Florence Nightingale - Die Schlacht des Trommlers

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    Abenteurer Gottes

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    Dave und Neta Jackson

    FlorenceNightingale

    Die Schlacht des Trommlers

    Christliche

    Literatur-Verbreitung e. V.

    Postfach 11 01 35 33661 Bielefeld

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    Dave und Neta Jackson sind verheiratet. Gemeinsamhaben sie zahlreiche Bcher ber Ehe und Familie,Kirche, Beziehungen und andere Themen geschrie-ben.

    Zu ihren Bchern fr Kinder zhlen die Abenteurer-Gottes-Serie und Glaubenshelden.

    Die Jacksons sind in Evanston, Illinois, USA, zuHause.

    1. Auflage 20002. Auflage 2008

    Originaltitel: The Drummer Boys Battle 1997 by Dave und Neta Jackson

    der deutschen Ausgabe 2000 by CLVChristliche Literatur-VerbreitungPostfach 110135 33661 BielefeldInternet: www.clv.de

    bersetzung: G. ErkensUmschlag: OTTENDESIGN.de, GummersbachSatz: CLVDruck und Bindung: CPI Ebner & Spiegel, Ulm

    ISBN 978-3-89397-435-1

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    Inhalt

    Vorwort 7

    Fest im Herrenhaus 9

    Der Trommler 20

    Ins Tal des Todes 32Barracks-Krankenhaus 43

    Nachricht aus Balaklava 55

    Ich bin Ihr Mann! 69

    Ringen mit der britischen Armee 81

    Mutter Dampframme 91

    Ein totes Pferd trinken 102

    Ein Koch und ein Gentleman 112

    Zurck nach Balaklava 122

    Misslungene Tuschung 133

    Kriegsbeute 143

    Mehr ber Florence Nightingale 155

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    Vorwort

    Die Figur des Robbie Robinson beruht auf einerwahren Persnlichkeit, nmlich einem Tromm-lerjungen, der bei der Schlacht von Alma seine Handverlor. Er beschreibt sich selbst als Miss Nightin-gales rechte Hand und er hat damals gelobt, sein

    privates und militrisches Leben ganz in den Dienstvon Florence Nightingale zu stellen. Er befrderteihre Briefe und Botschaften, begleitete sie, wenn sievom Barracks-Krankenhaus zum Stdtischen Kran-kenhaus in Scutari ging, und war verantwortlich frdie Lampe, die sie abends immer bei sich hatte. Sp-ter in seinem Leben schrieb Mr. Robinson seine Le-bensgeschichte auf. Das Buch ist jetzt Teil der Aus-stellungsstcke zum Thema Florence Nightingaleim britischen Museum in London.

    Die Textpassagen, die sich mit Robbies Familie, sei-nem Bruder Peter und deren Verbindung zur Familie

    Nightingale beschftigen, sind reine Fiktion.Die meisten anderen Personen in dieser Geschichtesind allerdings reale Personen gewesen, so zum Bei-spiel William Russel und Peter Grillage. Um die Ge-schichte jedoch nicht zu kompliziert werden zu las-sen, mussten etliche andere historische Persnlich-

    keiten ausgelassen werden. So konnte das Haupt-gewicht auf die Erzhlung von Florence Nightingaleund ihre Rolle im Krim-Krieg gelegt werden.

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    Fest im Herrenhaus

    Robbie wusste sofort, dass etwas Schlimmes pas-siert sein musste, als er seine Schwester Margoin der Dmmerung dort auf der obersten Stufe sit-zen sah. Mit trnenberstrmten Gesicht hielt sie dasBaby Mae fest an sich gepresst. Die fnfjhrige Sissy

    und der sieben Jahre alte Tommy drngten sich engan ihre Rcke.

    Ist es Papa?, fragte Robbie mit heiserer Stimme.

