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Tavistock Square, in diesem November. Eine kleine Tür in dunklem Grün, sehr
e nglisch, die Hausnummer akkurat in der Mitte. Draußen der ganze Nebel von
Londo n. D rinnen, oben, das Licht und die Behaglichkeit eines living room, dessen
Wände von einer Frau bemalt wurden; zwei andere Frauen sprechen über die Frauen.
Sie schauen einander prüfend an, stellen einander Fragen. Die eine ist neugierig, die
andere beglückt. … Als ich am Kamin saß, Virginia, da begann der Nebel, begann
die Einsamkeit allmählich zu schwinden. Als ich meine Hände der Wärme entgegen-
streckte, stellte sich aus Worten eine Brücke her. Wie reich kam ich mir vor!
Victoria Ocampo
Im November 1934 trifft die 24-jährige argentinische Verlegerin und Autorin Victoria Ocampo erstmals bei Freunden in England die Schriftstellerin Virginia Woolf. Daraus entwickelt sich eine Freundschaft und Zusammenarbeit: Ocampo gibt den Anstoß für die erste Übersetzung von Woolfs Büchern ins Spanische. In einem Brief erinnert sie sich an das Treffen in London.
Januar Mo Di Mi Do Fr Sa So1. Woche 30 31 1 2 3 4 5 Neujahr
Die 1916 in Palermo geborene Schriftstelle-rin Natalia Ginzburg gehört zu den be-
deutendsten Autorinnen ihrer Generation. Ihr Werk umfasst Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Essays. In schlichten,
lakonischen Prosasätzen, die ihren Stil kenn-zeichnen, schreibt Ginzburg in dem Erzähl-band Die kaputten Schuhe über Frauen und
das Leben in der Familie.
Meine Schuhe sind kaputt und die
Schuhe der Freundin, mit der ich
in diesem Augenblick lebe, sind
ebenfalls kaputt. Wenn wir zusam-
men sind, sprechen wir oft über
Schuh e. Wenn ich mit ihr über
die Zeit spreche, in der ich eine
berühmte alte Schriftstellerin sein
werde, fragt sie mich sofort: »Was
für Schuhe wirst du haben?« Dann
sage ich zu ihr, dass ich Schuhe aus
grünem Wildleder haben werde,
mit einer großen Goldschnalle an
der Seite. …
Meine Freundin hat ein blasses,
männliches Gesicht und raucht
mit einer schwarzen Zigaretten-
spitze. Als ich sie zum ersten Mal
sah, an einem Tisch sitzend, mit
Schildpattbrille und ihrem geheim-
nisvollen, hochmütigen Gesicht,
die schwarze Zigarettenspitze zwi-
schen den Zähnen, dachte ich, dass
sie aussähe wie ein chinesischer
General. Da wusste ich noch nicht,
dass ihre Schuhe kaputt waren. Das
erfuhr ich später.
Natalia Ginzburg
Januar Mo Di Mi Do Fr Sa So2. Woche 6 7 8 9 10 11 12 Heilige Drei Könige *
Ihren ersten Bühnenerfolg feiert Marlene Dietrich im Sommer 1928.
Ganz in Schwarz gekleidet, einen Veilchenstrauß an die Schulter
geheftet, singt sie zusammen mit Marg o Lion, dem eigentlichen Star
der Revue Es liegt in der Luft, das Duett Wenn die beste Freundin:
Ein Gespräch von Frau zu Frau, vordergründig über Männer, das
jedoch durch das Spiel der » besten Freundinnen« eine eindeutig
l esbische Note bekommt. M arlene Dietrichs Karriere als andro-
gyne Frau ist hier vorgezeichnet.
Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin um was einzukaufen durch die Straßen laufen durch die Straßen latschen um sich auszuquatschen spricht die beste Freundin zu der besten Freundin: Wir vertragen uns beide so gut es ist kaum noch auszuhalten nur mit einem vertrage ich mich noch so gut mit meinem süßen kleinen Mann …
Januar Mo Di Mi Do Fr Sa So3. Woche 13 14 15 16 17 18 19
Ihren ersten Bühnenerfolg feiert Marlene Dietrich im Sommer 1928.
