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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Der einsame Tod des Herrn D. Von Johannes Nichelmann Produktion: Dlf 2017 Redaktion: Ulrike Bajohr Sendung: Freitag, 14.07.2017, 20:10-21:00 Uhr Es sprachen: Marietta Schwarz Nadine Lindner Jenny Marrenbach Axel Schröder Armin Dallapiccola und der Autor Regie: der Autor /Wolfgang Rindfleisch (Sprachaufnahmen Autor) Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Das Feature

Der einsame Tod des Herrn D.

Von Johannes Nichelmann

Produktion: Dlf 2017

Redaktion: Ulrike Bajohr

Sendung: Freitag, 14.07.2017, 20:10-21:00 Uhr

Es sprachen: Marietta Schwarz Nadine Lindner Jenny Marrenbach Axel Schröder Armin Dallapiccola und der Autor Regie: der Autor /Wolfgang Rindfleisch (Sprachaufnahmen Autor)

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar -

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Sprecher Hinweis: Manche Inhalte könnten Hörerinnen und Hörer als

verstörend empfinden. Die Namen einiger Protagonisten

wurden zum Schutz ihrer Persönlichkeit verändert.

Bernhard Naja, ich hab` s eigentlich ziemlich spät am selben Tag erfahren,

als ich von der Arbeit nach Hause gekommen bin und unten in den Hausflur gekommen bin. Sie können sich nicht vorstellen, wie der Hausflur, wie der gestunken hat. Also man kann den Geruch gar nicht beschreiben.

Das hat einfach den Hintergrund, die haben ja die Wohnungstür geöffnet und da hatte sich also diese, ja, wie soll ich das nennen, diese Gestanks-Blase die ganzen Jahre über in der Wohnung gehalten und jetzt geht die Wohnungstür auf. Dann dringt das alles nach außen. Massiv.

Und das hat mich dann gewundert, wusste aber nicht, dass zu dem Zeitpunkt, als ich von Arbeit gekommen bin, dass Polizei da war und Schlüsseldienst und die Wohnung dann geöffnet hatten. Dann bin ich nach oben zu meiner Frau, und dann hat sie mir erzählt: stell dir mal vor, Polizei war wohl da und Schlüsseldienst und die haben, deswegen stinkt das auch im ganzen Hausflur so, die haben den wohl gefunden. Der lag da schon ewig in seinem Sessel. Ich sag, das ist jetzt nicht dein Ernst! Meine Tochter, die zwar zu dem Zeitpunkt schon ausgezogen war, die sagte, das musst du dir mal vorstellen! Dann saßen wir fünf Jahre oder länger über dem hier auf der Couch und der saß unter uns und war schon die ganze Zeit tot? Ich sag, ja, das ist so. Ist ja auch Tatsache so. Das kann man sich gar nicht vorstellen! Der Mann war mumifiziert! Der war eins mit seinem Sessel! Der war eins mit seinem Sessel in dem er gesessen hat. So ist er vorgefunden worden. Ich hab ihn Gott sei Dank nicht gesehen.

Ansage: Der einsame Tod des Herrn D. Ein Feature von Johannes Nichelmann

Bernhard Paar Tage später bin ich mit einer Mieterin aus dem Haus mit

dem Bus gefahren und wir sind dort eingestiegen und wir kamen natürlich auf das Thema und der Busfahrer, wir waren die einzigen im Bus. Und da sagt der:

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Was, was, was... über was reden Sie? Sie haben bei sich im Haus jemanden gehabt der fünf Jahre. Das kann doch gar nicht... Na, das muss doch gestunken haben. Ich sag, das ist ja genau der Punkt. Es hat eben nicht gestunken. Das ist eben ein ganz besonderer Fall. Das ist eben nicht normal. Alles ist an dem Fall nicht normal.

Frau Nehmen Sie Vogelstimmen auf? Autor Genau, das mache ich gerade. Fürs Radio. Frau Ah ja, danke. Meine Neugierde! Autor Berlin. Ein Plattenbauviertel im Osten der Stadt. Zwischen

den Häusern eine Grünanlage. In den Zierbrunnen hat

jemand Spülmittel gekippt, alles ist voller weißem Schaum.

Ein heruntergekommener Sportplatz, ein paar kaputte

Flachbauten, in denen früher Kindertagesstätten

untergebracht waren. Bernhard ist an diesen Ort gezogen,

als noch alles in Schuss und eine Neubauwohnung hier ein

Glück war.

Bernhard DDR-typisch. Steht da also auch schon seit etlichen Jahren und wir sind deswegen dort eingezogen, weil wir halt ein Kind erwartet haben. Schon zu DDR-Zeiten, das war 1987. Hatten mehr oder weniger Kontakt zu den Mitbewohnern.

Also elf Geschosse, das heißt ja 33 Mietsparteien, 33 Mietsparteien heißt Vierraumwohnung, Zweiraumwohnung und Dreiraumwohnung. Kann man sich also ungefähr vorstellen, wie viele Leute in einem Aufgang gewohnt haben. Waren also weit mehr wie hundert.

Autor Zehn Jahre vor Herrn Bernhard, im Frühjahr 1977 zog Herr

D. in diesen Plattenbau ein. Da war das Haus ganz neu. Er

wird hier nie mehr ausziehen.

Bernhard Ja und unter anderem hat also ein Ehepaar unter uns gewohnt,

in der vierten Etage und die waren zu DDR-Zeiten selbstständig und hatten meiner Kenntnis nach einen Obst- und Gemüseladen. Den typischen Obst- und Gemüseladen, wie man den zu DDR-Zeiten kannte.

Autor Nach der Wende, so erinnert sich Bernhard, habe es wohl

Probleme mit dem Geschäft gegeben

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Bernhard Irgendwann war jedenfalls klar, diesen Laden hatten sie nicht mehr und dann standen sie also auf irgendwelchen Wochen-märkten, mit irgendwelchen Ständen. Das hat aber wohl wirtschaftlich nicht gereicht, die haben die Kurve nicht gekriegt, wie man so schön sagt, was dazu geführt hat, dass dann Frau D. wohl augenscheinlich die Konsequenzen gezogen hat und ist ausgezogen.

Autor Das war Ende der 1990’er Jahre. Was ist aus Frau D.

geworden? Bernhard weiß es nicht. Eine andere Nachbarin

ist Frau Schuhmann. Auch sie zog einige Jahre nach Herrn

D. hier ein.

Schuhmann Also ich erinnere mich an diesen Menschen als solchen, als wir

hier einzogen war das ein sehr gut gekleideter Mann, wenn man ihn im Fahrstuhl traf, war er sehr höflich, freundlich.

