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  • 8/8/2019 FAS: Der Neue im Abschlusstest

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    8 . N O V E M B E R 2 0 1 0 , N R . 4 7 S E I T E 5 5F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N T A G S Z E I T U N G

    Gesellschaft

    EIN BAUMDer Liedermacher Gisbert zuKnyphausen, Seite 57

    Die alten Schwchen der neuenRestaurant-Fhrer, Seite 58

    AM RAN DE

    DER GESELLSCHAFT

    Tanne oder Fichte? ko oderdoch behandelt? Seite 59

    FranzJosefWagner 56Hundehalter 56Kunstmarkt 61Bundespresseball 62Herzblatt 62

    A

    ls sie im Herbst 2009 ihr Abschlusszeugnis in denHnden hielt, war sie zu-

    versichtlich: ein Bachelor,neue berufsqualifizierende Re-

    abschluss der Hochschulen.tzt gehts los, dachte sie. Sier nach dem Abitur nicht wie an-e ins Ausland gegangen und hat-

    zgig studiert. Jetzt, mit 23 Jah-, wollte sie arbeiten und auf ei-

    nen Beinen stehen. Je schnellerin die Praxis kam, desto besser.

    Zuerst versuchte sie es bei denen Unternehmen. Sie hatte In-nationales Marketing studiertd wre am liebsten als Kreativeder Werbung eingestiegen. Man-e Stellen wollte sie um jedenis. Bald hat sie es auch mit Trai-programmen und Praktika pro-rt. In Hamburg, in Mnchen, inProvinz. Am Ende war mir al-

    egal. Ich habe mich auf alles be-rben, was irgendwie mit Wer-

    ng und Marketing zu tun hatte.Bewerbungen. Vier Vorstel-

    ngsgesprche. Meistens kamht einmal eine Absage. Oft htte

    e Ausbildung zur Werbekauf-u gengt. Einmal sollte sie in ei-m Callcenter anfangen. Dafrt du nicht studiert, dachte sie.

    Dabei lag ihre Abschlussnoteer dem Durchschnitt. Sie hattehr Praktika hinter sich als dasdium vorschrieb. Sie lie hoch-rtige Bewerbungsfotos machend ihren Lebenslauf von Profisecken. Fr Vorstellungsgespr-e schminkte sie sich dezenter alsnst. Sie beschreibt sich als team-

    ig und humorvoll. Nach einemben Jahr war sie verzweifelt. Sielt es kaum mehr allein aus.zu kam die Angst vor der wach-den Lcke im Lebenslauf. Im

    mmer schrieb sie sich fr einenaster in Betriebswirtschaft ein.h kann nicht sagen, ob es am Ba-elor lag, sagt sie heute. Viel-cht am Fach. Vielleicht an derse. Mit dem Master jedenfalls

    hofft sie sich bessere Chancen.Der Bachelor wurde von Tei-

    der Wirtschaft herbeigesehnt.r Bachelor war an den Univer-

    ten umstritten. Jetzt ist er da.hrend die Umstellung der Studi-gnge auf einen ersten Abschluss

    nach etwa drei Jahren Regelstudien-zeit den Bachelor und ein zwei-

    jhriges Aufbaustudium den Mas-ter so gut wie beendet ist, wagensich die ersten Absolventen auf den

    Arbeitsmarkt. Dieser Schritt je-doch, behauptet eine aktuelle Un-

    tersuchung, mnde systematisch ineine Sackgasse. Ein Professor vonder Universitt des Saarlandes hatStellenanzeigen ausgewertet undkommt zu dem Ergebnis: Es gibtkeine Einstiegsangebote speziell frBachelor-Absolventen. Entweder

    wird Berufserfahrung verlangt.Oder und das betrifft das Grosder Ausschreibungen es geht umPraktika. Das ist unredlich,schimpft Christian Scholz, Profes-sor fr Betriebswirtschaftslehreund Initiator der Studie. Besondersgreift er 15 Grounternehmen an,deren Personalvorstnde sich schon2004 ffentlichkeitswirksam auf dieFahnen geschrieben hatten, den Ab-solventen der neuen Kurzstudien-gnge attraktive Einstiegschan-cen zu unterbreiten. Eine Auswer-tung der Internetseiten dieser Fir-men befindet: 86 Prozentder Ange-bote seien Praktika. Scholz sagt:Viele Unternehmen machen sichgar nicht die Mhe, sich auf diesen

    neuen Typ einzustellen.Die Gegenseite schumt. Das

    ist weniger eine wissenschaftlicheStudie als vielmehr ein polemi-scher und politischer Beitrag, erei-

    fert sich Volker Meyer-Guckel,stellvertretender Generalsekretrdes Stifterverbands fr die Deut-sche Wissenschaft. Thomas Sattel-berger, Personalvorstand der Deut-schen Telekom und Mitinitiatorder kritisierten Bachelor Wel-

    come-Initiative befrchtet, man wolle den Bologna-Prozess kaputt-reden und den Studenten Angstmachen. Ich rgere mich richtigber diese zweifelhafte Studie,sagt Sattelberger. ProfessorScholz muss zur Kenntnis neh-men, dass die Welt der Unterneh-men anders tickt, als er sich das inseinem universitren Elfenbein-turm vorstellt.