Ganz in Schwarz gekleidet, einen Veilchenstrauß an die Schulter
geheftet, singt sie zusammen mit Marg o Lion, dem eigentlichen Star
der Revue Es liegt in der Luft, das Duett Wenn die beste Freundin:
Ein Gespräch von Frau zu Frau, vordergründig über Männer, das
jedoch durch das Spiel der » besten Freundinnen« eine eindeutig
l esbische Note bekommt. M arlene Dietrichs Karriere als andro-
gyne Frau ist hier vorgezeichnet.
Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin um was einzukaufen durch die Straßen laufen durch die Straßen latschen um sich auszuquatschen spricht die beste Freundin zu der besten Freundin: Wir vertragen uns beide so gut es ist kaum noch auszuhalten nur mit einem vertrage ich mich noch so gut mit meinem süßen kleinen Mann …
Januar Mo Di Mi Do Fr Sa So3. Woche 13 14 15 16 17 18 19
Die Glasglocke ist der einzige – stark autobiografisch gefärbte – Roman der amerikanischen Schriftstellerin und Lyrikerin Sylvia Plath, die sich 1963 im Alter von dreißig Jahren das Leben nahm. Die Collegestudentin Esther Greenwood ver-bringt im Sommer 1953 einen Monat als eine von zwölf Volontärinnen bei einer New Yorker Modezeitschrift. Sie gerät dort in eine tiefe Existenzkrise. Vergeblich versucht sie es der mondänen Doreen gleichzutun, die den Aufenthalt in New York in vollen Zügen genießt und sich vorbehaltlos Vergnügungen und Affären hingibt.
Jemandem wie Doreen war ich noch nie begegnet. Doreen kam von so einem reichen Mädchen-College im Süden, und sie hatte strahlend weißes Haar, das ihr als Zuckerwattebausch um den Kopf stand, und blaue Augen wie durchsich-tige Achatmurmeln, hart und poliert und fast unzerbrechlich, und einen Mund, der andauernd auf Grinsen stand. Ich meine nicht ein hässliches Grinsen, son-dern ein amüsiertes, geheimnisvolles Grinsen, als ob alle Leute um sie herum ziemlich dumm waren, und sie sich über sie ganz schön lustig machen konnte, wenn sie wollte.Doreen suchte sich mich sofort aus. Sie gab mir das Gefühl, ich sei um so viel schlauer als die anderen, und sie war wirklich wunderbar komisch.
Sylvia Plath
Januar Mo Di Mi Do Fr Sa So4. Woche 20 21 22 23 24 25 26
Die Glasglocke ist der einzige – stark autobiografisch gefärbte – Roman der amerikanischen Schriftstellerin und Lyrikerin Sylvia Plath, die sich 1963 im Alter von dreißig Jahren das Leben nahm. Die Collegestudentin Esther Greenwood ver-bringt im Sommer 1953 einen Monat als eine von zwölf Volontärinnen bei einer New Yorker Modezeitschrift. Sie gerät dort in eine tiefe Existenzkrise. Vergeblich versucht sie es der mondänen Doreen gleichzutun, die den Aufenthalt in New York in vollen Zügen genießt und sich vorbehaltlos Vergnügungen und Affären hingibt.
Jemandem wie Doreen war ich noch nie begegnet. Doreen kam von so einem reichen Mädchen-College im Süden, und sie hatte strahlend weißes Haar, das ihr als Zuckerwattebausch um den Kopf stand, und blaue Augen wie durchsich-tige Achatmurmeln, hart und poliert und fast unzerbrechlich, und einen Mund, der andauernd auf Grinsen stand. Ich meine nicht ein hässliches Grinsen, son-dern ein amüsiertes, geheimnisvolles Grinsen, als ob alle Leute um sie herum ziemlich dumm waren, und sie sich über sie ganz schön lustig machen konnte, wenn sie wollte.Doreen suchte sich mich sofort aus. Sie gab mir das Gefühl, ich sei um so viel schlauer als die anderen, und sie war wirklich wunderbar komisch.
Sylvia Plath
Januar Mo Di Mi Do Fr Sa So4. Woche 20 21 22 23 24 25 26
Offensichtlich lag Frida Kahlo viel daran, dass ihre Liebesbeziehung zu dem aus Spanien emigrierten Maler B. nicht publik würde, wie ein Brief an ihre Freundin Ella Wolfe zeigt. Von einem Besuch bei dem Geliebten in New York nach Mexiko zurückgekehrt bittet die Malerin ihre Freundin um Hilfe und Diskretion.