Autor Im Laufe des Jahres 2007 verschwindet Herr D. aus dem

Blickfeld der Hausbewohner. Sie treffen ihn weder am

Fahrstuhl, noch beim Einkaufen oder an den Briefkästen.

Sie machen sich Gedanken, kommen aber zu keinem

Schluss. Eines Tages werden sie nach Herrn D. gefragt.

Bernhard Nach circa zwei Jahren, klingelte es bei uns an der

Wohnungstür, und da standen zwei Herren von einem Kleingartenverein vor uns und hatten uns gefragt, ob wir wüssten, wo Herr D. ist.

Ich sag, ne, um was geht’s denn? Naja, Herr D. hat bei uns einen Kleingarten und der verwildert, der hat sich also seit längerer Zeit nicht sehen lassen und wir möchten ihn doch bitten den Garten abzugeben, weil es doch genug Interessenten gibt. Sie haben schon mehrfach versucht per Post und Blablabla ähm mit ihm Kontakt aufzunehmen. Hat nicht gefruchtet und vielleicht hab ich die Möglichkeit oder wir, dass wir, wenn wir ihn denn mal sehen, darauf aufmerksam machen, dass diese Kleingartenanlage mit ihm... und da haben wir dann schon gesagt, Moment mal! Wer weiß, was passiert ist.

Schuhmann Es war hier im Hause so, dass es doch manchen auffiel, dass die

Wohnung recht einsam war. Also dass kein Betrieb in dieser Wohnung war.

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Bernhard Es war nicht die direkte Bezugsperson, wo man sich ernsthaft Gedanken gemacht hat. Das war keine Freundschaft, das war keine Bekanntschaft, das war keine Verwandtschaft, wo man dann vielleicht ganz anders reagiert hätte. Nicht nur wahrscheinlich. Ganz bestimmt sogar. Ich zu mindestens.

Autor Fünf Jahre nach dem Verschwinden von Herrn D., im Herbst

2012.

Schuhmann Irgendwann muss mal doch jemanden der Kragen geplatzt sein

und dann sind die dann in die Wohnung rein. Bernhard In diesen Neubaugebieten werden ja dann doch mal irgendwann

irgendwelche Sachen saniert, rekonstruiert, aus gewechselt und in dem Fall waren es Tatsache die Wasseruhren. Ich weiß nicht, wie der Stand heute ist, aber zum damaligen Zeitpunkt war es so, dass diese Wasseruhren, diese neu installierten Wasseruhren, alle zwei Jahre ausgetauscht werden müssen. Weil sie entweder... weil es einfach eine Bestimmung dafür gibt. Ich kenne mich da nicht aus. Oder weil es neue Entwicklung gibt oder wie... also die werden jedenfalls alle zwei Jahre ausgewechselt. Auf Kosten des Vermieters. Dazu brauche ich ja den Zugang zur Wohnung.

Und in dem Fall war es also so, dass das also wohl erhebliche Konsequenzen gehabt hätte, wenn sie die Wasseruhren in der Wohnung nicht hätten austauschen können. Und da sie im Vorfeld, es gab ja Informationsschreiben, Post vom Verwalter, vom Vermieter, dann und dann ist Tag X. Die zwei Tage planen wir ein, sehen Sie zu, Zugang und dann das Übliche. Und ja, dann hat man eben festgestellt, dass Herr D. nicht reagiert hat und dann hat man sich von Seiten der Verwaltung dazu entschlossen, einen Schlüsseldienst zu beauftragen, die Polizei informiert hat und dann hat dann die Wohnung öffnen lassen. Im Beisein der Polizei.

Autor Eine Freundin hat mir davon erzählt, was mit Herrn D.

passiert ist. Ihre Großmutter war auch eine seiner

Nachbarinnen.

Ich schicke eine Email an die Berliner Polizei. Ob es zu

diesem Fall eine Akte gibt oder ob sich Kolleginnen oder

Kollegen vom zuständigen Abschnitt an die Sache erinnern

können. Man entdeckt schließlich auch in Berlin als Polizist

nicht jeden Tag eine Mumie.

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Die Antwort der Behörde kommt schnell. Keine Akte mehr

vorhanden, keine Erinnerung bei den Beamten.

Auch die Nachbarn wissen nicht viel. Hatte er Kinder? Alle,

mit denen ich bisher gesprochen habe, kannten nicht einmal

seinen Vornamen. Es ist immer nur die Rede von Herrn D.

Wer fünf Jahre lang vergessen und tot in seiner Wohnung

saß, hat nicht besonders viele Spuren gelegt.

Sound: Rechtsmedizin, Charité, Schritte Autor Ich gehe zu dem Ort, an dem die sterblichen Überreste von

Herrn D. nach seinem Tod gebracht worden sein könnten.

Buschmann Hier haben wir einen Teil der Kühlräume. Ja, da kann ich mal

einen aufmachen, wenn Sie mal das Geräusch hören wollen.

Wir sind hier im Institut für Rechtsmedizin der Charité. Wir obduzieren hier Leichen auf Antrag der Staatsanwaltschaft, größtenteils.

Hier haben wir noch.

Autor Claas Buschmann ist Rechtsmediziner. Buschmann Hier sehen wir es zum Beispiel so eine Workstation. Ansonsten

haben wir hier vier Tische, vier Sektionstische. Sie sehen hier die Klimaanlage, die arbeitet hier auch und Sie merken, es riecht hier gar nicht. Oder?

Autor Doch eigentlich riecht es schon ein bisschen. Buschmann Ach so! (lacht) Okay. Ja... Autor Ich hab Sie ja gebeten zu gucken, ob Sie Herrn D. bei sich im

System hatten. Ob der hier in Berlin obduziert wurde. Was haben Sie herausgefunden?

Buschmann Ganz offenkundig ist Herr D. weder hier gewesen in der Charité,

noch im Landesinstitut. Muss man auch sagen, die Anordnung zur Obduktion durch das Gericht bzw. den Staatsanwalt ist auch keine medizinische Entscheidung sondern eine juristische kriminalistische Entscheidung. Das heißt, es kann durchaus Sachverhalte geben, wo jemand stirbt und es wäre medizinisch interessant den zu obduzieren.

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Ist aber nicht im kriminalistischen Interesse, weil eben der Sachverhalt dem Staatsanwalt hinreichend eindeutig erscheint und er das Geld für die Obduktion dann, ja, spart.

