Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...Und Bernd hatte damals eine kleine Band, die hieß...

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil Bad Salzuflen weltweit Vom Ursprung des musikalischen Pop-Phänomens „Hamburger Schule“ Von Heiko Behr und Christian Möller Produktion: WDR 2012 Redaktion Dlf: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 23.06.2019, 20:05-21:00 Uhr Regie: Susanne Krings Es sprachen: Fabian Busch, Natalie Rudziewicz und Inga Busch. Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch, Mechthild Austermann und Thomas Kupilas Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Freistil

Bad Salzuflen weltweit –

Vom Ursprung des musikalischen Pop-Phänomens „Hamburger Schule“

Von Heiko Behr und Christian Möller

Produktion: WDR 2012

Redaktion Dlf: Klaus Pilger

Sendung: Sonntag, 23.06.2019, 20:05-21:00 Uhr

Regie: Susanne Krings

Es sprachen: Fabian Busch, Natalie Rudziewicz und Inga Busch.

Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch, Mechthild Austermann und

Thomas Kupilas

Urheberrechtlicher Hinweis

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

©

- unkorrigiertes Exemplar -

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Szene 1

Landstraße. Ein Bus hält, die Tür geht auf.

Fan: Einmal Bad Salzuflen, bitte

Busfahrer: 2,80.

Fan steigt ein.

Busfahrer: Sind Sie nicht ein bisschen jung für ne Kur?

Fan: Was? Achso. Witzig. Nee, ich bin wegen was anderem hier.

Busfahrt. Musik im Kopfhörer.

001 Frank Spilker

Ich habe davon gehört, dass es einen Fan gab, der sozusagen im

Nachhinein versucht hat, die Stätten unseres Wirkens zu erkunden

und dem Mythos nachzugehen...

002 Bernadette La Hengst

Und wer ist das, welchen, wen meinst du?

003 Frank Spilker

Ich weiß nicht, wer das war und wann das war.

Szene 2

Busfahrt. Der Fan lässt sich in den Sitz fallen.

Mädchen: He, junger Mann! Füße vom Sitz!

Fan: Mann. Hast du mich erschreckt!

Mädchen: Tja, so ist der Tonfall hier. Du kommst wohl nicht von hier, he.

- Was hörst du denn da für Musik?

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Fan: Ach...kennst du wahrscheinlich eh nicht.

Mädchen: Sag doch mal.

Fan: Bernd Begemann heißt der.

Mädchen: Nee, kenn ich nicht. Kann ich mal hören?

Fan: Klar, hier.

Musikakzent.

Sprecherin

(singt) Bad Salzuflen weltweit. (spricht) Die Geburt des Diskurspop

aus dem Geiste der Kurtaxe. Ein Feature von Heiko Behr und

Christian Möller.

Szene 3

Busfahrt.

Mädchen: Okay, noch mal ganz kurz, damit ich das schnalle: Du fährst

also stundenlang mit dem Zug in ein Kaff in Ostwestfalen, um dir

anzugucken, wo irgendwelche Bands herkommen?

Fan: Moment, Moment. Das sind nicht irgendwelche Bands. Sagen dir

Blumfeld und Die Sterne was? Die haben hier angefangen, auf ihrem

eigenem Label, das hieß „Fastweltweit“. In den 80ern.

Mädchen: Und wenn das hier passiert ist, wieso weiß ich nichts davon?

Fan: Weil...naja, die Bands, die da waren, sind halt erst später bekannt

geworden, als sie schon weggezogen waren, nach Hamburg zum

Beispiel. Hamburger Schule – schon mal gehört?

Mädchen: Na, die Sterne oder Blumfeld und so Bands...

Fan: Ja, genau. Und die haben dann ja auch andere total beeinflusst.

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Tomte, Kettcar und so.

004 Marcus Wiebusch

Und ich habe das sehr genau verfolgt, auch damals, bevor es

Kettcar gab, mit meiner damaligen Band ...but alive und war ganz

besonders der Band Blumfeld sehr zugetan.

Sprecherin

Marcus Wiebusch, Sänger und Songschreiber der Band Kettcar,

zusammen mit Tomte-Sänger Thees Uhlmann Inhaber des

Independent-Labels Grand Hotel van Cleef.

005 Marcus Wiebusch

Und als das dann zum Bruch kam 1999 von …but alive, war für

mich irgendwie klar, dass ich was mache, was irgendwie einen

Weg findet zwischen dem Übel namens Deutschrock und den doch

sehr sehr tollen Hamburger Bands und den Bands, die

dazugehören, Hamburger Schule und hab dann Kettcar

angefangen.

Weiter Busfahrt.

Fan: Naja, und bei mir wars so, dass ich durch Kettcar und so auf die

Hamburger Schule Bands gekommen bin. Und für mein Blog hab ich

dann halt immer mehr recherchiert...

Mädchen: Wasn fürn Blog?

Fan: So n Musikblog, das ich schreibe. Wie gesagt, dabei bin ich dann

drauf gestoßen, dass die hier in Bad Salzuflen mit dem Musikmachen

angefangen haben. Frank Spilker von den Sternen, Jochen Distelmeyer

von Blumfeld, Bernd Begemann... ja, und ich wollte mir das mal

ansehen. Den Ort, an dem das alles losging.

006 Bernadette La Hengst

Ja, das kann schon sein. Wenn da so viele Leute herkommen, die

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dann doch im Laufe ihres Lebens so viele Lieder geschrieben

haben, die einen berühren, dann kann man sich das schon mal

angucken.

007 Frank Spilker

Und dass man dann aus der Rückschau: Ah, ich kenne aber die

Wurzel von dem! Und so, ne? Und gucke mir jetzt mal an, wo alles

angefangen hat.

Musikakzent.

Szene 4

Der Bus hält. Die beiden steigen auf der Fußgängerzone aus.

Mädchen: So, da wären wir. Zur Linken sehen wir Fachwerkhäuser,

Eisdielen – und zur Rechten Bäckerei mit Stehcafé, Brunnen mit

Heilwasser! Bad Salzuflen, Rock City!

Fan: Ach komm. Ich meine, klar hier is nicht New York, aber...

Mädchen: Nicht New York? Hier ist noch nicht mal Bielefeld.

Sprecherin

Bad Salzuflen, Kreis Lippe, Nordrhein-Westfalen. Etwa 53 Tausend

Einwohner. Bekannt geworden als Thermal-Kurort.

008 Bernd Begemann

Als junger Mensch in Bad Salzuflen war man umgeben von

Siechen und Sterbenden. Und von degenerierten Arbeitern aus

dem Ruhrgebiet, die viermal pro Jahr ne Kur verschrieben

bekamen.

009 Frank Werner

Ich bin selbst in einer Pension groß geworden. Und man hat mir als

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Kind schon beigebracht, möglichst nicht aufzufallen, nett zu den

Gästen zu sein, nicht unangenehme Misstöne zu bringen. Weil die

Leute von dem Kurbetrieb abhängig waren.

010 Bernd Begemann

Zum Beispiel als ich mal mit einem winzig kleinen Transistorradio,

was winzigleise spielte, in eine christliche Bäckerei kam, war das

erste, was die christliche Bäckereiverkäuferin sagte: „Wir wollen

hier unseren Frieden!“ Das ist für mich Bad Salzuflen.

Szene 5

Ein Schulhof. Pausengong, Kinder.

Mädchen: Meine Damen und Herren! Sie denken, das, was sie hier

sehen ist ein ganz normaler Schulhof. Aber weit gefehlt! Es handelt sich

hier um einen musikhistorisch bedeutsamen Ort, wie ihnen sicher dieser

junge Mann hier gern erläutern wird, denn hier haben sich... wie, wie

hießen diese Typen noch mal?

Fan: Frank Werner und Bernd Begemann.

Mädchen: Hier haben Frank Werner und Bernd Begemann sich also

kennen gelernt. Und zwar… wo genau?

Fan: In der Raucherecke.

011 Bernd Begemann

Das muss auf dem Schulhof gewesen sein.

