Fides Et Ratio

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 Der Heilige Stuhl ENZYKLIKA FIDES ET RATIO VON PAPST JOHANNES PAUL II. AN DIE BISCHÖFE DER KATHOLISCHEN KIRCHE ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON GLAUBE UND VERNUNFT Segen Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, Gruß und Apostolischen Segen! Glaube und Vernunft ( Fides et ratio ) sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt. Das Streben, die Wahrheit zu erkennen und letztlich ihn selbst zu erkennen, hat Gott dem Menschen ins Herz gesenkt, damit er dadurch, daß er Ihn erkennt und liebt, auch zur vollen Wahrheit über sic h selbst gelangen könne (vgl. Ex 33, 18; Ps 27 [26], 8-9; Ps 63 [62], 2-3; Joh 14, 8; 1 Joh 3, 2). EINLEITUNG »ERKENNE DICH SELBST « [1 6] 1. Sowohl im Orient als auch im Abendland läßt sich ein Weg feststellen, der im Laufe der Jahrhunderte die Menschheit fortschreitend zur Begegnung mit der Wahrheit und zur Auseinandersetzung mit ihr geführt hat. Ein Weg, der sich — anders konnte es gar nicht sein — im Horizont des Selbstbewußtseins der menschlichen Person entfaltet hat: je mehr der Mensch die Wirklichkeit und die Welt erkennt, desto besser erkennt er sich selbst in seiner Einmaligkeit, während sich für ihn immer drängender die Frage nach dem Sinn der Dinge und seines eigenen Daseins stellt. Alles, was als Gegenstand unserer Erkenntnis erscheint, wird daher selbst Teil unseres Lebens. Am Architrav des Tempels von Delphi war die ermahnende Aufforderung: Erkenne dich selbst! eingemeißelt — als Zeugnis für eine Grundwahrheit, die als Mindestregel von  jedem Menschen angenommen werden muß, der sich innerhalb der ganzen Schö pfung gerade dadurch als »Mensch« auszeichnen will, daß er sich selbst erkennt.

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  • Der Heilige Stuhl

    ENZYKLIKA

    FIDES ET RATIO

    VON PAPST

    JOHANNES PAUL II.AN DIE BISCHFEDER KATHOLISCHEN KIRCHE

    BER DAS VERHLTNISVON GLAUBE UND VERNUNFT

    Segen

    Ehrwrdige Brder im Bischofsamt,Gru und Apostolischen Segen!

    Glaube und Vernunft (Fides et ratio) sind wie die beiden Flgel, mit denen sich der menschlicheGeist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt. Das Streben, die Wahrheit zu erkennen und letztlichihn selbst zu erkennen, hat Gott dem Menschen ins Herz gesenkt, damit er dadurch, da er Ihnerkennt und liebt, auch zur vollen Wahrheit ber sich selbst gelangen knne (vgl. Ex 33, 18; Ps 27[26], 8-9; Ps 63 [62], 2-3; Joh 14, 8; 1 Joh 3, 2).

    EINLEITUNG ERKENNE DICH SELBST [1-6]

    1. Sowohl im Orient als auch im Abendland lt sich ein Weg feststellen, der im Laufe derJahrhunderte die Menschheit fortschreitend zur Begegnung mit der Wahrheit und zurAuseinandersetzung mit ihr gefhrt hat. Ein Weg, der sich anders konnte es gar nicht sein im Horizont des Selbstbewutseins der menschlichen Person entfaltet hat: je mehr der Menschdie Wirklichkeit und die Welt erkennt, desto besser erkennt er sich selbst in seiner Einmaligkeit,whrend sich fr ihn immer drngender die Frage nach dem Sinn der Dinge und seines eigenenDaseins stellt. Alles, was als Gegenstand unserer Erkenntnis erscheint, wird daher selbst Teilunseres Lebens. Am Architrav des Tempels von Delphi war die ermahnende Aufforderung:Erkenne dich selbst! eingemeielt als Zeugnis fr eine Grundwahrheit, die als Mindestregel vonjedem Menschen angenommen werden mu, der sich innerhalb der ganzen Schpfung geradedadurch als Mensch auszeichnen will, da er sich selbst erkennt.

  • Im brigen zeigt uns ein bloer Blick auf die Geschichte des Altertums deutlich, da inverschiedenen Gegenden der Erde, die von ganz unterschiedlichen Kulturen geprgt waren, zurselben Zeit dieselben Grundsatzfragen auftauchten, die den Gang des menschlichen Daseinskennzeichnen: Wer bin ich? Woher komme ich und wohin gehe ich? Warum gibt es das Bse?Was wird nach diesem Leben sein? Diese Fragen finden sich in Israels heiligen Schriften, sietauchen aber auch in den Weden und ebenso in der Awesta auf; wir finden sie in den Schriftendes Konfuzius und Lao-tse sowie in der Verkndigung der Tirthankara und bei Buddha. Sie zeigensich auch in den Dichtungen des Homer und in den Tragdien von Euripides und Sophokles wieauch in den philosophischen Abhandlungen von Platon und Aristoteles. Es sind Fragen, die ihrengemeinsamen Ursprung in der Suche nach Sinn haben, die dem Menschen seit jeher auf derSeele brennt: von der Antwort auf diese Fragen hngt in der Tat die Richtung ab, die das Daseinprgen soll.

    2. Die Kirche ist an diesem Weg der Suche nicht unbeteiligt und kann es auch gar nicht sein. Seitdem Ostertag, wo sie die letzte Wahrheit ber das Leben des Menschen als Geschenkempfangen hat, ist sie zur Pilgerin auf den Straen der Welt geworden, um zu verknden, daJesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14, 6). Unter den verschiedenenDiensten, die sie der Menschheit anzubieten hat, gibt es einen, der ihre Verantwortung in ganzbesonderer Weise herausstellt: den Dienst an der Wahrheit.1 Diese Sendung macht einerseits dieglubige Gemeinde zur Teilhaberin an der gemeinsamen Bemhung, welche die Menschheitvollbringt, um die Wahrheit zu erreichen;2 andererseits verpflichtet sie sie dazu, sich um dieVerkndigung der erworbenen Gewiheiten zu kmmern; dies freilich in dem Bewutsein, dajede erreichte Wahrheit immer nur eine Etappe auf dem Weg zu jener vollen Wahrheit ist, die inder letzten Offenbarung Gottes enthllt werden wird: Jetzt schauen wir in einen Spiegel undsehen nur rtselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenneich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen (1 Kor 13, 12).

    3. Der Mensch besitzt vielfltige Mglichkeiten, um den Fortschritt in der Wahrheitserkenntnisvoranzutreiben und so sein Dasein immer menschlicher zu machen. Unter diesen ragt diePhilosophie hervor, die unmittelbar dazu beitrgt, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellenund die Antwort darauf zu entwerfen: sie stellt sich daher als eine der vornehmsten Aufgaben derMenschheit dar. Seiner etymologischen Herkunft aus dem Griechischen entsprechend bedeutetdas Wort Philosophie Liebe zur Weisheit. Die Entstehung und Entfaltung der Philosophie fllttatschlich genau in die Zeit, als der Mensch begonnen hat, sich nach dem Grund der Dinge undnach ihrem Ziel zu fragen. Sie zeigt in verschiedenen Arten und Formen, da das Streben nachWahrheit zur Natur des Menschen gehrt. Es ist eine seiner Vernunft angeborene Eigenschaft,sich nach dem Ursprung der Dinge zu fragen, auch wenn sich die nach und nach gegebenenAntworten in einen Horizont einfgen, der die Komplementaritt der verschiedenen Kulturen, indenen der Mensch lebt, deutlich macht.

    Die Tatsache, da sich die Philosophie stark auf die Gestaltung und Entwicklung der Kulturen desAbendlandes auswirkte, darf uns nicht den Einflu vergessen lassen, den sie auch auf die

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  • Daseinsvorstellungen ausgebt hat, aus denen der Orient lebt. Jedes Volk besitzt nmlich seineihm eigene Ur-Weisheit, die als echter Reichtum der Kulturen danach strebt, sich auch in reinphilosophischen Formen auszudrcken und zur Reife zu gelangen. Wie sehr das zutrifft, beweistder Umstand, da eine bis in unsere Tage gegenwrtige Grundform philosophischen Wissenssogar in den Postulaten nachweisbar ist, denen die verschiedenen nationalen und internationalenGesetzgebungen bei der Regelung des gesellschaftlichen Lebens folgen.

    4. Es mu allerdings betont werden, da sich hinter einem einzigen Begriff verschiedeneBedeutungen verbergen. Daher erweist sich eine einleitende erluternde Darstellung alsnotwendig. Angespornt von dem Streben, die letzte Wahrheit ber das Dasein zu entdecken,versucht der Mensch jene universalen Kenntnisse zu erwerben, die es ihm erlauben, sich selbstbesser zu begreifen und in seiner Selbstverwirklichung voranzukommen. Die grundlegendenErkenntnisse entspringen dem Staunen, das durch die Betrachtung der Schpfung in ihm gewecktwird: der Mensch wird von Staunen ergriffen, sobald er sich als eingebunden in die Welt und inBeziehung zu den anderen entdeckt, die ihm hnlich sind und deren Schicksal er teilt. Hier beginntder Weg, der ihn dann zur Entdeckung immer neuer Erkenntnishorizonte fhren wird. Ohne dasStaunen wrde der Mensch in die Monotonie der Wiederholung verfallen und sehr bald zu einerwirklichen Existenz als Person unfhig werden.

    Die dem menschlichen Geist eigentmliche Fhigkeit zum spekulativen Denken fhrt durch diephilosophische Bettigung zur Ausbildung einer Form strengen Denkens und so, durch dielogische Folgerichtigkeit der Aussagen und die Geschlossenheit der Inhalte, zum Aufbau einessystematischen Wissens. Dank dieses Prozesses wurden in verschiedenen kulturellen Umfeldernund in verschiedenen Epochen Ergebnisse erzielt, die zur Ausarbeitung echter Denksystemegefhrt haben. Dadurch war man im Laufe der Geschichte immer wieder der Versuchungausgesetzt, eine einzige Strmung mit dem gesamten philosophischen Denken gleichzusetzen.Ganz offenkundig tritt jedoch in diesen Fllen ein gewisser philosophischer Hochmut auf denPlan, der Anspruch darauf erhebt, die aus seiner eigenen Perspektive stammende,unvollkommene Sicht zur allgemeinen Lesart zu erheben. In Wirklichkeit mu jedesphilosophische System, auch wenn es ohne jegliche Instrumentalisierung in seiner Ganzheitanerkannt wird, dem philosophischen Denken die Prioritt zuerkennen, von dem es seinenAusgang nimmt und dem es folgerichtig dienen soll.

    So ist es mglich, trotz des Wandels der Zeiten und der Fortschritte des Wissens einen Kernphilosophischer Erkenntnisse zu erkennen, die in der Geschichte des Denkens stndig prsentsind. Man denke, um nur ein Beispiel zu nennen, an die Prinzipien der Non-Kontradiktion, derFinalitt, der Kausalitt wie auch an die Auffassung von der Person als freiem und verstndigemSubjekt und an ihre Fhigkeit, Gott, die Wahrheit und das Gute zu erkennen; man denke ferner aneinige moralische Grundstze, die allgemein geteilt werden. Diese und andere Themen weisendarauf hin, da es abgesehen von den einzelnen Denkrichtungen eine Gesamtheit vonErkenntnissen gibt, in der man so etwas wie ein geistiges Erbe der Menschheit erkennen kann;gleichsam als befnden wir uns im Angesicht einer impliziten Philosophie, auf Grund der sich ein

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  • jeder bewut ist, diese Prinzipien, wenngleich in undeutlicher, unreflektierter Form zu besitzen.Diese Erkenntnisse sollten, eben weil sie in irgendeiner Weise von allen geteilt werden, eine ArtBezugspunkt der verschiedenen philosophischen Schulen darstellen. Wenn es der Vernunftgelingt, die ersten und allgemeinen Prinzipien des Seins zu erfassen und zu formulieren unddaraus in rechter Weise konsequente Schlufolgerungen von logischer und deontologischerBedeutung zu entwickeln, dann kann sie sich als eine richtige Vernunft oder, wie die antikenDenker sie nannten, als orths logos, recta ratio ausgeben.

    5. Die Kirche ihrerseits kann nicht umhin, den Einsatz der Vernunft fr das Erreichen von Zielenanzuerkennen, die das menschliche Dasein immer wrdiger machen. Denn sie sieht in derPhilosophie den Weg, um Grundwahrheiten zu erkennen, welche die Existenz des Menschenbetreffen. Gleichzeitig betrachtet sie die Philosophie als unverzichtbare Hilfe, um dasGlaubensverstndnis zu vertiefen und die Wahrheit des Evangeliums allen, die sie noch nichtkennen, mitzuteilen.