    Robbie, der Zehnjhrige, war den ganzen Tag mitMrs. Dobbles brauner Kuh unterwegs gewesen undhatte sie am Straenrand grasen lassen. Als er die

    Kuh am Abend zurckbrachte, bezahlte die zahn-lose alte Lady ihn mit einer Kanne Milch frischer,warmer Milch fr die kleine Mae, Sissy und Tommy.Er hatte sich vorgestellt, wie Mama sich darberfreuen wrde aber jetzt hing die Kanne an seinerHand, ohne dass er auch nur einen Gedanken dafr

    hatte.Margo sagte nichts, sie nickte nur. Und dann hrteRobbie es auch schon: Sein Vater, der im Inneren derschbigen Htte wrgte, wieder und wieder die-ses furchtbare trockene Wrgen, ohne dass er etwasherausbrachte und dann ein langes Sthnen.

    Die vierzehn Jahre alte Margo vergrubihr Gesicht in Klein-Maes Windeln, Sissyschob den Daumen in ihren Mund undTommy sah aus, als wollte er gleichin Trnen ausbrechen. Ihr Vater warkrank, seit er vor zwei Tagen mit

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    Peter aus London zurckgekommen war. ThomasRobinson war ein Fuhrmann, der seinen Maultier-karren und seine Arbeitskraft fr Fuhr- und Last-arbeiten vermietete. Aber hier im Umkreis war esfast unmglich, Arbeit zu finden. Also hatte er sichin der ersten Juniwoche im Jahr 1852 zusammen mitseinem Sohn, dem sechzehn Jahre alten Peter, unddem Maultierkarren auf den Weg nach London ge-macht, um dort Arbeit zu finden. Sie waren drei Wo-

    chen weg gewesen. Keine Nachrichten sind guteNachrichten, pflegte Sally Robinson jeden Tag zusagen. Vielleicht haben sie Arbeit gefunden undknnen noch nicht weg. Aber jeden Abend standsie in der Tr und hielt angestrengt Ausschau, obsie nicht im Abendlicht ihre beiden Heimkehrer ent-

    decken konnte.Dann hatten sie vor zwei Tagen das Maultier undden Karren kommen sehen. Aber als der Wagen n-her kam, konnten sie nur Peter auf der niedrigen Fah-rerbank entdecken. Wo war Vater? Als Cinder, dasMaultier, in den schmalen Lehmweg einbog, der um

    die Htte herum zum Stall hinter dem Haus fhrte,sahen sie Thomas, halb liegend, zusammengesunkenauf der Ladeflche des Karrens.

    Mama und Peter hatten ihm vom Wagen heruntergeholfen und ihn im Haus ins Bett gebracht. Peter er-zhlte, dass sie Arbeit gefunden hatten. Sie mussten

    die berreste eines abgebrannten Warenhauses ab-transportieren. Aber die Herberge, in der sie Unter-kunft gefunden hatten, war hoffnungslos berflltund schmutzig gewesen. Viele der Gste dort warenkrank geworden: belkeit mit Erbrechen und Durch-fall. Und dann auch Papa

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    Das war vor zwei Tagen gewesen und jetzt ging esPapa noch viel schlechter. Robbie bergab Margo dieKanne mit Milch und schlich leise ins Haus. Sein Va-ter sthnte in seinem Bett, das hinter einer Decke ver-borgen war, die man als Vorhang aufgehngt hatte.Seine Mutter sah nur flchtig hoch. Sie wrang geradeein feuchtes Tuch aus und versuchte damit seinetrockenen Lippen zu benetzen.

    Robbie! Lauf schnell zum Embley-Herrenhaus undbitte die junge Miss Nightingale zu kommen, sagtesie.

    Robbie schluckte. Er war noch nie ganz allein zu demfeinen Herrenhaus dort oben gegangen. Kann nichtPeter ?

    Peter ist mit Cinder unterwegs, um Arbeit zu fin-den jedenfalls sollte er unterwegs sein, sagte Sallyscharf. Nun mach schon dein Vater braucht drin-gend Hilfe.

