FEUILLETON Mai Das schöne und das ... - Mosse Lectures · , George Mosse und Der Historiker George...

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32 Berliner Zeitung . Nummer 111 FEUILLETON Donnerstag, 15. Mai 1997 Gefahren der Demokratie: Über die liberale Tradition des Vertagshauses Mosse und über das Scheitern der Liberalen am Das schöne und das häßliche Gesicht desVolkes Barrikade von Spartakus-Anhängern, errichtet aus Papierrollen und zeitungen vor dem Verlagshaus Mosse, 1919. men abgeneigt. So war das ,,Tage- blatt" schon immer dem Kaiser und dem Hof ein Dorn im Auge gewesen, es durfte zeitweilig am Hofe nicht ge- lesen werden, und so hat Rudolf Mos- se den Adelstitel, der ihm angeboten worden war, ausgeschlagen. Das liberale Demokratie-Modell kennen wir alle, es scheint heute in der industriellen Welt zu triumphie- ren. Und das ganz andere, mit- ihm konkurrierende Verständnis von Volksherrschaft, das durch das Selbst- verständnis von Faschismus und auch Stalinismus symbolisiert wurde, scheint geschlagen zu sein, im Ver- schwinden begriffen. Aber zur Zeit der Weirnarer Repu- der Glaube an ein Gemeinschaftside- al mit seinen Mythen und Riten. Die- se Art von Demokratie sftitzte sich auf die Mobilisierung der Emotionen der Menschen. Der Nationalismus lieferte den Kitt einer gemeinsamen Vergangenheit. So konnte man die Masse, die Stra- ße, in den Griff bekommen und aus der Masse ein mehr oder weniger dis- zipliniertes Volk aufbauen. Hier war man geborgen gegen die verwirrende Vielfalt der Welt, hier wurde man zur Tat aufgerufen durch Demonstratio- nen, Riten, Solidarität, Kamerad- schaft Faktoren, die auch, z. B. 1968, unter einer ganz anderen Ju- gend noch eine Ro[e spielten. -V{it dieser Bewegung hatten es die dungsbegriff im Wege, der Glaube an die Vernunft, an die Didaktik, an den Fortschritt. Ich kann das am besten durch den ,,Anti-Anti" erklären, eine Publikation, die vom Verein zur Ab- wehr des Antisemitismus hier im Hause, wenn ich mich nicht irre, ge- druckt wurde. Da wurden Fakten über den Talmud, insbesondere aber die Großtaten von Juden für Deutschland in den Kriegen, in Kunst, Politik und in der Wissen- schaft kurz aufgezeichnet. Wenn ich von Berlin aus zu meiner Schule am Bodensee fuhr, bekam ich eben dieses Büchlein mit. Sagte dann einer ,,Ju- densau" zu mir (was in diesem Jahre leicht passieren konnte), so hatte ich Sj.. Anrwort parat: Was fällt lhnen Foto: Ullstein gar mit dem Liberalismus verbündet. Das Problem der Vermittlu.n g zwi- schen Volk und Regierung ist noch immer akut, und im Zeitalter der Massen ist dieses Problem nicht ein- fach durch das Parlament aus der Welt geschafft. Es gibt, meiner Meinung nach, in den entwickelten Industrieländern viele Zugänge zur Öffentlichkeit, zur politischen Meinungsbildung, aber zwei Wege dominieren: der eine, der über die Volksvertretung läuft, und der andere, der mit Symbolen, Ste- reotypen operiert und über seine In- szenierung, die hauptsächlich visuell anspricht. Heute stehen dafür Public Relations und eine Art direkter De- qokratie durch Umfragen. Politik Nationa Isozia lism us nie von der Vergangenheit zur Ge. genwart. Obgleich der Inhalt nattir- lich verschieden ist, bleibt doch noch zu erforschen, wie sehr die Inszenie- rung den Inhalt eigentlich bestimmt: nicht Vernunft, sondern Emotionen werden damals wie heute angespro- chen. Und auch heute wird an das Geborgensein appelliert, an den Hunger nach Ganzheit, an die Sehn- sucht nach der heilen Welt. Und auch die Werbung und fublic Relati- ons