    Im Anschlu an hnliche Initiativen meiner Vorgnger mchte daher auch ich den Blick auf diesebesondere Bettigung der Vernunft richten. Dazu drngt mich die Beobachtung, da vor allem inunserer Zeit die Suche nach der letzten Wahrheit oft getrbt erscheint. Die moderne Philosophiehat zweifellos das groe Verdienst, ihre Aufmerksamkeit auf den Menschen konzentriert zuhaben. Von daher hat eine mit Fragen beladene Vernunft ihr Streben nach immer mehr und immertieferer Erkenntnis weiterentwickelt. So wurden komplexe Denksysteme aufgebaut, die in denverschiedenen Wissensbereichen Frchte getragen haben, da sie die Entfaltung von Kultur undGeschichte frderten. Die Anthropologie, die Logik, die Naturwissenschaften, die Geschichte, dieSprache..., gewissermaen die Gesamtheit des Wissens wurde davon erfat. Die positivenErgebnisse, die erzielt wurden, drfen jedoch nicht zur Vernachlssigung der Tatsache verleiten,da dieselbe Vernunft, mit einseitigen Forschungen ber den Menschen als Subjekt beschftigt,vergessen zu haben scheint, da dieser Mensch immer auch dazu berufen ist, sich einer Wahrheitzuzuwenden, die ihn bersteigt. Ohne Beziehung zu dieser Wahrheit bleibt jeder vom eigenenGutdnken abhngig, und seine Verfatheit als Person wird schlielich nach pragmatischen, imwesentlichen auf empirischen Angaben beruhenden Kriterien beurteilt, in der irrigen berzeugung,alles msse von der Technik beherrscht werden. So kam es, da sich die Vernunft, anstatt dieSpannung zur Wahrheit bestmglich auszudrcken, unter der Last des vielen Wissens ber sichselbst gebeugt hat und von Tag zu Tag unfhiger wurde, den Blick nach oben zu erheben, um dasWagnis einzugehen, zur Wahrheit des Seins zu gelangen. Die moderne Philosophie hat dasFragen nach dem Sein vernachlssigt und ihr Suchen auf die Kenntnis vom Menschenkonzentriert. Anstatt von der dem Menschen eigenen Fhigkeit zur Wahrheitserkenntnis Gebrauchzu machen, hat sie es vorgezogen, deren Grenzen und Bedingtheiten herauszustellen.

    Daraus enstanden verschiedene Formen von Agnostizismus und Relativismus, die schlielich zurFolge hatten, da sich das philosophische Suchen im Fliesand eines allgemeinen Skeptizismusverlor. In jngster Zeit haben dann verschiedene Lehren Bedeutung erlangt, die sogar jeneWahrheiten zu entwerten trachten, die erreicht zu haben fr den Menschen eine Gewiheit war.

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  • Die legitime Pluralitt von Denkpositionen ist einem indifferenten Pluralismus gewichen, der aufder Annahme fut, alle Denkpositionen seien gleichwertig: Das ist eines der verbreitetstenSymptome fr das Mitrauen gegenber der Wahrheit, das man in der heutigen Welt feststellenkann. Auch manche aus dem Orient stammende Lebensanschauungen entgehen nicht diesemVorbehalt. In ihnen wird nmlich der Wahrheit ihr Exklusivcharakter abgesprochen. Dabei gehtman von der Annahme aus, da die Wahrheit in verschiedenen, ja sogar einanderwidersprechenden Lehren gleichermaen in Erscheinung trete. In diesem Horizont ist alles aufMeinung reduziert. Man hat den Eindruck einer Bewegung, die sich wie eine Welle nach oben undnach unten bewegt: Whrend es dem philosophischen Denken einerseits gelungen ist, in denWeg einzumnden, der es immer nher an die menschliche Existenz und ihre Ausdrucksformenheranfhrt, ist es andererseits bestrebt, existentielle, hermeneutische oder linguistischeAnschauungen zu entwickeln, die auf die radikale Frage nach der Wahrheit des Lebens alsPerson, des Seins und Gottes verzichten. Als Folge davon sind beim modernen Menschen, unddas nicht nur bei einigen Philosophen, Haltungen eines verbreiteten Mitrauens gegenber dengroartigen Erkenntnisfhigkeiten des Menschen zutage getreten. Mit falscher Bescheidenheitgibt man sich mit provisorischen Teilwahrheiten zufrieden, ohne berhaupt noch zu versuchen,radikale Fragen nach dem Sinn und letzten Grund des menschlichen, persnlichen undgesellschaftlichen Lebens zu stellen. Die Hoffnung, von der Philosophie endgltige Antworten aufdiese Fragen zu erhalten, ist also geschwunden.

    6. Ausgestattet mit der Kompetenz, die ihr als Verwahrerin der Offenbarung Jesu Christi erwchst,will nun die Kirche die Notwendigkeit des Nachdenkens ber die Wahrheit neu bekrftigen. Ausdiesem Grund habe ich beschlossen, mich sowohl an die Mitbrder im Bischofsamt zu wenden,mit denen ich die Sendung teile, offen die Wahrheit (2 Kor 4, 2) zu verknden, als auch an dieTheologen und Philosophen, deren Aufgabe die Erforschung der verschiedenen Aspekte derWahrheit ist, sowie an alle Menschen, die sich auf der Suche befinden: Ich will sie teilhabenlassen an einigen berlegungen hinsichtlich des Weges, der zur wahren Weisheit fhrt, damitjeder, der die Liebe zu ihr im Herzen trgt, den richtigen Weg einzuschlagen vermag, um sie zuerreichen und in ihr Ruhe in seiner Mhsal sowie geistige Freude zu finden.

    Ansto zu dieser Initiative ist fr mich zunchst die vom II. Vatikanischen Konzil formulierteErkenntnis, da die Bischfe Zeugen der gttlichen und katholischen Wahrheit sind.3 DieWahrheit zu bezeugen ist also eine Aufgabe, die uns Bischfen bertragen wurde; ihr knnen wiruns nicht versagen, ohne das Amt, das wir erhalten haben, zu vernachlssigen. Durch neuerlicheBekrftigung der Glaubenswahrheit knnen wir dem Menschen unserer Zeit wieder echtesVertrauen in seine Erkenntnisfhigkeiten geben und der Philosophie eine Herausforderung bieten,damit sie ihre volle Wrde wiedererlangen und entfalten kann.

    Noch ein weiterer Beweggrund veranlat mich zur Abfassung dieser berlegungen. In derEnzyklika Veritatis splendor habe ich einige fundamentale Wahrheiten der katholischen Lehre inErinnerung gerufen, die im heutigen Kontext Gefahr laufen, verflscht oder verneint zuwerden.4 Mit dem vorliegenden Schreiben mchte ich nun jenen Gedanken weiterfhren und

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  • dabei die Aufmerksamkeit eben auf das Thema Wahrheit und auf ihr Fundament im Verhltniszum Glauben konzentrieren. Denn man kann nicht leugnen, da unsere Zeit mit ihren raschen undumfassenden Vernderungen vor allem die jungen Generationen, denen die Zukunft gehrt undvon denen sie abhngt, dem Gefhl aussetzt, ohne echte Bezugspunkte zu sein. Das Erforderniseines Fundamentes, auf dem das Dasein des einzelnen und der Gesellschaft aufgebaut werdenkann, macht sich vor allem dann in dringender Weise bemerkbar, wenn man dieBruchstckhaftigkeit von Angeboten feststellen mu, die unter Vortuschung der Mglichkeit, zumwahren Sinn des Daseins zu gelangen, das Vergngliche zum Wert erheben. So kommt es, daviele ihr Leben fast bis an den Rand des Abgrunds dahinschleppen, ohne zu wissen, worauf sieeigentlich zugehen. Das hngt auch damit zusammen, da diejenigen, die dazu berufen waren,die Frucht ihres Nachdenkens in kulturellen Formen auszudrcken, den Blick von der Wahrheitabgewandt haben und der Mhe geduldigen Suchens nach dem, was gelebt zu werden verdient,den Erfolg im Unmittelbaren vorziehen. Die Philosophie, der die groe Verantwortung zukommt,das Denken und die Kultur durch den fortwhrenden Hinweis auf die Wahrheitssuche zugestalten, mu mit aller Kraft ihre ursprngliche Berufung zurckgewinnen. Deshalb habe ich nichtnur das Bedrfnis gefhlt, sondern es auch als meine Pflicht empfunden, mich zu diesem Themazu uern, damit die Menschheit an der Schwelle des dritten Jahrtausends christlicherZeitrechnung sich der groartigen Fhigkeiten, die ihr gewhrt wurden, deutlicher bewut werdeund sich mit neuem Mut fr die Verwirklichung des Heilsplanes einsetze, in den ihre Geschichteeingebettet ist.

    KAPITEL I - DIE OFFENBARUNG DER WEISHEIT GOTTES

    Jesus als Offenbarer des Vaters [7-12]

    7. Jede von der Kirche angestellte Reflexion erfolgt auf der Grundlage des Bewutseins,Verwahrerin einer Botschaft zu sein, die ihren Ursprung in Gott selbst hat (vgl. 2 Kor 4, 1-2). DieErkenntnis, die sie dem Menschen anbietet, rhrt nicht aus ihrem eigenen Nachdenken her, undwre es noch so erhaben, sondern aus dem glubigen Hren des Wortes Gottes (vgl. 1 Thess 2,13). Am Anfang unseres Glubigseins steht eine einzigartige Begegnung, die das Offenbarwerdeneines seit ewigen Zeiten verborgenen, jetzt aber enthllten Geheimnisses (vgl. 1 Kor 2, 7; Rm16, 25-26) markiert: Gott hat in seiner Gte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbarenund das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1, 9): da die Menschen durch Christus,das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden dergttlichen Natur.5 Dabei handelt es sich um eine vllig ungeschuldete Initiative, die von Gottausgeht, um die Menschheit zu erreichen und zu retten. Gott als Quelle der Liebe will sich zuerkennen geben, und die Erkenntnis, die der Mensch von Ihm hat, bringt jede andere wahreErkenntnis ber den Sinn seiner eigenen Existenz zur Vollendung, zu der sein Verstand zugelangen vermag.

    8. Unter beinahe wrtlicher bernahme der von der dogmatischen Konstitution Dei Filius des I.Vatikanischen Konzils dargebotenen Lehre und unter Bercksichtigung der vom Konzil von Trient

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  • vorgelegten Grundstze hat die Konstitution Dei Verbum des II. Vatikanums den Gang derGlaubenseinsicht, intelligentia fidei, durch die Jahrhunderte fortgesetzt, indem sie ber dieOffenbarung im Lichte der biblischen Lehre und der gesamten Vtertradition nachdachte. DieKonzilsvter des I. Vatikanums hatten den bernatrlichen Charakter der Offenbarung Gotteshervorgehoben. Die rationalistische Kritik, die zu jener Zeit auf Grund weitverbreiteter falscherThesen gegen den Glauben vorgebracht wurde, betraf die Leugnung jeder Erkenntnis, die nichtden natrlichen Fhigkeiten der Vernunft entsprnge. Dieser Umstand hatte das Konzil zu dernachdrcklichen Bekrftigung verpflichtet, da es auer der Erkenntnis der menschlichenVernunft, die auf Grund ihrer Natur den Schpfer zu erreichen vermag, eine Erkenntnis gibt, diedem Glauben eigentmlich ist. Diese Erkenntnis ist Ausdruck einer Wahrheit, die sich auf dieTatsache des sich offenbarenden Gottes selbst grndet und Wahrheitsgewiheit ist, weil Gottweder tuscht noch tuschen will.6

    9. Das I. Vatikanische Konzil lehrt also, da die durch philosophisches Nachdenken erlangteWahrheit und die Wahrheit der Offenbarung weder sich miteinander vermischen noch einanderberflssig machen. Es gibt zwei Erkenntnisordnungen, die nicht nur im Prinzip, sondern auch imGegenstand verschieden sind: im Prinzip, weil wir in der einen [Ordnung] mit der natrlichenVernunft, in der anderen mit dem gttlichen Glauben erkennen; im Gegenstand aber, weil unsauer der Wahrheit, zu der die natrliche Vernunft gelangen kann, in Gott verborgeneGeheimnisse zu glauben vorgelegt werden, die, wenn sie nicht von Gott geoffenbart wren, nichtbekannt werden knnten.7 Der Glaube, der sich auf das Zeugnis Gottes grndet und derbernatrlichen Hilfe der Gnade bedient, ist in der Tat von einer anderen Ordnung als diephilosophische Erkenntnis. Denn diese sttzt sich auf die Sinneswahrnehmung, auf die Erfahrungund bewegt sich allein im Licht des Verstandes. Die Philosophie und die Wissenschaftenschweifen im Bereich der natrlichen Vernunft umher, whrend der vom Geist erleuchtete undgeleitete Glaube in der Heilsbotschaft die Flle von Gnade und Wahrheit (vgl. Joh 1, 14)erkennt, die Gott in der Geschichte endgltig durch seinen Sohn Jesus Christus offenbart hat (vgl.1 Joh 5, 9; Joh 5, 31-32).

