Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...Und Bernd hatte damals eine kleine Band, die hieß...
Transcript of Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...Und Bernd hatte damals eine kleine Band, die hieß...
Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Freistil
Bad Salzuflen weltweit –
Vom Ursprung des musikalischen Pop-Phänomens „Hamburger Schule“
Von Heiko Behr und Christian Möller
Produktion: WDR 2012
Redaktion Dlf: Klaus Pilger
Sendung: Sonntag, 23.06.2019, 20:05-21:00 Uhr
Regie: Susanne Krings
Es sprachen: Fabian Busch, Natalie Rudziewicz und Inga Busch.
Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch, Mechthild Austermann und
Thomas Kupilas
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- unkorrigiertes Exemplar -
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Szene 1
Landstraße. Ein Bus hält, die Tür geht auf.
Fan: Einmal Bad Salzuflen, bitte
Busfahrer: 2,80.
Fan steigt ein.
Busfahrer: Sind Sie nicht ein bisschen jung für ne Kur?
Fan: Was? Achso. Witzig. Nee, ich bin wegen was anderem hier.
Busfahrt. Musik im Kopfhörer.
001 Frank Spilker
Ich habe davon gehört, dass es einen Fan gab, der sozusagen im
Nachhinein versucht hat, die Stätten unseres Wirkens zu erkunden
und dem Mythos nachzugehen...
002 Bernadette La Hengst
Und wer ist das, welchen, wen meinst du?
003 Frank Spilker
Ich weiß nicht, wer das war und wann das war.
Szene 2
Busfahrt. Der Fan lässt sich in den Sitz fallen.
Mädchen: He, junger Mann! Füße vom Sitz!
Fan: Mann. Hast du mich erschreckt!
Mädchen: Tja, so ist der Tonfall hier. Du kommst wohl nicht von hier, he.
- Was hörst du denn da für Musik?
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Fan: Ach...kennst du wahrscheinlich eh nicht.
Mädchen: Sag doch mal.
Fan: Bernd Begemann heißt der.
Mädchen: Nee, kenn ich nicht. Kann ich mal hören?
Fan: Klar, hier.
Musikakzent.
Sprecherin
(singt) Bad Salzuflen weltweit. (spricht) Die Geburt des Diskurspop
aus dem Geiste der Kurtaxe. Ein Feature von Heiko Behr und
Christian Möller.
Szene 3
Busfahrt.
Mädchen: Okay, noch mal ganz kurz, damit ich das schnalle: Du fährst
also stundenlang mit dem Zug in ein Kaff in Ostwestfalen, um dir
anzugucken, wo irgendwelche Bands herkommen?
Fan: Moment, Moment. Das sind nicht irgendwelche Bands. Sagen dir
Blumfeld und Die Sterne was? Die haben hier angefangen, auf ihrem
eigenem Label, das hieß „Fastweltweit“. In den 80ern.
Mädchen: Und wenn das hier passiert ist, wieso weiß ich nichts davon?
Fan: Weil...naja, die Bands, die da waren, sind halt erst später bekannt
geworden, als sie schon weggezogen waren, nach Hamburg zum
Beispiel. Hamburger Schule – schon mal gehört?
Mädchen: Na, die Sterne oder Blumfeld und so Bands...
Fan: Ja, genau. Und die haben dann ja auch andere total beeinflusst.
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Tomte, Kettcar und so.
004 Marcus Wiebusch
Und ich habe das sehr genau verfolgt, auch damals, bevor es
Kettcar gab, mit meiner damaligen Band ...but alive und war ganz
besonders der Band Blumfeld sehr zugetan.
Sprecherin
Marcus Wiebusch, Sänger und Songschreiber der Band Kettcar,
zusammen mit Tomte-Sänger Thees Uhlmann Inhaber des
Independent-Labels Grand Hotel van Cleef.
005 Marcus Wiebusch
Und als das dann zum Bruch kam 1999 von …but alive, war für
mich irgendwie klar, dass ich was mache, was irgendwie einen
Weg findet zwischen dem Übel namens Deutschrock und den doch
sehr sehr tollen Hamburger Bands und den Bands, die
dazugehören, Hamburger Schule und hab dann Kettcar
angefangen.
Weiter Busfahrt.
Fan: Naja, und bei mir wars so, dass ich durch Kettcar und so auf die
Hamburger Schule Bands gekommen bin. Und für mein Blog hab ich
dann halt immer mehr recherchiert...
Mädchen: Wasn fürn Blog?
Fan: So n Musikblog, das ich schreibe. Wie gesagt, dabei bin ich dann
drauf gestoßen, dass die hier in Bad Salzuflen mit dem Musikmachen
angefangen haben. Frank Spilker von den Sternen, Jochen Distelmeyer
von Blumfeld, Bernd Begemann... ja, und ich wollte mir das mal
ansehen. Den Ort, an dem das alles losging.
006 Bernadette La Hengst
Ja, das kann schon sein. Wenn da so viele Leute herkommen, die
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dann doch im Laufe ihres Lebens so viele Lieder geschrieben
haben, die einen berühren, dann kann man sich das schon mal
angucken.
007 Frank Spilker
Und dass man dann aus der Rückschau: Ah, ich kenne aber die
Wurzel von dem! Und so, ne? Und gucke mir jetzt mal an, wo alles
angefangen hat.
Musikakzent.
Szene 4
Der Bus hält. Die beiden steigen auf der Fußgängerzone aus.
Mädchen: So, da wären wir. Zur Linken sehen wir Fachwerkhäuser,
Eisdielen – und zur Rechten Bäckerei mit Stehcafé, Brunnen mit
Heilwasser! Bad Salzuflen, Rock City!
Fan: Ach komm. Ich meine, klar hier is nicht New York, aber...
Mädchen: Nicht New York? Hier ist noch nicht mal Bielefeld.
Sprecherin
Bad Salzuflen, Kreis Lippe, Nordrhein-Westfalen. Etwa 53 Tausend
Einwohner. Bekannt geworden als Thermal-Kurort.
008 Bernd Begemann
Als junger Mensch in Bad Salzuflen war man umgeben von
Siechen und Sterbenden. Und von degenerierten Arbeitern aus
dem Ruhrgebiet, die viermal pro Jahr ne Kur verschrieben
bekamen.
009 Frank Werner
Ich bin selbst in einer Pension groß geworden. Und man hat mir als
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Kind schon beigebracht, möglichst nicht aufzufallen, nett zu den
Gästen zu sein, nicht unangenehme Misstöne zu bringen. Weil die
Leute von dem Kurbetrieb abhängig waren.
010 Bernd Begemann
Zum Beispiel als ich mal mit einem winzig kleinen Transistorradio,
was winzigleise spielte, in eine christliche Bäckerei kam, war das
erste, was die christliche Bäckereiverkäuferin sagte: „Wir wollen
hier unseren Frieden!“ Das ist für mich Bad Salzuflen.
Szene 5
Ein Schulhof. Pausengong, Kinder.
Mädchen: Meine Damen und Herren! Sie denken, das, was sie hier
sehen ist ein ganz normaler Schulhof. Aber weit gefehlt! Es handelt sich
hier um einen musikhistorisch bedeutsamen Ort, wie ihnen sicher dieser
junge Mann hier gern erläutern wird, denn hier haben sich... wie, wie
hießen diese Typen noch mal?
Fan: Frank Werner und Bernd Begemann.
Mädchen: Hier haben Frank Werner und Bernd Begemann sich also
kennen gelernt. Und zwar… wo genau?
Fan: In der Raucherecke.
011 Bernd Begemann
Das muss auf dem Schulhof gewesen sein.
Sprecherin
Bernd Begemann, geboren 1963 in Bad Salzuflen als Sohn eines
Tierarztes. Gehörte in den 70er und 80er Jahren zu dem Kern der
Gruppe von Musikern um das Label „Fast Weltweit“. Wegbereiter
der Hamburger Schule. Auch bekannt unter dem Künstlernamen
„Der elektrische Liedermacher“. Heute zusammen mit der Band
„Die Befreiung“ unterwegs.