Sprecherin

Bernd Begemann, geboren 1963 in Bad Salzuflen als Sohn eines

Tierarztes. Gehörte in den 70er und 80er Jahren zu dem Kern der

Gruppe von Musikern um das Label „Fast Weltweit“. Wegbereiter

der Hamburger Schule. Auch bekannt unter dem Künstlernamen

„Der elektrische Liedermacher“. Heute zusammen mit der Band

„Die Befreiung“ unterwegs.

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012 Frank Werner

Bernd war ne Klasse unter mir oder zwei Klassen.

Sprecherin

Frank Werner. Ebenfalls Mitbegründer des „Fast Weltweit“-Labels,

für das er als Tontechniker und Studiobetreiber arbeitete. Heute

nicht mehr im Musikgeschäft tätig. Arbeitet als IT-Spezialist in

seiner Heimatstadt Bad Salzuflen.

013 Frank Werner

Und Bernd hat sich quasi regelmäßig in die Raucherecke

gedrängelt und da er damals schon ne schillernde Person war, war

es einfach ihn kennenzulernen

014 Bernd Begemann

Und ich glaub, ich hab ihn angesprochen, weil ich gehört hatte,

dass er ne Bandmaschine hatte. Und außerdem hat er vorher in

der Schulaula irgendwie Mundharmonika gespielt und da dachte

ich mir, jemand der Mundharmonika spielt, pfff, der wird ja nicht so

arrogant sein. (lacht)

Musikakzent.

015 Frank Werner

Und durch ein Gespräch hat sich herauskristallisiert, dass ich einen

Kassettenrecorder hatte, der eine bessere Aufnahmequalität hatte.

Und Bernd hatte damals eine kleine Band, die hieß Vatikan – das

war ne Punkband – und sie haben jemanden gesucht, der

Aufnahmen machen konnte.

016 Frank Werner

Wir haben unser Equipment in einem Herforder Laden

zusammengeliehen, Mikros und haben dann zusammen in einem

Jugendzentrum Aufnahmen gemacht für ein paar Tage. Also das

war der Anfang.

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Musikakzent.

017 Frank Werner

Bernd hat mich in seiner Geradlinigkeit immer beeindruckt. Bernd

ist schlagfertig! Bernd ist sehr prägnant, sehr aussagefähig, also

das fiel auf. Allein durch seine Schlagfertigkeit. Er hat mit wenigen

Worten verstanden, jeden Lehrer aus der Raison zu holen.

018 Bernd Begemann

Frank Werner ist ein wundervoller, sanfter Mensch einfach. Man

fühlt einfach… Ich bin überhaupt nicht esoterisch, aber er hat

wirklich so eine gute Aura. Du weißt, dass er gute Dinge machen

wird. Davon fühlt man sich auch angezogen. Jemand, der

neugierig ist, der aufgeschlossen ist, aber ruhig ist.

019 Frank Werner

Bernd war musikbegeistert. Bernd war ein junger Punk.

020 Bernd Begemann

Und Frank Werner war so ein bisschen hippiesk, aber auch wieder

nicht, weil er ein bisschen wie John Lennon aussah. Faszinierend.

Man hatte so Antennen für Leute in der Zeit, weil es nicht so viele

Leute gab, die irgendwas machten.

Musikakzent.

Szene 6

Schulhof. Laute Kinder drum herum.

Fan: Naja, heute kannst du ja zur Not mit deinem fucking Smartphone

Songs aufnehmen! Damals hat das ganze Equipment tausende von

Euros gekostet!

Mädchen: D-Mark.

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Fan: Jaja, D-Mark. Auf jeden Fall Frank Werner,...

Mädchen: Der Toningenieur?

Fan: Genau. Der hat scheinbar echt einiges auf sich genommen. Hat

seine Kohle für Equipment rausgehauen, obwohl er selbst in keiner Band

gespielt hat. Nur um die Musik von anderen aufzunehmen.

021 Bernd Begemann

Diese Idee hat ihn jahrelang praktisch Haferflocken essen lassen

und Wasser trinken lassen, nur um sich immer bessere

Bandmaschinen kaufen zulassen, bessere Mikrofone kaufen zu

lassen.

Mädchen: Wasser und Haferflocken. Das ist ja nur kurz über Wasser

und Brot.

Fan: Krass, oder?

Mädchen: Naja, der wollte vielleicht auch einfach nur dazugehören. Und

wer war sonst noch so dabei? Ich meine, der wird die Kohle wohl nicht

nur für Bernd Begemann ausgegeben haben, oder?

Fan: Nee, das war ne Clique von Leuten, die sich alle für Musik

interessiert haben. Die kamen auch nicht nur aus Bad Salzuflen.

Sondern hier aus der Gegend. Herford zum Beispiel.

022 Frank Werner

Bernd hat die Schule gewechselt und ist nach Herford gegangen.

Er war auf dem Herforder Gymnasium etwas später und dort hat er

nen Teil der anderen Szene kennengelernt. Zum Beispiel Michael

Girke und Achim Knorr, die waren quasi auf der selben Schule,

soweit ich weiß.

Musikakzent.

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Sprecherin

Achim Knorr, damals Musiker unter dem Künstlernamen „Der

Fremde“, heute als Comedian aktiv. Michael Girke, heute

Filmkritiker und Journalist, damals Sänger und Songschreiber der

Band Jetzt!

Musikakzent.

023 Bernd Begemann

Als ich noch in Herford zur Schule ging mit Michael Girke, war es

für mich ein Fest, wenn ich ein Lied geschrieben hatte, nachts zu

Michael zu gehen. Und dann hatte er vielleicht auch ein Lied

geschrieben und sang mir das vor. Und dann konnte ich auch

meine unglaublich klugen Sachen dazu sagen. Und das ist wirklich

eine Form von vornehmer Kommunikation.

Szene 7

An einer lauten Landstraße.

Fan: Ah, da hinten is es ja. „Gartenbaumschule Spilker“...

Mädchen: ...eine weitere pophistorisch bedeutsame Stätte, nur mit recht

hohem Rentner- und Topfpflanzenaufkommen.

Fan: Jaja, sehr witzig. Warte mal. Ich mach mal schnell n paar Bilder.

Mädchen: Okay, aber nicht jedes Usambara-Veilchen einzeln, ja?

Fan: Nein nein. Hier ist Frank Spilker von den Sternen groß geworden.

Du weißt schon, „Was hat dich bloß so ruiniert“ und so. Kennste? Warte

mal, hier...

Musik vom Handy.

Sprecherin

Frank Spilker, geboren 1966 in Herford als Sohn eines Gärtners.

Sänger und Texter der Band Die Sterne. Vorher mit mehreren Bands

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auf dem „Fast Weltweit“-Label aktiv.

Mädchen: Ah, ja ja ja, schon gut. Das kennt ja nun jeder. Ganz blöd bin

ich nun auch nicht. (Musik stoppt.) Und den Eltern gehörte die Gärtnerei

hier?

Fan: Genau, und der Bauernhof, der dazugehört. In dem Haus hat Frank

in den 70ern mit dem Musikmachen angefangen. In nem Zimmer unterm

Dach.

Musikakzent.

024 Frank Spilker

Ich hab mit meinem besten Freund zusammen Gitarre spielen

gelernt. Und zwar weil sein Vater irgendwie in ner Tanzband

gespielt hat. Und hat uns so ganz geschickt unter Überlassung von

der roten Mundorgel und irgendwelchen anderen Noten und vor

allen Dingen eben auch Gitarren durch n paar Tipps das

beigebracht. Wir haben uns halt gegenseitig so gecoacht. Und

dann auch war natürlich sofort der Wunsch da, ne Band zu

machen. Ich war am Anfang ein völlig unbeschriebenes Blatt. Ich

kannte so n paar Sachen von meinen älteren Brüdern, also rum

liegengelassene Beatles-Singles und den ganzen Popkram von

damals, 70er Jahre, Abba, oder was weiß ich. Und hab dann

irgendwann mit der Neuen Deutschen Welle vor allem meinen

Horizont stark erweitert. Das war aber auch einfach ne Altersfrage

oder ne gewisse Koinzidenz. Weil wir waren wahnsinnig gut

informiert über den englischen Radiosender also über BFBS.