    10. Die Konzilsvter des II. Vatikanums haben den Blick fest auf den offenbarenden Jesusgerichtet und dabei den Heilscharakter der Offenbarung Gottes in der Geschichte dargelegt. DasWesen der Offenbarung haben sie so formuliert: In dieser Offenbarung redet der unsichtbareGott (vgl. Kol 1, 15; 1 Tim 1, 17) aus berstrmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex33, 11; Joh 15, 14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3, 38), um sie in seine Gemeinschafteinzuladen und aufzunehmen. Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat und Wort, dieinnerlich miteinander verknpft sind: die Werke nmlich, die Gott im Verlauf der Heilsgeschichtewirkt, offenbaren und bekrftigen die Lehre und die durch die Worte bezeichneten Wirklichkeiten;die Worte verkndigen die Werke und lassen das Geheimnis, das sie enthalten, ans Licht treten.Die Tiefe der durch diese Offenbarung ber Gott und ber das Heil des Menschen erschlossenenWahrheit leuchtet uns auf in Christus, der zugleich der Mittler und die Flle der ganzenOffenbarung ist.8

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  • 11. So ist die Offenbarung Gottes eingebettet in Zeit und Geschichte. Ja, die MenschwerdungJesu Christi geschieht in der Flle der Zeit (Gal 4, 4). Zweitausend Jahre nach jenem Ereignissehe ich es als meine Pflicht an, nachdrcklich hervorzuheben, da im Christentum der Zeit einefundamentale Bedeutung zukommt.9 Denn in ihr kommt das ganze Werk der Schpfung und derErlsung an den Tag; vor allem wird sichtbar, da wir durch die Menschwerdung desGottessohnes schon jetzt die zuknftige Vollendung der Zeit erleben und vorwegnehmen (vgl.Hebr 1, 2).

    Die Wahrheit, die Gott dem Menschen ber sich und ber sein Leben bergeben hat, ist dahereingebettet in Zeit und Geschichte. Sie ist natrlich ein fr allemal im Geheimnis des Jesus vonNazaret verkndet worden. Das sagt mit ausdrucksvollen Worten die Konstitution Dei Verbum:Nachdem Gott viele Male und auf viele Weisen durch die Propheten gesprochen hatte, hat erzuletzt in diesen Tagen zu uns gesprochen im Sohn (Hebr 1, 1-2). Er hat seinen Sohn, das ewigeWort, das Licht aller Menschen, gesandt, damit er unter den Menschen wohne und ihnen vomInnern Gottes Kunde bringe (vgl. Joh 1, 1-18). Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, alsMensch zu den Menschen gesandt, redet die Worte Gottes (Joh 3, 34) und vollendet dasHeilswerk, dessen Durchfhrung der Vater ihm aufgetragen hat (vgl. Joh 5, 36; 17, 4). Wer ihnsieht, sieht auch den Vater (vgl. Joh 14, 9). Er ist es, der durch sein ganzes Dasein und seineganze Erscheinung, durch Worte und Werke, durch Zeichen und Wunder, vor allem aber durchseinen Tod und seine herrliche Auferstehung von den Toten, schlielich durch die Sendung desGeistes der Wahrheit die Offenbarung erfllt und abschliet.10

    Die Geschichte stellt also fr das Volk Gottes einen Weg dar, der ganz durchlaufen werden mu,so da die geoffenbarte Wahrheit dank des unablssigen Wirkens des Heiligen Geistes ihreInhalte voll zum Ausdruck bringen kann (vgl. Joh 16, 13). Das lehrt wiederum die Konstitution DeiVerbum, wenn sie feststellt: Die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte stndig der Flle dergttlichen Wahrheit entgegen, bis sich an ihr Gottes Worte erfllen.11

    12. Die Geschichte wird daher zu dem Ort, an dem wir Gottes Handeln fr die Menschheitfeststellen knnen. Er erreicht uns in dem, was fr uns am vertrautesten und leicht zu berprfenist, weil es sich um unsere tgliche Umgebung handelt, ohne die wir uns nicht zu begreifenvermchten.

    Die Menschwerdung Gottes erlaubt es, die ewige und endgltige Synthese vollzogen zu sehen,die sich der menschliche Geist von sich aus nicht einmal htte vorstellen knnen: das Ewige gehtein in die Zeit, das Ganze verbirgt sich im Bruchstck, Gott nimmt die Gestalt des Menschen an.Die in der Offenbarung Christi zum Ausdruck gekommene Wahrheit ist somit nicht mehr in einenengen territorialen und kulturellen Bereich eingeschlossen, sondern ffnet sich jedem Mann undjeder Frau, der die sie als ein fr allemal gltiges Wort annehmen will, um dem Dasein Sinn zugeben. Nun haben alle Menschen in Christus Zugang zum Vater; durch seinen Tod und seineAuferstehung hat er das gttliche Leben geschenkt, das der erste Adam ausgeschlagen hatte (vgl.Rm 5, 12-15). Mit dieser Offenbarung wird dem Menschen die letzte Wahrheit ber sein Leben

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  • und ber das Schicksal der Geschichte angeboten: Tatschlich klrt sich nur im Geheimnis desfleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf, stellt die KonstitutionGaudium et spes12 fest. Auerhalb dieser Sicht bleibt das Geheimnis der menschlichen Person einunlsbares Rtsel. Wo sonst als in dem Licht, das vom Geheimnis der Passion, des Todes undder Auferstehung Christi ausstrahlt, knnte der Mensch die Antwort auf so dramatische Fragensuchen wie die des Schmerzes, des Leidens Unschuldiger und des Todes?

    Die Vernunft vor dem Geheimnis [13-15]

    13. Es soll freilich nicht vergessen werden, da die Offenbarung bis heute etwas Geheimnisvollesbleibt. Gewi enthllt Jesus durch sein Leben das Antlitz des Vaters, denn er ist ja gekommen,damit er vom Innern Gottes Kunde bringe;13 doch die Erkenntnis, die wir von diesem Antlitzhaben, ist stets von der Bruchstckhaftigkeit und Begrenztheit unseres Begreifens gezeichnet.Einzig und allein der Glaube gestattet es, in das Innere des Geheimnisses einzutreten, dessenVerstndnis er in angemessener Weise begnstigt.

    Das Konzil lehrt, da dem offenbarenden Gott der Gehorsam des Glaubens zu leisten ist.14 Mitdieser kurzen, aber wichtigen Aussage wird auf eine fundamentale Wahrheit des Christentumshingewiesen. Es heit darin vor allem, da der Glaube gehorsame Antwort an Gott ist. Das abersetzt voraus, da dieser in seiner Gottheit, Transzendenz und hchsten Freiheit anerkannt wird.Der Gott, der sich zu erkennen gibt, bringt in der Autoritt seiner absoluten Transzendenz dieGlaubwrdigkeit der von ihm geoffenbarten Inhalte mit. Durch den Glauben gibt der Mensch seineZustimmung zu diesem gttlichen Zeugnis. Das heit, er anerkennt voll und ganz die Wahrheitdessen, was geoffenbart wurde, weil Gott selbst sich zu ihrem Garanten macht. Diese demMenschen geschenkte und von ihm nicht einforderbare Wahrheit fgt sich in den Horizont derinterpersonalen Kommunikation ein. Sie drngt die Vernunft, sich der Wahrheit zu ffnen undihren tiefen Sinn anzunehmen. Darum ist der Akt, mit dem man sich Gott anvertraut, von derKirche stets als ein grundlegender Entscheidungsvorgang angesehen worden, in den die ganzePerson eingebunden ist. Verstand und Wille setzen bis zum uersten ihre geistige Natur ein, umdem Subjekt den Vollzug eines Aktes zu erlauben, in dem die persnliche Freiheit im Vollsinngelebt wird.15 Im Glauben ist also die Freiheit nicht einfach nur da; sie ist gefordert. Ja, der Glaubeermglicht es einem jeden, seine Freiheit bestmglich zum Ausdruck zu bringen. Mit anderenWorten, die Freiheit verwirklicht sich nicht in Entscheidungen gegen Gott. In der Tat, wie knntedie Weigerung, sich dem zu ffnen, was die Selbstverwirklichung ermglicht, als einglaubwrdiger Gebrauch der Freiheit angesehen werden? Im Glauben vollzieht der Mensch denbedeutsamsten Akt seines Daseins; denn die Freiheit gelangt zur Gewiheit der Wahrheit undentschliet sich, in ihr zu leben.

    Der Vernunft, die das Geheimnis zu verstehen sucht, kommen auch die in der Offenbarungvorhandenen Zeichen zur Hilfe. Sie dienen dazu, die Wahrheitssuche grndlicher vorzunehmenund dem Verstand selbstndige Erkundungen auch innerhalb des Geheimnisses zu ermglichen.Diese Zeichen geben zwar einerseits der Vernunft greres Gewicht, weil sie ihr erlauben, mit den

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  • ihr eigenen Mitteln, auf die sie zu Recht stolz ist, das Geheimnis von innen her zu ergrnden;andererseits sind die Zeichen fr die Vernunft Ansporn, ber ihre zeichenhafte Wirklichkeithinauszugehen, um deren jenseitige Bedeutung, die sie tragen, zu erfassen. In ihnen ist also eineverborgene Wahrheit bereits gegenwrtig, auf die der Verstand verwiesen wird und von der ernicht absehen kann, ohne das ihm angebotene Zeichen selbst zu zerstren.

    Man wird gewissermaen auf den sakramentalen Horizont der Offenbarung und insbesondere aufdas Zeichen der Eucharistie verwiesen, wo es die unauflsliche Einheit zwischen der Wirklichkeitund ihrer Bedeutung erlaubt, die Tiefe des Geheimnisses zu erfassen. Christus ist in derEucharistie wahrhaftig gegenwrtig und lebendig, er wirkt und handelt durch seinen Geist, dochwie der hl. Thomas richtig gesagt hatte: Du siehst nicht, du begreifst nicht, aber der Glaubebestrkt dich jenseits der Natur. Was da erscheint, ist ein Zeichen: es verbirgt im Geheimniserhabene Wirklichkeiten.16 Ihm pflichtet der Philosoph Pascal bei: Wie Jesus Christus unter denMenschen unerkannt geblieben ist, so unterscheidet sich seine Wahrheit uerlich nicht von denallgemeinen Meinungen. Und so ist die Eucharistie gewhnliches Brot.17

    Die Glaubenserkenntnis hebt also das Geheimnis nicht auf; sie macht es nur einsichtiger undoffenbart es als fr das Leben des Menschen wesentliche Tatsache: Christus der Herr ... machteben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen denMenschen selbst voll kund und erschliet ihm seine hchste Berufung,18 nmlich teilzuhaben amGeheimnis des dreifaltigen Lebens Gottes.19

    14. Die Lehre der beiden Vatikanischen Konzilien erffnet auch fr das philosophische Wisseneinen Horizont echter Neuerung. Die Offenbarung fhrt in die Geschichte einen Bezugspunkt ein,von dem der Mensch nicht absehen kann, wenn er dahin gelangen will, das Geheimnis seinesDaseins zu verstehen; andererseits verweist diese Erkenntnis stndig auf das Geheimnis Gottes,das der Verstand nicht auszuschpfen vermag, sondern nur im Glauben empfangen undannehmen kann. Innerhalb dieser beiden Momente hat die Vernunft ihren besonderen Platz, derihr das Erkunden und Begreifen erlaubt, ohne von etwas anderem eingeschrnkt zu werden alsvon ihrer Endlichkeit angesichts des unendlichen Geheimnisses Gottes.

    Die Offenbarung fhrt also in unsere Geschichte eine universale und letzte Wahrheit ein, die denVerstand des Menschen dazu herausfordert, niemals stehenzubleiben; ja, sie spornt ihn an, denRaum seines Wissens stndig zu erweitern, bis er gewahr wird, ohne jegliche Unterlassung allesin seiner Macht Stehende getan zu haben. Bei dieser berlegung kommt uns eine dergeistreichsten und bedeutendsten schpferischen Persnlichkeiten der Menschheitsgeschichte zuHilfe, auf die sich sowohl die Philosophie als auch die Theologie beziehen: der hl. Anselm. Inseinem Proslogion schreibt der Bischof von Canterbury: Whrend ich hufig und voll Eifer meineGedanken auf dieses Problem richtete, schien es mir zuweilen, als knnte ich das, wonach ichsuchte, schon ergreifen; ein anderes Mal hingegen entglitt es vollstndig meinem Denken; bis ichschlielich die Hoffnung, es je finden zu knnen, verlor und die Suche nach etwas, das sichunmglich finden lie, aufgeben wollte. Als ich aber jene Gedanken aus mir vertreiben wollte,

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  • damit sie nicht meinen Geist beschftigten und mich von anderen Problemen abhalten wrden,aus denen ich irgendeinen Gewinn ziehen konnte, da stellten sie sich mit immer grererAufdringlichkeit ein [...]. Was aber habe ich Armseliger, einer von Evas Shnen, fern von Gott, washabe ich zu unternehmen begonnen und was ist mir gelungen? Wonach ging meine Neigung undwohin bin ich gelangt? Wonach strebte ich und wonach sehne ich mich noch immer? [...] O Herr,du bist nicht nur das Grte, das man sich denken kann (non solum es quo maius cogitari nequit),sondern du bist grer als alles, was man sich denken kann (quiddam maius quam cogitari possit)[...]. Wenn du nicht so beschaffen wrest, knnte man sich etwas Greres als dich vorstellen,aber das ist unmglich.20

    15. Die Wahrheit der christlichen Offenbarung, der wir in Jesus von Nazaret begegnen, ermglichtjedem, das Geheimnis des eigenen Lebens anzunehmen, sie achtet zutiefst die Autonomie desGeschpfes und seine Freiheit, verpflichtet es aber im Namen der Wahrheit, sich derTranszendenz zu ffnen. Hier erreicht das Verhltnis von Freiheit und Wahrheit seinenHhepunkt, und man versteht voll und ganz das Wort des Herrn: Dann werdet ihr die Wahrheiterkennen, und die Wahrheit wird euch befreien (Joh 8, 32).