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012 Frank Werner
Bernd war ne Klasse unter mir oder zwei Klassen.
Sprecherin
Frank Werner. Ebenfalls Mitbegründer des „Fast Weltweit“-Labels,
für das er als Tontechniker und Studiobetreiber arbeitete. Heute
nicht mehr im Musikgeschäft tätig. Arbeitet als IT-Spezialist in
seiner Heimatstadt Bad Salzuflen.
013 Frank Werner
Und Bernd hat sich quasi regelmäßig in die Raucherecke
gedrängelt und da er damals schon ne schillernde Person war, war
es einfach ihn kennenzulernen
014 Bernd Begemann
Und ich glaub, ich hab ihn angesprochen, weil ich gehört hatte,
dass er ne Bandmaschine hatte. Und außerdem hat er vorher in
der Schulaula irgendwie Mundharmonika gespielt und da dachte
ich mir, jemand der Mundharmonika spielt, pfff, der wird ja nicht so
arrogant sein. (lacht)
Musikakzent.
015 Frank Werner
Und durch ein Gespräch hat sich herauskristallisiert, dass ich einen
Kassettenrecorder hatte, der eine bessere Aufnahmequalität hatte.
Und Bernd hatte damals eine kleine Band, die hieß Vatikan – das
war ne Punkband – und sie haben jemanden gesucht, der
Aufnahmen machen konnte.
016 Frank Werner
Wir haben unser Equipment in einem Herforder Laden
zusammengeliehen, Mikros und haben dann zusammen in einem
Jugendzentrum Aufnahmen gemacht für ein paar Tage. Also das
war der Anfang.
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Musikakzent.
017 Frank Werner
Bernd hat mich in seiner Geradlinigkeit immer beeindruckt. Bernd
ist schlagfertig! Bernd ist sehr prägnant, sehr aussagefähig, also
das fiel auf. Allein durch seine Schlagfertigkeit. Er hat mit wenigen
Worten verstanden, jeden Lehrer aus der Raison zu holen.
018 Bernd Begemann
Frank Werner ist ein wundervoller, sanfter Mensch einfach. Man
fühlt einfach… Ich bin überhaupt nicht esoterisch, aber er hat
wirklich so eine gute Aura. Du weißt, dass er gute Dinge machen
wird. Davon fühlt man sich auch angezogen. Jemand, der
neugierig ist, der aufgeschlossen ist, aber ruhig ist.
019 Frank Werner
Bernd war musikbegeistert. Bernd war ein junger Punk.
020 Bernd Begemann
Und Frank Werner war so ein bisschen hippiesk, aber auch wieder
nicht, weil er ein bisschen wie John Lennon aussah. Faszinierend.
Man hatte so Antennen für Leute in der Zeit, weil es nicht so viele
Leute gab, die irgendwas machten.
Musikakzent.
Szene 6
Schulhof. Laute Kinder drum herum.
Fan: Naja, heute kannst du ja zur Not mit deinem fucking Smartphone
Songs aufnehmen! Damals hat das ganze Equipment tausende von
Euros gekostet!
Mädchen: D-Mark.
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Fan: Jaja, D-Mark. Auf jeden Fall Frank Werner,...
Mädchen: Der Toningenieur?
Fan: Genau. Der hat scheinbar echt einiges auf sich genommen. Hat
seine Kohle für Equipment rausgehauen, obwohl er selbst in keiner Band
gespielt hat. Nur um die Musik von anderen aufzunehmen.
021 Bernd Begemann
Diese Idee hat ihn jahrelang praktisch Haferflocken essen lassen
und Wasser trinken lassen, nur um sich immer bessere
Bandmaschinen kaufen zulassen, bessere Mikrofone kaufen zu
lassen.
Mädchen: Wasser und Haferflocken. Das ist ja nur kurz über Wasser
und Brot.
Fan: Krass, oder?
Mädchen: Naja, der wollte vielleicht auch einfach nur dazugehören. Und
wer war sonst noch so dabei? Ich meine, der wird die Kohle wohl nicht
nur für Bernd Begemann ausgegeben haben, oder?
Fan: Nee, das war ne Clique von Leuten, die sich alle für Musik
interessiert haben. Die kamen auch nicht nur aus Bad Salzuflen.
Sondern hier aus der Gegend. Herford zum Beispiel.
022 Frank Werner
Bernd hat die Schule gewechselt und ist nach Herford gegangen.
Er war auf dem Herforder Gymnasium etwas später und dort hat er
nen Teil der anderen Szene kennengelernt. Zum Beispiel Michael
Girke und Achim Knorr, die waren quasi auf der selben Schule,
soweit ich weiß.
Musikakzent.
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Sprecherin
Achim Knorr, damals Musiker unter dem Künstlernamen „Der
Fremde“, heute als Comedian aktiv. Michael Girke, heute
Filmkritiker und Journalist, damals Sänger und Songschreiber der
Band Jetzt!
Musikakzent.
023 Bernd Begemann
Als ich noch in Herford zur Schule ging mit Michael Girke, war es
für mich ein Fest, wenn ich ein Lied geschrieben hatte, nachts zu
Michael zu gehen. Und dann hatte er vielleicht auch ein Lied
geschrieben und sang mir das vor. Und dann konnte ich auch
meine unglaublich klugen Sachen dazu sagen. Und das ist wirklich
eine Form von vornehmer Kommunikation.
Szene 7
An einer lauten Landstraße.
Fan: Ah, da hinten is es ja. „Gartenbaumschule Spilker“...
Mädchen: ...eine weitere pophistorisch bedeutsame Stätte, nur mit recht
hohem Rentner- und Topfpflanzenaufkommen.
Fan: Jaja, sehr witzig. Warte mal. Ich mach mal schnell n paar Bilder.
Mädchen: Okay, aber nicht jedes Usambara-Veilchen einzeln, ja?
Fan: Nein nein. Hier ist Frank Spilker von den Sternen groß geworden.
Du weißt schon, „Was hat dich bloß so ruiniert“ und so. Kennste? Warte
mal, hier...
Musik vom Handy.
Sprecherin
Frank Spilker, geboren 1966 in Herford als Sohn eines Gärtners.
Sänger und Texter der Band Die Sterne. Vorher mit mehreren Bands
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auf dem „Fast Weltweit“-Label aktiv.
Mädchen: Ah, ja ja ja, schon gut. Das kennt ja nun jeder. Ganz blöd bin
ich nun auch nicht. (Musik stoppt.) Und den Eltern gehörte die Gärtnerei
hier?
Fan: Genau, und der Bauernhof, der dazugehört. In dem Haus hat Frank
in den 70ern mit dem Musikmachen angefangen. In nem Zimmer unterm
Dach.
Musikakzent.
024 Frank Spilker
Ich hab mit meinem besten Freund zusammen Gitarre spielen
gelernt. Und zwar weil sein Vater irgendwie in ner Tanzband
gespielt hat. Und hat uns so ganz geschickt unter Überlassung von
der roten Mundorgel und irgendwelchen anderen Noten und vor
allen Dingen eben auch Gitarren durch n paar Tipps das
beigebracht. Wir haben uns halt gegenseitig so gecoacht. Und
dann auch war natürlich sofort der Wunsch da, ne Band zu
machen. Ich war am Anfang ein völlig unbeschriebenes Blatt. Ich
kannte so n paar Sachen von meinen älteren Brüdern, also rum
liegengelassene Beatles-Singles und den ganzen Popkram von
damals, 70er Jahre, Abba, oder was weiß ich. Und hab dann
irgendwann mit der Neuen Deutschen Welle vor allem meinen
Horizont stark erweitert. Das war aber auch einfach ne Altersfrage
oder ne gewisse Koinzidenz. Weil wir waren wahnsinnig gut
informiert über den englischen Radiosender also über BFBS.
Sprecherin
BFBS – British Forces Broadcasting Service. Soldatensender der
Britischen Armee. In den 80er Jahren bekannt für seine progressive
Musikauswahl und deshalb auch in Deutschland beliebt.