    Robbie rannte aus dem Haus, vorbei an dem schluch-zenden Knuel aus seinen drei Schwestern und dem

    kleinen Bruder, die vor dem Haus kauerten, undwandte sich zur Strae, die nach Embley fhrte. DieFamilie Robinson wohnte ziemlich am Rande aufden ausgedehnten Lndereien der Familie Nightin-gale und manchmal gab es Arbeiten, die sein Vatererledigen konnte. Zum Beispiel als der groe Trakt

    angebaut worden war, mit noch mehr Schlafzim-mern fr die Gste und dem groen Saal fr die rau-schenden Feste. Peter hatte eine gute Hand mit Pfer-den und deshalb half er manchmal dem Stallmeisterdort aus. Aber die Nightingales verbrachten nur dieHlfte des Jahres hier auf Gut Embley. Die schwlen

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    Sommermonate verlebten sie oben im Norden amLake Hurst, auf ihrem Sommersitz.

    Robbie jagte die ausgetrocknete Lehmstrae hinauf,als ihm zum ersten Mal bewusst wurde, dass er nochgar nichts zu Abend gegessen hatte. Sein Magenkrampfte sich vor Hunger schmerzhaft zusammen.Aber es wrde kein Abendessen geben, ehe er nichtzusammen mit Miss Nightingale wieder zu Hause

    angekommen war.Als der Junge vllig erschpft am Tor ankam und aufden Kiesweg einbog, sah er, dass die geschwungeneAuffahrt berfllt war mit Kutschen und den dazu-gehrigen Gespannen herrlichster Pferde.

    Stallburschen standen gegen die Kutschen ihrer Herr-schaft gelehnt, rauchten ein Pfeifchen oder poliertendie Messinglampen der Kutschen. Immer mehr Kut-schen fuhren vor und entluden lachende Damen inrauschenden Ballkleidern und Herren mit steifen Zy-lindern. Das groe Haus war hell erleuchtet, in jedemFenster standen glitzernde Kerzenleuchter.

    Robbie blieb stehen. Er konnte nicht zum Hauptein-gang gehen. Hier wurde ein groes Fest gefeiert! Erwandte sich um und wollte umkehren, aber dann z-gerte er. Er konnte nicht unverrichteter Dinge nachHause kommen. Sein Vater war krank vielleicht so-gar sterbenskrank. Er musste Hilfe holen.

    Er schob alle Bedenken beiseite, glitt durch das weitgeffnete Tor und spurtete an den Kutschen vorbeizum Hintereingang. Aus dem Haus konnte RobbieMusik und Gelchter hren. Er stieg die Stufen zurKche empor und klopfte. Mehrere Male musste er

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    laut klopfen, ehe die Tr aufschwang. Hastig riss erseine Mtze vom Kopf.

    Ein junges Mdchen, etwa in Peters Alter, stand vorihm. Erstaunt sah sie ihn an. Was willst du?, fragtesie.

    B-b-bitte, Miss, ich muss Miss Nightingale sprechen M-M-Miss Florence, stammelte er.

    Was? Nun, ich denke, heute Abend wirst du nichts

    dergleichen tun, antwortete das Mdchen. Wir ha-ben ein groes Fest.

    Ich wei, aber.

    Warum steht diese Tr auf?, polterte eine scharfeStimme aus der Kche. Eine mchtige Silhouette, auf

    der eine riesige, aufgeplusterte Kochmtze thronte,tauchte neben dem jungen Mdchen auf.

    Jemand, der Miss Florence sprechen mchte,grinste das Mdchen.

    Was? Hau ab, Junge. Miss Florence hat heute Abendkeine Zeit fr euresgleichen. Husch, husch! Nun

    mach schon, dass du wegkommst! Die Tr fiel zu,aber Robbie konnte den Koch noch murmeln hren:Miss Flo tut viel zu viel fr das ganze Pack hier inder Gegend. Ehe du dich versiehst, kommen sie an-gelaufen und klopfen an die Tr. Rums.

    Robbie stlpte sich seine Mtze wieder auf. Was

    sollte er jetzt tun? Er machte sich auf den Weg zu-rck, an der Lngsseite des Hauses vorbei. Als eran der Veranda vorbeilief, sah er wieder eine Kut-sche anhalten und ein elegantes Paar aussteigen. Diebreite Haustr stand sperrangelweit offen an diesemschnen Juniabend. Ein Butler nahm Hut und Stock

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    des Gentleman in Empfang, whrend eine hbsche junge Dame im hellgrnem Seidenkleid ihre Gstebegrte.