    Die christliche Offenbarung ist der wahre Leitstern fr den Menschen zwischen den Bedingtheitender immanentistischen Denkweise und den Verengungen einer technokratischen Logik; sie ist dieuerste von Gott angebotene Mglichkeit, um den ursprnglichen Plan der Liebe, der mit derSchpfung begonnen hat, vollstndig wiederzufinden. Dem Menschen, der sich nach Erkenntnisdes Wahren sehnt, wird, sofern er noch imstande ist, den Blick ber sich selbst und die eigenenPlne hinaus zu erheben, die Mglichkeit gegeben, das natrliche Verhltnis zu seinem Lebendadurch wiederzugewinnen, da er den Weg der Wahrheit geht. Die Worte aus dem BuchDeuteronomium lassen sich gut auf diese Situation anwenden: Dieses Gebot, auf das ich dichheute verpflichte, geht nicht ber deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, soda du sagen mtest: Wer steigt fr uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkndet esuns, damit wir es halten knnen? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so da du sagen mtest:Wer fhrt fr uns ber das Meer, holt es herber und verkndet es uns, damit wir es haltenknnen? Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, dukannst es halten (30, 11-14). Diesem Text stimmt der heilige Augustinus, Philosoph undTheologe, mit dem berhmten Gedanken zu: Noli foras ire, in te ipsum redi. In interiore hominehabitat veritas [Geh nicht nach drauen, kehre zu dir selbst zurck. Im Inneren des Menschenwohnt die Wahrheit].21

    Im Lichte dieser berlegungen drngt sich eine erste Schlufolgerung auf: Die Wahrheit, welchedie Offenbarung uns erkennen lt, ist nicht die reife Frucht oder der Hhepunkt eines von derVernunft aufbereiteten Denkens. Sie erscheint hingegen mit dem Wesensmerkmal derUngeschuldetheit, bringt Denken hervor und fordert, als Ausdruck der Liebe angenommen zuwerden. Diese geoffenbarte Wahrheit ist in unsere Geschichte gelegte Vorwegnahme jener letztenund endgltigen Anschauung Gottes, die denen vorbehalten ist, die an ihn glauben oder ihn mitaufrichtigem Herzen suchen. Das letzte Ziel des menschlichen Daseins als Person ist also

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  • Forschungsobjekt sowohl der Philosophie als auch der Theologie. Beide fhren uns, wenn auchmit unterschiedlichen Mitteln und Inhalten, diesen Pfad zum Leben (Ps 16, 11) vor Augen, derschlielich, wie uns der Glaube sagt, in die volle und ewig whrende Freude der Anschauung desdreieinigen Gottes einmndet.

    KAPITEL II - CREDO UT INTELLEGAM

    Die Weisheit wei und versteht alles (vgl. Weish 9, 11) [16-20]

    16. Wie tief der Zusammenhang zwischen Glaubens- und Vernunfterkenntnis ist, wird bereits inder Heiligen Schrift mit erstaunlich deutlichen Hinweisen aufgezeigt. Das bezeugen besonders dieWeisheitsbcher. Was bei der unvoreingenommenen Lektre dieser Seiten der Heiligen Schriftbeeindruckt, ist die Tatsache, da in diesen Texten nicht nur Israels Glaube enthalten ist, sondernauch der Reichtum bereits untergegangener Zivilisationen und Kulturen. Wie nach einembesonderen Plan lassen gypten und Mesopotamien wieder ihre Stimme hren, und manchegemeinsamen Zge der altorientalischen Kulturen werden auf diesen Seiten, die so reich sind aninneren Einsichten einzigartiger Tiefe, wieder ins Leben zurckgeholt.

    Es ist kein Zufall, da der heilige Verfasser den weisen Menschen, den er beschreiben mchte,als denjenigen darstellt, der die Wahrheit liebt und nach ihr sucht: Wohl dem Menschen, dernachsinnt ber die Weisheit, der sich bemht um Einsicht, der seinen Sinn richtet auf ihre Wegeund auf ihre Pfade achtet, der ihr nachgeht wie ein Spher und an ihren Eingngen lauert, derdurch ihre Fenster schaut und an ihren Tren horcht, der sich bei ihrem Haus niederlt und seineZeltstricke an ihrer Mauer befestigt, der neben ihr sein Zelt aufstellt und so eine gute Wohnunghat, der sein Nest in ihr Laub baut und in ihren Zweigen die Nacht verbringt, der sich in ihremSchatten vor der Hitze verbirgt und im Schutz ihres Hauses wohnt (Sir 14, 20-27).

    Wie man sieht, ist fr den inspirierten Verfasser der sehnliche Wunsch nach Erkenntnis einWesensmerkmal, das alle Menschen vereint. Dank des Denkvermgens ist allen, Glaubenden wieNichtglaubenden, die Mglichkeit gegeben, zu schpfen im tiefen Wasser der Erkenntnis (vgl.Spr 20, 5). Im alten Israel erfolgte das Erkennen der Welt und ihrer Erscheinungen sicher nichtdurch Abstraktion, wie das fr den jonischen Philosophen oder den gyptischen Weisen zutrifft.Noch weniger empfing der gute Israelit die Erkenntnis mit Hilfe der Kriterien, wie sie derzunehmend nach Wissensspaltung tendierenden modernen Zeit eigen sind. Trotzdem hat die Weltder Bibel in das groe Meer der Erkenntnislehre ihren originellen Beitrag einflieen lassen.

    Wie sieht dieser Beitrag aus? Die Besonderheit, die den Bibeltext auszeichnet, besteht in derberzeugung, da zwischen der Vernunft- und der Glaubenserkenntnis eine tiefe, untrennbareEinheit besteht. Die Welt und was in ihr vorgeht ebenso wie die Geschichte und die wechselvollenEreignisse des Volkes sind Wirklichkeiten, die mit den Mitteln der Vernunft betrachtet, analysiertund beurteilt werden, ohne da aber der Glaube an diesem Proze unbeteiligt bliebe. Er greiftnicht ein, um die Autonomie der Vernunft zu beschneiden oder ihren Handlungsraumeinzuschrnken, sondern nur dazu, um dem Menschen begreiflich zu machen, da der Gott

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  • Israels in diesen Geschehnissen sichtbar wird und handelt. Die Welt und die geschichtlichenBegebenheiten grndlich zu kennen, ist also unmglich, ohne sich gleichzeitig zum Glauben anden in ihnen wirkenden Gott zu bekennen. Der Glaube schrft den inneren Blick, indem er denVerstand dafr offen macht, im Strom der Ereignisse die ttige Gegenwart der Vorsehung zuentdecken. Ein Satz aus dem Buch der Sprichwrter ist in diesem Zusammenhang bezeichnend:Des Menschen Herz plant seinen Weg, doch der Herr lenkt seinen Schritt (Spr 16, 9). Manknnte sagen, der Mensch vermag mit dem Licht der Vernunft seinen Weg zu erkennen, kann ihnaber nur dann rasch und ohne Hindernisse zu Ende gehen, wenn er mit redlichem Herzen seinForschen in den Horizont des Glaubens einfgt. Vernunft und Glaube lassen sich daher nichtvoneinander trennen, ohne da es fr den Menschen unmglich wird, sich selbst, die Welt undGott in entsprechender Weise zu erkennen.

    17. Es gibt also keinen Grund fr das Bestehen irgendeines Konkurrenzkampfes zwischenVernunft und Glaube: sie wohnen einander inne, und beide haben ihren je eigenen Raum zu ihrerVerwirklichung. Wieder ist es das Buch der Sprichwrter, das uns mit dem Ausruf in dieseRichtung weist: Gottes Ehre ist es, eine Sache zu verhllen, des Knigs Ehre ist es, eine Sachezu erforschen (Spr 25, 2). Gott und der Mensch sind in ihrer jeweiligen Welt in eine einzigartigeWechselbeziehung gestellt. In Gott hat alles seinen Ursprung, in ihm sammelt sich die Flle desGeheimnisses, und das macht seine Ehre aus; dem Menschen fllt die Aufgabe zu, mit seinerVernunft nach der Wahrheit zu forschen, und darin besteht sein Adel. Ein weiterer Stein zu diesemMosaik wird vom Psalmisten hinzugefgt, wenn er betet: Wie schwierig sind fr mich, o Gott,deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl! Wollte ich sie zhlen, es wren mehr als der Sand.Kme ich bis zum Ende, wre ich noch immer bei dir (Ps 139, 17-18). Das Streben nachErkenntnis ist so gro und mit einem derartigen Dynamismus verbunden, da sich das Herz desMenschen trotz der Erfahrung der unberschreitbaren Grenze nach dem unendlichen Reichtumsehnt, der sich jenseits befindet, weil es ahnt, da dort die befriedigende Antwort auf jede nochungelste Frage gehtet wird.

    18. Wir knnen daher sagen, Israel hat es vermocht, mit seinem Nachdenken der Vernunft denWeg zum Geheimnis zu erffnen. In der Offenbarung Gottes konnte es alles grndlich erkunden,was es mit der Vernunft vergeblich zu erreichen versuchte. Von dieser tiefsten Erkenntnisformausgehend hat das auserwhlte Volk verstanden, da die Vernunft einige Grundregeln beachtenmu, um der ihr eigenen Natur bestmglich Ausdruck geben zu knnen. Die erste Regel bestehtin der Bercksichtigung der Tatsache, da das Erkennen des Menschen ein Weg ist, der keinenStillstand kennt; die zweite entsteht aus dem Bewutsein, da man sich auf diesen Weg nicht mitdem Hochmut dessen begeben darf, der meint, alles sei Frucht persnlicher Errungenschaft; einedritte Regel grndet auf der Gottesfurcht: die Vernunft mu Gottes souverne Transzendenzund zugleich seine sorgende Liebe bei der Lenkung der Welt anerkennen.

    Wenn der Mensch von diesen Regeln abweicht, setzt er sich der Gefahr des Scheiterns aus undbefindet sich schlielich in der Verfassung des Toren. Fr die Bibel beinhaltet diese Torheit eineBedrohung des Lebens. Denn der Tor bildet sich ein, viele Dinge zu wissen, ist aber in Wirklichkeit

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  • nicht imstande, den Blick auf die wesentlichen Dinge zu heften. Das hindert ihn daran, Ordnung inseinen Verstand zu bringen (vgl. Spr 1, 7) und gegenber sich selbst und seiner Umgebung eineentsprechende Haltung einzunehmen. Wenn er dann so weit geht zu behaupten: Es gibt keinenGott (Ps 14, 1), enthllt er mit endgltiger Klarheit, wie unzureichend sein Wissen ist und wie weiter von der vollen Wahrheit ber die Dinge, ihren Ursprung und ihre Bestimmung entfernt ist.

    19. Einige wichtige Texte, die weiteres Licht auf dieses Thema werfen, sind im 13. Kapitel desBuches der Weisheit enthalten. Darin spricht der Verfasser von Gott, der sich auch durch dieNatur erkennen lt. In der Antike fiel das Studium der Naturwissenschaften groenteils mit demphilosophischen Wissen zusammen. Nachdem der heilige Text ausgefhrt hat, da der Menschmit seinem Verstand in der Lage ist, den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente, ... denKreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne, die Natur der Tiere und die Wildheit derRaubtiere zu verstehen (Weish 7, 17. 19-20), mit einem Wort, da er fhig ist zu philosophieren,vollzieht er einen sehr bemerkenswerten Schritt nach vorn. Whrend der Verfasser das Denkender griechischen Philosophie aufgreift, auf das er sich in diesem Zusammenhang offensichtlichbezieht, erklrt er, da man eben durch vernnftiges Nachdenken ber die Natur wieder auf denSchpfer zurckkommen knne: Denn von der Gre und Schnheit der Geschpfe lt sich aufihren Schpfer schlieen (Weish 13, 5). Es wird also eine erste Stufe der gttlichen Offenbarunganerkannt, die aus dem wunderbaren Buch der Natur besteht; liest der Mensch dieses Buch mitden seiner Vernunft eigenen Mitteln, kann er zur Erkenntnis des Schpfers gelangen. Wenn derMensch mit seinem Verstand Gott, den Schpfer von allem, nicht zu erkennen vermag, dann liegtdas nicht so sehr am Fehlen eines geeigneten Mittels als vielmehr an dem Hindernis, das ihm vonseinem freien Willen und seiner Snde in den Weg gelegt wurde.