Sprecherin

BFBS – British Forces Broadcasting Service. Soldatensender der

Britischen Armee. In den 80er Jahren bekannt für seine progressive

Musikauswahl und deshalb auch in Deutschland beliebt.

025 Frank Werner

Ich hab sehr viel BFBS gehört, ich hab sehr viel John Peel gehört.

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John Peel moderiert Musik an.

Sprecherin

John Peel, einflussreicher britischer Radio-Moderator und DJ.

Verhalf in seinen Sendungen vielen Bands aus dem Punk- und

Independent – Bereich zu Bekanntheit. Seine Sendung „John Peel's

Music“ bei BFBS wurde auch von Deutschen viel gehört. Dort

spielte er auch unbekannte deutsche Bands.

026 Frank Spilker

Man hat aber eben über John Peel auch Sachen mitgekriegt, also

richtigen Punk mitgekriegt, was weiß ich so, die Mimmi's in Bremen

oder irgendwelche abgefahrenes Zeug, oder FSK lief da und so.

Das hat natürlich das allgemeine Verständnis von Neuer Deutscher

Welle auch überschritten. Im regulären Radioprogramm lief sowas

dann natürlich nicht.

Musikakzent.

Szene 8

Eine Landstraße.

Mädchen: Okok, cool, hab ich schon verstanden, aber mit den Sternen

hat das ja wohl weniger zu tun.

Fan: Nö, Frank Spilker hatte ja vorher noch so ein anderes Projekt, das

hieß The Discount. Hier, hör mal...

Musik aus dem Handy.

Mädchen: Hä? Ich dachte, das wären alles so Gitarren-Bands...

Fan: Nee nee nee! Das denken ja immer alle! Aber in diesem Studio

haben die ja ganz viel rumexperimentiert. Das waren ja richtig viele

Leute! Eben Bernd Begemann, Frank Spilker, dann Achim Knorr, Frank

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Werner...

Mädchen: Ah, der mit den Haferflocken.

Fan: Genau. Der hat sich nämlich hier n Studio gebaut. „Klangforschung“

haben sie das genannt. Weil sie halt neue Sachen ausprobieren wollten

Mädchen: Und das war hier?

Fan: Ja.

Mädchen: Ist aber schon ein ganz schönes Stück außerhalb. Also, ich

war hier noch nie.

Fan: Muss, muss hier gleich sein. In ner Wohngegend, steht im Internet.

Irgendwo am Wald.

027 Frank Werner

Ihr müsst Euch da eine große Villa vorstellen, die mit mehreren

Parteien bewohnt wird, ein Mietshaus und der Nachbartrakt des

Mietshaus ist eine kleine Bruchsteingarage, 40 m² mit drei Räumen

unterteilt, ein Aufnahmeraum, eine Schlagzeugkabine und ein

Abmischraum.

028 Bernadette La Hengst

Das war ein extrem super Ort, also mitten im Wald und so

unentdeckt. Und da konnte man abhängen, Bier trinken und dazu

noch Musik machen.

Szene 9

Waldgeräusche, knackende Äste.

Fan: Ja, da. Da ist es, ich mach mal eben ein paar Fotos.

Mädchen: Fotos von außen? Lass uns doch mal reingehen, meintest du

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nicht, dass das leer steht?

Fan: Naja, das wird im Netz halt zum Verkauf angeboten. Aber ich weiß

doch nicht...

Mädchen: Wir können ja mal sehen, ob wer da ist.

Fan: Ach, komm, lass mal lieber.

Mädchen: Du wolltest das doch unbedingt sehen.

Fan: Ja, aber...

Mädchen: Das ist nicht dein Ernst, oder? Du fährst hunderte Kilometer

durch die Gegend, um zu sehen, wo deine Musik-Heroes herkommen

und jetzt, wo wir da sind an dem Ort, wo alles passiert ist, bei dem

Studio, kommst du mit „Privatgrundstück“?

Fan: Und wenn uns wer beobachtet?

Mädchen: Boah, echt! Komm. Komm, wir klettern einfach mal rüber

und... Mach mal Räuberleiter...

029 Bernd Begemann

Und dann war da noch Bernadette Hengst

Sprecherin

Bernadette La Hengst, bürgerlich Bernadette Hengst, geboren 1967

in Bad Salzuflen. Bekannt geworden in den 90er Jahren mit der

Band Die Braut haut ins Auge. Später Solokünstlerin und

Theatermacherin.

Musikakzent.

030 Bernadette La Hengst

Ich kannte Frank halt von der Schule, wir hatten zusammen auch

Theater gespielt und ich wusste, dass er in einer Band spielt und

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ich fand das auch immer cool. Wir waren in den Freistunden oder

wenn wir blau gemacht haben bei ihm in seinem Zimmer, bei

seinen Eltern in der Gärtnerei, das war gegenüber von unserer

Schule. Und er wusste auch, dass ich singe, aber ich hatte noch

keine eigenen Stücke geschrieben. Also ich hab ja auch noch nie

irgendwas aufgenommen gehabt. Ich glaub, die erste Band, die ich

dann dort gesehen hab beim Aufnehmen war Der Fremde, also

Achim Knorr. Und das hat mich extrem beeindruckt, wie der

gesungen hat und seine eigenen Texte gesungen hat. Das hat mir

Schauer über den Rücken laufen lassen und ich hab gedacht:

Wow, und das sind seine eigenen Texte, der erzählt mir was. Und

das hat was mit mir zu tun.

031 Bernd Begemann

Rückblickend bin ich so froh, dass sie dabei war. Ich meine, wie

furchtbar ist eine Szene, wo nur Jungen sind. Das ist echt

grauenhaft.

032 OT Bernadette La Hengst

Ich hab das nicht so richtig wahrgenommen, dass ich das einzige

Mädchen bin. Also damals, ich hatte jetzt keine Idee von

Feminismus oder so.

033 Bernd Begemann

Sie ist sowieso eine Abenteuerin. Bevor sie bei Fastweltweit

aufgetaucht ist, ist sie allein mit ihrer Akustikgitarre rumgetrampt

und hat Straßenmusik gemacht. Das ist eine Sache, die sich die

Jungs nicht getraut hätten. Michael Girke und ich haben mal

Straßenmusik in Paris gemacht, für zehn Minuten. Dann fanden wir

das zu beängstigend. Bernadette hat das monatelang gemacht,

meine Güte. Also die war bestimmt tougher als wir Jungs, auf

jeden Fall.

Szene 10

Auf dem Grundstück.

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Mädchen: So eine müsste es mal bei mir in der Schule geben. Bei mir

sind wirklich nur Weicheier und Loser. Und damit mein ich vor allem die

Jungs. (Türquietschen.) Ist auf!

Fan: Ich glaub, das Besondere bei denen war, dass dieses Jungs-

Mädchen-Ding irgendwie nicht wichtig war. Das waren halt alles

Außenseiter und komische Freaks. Also aus der Sicht ihrer

Klassenkameraden. Ich glaub, das war so ein „Wir gegen den Rest der

Welt“-Gefühl, das die da hatten…

Mädchen: Boah ey. Ganz schön muffig hier. Wo ist n der Lichtschalter?

Ah, hier. Naja, ne? Fahrräder, n paar Gartenstühle...sieht irgendwie nicht

so nach Studio aus. Ich schau mal da hinten.

Fan: Ja, aber... Hier stand wahrscheinlich, das hier… Hier stand das

Mischpult, wo Frank Werner saß. Und da hinter der Glasscheibe, der

Raum für die Musiker.

Mädchen (aus dem Nebenraum): Krass! Was ist das denn? Ich

glaube, das ist…

Fan: Was denn?

Mädchen: Das ist ja... das erste Blumfeld-Demo?

Fan: Waaaaas?

Mädchen: Hahaha, verarscht!

Fan: Oh Mann.

Musikakzent.