bedienen sich der Methoden, die zuerst von den Massenbewegungen gebraucht wurden und denen die Li- beralen der Weimarer Republik so hilflos gegenüberstanden. Der Kontrast zum alten humanisti- schen Bildungsbegriff, von dem ich ausging, ist eklatant. Und doch hat schließlich Rudolf Mosse selbst die Reklame in Deutschland hoffähig ge- macht, sie war der Boden, auf dem dieses Haus aufgebaut wurde. Aber das Verständnis von Reklame war vom heutigen weit entfernt. Rudolf Mosse schiieb, daß in den letzten Jahren des neunzehnten Jahrhun- derts das Lesebedürfnis im Volk im- mer größer geworden sei, und daß die Anzeigen ein Bindeglied zwi- schen dem Publikum und dem neu- en Zeitungswald sein sollten, zum Nutzen beider. Die wirtschaftlichen Interessen, die natürlich auch dahinter standen, waren im übrigen mit einem lebhaf- ten Sozialgeftihl gepaart. Rudolf Mos- se grundete zum Beispiel ein Waisen- haus, wo Kinder ausdrucklich ohne Unterschied der Konfession auf- genommen wurden, sowie ein Lehr- lingsheim, während seine Frau den ,,Mädchenhort" ftir alleinstehende Mütter ins Leben rief. Wohltätigkeit war soziale Pflicht. Uber Kunst und Literatur wurde schon einigds gesagt, ich will nur noch anmerken, daß Ru- dolf Mosse sich z. B. der Bibliothek des Germanisten Erich Schmidt an- nahm und sie zugänglich machte. Während er den Adelstitel ausschlug, nahm er den Ehrendoktor der Uni- versität Heidelberg an. Der Liberalismus, der Demokratie- begriff, der im Hause Mosse hensch- te, ist vielleicht noch ein ldeal, aber keine Reatität mehr. Er war dies oh- Von Geojge L. l&ry-_- Mir geht es hier um zwei Demokratie- begriffe, die einander gegenüberste- hen. Der eine wird von diesem Hau- S€, dem ehemaligen Zeitungshaus Mosse, repräsentiert; der andere, ent- gegengesetzte, hat vor über ftinzig Jahren seine Triumphe gefeiert. Und wie steht es heute? Das Dritte Reich, der Faschismus überhaupt, ist voibei, in Asche und Schutt untergegangen. . Aber ist der Demokratiebegriff, auf dem das Dritte Reich aufgebaut war - denn einen solchen Demokratie- begriff gab es -, auch gestorben? Die Antwort darauf behalte ich mir für das Ende.vor. Der Geist des Hauses Mosse war Humboldts Geist der Bildung. Das ,,Berliner Tageblatt" hielt den Indivi- dualismus dieses Bildungsbegriffs hoch, drang aber auch weiter vor und ließ auch dieienigen zu Wort kom- men, die die Grenzen der Respektabi- lität erweitern wollten, denn Indivi- dualismus hier hieß vor allem eines: Toleranz. Die Ideen der Aufklärung wirkten weiter; der starke Glaube an die Vernunft nahm für das ,,Berliner Tageblatt" sozusagen den Platz ein, der fniher durch die Bildungsmacht des Altertums besetzt wurde. Was hieß das ftir den Begriff der öf- fentlichkeit? Die Offentlichkeit wur- de mit den Gebildeten gleichgesetzt, nur sie waren ausschlaggebend. So glaubte mein Vater fast bis zum bitte- ren Ende, daß Adolf lJitler in den ,,Ulk", die Witzbeilage des Berliner Tageblatts, gehörte. Auch noch, als meine Schwester, die im Wedding ar- beitete, erzählte, daß die Kinder von Arbeitern dort mit kleinen Swastika- Dolchen herumliefen. Und als meine Schwester sozialdemokratisch wählte und nicht die schon kümmerliche li- berale Staatspartei, gab es großen Fa- milienkrach. Man wohnte in Berlin W. und man sah nicht auf die Straße, das eigentliche Schlachtfeld am Ende der Republik. Die noblen Ideen der Humboldtschen Bildung stießen ins l.eere: Toleranz und Individualismus, vom Glauben an die Vernunft unter- mauert, standen einer Öffentlichkeit hilflos gegenüber, die die Gemein-