    Flo, nein du siehst heute Abend wirklich berirdischaus, kicherte die Begleiterin des Gentleman, ehe sieins Haus schwebte.

    Robbies Augen wurden kugelrund. Miss Flo warheute Abend selbst auf der Veranda das war seine

    Chance!Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, rannteer um die Bsche und die wenigen flachen Steinstu-fen hinauf. Miss Florence!, keuchte er und zog anihrem Rock. Bitte, kommen Sie schnell mein Vater er ist krank, und

    Der Butler drehte sich um; seine Augen loderten:Junge, verschwinde, ehe ich dich die Treppe hin-unterwerfe!, donnerte er und griff nach RobbiesKragen.

    Nein warte ist schon gut, sagte die junge Dame

    mit ruhiger Stimme. Miss Nightingale bckte sichein wenig und schaute Robbie geradewegs ins Ge-sicht. Er roch einen Hauch ihres Parfms. Du bistder Sohn von ?, begann sie fragend.

    Thomas Robinson. Ich bin Robbie Robinson, Miss,stie er hervor und dachte im letzten Moment noch

    daran, die Mtze vom Kopf zu reien. Mein Vater er ist sehr krank und Mama hat mich geschickt, um Siezu holen. Das heit, wenn Sie mitkommen wollen.

    Florence Nightingale straffte den Rcken. Natr-lich werde ich mitkommen. Ich kenne deine Fami-lie. Deine Mutter wrde dich nicht geschickt haben,

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    wenn es nicht wirklich ernst wre. Warte hier einenAugenblick, Robbie. Die junge Frau verschwanddurch die Haustr und lie Robbie allein mit demschnaubenden Butler zurck. Kurz danach war siezurck.

    Wohin um alles in der Welt gehst du, Florence?,hrte man eine schrille Stimme hinter ihr an derHaustr. Robbie entdeckte dort eine elegante Frau in

    cremefarbener Seidenrobe, die ziemlich aufgebrachtwar.

    Es ist alles in Ordnung, Mutter, sagte Miss Night-ingale schnell. Ich werde im Dorf gebraucht. Unddamit nahm sie Robbie am Arm und dirigierte ihn ei-lends die Stufen hinunter, vorbei an den erstaunten

    Gesichtern der ankommenden Gste.Du kannst jetzt auf keinen Fall fortgehen, Florence!,rief ihre Mutter hinter ihnen her. Aber die feste Handvon Miss Nightingale schob Robbie weiter die Auf-fahrt hinunter, vorbei an den Kutschen, hinaus ausdem Tor.

    Robbie war zunchst so verdattert, dass er keinenTon herausbrachte. Er konnte kaum glauben, dasser hier neben einer Lady wie Miss Nightingale dieStrae hinunterlief. Aber sie fragte gleich danach,was denn berhaupt los wre. Robbie fand seineStimme wieder und berichtete von der Reise nach

    London und wie der Vater dort krank gewordenwar, starken Durchfall hatte und sich oft erbrechenmusste.

    Als sie das kleine Dorf erreichten, war die Sonneschon fast untergegangen. Margo sa immer nochauf der Eingangsstufe und wiegte die schlafende

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    Mae in ihren Armen. Sie starrte Miss Nightingale inihrem schimmernden hellgrnen Kleid an und sagtedann mde: Peter ist da bringt Sissy und Tommyins Bett. Hat keine Arbeit gefunden heute.

    Florence Nightingale ging gleich hinein. Mit einemMal bemerkte Robbie den Gestank diesen Geruchvon Krankheit, schmutziger Bettwsche und Putz-wasser. Aber die Lady schien all das nicht zu be-merken. Sie sprach leise mit Robbies Mutter, die ihreHnde wrang.

    Das klingt nach Cholera, sagte Miss Nightingaleernst. Ihr Mann muss sich in London angesteckthaben, dort herrscht eine Epidemie. Er ist vllig aus-getrocknet wir mssen versuchen, Flssigkeit in

    ihn hineinzubekommen.Die beiden Frauen machten sich an die Arbeit. Rob- bie sank zurck in eine schattige Ecke und bekambald von Peter Gesellschaft. Schweigend beobachte-ten die beiden, wie Miss Nightingale den Kopf ihresPapas in ihrem Arm hielt und mit einem Lffel ver-

    suchte, ihm langsam Wasser einzuflen. Aber so-bald sie ein bisschen hineinbrachte, wrgte er es wie-der heraus.