Du wirst überrascht sein, dass d ieses faule und schamlose M ädchen Dir wieder einmal schreibt; aber Du weißt, dass ich Dich mit und ohne Briefe auf mein e Weise immer sehr herzlich liebhabe. …Ich möchte dich um einen be-sonderen Gefallen bitten, einen so großen wie die Pyramide von Teotihuacán. Wirst du meinen Wunsch erfüllen? Ich werde an B. schreiben und den Brief an Dich adressieren. Du müsstest den Brief an ihn dorthin weiterleiten, wo er sich gerade aufhält, oder Du be-wahrst die Briefe auf, damit Du sie ihm geben kannst, wenn er wieder
in New York auf der Durchreise ist. Gib sie um keinen Preis aus der Hand, es sei denn direkt in seine. Du weißt, was das bedeutet, Mädchen! … V ergiss nicht, den Brief zu zerreißen. Man weiß ja nie, wie später einmal etwas missverstanden werden kann. Versprichst Du’s mir?
Frida Kahlo
Januar / Februar Mo Di Mi Do Fr Sa So5. Woche 27 28 29 30 31 1 2
Offensichtlich lag Frida Kahlo viel daran, dass ihre Liebesbeziehung zu dem aus Spanien emigrierten Maler B. nicht publik würde, wie ein Brief an ihre Freundin Ella Wolfe zeigt. Von einem Besuch bei dem Geliebten in New York nach Mexiko zurückgekehrt bittet die Malerin ihre Freundin um Hilfe und Diskretion.
Du wirst überrascht sein, dass d ieses faule und schamlose M ädchen Dir wieder einmal schreibt; aber Du weißt, dass ich Dich mit und ohne Briefe auf mein e Weise immer sehr herzlich liebhabe. …Ich möchte dich um einen be-sonderen Gefallen bitten, einen so großen wie die Pyramide von Teotihuacán. Wirst du meinen Wunsch erfüllen? Ich werde an B. schreiben und den Brief an Dich adressieren. Du müsstest den Brief an ihn dorthin weiterleiten, wo er sich gerade aufhält, oder Du be-wahrst die Briefe auf, damit Du sie ihm geben kannst, wenn er wieder
in New York auf der Durchreise ist. Gib sie um keinen Preis aus der Hand, es sei denn direkt in seine. Du weißt, was das bedeutet, Mädchen! … V ergiss nicht, den Brief zu zerreißen. Man weiß ja nie, wie später einmal etwas missverstanden werden kann. Versprichst Du’s mir?
Frida Kahlo
Januar / Februar Mo Di Mi Do Fr Sa So5. Woche 27 28 29 30 31 1 2
Sich heimlich mit ihrer besten Freundin Felice zu diesem Fest davonzumachen hätte eigentlich schwer zu bewerkstelligen sein müssen,
aber Alice Manfred hatte über Nacht in Springfield zu tun, und nichts war leichter. Das einzige Problem war, etwas ausreichend Schickes zum
A nziehen zu finden.Die beiden Freundinnen steigen die Treppe hinauf und lassen sich
g eradewegs zu der richtigen Wohnung leiten, mehr von dem Jazzpiano, dessen Klang sich durch die Türritzen ergießt, als von ihrer Erinnerung
an die richtige Wohnungsnummer. Sie bleiben stehen und schaue n e inander an, bevor sie klopfen. Sogar im dämmrigen Flur betont die dunkelhäutige Freundin noch die Sahnefarbe der anderen.
Felices ö liges Haar bringt Dorcas’ weiche trockene Wellen zur Geltung. Die Tür geht auf, und sie treten ein.
Toni Morrison
Der Roman Jazz der Nobelpreisträgerin Toni Morrison spielt im New York der 1920er-Jahre. Die Eltern der 16-jähri-gen Dorcas sind bei Rassenunruhen im Sommer 1917 ums Leben gekommen. Seither wächst sie bei ihrer kinderlosen Tante Alice auf.