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32 Berliner Zeitung . Nummer 111 FEUILLETON Donnerstag, 15. Mai 1997

Gefahren der Demokratie: Über die liberale Tradition des Vertagshauses Mosse und über das Scheitern der Liberalen am

Das schöne und das häßliche Gesicht desVolkes

Barrikade von Spartakus-Anhängern, errichtet aus Papierrollen und zeitungen vor dem Verlagshaus Mosse, 1919.

men abgeneigt. So war das ,,Tage-blatt" schon immer dem Kaiser unddem Hof ein Dorn im Auge gewesen,es durfte zeitweilig am Hofe nicht ge-lesen werden, und so hat Rudolf Mos-se den Adelstitel, der ihm angebotenworden war, ausgeschlagen.

Das liberale Demokratie-Modellkennen wir alle, es scheint heute inder industriellen Welt zu triumphie-ren. Und das ganz andere, mit- ihmkonkurrierende Verständnis vonVolksherrschaft, das durch das Selbst-verständnis von Faschismus undauch Stalinismus symbolisiert wurde,scheint geschlagen zu sein, im Ver-schwinden begriffen.

Aber zur Zeit der Weirnarer Repu-

der Glaube an ein Gemeinschaftside-al mit seinen Mythen und Riten. Die-se Art von Demokratie sftitzte sichauf die Mobilisierung der Emotionender Menschen. Der Nationalismuslieferte den Kitt einer gemeinsamenVergangenheit.

So konnte man die Masse, die Stra-ße, in den Griff bekommen und ausder Masse ein mehr oder weniger dis-zipliniertes Volk aufbauen. Hier warman geborgen gegen die verwirrendeVielfalt der Welt, hier wurde man zurTat aufgerufen durch Demonstratio-nen, Riten, Solidarität, Kamerad-schaft Faktoren, die auch, z. B.1968, unter einer ganz anderen Ju-gend noch eine Ro[e spielten.

-V{it dieser Bewegung hatten es die

dungsbegriff im Wege, der Glaube andie Vernunft, an die Didaktik, an denFortschritt. Ich kann das am bestendurch den ,,Anti-Anti" erklären, einePublikation, die vom Verein zur Ab-wehr des Antisemitismus hier imHause, wenn ich mich nicht irre, ge-druckt wurde. Da wurden Faktenüber den Talmud, insbesondere aberdie Großtaten von Juden fürDeutschland in den Kriegen, inKunst, Politik und in der Wissen-schaft kurz aufgezeichnet. Wenn ichvon Berlin aus zu meiner Schule amBodensee fuhr, bekam ich eben diesesBüchlein mit. Sagte dann einer ,,Ju-densau" zu mir (was in diesem Jahreleicht passieren konnte), so hatte ichSj.. Anrwort parat: Was fällt lhnen

Foto: Ullstein

gar mit dem Liberalismus verbündet.Das Problem der Vermittlu.n g zwi-schen Volk und Regierung ist nochimmer akut, und im Zeitalter derMassen ist dieses Problem nicht ein-fach durch das Parlament aus derWelt geschafft.

Es gibt, meiner Meinung nach, inden entwickelten Industrieländernviele Zugänge zur Öffentlichkeit, zurpolitischen Meinungsbildung, aberzwei Wege dominieren: der eine, derüber die Volksvertretung läuft, undder andere, der mit Symbolen, Ste-reotypen operiert und über seine In-szenierung, die hauptsächlich visuellanspricht. Heute stehen dafür PublicRelations und eine Art direkter De-qokratie durch Umfragen. Politik

Nationa Isozia lism us

nie von der Vergangenheit zur Ge.genwart. Obgleich der Inhalt nattir-lich verschieden ist, bleibt doch nochzu erforschen, wie sehr die Inszenie-rung den Inhalt eigentlich bestimmt:nicht Vernunft, sondern Emotionenwerden damals wie heute angespro-chen. Und auch heute wird an dasGeborgensein appelliert, an denHunger nach Ganzheit, an die Sehn-sucht nach der heilen Welt. Undauch die Werbung und fublic Relati-ons bedienen sich der Methoden, diezuerst von den Massenbewegungengebraucht wurden und denen die Li-beralen der Weimarer Republik sohilflos gegenüberstanden.

Der Kontrast zum alten humanisti-schen Bildungsbegriff, von dem ichausging, ist eklatant. Und doch hatschließlich Rudolf Mosse selbst dieReklame in Deutschland hoffähig ge-macht, sie war der Boden, auf demdieses Haus aufgebaut wurde. Aberdas Verständnis von Reklame warvom heutigen weit entfernt. RudolfMosse schiieb, daß in den letztenJahren des neunzehnten Jahrhun-derts das Lesebedürfnis im Volk im-mer größer geworden sei, und daßdie Anzeigen ein Bindeglied zwi-schen dem Publikum und dem neu-en Zeitungswald sein sollten, zumNutzen beider.