    Die Stunden schleppten sich dahin und Robbies Kopfwurde schwer und sank zur Seite. Pltzlich schrak erwieder hoch und versuchte sich zu erinnern, was ei-

    gentlich passiert war. Peter lag zusammengekauertauf dem Fuboden neben ihm. Eine einzelne Kerze brannte neben dem Bett seiner Eltern und er hrtezwei Frauenstimmen leise flstern.

    Sie haben eine Gabe zu heilen, Miss Florence, wirk-lich, sagte seine Mutter gerade.

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    Das knnen Sie nicht sagen, Mrs. Robinson, meinteFlorence Nightingale traurig. Ihr Mann ist sehrschwer krank. Es es knnte sein, dass er es nichtschafft.

    Ich wei, sagte Mrs. Robinson und ihre Stimme zit-terte ein wenig. Aber allein Ihre Anwesenheit hilftuns hier mitten in unserem Kummer. Sie wren einewunderbare Krankenschwester.

    Miss Nightingale lachte bitter. Ich wnschte, meineMutter knnte das genauso sehen. Fr sie ist Kran-kenpflege eine niedere Arbeit, fr Frauen aus der un-teren Schicht, die zu ungebildet sind, um ein gutesHausmdchen abzugeben. Oder noch schlimmer,unordentliche Mdchen, die mit den rzten und denkranken Mnnern flirten mchten.

    Du liebe Gte, da denkt sie aber schlecht, sagteMrs. Robinson. Aber Sie sind kein Mdchen mehr,Miss Florence. Sie sind eine erwachsene Frau! Sieknnten eine Krankenschwester werden!

    Wieder das bittere Lachen. Ich bin zweiunddreiig

    Jahre alt. Aber Sie kennen meine Eltern nicht. In un-seren Kreisen ist eine unverheiratete Tochter ebensovom Willen ihrer Eltern abhngig wie ein Schulmd-chen.

    In diesem Augenblick sthnte der Mann im Bett undschlug um sich. Das schreckliche Wrgen begann,

    trockenes Keuchen und Husten, ohne dass etwasausgespuckt werden konnte. Robbie kniff die Augenzu und presste die Hnde auf seine Ohren. Es warkaum auszuhalten, seinen Vater so leiden zu hren!

    Nach einer Weile merkte er, dass das Wrgen aufge-hrt hatte. Langsam senkte er die Arme und ffnete

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    seine Augen. Im schwachen Kerzenlicht sah er dieschmerzerfllten Augen seiner Mutter.

    Es tut mir so leid, Mrs. Robinson, sagte eine sanfte,traurige Stimme. Ihr Mann hat sein Leiden hintersich, aber fr Sie, meine Liebe, war das erst der An-fang.

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    Der Trommler

    Thomas Robinson wurde auf dem Friedhof vonWellow Village begraben. Nur wenige Dorfbe-wohner kamen zur Htte, um Anteil zu nehmen. Diemeisten hatten zu viel Angst vor der Cholera.

    Auf Florence Nightingales Drngen hin, wurde das

    Bettzeug und die Kleidung des Verstorbenen ver-brannt und hinter dem Stall vergraben. Sally Robin-son trug Peter, Margo und Robbie auf, den Fubodender Htte tchtig zu schrubben. Sie kochte alles Ge-schirr und die Kochtpfe aus, kochte das Trinkwas-ser ab und kochte auch alle Kleidungsstcke.

    Nachdem alles fertig war, sa Sally Robinson amTisch in der blank gescheuerten Htte und starrteauf ihre Hnde. I-Ich wei nicht, was wir jetzt tunsollen, flsterte sie. Wie soll ich uns alle sieben er-nhren?