    Tatschlich scheint die Vorge-hensweise des Saarbrcker Be-triebswirts zumindest fragwrdig.Seine Auswertung bezieht sich nurauf Stellenangebote, in denen Ba-chelor als Adressaten erwhnt wer-den. Die Unternehmen halten da-gegen, sie differenzierten in denmeisten Fllen gar nicht zwischen

    Ausschreibungen fr Bachelor,Master oder den alten Titeln Ma-gister und Diplom. Hochschulab-schluss erforderlich, heie esschlicht. Der Rest sei eine Frage

    von Kompetenzen und Persnlich-

    keit. Das ist eine typisch deutscheDenke, dass man nur auf den Ab-schluss guckt, sagt Sattelberger.Unbestritten bleibt allerdings, dassBachelor-Absolventen auf dem Ar-

    beitsmarkt mit Bewerbern hhererAbschlsse konkurrieren mssen.

    Im Idealfall luft es wie bei Tere-sa Conrad. Ich habe wirklichGlck gehabt, sagt die Dreiund-zwanzigjhrige, die in St. Gallen In-ternational Affairs studiert hat. Im

    Juli verschickte sie erste Bewerbun-gen. Im September hatte sie zwei

    Angebote. Im Oktober bekam sieihr Zeugnis. Seit November arbei-tet sie bei einer kleinen, renommier-ten Strategie- und Organisationsbe-ratung in Berlin regulr als Bera-terin. Einstiegsgehalt: 3000 Euro

    brutto. Ihr erster Eindruck ist gut.Sie sei nicht die Kleine, die Kaffeekochen msse. Sie werde einbezo-gen und bernehme eigenstndig

    Aufgaben. Zwar mache sie nochFehler. Aber nur aus Fehlern lerntman, sagt sie.

    Bei Ulrike Dehner, Bachelor in

    Sozialkonomik, lief es hnlichglatt: Zehn Bewerbungen, davon

    vielleicht ein Drittel auf Praktika,sechs Vorstellungsgesprche. Nir-gendwo wurde explizit ein Bache-

    lor-Abschluss verlangt. Nirgendwowar er ausdrcklich unerwnscht.Zwei Monate nach Abgabe ihrer

    Abschlussarbeit trat sie im Oktober2009 eine Stelle beim Berufsfrde-rungswerk Nrnberg an, wo sie eu-ropische Bildungsprojekte betreut.Sie findet, Qualifikation und Ttig-keit passten ganz gut zusammen.

    Die neueste Absolventenbefra-gung der Hochschulen, fr die dasInternational Centre for HigherEducation Research in Kassel (In-cher) die Angaben von 33 000 Stu-denten ausgewertet hat, wartet mitErfolgsmeldungenauf: Bachelor-Ab-solventen sindnichthufiger arbeits-los als Hochschulabgnger mit ande-ren Abschlssen (vier Prozent). Siesuchen nicht lnger nach einer Stel-le (im Schnitt drei Monate) undsind mit ihrem Beschftigungs-niveau mehrheitlich zufrieden. Geis-tes- und Sozialwissenschaftler sto-en zwar auf grere Schwierigkei-ten aber das war bei denalten Stu-diengngen auch schon so. Nur Na-turwissenschaftler und Mathemati-ker mit Bachelorsind deutlichunzu-

    friedener als Kommilitonen mit an-deren Abschlssen. Und die Ein-stiegsgehlter liegen um bis zu20 Prozent niedriger.

    Der Arbeitsmarkt befindet sichim Umbruch. Selbst ein Bachelor-Fan wie Telekom-Vorstand Sattel-berger gibt zu, dass im Mittelstandnach wie vor eine Menge Skepsisgegenber dem neuen Abschlussherrsche. Was der Personaler nichtkennt, stellt er nicht ein. Es gibtUnternehmen, die Bachelor kate-gorisch abblitzen lassen. Wie sollich direkt nach meinem Studiumschon zwei Jahre Berufserfahrung

    vorweisen?, klagen Jobsuchendefrustriert. Unter den Ingenieurenund Informatikern, sagt StefanRenzewitz, Personalmarketingex-perte beim Recruiting-Dienstleis-ter access Kelly OCG, wrdendeutlich mehr Master-Absolventenals Bachelor gesucht. Jahrelang hat-te die Wirtschaft geklagt, das Studi-um in Deutschland dauere zu lang,sie brauche jngere Absolventen.