Autor Herr D. hat fünf Jahre lang tot in seiner Wohnung gelegen. Wie

oft hören Sie von solchen Fällen, wo jemand wirklich Monate lang, Jahre lang ohne gefunden zu werden in der Wohnung liegt in Berlin?

Buschmann Also 50 Prozent der Leichen, die wir hier sezieren, sind

fäulnisverändert. Das heißt, wir haben hier Liegezeiten von Monaten und auch zum Teil Jahren. Fünf Jahre ist schon doch ein recht langer Zeitraum. Also das, joa, müsste ich jetzt tatsächlich grob schätzen, aber das ist vielleicht so alle paar Monate mal. Aber das ist nicht so selten. Das ist ein Phänomen, das es eigentlich immer schon gab und was auch relativ großstadttypisch ist. Ich erinnere mich an einen Fall, wo jemand im Sommer gefunden wurde, weil eben die Weihnachtsbeleuchtung noch brannte, und zwar seit fünf Jahren.

Der dann skelettiert im Sessel saß. Die Anonymität ist sicherlich größer als irgendwo auf dem Land, wo man vielleicht noch den Nachbarn kennt und vielleicht noch einen gemeinsamen Schützenverein hat oder eine Freiwillige Feuerwehr. Oder in den anderen sozialen Gegebenheiten wo man sich trifft. Das ist sicher in der Stadt weniger. Wir haben es auch häufig zu tun mit Alkoholikern, die dann entsprechend auch keine Familien und keine sozialen Bindungen mehr haben und dann einfach, ja, in Anführungsstrichen vergessen werden.

Autor Claas Buschmann von der Berliner Charité kann mir also

nichts über Herrn D. sagen. Aber eine anderen Frage kann er

mir vielleicht beantworten: Hätte den Nachbarinnen und

Nachbarn nicht ein Verwesungsgeruch auffallen müssen?

Buschmann Das zeigt die Erfahrung, dass es eigentlich nur in der ersten Zeit

der Fall ist. Ja, also der Leichengeruch von Mumien, der wird so als stechend muffig beschrieben, das trifft es auch ganz gut finde ich. Das ist aber längst nicht so penetrant, wie wenn eine Leiche, sag ich mal, auch feucht ist oder auch richtig in Fäulnis übergeht. Das ist ein sehr ekelerregender und auch penetranter Geruch. Bei Mumien ist das eher diskret.

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Also der hat jetzt nicht, es hat jetzt nicht fünf Jahre lang permanent ekelerregend dort gestunken. Ganz sicher nicht. Sondern das ist in den ersten Wochen und Monaten vielleicht der Fall gewesen, aber wenn die Leiche eben eintrocknet, dann geht eben auch, joa, die Geruchsmatrix ein bisschen weg.

Autor Aber sie ist ja dagewesen irgendwann mal. Buschmann Joa! Autor Meinen Sie, man muss es auf jeden Fall gerochen haben? Buschmann Also, das ist natürlich jetzt im Einzelfall immer schwierig zu

sagen, aber hat es jemand gerochen und hat sich da auch vielleicht keine Gedanken gemacht. Ja. Kann ja auch sein. Gehen Sie mal im Sommer an einer Mülltonne vorbei. An der Bio-Mülltonne. Da könnte ja auch was drin liegen, was dort nicht hingehört. Machen Sie sich auch keine Gedanken drum.

Autor Ich denke darüber nach, was in den fünf Jahren, die Herr D.

in seiner Wohnung lag, alles passiert ist. 2007 bis 2012.

Angela Merkel wurde ein zweites Mal zur Bundeskanzlerin

gewählt. Obama wurde US-Präsident und die Finanzkrise

brach über uns herein. Michael Jackson starb Auf Haiti

bebte die Erde, Deutschland scheiterte im Halbfinale der

vorletzten Fußball-EM, und das heißeste Thema in der

politischen Debatte war das Buch von Thilo Sarrazin.

Wo fängt Einsamkeit an? Nachricht 1 Wir sind in Hagen und es ist mittlerweile fünf Jahre her, dass in

diesem Haus eine 66-Jährige Frau einen einsamen Tod gestorben ist. Wie konnte das passieren? Unbemerkt lag die Rentnerin jahrelang in ihrer Wohnung.

Nachricht 2 Stuttgart: Zwei Jahre lang blieb der Tod einer Seniorin

unbemerkt. Erst jetzt barg die Polizei die mumifizierten Überreste der Frau.

Nachricht 3 Emmerich: Der Fall des toten 75-Jährigen, der am Dienstag in

seiner Wohnung erst nach vier Wochen entdeckt worden ist, schockiert alle Bürger.

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Autor Wie kann es passieren, dass ein Tod nicht bemerkt wird?

Ich verabrede mich mit Elke Schilling. Die 72-Jährige ist die

Seniorenvertreterin für den Berliner Bezirk Mitte. Auch sie

hat Erfahrungen mit einem unentdeckten Toten gemacht. Ihr

Nachbar lag drei Monate in der Wohnung nebenan.

Schilling Naja, ich hatte einen Nachbarn, der mir vor sieben Jahren bei

meinem Einzug geholfen hat, da war er noch ganz frisch. Und dann irgendwie unsichtbar wurde. Dann hab ich mich dann mal an seine Tür gestellt und so lange geklingelt, bis er geöffnet hat und hab ihm gesagt, Herr Sowieso, wenn Sie Hilfe brauchen und wenn ich was für Sie tun kann, ich tu es gerne. Klingeln Sie einfach! Hat er nicht gemacht und dann habe ich einen Flyer über drei Wochen an seiner Tür hängen gesehen und dachte, hallo, was ist hier los?

Hab die Polizei benachrichtigt, die kamen, standen vor der Tür und sagten, Frau Schilling, wenn der jetzt bloß zu einer Freundin gezogen ist, dann zahlen Sie das aufbrechen! Dann hab ich gesagt, okay, lasst es!

Und acht Wochen später hatte ich unglaublich viel und zunehmend immer mehr Fliegen in meiner Wohnung. Wir waren ja direkte Nachbarn. Und noch eine Weile später kamen auch die Speckkäfer dazu. Das war dann der Moment, wo ich dann bei meiner Wohnungsgesellschaft angerufen habe und gesagt habe, Leute, guckt nach, was da ist. Wenn... das kann nur von nebenan kommen! Und dann sind sie in der Tat mit Polizei und Schloss angerückt und dann war mein Nachbar tatsächlich schon eine geraume Zeit tot und es hat nicht gut gerochen, als sie ihn aus der Wohnung transportiert haben und die Wohnung musste völlig renoviert werden und das war für mich so entsetzlich! Weil, was hätte ich tun können? Ich hab mich ja zu kümmern versucht und es ging nicht.