Die wirtschaftlichen Interessen,die natürlich auch dahinter standen,waren im übrigen mit einem lebhaf-ten Sozialgeftihl gepaart. Rudolf Mos-se grundete zum Beispiel ein Waisen-haus, wo Kinder ausdrucklich ohneUnterschied der Konfession auf-genommen wurden, sowie ein Lehr-lingsheim, während seine Frau den,,Mädchenhort" ftir alleinstehendeMütter ins Leben rief. Wohltätigkeitwar soziale Pflicht. Uber Kunst undLiteratur wurde schon einigds gesagt,ich will nur noch anmerken, daß Ru-dolf Mosse sich z. B. der Bibliothekdes Germanisten Erich Schmidt an-nahm und sie zugänglich machte.Während er den Adelstitel ausschlug,nahm er den Ehrendoktor der Uni-versität Heidelberg an.

Der Liberalismus, der Demokratie-begriff, der im Hause Mosse hensch-te, ist vielleicht noch ein ldeal, aberkeine Reatität mehr. Er war dies oh-

Von Geojge L. l&ry-_-Mir geht es hier um zwei Demokratie-begriffe, die einander gegenüberste-hen. Der eine wird von diesem Hau-S€, dem ehemaligen ZeitungshausMosse, repräsentiert; der andere, ent-gegengesetzte, hat vor über ftinzigJahren seine Triumphe gefeiert. Undwie steht es heute? Das Dritte Reich,der Faschismus überhaupt, ist voibei,in Asche und Schutt untergegangen.

.

Aber ist der Demokratiebegriff, aufdem das Dritte Reich aufgebaut war -denn einen solchen Demokratie-begriff gab es -, auch gestorben? DieAntwort darauf behalte ich mir fürdas Ende.vor.

Der Geist des Hauses Mosse warHumboldts Geist der Bildung. Das,,Berliner Tageblatt" hielt den Indivi-dualismus dieses Bildungsbegriffshoch, drang aber auch weiter vor undließ auch dieienigen zu Wort kom-men, die die Grenzen der Respektabi-lität erweitern wollten, denn Indivi-dualismus hier hieß vor allem eines:Toleranz. Die Ideen der Aufklärungwirkten weiter; der starke Glaube andie Vernunft nahm für das ,,BerlinerTageblatt" sozusagen den Platz ein,der fniher durch die Bildungsmachtdes Altertums besetzt wurde.

Was hieß das ftir den Begriff der öf-fentlichkeit? Die Offentlichkeit wur-de mit den Gebildeten gleichgesetzt,nur sie waren ausschlaggebend. Soglaubte mein Vater fast bis zum bitte-ren Ende, daß Adolf lJitler in den,,Ulk", die Witzbeilage des BerlinerTageblatts, gehörte. Auch noch, alsmeine Schwester, die im Wedding ar-beitete, erzählte, daß die Kinder vonArbeitern dort mit kleinen Swastika-Dolchen herumliefen. Und als meineSchwester sozialdemokratisch wählteund nicht die schon kümmerliche li-berale Staatspartei, gab es großen Fa-milienkrach. Man wohnte in BerlinW. und man sah nicht auf die Straße,das eigentliche Schlachtfeld am Endeder Republik. Die noblen Ideen derHumboldtschen Bildung stießen insl.eere: Toleranz und Individualismus,vom Glauben an die Vernunft unter-mauert, standen einer Öffentlichkeithilflos gegenüber, die die Gemein-

, George Mosse undDer Historiker George L. Mosse hat

: am gestrigen Mitwoch in Berlindie ihm zu Ehren ins Leben gerufe-nen ,,Mosse-Lectures" mit einemVortrag über ,,Das liberale Erbeund die Offentlichkeit des Natio-nalsozialismus" eröffnet, den wirauf dieser Seite leicht gekürzt ab-drucken. George Mosse hat sichvor allem als Flistoriker des Rassis-mus un{ des völkischen Denkenseinen Namen gemacht; zuletzt er-schien von ihm die Studie ,,DasBild des Mannes" (siehe ,,Berliner