025 Frank Werner
Ich hab sehr viel BFBS gehört, ich hab sehr viel John Peel gehört.
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John Peel moderiert Musik an.
Sprecherin
John Peel, einflussreicher britischer Radio-Moderator und DJ.
Verhalf in seinen Sendungen vielen Bands aus dem Punk- und
Independent – Bereich zu Bekanntheit. Seine Sendung „John Peel's
Music“ bei BFBS wurde auch von Deutschen viel gehört. Dort
spielte er auch unbekannte deutsche Bands.
026 Frank Spilker
Man hat aber eben über John Peel auch Sachen mitgekriegt, also
richtigen Punk mitgekriegt, was weiß ich so, die Mimmi's in Bremen
oder irgendwelche abgefahrenes Zeug, oder FSK lief da und so.
Das hat natürlich das allgemeine Verständnis von Neuer Deutscher
Welle auch überschritten. Im regulären Radioprogramm lief sowas
dann natürlich nicht.
Musikakzent.
Szene 8
Eine Landstraße.
Mädchen: Okok, cool, hab ich schon verstanden, aber mit den Sternen
hat das ja wohl weniger zu tun.
Fan: Nö, Frank Spilker hatte ja vorher noch so ein anderes Projekt, das
hieß The Discount. Hier, hör mal...
Musik aus dem Handy.
Mädchen: Hä? Ich dachte, das wären alles so Gitarren-Bands...
Fan: Nee nee nee! Das denken ja immer alle! Aber in diesem Studio
haben die ja ganz viel rumexperimentiert. Das waren ja richtig viele
Leute! Eben Bernd Begemann, Frank Spilker, dann Achim Knorr, Frank
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Werner...
Mädchen: Ah, der mit den Haferflocken.
Fan: Genau. Der hat sich nämlich hier n Studio gebaut. „Klangforschung“
haben sie das genannt. Weil sie halt neue Sachen ausprobieren wollten
Mädchen: Und das war hier?
Fan: Ja.
Mädchen: Ist aber schon ein ganz schönes Stück außerhalb. Also, ich
war hier noch nie.
Fan: Muss, muss hier gleich sein. In ner Wohngegend, steht im Internet.
Irgendwo am Wald.
027 Frank Werner
Ihr müsst Euch da eine große Villa vorstellen, die mit mehreren
Parteien bewohnt wird, ein Mietshaus und der Nachbartrakt des
Mietshaus ist eine kleine Bruchsteingarage, 40 m² mit drei Räumen
unterteilt, ein Aufnahmeraum, eine Schlagzeugkabine und ein
Abmischraum.
028 Bernadette La Hengst
Das war ein extrem super Ort, also mitten im Wald und so
unentdeckt. Und da konnte man abhängen, Bier trinken und dazu
noch Musik machen.
Szene 9
Waldgeräusche, knackende Äste.
Fan: Ja, da. Da ist es, ich mach mal eben ein paar Fotos.
Mädchen: Fotos von außen? Lass uns doch mal reingehen, meintest du
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nicht, dass das leer steht?
Fan: Naja, das wird im Netz halt zum Verkauf angeboten. Aber ich weiß
doch nicht...
Mädchen: Wir können ja mal sehen, ob wer da ist.
Fan: Ach, komm, lass mal lieber.
Mädchen: Du wolltest das doch unbedingt sehen.
Fan: Ja, aber...
Mädchen: Das ist nicht dein Ernst, oder? Du fährst hunderte Kilometer
durch die Gegend, um zu sehen, wo deine Musik-Heroes herkommen
und jetzt, wo wir da sind an dem Ort, wo alles passiert ist, bei dem
Studio, kommst du mit „Privatgrundstück“?
Fan: Und wenn uns wer beobachtet?
Mädchen: Boah, echt! Komm. Komm, wir klettern einfach mal rüber
und... Mach mal Räuberleiter...
029 Bernd Begemann
Und dann war da noch Bernadette Hengst
Sprecherin
Bernadette La Hengst, bürgerlich Bernadette Hengst, geboren 1967
in Bad Salzuflen. Bekannt geworden in den 90er Jahren mit der
Band Die Braut haut ins Auge. Später Solokünstlerin und
Theatermacherin.
Musikakzent.
030 Bernadette La Hengst
Ich kannte Frank halt von der Schule, wir hatten zusammen auch
Theater gespielt und ich wusste, dass er in einer Band spielt und
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ich fand das auch immer cool. Wir waren in den Freistunden oder
wenn wir blau gemacht haben bei ihm in seinem Zimmer, bei
seinen Eltern in der Gärtnerei, das war gegenüber von unserer
Schule. Und er wusste auch, dass ich singe, aber ich hatte noch
keine eigenen Stücke geschrieben. Also ich hab ja auch noch nie
irgendwas aufgenommen gehabt. Ich glaub, die erste Band, die ich
dann dort gesehen hab beim Aufnehmen war Der Fremde, also
Achim Knorr. Und das hat mich extrem beeindruckt, wie der
gesungen hat und seine eigenen Texte gesungen hat. Das hat mir
Schauer über den Rücken laufen lassen und ich hab gedacht:
Wow, und das sind seine eigenen Texte, der erzählt mir was. Und
das hat was mit mir zu tun.
031 Bernd Begemann
Rückblickend bin ich so froh, dass sie dabei war. Ich meine, wie
furchtbar ist eine Szene, wo nur Jungen sind. Das ist echt
grauenhaft.
032 OT Bernadette La Hengst
Ich hab das nicht so richtig wahrgenommen, dass ich das einzige
Mädchen bin. Also damals, ich hatte jetzt keine Idee von
Feminismus oder so.
033 Bernd Begemann
Sie ist sowieso eine Abenteuerin. Bevor sie bei Fastweltweit
aufgetaucht ist, ist sie allein mit ihrer Akustikgitarre rumgetrampt
und hat Straßenmusik gemacht. Das ist eine Sache, die sich die
Jungs nicht getraut hätten. Michael Girke und ich haben mal
Straßenmusik in Paris gemacht, für zehn Minuten. Dann fanden wir
das zu beängstigend. Bernadette hat das monatelang gemacht,
meine Güte. Also die war bestimmt tougher als wir Jungs, auf
jeden Fall.
Szene 10
Auf dem Grundstück.
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Mädchen: So eine müsste es mal bei mir in der Schule geben. Bei mir
sind wirklich nur Weicheier und Loser. Und damit mein ich vor allem die
Jungs. (Türquietschen.) Ist auf!
Fan: Ich glaub, das Besondere bei denen war, dass dieses Jungs-
Mädchen-Ding irgendwie nicht wichtig war. Das waren halt alles
Außenseiter und komische Freaks. Also aus der Sicht ihrer
Klassenkameraden. Ich glaub, das war so ein „Wir gegen den Rest der
Welt“-Gefühl, das die da hatten…
Mädchen: Boah ey. Ganz schön muffig hier. Wo ist n der Lichtschalter?
Ah, hier. Naja, ne? Fahrräder, n paar Gartenstühle...sieht irgendwie nicht
so nach Studio aus. Ich schau mal da hinten.
Fan: Ja, aber... Hier stand wahrscheinlich, das hier… Hier stand das
Mischpult, wo Frank Werner saß. Und da hinter der Glasscheibe, der
Raum für die Musiker.
Mädchen (aus dem Nebenraum): Krass! Was ist das denn? Ich
glaube, das ist…
Fan: Was denn?
Mädchen: Das ist ja... das erste Blumfeld-Demo?
Fan: Waaaaas?
Mädchen: Hahaha, verarscht!
Fan: Oh Mann.
Musikakzent.
034 Bernd Begemann
Jeder hat für sich geschrieben und kam dann damit an und hat es
entweder allein realisiert oder mit Hilfe der anderen. Und die
anderen haben vielleicht so ein bisschen drin rumgenölt. „Das würd
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ich aber nicht sagen.“ Oder „Hey, das ist aber interessant, wo hast
du das denn her?“ – „das hab ich nirgendwo her, das hab ich mir
selbst ausgedacht!“ Alles ein bisschen kindlich.