034 Bernd Begemann

Jeder hat für sich geschrieben und kam dann damit an und hat es

entweder allein realisiert oder mit Hilfe der anderen. Und die

anderen haben vielleicht so ein bisschen drin rumgenölt. „Das würd

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ich aber nicht sagen.“ Oder „Hey, das ist aber interessant, wo hast

du das denn her?“ – „das hab ich nirgendwo her, das hab ich mir

selbst ausgedacht!“ Alles ein bisschen kindlich.

035 Frank Spilker

Im Grunde ist es ja so ne Hippie-Kollektiv-Idee, dass man diese

Einheiten von Bands in Frage stellt, also jetzt nichts Neues, aber

es war halt irgendwie auch hip. Und hatte vor allen Dingen, glaub

ich, in der Situation, wo einige der Songschreiber gar keine Band

hatten – also nämlich Bernd Begemann zu der Zeit hatte keine

Band, Michael Girke nicht. Und Distelmeyer auch nicht. Sozusagen

die Ressourcen der anderen mit zu nutzen. Das heißt, wir haben

unsere Musiker durcheinandergewürfelt.

036 Bernd Begemann

Es hat sich immer so ergeben... Soundso nimmt gerade was auf,

komm doch mit und mach ein paar Handclaps'. So ging das über

Jahre. Und die Handclaps waren dann immer ein bisschen exakter.

Es ging darum was einzufangen, was wir sind. Wir wussten für uns

selbst nicht, was wir genau sind. Aber in diesem Studio, in der

Klangforschung, sollte das rauskommen.

037 Bernadette La Hengst

Es war auch so, dass wir uns alle gegenseitig sehr in Beschlag

genommen haben, sag ich mal. Wir waren alles sehr

mitteilungsbedürftige Menschen, die Leute sehr in Beschlag

nehmen können. Es war teilweise so in Beschlag, dass man nur

noch in dieser Welt sich bewegt hat. Also alle Gedanken, die

ausgetauscht wurden, waren für mich für zwei Jahre ungefähr

wichtiger als die Gedanken von anderen Leuten.

038 Bernd Begemann

Unsere Aufnahmen... ich sag jetzt unsere, obwohl einige

verwehren sich gegen diese Vereinnahmung und so... aber ich

sage jetzt unsere, weil das war die Sache, die uns wirklich geeint

hat. Wir wollten unsere Stimme finden. Und wir wollten nicht so

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klingen wie die Typen im Radio.

Szene 11

Landstraße, Autos fahren vorbei.

Mädchen (schreit hinterher): Arschloch! In deine fette Karre wär ich eh

nicht eingestiegen, du blöder Wichser! Dieses Warten auf Leute, die sich

erbarmen, ey, das nervt hier echt am allermeisten. Ja, man kommt hier

einfach echt nicht weg. Zumindestens am Abend und am Wochenende.

Dann trampst Du halt. Und wenn du darauf keinen Bock hast, musst du

nett zu deiner älteren Schwester sein, mit Führerschein. Oder du

brauchst n Freund, der halt 18 ist. Ok, scheißegal. Also, wo fahren wir

jetzt genau hin?

Fan: Nach Enger, ins Forum. Aber weißte, wie das weiterging? Bernd

wollte nämlich raus aus Bad Salzuflen.

Mädchen: Joah, das wundert mich gar nich.

Fan: Der wollte auch die große Karriere. Und damals gab´s einen Typen

namens Alfred Hilsberg, der hatte so n Label...

Sprecherin

Alfred Hilsberg, Musikjournalist und Labelbetreiber. Trug mit seinen

Artikeln wesentlich zur Verbreitung von Punk und New Wave in

Deutschland bei. Erfand den Begriff Neue Deutsche Welle. Auf

seinem Label ZickZack erschienen unter anderem die ersten Alben

von Blumfeld.

Mädchen: Ah, guck mal, geil, der hält. (Auto fährt vorbei.) Oh, du

blöder Wichser, du!

Fan: Naja, und zu dem Hilsberg hat Bernd halt n Demo geschickt.

Mädchen: Ich weiß, was jetzt kommt. Ja, und er ist von hier aus nach

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Hamburg getrampt, oder?

Fan: Nee, nicht ganz. Frank Werner hatte zum Glück n eigenes Auto.

Musikakzent.

039 Bernd Begemann

Ja, klassisch. Frank Werner und ich fahren mit diesem wirklich

schlechten Auto nach Hamburg und warten stundenlang auf Alfred

Hilsbergs Türschwelle auf den großen Mann selbst. Der immer so

was wie als „Der Szenepapst“ bezeichnet wurde. Und der dann..

Wenn Alfred Hilsberg eine Platte von dir rausbrachte, hattest du

auf jeden Fall ne große Besprechung in den paar

Musikzeitschriften, die zählten. Und damals haben Leute wirklich

religiös Musikzeitschriften gelesen. Und wenn irgendwas „Album

des Monats“ war, wurde das auch gekauft!

040 Frank Werner Und in der Wohnung selbst war das ein

besonderes Gefühl, weil er hatte vor seinem Kassettenrecorder

einen riesigen Haufen Kassetten. Und ich glaube eine der oberen

Kassetten war die von uns. Und die Hoffnung war für uns am

Anfang, also von den Sachen von 83, dass ein Stück auf einem

lokalen Sampler erscheint

041 Bernd Begemann

Und er hört sich unsere Aufnahmen an und geruht, sie nicht

rauszubringen.

042 Frank Werner

Und danach haben wir von Herrn Hilsberg nichts mehr gehört.

Also, letztlich viel Rauch um nichts.

Musikakzent.

Szene 12

Landstraße.

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Mädchen: Ja, das ist ja beschissen. Fahren die da extra zum großen

Plattenboss hin. Und dann wird das alles nichts.

Fan: Ja, aber irgendwie haben sie sich davon nicht kleinkriegen lassen.

Vor allem Bernd.

043 Bernd Begemann

Ich hatte eine heroische Haltung dem Leben gegenüber. Das kann

mich alles nicht brechen. Was soll´s. Ein Typ will deine Platte nicht

rausbringen. Na und? Ich bin jung, ich bin stark, ich hab noch

tausend Lieder in mir. Irgendwie werden die rauskommen,

irgendjemand wird das hören

Fan: Bei den anderen war es ähnlich. Die waren so frustriert, dass sie ihr

eigenes Label gegründet haben.

Mädchen: Ja, apropos frustriert, ey. Ich dreh hier langsam echt durch.

Ey, nix passiert, immer nur warten. Warte, der da hält! Garantiert! (Sie

läuft vors Auto.)

Fan: Ey, geh von der Straße runter! (Wagen bremst.)

Mädchen (zum Fahrer:) Super, vielen Dank! Wir wollen nach Enger, ist

das ok? (zum Fan:) Alles klar! Wir können mit!

Fan: Ach super. Na dann. (Beide steigen ein.)

Musikakzent.

Autofahrt.

Mädchen: Ok, sorry, was hast du eben noch mal erzählt?

Fan: Naja, diese Absage an Bernd war glaub ich hart. Und da haben die

anderen sich überlegt, dann gründen sie halt einfach ein Label, „Fast

weltweit“ eben.

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Mädchen: Komischer Name.

044 Bernd Begemann

Es ist irgendwie so lustig gemeint. Aber es ist irgendwie so ein

Loserwitz. So ein Loser, der sagt, ja, wir sind ja fast weltweit

vertreten. Und zwar in Herford. (lacht) Das ist so, wir können es ja

eh nicht schaffen. Gerade wenn man Provinzloser ist, darf man

nicht raushängen lassen, Provinzloser zu sein.

Mädchen: Stimmt, man darf sich nicht immer selber so runtermachen!

Und woher hatten die damals Geld, eine eigene Plattenfirma zu

gründen?

Fan: Naja, keine richtige Plattenfirma in dem Sinn. N kleines Indie-Label.

Die haben alles selber gemacht. Bei Frank Werner hatten sie das Studio,

da heben sie aufgenommen. Dann haben sie die Aufnahmen auf

Kassetten überspielt.