. Zeitung" vom 22.März).Mosses Mosse-Lecture handelt

von einem Thema, das nachdenk-lich, vielleicht sogar besorgt stim-men mag: Nicht nur die liberaleparlamentarische Demokratie,sondern auch ganz und gar illibe-rale Massenphänomene wie derNationalsozialismus repräsentie-ren eine Spielart des ,,Demokrati-schen", der politischen Mobilisie-rung und Aktivität des Volkes. UndMosse meint, daß diese unheimli-che Variante von Volksherrschaftnicht erwa mit dem Untergang derTotalitarismen verschwunden sei.

die Mosse-Lectures I

Die Mosse-Lectures, veranstaltetvom Instirut ftiu deutsche Literaturan der Humboldt-Universität undgefördert von dem Investor HansK. Röder, finden im ,,Mosse-Zen-trum" statt, dem wiederhergestell-ten Gebäude des einstigen Verlags-hauses Mosse in der Schützenstra-ße, in dem jetzt auch die Germani-sten der Humboldt-Universität un-tergebracht sind. Hier war der Sitzdes ,,Berliner Tageblatts", der be-nihmten liberalen, von RudolfMosse verlegten und lange vonTheodor Wolff als Chefredakteurgeleiteten Tageszeitung. RudolfMosse war kinderlos, der Verlagwurde vom Ehemann seiner Adoptivtochter, Hans Lachmann-Mos-se, weitergeftihrt. George L. Mosseist einer seiner Söhne.

Die,,Mosse-Lectures" stehen un-ter dem Titel: ,,Die Öffentlichkeitvon Kultur. Literaturen, Künste,Wissenschaften, Medien". Dienächsten Referenten in der Vo-tragsreihe werden Peter Glotz (am28. Mai), Daniel Libeskind (am ll.Juni) und Jost Hermand (am 2.Juli) sein.

Mosse-Verlagshauses, zu tun. L)erFl:ntrast häile kaum größer sein l<ön.nen, selbst wenn sie den Glauben andie Nation mit ihren Gegnern teilten.Aber der Nationalismus dieses Hau-ses war eben ein ganz anderer Natio-nalismus. Man war patriotisch,nahm in der Welnarirtschaftskriseausländische Devisen wieder zurück(um es später schwer zu bereuen),kaufte nur ,,made in Germany" undging nicht mehr ins Ausland auf Feri-en. Aber der eigentlichen Weltoffen-heit tat das keinen Abbruch. So warman zum Beispiel, trotz der Gegner-schaft gegen den Sozialismus, an derSowjetunion als erwas Neuem inter-essiert. So sandte mein Vater den Ar-chitekten Erich Mendelsohn mit ei-nem Fotografen nach Rußland, unddas Buch ,,Rußland, Europa, Ame-rika" erschien 1929 im Mosse Buch-verlag. Dieses Buch pries mit seinenFotografien von der neuen sowjeti-schen Architektur Rußland als eineneue Ordnung.

Wie die traditionellen Religionen,so versuchte die völkische Ideologie,den ,,ganzen Menschen" zu erfassen,Gedanken, Körper und Seele. Und ge-rade das war seine Stärke. Hier gab eskein Aufsplittern, kein Differenzie-ren zwischen Politik und Leben wieim Liberalismus. Der Nationalismuswar ein Lebensstil. Der Hunger nachGanzheit war darüber hinaus typischftir die Weimarer Republik, eben weildie Republik den Menschen diesesGemeinschaftsgeftihl nicht gebenkonnte, wie es der Nationalismusund auch der Kommunismus sehrwohl vermochten.

Das visuell e ZeitalterDer Nationalsozialismus hatte aber

einen besonderen Vorgug. Der Kom-munismus war etwas Neues, eine Rei-se ins Blaue, der Nationalismus hin-gegen benutzte traditionelle und reli-giöse Formen und Denkmuster: et-was, das man kannte, worin viele zuHause waren. Und dann wurde dieserNationalismus noch durch den Ras-sismus verschärft: Hier war nicht vonBegriffen wie Vernunft oder Toleranzdie Rede, nicht einmal von Flaggenoder Hymnen, sondem die merisch-liche Form selber wurde zum Symbol.Menschliche Schönheit oder Häß-lichkeit unterschied nun Volk vomFeind. Fast alle Rassenkundebüchersind zugleich Bilderbücher. Und ebendies gibt dem Rassismus und durchihn dem Nationalismus noch eineweitere Dimension. Wir leben in ei-nem visuellen Zeitalter. Die Leute se-hen, aber sie lesen nicht, und der völ-kische Nationalismus wurde diesemZeitalter gerecht.