    Ich habe nachgedacht, Mama, begann Peter zu

    sprechen. Er rusperte sich. Papa hatte in der letz-ten Zeit nicht viel Glck, einen Job zu erwischen sogar mit zwei Arbeitskrften. Ich glaube, ich sollteCinder und den Karren nach London bringen und

    beide dort verkaufen inder Stadt werde ich einen

    besseren Preis bekommen,als hier drauen. Das Geldsollte reichen, dich und dieKleinen ber Wasser zu hal-ten, bis ich meinen erstenSold bekomme.

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    Deinen ersten was meinst du mit Sold?, fragteseine Mutter beunruhigt. Du bist ein guter Junge,Peter, aber ich kann mich nicht erinnern, dass Arbeitwie Frchte auf Bumen wchst. An welche Art Ar-beit hattest du denn gedacht?

    Peter rusperte sich wieder. Ich trete in die BritischeArmee ein, Mama, sagte er und dann sprudelte espltzlich aus ihm heraus: Als ich mit Papa in Lon-

    don war, habe ich mich mit einem Soldaten unterhal-ten, der beim siebzehnten Regiment der Lanzenrei-ter ist. Sie suchen noch jede Menge Freiwillige. Ichkann gut mit Pferden umgehen. Ich htte eine guteChance. Und ein Soldat bekommt regelmig seinenSold und den knnte ich dir hierher schicken.

    Sally Robinson starrte ihren ltesten Sohn an. Aber die Armee? Ich mchte nicht auch noch dich ver-lieren.

    Ach Mama, winkte Peter ab. England ist seit drei-ig Jahren in keinen Krieg verwickelt gewesen. Dasmeiste ist heute Drill und ein paar prchtige Para-

    den, damit unsere Feinde beeindruckt sind und ab-geschreckt werden.

    Robbie bekam den Mund nicht mehr zu. Peter, einSoldat? Was fr eine absolut spitzenmige Super-idee. Seine Brust schmerzte schon vor Neid.

    Das ist noch nicht alles, Mama, Peter warf ei-nen kurzen Blick auf Robbie und holte Luft. Rob-bie knnte auch Arbeit bekommen als Trommler.Der groe schlaksige Junge legte die Hnde auf denTisch und sah seine Mutter erwartungsvoll an. Ver-stehst du nicht? Zweimal Sold, der dir pnktlich ge-

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    schickt wird! Und zwei hungrige Muler weniger zufttern.

    Sally Robinson sah ihren Sohn mit weit aufgeris-senen Augen an und versuchte den Sinn von all demzu begreifen, was sie da eben gehrt hatte. Aber was ist mit mir und Margo und den beiden Kleinen?Was sollen wir machen, ganz ohne unsere Mnner?

    Margo marschierte zum Tisch. Die Hnde hatte sie

    in die Hften gestemmt. Du vergisst, Mama, dassich schon vierzehn Jahre alt bin, fast erwachsen. Ichkann Erwachsenenarbeit machen Wsche waschenzum Beispiel, oder vielleicht Hausmdchen werdenin einem der groen Huser. Wir werden ohne die Jungs gut klarkommen. Sie schob das Kinn nach

    vorn und sah ihre Brder herausfordernd an. Was ihrknnt, kann ich schon lange, hie das.

    Robbie sa da wie betubt. Er hatte erwartet, dassseine Mutter strikt verbieten wrde, dass er zur Ar-mee gehen sollte. Aber Mama und Peter und Margoredeten und machten sich Sorgen und planten wild

    durcheinander alles auf einmal.Die Tr stand auf und lie die warme Juniluft her-ein. Robbie kniff die Augen zusammen und schauteauf die lehmige Strae, die aus Wellow hinaus, vor-bei am Nightingale-Anwesen, geradeaus nach Lon-don fhrte.

    Er sah sich mit einem federngeschmckten Hut inder roten Uniform mit den beiden weien Lederbn-dern, die ber seiner Brust gekreuzt waren. Er sahdie hlzernen Trommelstcke in seinen Hnden undhrte im Geiste das rat-a-tat-tat, als sie die Trommelberhrten.

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    Konnte das wirklich wahr werden? Er, Robbie Robin-son, als Trommler in der Armee Ihrer Majestt?