045 Frank Werner

Es waren ein paar Kassettenrecorder da und zur Not haben wir uns

sogar selbst in schülerhaftem Sinne 10 – 20 Recorder geliehen und

dann Serie mit gemacht.

Fan: Das Coverdesign hat die Freundin von Frank Werner gemacht.

Naja, und dann haben die Bands ihre Tapes selber in die Plattenläden

gebracht.

Mädchen: Wow, also das nenn ich echt mal Indie!

046 Frank Spilker

Das ist ganz stark das Ding von Frank Werner gewesen. Für den

ist es immer ein Ideal gewesen, unabhängig von großen

Plattenfirmen auf so nem Indie-Level Kultur, Musik zu vertreiben,

ohne dass das große kommerzielle Ding ins Spiel kommt. Für

Frank war das immer ganz wichtig.

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Das ist das auch, was er im Grunde anschieben wollte mit seinem Studio, mit der

Zusammenarbeit mit uns.

047 Frank Werner

Es war vor allen Dingen das Bedürfnis, zusammen ein eigenes

Sprachrohr und ein gemeinsames Sprachrohr zu bilden. Das heißt,

der wichtige Punkt war für uns, dass allein eine Band sehr wenig

Möglichkeiten hat, wahrgenommen zu werden. Und wir haben uns

erhofft, im Zusammenschluss bessere Möglichkeiten für uns

herauszuarbeiten. Also einfach aus dem Gedanken: gemeinsam

wird man besser wahrgenommen.

048 Frank Spilker

Dieses ganze Fast-Weltweit-Ding ist ja n Cliquen-Phänomen. Du

hast natürlich die Protagonisten, die ne Band gemacht haben, die

jetzt vielleicht auch bekannt sind; du hast irgendwie so einen

Katalysator wie das Studio von Frank Werner; aber auf der

anderen Seite gab's auch sozusagen die Multiplikatoren

sozusagen, im Publikum. Also, unsere Freunde und Freunde von

Freunden, die dann so dafür gesorgt haben, dass das auch n paar

Leute mitbekommen haben. War ja nicht viel, also, es war ja –

deshalb red ich auch von ner Clique – so vielleicht 50 Leute oder

so oder 100 Leute, die dann bei den Konzerten waren, aber auch

nur, wenn alle Bands gespielt haben. Was irgendwie zwei-, dreimal

nur vorgekommen ist, überhaupt.

Szene 13

Landstraße.

Fan: Okay, danke fürs Mitnehmen. (Das Auto fährt weg.)

Mädchen: Und? Hier soll es jetzt sein – das Forum?

Fan: Ja, da drüben. Sieht eher zu aus.

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Mädchen: Sieht sehr zu aus, wenn du mich fragst. Kann ich mir jetzt

auch gar nicht vorstellen, dass in so nem Minikaff n wichtiger Club sein

soll. Guck noch mal in dein Handy.

Fan: Warte mal. Ah, hier steht´s doch...

Sprecherin

Forum Enger. Musikklub in der ostwestfälischen Stadt Enger, Kreis

Herford. 1974 als Jazzclub gegründet, wurde er in den 80er Jahren

zu einem wichtigen Veranstaltungsort für Punk-, Hardcore- und

Indie-Konzerte. Von den Lesern der Musikzeitschrift Spex zum

besten Club Deutschlands gewählt. Im Forum machten viele

internationale Acts Station, die sonst nur in größeren Städten

auftraten.

Fan: Sogar Nirvana haben hier damals gespielt…

Mädchen: Ja, is klar. Und Vorband Pearl Jam und danach noch R.E.M.,

wenn die gerade mal Zeit hatten…

Fan: Ganz im Ernst, Nirvana war hier die Vorband, die haben vor 40

Leuten gespielt. Die Leute sind in den 80ern ausm Ruhrpott angereist,

um hier Bands zu sehen.

Mädchen: Hab ich nie was von gehört.

Fan: Ah… kein Wunder, hier steht´s. Guck mal: Die haben 1998 dicht

gemacht. Ich mach trotzdem n paar Fotos.

Mädchen: War ja klar…

Bands, die im Forum Enger spielten. Nirvana live.

049 Frank Werner

Das Forum ist ein kleiner selbstorganisierter Club in Enger

gewesen, der hat dort mehrere Jahre existiert, wird heute in

Bielefeld weitergeführt. Und die Leute haben dort sehr sehr

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eigenständig über ihr Musikprogramm entscheiden können und das

war für uns eine Möglichkeit aufzutreten und eine sehr gute

Möglichkeit, also andere Bands zu sehen.

050 Bernadette Hengst

Also es gab dann fast so eine Zwanghaftigkeit, in dieses Forum

Enger zu gehen. Das hatte immer mittwochs und sonntags Disco.

Sonst natürlich auch Konzerte, aber vor allen Dingen diese Disco-

Termine mussten von mir unbedingt eingehalten werden. Weil

wenn ich da nicht hin konnte, dachte ich, die Welt bricht

zusammen. Ich verpasse… Ich verpasse alles! Für den Rest

meines Lebens!

051 Christoph Jacke

Und ich glaube, dass das Forum Enger als kleiner Klub, der aber

weltweites Renommee hatte, im Grunde ein Punkt war, an dem

Musiker, Fans, spätere Booker sich getroffen haben.

Sprecherin

Christoph Jacke, Pop- und Medienwissenschaftler an der Uni

Paderborn.

052 Christoph Jacke

…und man natürlich die Welt in Enger vorgesetzt bekam und wo

eben Menschen aus dem Ruhrgebiet, aus Hannover, aus Münster,

aber auch aus dem Ostwestfälischen selbst, hin pilgerten

geradezu. Denn jede angesagte Band hat sicherlich auch in Berlin

oder Köln gespielt, aber erst Recht oder manchmal auch nur in

Enger.

Musikakzent.

053 Frank Werner

Ich hab Jochen im Forum kennengelernt und das war der Junge

mit dem Regenschirm. Also wirklich mit altem Trenchcoat und

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Regenschirm, so kann man ihn sich damals vorstellen.

Sprecherin

Jochen Distelmeyer, Jahrgang 1967. Ehemals Sänger und Texter

der bis heute einflussreichen Band Blumfeld, heute Solokünstler.

054 Frank Werner

Und der hat zur damaligen Zeit noch englisch gesungen, seine

Band hieß White Palms. Und dann waren die ersten

Überzeugungssachen „Warum singst du denn englisch und warum

nicht deutsch?“ und sicher, etwas später hat er dann Personen wie

Bernd kennen gelernt und dann war die Überzeugung sehr leicht.

Aber auf der anderen Seite, es war üblich halt bei den meisten

Bands, sich in Englisch erst auszudrücken.

055 Bernd Begemann

Deutsch singen war Schlagersänger oder Liedermacher, die gegen

Atomkraft sind und so.

056 Frank Spilker

Es ging zu der Zeit echt nur Fun-Punk, so, alles andere konnte

man nicht auf Deutsch machen. Was man hört als Musiker, ist

immer das Übliche: Ja, das klingt ja nicht so gut, man kann ja auf

Deutsch nicht so gut singen wie auf Englisch und so weiter.

057 Bernd Begemann

Oder deutsch wäre hässlich. Das ist weil es hässlich benutzt wurde

Musikakzent.

Szene 14

Mädchen: Das find ich echt gut. Also, ich stell mir das gerade vor, wie

Bernd Jochen hier im „Forum“ ins Ohr schreit, er soll´s doch mal mit

deutschen Texten probieren...

Fan: Nee nee nee, Bernd war hier gar nicht mehr dabei, der war ja

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schon in Hamburg. Und wahrscheinlich hat ihn Bernadette dann auch

mehr interessiert als Jochen...

Mädchen: Aha, da ging was!

Fan: Ja. Die beiden waren ein Paar! Das wusste auch voll lange keiner

außerhalb von den Fastweltweit-Leuten. Eigentlich bis heute...

058 Bernadette Hengst

Bernd und ich waren eine große romantische Liebe. Die erste

Liebe richtig meines Lebens. Wir haben ja dann auch geheiratet,

als ich 19 war und nicht nach Hamburg ziehen wollte. Ich wohnte ja

noch in Bad Salzuflen. Und wir waren schon zwei Jahre ein Paar.

