FAIRMED vor Ort
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Transcript of FAIRMED vor Ort
vor OrtAusgabe Nr. 194 | Juni 2011
Kamerun Hoffnung für Behinderte Seite 2
Indien Die Schere Seite 8
Projekte Ausgaben 2010 Seite 10
Lydie erzählt uns ihre Geschichte. Es ist die Geschichte vieler Frauen in Afrika. Vor etwa 3 Jahren begab sie sich zur Entbindung ihres Kindes in das nächstgelegene Gesundheitszentrum. Dennoch verlief die Geburt nicht ohne Komplikationen. Ihre Tochter musste wiederbelebt werden, da sie keinen Sauerstoff bekam. Einige Monate später begann Lydie, sich wegen des Entwicklungsrückstands ihrer Tochter ernsthafte Sorgen zu machen.
«Marceline konnte nicht sitzen bleiben und benutzte ihre Hände nicht so, wie ihre Brüder und Schwestern das in diesem Alter getan hatten. Vor allem sah sie mich nicht an.» erzählt uns Lydie.
Von ihrem kleinen, nach Mass gefertigten Holzstuhl aus schaut uns Marceli-ne im Hof des Hauses entgegen. Dann dreht sie ihren Kopf wieder nach links. Neben ihr sitzt Lydie. Wir sind in Comé, Benin, auf einem Projektbesuch, um uns das erfolgreiche Programm «Rehabilitation in der Gemeinschaft» (Programme de Réhabilitation à Base Communautaire, RBC) anzuschauen und erklären zu lassen. Dieses Programm könnte als Modell dienen für unser eigenes Programm in Kamerun.
Die Geburt eines behinderten Kindes kann in einem afrikanischen Dorf auf verschiedene Arten aufgenommen werden. In einigen Gegenden gelten diese Kinder als «Talisman», der Glück
bringt. In Kamerun wer den diese Kinder meist als 'Schlangenkinder' bezeich net.
Damien Ngimbous von der Behörde für die Rehabilitation von behinderten Menschen in Kamerun, der mit uns in Benin ist, erklärt: «Man nennt sie so, weil sie sich nur kriechend fortbewegen können. Auch wenn dies nur hinter vorgehaltener Hand zugegeben wird, kommt es heute noch vor, dass behinderte Kinder am Ufer eines Gewässers abgelegt werden. Wenn man einige Tage später an diese Stelle zurückkommt und das Kind nicht mehr
Hoffnung für Behinderte
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«In Kamerun werden diese Kinder meist
als 'Schlangenkinder' bezeichnet.»
da ist, sagt man, dass es seine Schlangenform wieder angenommen hat und dorthin zurückgekehrt ist, wo es herkam. Sie können sich natürlich vorstellen, warum man sie in Wirklichkeit nicht wiederfindet …».
Für behinderte Menschen ist die Situation in Kamerun extrem schwierig: In einem Umfeld, in dem es weder soziale Unterstützung noch Rehabilitation oder erreichbare Spezialeinrichtungen
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Lydie mit Marceline im Hof ihres Hau-ses, im Hintergrund ihre beiden anderen Töchter.
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gibt, können sie sich keine Hoffnung machen, eine Schule zu besuchen, eine Ausbildung zu machen, unabhängig zu werden und Fähigkeiten zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen, sich um sich selbst zu kümmern, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen oder ein Leben in Würde zu führen. Für eine Familie bedeutet ein behinderter Mensch grössere Armut. Daher gehö
ren behinderte Menschen fast alle zu den Ärmsten der Armen, ebenso wie ihre Familien, wenn diese sie nicht verlassen haben.
Lydie erzählt weiter: «Ich war verzweifelt, meine Tochter in diesem Zustand zu sehen. Sie hat nicht richtig gegessen, sie wurde immer dünner, und ich habe oft die Geduld mit ihr verloren.
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Ich hatte Angst, dass sie sterben würde, aber ich hatte auch Angst, was aus uns würde, wenn sie am Leben bliebe. Und dann ist Lucie zu mir gekommen. Sie hat mir gesagt, dass sie für das Programm RBC arbeitet und dass sie mir helfen kann. Seitdem gehe ich jede Woche zur Kontaktstelle, in der Lucie arbeitet. Dort treffe ich andere Mütter, die Kinder wie Marceline ha
ben, aber auch viele andere behinderte Menschen. Man zahlt 2 000 Franc (ca. 4 Franken) für die Anmeldung und man muss selber sehen, wie man zur Kontaktstelle kommt, aber sonst ist es kostenlos. Eigentlich ist das ein bisschen zu teuer für mich, jede Woche zur Kontaktstelle zu fahren, aber Marceline hat grosse Fortschritte gemacht, seit wir mit dem Programm begonnen haben! Ich werde auf jeden Fall weiter hingehen. Und ein Mal in der Woche kommt Lucie zu mir, oder Michel, einer der freiwilligen Helfer, die sie ausgebildet hat und die mit ihr arbeiten. Es ist toll zu sehen, wie Menschen ihre Zeit für andere opfern. Da wird einem warm ums Herz und ich fühle mich unterstützt.»