Autor In so einer Großstadt wie Berlin, der größten Stadt Deutschlands, welche Rolle spielt Einsamkeit bei Senioren?

Schilling Da gibt es bedauerlicherweise nicht wirklich Zahlen dafür. Man

kann aus dem deutschen Alterssurvey per se entnehmen, dass zwischen den 40- und 75-jährigen ungefähr ein Drittel über Einsamkeit klagen, aber dort geht’s eigentlich eher zurück. Was der deutsche Alterssurvey nicht macht, ist zu untersuchen, wie es den jenseits der 75 geht. Und dann sind ja immerhin 25 bis 30 Altersjahrgänge.

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Da gibt’s dann die Hochaltrigen-Studie von der „Generali“ und auch da kann man wieder ablesen ungefähr ein Drittel. Je älter, desto mehr, weil natürlich die Singles mit Hochaltrigkeit immer mehr werden. D.h. wenn ich diese Zahlen mal auf die deutsche Bevölkerung herunterrechne, komme ich in Gesamtdeutschland auf etwa acht Millionen alte Menschen über 60, die mehr oder weniger heftige Einsamkeitsgefühle haben und wenn ich das auf Berlin runterrechne, sind es 300.000.

Autor Was heißt Einsamkeit, also was ist das für ein Gefühl, was

erleben diese Menschen? Schilling Naja, das ist eine ganz subjektive Sache erst mal per se. Man

kann einsam sein in einer großen Menschenmenge, man kann sich in einer Ehe einsam fühlen, wenn man nicht mehr miteinander redet oder warum auch immer. Man kann in die Einsamkeit reinstürzen, weil sozusagen das soziale Netz rund um sich ausdünnt. Die Kinder ziehen weg, der Partner stirbt, die Verwandten sterben. Mir hat mal ein alter Mann an einem Krisentelefon gesagt, 80 Jahre, junge Frau, ich bin jetzt 80, die Reihen um mich haben sich auf null gelichtet, warum soll ich noch leben? Und das ist auch das Spannende, gerade bei alten Männern über 80 ist die Suizidrate die Höchste.

Sound: Plattenbau (Außen)

Autor Ohne den Vornamen von Herrn D. komme ich nicht weiter.

Als erstes finde ich den seiner Ex-Frau, Ich habe mir das

Telefonbuch von 1984 besorgt. Beim Einwohnermeldeamt

erfahre ich das sie noch lebt. Und wo sie lebt.

Autor Ich bin jetzt in den Osten von Berlin gefahren und weiß, dass hier

Frau D. – die Ex-Frau von Herrn D. – wohnt. Ich weiß nicht, ob sie weißt, wie er tatsächlich ums Leben gekommen ist, bzw. welches Schicksal er nach seinem Tod hatte.

Autor Es ist März, ein kalter Tag in einer ruhigen Wohngegend am

Stadtrand. Ich will von Frau D. wissen, wann sie zuletzt zu

ihrem Mann Kontakt hatte. Ihre Fenster sind verschlossen,

auf mein Klingeln reagiert sie nicht. Sie scheint nicht zu

Hause zu sein. Ich werde es ein anderes Mal versuchen.

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In fünf Jahren hat Herr D. doch sicherlich eine Menge Post

bekommen. Wäre ein übervoller Briefkasten nicht

aufgefallen? Ich höre noch einmal in meine Aufnahmen mit

den Hausbewohnern, Bernhard und Frau Schuhmann.

Schuhmann Die Nachbarn müssen den Schlüssel gehabt haben und haben

den Briefkasten geleert. Also muss doch auch den Nachbarn mal aufgefallen sein, die haben nämlich gedacht, der ist irgendwohin verzogen...

Autor Hallo. Mann Hallo. (schließt Tür auf, Tür fällt zu) Schuhmann ...und aber es muss doch auch mal persönliche Post gekommen

sein! Autor Hier sehe ich die Briefkästen. Zwei, vier, sechs, acht, zehn,

zwölf, vierzehn, sechszehn, zweimal sechszehn Briefkästen. Also hier war natürlich auch der Briefkasten von Herrn D., der geleert worden ist von Nachbarn.

Autor Die Post sollen sie in einer Kammer neben der Wohnung

von Herrn D. in ein Regal gelegt haben.

Bernhard Da sind so ein paar Fragezeichen übrig geblieben, wie das

funktioniert, wenn es denn so war, ich hab die Leute nie gefragt, ob die das tatsächlich gemacht haben, aber auffällig war ja eins, der Briefkasten hätte ja und wenn es nur diese, ich sag mal schon fast, diese tägliche Werbezeitschriften, die da so einfliegen, gewesen wären, dann wäre der spätestens nach einer Woche übergelaufen, hätten die gar nichts mehr reingekriegt. Der Briefkasten war leer.

Autor Wer waren diese Nachbarn, die den Schlüssel zu D.s

Briefkasten hatten? Warum haben sie nicht viel früher Alarm

geschlagen? Und wenn sie regelmäßig den Briefkasten von

Herrn D. geleert haben, müssen sie doch auch seinen

Vornamen gekannt haben. Bernhard und Frau Schuhmann

wissen nicht, welche Nachbarn das gewesen sein sollen.

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Ich schlage ein aktuelles Telefonbuch auf und beginne alle

Menschen anzurufen, die in diesem Haus wohnen und mit

denen ich noch nicht gesprochen habe. Einige legen sofort

auf, andere verweisen vorher noch rasch auf den Umstand,

dass sie mit der „Lügenpresse“ nichts zu tun haben wollen.

Eine Frau bleibt am Apparat. Sie erinnert sich an den

Vornamen. Ich drücke den Hörer noch etwas fester an mein

Ohr, damit ich ihn auch wirklich richtig verstehe. „Joachim“,

er hieß „Joachim“, sagt sie. „So hat er sich mal meinem

Mann vorgestellt, glaub ich. Den kann ich aber leider nicht

mehr fragen, denn er ist vor zwei Jahren verstorben“.

Sie weiß auch, welche Nachbarn die Post für Joachim D.

geholt haben sollen. Ich schreibe der Familie einen Brief.