Und ich wollte nach Berlin ziehen, weil ich meine eigene Stadt

erobern musste. Und er hat das dann akzeptiert mit den Worten:

„Du kannst gehen, wohin du willst. Aber dann musst du mich

heiraten.“

059 Bernd Begemann

Ich bin sicher, dass alle Bernadette toll fanden, aber mich hat sie

geheiratet.

060 OT Bernadette Hengst

Ja, ich glaube, das ist halt auch die erste Liebe, die verlässt einen

nie so wirklich. Ich glaube, wir lieben uns bis zum Ende unserer

Tage.

Szene 15

Mädchen: Och, das ist schon romantisch…

Fan: Ich weiß gar nicht so genau, warum die da so ein Geheimnis draus

gemacht haben...

Mädchen: Naja, Bernadette wollte halt als Künstlerin gesehen werden.

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Und nicht als nur so´n Anhängsel... Ich kann das gut verstehen. Ähm…

War das dann schon ne Fernbeziehung? Bernd war doch in Hamburg,

oder?

061 Frank Werner

Bernd wollte von Anfang an ausbrechen. Bernd war Protagonist bei

Fastweltweit, aber er war auch erklärt für eine Industriekarriere. D.h.

das hat Bernd damals auch mit der Antwort geschafft.

Musikakzent.

Sprecherin

Die Antwort, Gitarrenpopband, 1987 in Hamburg von Bernd

Begemann gegründet.

062 Frank Werner

Für uns war das eher so eine Art Testballon. Um zu sehen: wie

fühlt sich das an, welche Erfahrungen hat er damit und welche

Möglichkeiten ergeben sich dadurch.

063 Bernd Begemann

Ich hab da so n Gefühl, ich war der erste auf einem Minenfeld

gewesen. Und die anderen konnten da so ein bisschen: „oh, das ist

nicht so eine gute Stelle, dann geh ich mal hier lang“.

Musikakzent.

Szene 16

Wieder auf der Landstraße.

Fan: Wieder in dieser Tramper-Hölle. Wahnsinn, hier kommt man ja echt

nie weg, wenn man kein eigenes Auto hat. Das hab ich echt

unterschätzt.

Mädchen: Tja, jetzt verstehst du auch, warum hier alle immer weg

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wollen. Is doch egal, lass uns doch einfach laufen, ist doch scheißegal. -

Sag mal, du sprichst immer nur von Begemann, Begemann, Begemann.

Was ist denn mit den anderen – mit den Sternen zum Beispiel?

Fan: Ja, die gab's damals schon. Also, in Bad Salzuflen, nur mit anderen

Leuten. Die klangen auch noch ganz anders. Der Frank Spilker ist dann

ja später auch nach Hamburg gezogen, aber erstmal hat er in Hannover

Zivildienst gemacht.

Musikakzent.

Mädchen: Dann war das alles ja schon ganz schön zerstreut. Also, einer

in Hamburg, einer in Hannover, einer in Köln.

Fan: Stimmt, aber die hatten trotzdem immer noch dieses Cliquen-

Gefühl. Auch, als sie nach Berlin gefahren sind. Da gab´s so ne

Musikmesse. So ähnlich wie später die Popkomm.

Mädchen: Popkomm?

Fan: Wo Bands und Labels sich treffen und hoffen... Berlin

Independence Days hieß das...

064 Frank Spilker

Das war eine wahnsinnsspannende Zeit in meinem Leben

natürlich, ne, also ich war 22 und wir waren immer nur in der

Provinz und so und haben nicht viel von der Welt gesehen und das

waren die ersten Schritte nach draußen und es kamen ja auch

Reaktionen.

065 Bernd Begemann

Einige von meinen Liedern handeln davon, dass man eine Gegend

verlässt aber die Gegend mitnimmt. Und ich glaube, als wir dann

alle in der Großstadt waren, also Bernadette, Jochen, Michael und

ich, wir waren da dann alle stolz drauf, Provinzler zu sein. Und

nicht so dekadent zu sein. Und wir haben, glaube ich, unsere

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Naturburschen-Karte ziemlich plump ausgespielt auch oft.

Aufnahmen aus dem Café Swing.

066 Frank Werner

Also, wir hatten einmal die riesige Chance, sehr gut

wahrgenommen zu werden, wir haben drei Tage im Café Swing

gespielt. Jeweils mit einem kompletten Set und mit allen Bands

hintereinander.

Sprecherin

Café Swing. Musik-Club in West-Berlin. Vor der Wende 1989

wichtiger Szenetreffpunkt.

067 Bernd Begemann

Ich war ja eigentlich nicht so richtig Fastweltweit, weil ich hab ja

schon in Hamburg mit meiner Band rumgemacht. Aber ich gehörte

trotzdem dazu. Und da hatten wir das erste Mal die Möglichkeit,

der Außenwelt gegenüber wie so eine kleine Gang zu sein.

068 Bernadette La Hengst

Das war schon ziemlich aufregend. Ich wusste überhaupt nicht, wie

man sich da verhält bei so einem Konzert. Wir haben drei Tage

gespielt, jeden Abend auf diesen Berlin Independence Days und

wurden wahrgenommen auf einmal. Vorher waren wir die Spinner

vom Dorf, die da schlagermäßig versuchen, auf Deutsch ihre

Geschichten zu erzählen. Und, also, weil… Es gab zur selben Zeit

in Berlin auch Einstürzende Neubauten und so Zeug, also es gab

eine extrem andere Kultur in Deutschland, zu der wir überhaupt gar

nicht passten. Und wo die Leute wirklich nicht wussten, wie sollen

sie das einordnen. Wir wurden belächelt.

069 Frank Spilker

Das war so die allerhärteste Ablehnung von so gerade diesem

deutschsprachigem Kram, das war halt Berlin, Kreuzberg, kann

man sich vorstellen, das war alles damals Berliner Krankheit

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irgendwie, es durfte auf keinen Fall Pop sein. Da haben wir gespielt

und dann gab es so Kommentare wie „Dire Straits für Arme“ oder

so, aber auch Fans, auch Leute, die geklatscht haben. Ich weiß

aber, dass ich damals total verunsichert war, weil das echt ein

hartes Pflaster war, das Café Swing von Metropol.

070 Bernd Begemann

Ich erinnere mich nur an die Shows und dass wir so, ich glaub

nicht, dass wir viel Begeisterung geerntet haben. So’n paar Leute

meinten, ah, lustige Provinztypen, die über ihre Scheißprovinz

singen, dabei ist Andy Warhols Factory doch viel aufregender.

Blöde Arschlöcher. Keine Scheißahnung von gar nichts. Naja.

Applaus im Café Swing.

Szene 17

In der Wohnungstür.

Mädchen: Hallo Mama? Bist du zu Hause? – Schmeiß dein Zeug da

einfach in die Ecke. - Käffchen?

Fan: Ja, gerne. Ich schau mir mal deine CDs an, ja?

Mädchen: Ja.

Fan: Oh, Tokio Hotel?

Mädchen: Jaha. Ist n paar Jahre her. Steh ich aber zu. Kann ja nicht

jeder so nen exquisiten Geschmack haben wie du. Aber sag mal,

warum… warum fanden denn die Berliner die Musik von denen so

scheiße? Was du mir vorgespielt hast, ist doch echt gut? Konnten die

Großstadtheinis uns Provinzler wohl nicht leiden!

Fan: Naja, es gab schon n paar Leute, denen gefiel die Musik echt gut.

Zum Beispiel denen von der Spex.

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Sprecherin

Spex, Musikzeitschrift. 1980 in Köln gegründet. In den 80er und 90er

Jahren die führende deutsche Musikzeitschrift mit subkultureller

Ausrichtung.

Fan: Naja, und die haben dann sogar n Interview mit denen gemacht

nach diesem Festival. Und sind dafür extra nach Bad Salzuflen gefahren.

Mädchen: Und das war dann der Durchbruch?