035 Frank Spilker
Im Grunde ist es ja so ne Hippie-Kollektiv-Idee, dass man diese
Einheiten von Bands in Frage stellt, also jetzt nichts Neues, aber
es war halt irgendwie auch hip. Und hatte vor allen Dingen, glaub
ich, in der Situation, wo einige der Songschreiber gar keine Band
hatten – also nämlich Bernd Begemann zu der Zeit hatte keine
Band, Michael Girke nicht. Und Distelmeyer auch nicht. Sozusagen
die Ressourcen der anderen mit zu nutzen. Das heißt, wir haben
unsere Musiker durcheinandergewürfelt.
036 Bernd Begemann
Es hat sich immer so ergeben... Soundso nimmt gerade was auf,
komm doch mit und mach ein paar Handclaps'. So ging das über
Jahre. Und die Handclaps waren dann immer ein bisschen exakter.
Es ging darum was einzufangen, was wir sind. Wir wussten für uns
selbst nicht, was wir genau sind. Aber in diesem Studio, in der
Klangforschung, sollte das rauskommen.
037 Bernadette La Hengst
Es war auch so, dass wir uns alle gegenseitig sehr in Beschlag
genommen haben, sag ich mal. Wir waren alles sehr
mitteilungsbedürftige Menschen, die Leute sehr in Beschlag
nehmen können. Es war teilweise so in Beschlag, dass man nur
noch in dieser Welt sich bewegt hat. Also alle Gedanken, die
ausgetauscht wurden, waren für mich für zwei Jahre ungefähr
wichtiger als die Gedanken von anderen Leuten.
038 Bernd Begemann
Unsere Aufnahmen... ich sag jetzt unsere, obwohl einige
verwehren sich gegen diese Vereinnahmung und so... aber ich
sage jetzt unsere, weil das war die Sache, die uns wirklich geeint
hat. Wir wollten unsere Stimme finden. Und wir wollten nicht so
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klingen wie die Typen im Radio.
Szene 11
Landstraße, Autos fahren vorbei.
Mädchen (schreit hinterher): Arschloch! In deine fette Karre wär ich eh
nicht eingestiegen, du blöder Wichser! Dieses Warten auf Leute, die sich
erbarmen, ey, das nervt hier echt am allermeisten. Ja, man kommt hier
einfach echt nicht weg. Zumindestens am Abend und am Wochenende.
Dann trampst Du halt. Und wenn du darauf keinen Bock hast, musst du
nett zu deiner älteren Schwester sein, mit Führerschein. Oder du
brauchst n Freund, der halt 18 ist. Ok, scheißegal. Also, wo fahren wir
jetzt genau hin?
Fan: Nach Enger, ins Forum. Aber weißte, wie das weiterging? Bernd
wollte nämlich raus aus Bad Salzuflen.
Mädchen: Joah, das wundert mich gar nich.
Fan: Der wollte auch die große Karriere. Und damals gab´s einen Typen
namens Alfred Hilsberg, der hatte so n Label...
Sprecherin
Alfred Hilsberg, Musikjournalist und Labelbetreiber. Trug mit seinen
Artikeln wesentlich zur Verbreitung von Punk und New Wave in
Deutschland bei. Erfand den Begriff Neue Deutsche Welle. Auf
seinem Label ZickZack erschienen unter anderem die ersten Alben
von Blumfeld.
Mädchen: Ah, guck mal, geil, der hält. (Auto fährt vorbei.) Oh, du
blöder Wichser, du!
Fan: Naja, und zu dem Hilsberg hat Bernd halt n Demo geschickt.
Mädchen: Ich weiß, was jetzt kommt. Ja, und er ist von hier aus nach
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Hamburg getrampt, oder?
Fan: Nee, nicht ganz. Frank Werner hatte zum Glück n eigenes Auto.
Musikakzent.
039 Bernd Begemann
Ja, klassisch. Frank Werner und ich fahren mit diesem wirklich
schlechten Auto nach Hamburg und warten stundenlang auf Alfred
Hilsbergs Türschwelle auf den großen Mann selbst. Der immer so
was wie als „Der Szenepapst“ bezeichnet wurde. Und der dann..
Wenn Alfred Hilsberg eine Platte von dir rausbrachte, hattest du
auf jeden Fall ne große Besprechung in den paar
Musikzeitschriften, die zählten. Und damals haben Leute wirklich
religiös Musikzeitschriften gelesen. Und wenn irgendwas „Album
des Monats“ war, wurde das auch gekauft!
040 Frank Werner Und in der Wohnung selbst war das ein
besonderes Gefühl, weil er hatte vor seinem Kassettenrecorder
einen riesigen Haufen Kassetten. Und ich glaube eine der oberen
Kassetten war die von uns. Und die Hoffnung war für uns am
Anfang, also von den Sachen von 83, dass ein Stück auf einem
lokalen Sampler erscheint
041 Bernd Begemann
Und er hört sich unsere Aufnahmen an und geruht, sie nicht
rauszubringen.
042 Frank Werner
Und danach haben wir von Herrn Hilsberg nichts mehr gehört.
Also, letztlich viel Rauch um nichts.
Musikakzent.
Szene 12
Landstraße.
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Mädchen: Ja, das ist ja beschissen. Fahren die da extra zum großen
Plattenboss hin. Und dann wird das alles nichts.
Fan: Ja, aber irgendwie haben sie sich davon nicht kleinkriegen lassen.
Vor allem Bernd.
043 Bernd Begemann
Ich hatte eine heroische Haltung dem Leben gegenüber. Das kann
mich alles nicht brechen. Was soll´s. Ein Typ will deine Platte nicht
rausbringen. Na und? Ich bin jung, ich bin stark, ich hab noch
tausend Lieder in mir. Irgendwie werden die rauskommen,
irgendjemand wird das hören
Fan: Bei den anderen war es ähnlich. Die waren so frustriert, dass sie ihr
eigenes Label gegründet haben.
Mädchen: Ja, apropos frustriert, ey. Ich dreh hier langsam echt durch.
Ey, nix passiert, immer nur warten. Warte, der da hält! Garantiert! (Sie
läuft vors Auto.)
Fan: Ey, geh von der Straße runter! (Wagen bremst.)
Mädchen (zum Fahrer:) Super, vielen Dank! Wir wollen nach Enger, ist
das ok? (zum Fan:) Alles klar! Wir können mit!
Fan: Ach super. Na dann. (Beide steigen ein.)
Musikakzent.
Autofahrt.
Mädchen: Ok, sorry, was hast du eben noch mal erzählt?
Fan: Naja, diese Absage an Bernd war glaub ich hart. Und da haben die
anderen sich überlegt, dann gründen sie halt einfach ein Label, „Fast
weltweit“ eben.
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Mädchen: Komischer Name.
044 Bernd Begemann
Es ist irgendwie so lustig gemeint. Aber es ist irgendwie so ein
Loserwitz. So ein Loser, der sagt, ja, wir sind ja fast weltweit
vertreten. Und zwar in Herford. (lacht) Das ist so, wir können es ja
eh nicht schaffen. Gerade wenn man Provinzloser ist, darf man
nicht raushängen lassen, Provinzloser zu sein.
Mädchen: Stimmt, man darf sich nicht immer selber so runtermachen!
Und woher hatten die damals Geld, eine eigene Plattenfirma zu
gründen?
Fan: Naja, keine richtige Plattenfirma in dem Sinn. N kleines Indie-Label.
Die haben alles selber gemacht. Bei Frank Werner hatten sie das Studio,
da heben sie aufgenommen. Dann haben sie die Aufnahmen auf
Kassetten überspielt.
045 Frank Werner
Es waren ein paar Kassettenrecorder da und zur Not haben wir uns
sogar selbst in schülerhaftem Sinne 10 – 20 Recorder geliehen und
dann Serie mit gemacht.