    20. Die Vernunft wird in dieser Sicht gewrdigt, aber nicht berbewertet. Denn alles, was sieerreicht, kann zwar wahr sein, erlangt aber volle Bedeutung erst, wenn sein Inhalt in den weiterenHorizont des Glaubens gestellt wird: Der Herr lenkt die Schritte eines jeden. Wie knnte derMensch seinen Weg verstehen? (Spr 20, 24). Nach dem Alten Testament befreit also der Glaubedie Vernunft, da er ihr ermglicht, ihren Erkenntnisgegenstand konsequent zu erreichen und ihn injene hchste Ordnung zu stellen, in der alles seine Sinnhaftigkeit erlangt. Mit einem Wort, derMensch gelangt durch die Vernunft zur Wahrheit, weil er zugleich mit dem Glauben den tiefenSinn von allem und insbesondere den Sinn seines eigenen Daseins entdeckt. Mit Recht setztdaher der Verfasser als den Anfang der wahren Erkenntnis die Gottesfurcht voraus: Gottesfurchtist Anfang der Erkenntnis (Spr 1, 7; vgl. Sir 1, 14).

    Erwirb dir Weisheit, erwirb dir Einsicht (Spr 4, 5) [21-23]

    21. Die Erkenntnis beruht nach dem Alten Testament nicht nur auf einer sorgfltigen Beobachtungdes Menschen, der Welt und der Geschichte, sondern setzt auch eine unerlliche Beziehungzum Glauben und zu den Inhalten der Offenbarung voraus. Hier liegen auch dieHerausforderungen, denen sich das auserwhlte Volk stellen mute und auf die es geantwortethat. Beim Nachdenken ber diese seine Lage hat der biblische Mensch entdeckt, da er sich nur

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  • begreifen kann, insofern er in Beziehung steht: in Beziehung zu sich selbst, zum Volk, zur Weltund zu Gott. Diese ffnung fr das Geheimnis, die ihm von der Offenbarung zukam, warschlielich fr ihn die Quelle einer wahren Erkenntnis, die seiner Vernunft das Eintauchen in dieRume des Unendlichen erlaubte, wodurch er bis dahin unverhoffte Verstndnismglichkeitenerhielt.

    Die Anstrengung des Forschens war fr den Verfasser nicht frei von der Mhseligkeit, die von derAuseinandersetzung mit den Grenzen der Vernunft herrhrt. Das lt sich zum Beispiel denWorten entnehmen, mit denen das Buch der Sprichwrter den Zustand der Erschpfung offenlegt,der sich bei dem Versuch, die geheimnisvollen Plne Gottes zu begreifen, einstellte (vgl. Spr 30,1-6). Der Glaubende gibt sich jedoch trotz der Beschwerlichkeit nicht geschlagen. Die Kraft, umseinen Weg zur Wahrheit fortzusetzen, erhlt er aus der Gewiheit, da Gott ihn als Forschererschaffen hat (vgl. Koh 1, 13), der den Auftrag hat, trotz der stndigen Erpressung durch denZweifel nichts unversucht zu lassen. Dadurch, da er sich auf Gott sttzt, bleibt er immer undberall auf das Schne, Gute und Wahre ausgerichtet.

    22. Der hl. Paulus hilft uns im ersten Kapitel seines Briefes an die Rmer, die berlegung derWeisheitsbcher in ihrer Eindringlichkeit besser zu wrdigen. Mit seiner Darlegung einerphilosophischen Argumentation in der Sprache des Volkes bringt der Apostel eine tiefe Wahrheitzum Ausdruck: Durch die Schpfung knnen die Augen des Verstandes zur Erkenntnis Gottesgelangen. Denn durch die Geschpfe lt er die Vernunft seine Macht und seine Gottheiterahnen (vgl. Rm 1, 20). Der Vernunft des Menschen wird also eine Fhigkeit zuerkannt, diegleichsam ihre natrlichen Grenzen zu bersteigen scheint: nicht nur da sie von dem Augenblickan, wo sie kritisch darber nachdenken kann, nicht mehr in die sinnliche Erkenntnis verbannt ist,sondern auch durch das Argumentieren ber die Sinneswahrnehmungen kann sie zu dem Grundvordringen, der am Anfang jeder sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit steht. In philosophischerFachsprache knnten wir sagen, da in dem wichtigen Text die metaphysische Fhigkeit desMenschen bejaht wird.

    Nach berzeugung des Apostels war im ursprnglichen Schpfungsplan die Fhigkeit derVernunft vorgesehen, die Sinnenwelt mit Leichtigkeit zu bersteigen, um zum eigentlichenUrsprung von allem zu gelangen: dem Schpfer. Infolge des Ungehorsams, durch den sich derMensch die volle und absolute Unabhngigkeit gegenber seinem Schpfer erwirken wollte, istdiese Leichtigkeit des Aufstiegs zum Schpfergott verloren gegangen.

    Das Buch Genesis beschreibt auf anschauliche Weise diesen Zustand des Menschen, wenn esdavon erzhlt, da Gott ihn in den Garten Eden setzte, in dessen Mitte der Baum der Erkenntnisvon Gut und Bse stand (Gen 2, 17). Das Symbol ist klar: Der Mensch war nicht in der Lage, vonsich aus zu unterscheiden und zu entscheiden, was gut und was bse war, sondern mute sichauf ein hheres Prinzip berufen. Verblendung durch berheblichkeit verfhrte unsere Stammelternzu der trgerischen Tuschung, sie wren souvern und unabhngig und knnten auf die von Gottstammende Erkenntnis verzichten. In ihren Ur-Ungehorsam zogen sie jeden Mann und jede Frau

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  • hinein und fgten der Vernunft Wunden zu, die von da an den Weg zur vollen Wahrheit behindernsollten. Das menschliche Vermgen, die Wahrheit zu erkennen, wurde nunmehr von derAuflehnung gegen denjenigen beeintrchtigt, der Quelle und Ursprung der Wahrheit ist. Wieder istes der Apostel der darlegt, wie auf Grund der Snde die Gedanken der Menschen nichtiggeworden sind und sich ihre berlegungen als entstellt und falsch orientiert erwiesen haben (vgl.Rm 1, 21-22). Die Augen des Verstandes waren nun nicht mehr in der Lage, klar zu sehen: dieVernunft wurde zunehmend zur Gefangenen ihrer selbst. Das Kommen Christi war dasHeilsereignis, das die Vernunft aus ihrer Schwachheit erlste und sie von den Fesseln, in denensie sich selbst gefangen hatte, befreite.

    23. Das Verhltnis des Christen zur Philosophie verlangt daher eine tiefgreifende Unterscheidung.Im Neuen Testament, vor allem in den Briefen des hl. Paulus, tritt eine Tatsache klar ans Licht: dieGegenberstellung zwischen der Weisheit dieser Welt und der in Jesus Christus geoffenbartenWeisheit Gottes. Die Tiefgrndigkeit der geoffenbarten Weisheit sprengt den Zirkel unsererblichen Denkschemata, die keinesfalls in der Lage sind, sie adquat wiederzugeben.

    Der Anfang des ersten Briefes an die Korinther wirft dieses Dilemma in radikaler Weise auf. Dergekreuzigte Sohn Gottes ist das geschichtliche Ereignis, an dem jeder Versuch des Verstandesscheitert, auf rein menschlichen Argumenten einen ausreichenden Beleg fr den Sinn desDaseins aufzubauen. Der wahre Knotenpunkt, der die Philosophie herausfordert, ist der Tod JesuChristi am Kreuz. Denn hier ist jeder Versuch, den Heilsplan des Vaters auf reine menschlicheLogik zurckzufhren, zum Scheitern verurteilt. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Woein Wortfhrer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? (1 Kor 1,20), fragt sich der Apostel emphatisch. Fr das, was Gott verwirklichen will, gengt nicht blo dieWeisheit des weisen Menschen, vielmehr ist ein entschlossener bergang zur Annahme vonetwas vllig Neuem gefordert: Das Trichte in der Welt hat Gott erwhlt, um die Weisenzuschanden zu machen [...]. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwhlt:das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten (1 Kor 1, 27-28). Die Weisheit desMenschen lehnt es ab, in ihrer Schwachheit die Voraussetzung fr ihre Strke zu sehen; aber derhl. Paulus zgert nicht zu bekrftigen: Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark (2 Kor 12, 10).Der Mensch vermag nicht zu begreifen, wie der Tod Quelle von Leben und Liebe sein knne, aberGott hat gerade das fr die Enthllung des Geheimnisses seines Heilsplanes erwhlt, was dieVernunft als Torheit und rgernis ansieht. Mit Hilfe der Sprache der Philosophen seiner Zeiterreicht Paulus den Hhepunkt seiner Lehre und des Paradoxons, das er ausdrcken will: Gotthat in der Welt das, was nichts ist, erwhlt, um das, was etwas ist, zu vernichten (1 Kor 1, 28).Der Apostel scheut sich nicht, von der radikalsten Sprache, welche die Philosophen in ihrenErwgungen ber Gott verwendeten, Gebrauch zu machen, um das Wesen der ungeschuldetenLiebe zum Ausdruck zu bringen, die sich im Kreuz Jesu Christi geoffenbart hat. Die Vernunft kanndas Geheimnis, das das Kreuz darstellt, nicht der Liebe entleeren; statt dessen kann das Kreuzder Vernunft die letzte Antwort geben, nach der sie sucht. Nicht die Weisheit der Worte, sonderndas Wort von der Weisheit ist es, das der hl. Paulus als Kriterium der Wahrheit und damit desHeils festsetzt.

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  • Die Weisheit des Kreuzes berwindet daher jede kulturelle Grenze, die man ihr auferlegen will,und verpflichtet dazu, sich der Universalitt der Wahrheit, deren Trgerin sie ist, zu ffnen. Wasfr eine Herausforderung stellt sich da unserer Vernunft und welchen Nutzen zieht sie daraus,wenn sie sich denn geschlagen gibt! Die Philosophie, die schon von sich aus imstande ist, dieunablssige Selbsttranszendierung des Menschen auf die Wahrheit hin zu erkennen, kann sichmit Hilfe des Glaubens ffnen, um in der Torheit des Kreuzes die echte Kritik an denenaufzugreifen, die sich der Tuschung hingeben, die Wahrheit zu besitzen, whrend sie sie in dieUntiefen ihres Systems gefangenhalten. Das Verhltnis von Glaube und Philosophie trifft in derVerkndigung vom gekreuzigten und auferstandenen Christus auf die Felsenklippe, an der esSchiffbruch erleiden kann. Doch jenseits dieser Klippe kann es in das unendliche Meer derWahrheit einmnden. Hier zeigt sich deutlich die Grenze zwischen Vernunft und Glaube, es wirdaber auch der Raum klar erkennbar, in dem sich beide begegnen knnen.

    KAPITEL III - INTELLEGO UT CREDAM

    Auf dem Weg der Suche nach der Wahrheit [24-27]

    24. Der Evangelist Lukas erzhlt in der Apostelgeschichte, da Paulus auf seinen Missionsreisennach Athen kam. Die Stadt der Philosophen war voll von Statuen, die verschiedene Gtzendarstellten. Ein Altar erregte seine Aufmerksamkeit, und er nahm das sogleich zum Anla, darineine gemeinsame Grundlage zu entdecken, auf der er mit der Verkndigung des Kerygmasbeginnen konnte. Und so sprach er: Athener, nach allem, was ich sehe, seid ihr besondersfromme Menschen. Denn als ich umherging und mir eure Heiligtmer ansah, fand ich auch einenAltar mit der Aufschrift: Einem unbekannten Gott. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, dasverknde ich euch (Apg 17, 22-23). Von da ausgehend spricht der hl. Paulus von Gott alsSchpfer, als dem, der alles bersteigt und alles zum Leben bringt. Dann setzt er seine Rede sofort: Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit esdie ganze Erde bewohne. Er hat fr sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitzefestgelegt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden knnten; denn keinem von unsist er fern (Apg 17, 26-27).

    Der Apostel legt eine Wahrheit vor, die sich die Kirche stets zunutze gemacht hat: Das Strebenund die Sehnsucht nach Gott ist tief in das Menschenherz eingest. Daran erinnert auchausdrcklich die Karfreitagsliturgie, wenn sie uns im Gebet fr alle Nichtglaubenden sprechenlt: Allmchtiger, ewiger Gott, du hast eine so tiefe Sehnsucht nach dir ins Herz des Menschengesenkt, da sie erst Frieden haben, wenn sie dich finden.22 Es gibt also einen Weg, den derMensch, wenn er will, gehen kann; er beginnt mit der Fhigkeit der Vernunft, sich ber dasZufllige zu erheben, um auf das Unendliche zuzutreiben.

    Der Mensch hat auf verschiedene Weise und zu verschiedenen Zeiten bewiesen, da er imstandeist, dieser seiner tiefsten Sehnsucht Ausdruck zu verleihen. Literatur, Musik, Malerei, Bildhauerei,Architektur und jedes andere Erzeugnis seines schpferischen Verstandes sind zu Kanlengeworden, durch die er sein sehnschtiges Suchen ausdrckt. In besonderer Weise hat die

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  • Philosophie diesen Antrieb in sich aufgenommen und mit ihren Mitteln sowie ihrenwissenschaftlichen Mglichkeiten gem diesem universalen Streben des Menschen Ausdruckverliehen.