Wie konnte der Liberalismus desHauses Mosse diesen Nationalismusüberhaupt verste hen? Da war der Bil-

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ouer so und so viele Juden.haben ihrLeben für das Vaterland gegeben,

Die Angst vor dem Pöbel:., I '-.i.' .';; rri; ., t..- ' r"::.

Durch die liberalen Zeitungen derZeit zieht sich eine Angst vor derMenge, dem Pöbel. Man hoffte sogar,daß Hitler, der Trommler, seine Trup-pen schon zügeln würde. Und das tater dann auch, aber anders als erwar-tet. Am Ende stand die noble Traditi-on des Liberalismus hilflos da. Als diebraune Welle hochschlug, zog mansiCh" von einer direkten Konfrontati-on zurück, man glaubte überleben zukönnen, wenn man unpolitisch wur-de. Diejenigen, die sonst die skepti-sche, kritische Vernunft hochgehal-ten hatten,schienen plötzlich vollerVertrauen zu Bnining und Hinden-burg zu sein.

Und wo war der Optimismus derAufklärung geblieben, der sonst dochdas . Weltbild im Mosse-Haus be-stimmte? Jeder einzelne hat das Po-tential, sich ztr bilden aber derMensch als Masse war ganz anders.Hier kamen die schlechten Seiten desMenschen, der Hang zur Brutalitätund seine sonst unter Kontrolle ge-haltenen Emotionen zur vollen Ent-faltung. ,,Masse Mensch" war einPhänomen, das dem liberalen Indivi-dualismus zuwiderlief. Aber der,,Ma$5e Mensch" gehörte damals dieZukunft.

Man lebte in Illusionen vor einerWelt, die man nicht mehr verstand.So schrieb mein Vater zwei Wochennach der Machtergreifung, daß derUmsatz unserer Zeitungen gestiegensei, daß so ihr Einfluß immer größerwürde, und daß Hitler sowieso kei-nen Erfolg haben werde, denn erkönne sein Gefolge nichtbefriedigen.

Nun könnte man leicht denken,daß all dies nur die Vergangenheitund _ nicht die Gegenwart betrifft.Heute sind wir ja alle liberal, und dasparlamentarische System ist inDeutschland fest im Sattel. Mankann natlirlich auch der Meinungsein, daß, obgleich die Völkischenheute nur kleine Randgruppen stel-len, sie auch wie damals in das poli-tische Zentrum vorstoßen könnten,wenn die Zeit daftir reif ist und sichwieder politische, ökonomische undsoziale Krisen überschlagen. Das istimmer möglich, aber mir scheint es,daß das Ende der anti-farlamentari-schen Demokratie und der Sieg der li-beralen parlamentarischen Demokra-tie nicht so einfach und schematischdargestellt werden sollte wie es oftgeschieht.

Der Demokratiebegriff, der auf derPsychologie der Massen aufbaut, istnicht mit dem Ende des Krieges ausder Welt geschieden. Er hat sich nurgeändert, sich angepaßt und sich so-

!n/rf(l vg.rllr,lEEsitf. (Jurclt. )cltrJt(ltt.f.Stcl-'

lung: Kein Dialog der Slogaiis mehrzwischen Führcr und Volk, . keineKonstruktion disziplinierter Massen.Dafür ist man dem einzelnen gegen-über aufgeschlossener, so Wie es fe-weils am besten in das gebrauchteMedium paßt. (

Le Bon stellte noch die direkte Ma-gie zwischen Führer und Volk in dasZentrum der Massenpolitik - das gibtes heute nur im Ausnahmefall. Dertypische Fernseh-Auftritt von Ri-chard Nixon ist mir gegenwärtig alsBeispiel daftir, wie so etwas vor sichgeht: Da stand zur einen Seite eineFotografie seiner Familie und auf deranderen gewöhnlich eine von Lin-coln. Ein respektabler Staatsmannalso, trotz aller Anschuldigungen.Und heute schreitet Bill Clinton ausder Ferne kommend einen roten Tep-pich hinan, eine Inszenierung, dlevon dem Schauspieler Ronald Reaganerfunden wurde. Der Rahmen zählt,das Symbolische.