Fan: Das Coverdesign hat die Freundin von Frank Werner gemacht.
Naja, und dann haben die Bands ihre Tapes selber in die Plattenläden
gebracht.
Mädchen: Wow, also das nenn ich echt mal Indie!
046 Frank Spilker
Das ist ganz stark das Ding von Frank Werner gewesen. Für den
ist es immer ein Ideal gewesen, unabhängig von großen
Plattenfirmen auf so nem Indie-Level Kultur, Musik zu vertreiben,
ohne dass das große kommerzielle Ding ins Spiel kommt. Für
Frank war das immer ganz wichtig.
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Das ist das auch, was er im Grunde anschieben wollte mit seinem Studio, mit der
Zusammenarbeit mit uns.
047 Frank Werner
Es war vor allen Dingen das Bedürfnis, zusammen ein eigenes
Sprachrohr und ein gemeinsames Sprachrohr zu bilden. Das heißt,
der wichtige Punkt war für uns, dass allein eine Band sehr wenig
Möglichkeiten hat, wahrgenommen zu werden. Und wir haben uns
erhofft, im Zusammenschluss bessere Möglichkeiten für uns
herauszuarbeiten. Also einfach aus dem Gedanken: gemeinsam
wird man besser wahrgenommen.
048 Frank Spilker
Dieses ganze Fast-Weltweit-Ding ist ja n Cliquen-Phänomen. Du
hast natürlich die Protagonisten, die ne Band gemacht haben, die
jetzt vielleicht auch bekannt sind; du hast irgendwie so einen
Katalysator wie das Studio von Frank Werner; aber auf der
anderen Seite gab's auch sozusagen die Multiplikatoren
sozusagen, im Publikum. Also, unsere Freunde und Freunde von
Freunden, die dann so dafür gesorgt haben, dass das auch n paar
Leute mitbekommen haben. War ja nicht viel, also, es war ja –
deshalb red ich auch von ner Clique – so vielleicht 50 Leute oder
so oder 100 Leute, die dann bei den Konzerten waren, aber auch
nur, wenn alle Bands gespielt haben. Was irgendwie zwei-, dreimal
nur vorgekommen ist, überhaupt.
Szene 13
Landstraße.
Fan: Okay, danke fürs Mitnehmen. (Das Auto fährt weg.)
Mädchen: Und? Hier soll es jetzt sein – das Forum?
Fan: Ja, da drüben. Sieht eher zu aus.
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Mädchen: Sieht sehr zu aus, wenn du mich fragst. Kann ich mir jetzt
auch gar nicht vorstellen, dass in so nem Minikaff n wichtiger Club sein
soll. Guck noch mal in dein Handy.
Fan: Warte mal. Ah, hier steht´s doch...
Sprecherin
Forum Enger. Musikklub in der ostwestfälischen Stadt Enger, Kreis
Herford. 1974 als Jazzclub gegründet, wurde er in den 80er Jahren
zu einem wichtigen Veranstaltungsort für Punk-, Hardcore- und
Indie-Konzerte. Von den Lesern der Musikzeitschrift Spex zum
besten Club Deutschlands gewählt. Im Forum machten viele
internationale Acts Station, die sonst nur in größeren Städten
auftraten.
Fan: Sogar Nirvana haben hier damals gespielt…
Mädchen: Ja, is klar. Und Vorband Pearl Jam und danach noch R.E.M.,
wenn die gerade mal Zeit hatten…
Fan: Ganz im Ernst, Nirvana war hier die Vorband, die haben vor 40
Leuten gespielt. Die Leute sind in den 80ern ausm Ruhrpott angereist,
um hier Bands zu sehen.
Mädchen: Hab ich nie was von gehört.
Fan: Ah… kein Wunder, hier steht´s. Guck mal: Die haben 1998 dicht
gemacht. Ich mach trotzdem n paar Fotos.
Mädchen: War ja klar…
Bands, die im Forum Enger spielten. Nirvana live.
049 Frank Werner
Das Forum ist ein kleiner selbstorganisierter Club in Enger
gewesen, der hat dort mehrere Jahre existiert, wird heute in
Bielefeld weitergeführt. Und die Leute haben dort sehr sehr
24
eigenständig über ihr Musikprogramm entscheiden können und das
war für uns eine Möglichkeit aufzutreten und eine sehr gute
Möglichkeit, also andere Bands zu sehen.
050 Bernadette Hengst
Also es gab dann fast so eine Zwanghaftigkeit, in dieses Forum
Enger zu gehen. Das hatte immer mittwochs und sonntags Disco.
Sonst natürlich auch Konzerte, aber vor allen Dingen diese Disco-
Termine mussten von mir unbedingt eingehalten werden. Weil
wenn ich da nicht hin konnte, dachte ich, die Welt bricht
zusammen. Ich verpasse… Ich verpasse alles! Für den Rest
meines Lebens!
051 Christoph Jacke
Und ich glaube, dass das Forum Enger als kleiner Klub, der aber
weltweites Renommee hatte, im Grunde ein Punkt war, an dem
Musiker, Fans, spätere Booker sich getroffen haben.
Sprecherin
Christoph Jacke, Pop- und Medienwissenschaftler an der Uni
Paderborn.
052 Christoph Jacke
…und man natürlich die Welt in Enger vorgesetzt bekam und wo
eben Menschen aus dem Ruhrgebiet, aus Hannover, aus Münster,
aber auch aus dem Ostwestfälischen selbst, hin pilgerten
geradezu. Denn jede angesagte Band hat sicherlich auch in Berlin
oder Köln gespielt, aber erst Recht oder manchmal auch nur in
Enger.
Musikakzent.
053 Frank Werner
Ich hab Jochen im Forum kennengelernt und das war der Junge
mit dem Regenschirm. Also wirklich mit altem Trenchcoat und
25
Regenschirm, so kann man ihn sich damals vorstellen.
Sprecherin
Jochen Distelmeyer, Jahrgang 1967. Ehemals Sänger und Texter
der bis heute einflussreichen Band Blumfeld, heute Solokünstler.
054 Frank Werner
Und der hat zur damaligen Zeit noch englisch gesungen, seine
Band hieß White Palms. Und dann waren die ersten
Überzeugungssachen „Warum singst du denn englisch und warum
nicht deutsch?“ und sicher, etwas später hat er dann Personen wie
Bernd kennen gelernt und dann war die Überzeugung sehr leicht.
Aber auf der anderen Seite, es war üblich halt bei den meisten
Bands, sich in Englisch erst auszudrücken.
055 Bernd Begemann
Deutsch singen war Schlagersänger oder Liedermacher, die gegen
Atomkraft sind und so.
056 Frank Spilker
Es ging zu der Zeit echt nur Fun-Punk, so, alles andere konnte
man nicht auf Deutsch machen. Was man hört als Musiker, ist
immer das Übliche: Ja, das klingt ja nicht so gut, man kann ja auf
Deutsch nicht so gut singen wie auf Englisch und so weiter.
057 Bernd Begemann
Oder deutsch wäre hässlich. Das ist weil es hässlich benutzt wurde
Musikakzent.
Szene 14
Mädchen: Das find ich echt gut. Also, ich stell mir das gerade vor, wie
Bernd Jochen hier im „Forum“ ins Ohr schreit, er soll´s doch mal mit
deutschen Texten probieren...
Fan: Nee nee nee, Bernd war hier gar nicht mehr dabei, der war ja
26
schon in Hamburg. Und wahrscheinlich hat ihn Bernadette dann auch
mehr interessiert als Jochen...
Mädchen: Aha, da ging was!
Fan: Ja. Die beiden waren ein Paar! Das wusste auch voll lange keiner
außerhalb von den Fastweltweit-Leuten. Eigentlich bis heute...
058 Bernadette Hengst
Bernd und ich waren eine große romantische Liebe. Die erste
Liebe richtig meines Lebens. Wir haben ja dann auch geheiratet,
als ich 19 war und nicht nach Hamburg ziehen wollte. Ich wohnte ja
noch in Bad Salzuflen. Und wir waren schon zwei Jahre ein Paar.