In Comé sind seit dem Start des Programms vier behinderte Kinder Lehrer geworden und Hunderten von behinderten Menschen wurde der Zugang zu Schulunterricht, zu einer Ausbildung, einer chirurgischen Operation, einem Rollstuhl, einer Prothese, einem Mikrokredit oder einer Umschulung ermöglicht, d. h. zu Dingen, die es ihnen erlauben, in grösstmöglicher Selbstständigkeit, mit Achtung und in Würde zu leben.
Zurück in Cotonou in einer der Kontaktstellen der Stadt, fragt uns eine Mutter, die wegen einer Umschulung mit
Ein an Buruli erkrankter Junge aus dem Dorf versorgt seine Narbe unter der Auf-sicht seiner Grossmutter.
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ihrem Kind gekommen ist, ob die kamerunische Regierung ihnen mit mehr Ausrüstung und Mitteln für den Transport helfen könne. Wir erklären ihr, dass wir nicht da sind, um Hilfe zu leisten, sondern eher, um von ihnen zu lernen. Denn in Kamerun gibt es noch kein solches Programm. Keine Kontaktstellen, keine technischen Leiter wie Lucie, keine freiwilligen Helfer, die mit behinderten Menschen arbeiten, keine regionalen Ausschüsse, die dabei helfen, Mittel und Gelder zu beschaffen und die Bevölkerung zu sensibilisieren, keine Ausrüstung und kein Geld für Transporte. Die Mutter sieht uns mit ernstem Blick an und antwortet: «Dann müssen sie das in Ihrem Land machen.»
Und genau dafür sind wir da. FAIRMED hat Massnahmen für ein Konzept auf Gemeinschaftsbasis mit Prävention und Behandlung der Beeinträchtigungen bei Lepra und BuruliUlkus in Kamerun in Angriff genommen. Mit dem neuen Programm «Rehabilitation in der Gemeinschaft» wurde in Kamerun der entscheidende Schritt getan, das Programm auch auf die anderen körperlichen Beeinträchtigungen auszuweiten. Unsere kleine kamerunische Delegation in Benin be
steht aus den wichtigsten Mitgliedern des Projektteams. Das Projekt ist eine Partnerschaft zwischen FAIRMED, dem Gesundheitsministerium und dem Sozialministerium von Kamerun. Wir alle sind begeistert von dem, was wir in 34 Tagen gesehen haben, und träumen davon, nach Yaoundé zurückzukehren, um uns an die Arbeit zu machen und den behinderten Menschen
in Kamerun Zugang zu den gleichen Möglichkeiten zu verschaffen. Am Flughafen verabschieden wir Annie, eine mutige junge Frau
aus Kamerun, die aus Begeisterung für das Projekt ihre 3 Kinder unter der Aufsicht ihrer Schwester und ihres Mannes in Yaoundé zurückgelassen hat. Sie wird in Cotonou 9 Monate lang eine Schulung als technische Leiterin des Programms «Rehabilitation in der Gemeinschaft» absolvieren, um nach ihrer Rückkehr den ersten Distrikt Kameruns mit einem derartigen Programm auf die Beine zu stellen. Ich stelle mir vor, was sie bewegt, als wir uns trennen – ein Gefühl zwischen Traurigkeit und Angst, lange Monate alleine in einem fremden Land zu bleiben, aber auch der Stolz, zu einer Gruppe von Pionieren zu gehören, die die Kraft hat, die Dinge zugunsten der
«Wir sind begeistert von dem, was
wir in 34 Tagen gesehen haben.»
Schwächsten in der Gesellschaft nachhaltig und bedeutend zu verändern.