    25. Alle Menschen streben nach Wissen;23 Gegenstand dieses Strebens ist die Wahrheit. Selbstdas Alltagsleben zeigt, wie sehr ein jeder daran interessiert ist herauszufinden, wie ber das blogehrte Wort hinaus die Dinge in Wahrheit sind. Der Mensch ist das einzige Wesen in der ganzensichtbaren Schpfung, das nicht nur zu wissen fhig ist, sondern auch um dieses Wissen wei;darum interessiert er sich fr die tatschliche Wahrheit dessen, was fr ihn sichtbar ist.Ehrlicherweise darf niemandem die Wahrheit seines Wissens gleichgltig sein. Wenn er entdeckt,da es falsch ist, verwirft er es; wenn er es hingegen als wahr feststellen kann, ist er zufrieden.Das ist die Lehre des hl. Augustinus, wenn er schreibt: Ich habe manchen gefunden, der anderetuschen wollte, aber keinen, der getuscht sein wollte.24 Mit Recht gilt ein Mensch dann alserwachsen, wenn er mit eigenen Mitteln zwischen wahr und falsch unterscheiden kann, indem ersich ber die objektive Wirklichkeit der Dinge sein Urteil bildet. Hier liegt der Grund zu vielenForschungen, besonders auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, die in den letztenJahrhunderten so bedeutsame Ergebnisse erbracht und damit einen echten Fortschritt dergesamten Menschheit gefrdert haben.

    Nicht weniger wichtig als die Forschung auf theoretischem Gebiet ist jene im praktischen Bereich.Denn durch sein sittliches Handeln schlgt die menschliche Person, wenn sie ihrem freien undrechten Willen gem handelt, den Weg der Glckseligkeit ein und strebt nach Vollkommenheit.Auch in diesem Fall geht es um die Wahrheit. Diese berzeugung habe ich in der EnzyklikaVeritatis splendor unterstrichen: Moral ohne Freiheit gibt es nicht... Wenn fr den Menschen dasRecht besteht, auf seinem Weg der Wahrheitssuche respektiert zu werden, so besteht nochvorher die fr jeden schwerwiegende moralische Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen und ander anerkannten Wahrheit festzuhalten.25

    Es ist also notwendig, da die angenommenen und durch das eigene Leben verfolgten Wertewahr sind, weil nur wahre Werte die menschliche Person durch Verwirklichung ihrer Naturvollenden knnen. Diese Wahrheit der Werte findet der Mensch nicht dadurch, da er sich in sichverschliet, sondern indem er sich ffnet, um sie auch in den ber ihn hinausgehendenDimensionen anzunehmen. Das ist eine unerlliche Voraussetzung, damit ein jeder er selbstwerden und als erwachsene, reife Person wachsen kann.

    26. Die Wahrheit stellt sich beim Menschen anfangs in Frageform vor: Hat das Leben einen Sinn?Wohin fhrt es? Auf den ersten Blick knnte das Dasein des Menschen als Person gnzlichsinnlos erscheinen. Man braucht nicht Philosophen, die die Absurditt vertreten, oder dieprovokatorischen Fragen im Buch Ijob heranzuziehen, um am Sinn des Lebens zu zweifeln. Dietgliche Erfahrung von eigenem und fremdem Leid, der Anblick so vieler Tatsachen, die im Lichteder Wahrheit unerklrlich erscheinen, gengen, da wir unausweichlich eine so dramatischeFrage wie jene nach dem Sinn stellen.26 Hinzukommt, da die erste absolut sichere Wahrheit

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  • unserer Existenz auer der Tatsache, da wir berhaupt da sind, die Unvermeidbarkeit unseresTodes ist. Angesichts dieses bestrzenden Umstandes stellt sich die Suche nach einererschpfenden Antwort. Jeder will und soll die Wahrheit ber sein Ende kennen. Er willwissen, ob der Tod das endgltige Ende seines Daseins ist oder ob es noch etwas gibt, das berden Tod hinausreicht; ob er auf ein Weiterleben hoffen darf oder nicht. Nicht von ungefhr hat dasphilosophische Denken seine entscheidende Orientierung vom Tod des Sokrates her erhalten undist seit ber zweitausend Jahren davon geprgt geblieben. Es ist also durchaus kein Zufall, daangesichts der Tatsache des Todes die Philosophen sich dieses Problems, zusammen mit derFrage nach dem Sinn des Lebens und der Unsterblichkeit, immer von neuem angenommenhaben.

    27. Niemand, weder der Philosoph noch der gewhnliche Mensch, kann diesen Fragen aus demWeg gehen. Von der Antwort darauf hngt eine entscheidende Etappe der Suche ab: Ob esmglich ist, zu einer universalen und absoluten Wahrheit zu gelangen oder nicht. An und fr sicherscheint jede Wahrheit, auch Teilwahrheit, wenn sie wirklich Wahrheit ist, als universal. Waswahr ist, mu fr alle und fr immer wahr sein. Auer dieser Universalitt sucht der Menschjedoch nach einem Absoluten, das in der Lage sein soll, seinem ganzen Suchen und ForschenAntwort und Sinn zu geben: etwas Letztes, das sich als Grund jeder Sache herausstellt. Mitanderen Worten, er sucht nach einer endgltigen Erklrung, nach einem hchsten Wert, ber denhinaus es weitere Fragen oder Verweise weder gibt noch geben kann. Hypothesen knnen denMenschen faszinieren, aber sie befriedigen ihn nicht. Es kommt fr alle der Zeitpunkt, wo sie, obsie es zugeben oder nicht, das Bedrfnis haben, ihre Existenz in einer als endgltig anerkanntenWahrheit zu verankern, welche eine Gewiheit vermittelt, die nicht mehr dem Zweifel unterworfenist.

    Die Philosophen haben im Laufe der Jahrhunderte versucht, eine solche Wahrheit zu entdeckenund zum Ausdruck zu bringen, indem sie Denksysteme und -schulen ins Leben riefen. ber diephilosophischen Systeme hinaus gibt es jedoch noch andere Ausdrucksformen, in denen derMensch seiner Philosophie Gestalt zu geben versucht: dabei handelt es sich um persnlicheberzeugungen oder Erfahrungen, um familire oder kulturelle Traditionen oder umLebensprogramme, wo man sich der Autoritt eines Meisters anvertraut. Aus jeder dieserErscheinungen spricht stets der lebhafte Wunsch, zur Gewiheit der Wahrheit und ihres absolutenWertes zu gelangen.

    Die verschiedenen Gesichter der Wahrheit des Menschen [28-35]

    28. Die Wahrheitssuche stellt sich zugegebenermaen nicht immer mit solcher Transparenz undFolgerichtigkeit dar. Die angeborene Begrenztheit der Vernunft und die Unbestndigkeit desHerzens trben oft die persnliche Suche und lenken sie ab. Verschiedenartige andere Interessenknnen die Wahrheit unterdrcken. Es kommt vor, da der Mensch, kaum da er die Wahrheitflchtig erblickt, geradewegs vor ihr flieht, weil er sich vor ihren Ansprchen frchtet. Trotzdembeeinflut die Wahrheit, auch wenn er sie meidet, immer sein Dasein. Denn niemals knnte er

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  • sein Leben auf Zweifel, Ungewiheit oder Lge grnden; eine solche Existenz wre stndig vonAngst und Furcht bedroht. Man kann also den Menschen als den definieren, der nach derWahrheit sucht.

    29. Es ist undenkbar, da eine so tief in der menschlichen Natur verwurzelte Suche vllig nutzlosund vergeblich sein knnte. Die Fhigkeit, nach der Wahrheit zu suchen und Fragen zu stellen,schliet nmlich bereits eine erste Antwort ein. Der Mensch wrde gar nicht anfangen, etwas zusuchen, von dem er berhaupt nichts wte oder das er fr absolut unerreichbar hielte. Erst dieAussicht, zu einer Antwort gelangen zu knnen, kann ihn veranlassen, den ersten Schritt zu tun.Tatschlich geschieht genau das normalerweise in der wissenschaftlichen Forschung. Wenn einWissenschaftler, seiner Intuition folgend, sich der Suche nach der logischen und nachweisbarenErklrung eines bestimmten Phnomens widmet, vertraut er von Anfang an darauf, eine Antwortzu finden, und kapituliert nicht angesichts der Mierfolge. Er hlt seine ursprngliche Eingebungnicht fr nutzlos, nur weil er das Ziel nicht erreicht hat; er wird vielmehr zu Recht sagen, er habenoch nicht die adquate Antwort gefunden.

    Dasselbe mu auch fr die Wahrheitssuche im Bereich der letzten Fragen gelten. Die Sehnsuchtnach der Wahrheit wurzelt so tief im Herzen des Menschen, da das Abstandnehmen davon dieExistenz gefhrden wrde. Es gengt schlielich die Beobachtung des Alltagslebens umfestzustellen, da jeder von uns die qulende Last einiger wesentlicher Fragen in sich trgt undzugleich in seinem Herzen zumindest den Entwurf der dazugehrigen Antworten htet. Es sindAntworten, von deren Wahrheit man auch deshalb berzeugt ist, weil man die Erfahrung macht,da sie sich im wesentlichen nicht von den Antworten unterscheiden, zu denen viele anderegelangt sind. Sicherlich besitzt nicht jede Wahrheit, die erworben wird, denselben Wert. Von derGesamtheit der erreichten Ergebnisse wird jedoch die Fhigkeit des Menschen besttigt,grundstzlich zur Wahrheit zu gelangen.

    30. Es mag ntzlich sein, diese verschiedenen Formen der Wahrheit im folgenden kurz zuerwhnen. Am zahlreichsten sind jene Formen, die auf unmittelbarer Einsichtigkeit beruhen oderdurch Erprobung Besttigung finden. Es handelt sich dabei um die Wahrheitsordnung desAlltagslebens und der wissenschaftlichen Forschung. Auf einer anderen Ebene sind dieWahrheiten philosophischen Charakters anzusiedeln, zu denen der Mensch durch die spekulativeKraft seines Verstandes gelangt. Schlielich gibt es die religisen Wahrheiten, die in gewissemMae auch in der Philosophie verwurzelt sind. Enthalten sind sie in den Antworten, welche dieverschiedenen Religionen in ihren Traditionen auf die letzten Fragen geben.27

    Was die philosophischen Wahrheiten betrifft, gilt es klarzustellen, da sie sich nicht allein auf diemitunter kurzlebigen Wahrheiten der Berufsphilosophen beschrnken. Wie ich schon gesagt habe,ist jeder Mensch auf eine gewisse Art ein Philosoph und besitzt seine philosophischenAuffassungen, nach denen er sein Leben ausrichtet. Er bildet sich auf die eine oder andere Weiseeine Gesamtanschauung und eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Daseins: indiesem Licht deutet er sein persnliches Schicksal und regelt sein Verhalten. Hier mte er sich

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  • die Frage nach dem Verhltnis der philosophisch-religisen Wahrheiten zu der in Jesus Christusgeoffenbarten Wahrheit stellen. Bevor wir diese Frage beantworten, mssen wir noch eine weitereGegebenheit der Philosophie bedenken.

    31. Der Mensch ist nicht geschaffen, um allein zu leben. Er wird geboren und wchst in einerFamilie auf, um sich spter mit seiner Arbeit in die Gesellschaft einzugliedern. Er findet sich alsovon Geburt an in verschiedene Traditionen eingebunden, von denen er nicht nur die Sprache unddie kulturelle Bildung, sondern auch vielfltige Wahrheiten empfngt, denen er gleichsam instinktivglaubt. Persnliches Wachstum und Reifung bringen es jedoch mit sich, da diese Wahrheitendurch den besonderen Einsatz des kritischen Denkens in Zweifel gezogen und berprft werdenknnen. Das hindert nicht, da nach dieser bergangsphase dieselben Wahrheiten aufgrund dermit ihnen gemachten Erfahrung oder kraft nachfolgender berlegungen wiedergewonnenwerden. Trotzdem sind im Leben eines Menschen die einfachhin geglaubten Wahrheiten vielzahlreicher als jene, die er durch persnliche berprfung erwirbt. Wer wre denn imstande, dieunzhligen wissenschaftlichen Ergebnisse, auf die sich das moderne Leben sttzt, kritisch zuprfen? Wer vermchte fr sich allein den Strom der Informationen zu kontrollieren, die Tag frTag aus allen Teilen der Welt eintreffen und die immerhin als grundstzlich wahr angenommenwerden? Wer knnte schlielich die Erfahrungs und Denkwege wiederholen, auf denen sich dieSchtze der Menschheit an Weisheit und Religiositt angesammelt haben? Der Mensch, einWesen, das nach der Wahrheit sucht, ist also auch derjenige, der vom Glauben lebt.