Fan: Schön wärs. Die meisten von denen erinnern sich heute nicht mehr

so gerne daran.

071 Bernadette La Hengst

Weil ich mir gemerkt hab, wie wahnsinnig wichtig wir uns alle

genommen haben. Und ich fand´s total prätentiös und ganz

schlimm. Also auch ich, weil ich gemerkt habe, wie… wie ich

gestrampelt habe, um vorzukommen, mit Worten, mit Wichtigkeit,

mit Humor, mit Witzen.

072 Frank Spilker

Damals habe ich das nicht so wahrgenommen, oder wenn ich es

wahrgenommen habe, dann habe ich es sportlich gesehen oder so.

Jetzt aber, im Nachhinein, 20 Jahre später, denkt man: Oh Gott,

was sind das für Typen, die da wirklich um so eine Pole-Position

kämpfen und mit was für einem Ehrgeiz sind die da am Start. Das

war einem dann ziemlich unangenehm.

Musikakzent.

Mädchen: Klingt jetzt aber schon nicht mehr so ganz nach „Wir gegen

den Rest der Welt“, was die da erzählen...

Fan: Nee nee, stimmt, das waren im Grunde schon die ersten Risse.

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073 Bernadette La Hengst

Also, es ist ja dann in verschiedene Richtungen abgedriftet. Es war

ja so, dass Frank und Jochen nach Hamburg gezogen sind und

zusammen in eine Wohnung gezogen sind am Deich.

074 OT Bernd Begemann

Ich hab sie ein paar Mal besucht und dann haben wir das

weitergemacht. Uns Lieder vorgespielt und so weiter.

Musikakzent.

Szene 18

Die beiden schlürfen Kaffee.

Mädchen: Also, das war vor Blumfeld?

Fan: Genau, Die Bienenjäger hieß die Band von Jochen damals.

Mädchen: Klingt gut. Hast du das auf CD oder so?

Fan: Nee, das findest du nur auf Youtube. Die Sachen vor Blumfeld, die

gibt’s nicht auf CD.

Mädchen: Klingt schon so´n bisschen wie Jochen Distelmeyer heute

solo.

075 Bernd Begemann

Ich glaub so, der Schlüsselaugenblick der Hamburger Schule ist,

wie Jochen von Diedrich Diederichsen abgelehnt wird.

Sprecherin

Diedrich Diederichsen. Kulturwissenschaftler, Kritiker, Essayist. In

den 80er und 90er Jahren Chefredakteur und Mitherausgeber der

Spex. Gilt als einer der führenden deutschen Poptheoretiker.

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076 Bernd Begemann

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie zentralistisch die

Musikszene war. Es gab ein paar bedeutende Gestalten. Zum

Beispiel den Schriftsteller Diedrich Diederichsen, der so was wie die

Losungen ausgab. Man musste die neueste Diedrich Diederichsen-

Losung kennen, sonst war man ein Idiot. Man musste auch die

Parolen lernen, man musste Worte benutzen wie z.B. Differenz.

Wenn man das Wort Differenz nicht kannte oder benutzen konnte

in einem Hauptsatz, war man offensichtlich ein gehirnamputierter

Spießer.

Er spielt Diedrich Diederichsen seine Bienenjäger-Songs vor und

Diedrich Diederichsen findet das kitschig – ich weiß nicht genau,

was seine Worte sind. Jochen wird also abgelehnt von dem großen

Mann, von dem Diskursmeister.

077 Frank Spilker

Ich weiß, dass er psychisch gelitten hat unter dieser Situation und

quasi, also dass das so ein Wendepunkt war für ihn und dass er

dann angefangen hat, komplett neu zu texten, also und Musik neu

zu denken oder so. Ne, und das aber habe ich nicht mitbekommen

über eine Diskussion mit ihm, sondern dadurch dass es aus dem

Nachbarzimmer in die Küche drang.

078 Bernadette La Hengst

Ich weiß aber schon, dass Jochen sich da – der hat damals

Zivildienst gemacht - und sich da sehr aus dem Ausgehleben

zurückgehalten hat oder zurückgezogen hat. Und ein Jahr lang

wirklich genau überlegt hat, ich möchte jetzt meine eigene Sprache

finden.

Musikakzent.

079 Bernd Begemann

Und Jochen ist entschlossen, was zu machen, was nicht einfach so

abgetan werden kann. Und er schreibt dieses Lied „Von der

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Unmöglichkeit nein zu sagen ohne sich umzubringen“.

Musikakzent.

080 Marcus Wiebusch

Auf Blumfeld als erstes aufmerksam geworden bin ich auf eine

Textzeile, in einem Hamburger Plattenladen. Da lag nur das Cover

und riesengroß eine Textzeile. Und die Textzeile war glaub ich:

„Dich interessiert doch nicht das, was du erlebst, sondern nur

das, wovon du erzählen kannst.“ Bumms. So eine geile Textzeile.

Und dann darunter: „Von der Unmöglichkeit nein zu sagen ohne

sich umzubringen“. Ich so, ey, was für eine geile Textzeile, kaufe

ich mir sofort das Album.

081 OT Bernadette La Hengst

Jochen und Frank, die dann Die Sterne und Blumfeld gegründet

haben, die dann so die politische Brisanz der Stunde aufgegriffen

haben, um dann eine sehr diskursive, neue Sprache zu erfinden.

Beide. Also, die haben ja auch zusammen gewohnt und sich da

sehr aneinander entwickelt oder aneinander gerieben und

weiterentwickelt. Und daraus ist dann diese irgendwie von

irgendjemandem so bezeichnete Hamburger Schule entstanden.

Sprecherin

Hamburger Schule.

Sammelbegriff für mehrere Bands, die in den späten 80er bis 90er

Jahren die Entwicklung der deutschsprachigen Popmusik

beeinflussten. Neben Blumfeld und den Sternen sind Tocotronic die

bekannteste Hamburger-Schule-Band. Vor allem ihr Umgang mit der

Deutschen Sprache war prägend, auch für spätere Bands wie

Kettcar und Tomte, die gelegentlich als Hamburger-Schule-

Nachfolger gesehen werden.

Musikakzent.

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Szene 19

Fan: Tja. Eben noch hier um die Ecke in diesem Studio am Waldrand

zusammen rumgejammt – und schon eine neue Musikrichtung namens

„Hamburger Schule“ erfunden.

Mädchen: Ja, krass.

Fan: Ich find das schon ziemlich beeindruckend. Und wahrscheinlich

konnte das alles nur genau so entstehen, weil die halt alle miteinander

befreundet waren und für ne gewisse Zeit alle so eng aufeinander

gehockt haben.

Mädchen: Ja ja, das klingt so. Auch echt Wahnsinn, dass hier in Bad

Salzuflen wirklich keiner davon weiß. Aber ey: wenn die da alle von

früher erzählen, dann fehlt doch eigentlich immer der Jochen

Distelmeyer. Warum eigentlich?

Fan: Ja ja. Das geht schon seit Jahren so. Der will von der ganzen Zeit

leider nix mehr wissen. Der schweigt.

082 Bernd Begemann

Oooch, typisch. Geheimnisvoll. Ja, er hat immer noch den

Regenmantel an.

083 Frank Spilker

Ich glaube, dass er damit nicht in Verbindung gebracht werden

möchte. Dass er sich zu einem gewissen Zeitpunkt für sich

entschieden hat, dass das Teil der Vergangenheit ist und mit seiner

jetzigen künstlerischen Existenz vor allen Dingen nichts mehr zu

tun hat.

084 Bernd Begemann

Deshalb wollte er auch, dass die alten Fastweltweit-Aufnahmen

von ihm nicht so zur Verfügung stehen unbedingt.

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Seine ganze Haltung sagt: die Zeit wo ich rumgesucht hab, ist nicht wichtig.

Wichtig ist, was ich gefunden hab.

085 Bernadette La Hengst

Jochen war auch sehr beeinflusst oder sehr inspiriert von Bernd.