    Jetzt ist man erschreckt, wie wenigLebens- und Praxiserfahrung21 Jahre alte Berufseinsteiger mit-bringen. Groe Unternehmen ha-ben deshalb Einstiegsprogramme

    speziell fr Bachelor aufgelegt mit Mentoren und Schulungen. Die Ausbildung wird ein bisschen insUnternehmen hinein verlagert,

    sagt Renzewitz wo man sichdann dieser Aufgabe stellt. Ange-sichts von drohendem Fachkrfte-mangel und sich erholender Kon-

    junktur bemerkt er aber auch ei-nen allmhlichen Wandel: Die Ba-chelor sind willkommener, als sieglauben.

    Zehn Jahre nach Einfhrungdes neuen Abschlusses scheinendie Zweifel an den Hochschulengrer als auf Seiten der Wirt-schaft. Die Incher-Studie mit ihrenErfolgsnachrichten steht zugleichfr ein massives Misstrauensvo-tum: Drei von vier Universittsab-solventen schlieen direkt an denBachelor einen Master an. Unddas nicht, weil sie keinen Job gefun-den htten. Die meisten haben das

    von vornherein geplant. Schon sor-gen sich Studentenvertreter um ei-nen Mangel an Aufbau-Studien-

    pltzen. Wenn aber ein Regel-abschluss die Ausnahme bleibt, istdas ein Armutszeugnis.

    Armin Dielforder, der in Mns-ter sein Aufbaustudium in Geowis-senschaften macht, ist berzeugt,dass mit einem Bachelor in seinemFach berhaupt keine sinnvolle T-tigkeit mglich sei. Dielforder un-terscheidet strikt zwischen Ausbil-dung und Bildung und glaubt, erstnach etwa fnf Jahren Hochschuleein fertiger Akademiker zu sein,der zu denken gelernt habe und

    vielseitig Verantwortung berneh-men knne. Er habe sich deshalbfr ein ganzes Studium entschie-den also Bachelor und Master imKombipack. Alte Vorbehalte gegen-ber einem neuen Abschluss. Viele

    Professoren teilen diese Sichtweise. Andreas Eimer seufzt. Der

    Sinn der Studienstrukturreform istbei den meisten Studierendennicht angekommen, sagt der Lei-ter des Career Service der Universi-tt Mnster. Immer wieder muss erseine Pappenheimer aufklren, dassder Bachelor kein minderwertiger

    Abschluss und der Weg auf den Ar-beitsmarkt keinesfalls ein Versagensei sondern eine Option. Um ge-gebenenfalls spter wieder gezieltan die Universitt zurckzukehren.Wir haben doch jahrelang disku-tiert, dass es in der jetzigen Berufs-

    welt nicht adquat ist, einmal fnfbis sechs Jahre studiert zu haben,um damit dann 35 Jahre zu arbei-ten. Durchschnittlich vier kom-plett verschiedene Ttigkeiten beein deutscher Akademiker im Lau-fe seines Erwerbslebens schon heu-te aus; in Amerika seien es zehn.

    Vergangenen Herbst hat Eimer ei-nen Master in Organisationspsycho-logie an einer englischen Universi-

    tt erworben, berufsbegleitend.Mit Mitte vierzig. Das, sagt Eimer,sei das Ziel.

    In Deutschland heie es immer,je lnger du studiert hast, destoschlauer bist du halt, sagt JohannaHasting. Warum?, fragt sie. Undstimme das berhaupt? Die Neun-undzwanzigjhrige leitet das Broeines Europaabgeordneten in Brs-sel. Ein Traumjob, sagt sie. Als siesich 2003 an der Universitt Erlan-gen-Nrnberg fr einen Bachelorin Amerikanistik einschrieb, hattesie noch die Wahl. Aber sie wolltekeinen langwierigen Magister, son-dern ein praxisnahes, rasches Studi-um. Sie sah sich nicht als Akademi-kertyp, eher als Pionierin, immerauf Zack. Schon im Januar 2006, di-rekt nach dem Examen, hatte sie ih-ren ersten Job: eine Hospitanz beider Robert-Bosch-Stiftung in der

    Abteilung fr Internationale Poli-tik. Seitdem ging es steil bergauf.Ein paar Jahre spter sattelte sie ei-nen Master drauf.

    Andreas Eimer sagt: Im Mo-ment sind es die selbstbewusstenBachelor-Absolventen, die sich am

    Arbeitsmarkt plazieren.Und die anderen?

    KEIN TRAUM

    Die Chancen am Arbeitsmarkt sind fr selbstbewussteBachelor-Absolventen nicht schlecht. Grer als die Skepsisder Unternehmen ist das Misstrauen der Studenten selbst.

    Von Julia Schaaf

    NUR SCHAUM

    Der Neue imAbschlusstest

    rung ins kalte Wasser: Nur ein kleiner Teil der Universittsabsolventen wagt sich mit seinem Bachelor auf den Arbeitsmarkt. IllustrationThiloRothacker

    Einmal sollte sie im

    Callcenter anfangen.

    Dafr hast du nicht

    studiert, dachte sie.

    Der Sinn der Reform

    ist bei den meistennicht angekommen,

    sagt ein Berufsberater.