Und ich wollte nach Berlin ziehen, weil ich meine eigene Stadt
erobern musste. Und er hat das dann akzeptiert mit den Worten:
„Du kannst gehen, wohin du willst. Aber dann musst du mich
heiraten.“
059 Bernd Begemann
Ich bin sicher, dass alle Bernadette toll fanden, aber mich hat sie
geheiratet.
060 OT Bernadette Hengst
Ja, ich glaube, das ist halt auch die erste Liebe, die verlässt einen
nie so wirklich. Ich glaube, wir lieben uns bis zum Ende unserer
Tage.
Szene 15
Mädchen: Och, das ist schon romantisch…
Fan: Ich weiß gar nicht so genau, warum die da so ein Geheimnis draus
gemacht haben...
Mädchen: Naja, Bernadette wollte halt als Künstlerin gesehen werden.
27
Und nicht als nur so´n Anhängsel... Ich kann das gut verstehen. Ähm…
War das dann schon ne Fernbeziehung? Bernd war doch in Hamburg,
oder?
061 Frank Werner
Bernd wollte von Anfang an ausbrechen. Bernd war Protagonist bei
Fastweltweit, aber er war auch erklärt für eine Industriekarriere. D.h.
das hat Bernd damals auch mit der Antwort geschafft.
Musikakzent.
Sprecherin
Die Antwort, Gitarrenpopband, 1987 in Hamburg von Bernd
Begemann gegründet.
062 Frank Werner
Für uns war das eher so eine Art Testballon. Um zu sehen: wie
fühlt sich das an, welche Erfahrungen hat er damit und welche
Möglichkeiten ergeben sich dadurch.
063 Bernd Begemann
Ich hab da so n Gefühl, ich war der erste auf einem Minenfeld
gewesen. Und die anderen konnten da so ein bisschen: „oh, das ist
nicht so eine gute Stelle, dann geh ich mal hier lang“.
Musikakzent.
Szene 16
Wieder auf der Landstraße.
Fan: Wieder in dieser Tramper-Hölle. Wahnsinn, hier kommt man ja echt
nie weg, wenn man kein eigenes Auto hat. Das hab ich echt
unterschätzt.
Mädchen: Tja, jetzt verstehst du auch, warum hier alle immer weg
28
wollen. Is doch egal, lass uns doch einfach laufen, ist doch scheißegal. -
Sag mal, du sprichst immer nur von Begemann, Begemann, Begemann.
Was ist denn mit den anderen – mit den Sternen zum Beispiel?
Fan: Ja, die gab's damals schon. Also, in Bad Salzuflen, nur mit anderen
Leuten. Die klangen auch noch ganz anders. Der Frank Spilker ist dann
ja später auch nach Hamburg gezogen, aber erstmal hat er in Hannover
Zivildienst gemacht.
Musikakzent.
Mädchen: Dann war das alles ja schon ganz schön zerstreut. Also, einer
in Hamburg, einer in Hannover, einer in Köln.
Fan: Stimmt, aber die hatten trotzdem immer noch dieses Cliquen-
Gefühl. Auch, als sie nach Berlin gefahren sind. Da gab´s so ne
Musikmesse. So ähnlich wie später die Popkomm.
Mädchen: Popkomm?
Fan: Wo Bands und Labels sich treffen und hoffen... Berlin
Independence Days hieß das...
064 Frank Spilker
Das war eine wahnsinnsspannende Zeit in meinem Leben
natürlich, ne, also ich war 22 und wir waren immer nur in der
Provinz und so und haben nicht viel von der Welt gesehen und das
waren die ersten Schritte nach draußen und es kamen ja auch
Reaktionen.
065 Bernd Begemann
Einige von meinen Liedern handeln davon, dass man eine Gegend
verlässt aber die Gegend mitnimmt. Und ich glaube, als wir dann
alle in der Großstadt waren, also Bernadette, Jochen, Michael und
ich, wir waren da dann alle stolz drauf, Provinzler zu sein. Und
nicht so dekadent zu sein. Und wir haben, glaube ich, unsere
29
Naturburschen-Karte ziemlich plump ausgespielt auch oft.
Aufnahmen aus dem Café Swing.
066 Frank Werner
Also, wir hatten einmal die riesige Chance, sehr gut
wahrgenommen zu werden, wir haben drei Tage im Café Swing
gespielt. Jeweils mit einem kompletten Set und mit allen Bands
hintereinander.
Sprecherin
Café Swing. Musik-Club in West-Berlin. Vor der Wende 1989
wichtiger Szenetreffpunkt.
067 Bernd Begemann
Ich war ja eigentlich nicht so richtig Fastweltweit, weil ich hab ja
schon in Hamburg mit meiner Band rumgemacht. Aber ich gehörte
trotzdem dazu. Und da hatten wir das erste Mal die Möglichkeit,
der Außenwelt gegenüber wie so eine kleine Gang zu sein.
068 Bernadette La Hengst
Das war schon ziemlich aufregend. Ich wusste überhaupt nicht, wie
man sich da verhält bei so einem Konzert. Wir haben drei Tage
gespielt, jeden Abend auf diesen Berlin Independence Days und
wurden wahrgenommen auf einmal. Vorher waren wir die Spinner
vom Dorf, die da schlagermäßig versuchen, auf Deutsch ihre
Geschichten zu erzählen. Und, also, weil… Es gab zur selben Zeit
in Berlin auch Einstürzende Neubauten und so Zeug, also es gab
eine extrem andere Kultur in Deutschland, zu der wir überhaupt gar
nicht passten. Und wo die Leute wirklich nicht wussten, wie sollen
sie das einordnen. Wir wurden belächelt.
069 Frank Spilker
Das war so die allerhärteste Ablehnung von so gerade diesem
deutschsprachigem Kram, das war halt Berlin, Kreuzberg, kann
man sich vorstellen, das war alles damals Berliner Krankheit
30
irgendwie, es durfte auf keinen Fall Pop sein. Da haben wir gespielt
und dann gab es so Kommentare wie „Dire Straits für Arme“ oder
so, aber auch Fans, auch Leute, die geklatscht haben. Ich weiß
aber, dass ich damals total verunsichert war, weil das echt ein
hartes Pflaster war, das Café Swing von Metropol.
070 Bernd Begemann
Ich erinnere mich nur an die Shows und dass wir so, ich glaub
nicht, dass wir viel Begeisterung geerntet haben. So’n paar Leute
meinten, ah, lustige Provinztypen, die über ihre Scheißprovinz
singen, dabei ist Andy Warhols Factory doch viel aufregender.
Blöde Arschlöcher. Keine Scheißahnung von gar nichts. Naja.
Applaus im Café Swing.
Szene 17
In der Wohnungstür.
Mädchen: Hallo Mama? Bist du zu Hause? – Schmeiß dein Zeug da
einfach in die Ecke. - Käffchen?
Fan: Ja, gerne. Ich schau mir mal deine CDs an, ja?
Mädchen: Ja.
Fan: Oh, Tokio Hotel?
Mädchen: Jaha. Ist n paar Jahre her. Steh ich aber zu. Kann ja nicht
jeder so nen exquisiten Geschmack haben wie du. Aber sag mal,
warum… warum fanden denn die Berliner die Musik von denen so
scheiße? Was du mir vorgespielt hast, ist doch echt gut? Konnten die
Großstadtheinis uns Provinzler wohl nicht leiden!
Fan: Naja, es gab schon n paar Leute, denen gefiel die Musik echt gut.
Zum Beispiel denen von der Spex.
31
Sprecherin
Spex, Musikzeitschrift. 1980 in Köln gegründet. In den 80er und 90er
Jahren die führende deutsche Musikzeitschrift mit subkultureller
Ausrichtung.
Fan: Naja, und die haben dann sogar n Interview mit denen gemacht
nach diesem Festival. Und sind dafür extra nach Bad Salzuflen gefahren.
Mädchen: Und das war dann der Durchbruch?