    32. Im Glauben vertraut sich ein jeder den von anderen Personen erworbenen Erkenntnissen an.Darin ist eine bedeutungsvolle Spannung erkennbar: einerseits erscheint die Erkenntnis durchGlauben als eine unvollkommene Erkenntnisform, die sich nach und nach durch die persnlichgewonnene Einsicht vervollkommnen soll; andererseits erweist sich der Glaube oft als menschlichreicher im Vergleich zur bloen Einsichtigkeit, weil er eine Beziehung zwischen Personeneinschliet und nicht nur die persnlichen Erkenntnisfhigkeiten, sondern auch die tiefergehendeFhigkeit ins Spiel bringt, sich anderen Personen anzuvertrauen, indem man eine festere undinnige Verbindung mit ihnen eingeht.

    Es sei unterstrichen, da die in dieser zwischenmenschlichen Beziehung gesuchten Wahrheitennicht in erster Linie in die faktische oder in die philosophische Ordnung gehren. Gesucht wirdvielmehr nach der eigentlichen Wahrheit der Person: was sie ist und was sie von ihrem Innerstensichtbar werden lt. Die Vollkommenheit des Menschen besteht nmlich nicht allein in derAneignung der abstrakten Erkenntnis der Wahrheit, sondern auch in einer lebendigen Beziehungder Hingabe und Treue gegenber dem anderen. In dieser Treue, die sich hinzugeben vermag,findet der Mensch volle Gewiheit und Sicherheit. Gleichzeitig ist die Erkenntnis durch Glauben,die sich auf das zwischenmenschliche Vertrauen sttzt, jedoch nicht ohne Bezug zur Wahrheit:der glubige Mensch vertraut sich der Wahrheit an, die der andere ihm kundtut.

    Wie viele Beispiele lieen sich zur Erluterung dieser Tatsache anfhren! Meine Gedankenwenden sich jedoch geradewegs dem Zeugnis der Mrtyrer zu. Der Mrtyrer ist in der Tat der

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  • zuverlssigste Zeuge der Wahrheit ber das Dasein. Er wei, da er in der Begegnung mit JesusChristus die Wahrheit ber sein Leben gefunden hat; nichts und niemand wird ihm jemals dieseGewiheit zu entreien vermgen. Weder das Leiden noch der gewaltsame Tod werden ihn dazubringen knnen, die Zustimmung zu der Wahrheit zu widerrufen, die er in der Begegnung mitChristus entdeckt hat. Deshalb fasziniert uns bis heute das Zeugnis der Mrtyrer, es wecktZustimmung, stt auf Gehr und findet Nachahmung. Das ist der Grund, warum man auf ihr Wortvertraut: Man entdeckt in ihnen ganz offensichtlich eine Liebe, die keiner langen Argumentationenbedarf, um zu berzeugen, da sie zu jedem von dem spricht, was er im Innersten bereits als wahrvernimmt und seit langem gesucht hat. Schlielich ruft der Mrtyrer ein tiefes Vertrauen in unshervor, weil er sagt, was wir bereits empfinden, und offenkundig macht, was auch wir, wenn wirdenn die Kraft dazu fnden, gern ausdrcken wrden.

    33. So kann man sehen, da die Linien des Problems fortschreitend ergnzt werden. Der Menschsucht von Natur aus nach der Wahrheit. Diese Suche ist nicht allein zur Aneignung von partiellen,faktischen oder wissenschaftlichen Wahrheiten bestimmt; der Mensch sucht nicht nur fr jedeseiner Entscheidungen das wahre Gute. Seine Suche strebt nach einer jenseitigen Wahrheit, diein der Lage sein soll, den Sinn des Lebens zu erklren; es handelt sich daher um eine Suche, dienur im Absoluten Antwort finden kann.28 Dank der dem Denken innewohnenden Fhigkeiten istder Mensch imstande, einer solchen Wahrheit zu begegnen und sie zu erkennen. Dieselebenswichtige und fr seine Existenz wesentliche Wahrheit wird nicht nur auf rationalem Wegerreicht, sondern auch dadurch, da sich der Mensch vertrauensvoll auf andere Personen verlt,welche die Sicherheit und Authentizitt der Wahrheit garantieren knnen. Die Fhigkeit undEntscheidung, sich selbst und sein Leben einem anderen Menschen anzuvertrauen, stellen gewieinen der anthropologisch gewichtigsten und ausdrucksstrksten Akte dar.

    Man mge nicht vergessen, da auch die Vernunft bei ihrer Suche auf die Untersttzung durchvertrauensvollen Dialog und aufrichtige Freundschaft angewiesen ist. Ein Klima aus Verdacht undMitrauen, wie es die spekulative Forschung mitunter umgibt, vernachlssigt die Lehre der antikenPhilosophen, welche die Freundschaft als eine der fr das richtige Philosophieren geeignetstenRahmenbedingungen herausstellten.

    Aus dem bisher Gesagten geht hervor, da sich der Mensch auf einer nach menschlichemErmessen endlosen Suche befindet: der Suche nach Wahrheit und der Suche nach einer Person,der er sich anvertrauen kann. Der christliche Glaube kommt ihm dadurch entgegen, da er ihm diekonkrete Mglichkeit bietet, das Ziel dieser Suche verwirklicht zu sehen. Indem er beim Menschendas Stadium des gewhnlichen Glaubens berwindet, fhrt er ihn in jene Gnadenordnung ein, dieihm die Teilhabe an dem Geheimnis Christi erlaubt, in dem ihm die wahre und angemesseneErkenntnis des dreieinigen Gottes geschenkt wird. In Jesus Christus, der die Wahrheit ist,anerkennt somit der Glaube den letzten Aufruf, der an die Menschheit gerichtet wird, damit siedas, was sie als Streben und Sehnsucht erfhrt, zur Erfllung bringen kann.

    34. Diese Wahrheit, die uns Gott in Jesus Christus offenbart, steht nicht im Widerspruch zu den

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  • Wahrheiten, zu denen man durch das Philosophieren gelangt. Die beiden Erkenntnisordnungenfhren ja erst zur Wahrheit in ihrer Flle. Die Einheit der Wahrheit ist bereits ein grundlegendesPostulat der menschlichen Vernunft, das im Non-Kontradiktionsprinzip ausgedrckt ist. DieOffenbarung bietet die Sicherheit fr diese Einheit, indem sie zeigt, da der Schpfergott auch derGott der Heilsgeschichte ist. Ein und derselbe Gott, der die Verstehbarkeit und Vernnftigkeit dernatrlichen Ordnung der Dinge, auf die sich die Wissenschaftler vertrauensvoll sttzen,29begrndet und gewhrleistet, ist identisch mit dem Gott, der sich als Vater unseres Herrn JesusChristus offenbart. Diese Einheit von natrlicher und geoffenbarter Wahrheit findet ihre lebendigeund personale Identifikation in Christus, worauf der Apostel anspielt: Die Wahrheit ist in Christus(vgl. Eph 4, 21; Kol 1, 15-20). Er ist das ewige Wort, in dem alles erschaffen worden ist, undzugleich ist er das fleischgewordene Wort, das in seiner ganzen Person den Vater offenbart (vgl.Joh 1, 14.18).30 Das, was die menschliche Vernunft sucht, ohne es zu kennen (Apg 17, 23),kann nur durch Christus gefunden werden: denn in ihm offenbart sich die volle Wahrheit (vgl.Joh 1, 14-16) jedes Wesens, das in ihm und durch ihn erschaffen worden ist und daher in ihmseine Vollendung findet (vgl. Kol 1, 17).

    35. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Betrachtungen gilt es nun, eine unmittelbarereUntersuchung des Verhltnisses zwischen geoffenbarter Wahrheit und Philosophie vorzunehmen.Dieses Verhltnis ntigt uns zu einer doppelten berlegung, da die Wahrheit, die aus derOffenbarung stammt, gleichzeitig eine Wahrheit ist, die im Lichte der Vernunft verstanden werdenmu. Erst in dieser zweifachen Bedeutung ist es nmlich mglich, das richtige Verhltnis zumphilosophischen Wissen genau zu bestimmen. Wir betrachten deshalb zunchst die Beziehungenzwischen Glaube und Philosophie im Laufe der Geschichte. Von daher werden sich einigeGrundstze feststellen lassen, an die man sich als Bezugspunkte halten mu, um das richtigeVerhltnis zwischen den beiden Erkenntnisordnungen festzulegen.

    KAPITEL IV - DAS VERHLTNIS VON GLAUBE UND VERNUNFT

    Bedeutsame Schritte der Begegnung zwischen Glaube und Vernunft [36-42]

    36. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte sah sich die christliche Verkndigung von Anfangan mit den zeitgenssischen philosophischen Strmungen konfrontiert. So berichtet das Buchdarber, da der hl. Paulus in Athen mit einigen epikureischen und stoischen Philosophendiskutierte (17, 18). Die exegetische Analyse jener Rede, die der Apostel im Areopag gehaltenhatte, hob die wiederholten Anspielungen auf populre berzeugungen zumeist stoischerHerkunft hervor. Das war sicher kein Zufall. Um von den Heiden verstanden zu werden, konntenes die ersten Christen in ihren Reden nicht beim Hinweis auf Mose und die Prophetenbewenden lassen; sie muten sich auch auf die natrliche Gotteserkenntnis und auf die Stimmedes moralischen Gewissens jedes Menschen sttzen (vgl. Rm 1, 19-21; 2, 14-15; Apg 14, 14-16). Da diese natrliche Erkenntnis jedoch in der heidnischen Religion zum Gtzendienstverkommen war (vgl. Rm 1, 21-32), hielt es der Apostel fr klger, seine Rede mit dem Denkender Philosophen zu verknpfen, die von Anfang an den Mythen und Mysterienkulten Gedanken

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  • entgegengesetzt hatten, die der gttlichen Transzendenz grere Achtung entgegenbrachten.

    Die Gottesvorstellung der Menschen von mythologischen Formen zu reinigen, war in der Tat eineder grten Anstrengungen, die die Philosophen des klassischen Denkens unternommen haben.Wie wir wissen, war auch die griechische Religion, nicht anders als die meisten kosmischenReligionen, polytheistisch. Dabei ging sie so weit, da sie Dinge und Naturphnomenevergttlichte. Die Versuche des Menschen, den Ursprung der Gtter und in ihnen des Universumszu begreifen, fanden ihren ersten Ausdruck in der Dichtkunst. Die Theogonien sind bis heute daserste Zeugnis dieser Suche des Menschen. Aufgabe der Vter der Philosophie war es, denZusammenhang zwischen Vernunft und Religion sichtbar zu machen. Da sie den Blick aufallgemeine Prinzipien hin ausweiteten, gaben sie sich nicht mehr mit alten Mythen zufrieden,sondern wollten ihrem Glauben an die Gottheit eine rationale Grundlage geben. So wurde einWeg eingeschlagen, der, ausgehend von den einzelnen alten berlieferungen, in eineEntwicklung einmndete, die den Anforderungen der allgemeinen Vernunft entsprach. Das Ziel,das diese Entwicklung anstrebte, war das kritische Bewutsein dessen, woran man glaubte.Dieser Weg schlug sich positiv zunchst in der Gottesvorstellung nieder. Formen von Aberglaubenwurden als solche erkannt, und die Religion wurde durch die Kraft der rationalen Analysewenigstens zum Teil gelutert. Auf dieser Grundlage begannen die Kirchenvter einen fruchtbarenDialog mit den antiken Philosophen und bahnten so der Verkndigung und dem Verstndnis desGottes Jesu Christi den Weg.

    37. Wenn man auf diese Annherungsbewegung der Christen an die Philosophie hinweist, muman freilich auch die vorsichtige Haltung erwhnen, die andere Elemente der heidnischenKulturwelt, wie zum Beispiel die Gnosis, bei ihnen hervorriefen. Als praktische Weisheit undLebensschule konnte die Philosophie leicht mit einer Erkenntnis hherer, esoterischer Art, die nurwenigen Vollkommenen vorbehalten war, verwechselt werden. Zweifellos denkt der hl. Paulus andiese Weise esoterischer Spekulationen, wenn er die Kolosser warnt: Gebt acht, da euchniemand mit seiner Philosophie und falschen Lehre verfhrt, die sich nur auf menschlicheberlieferung sttzen und sich auf die Elementarmchte der Welt, nicht auf Christus berufen (2,8). Die Worte des Apostels erscheinen uerst aktuell, wenn wir sie auf die verschiedenenFormen der Esoterik beziehen, die heutzutage auch bei manchen Glubigen, denen es amerforderlichen kritischen Sinn mangelt, um sich greifen. Dem Beispiel des hl. Paulus folgenderhoben andere Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, im besonderen der hl. Irenus undTertullian, ihrerseits Vorbehalte gegen eine kulturelle Konzeption, die forderte, die Wahrheit derOffenbarung der Interpretation der Philosophen unterzuordnen.