Auch von seiner Art zu reden. Und das floss auch so ein bisschen

in seinen Gesang ein. Ich glaube auch so ein bisschen, dass

Jochen deswegen die alten, seine alten Fastweltweit-Songs nicht

mehr so gerne mag, weil er diesen Einfluss so extrem hört. Und

weil er sich erst später davon losgelöst hat.

086 Bernd Begemann

Ich finds schade! Ich fänds toll, wenn alles, was wir gemacht

haben, draußen im Sonnenlicht klar zu besichtigen wäre. Das

fände ich schön, auch weil es mir selbst Klarheit gibt. Ich red gern

über die Zeit. Ich red auch mit Jochen über die Zeit. Wir…

Manchmal… Einmal im Jahr muss ich Jochen sehen und ihn

sprechen, das ist wichtig für mich aus irgendeinem Grund. Ich

möchte mich... Es gibt mir was, das ich nicht beschreiben kann. Es

gibt jedem Menschen was, mit seiner Geschichte in Kontakt zu

sein. Und für ihn ist es vielleicht wichtiger, was Neues zu

definieren für sich, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es für ihn ein

Weg, vorwärts zu schreiten. Vielleicht sieht er das irgendwann mal

anders.

Szene 20

Fan: Tja, Ende der Story. Wenn auch kein besonders glückliches, hm?

Mädchen: Ja, wieso? Die sind doch noch alle befreundet. Nur halt nicht

mehr in diesem Kaff gefangen. Ich find das gut.

Fan: Ja, aber mittlerweile leben die alle so übers Land verstreut.

Weißte: Bernd, Frank und Jochen in Hamburg, Bernadette in Berlin, die

anderen hier in der Gegend.

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Irgendwie traurig, wenn so Freundschaften zu Ende gehen...

087 Frank SpiIker

Aber das ist logisch, weil sich die Biografien unterschiedlich

entwickelt haben, also, wir haben ja auch nur - glaube - ein Jahr da

zusammen gewohnt - also Jochen und ich.

088 Bernadette La Hengst

Das war ein bisschen wie die Loslösung vom Elternhaus. Also, aus

diesen ewigen Diskussionen und Hinterfragungen, warum macht

man etwas, warum hast du diesen Song so geschrieben, warum

hast du den so aufgenommen, hättest du es nicht anders...usw.

Das war sehr inspirierend, aber halt auch kontrollierend auf eine

Art. Und ich glaube, das hat auch dazu geführt, dass nachher so

ein extremer Bruch da war.

089 Frank Spilker

So eine Situation, wo ich gemerkt habe, da ist ganz viel Ehrgeiz im

Spiel, so, und dass dieses zunächst behauptete "gemeinsam

irgendwas machen" plötzlich zu Ende ist, wo es darum geht, in

dieser Szene Fuß zu fassen, ja, diese Hamburger Szene oder

beziehungsweise diesen Sprung zu machen zur überregionalen

Wahrnehmung eben. Das habe ich sehr deutlich in Erinnerung,

dass da Ellbogen eingesetzt wurden...

090 Bernadette La Hengst

Hier komm jetzt ICH und das ist jetzt mein Platz. Und ich muss

mich von dir abgrenzen, weil du bist nicht auf meiner Seite.

091 Frank Werner

Also, das war für mich irgendwann… 1993, ab da war quasi Fast

Weltweit, also der Gedanke, so gemeinsam was zu machen oder

so beendet.

Musikakzent.

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Szene 21

Fan: Mann, ist ja schon voll spät! Ich verpass meinen Zug!

Mädchen: Ach, du fährst heute noch zurück?

Fan: Also ich hab eigentlich Uni morgen. Und deshalb...

Mädchen: Was, was… Was ist denn aus dem Mann mit den Haferflocken geworden?

Fan: Frank Werner? Der lebt immer noch hier. Der arbeitet jetzt als IT-Spezialist,

hab ich gelesen. Und er betreibt so ein bisschen das Archiv,

weißt du, also der sammelt alles über die Zeit auf seiner Homepage. Ich

frag mich manchmal, ob der wohl irgendwie enttäuscht ist...

Mädchen: Wieso, der wohnt doch freiwillig hier. Also warum sollte der

enttäuscht sein?

Fan: Naja, weil alle Freunde von früher rausgezogen sind und so

zumindest halbwegs, ja, Popstars geworden sind. Nur er nicht.

092 Frank Werner

Das sind halt meine Freunde. Also, wenn ich jetzt Michael am

Telefon hab oder Frank, dann sind das ja Freunde von mir. Das

heißt, ich hab jetzt nicht das Gefühl, die sind verloren gegangen in

den Großstädten, das nicht. Der Kontakt ist über die Jahre immer

da geblieben. Also sei es zu Andreas Henning, der in Bielefeld

wohnt oder sei es zu Frank Spilker, der in Hamburg wohnt.

093 Bernadette La Hengst

Also, mit Bernd telefoniere ich zweimal im Jahr, einmal im Jahr. Mit

Michael Girke ungefähr so oft. Frank Spilker habe ich eine Zeitlang

oft gesehen in Hamburg. Andreas Henning habe ich ewig nicht

gesehen. Achim Knorr habe ich auch sehr lange nicht gesehen, ist

leider kein Kontakt mehr. Und Frank Werner sehe ich ab und zu

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auch, wenn ich in Bad Salzuflen bin, den besuch ich dann.

094 Frank Spilker

Zu vielen Leuten hab ich leider keinen Kontakt mehr. Also, vor

allem die, deren Wege sich schon vor 20 Jahren quasi getrennt

haben. Es gibt einen Haufen sozialer Beziehungen, von denen

man weiß, dass sie leiden, wenn man sich räumlich entfernt. Das

schon, ich glaube auch, dass viele auch deshalb solche

Ambitionen woanders hinzugehen auch durchaus mal begraben.

095 OT Frank Werner

In der Zeit hab ich vielleicht gedacht, meine Güte, jetzt veränder ich

die Welt. Aber im Nachhinein hat sich meine Welt verändert.

Musikakzent.

Szene 22

Landstraße.

Mädchen: Du willst also wirklich schon fahren?

Fan: Naja, ich muss. Oder meinst Du, ich muss mir den Kurpark

unbedingt noch angucken?

Mädchen: Und Schwäne füttern? Nee, aber so schlimm war's ja nun

auch nicht, oder?

Fan: Wenn man sich hier wohlfühlt, ist das ja ok. Aber ich kann auch

schon verstehen, dass die meisten von denen aus dem Kaff raus

wollten. Dahin wo´s erstmal fremd ist und riesig und überwältigend. (Ein

Bus hält.) Ich muss jetzt wirklich los.

Mädchen: Weißt du was? – Ich komm mit.

Musikakzent.

Page 40: Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...Und Bernd hatte damals eine kleine Band, die hieß Vatikan – das war ne Punkband – und sie haben jemanden gesucht, der Aufnahmen machen

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096 Frank Spilker

Ich weiß nicht, ich glaube, das ist immer noch so wenn ich die

Leute sehe von damals, da ist eine besondere Verbindung so, man

teilt eine Geschichte. Also wenn ich Bernadette treffe oder so, auch

wenn wir auch nicht mehr viel miteinander zu tun haben mehr,

weiß man, dass man irgendwie aus demselben Nest kommt und

so, und also richtig vorbei ist das eigentlich nie.

097 Bernd Begemann

Nein, das ist nie vorbei. Das ist eigentlich mehr denn je.

Musikakzent.

Sprecherin

Bad Salzuflen weltweit. Die Geburt des Diskurspop aus dem Geiste

der Kurtaxe. Ein Feature von Heiko Behr und Christian Möller.

Mit Frank Spilker, Bernadette La Hengst, Marcus Wiebusch, Bernd

Begemann, Frank Werner und Christoph Jacke.

Es sprachen: Fabian Busch, Natalie Rudziewicz und Inga Busch.

Technische Realisation:

Dirk Hülsenbusch, Mechthild Austermann und Thomas Kupilas.

Regieassistenz: Gerrit Booms

Regie: Susanne Krings.

Redaktion: Natalie Szallies.

Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks Köln, 2012.