Rehabilitation in der Gemeinschaft ist eine seit den 80er Jahren von der WHO entwickelte und empfohlene Strategie für die Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft durch ein gemeinsames Engagement der behinderten Menschen selbst, ihrer Familien, der Gemeinschaft, in der sie leben, der Regierung und von Partnerorganisationen wie FAIRMED. Diese Strategie ist seit fast 30 Jahren die einzige Alternative zum herkömmlichen Rehabilitationssystem, zu dem
nur etwa 2 % der Bevölkerung Zugang haben, so dass allein in Kamerun mehrere Hunderttausend rehabilitationsbedürftige Personen keine Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Den Teufelskreis der Armut durchbrechen, Menschen und Gemeinschaften den eigenständigen Umgang mit ihrer Situation ermöglichen, den Zugang der Bevölkerung zur notwendigen Versorgung verbessern und die Regierung in ihrem Bemühen unterstützen, den Schwächsten zu helfen – das möchte FAIRMED mit diesem neuen Hilfsprojekt für Rehabilitation in der Gemeinschaft in Kamerun erreichen.
Delegation aus Kamerun (Damien Ngimbous, Alfred Evina und Earnest Njih) mit Frau Amétépé, der stellvertretenden Leiterin des Programms, vor der Kontaktstelle Porto-Novo in Benin.
Die Schere
Bekämpfung der Lepra und für die Verbesserung des Gesundheitswesens ein gesetzt haben» erläutert unser Vizedirektor.
Der ArbeitsalltagWenn Ravi sein Büro in Chennai (Südindien) erreicht, dann wartet ein Meer aus EMails
auf ihn. Im Durchschnitt sind es 75 pro Tag. «Ich tauche in diese Nachrichten ein und beantworte die Mehrheit davon. Im Anschluss treffe ich mich mit
31 Jahre lang arbeitete Jayaraman Ravichandran für FAIRMED in Indien (früher Swiss Emmaus India). Finden Sie heraus, wieso er in diesen Jahren den Spitznamen «Schere» erhalten hat.
PERSÖNLICH8
«Ich war vom Engagement meiner Vorgesetzten sehr
beeindruckt.»
Herr Ravichandran, oder Ravi, wie ihn alle nennen, verinnerlicht all die Eigenschaften, welche gute Wirtschaftsprüfer verkörpern: Detailtreue, Pflicht bewusstsein und eine gute Portion Hartnäckigkeit. Er begann als 22jähriger Praktikant und wollte nach seinem Abschluss als Wirtschaftsprüfer weiterhin im Dienste der Ärmsten tätig sein. «Ich war vom Engagement meiner Vorgesetzten sehr beeindruckt, die sich vorbildlich für die
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Zur PersonName: Ravichandran JayaramanAlter: 53 JahreBeruf: WirtschaftsprüferWohnort: Chennai (Südindien)Familienstand: verheiratet, 2 Kinder
dem Direktor, um den Tagesablauf zu planen.» Viel Zeit wird im Anschluss mit der Überprüfung der Buchhaltung, der Schecks, der BankEingänge und mit ProjektEntscheidungen verbracht. Meistens kommen noch unvorhergesehene Aufgaben hinzu. Kontrollbesuche bei den Projekten lockern den administrativen Alltag auf. Ab 18.00 Uhr, wenn das Büro geschlossen wird, können dann wichtige Dokumente und Angelegenheiten abgearbeitet werden.
Der Detailtreue«Es stimmt, ich bin kleinlich und bei finanziellen Entscheidungen auch sehr streng.» Aufgrund seiner Kontrollarbeit konnten schon mehrere Millionen Rupien gespart werden. «Es gibt immer Möglichkeiten, die Ausgaben zu optimieren.» Die schwierigste Zeit seiner Arbeit beschreibt Ravi kurz nach dem Jahr 2000 als die Leprabekämpfung in den staatlichen Gesundheitsdienst integriert wurde. Plötzlich brauchte es viele Projektmitarbeitende nicht mehr. Ravi erzählt uns: «Es ist immer schwierig und unangenehm eine Kündigung auszusprechen. Menschen sind nicht mit Zahlen gleichzusetzen.»
Der Mann mit der SchereAufgrund seiner Strenge beim Kürzen der Budgets wurde Ravi als 'Schere' bezeichnet. Dies würde im Grunde genommen auch für seine Konsequenz
und Genauigkeit stehen. Es sei schwierig alle Bedürfnisse der ProjektPartner gleichzeitig befriedigen zu können. Man müsse halt zwischendurch als 'Schere' auftreten. FAIRMED wird das Büro nach Delhi verlegen und Ravi wird in Chennai bleiben. Ravi hinterlässt mit seiner Loyalität und Professionalität eine grosse Lücke. FAIRMED bedankt sich bei ihm herzlichst für sein langjähriges Engagement. Das gegenseitige Vertrauen war einer der wichtigsten Gründe, wieso diese Arbeitsbeziehung so lange gedauert hat. Wir wünschen ihm alles Gute für seine Zukunft!