Erkläre, dass ich gerne verstehen möchte, wie es zu dem

einsamen Tod von Herrn D. kommen konnte.

Mit dem vollständigen Namen von Herrn D. kann ich beim

Einwohnermeldeamt sein offizielles Geburts- und

Sterbedatum abfragen. Es wird einige Wochen dauern, bis

ich Antwort erhalte. Seit inzwischen einem halben Jahr

versuche ich, mehr über die Umstände des unentdeckten

Todes von Herrn D. herauszufinden.

Joachim D. Ich gebe seinen vollständigen Namen

probeweise in eine Suchmaschine ein und glaube nicht

daran, irgendeinen sinnvollen Treffer zu landen. Doch dann

finde ich einen einzigen Eintrag. Wie es scheint, hat ein

Joachim D. im Jahr 2000 einmal ein Interview gegeben. Über

sein Leben. Auszüge daraus sind in einem Buch erschienen,

das vom Alltag gewöhnlicher Berlinerinnen und Berliner

erzählt. Ich bestelle das Buch über ein Antiquariat.

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Autor So, jetzt ist das Buch endlich angekommen. Hat über eine Woche gedauert. Dieser Mensch, der hier beschrieben wird, beschreibt seine Kindheit in genau der Gegend, in der auch Herr D. gelebt hat. „Ich fing 1953 mit einer Bande an, zwischen zwölf und sechzehn Mann habe ich zusammenbekommen...

Sprecher Ich hatte Glück, weil mein Vater die Werkstatt hatte! Wir

wollten uns ja Waffen bauen, „Katschies“ zum Beispiel. Ich

hab Katschies aus Rohren hergestellt, da guckten die

anderen aber ... Damit wurden Straßenschlachten gemacht:

Wir waren sehr ungezogen.“

Autor Ist das wirklich der Herr D. den ich suche? Ich rufe den

Autor des Buches an. Er heißt Jan. Ich erzähle ihm von

meinem Herrn D. und er bestätigt mir, dass er ihn gekannt

hat. Wir verabreden uns.

Autor Als ich dich angerufen hab, dass ich an der Geschichte von

Herrn D. interessiert bin, den du ja vor 17 Jahren ungefähr getroffen hast, was hast du da gedacht?

Jan Ich konnte mich an Herrn D. zuerst nicht erinnern. Ich wusste

nicht, wer das war von den vielen Leuten, die ich damals für das Buchprojekt interviewt habe und ich hätte niemals gedacht, dass es um den Herrn D. tatsächlich geht, den ich damals getroffen habe.

Ich hab gedacht, es geht um irgendeine interessante Persönlichkeit, über die man ein Radiofeature macht. Da hätte ich jeden anderen meiner Interviewpartner, aber nicht Herrn D. hinter vermutet.

Sprecher Ich war acht Jahre in der Schule – länger konnten wir uns

das damals nicht leisten. Und in den fünfziger Jahren war es

ja oft noch so, dass der Sohn den Beruf gelernt hat, den der

Vater gemacht hat. Mein Vater war Elektroinstallateur-

Meister. Ich habe schon als Kind in seiner Werkstatt

mitgeguckt und gearbeitet; also sagte er nach der Schule:

„Du wirst Elektroinstallateur!“

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Nach anderthalb Jahren hatte ich so die Nase voll, dass ich

die Lehre geschmissen habe. Und Wolfgang, ein Freund aus

der Nachbarschaft, sagte zu mir: „Na, dann werde doch

Brauer!“ Ich habe von Mai bis August als Hilfsbrauer

gearbeitet. Das war die Rock’n’Roll-Zeit, und wir waren bis

1961 fast jeden Tag in West-Berlin. Berufsschule blau

gemacht und ins Kino gegangen.

Ich hatte 1961 in der Brauerei ausgelernt. Als Auszeichnung

hatte ich eine FDGB-Reise nach Thüringen gewonnen, mit

noch Dreie. Ich hatte praktisch mit Eins, theoretisch mit

Zwei den Facharbeiter gekriegt. Ich hab gedacht: „Jetzt

bekommste ’nen Job !“ Und da wurde die Grenze

zugemacht, und die ganzen Altbrauer wieder eingestellt. Da

habe ich, obwohl ich so gut ausgelernt hatte, als Hoffeger

angefangen! In Lohngruppe Fünf; das war ein Stundenlohn

von ungefähr 1 Mark 65. Das war wirklich ungerecht.

Autor Ein Brauer? Bernhardt hat mir doch von einem Obst- und

Gemüseladen erzählt…

Bernhard Den typischen Obst- und Gemüseladen, wie man den zu DDR-

Zeiten kannte. Jan Er hat mir erzählt, dass er am Anfang seiner Brauerlehre auch

angefangen hat zu trinken. Also er hat mir erzählt, dass es für einen Brauer völlig normal wäre, sechs Liter Bier am Tag zu trinken. Das ist ja immens viel. Zwölf große Flaschen am Tag. Wenn er da zu Teenie-Zeiten mit angefangen hat, das hat mich schwer beeindruckt. Also das ist auf jeden Fall auch in Erinnerung geblieben. Dass er mir ernsthaft erzählt hat, er trinkt sein ganzes Leben eigentlich schon sechs Liter Bier am Tag und das wäre auch völlig normal für Brauer.

Der ist mir ja schon relativ gut in Erinnerung geblieben, aber er hat einfach einen total desolaten Eindruck gemacht, als ich ihn getroffen habe.

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Autor Jan hat sich überlegt, ob vielleicht eine Stasi-Geschichte

hinter meinem Interesse stecken könnte. Ich wollte ihm am

Telefon nicht sagen, was mit Herrn D. passiert ist. Ich

wusste ja noch nicht, wie gut sie sich gekannt haben.

Autor Was hast du vorhin gedacht, als ich dir gesagt habe, warum ich

Herrn D. porträtiere, warum es eine Sendung über ihn geben wird?

Jan Das hat dann gepasst. Dieses Ende, das er dann gefunden hat,

das hat halt gepasst zu dem Bild, was ich von ihm gewonnen hab.

Autor Wie hast du ihn überhaupt gefunden, also warum hast du den

interviewt? Jan Ich hab damals über alle möglichen Kanäle versucht,

Interviewpartner zu finden, die mir was über ihren Alltag bis in die 70er Jahre berichten können. Ich kannte erst einmal überhaupt niemanden und hab Aushänge in Supermärkten und in den Straßen verteilt, und Herr D. hat sich über einen Aushang in einem Supermarkt da ganz in der Nähe der Plattenbausiedlung bei mir telefonisch gemeldet. Ich hatte halt so Abreißzettelchen, dass man mich anruft und ja, er hat mich angerufen und hat erzählt, dass er mir sicher einiges Interessantes zu erzählen hätte und ob ich dafür bezahlen würde. Das habe ich verneint, dass es kein Geld gäbe.