    38. Die Begegnung des Christentums mit der Philosophie erfolgte also weder spontan noch warsie einfach. Die Ttigkeit der Philosophen und der Besuch ihrer Schulen erschien den erstenChristen eher als Strung denn als Chance. Fr sie war die erste, dringende Aufgabe dieVerkndigung des auferstandenen Christus in einer persnlichen Begegnung, die denGesprchspartner zur inneren Umkehr und zur Bitte um die Taufe fhren sollte. Das heit freilichnicht, da sie die Aufgabe, das Verstndnis des Glaubens und seiner Begrndungen zu vertiefen,

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  • unbeachtet gelassen htten. Im Gegenteil: Die Kritik des Kelsos, der die Christen bezichtigt,ungebildete und grobschlchtige Leute31 zu sein, stellt sich daher als ungerecht und alsVorwand heraus. Die Erklrung fr ihre anfngliche Gleichgltigkeit mu anderswo gesuchtwerden. In Wirklichkeit bot die Begegnung mit dem Evangelium eine derart befriedigende Antwortauf die bis dahin ungelste Frage nach dem Sinn des Lebens, da ihnen der Umgang mit denPhilosophen wie eine ferne und in gewisser Hinsicht berholte Angelegenheit vorkam.

    Das erscheint heute noch klarer, wenn man an jenen Beitrag des Christentums denkt, der in derBesttigung des Rechtes aller auf Zugang zur Wahrheit besteht. Das Christentum hatte nach demNiederreien der durch Rasse, sozialen Stand und Geschlecht bedingten Schranken von Anfangan die Gleichheit aller Menschen vor Gott verkndet. Die erste Konsequenz dieser Auffassungwandte man auf das Thema Wahrheit an. Der elitre Charakter, den die Wahrheitssuche bei denAlten hatte, wurde mit Entschlossenheit berwunden: Da der Zugang zur Wahrheit ein Gut ist, dases ermglicht, zu Gott zu gelangen, mssen alle in der Lage sein, diesen Weg gehen zu knnen.Die Wege, um die Wahrheit zu erreichen, sind vielfltig; dennoch kann, da die christliche WahrheitHeilswert besitzt, jeder dieser Wege nur dann eingeschlagen werden, wenn er zum letzten Ziel,das heit zur Offenbarung Jesu Christi, fhrt.

    Als Pionier einer positiven Begegnung mit dem philosophischen Denken, wenn auch unter demVorzeichen vorsichtiger Unterscheidung, mu der hl. Justin genannt werden: Obwohl er sich seinegroe Wertschtzung fr die griechische Philosophie auch nach seiner Bekehrung bewahrt hatte,beteuerte er klar und entschieden, im Christentum die einzige sichere und nutzbringendePhilosophie gefunden zu haben.32 hnlich nannte Clemens Alexandrinus das Evangelium diewahre Philosophie33 und interpretierte die Philosophie in Analogie zum mosaischen Gesetz alseine Vorunterweisung fr den christlichen Glauben34 und eine Vorbereitung auf das Evangelium.35Denn nach dieser Weisheit trgt die Philosophie Verlangen; diese ist ein Streben der Seelesowohl nach der Fhigkeit richtigen Denkens als auch nach der Reinheit des Lebens; sie istgegen die Weisheit freundschaftlich und liebevoll gesinnt und tut alles, um ihrer teilhaftig zuwerden. Philosophen aber heien bei uns diejenigen, die nach der Weisheit, die alle Dingegeschaffen hat und alles lehrt, Verlangen tragen, das heit nach der Erkenntnis des SohnesGottes.36 Hauptzweck der griechischen Philosophie ist fr den Alexandriner nicht die Ergnzungoder Strkung der christlichen Wahrheit; ihre Aufgabe ist vielmehr die Verteidigung des Glaubens:In sich vollendet und keiner Ergnzung bedrftig ist die Lehre im Sinne des Erlsers, da siegttliche Kraft und Weisheit ist. Wenn aber die griechische Weisheit hinzukommt, so macht sie dieWahrheit zwar nicht wirksamer, aber weil sie die sophistischen Angriffe entkrftet und die listigenAngriffe gegen die Wahrheit abwehrt, ist sie mit Recht Zaun und Mauer des Weinbergs genanntworden.37

    39. In der Geschichte dieser Entwicklung lt sich jedenfalls die kritische bernahme desphilosophischen Denkens seitens der christlichen Denker feststellen. Unter den ersten Beispielen,denen man begegnen kann, ist Origenes sicher von magebender Bedeutung. Um auf die vomPhilosophen Kelsos erhobenen Angriffe zu antworten und ihnen zu entgegnen, bernimmt

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  • Origenes die platonische Philosophie. Unter Einbeziehung zahlreicher Elemente des platonischenDenkens geht er daran, zum ersten Mal so etwas wie eine christliche Theologie zu erarbeiten. DerName Theologie ebenso wie die Vorstellung von ihr als vernnftiges Reden ber Gott war nmlichbis dahin noch an ihren griechischen Ursprung gebunden. In der aristotelischen Philosophie zumBeispiel bezeichnete der Ausdruck den vornehmsten Teil und eigentlichen Hhepunkt derphilosophischen Errterung. Was vorher auf eine allgemeine Lehre ber die Gtter hindeutete,bekam hingegen im Lichte der christlichen Offenbarung eine ganz neue Bedeutung, weilTheologie nunmehr das Nachdenken bezeichnete, das der Glaubende vollzog, um die wahreLehre ber Gott zu formulieren. Dieses in stndiger Weiterentwicklung begriffene neue christlicheDenken bediente sich der Philosophie, war aber gleichzeitig auf klare Unterscheidung von ihrbedacht. Die Geschichte zeigt, da das in die Theologie bernommene platonische Denken selbsttiefgreifende Vernderungen erfahren hat, besonders was Begriffe wie Unsterblichkeit der Seele,Vergttlichung des Menschen und Ursprung des Bsen betrifft.

    40. Besondere Erwhnung verdienen in diesem Christianisierungswerk des platonischen undneuplatonischen Denkens die Kappadokier, Dionysios Areopagita und vor allem der hl.Augustinus. Der groe abendlndische Gelehrte war mit verschiedenen philosophischen Schulenin Kontakt gekommen, doch hatten ihn alle enttuscht. Als dann die Wahrheit des christlichenGlaubens in sein Blickfeld trat, besa er die Kraft, jene radikale Bekehrung zu vollziehen, zuwelcher ihn die von ihm vorher wiederholt aufgesuchten Philosophen nicht bringen konnten. DenGrund dafr erzhlt er selbst: Von jetzt an aber gab ich immerhin der katholischen Lehre denVorzug; empfand ich doch, um wieviel bescheidener und ohne die geringste betrgerische Absichthier befohlen wird zu glauben, was nicht bewiesen wird, gleichviel ob es zu beweisen wre, abernicht fr jeden, oder berhaupt nicht bewiesen werden kann; whrend bei den anderen dasWissen in vermessener Weise versprochen und ber die Glaubwilligkeit gelacht wird und nachherbefohlen wird, da man nur Erdichtetes, ja Abwegigstes glauben soll, das nie bewiesen werdenkann.38 Denselben Platonikern, auf die man sich vorwiegend bezog, warf Augustinus vor, da siezwar das anzustrebende Ziel kannten, jedoch nichts von dem Weg wissen wollten, der dorthinfhrt: dem fleischgewordenen Wort.39 Dem Bischof von Hippo gelang es, die erste groe Synthesedes philosophischen und theologischen Denkens zu erstellen, in die Strmungen des griechischenund lateinischen Denkens einflossen. Auch bei ihm wurde die groe Einheit des Wissens, derenAusgangspunkt und Grundlage das biblische Denken war, von der Grndlichkeit des spekulativenDenkens besttigt und getragen. Die vom hl. Augustinus vollzogene Synthese sollte Jahrhundertelang die hchste Form philosophischen und theologischen Denkens bleiben, die das Abendlandgekannt hat. Gefestigt durch seine persnliche Lebensgeschichte und gesttzt auf ein wunderbarheiligmiges Leben, war er auch in der Lage, in seine Werke vielfltige Gegebenheiteneinzubringen, die durch den Rckgriff auf die Erfahrung knftige Entwicklungen mancherphilosophischer Denkrichtungen anzeigten.

    41. Die Kirchenvter des Ostens und des Abendlandes haben also in verschiedenen FormenVerbindung mit den philosophischen Schulen aufgenommen. Das heit nicht, da sie den Inhaltihrer Botschaft mit den Systemen, auf die sie Bezug nahmen, identifiziert htten. Die Frage

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  • Tertullians: Was haben Athen und Jerusalem gemein? Was die Akademie und die Kirche?40 istein klares Anzeichen fr das kritische Bewutsein, mit dem sich die christlichen Denker vonAnfang an mit dem Problem des Verhltnisses von Glaube und Philosophie auseinandersetzten;sie sahen es umfassend, in seinen positiven Aspekten ebenso wie in seinen Grenzen. Sie warenkeine naiven Denker. Gerade weil sie den Inhalt des Glaubens intensiv lebten, vermochten sie zuden tiefgrndigsten Formen spekulativen Denkens zu gelangen. Es ist daher ungerecht undoberflchlich, ihr Werk auf die bloe Umsetzung der Glaubensinhalte in philosophische Kategorieneinzuengen. Sie haben weit mehr geleistet. Es gelang ihnen nmlich, das voll sichtbar werden zulassen, was sich noch unausgesprochen und propdeutisch im Denken der groen antikenPhilosophen andeutete.41 Sie hatten, wie gesagt, die Aufgabe zu zeigen, wie die von den uerenFesseln befreite Vernunft aus der Sackgasse der Mythen herausfinden knnte, um sich derTranszendenz auf angemessenere Weise zu ffnen. Eine geluterte und aufrichtige Vernunft waralso imstande, sich auf die hchsten Ebenen der Reflexion zu erheben, und schuf damit einesolide Grundlage fr die Wahrnehmung des Seins, der Transzendenz und des Absoluten.

    Genau hierin liegt das von den Kirchenvtern vollbrachte Neue. Sie anerkannten voll die fr dasAbsolute offene Vernunft und pflanzten ihr den aus der Offenbarung stammenden Reichtum ein.Zur Begegnung kam es nicht nur auf der Ebene von Kulturen, von denen die eine vielleicht demZauber der anderen verfallen war; sie geschah in den Herzen und war Begegnung zwischen demGeschpf und seinem Schpfer. Die Vernunft konnte dadurch, da sie ber das Ziel, dem sie kraftihrer Natur unbewut zustrebte, hinausging, in der Person des fleischgewordenen Wortes zumhchsten Gut und zur hchsten Wahrheit gelangen. Die Kirchenvter scheuten sich jedoch nicht,gegenber den Philosophien sowohl die gemeinsamen Elemente als auch die Verschiedenheitenanzuerkennen, die diese bezglich der Offenbarung aufwiesen. Das Bewutsein von denbereinstimmungen trbte in ihnen nicht das Erkennen der Unterschiede.

    42. In der scholastischen Theologie wird unter dem Ansto der Interpretation des intellectus fideidurch Anselm von Canterbury die Rolle der philosophisch geschulten Vernunft noch gewichtiger.Fr den heiligen Erzbischof von Canterbury steht der Vorrang des Glaubens nicht im Wettbewerbmit der Suche, wie sie der Vernunft eigen ist. Diese ist nmlich nicht dazu berufen, ein Urteil berdie Glaubensinhalte zu formulieren; sie wre, weil dafr ungeeignet, dazu auch gar nicht fhig.Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, einen Sinn zu finden, Grnde zu entdecken, die es allenerlauben, zu einem gewissen Verstndnis der Glaubensinhalte zu gelangen. Der hl. Anselmunterstreicht die Tatsache, da sich der Verstand auf die Suche nach dem begeben mu, was erliebt: je mehr er liebt, um so mehr sehnt er sich nach Erkenntnis. Wer fr die Wahrheit lebt, strebtnach einer Erkenntnisform, die immer mehr von Liebe zu dem entbrennt, was er erkennt, auchwenn er einrumen mu, noch nicht alles getan zu haben, was in seinem Verlangen gelegenwre: Ad te videndum factus sum; et nondum feci propter quod factus sum.42 Das Streben nachWahrheit drngt also die Vernunft, immer weiterzugehen; ja, sie wird gleichsam berwltigt vonder Feststellung, da ihre Fhigkeit immer grer ist als das, was sie tatschlich erreicht. Andiesem Punkt jedoch vermag die Vernunft zu entdecken, wo die Vollendung ihres Weges liegt:Denn ich meine, da einer, der etwas Unbegreifliches erforscht, sich zufriedengeben sollte, mit

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  • Hilfe der vernnftigen Auseinandersetzung mit sehr hoher Gewiheit die Wirklichkeit zu erkennen,auch wenn er nicht imstande ist, mit dem Verstand bis zu ihrer Seinsweise durchzudringen [...].Denn gibt es etwas so Unbegreifliches und Unaussprechbares wie das, was oberhalb von allemist? Wenn also das, was man bislang ber das hchste Wesen diskutiert hat, auf Grundnotwendiger Argumente festgelegt worden ist, obwohl man mit dem Verstand nicht derart bis zuihm durchzudringen vermag, da man es auch mit Worten erklren knnte, gert deshalb dasFundament seiner Gewiheit nicht im geringsten ins Wanken. Denn wenn eine vorgngige