Die Politik durch Fernsehen, inden Zusammenhang unserer über-legungen gestellt, zieht eine klare Li-

rrcrilil iiur aul ocgrenzte zeit. uerihm konträre Demokratiebegriff istnicht vrrscirwunden, er lebt im Den-ken der ,,öffentlichen Meinungii wei-ter trnd bedient sich der Mittel undStrukturen, die.einst,einem ahdereH,heute ungern erinnerten Regime zul)iensten waren. Die beiden Demo-kratiebegriffe sind ineinander ver-schlungen: der illiberale ist heute au-ßerparlamentarisch wie damals, aberin der Politik hat er sich mit der par-lamentarischen Demokratie verbun-den. Welcher von den beiden wirdden Sieg davontragen? Ich bin Histo-riker und kein Prophet, ich kann hiernur das Problem aufwerfen. Und wofür das t{aus Mosse am Ende Idealund Realität soweit auseinanderklaff-ten, daß die Realität nicht mehr ver-standen wurde, klafft auch heutenoch Ideal und Realität auseinander.Aber da wir die Geschichte des Hau-ses und seines noblen Liberalismusvor Augen haben, müssen wir darannicht verzweifeln, sondern ver-suchen, die politische Realität durchTaten und Kenntnis der Ceschichteunserem ldeal näher zu bringen.

ku

schaft gegen den Individualismuf .

ausspielte und Geborgenheit gegenToleranz.

Das liberale BildungsbürgertumHumoldtscher Provenienz war,schon lange bevor der Nationalsozia-lismus an die Macht kam, isoliert.Wie könnte ein Ungebildeter ieDeutschland regieren? Alfred Kerr,der Kritiker und Feuilletonist des ,Tä-geblatts", nannte später das DritteReich die ,,Diktatur des Haus-knechts". Wenn wir heute die Repor-tagen der großen liberalen Blätterüber den Nationalsozialismus lesen,so kommen sie uns sehr herablassendvor.

Wenn es ftir junge Leute heute viel-leicht schwer ist, sich eine Hitler-Dik-tatur vorzustellen und den Konsens,der sie weithin trug, wenn es schwerfällt, den Enthusiasmus der Jugendnachzuvollziehen, dann muß manwissen, daß dies damals genausoschwer war für viele christliche unddie meisten jüdischen Bildungsbür-ger. Das ,,Berliner Tageblatt" war vonAnfang an republikanisch gesinnt.Demokratie hieß ftir diesen Republi-kanismus: die parlamentarische Re-gierungsform, durch das allgemeineWahlrecht bestimmt. Sie wai Schutz8e8en den Mißbrauch der Macht derRegierenden, aber auch vor der Ver-ftihrbarkeit uncl Unberechenbarkeitder Massen. Die kritische Vernunft,clie in diesem Hause zählte, war.allenMythen, Spekulationen uncj Träu-I

blik, und dann in den dreißiger Jah-ren dieses Jahrhunderts scheint gera-de das Umgekehrte stattgefunden zuhaben, vorbereitet schon seit demEnde des neunzehnten Jahrhunderts.Theodor Wolff, Chefredakteur des,,Berliner Tageblatts" seit 1906, meinVater, Hans Lachmann-Mosse, derdas Verlagshaus seit 1920 leitete, unddie meisten gebildeten.deutschen Ju-den sahen im republikanischenFrankreich ein Vorbild. Aber nebendiesem Frankreich gab es ein anderes,das die ersten modernen Massenbe-wegungen und ihren Theoretiker,Gustave Le Bon, hervorbrachte. Hit-ler und Mussolinl kannten Le BonsBuch über die Psychologe der Mas-sen von 1889, und in ,,Mein Kampf"kann man viele seiner Thesen wie-derfinden. Le Bon selber folgte nureinem Trend, der schon seit Rousseauund der Französischen Revolutionbestand und die Demokratie als di-rekt auf dem Volkswillen aufgebautdefinierte.

Das Resultat war eine Politik, dieeine unmittelbare Demokratie, aufdie Massen selber gestützt, forderte,die sich in einer Welt kultischer Ritenund szenischer Ausstattung verwirk-lichte. Ganz ohne eine Vermittlungzwischen Regierung und Regiertenging es natürlich nicht. In der herauf-ziehenden neuen Öffentlichkeitübernahm kein Parlament diese Rol-le, sondern, wie in traditionellen Re-ligionen, der Glaube, in diesenr lrall

Das Mosse-Haus in der Gestalt, die Erich Mendelsohn der Fassade Anfang derzwanziger Jahre gab . Foto: Ullstein