Dann hat er darum gebeten, dass ich doch bitte einen Träger

Bier mitbringen sollte und darauf hab ich mich eingelassen. Das hab ich dann gemacht und dann bin ich zu ihm in die Wohnung gefahren und hab ihn da interviewt.

Autor Du hast geklingelt und bist dann in diesen Plattenbau hinein, wie

ging es weiter? Jan Ich bin eingelassen worden und die Wohnung war verdunkelt,

also da waren schwere Vorhänge vorgezogen und es war noch jemand mit da. Ein jüngerer Mann, um die dreißig hab ich ihn geschätzt, der aber auch nicht viel gesagt hat und den ich auch nicht näher einordnen konnte.

Der mir auch nicht vorgestellt wurde und der hat im Wohnzimmer am Computer gesessen und gespielt. Computerspiele gespielt. Herr D. und sein Gast haben Bier getrunken, schon als ich angekommen bin. Und zwar Schwarzbier, lauwarmes Schwarzbier aus kleinen Porzellantässchen.

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Das ist mir auf jeden Fall sehr gut in Erinnerung geblieben. Und ich hab mich mit Herrn D. dann an den Wohnzimmertisch gesetzt, das waren so Sessel, in denen man tief eingesunken ist und ein Sofa, ich saß auf dem Sessel, er auf dem Sofa und dann haben wir da so zusammengekauert im Halbdunkel gesessen, haben unser Schwarzbier getrunken und das Interview geführt.

Autor Du hast mitgetrunken? Jan Ich hab auch mitgetrunken. Zwei Tässchen oder so. Das waren

ja kleine Tässchen und ich wollte natürlich auch irgendwie das Eis brechen und einen Draht zu ihn finden und dann hab ich zwei Tässchen mitgetrunken, ja.

Autor Wie sah denn diese Wohnung aus? Wie war die eingerichtet, wie

ja... Jan Die war, ja, fürchterlich altmodisch. Schrankwand, dunkle

Schrankwand glaub ich. Und das war alles irgendwie, hatte seine beste Zeit längst hinter sich und war, schätze ich mal, die Einrichtung dreißig Jahre alt oder so. So muffig, dunkel muffig, hab ich das in Erinnerung. Genauer kann ich das nicht beschreiben.

Autor Ungefähr zwei Stunden lang dauert die Begegnung von Jan

und Joachim D. Es geht um die Kindheit in Berlin, das

Aufwachsen nach dem Krieg und seine Ausbildung zum

Brauer. Danach haben Jan und er noch ein paar Briefe hin

und her geschrieben. Jan hatte ihn zur Buchpremiere

eingeladen, zu der Herr D. ein paar Freunde mitbringen

wollte und zu der er dann aber nicht gekommen ist.

Autor Hat er noch was erzählt von Kindern, von einer Ehefrau oder so? Jan Nein, da hat er überhaupt nichts drüber erzählt. Ähm... Nein, von

Familie war keine Rede. Also, er hat erzählt, dass er eine Datsche hat und er hat erzählt, dass er Bierdeckel und Bieretiketten sammelt. So wie ich ihn einschätze, ich glaube, er hat mir sogar was gezeigt.

Er hatte das richtig feinsäuberlich in Alben aufgeklebt. Ja, Bierdeckel und Bieretiketten aus aller Welt und, ja, er hat erzählt, dass er sich gerne mit Computern beschäftigt und dass er in Ferienclubs als Animateur arbeiten würde.

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Das hab ich auch dann in meine Kurzbiographie am Ende des Buches mit aufgenommen. Wobei ich mir das beim besten Willen eigentlich nicht vorstellen konnte. Also entweder muss das schon lange her gewesen sein oder - ich weiß nicht, was das für merkwürdige Ferienclubs waren.

Wobei ich ihn nicht für vereinsamt gehalten hätte. Er hat schon den Eindruck gemacht, als ob er einen Freundeskreis hat. Also mit der Datsche und dem Animateurs-Dasein in den Ferien und auch, dass er gesagt hat, er will ein paar Kumpels mit zur Lesung bringen und so. Das hab ich ihm schon geglaubt und das war 1999/ 2000 so rum.

Autor In dem Buch von Jan sind auch zwei Gruppenfotos

abgebildet. Er schreibt mir ein paar Tage nach unserem

Treffen, welches der Kinder auf einem Klassenfoto Joachim

ist. Schwarze Haare, Seitenscheitel, große und leicht

abstehende Ohren, ein freches Grinsen. Weder klein noch

groß.

Dann gibt es noch ein Foto, auf dem Herr D. mit seiner

Berufsschulklasse zu sehen ist. Er im hellen Mantel. Seine

Hände verschränkt, lachend – die Momentaufnahme eines

fröhlichen Klassenausfluges. Aus einer Zeit, in der das

Leben von Herrn D. vermutlich gerade erst richtig

losgegangen ist.

Fotos aus einer Lebensphase, in der Einsamkeit für die

meisten kein großes Thema ist.

Auch wenn Herr D. durchaus Kontakt zu Menschen gehabt

zu haben scheint, hat er sich vielleicht doch einsam gefühlt?

Wenn er Freunde hatte, warum haben sie ihn nicht als

vermisst gemeldet? Hat seine Alkoholkrankheit dazu

geführt, dass sich Verwandte und Bekannte nicht mehr um

ihn gekümmert haben?

Elke Schilling, die Seniorenvertreterin des Bezirks Berlin

Mitte, hat nach dem Tod ihres Nachbarn hat die Initiative

„Silbernetz“ ins Leben gerufen.

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Schilling Silbernetz ist ein Hilfetelefon für ältere, vereinsamte Menschen, das rund um die Uhr ansprechbar ist. Erfahrungsgemäß ist Einsamkeit etwas, was zu jeder Tages- und Nachtzeit zuschlägt. Aber schon als alter Mensch weiß ich, dass um drei Uhr nachts so eine Zeit ist, wo die Probleme über einen hereinstürzen können und genau dann muss jemand da sein. Also dieses Rund-um-die-Uhr-Hilfetelefon einfach nur für Gespräche. Damit jemand, der in die Einsamkeit abgestürzt ist weiß, ich kann da anrufen, ich finde da jemanden zum Reden, jemanden, der mir zuhört.