Projektausgaben 2010
Afrika 1 905 966 Kamerun 1 240 058 Basisgesundheit 746 072 Armutskrankheiten 298 611 Lepraprojekte 128 710 Sozialprojekte 66 665
Zentralafrikanische Republik 353 959 Basisgesundheit 301 974 Lepraprojekte 51 985
Übriges Afrika 311 949Elfenbeinküste Basisgesundheit 165 868Nigeria Lepraprojekte 29 035Äthiopien Sozialprojekte 26 737GuineaBissau Lepraprojekte 26 114Gabun Armutskrankheiten 23 684 Mosambik Lepraprojekte 18 716Tansania Basisgesundheit 12 147Marokko Lepraprojekte 9 648
PROJEKTAUSGABEN10
Weitere Informationen zu unserem Mitteleinsatz finden Sie im Jahresbericht 2010. Sie können ihn telefonisch unter 031 311 77 97 und per EMail ([email protected]) bestellen sowie von der Website www.fairmed.ch herunter laden.
84 Projekte in 15 Ländern konnten wir im vergangenen Jahr dank Einnahmen aus Spenden und Legaten in der Höhe von 5.7 Millionen Franken finanzieren. Hier finden Sie eine Übersicht über die Projektausgaben des Jahres 2010.
11PROJEKTAUSGABEN
Asien 1 978 016
Indien 1 702 720 Basisgesundheit 1 104 004 Lepraprojekte 251 964 Aufklärung und Patientenrechte 159 995 Sozialprojekte 127 423 Armutskrankheiten 59 334 Sri Lanka 147 205 Kombinierte Gesundheitsprojekte 69 680 Soziale Entwicklungsprojekte 40 821 Soziale Unterstützung für Kranke 36 704
Nepal 119 298 Basisgesundheit 74 343 Lepraprojekte 37 455 Armutskrankheiten 7 500
Indonesien Armutskrankheiten 8 793
Weltweit 1 830 245 Kolumbien Lepraprojekte 18 819
Diverse Projekt «Stop Buruli» 1 175 500 Information über Projektarbeit 578 136 Koordination weltweite Lepraarbeit 47 398 Nahrungsmittelhilfe 10 392 Total Projekte 5 714 227
SHOP12
Ihr Einkauf hilft
5-er Set Karten mit CouvertsA6Doppelkarten, handgemachtes Papier15.– Franken
Schlüsselanhänger in Elefantenform, handgeschnitzt, Gummibaumholz, 5.5 x 3 cm15.– Franken
Jutetasche 40 x 36 cm, rotbraun, mit Spiral deko28.– Franken
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Heimarbeiter der Holzschnitzerei und der Papiersparte, JuteNäherinnen und Angestellte der Textildruckerei in der geschützten Werkstatt in Hubli, Indien – sie alle sind wegen Lepra, anderen Krankheiten oder Unfällen behindert. Aber sie können dank dem Verkauf von handwerklichen Produkten zum Lebensunterhalt ihrer Familien beitragen – dieses Jahr mit zwei neuen Angeboten. Mit einer Bestellung helfen Sie mit, dass die Behinderten weiter ihr Leben bewältigen können.
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Lichter über BaselDas Sternenleuchten von FAIRMED ist ein fester Bestandteil der Bun-desfeier in Basel geworden – ein besinnlicher Moment im Festtrubel und ein Zeichen der Solidarität mit weniger privilegierten Menschen.
Jedes Jahr kommen mehr Menschen am 31. Juli an den FAIRMEDStand in Basel bei der Mittleren Brücke, um ihren Stern zu kaufen. Sie setzen damit ein Zeichen der Solidarität mit armen Menschen in Asien und Afrika, die sich keine Gesundheitsversorgung leisten können. Der Erlös aus dem Verkauf der Sterne kommt dem Kampf gegen Armutskrankheiten zugute.
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Impressum: Vierteljährliches Magazin von FAIRMED; Redaktion: Anna Opladen; Fotos: S. Opladen, Valèrie Simonet, Simon Huber, E. Dutt; Gestaltung: graphicarts, BernLiebefeld; Druck: Spühler Druck AG, Rüti ZH. Abonnement in Spenden ab 5.– Franken enthalten.