für Beobachter archaisch
3. BeruFunG: trainer vijay und ein türsteher vor einer Bar in Saket
4. auSSicht: von seinem haus blickt coach
vijay direkt in die hinter- höfe von asola
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