Das ist die erste Stufe, und unsere Mitarbeiter am Hilfe-Telefon können ihren alten Menschen, ihrem Anrufer dann sagen, okay, dieser anonyme Anruf ist immer möglich und wenn Sie mehr möchten, dann können wir Ihnen einen Silbernetz-Freund oder eine Silbernetz-Freundin vermitteln. Das ist ein Ehrenamtlicher oder eine Ehrenamtliche, die einmal in der Woche ihren alten Menschen anruft, für ein persönliches Gespräch, für eine persönliche telefonische Beziehung, die etwas enger ist, als das anonyme Gespräch und das die Möglichkeit bietet, dem alten Menschen zu sagen, pass mal auf, bei dir in der Gegend gibt es eine Begegnungsstätte, die machen das und das und das. Es gibt einen Besuchsdienst. Berlin ist ja wirklich reich in seiner Altenhilfe-Landschaft. Das Problem ist dass vierzig Prozent der Alten nicht wissen, was es bei ihnen im Kiez im unmittelbaren Wohnumfeld an Angeboten gibt.

Autor Aus Jans Schilderungen schließe ich, dass Herr D. nicht

gerade wohlhabend war. Wie konnten fünf Jahre lang die

laufenden Kosten beglichen werden? Wäre er arbeitslos

gemeldet gewesen, hätte das Job-Center die Zahlungen

ohne eine Rückmeldung rasch eingestellt. Die Nachbarn

berichten mir, dass Herr D. Sozialhilfeempfänger gewesen

sei. Ich frage schriftlich beim zuständigen Sozialamt nach.

Auf die Antwort des Behördenleiters muss ich nur ein paar

Stunden warten.

Sprecher Ich habe in unserem IT-Fachverfahren zur Berechnung und

Zahlbarmachung von Sozialhilfeansprüchen, in unserer

Kosteneinziehung und in unserem Aktenarchiv

nachforschen lassen, ob sich ein Vorgang für Herrn D.

finden lässt. Ich habe von allen beauftragten Kolleginnen

Fehlanzeigen erhalten.

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Nach diesen Rechercheergebnissen muss ich davon

ausgehen, dass weder vor noch nach dem Tod des Herrn D.

Mietzahlungen durch das Sozialamt erfolgt waren.

Autor Am nächsten Tag schickt mir das Berliner Einwohner-

meldeamt ein Fax. Geboren wurde Herr D. im Februar 1941,

gestorben ist er offiziell am 17. November 2007. Vom Amt

festgestellt, vermutlich anhand der letzten Briefe, die man in

seiner Wohnung gefunden wurden. Da war er also schon 66

Jahre alt. Die laufenden Kosten könnten also per

Dauerauftrag von seiner Rente beglichen worden sein. Diese

Annahme bestätigt mir die Rentenversicherung.

Da Rentner sich innerhalb Deutschlands nicht regelmäßig

als noch lebend melden müssen und Herr D. anscheinend

für alle laufenden Kosten Daueraufträge eingerichtet hatte,

konnte sein Tod auf diesem Wege niemandem auffallen. In

einer automatisierten Welt ist es noch einfacher zu

verschwinden.

Es ist inzwischen drei Monaten her, dass ich der Familie, die

angeblich regelmäßig die Post für Herrn D. aus dem Kasten

geholt hat, einen Brief geschrieben habe. Mit der Bitte um

ein Gespräch, egal ob mit oder ohne Mikrofon. Ich habe nie

eine Antwort erhalten. Auch beim Versuch, sie persönlich

anzutreffen, scheitere ich. Aber vermutlich würde ich an

ihrer Stelle auch kein Interview geben.

Auf der Suche nach einem Kontakt zu Frau D. führe ich ein

Telefonat mit einer entfernten Verwandten, die ich im

Telefonbuch gefunden habe. Sie hat lange nichts von ihr

gehört und auch keine Telefonnummer für mich.

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Nach dem Verschwinden von Herrn D., noch bevor sich der

Kleingartenverband meldete, hat es in dem Hochhaus

Hinweise von anderen Mitbewohnern gegeben, dass

irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte. Nachbar

Bernhard schrieb damals an die Hausverwaltung einen Brief.

Bernhard Und da hab ich dann einen Zweizeiler zurück bekommen, was

ich mich darum überhaupt kümmere, das ist gar nicht meine Aufgabe und es scheint ja alles in Ordnung zu sein, also sie sehen keinen Anlass sich da in irgendeiner Richtung zu bewegen oder Erkundigungen einzuholen oder was auch immer.

Dieser ganze Plattenbaukomplex, der da steht, da gibt’s

verschiedene Hausmeister, die beschäftigt sind von der Hausverwaltung oder für die Hausverwaltung und den Hausmeister hat man also auch mehrfach mal gefragt und angesprochen, ob er weiß, gibt’s da irgendwelche konkreten Hinweise oder Informationen oder, oder, oder? Und er hat das dann eben lapidar abgetan, gesagt, dass ist ja nicht seine Aufgabe. Es sei denn, es ist Gefahr im Verzug, dann müsste er das weitermelden und dann würde man wahrscheinlich auch reagieren.

Aber da ja alles in Ordnung scheint und wenn der Mann eine Weltreise macht, dann ist das seine Sache oder im Krankenhaus liegt oder, oder, oder. Vordergründig war ganz klar zu erkennen, die Miete wird bezahlt und damit ist das Thema durch.

Autor Auch ich nehme Kontakt zur Hausverwaltung auf. Hier

erinnert man sich an den Fall. Will aber auch kein Interview

geben. Zum einen aus zeitlichen Gründen, weil die

Pressesprecherin ziemlich viel um die Ohren habe, zum

anderen, weil die damals zuständige Mitarbeiterin nicht

mehr im Unternehmen tätig sei und nicht gefragt werden

könne. Schriftlich aber teilt man mir mit:

Sprecherin Der tragische Todesfall von Herrn D. ist ein trauriger

Einzelfall. Als Verwaltung werden wir grundsätzlich

hellhörig, sobald uns eine Überfüllung eines Briefkastens,

ein Ausfall der Mietzahlung, Mitteilungen von aufmerksamen

Nachbarn oder ähnliches vorliegt.