Februar Mo Di Mi Do Fr Sa So6. Woche 3 4 5 6 7 8 9
Sich heimlich mit ihrer besten Freundin Felice zu diesem Fest davonzumachen hätte eigentlich schwer zu bewerkstelligen sein müssen,
aber Alice Manfred hatte über Nacht in Springfield zu tun, und nichts war leichter. Das einzige Problem war, etwas ausreichend Schickes zum
A nziehen zu finden.Die beiden Freundinnen steigen die Treppe hinauf und lassen sich
g eradewegs zu der richtigen Wohnung leiten, mehr von dem Jazzpiano, dessen Klang sich durch die Türritzen ergießt, als von ihrer Erinnerung
an die richtige Wohnungsnummer. Sie bleiben stehen und schaue n e inander an, bevor sie klopfen. Sogar im dämmrigen Flur betont die dunkelhäutige Freundin noch die Sahnefarbe der anderen.
Felices ö liges Haar bringt Dorcas’ weiche trockene Wellen zur Geltung. Die Tür geht auf, und sie treten ein.
Toni Morrison
Der Roman Jazz der Nobelpreisträgerin Toni Morrison spielt im New York der 1920er-Jahre. Die Eltern der 16-jähri-gen Dorcas sind bei Rassenunruhen im Sommer 1917 ums Leben gekommen. Seither wächst sie bei ihrer kinderlosen Tante Alice auf.
Februar Mo Di Mi Do Fr Sa So6. Woche 3 4 5 6 7 8 9
Ich bin jetzt dreißig. Es ist die letzte Chance, mich in
die Hand zu bekommen. Diese Reise wird keine
himmelhochjauchzende E skapade werden, als wären wir noch zwanzig – das ist unmöglich, da die europä-
ische Krise von Tag zu Tag zunimmt. Diese Reise muss uns endgültig auf die Bein e
bringen; wir können uns gegenseitig dazu verhelfen,
vernünftige, verantwor-tungsbewusste Menschen zu
werden. Mein blindes Herum-tappen im Leben ist unerträg-
lich geworden. Was ist der Grund, der Sinn dieses Chaos, das Menschen und ganze Völ-ker vernichtet? Und ich muss
doch etwas mit meinem Leben anfangen können, es muss doch
etwas geben, wofür ich froh leben oder sterben möchte!
Annemarie Schwarzenbach
Im Sommer 1939 bricht die Schweizer Reiseschrift-stellerin Annemarie Schwarzenbach zusammen mit der Genfer Ethnologin Ella Maillart zu einer Reise in den Orient auf. Mit dem Auto geht es über Italien und den Balkan nach Istanbul, Teheran und schließ-lich nach Afghanistan. Annemarie Schwarzenbach hat gerade erst eine Entziehungskur hinter sich ge-bracht. Sie erhofft sich viel von der Reise und von ihrer Freundschaft, wie Ella Maillart in ihrem Buch Flüchtige Idylle berichtet.
Februar Mo Di Mi Do Fr Sa So7. Woche 10 11 12 13 14 15 16
Ich bin jetzt dreißig. Es ist die letzte Chance, mich in
die Hand zu bekommen. Diese Reise wird keine
himmelhochjauchzende E skapade werden, als wären wir noch zwanzig – das ist unmöglich, da die europä-
ische Krise von Tag zu Tag zunimmt. Diese Reise muss uns endgültig auf die Bein e
bringen; wir können uns gegenseitig dazu verhelfen,
vernünftige, verantwor-tungsbewusste Menschen zu
werden. Mein blindes Herum-tappen im Leben ist unerträg-
lich geworden. Was ist der Grund, der Sinn dieses Chaos, das Menschen und ganze Völ-ker vernichtet? Und ich muss
doch etwas mit meinem Leben anfangen können, es muss doch
etwas geben, wofür ich froh leben oder sterben möchte!
Annemarie Schwarzenbach
Im Sommer 1939 bricht die Schweizer Reiseschrift-stellerin Annemarie Schwarzenbach zusammen mit der Genfer Ethnologin Ella Maillart zu einer Reise in den Orient auf. Mit dem Auto geht es über Italien und den Balkan nach Istanbul, Teheran und schließ-lich nach Afghanistan. Annemarie Schwarzenbach hat gerade erst eine Entziehungskur hinter sich ge-bracht. Sie erhofft sich viel von der Reise und von ihrer Freundschaft, wie Ella Maillart in ihrem Buch Flüchtige Idylle berichtet.
Februar Mo Di Mi Do Fr Sa So7. Woche 10 11 12 13 14 15 16