Fan: Schön wärs. Die meisten von denen erinnern sich heute nicht mehr
so gerne daran.
071 Bernadette La Hengst
Weil ich mir gemerkt hab, wie wahnsinnig wichtig wir uns alle
genommen haben. Und ich fand´s total prätentiös und ganz
schlimm. Also auch ich, weil ich gemerkt habe, wie… wie ich
gestrampelt habe, um vorzukommen, mit Worten, mit Wichtigkeit,
mit Humor, mit Witzen.
072 Frank Spilker
Damals habe ich das nicht so wahrgenommen, oder wenn ich es
wahrgenommen habe, dann habe ich es sportlich gesehen oder so.
Jetzt aber, im Nachhinein, 20 Jahre später, denkt man: Oh Gott,
was sind das für Typen, die da wirklich um so eine Pole-Position
kämpfen und mit was für einem Ehrgeiz sind die da am Start. Das
war einem dann ziemlich unangenehm.
Musikakzent.
Mädchen: Klingt jetzt aber schon nicht mehr so ganz nach „Wir gegen
den Rest der Welt“, was die da erzählen...
Fan: Nee nee, stimmt, das waren im Grunde schon die ersten Risse.
32
073 Bernadette La Hengst
Also, es ist ja dann in verschiedene Richtungen abgedriftet. Es war
ja so, dass Frank und Jochen nach Hamburg gezogen sind und
zusammen in eine Wohnung gezogen sind am Deich.
074 OT Bernd Begemann
Ich hab sie ein paar Mal besucht und dann haben wir das
weitergemacht. Uns Lieder vorgespielt und so weiter.
Musikakzent.
Szene 18
Die beiden schlürfen Kaffee.
Mädchen: Also, das war vor Blumfeld?
Fan: Genau, Die Bienenjäger hieß die Band von Jochen damals.
Mädchen: Klingt gut. Hast du das auf CD oder so?
Fan: Nee, das findest du nur auf Youtube. Die Sachen vor Blumfeld, die
gibt’s nicht auf CD.
Mädchen: Klingt schon so´n bisschen wie Jochen Distelmeyer heute
solo.
075 Bernd Begemann
Ich glaub so, der Schlüsselaugenblick der Hamburger Schule ist,
wie Jochen von Diedrich Diederichsen abgelehnt wird.
Sprecherin
Diedrich Diederichsen. Kulturwissenschaftler, Kritiker, Essayist. In
den 80er und 90er Jahren Chefredakteur und Mitherausgeber der
Spex. Gilt als einer der führenden deutschen Poptheoretiker.
33
076 Bernd Begemann
Man kann sich gar nicht vorstellen, wie zentralistisch die
Musikszene war. Es gab ein paar bedeutende Gestalten. Zum
Beispiel den Schriftsteller Diedrich Diederichsen, der so was wie die
Losungen ausgab. Man musste die neueste Diedrich Diederichsen-
Losung kennen, sonst war man ein Idiot. Man musste auch die
Parolen lernen, man musste Worte benutzen wie z.B. Differenz.
Wenn man das Wort Differenz nicht kannte oder benutzen konnte
in einem Hauptsatz, war man offensichtlich ein gehirnamputierter
Spießer.
Er spielt Diedrich Diederichsen seine Bienenjäger-Songs vor und
Diedrich Diederichsen findet das kitschig – ich weiß nicht genau,
was seine Worte sind. Jochen wird also abgelehnt von dem großen
Mann, von dem Diskursmeister.
077 Frank Spilker
Ich weiß, dass er psychisch gelitten hat unter dieser Situation und
quasi, also dass das so ein Wendepunkt war für ihn und dass er
dann angefangen hat, komplett neu zu texten, also und Musik neu
zu denken oder so. Ne, und das aber habe ich nicht mitbekommen
über eine Diskussion mit ihm, sondern dadurch dass es aus dem
Nachbarzimmer in die Küche drang.
078 Bernadette La Hengst
Ich weiß aber schon, dass Jochen sich da – der hat damals
Zivildienst gemacht - und sich da sehr aus dem Ausgehleben
zurückgehalten hat oder zurückgezogen hat. Und ein Jahr lang
wirklich genau überlegt hat, ich möchte jetzt meine eigene Sprache
finden.
Musikakzent.
079 Bernd Begemann
Und Jochen ist entschlossen, was zu machen, was nicht einfach so
abgetan werden kann. Und er schreibt dieses Lied „Von der
34
Unmöglichkeit nein zu sagen ohne sich umzubringen“.
Musikakzent.
080 Marcus Wiebusch
Auf Blumfeld als erstes aufmerksam geworden bin ich auf eine
Textzeile, in einem Hamburger Plattenladen. Da lag nur das Cover
und riesengroß eine Textzeile. Und die Textzeile war glaub ich:
„Dich interessiert doch nicht das, was du erlebst, sondern nur
das, wovon du erzählen kannst.“ Bumms. So eine geile Textzeile.
Und dann darunter: „Von der Unmöglichkeit nein zu sagen ohne
sich umzubringen“. Ich so, ey, was für eine geile Textzeile, kaufe
ich mir sofort das Album.
081 OT Bernadette La Hengst
Jochen und Frank, die dann Die Sterne und Blumfeld gegründet
haben, die dann so die politische Brisanz der Stunde aufgegriffen
haben, um dann eine sehr diskursive, neue Sprache zu erfinden.
Beide. Also, die haben ja auch zusammen gewohnt und sich da
sehr aneinander entwickelt oder aneinander gerieben und
weiterentwickelt. Und daraus ist dann diese irgendwie von
irgendjemandem so bezeichnete Hamburger Schule entstanden.
Sprecherin
Hamburger Schule.
Sammelbegriff für mehrere Bands, die in den späten 80er bis 90er
Jahren die Entwicklung der deutschsprachigen Popmusik
beeinflussten. Neben Blumfeld und den Sternen sind Tocotronic die
bekannteste Hamburger-Schule-Band. Vor allem ihr Umgang mit der
Deutschen Sprache war prägend, auch für spätere Bands wie
Kettcar und Tomte, die gelegentlich als Hamburger-Schule-
Nachfolger gesehen werden.
Musikakzent.
35
Szene 19
Fan: Tja. Eben noch hier um die Ecke in diesem Studio am Waldrand
zusammen rumgejammt – und schon eine neue Musikrichtung namens
„Hamburger Schule“ erfunden.
Mädchen: Ja, krass.
Fan: Ich find das schon ziemlich beeindruckend. Und wahrscheinlich
konnte das alles nur genau so entstehen, weil die halt alle miteinander
befreundet waren und für ne gewisse Zeit alle so eng aufeinander
gehockt haben.
Mädchen: Ja ja, das klingt so. Auch echt Wahnsinn, dass hier in Bad
Salzuflen wirklich keiner davon weiß. Aber ey: wenn die da alle von
früher erzählen, dann fehlt doch eigentlich immer der Jochen
Distelmeyer. Warum eigentlich?
Fan: Ja ja. Das geht schon seit Jahren so. Der will von der ganzen Zeit
leider nix mehr wissen. Der schweigt.
082 Bernd Begemann
Oooch, typisch. Geheimnisvoll. Ja, er hat immer noch den
Regenmantel an.
083 Frank Spilker
Ich glaube, dass er damit nicht in Verbindung gebracht werden
möchte. Dass er sich zu einem gewissen Zeitpunkt für sich
entschieden hat, dass das Teil der Vergangenheit ist und mit seiner
jetzigen künstlerischen Existenz vor allen Dingen nichts mehr zu
tun hat.
084 Bernd Begemann
Deshalb wollte er auch, dass die alten Fastweltweit-Aufnahmen
von ihm nicht so zur Verfügung stehen unbedingt.
36
Seine ganze Haltung sagt: die Zeit wo ich rumgesucht hab, ist nicht wichtig.
Wichtig ist, was ich gefunden hab.
085 Bernadette La Hengst
Jochen war auch sehr beeinflusst oder sehr inspiriert von Bernd.