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Auch bei Herrn D. wurden wir auf Grund von Informationen

aus der Nachbarschaft aufmerksam und standen daher über

mehrere Jahre mit Behörden im regelmäßigen Kontakt. Ein

Grund zur Sorge war jedoch lange Zeit nicht ersichtlich.

Grundsätzlich sind wir als Verwaltung nicht befugt,

Wohnungen öffnen zu lassen und auch die Polizei kann erst

bei entsprechend schwerwiegenden Hinweisen eine

richterliche Erlaubnis zur Öffnung einer Wohnung einholen.

Wir gehen grundsätzlich immer allen Hinweisen nach und

nehmen mit uns bekannten Verwandten, Nachbarn oder

Behörden Kontakt auf. Dieses Vorgehen hat sich vor und

nach dem traurigen Fall von Herrn D. nicht verändert.

Bernhard Da hatte ich mich auch nochmal mit dem Hausmeister

unterhalten und gesagt, siehst du, hätten wir mal doch was anderes gemacht. Ich sage, ich hatte mal überlegt, ob ich nicht vielleicht einfach mal eine Scheibe kaputt mache in irgendeiner Form und dann hättet ihr ja reagieren müssen. Weil eine kaputte Scheibe kann nicht so bleiben. Sagt der, hätten Sie das mal gemacht. Ich sag, kann nicht euer Ernst sein.

Dann sagt er, ist so. Angeblich, seine Aussage, ist die Rechtslage ist so, es muss erst was passieren bevor, die können nicht auf Verdacht, Vermutung, wie auch immer, die Wohnung öffnen. Hat auch was mit Geld zu tun, mit Versicherung, mit Rechtsgrundlage und, und, und. Was er mir da alles erzählt hat. Mag vielleicht alles sein. Ist alles richtig. Oder auch nicht.

Autor Frau Schuhmann glaubt zu wissen, dass auch Frau D. bei

der Hausverwaltung interveniert hat – obwohl die Eheleute

schon Ende der 1990er Jahre getrennt waren.

Schuhmann Die Frau muss auf der Wohnungsverwaltung gewesen sein, die

geschiedene Frau muss ich noch sagen, auf der Wohnungs-verwaltung gewesen sein und wollte dort bitten, dass man ihr mal Zutritt in die Wohnung gewährt, alldieweil sie immer geklingelt hat und es hat niemand aufgemacht. Und da hat auch wiederum die Wohnungsverwaltung gesagt, dazu sind sie nicht befugt. Da muss sie eben immer wieder klingeln, so ungefähr, bis er aufmacht.

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Autor Frau Schuhmann hat nie wieder von Frau D. gehört. Auch

ich habe sie noch immer nicht erreichen können.

Autor Ich bin jetzt ein drittes Mal hierher gekommen, in die Straße in

der Frau D. wohnt und wieder ist niemand zu Hause. Ihre Fenster sind zu. Sie macht nicht auf. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob sie den Brief, den ich ihr geschickt habe, ob sie den gelesen hat und bin mir auch nicht mehr so sicher, ob ich sie überhaupt erreichen kann. Ob ich sie finde, mit ihr sprechen kann. Ich denke mal, sie wird jetzt auch so um die 70 sein. Keine Ahnung!

Autor Ich stehe wieder vor dem elf Stockwerke hohen Haus, in

dem Herr D. fünf Jahre lang unentdeckt tot in seinem Sessel

saß. Die Gehwege sind frisch gefegt, die Rasenfläche wird

gerade von einem Gärtner gemäht. Einige Balkone sind

liebevoll bepflanzt, andere schmückt nur eine Satelliten-

Schüssel. Elf Etagen, über einhundert Menschen. Ein

ganzes Dorf, in die Höhe gestapelt.

Bernhard Ich denke mal, wenn Herr D. zum richtigen Zeitpunkt

entsprechende Unterstützung gehabt hätte, in welcher Form auch immer, auch schon, als er schon damaligen Zeitpunkt sehr viel Alkohol getrunken hat, dann hätte er vielleicht die Kurve gekriegt und dann hätte sein Leben auch anders ausgehen können. Aber es war ja keiner da.

Ich hab sicherlich, ich hätte vielleicht sicherlich damals noch vielleicht das eine oder andere vielleicht noch mehr bewegen können. Das gebe ich ja zu. Da muss man sich auch wirklich an die Nase fassen. Aber das wird jetzt nicht soweit führen, dass ich mir Vorwürfe mache. Die mache ich mir nicht. Die muss ich mir auch nicht machen.

Autor Hat das irgendwas mit der Hausgemeinschaft gemacht? Passen Sie mehr auf sich auf oder... Schuhmann Ja, also ich will mal sagen, so hier oben und hier unten, so zwei

drei Etagen nach oben und nach unten, kennt man sich ein bisschen. Ich weiß nunmehr auch, wer oben in der zehnten und elften wohnt. Die eben schon lange hier wohnen, wo man sich immer wieder im Fahrstuhl trifft. Da passen wir schon aufeinander jetzt auf.

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Schuhmann In der elften Etage hat sich zum Beispiel ein Mann das Leben genommen, jetzt im Frühjahr. Früh um vier. Der war einsam, ist nicht mehr rausgekommen. Das war so eine, für meine Begriffe, so eine Torschlusspanik.

Also das Haus ist ein bisschen mit mysteriösen Vorkommnissen. Ja.

Autor Ich bin jetzt nochmal zu der Wohnung von Frau D. gefahren und

jetzt ist sie nicht da, genau wie ihre Nachbarn. Also in dem ganzen Haus macht niemand auf. Es scheint niemand da zu sein und wie auch bei den letzten Besuchen sind die Fenster von Frau D. verschlossen. Es ist ein unfassbar warmer Tag heute. Und sie ist nicht zu erreichen.

Autor Ich versuche es noch ein fünftes Mal. Ich treffe eine

Nachbarin an. Sie sagt, dass sie erst seit drei Jahren hier

wohnen würde und deswegen keinen Kontakt zu ihren

Mitmenschen im Haus habe. Auch nicht zu Frau D. Ich stehe

vor den Briefkästen. Der von Frau D. ist leer.

Absage: Der einsame Tod des Herrn D.

Ein Feature von Johannes Nichelmann

Es sprachen: Marietta Schwarz, Nadine Lindner, Jenny

Marrenbach, Axel Schröder, Armin

Dallapiccola und der Autor.

Ton: Bernd Friebel

Regie: Johannes Nichelmann und Wolfgang

Rindfleisch

Redaktion: Ulrike Bajohr

Eine Produktion des Deutschlandfunks, 2017 ©