Auch von seiner Art zu reden. Und das floss auch so ein bisschen
in seinen Gesang ein. Ich glaube auch so ein bisschen, dass
Jochen deswegen die alten, seine alten Fastweltweit-Songs nicht
mehr so gerne mag, weil er diesen Einfluss so extrem hört. Und
weil er sich erst später davon losgelöst hat.
086 Bernd Begemann
Ich finds schade! Ich fänds toll, wenn alles, was wir gemacht
haben, draußen im Sonnenlicht klar zu besichtigen wäre. Das
fände ich schön, auch weil es mir selbst Klarheit gibt. Ich red gern
über die Zeit. Ich red auch mit Jochen über die Zeit. Wir…
Manchmal… Einmal im Jahr muss ich Jochen sehen und ihn
sprechen, das ist wichtig für mich aus irgendeinem Grund. Ich
möchte mich... Es gibt mir was, das ich nicht beschreiben kann. Es
gibt jedem Menschen was, mit seiner Geschichte in Kontakt zu
sein. Und für ihn ist es vielleicht wichtiger, was Neues zu
definieren für sich, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es für ihn ein
Weg, vorwärts zu schreiten. Vielleicht sieht er das irgendwann mal
anders.
Szene 20
Fan: Tja, Ende der Story. Wenn auch kein besonders glückliches, hm?
Mädchen: Ja, wieso? Die sind doch noch alle befreundet. Nur halt nicht
mehr in diesem Kaff gefangen. Ich find das gut.
Fan: Ja, aber mittlerweile leben die alle so übers Land verstreut.
Weißte: Bernd, Frank und Jochen in Hamburg, Bernadette in Berlin, die
anderen hier in der Gegend.
37
Irgendwie traurig, wenn so Freundschaften zu Ende gehen...
087 Frank SpiIker
Aber das ist logisch, weil sich die Biografien unterschiedlich
entwickelt haben, also, wir haben ja auch nur - glaube - ein Jahr da
zusammen gewohnt - also Jochen und ich.
088 Bernadette La Hengst
Das war ein bisschen wie die Loslösung vom Elternhaus. Also, aus
diesen ewigen Diskussionen und Hinterfragungen, warum macht
man etwas, warum hast du diesen Song so geschrieben, warum
hast du den so aufgenommen, hättest du es nicht anders...usw.
Das war sehr inspirierend, aber halt auch kontrollierend auf eine
Art. Und ich glaube, das hat auch dazu geführt, dass nachher so
ein extremer Bruch da war.
089 Frank Spilker
So eine Situation, wo ich gemerkt habe, da ist ganz viel Ehrgeiz im
Spiel, so, und dass dieses zunächst behauptete "gemeinsam
irgendwas machen" plötzlich zu Ende ist, wo es darum geht, in
dieser Szene Fuß zu fassen, ja, diese Hamburger Szene oder
beziehungsweise diesen Sprung zu machen zur überregionalen
Wahrnehmung eben. Das habe ich sehr deutlich in Erinnerung,
dass da Ellbogen eingesetzt wurden...
090 Bernadette La Hengst
Hier komm jetzt ICH und das ist jetzt mein Platz. Und ich muss
mich von dir abgrenzen, weil du bist nicht auf meiner Seite.
091 Frank Werner
Also, das war für mich irgendwann… 1993, ab da war quasi Fast
Weltweit, also der Gedanke, so gemeinsam was zu machen oder
so beendet.
Musikakzent.
38
Szene 21
Fan: Mann, ist ja schon voll spät! Ich verpass meinen Zug!
Mädchen: Ach, du fährst heute noch zurück?
Fan: Also ich hab eigentlich Uni morgen. Und deshalb...
Mädchen: Was, was… Was ist denn aus dem Mann mit den Haferflocken geworden?
Fan: Frank Werner? Der lebt immer noch hier. Der arbeitet jetzt als IT-Spezialist,
hab ich gelesen. Und er betreibt so ein bisschen das Archiv,
weißt du, also der sammelt alles über die Zeit auf seiner Homepage. Ich
frag mich manchmal, ob der wohl irgendwie enttäuscht ist...
Mädchen: Wieso, der wohnt doch freiwillig hier. Also warum sollte der
enttäuscht sein?
Fan: Naja, weil alle Freunde von früher rausgezogen sind und so
zumindest halbwegs, ja, Popstars geworden sind. Nur er nicht.
092 Frank Werner
Das sind halt meine Freunde. Also, wenn ich jetzt Michael am
Telefon hab oder Frank, dann sind das ja Freunde von mir. Das
heißt, ich hab jetzt nicht das Gefühl, die sind verloren gegangen in
den Großstädten, das nicht. Der Kontakt ist über die Jahre immer
da geblieben. Also sei es zu Andreas Henning, der in Bielefeld
wohnt oder sei es zu Frank Spilker, der in Hamburg wohnt.
093 Bernadette La Hengst
Also, mit Bernd telefoniere ich zweimal im Jahr, einmal im Jahr. Mit
Michael Girke ungefähr so oft. Frank Spilker habe ich eine Zeitlang
oft gesehen in Hamburg. Andreas Henning habe ich ewig nicht
gesehen. Achim Knorr habe ich auch sehr lange nicht gesehen, ist
leider kein Kontakt mehr. Und Frank Werner sehe ich ab und zu
39
auch, wenn ich in Bad Salzuflen bin, den besuch ich dann.
094 Frank Spilker
Zu vielen Leuten hab ich leider keinen Kontakt mehr. Also, vor
allem die, deren Wege sich schon vor 20 Jahren quasi getrennt
haben. Es gibt einen Haufen sozialer Beziehungen, von denen
man weiß, dass sie leiden, wenn man sich räumlich entfernt. Das
schon, ich glaube auch, dass viele auch deshalb solche
Ambitionen woanders hinzugehen auch durchaus mal begraben.
095 OT Frank Werner
In der Zeit hab ich vielleicht gedacht, meine Güte, jetzt veränder ich
die Welt. Aber im Nachhinein hat sich meine Welt verändert.
Musikakzent.
Szene 22
Landstraße.
Mädchen: Du willst also wirklich schon fahren?
Fan: Naja, ich muss. Oder meinst Du, ich muss mir den Kurpark
unbedingt noch angucken?
Mädchen: Und Schwäne füttern? Nee, aber so schlimm war's ja nun
auch nicht, oder?
Fan: Wenn man sich hier wohlfühlt, ist das ja ok. Aber ich kann auch
schon verstehen, dass die meisten von denen aus dem Kaff raus
wollten. Dahin wo´s erstmal fremd ist und riesig und überwältigend. (Ein
Bus hält.) Ich muss jetzt wirklich los.
Mädchen: Weißt du was? – Ich komm mit.
Musikakzent.
40
096 Frank Spilker
Ich weiß nicht, ich glaube, das ist immer noch so wenn ich die
Leute sehe von damals, da ist eine besondere Verbindung so, man
teilt eine Geschichte. Also wenn ich Bernadette treffe oder so, auch
wenn wir auch nicht mehr viel miteinander zu tun haben mehr,
weiß man, dass man irgendwie aus demselben Nest kommt und
so, und also richtig vorbei ist das eigentlich nie.
097 Bernd Begemann
Nein, das ist nie vorbei. Das ist eigentlich mehr denn je.
Musikakzent.
Sprecherin
Bad Salzuflen weltweit. Die Geburt des Diskurspop aus dem Geiste
der Kurtaxe. Ein Feature von Heiko Behr und Christian Möller.
Mit Frank Spilker, Bernadette La Hengst, Marcus Wiebusch, Bernd
Begemann, Frank Werner und Christoph Jacke.
Es sprachen: Fabian Busch, Natalie Rudziewicz und Inga Busch.
Technische Realisation:
Dirk Hülsenbusch, Mechthild Austermann und Thomas Kupilas.
Regieassistenz: Gerrit Booms
Regie: Susanne Krings.
Redaktion: Natalie Szallies.
Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks Köln, 2012.