    ***In seinem ganzen Leben hatte Robbie niemals darangedacht, dass er England einmal verlassen knnte.Viel weniger noch, dass er einmal im Schlamm derKrim schlafen sollte einer rauen und unwirtlichen

    Gegend im unteren Teil Russlands.Robbie hatte vorher noch nie von der Krim gehrt.Er war jetzt schon seit fast zwei Jahren als Trommlerbeim sechsundachtzigsten Infanterie-Regiment. Bis-her hatte sein Leben hier hauptschlich daraus be-standen, fr Paraden zu ben, kleinere Auftrge fr

    die Soldaten zu erledigen oder ihre Stiefel zu po-lieren. Er hatte nichts gegen diese Schmutzarbeit,denn die meisten der Soldaten waren gutmtige Zeit-genossen, auch wenn sie ihn ein bisschen herum-kommandierten. Das war es allemal wert, wenn erin seiner schneidigen roten Uniform mit den beiden

    Lederriemen ber der Brust ganz vorn in seinem Re-giment den Marschtakt trommeln durfte.

    Als die junge Knigin Viktoria kam, um ihre Trup-pen zu besuchen, hatte Robbie auch Peter wiederge-sehen. Er war bei der Kavallerie, siebzehntes Regi-ment der Lanzenreiter, alle ganz in Blau, mit engen

    Hosen und Stiefeln, die Helme mit kurzem Feder-busch. Peter ritt einen groen Braunen namens Wolf-gang, und Robbie dachte sich, wie stolz Papa gewe-sen wre, wenn er htte sehen knnen, wie exakt Pe-ter und sein Pferd mit allen anderen Reitern im Taktschwenkte, drehte und trabte. Stolz auch im Hinblick

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    auf den Sold, den sie beide nach Hause zu Mama,Margo und den Kleinen schickten.

    Aber pltzlich gab es nur noch ein Thema: Krieg. An-fang 1854 meldete die London Times: Trkei erklrtRussland den Krieg! Die Verbndeten werden auf-gefordert, sie in der Krim zu untersttzen. Robbiekonnte die Zeitung nicht lesen, aber ein junger Ge-freiter namens William Jones etwa sechzehn Jahre

    alt versuchte, ihm die Sache zu erklren.Weit du, Robbie, hatte er genuschelt und dabeiordentlich wichtig getan, da ist dieser flache Fluss,der vom Schwarzen Meer durch die Trkei zum Mit-telmeer fhrt. Bosporus nennen sie ihn wohl. In derTimes steht, dass die Russen in der Krim Truppen zu-

    sammenziehen, um einen Angriff ber das SchwarzeMeer zu fhren. Aber du kannst einen Schillingdrauf wetten, dass die Briten nicht zulassen werden,dass Russland den Bosporus in die Finger kriegt. Erist das Tor zum ganzen Mittleren Osten!

    Jedenfalls fanden sich im nchsten Frhjahr alle An-

    gehrigen des sechsundachtzigsten Infanteriekorpszusammengepfercht auf einem Schiff der Marinewieder. Sie segelten ber das Mittelmeer. Robbie ver-brachte die ersten Tage der Reise unter Deck in sei-ner Koje. Er war seekrank. Als er sich schlielich andas Rollen und Stampfen des Schiffes gewhnt hatte,

    stieg er aufs Oberdeck und sah dort William mitaschfahlem Gesicht an der Reling stehen.

    Ist dir der Gestank da unten auch zu viel gewor-den, was?, grinste der ltere ihn schwach an. Wil-liam deutete mit dem Kopf auf die Segel der ande-ren Schiffe vor und hinter der H.M.S. Andes. Siehst

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    du die Schiffe? Die britische Marine verschifft prak-tisch die ganze britische Armee in die Krim. Und dusolltest die Schotten aus dem Hochland erst mal se-hen, in ihren Schottenrcken und mit den breitenSchwertern!

    Hab sie schon gesehn, sagte Robbie. Er fhlte sichein bisschen irritiert. William tat gerade so, als ob erberhaupt nichts wsste. Mein Bruder ist auf einem

    dieser Schiffe er und sein Pferd, Wolfgang. Sie ge-hren zu den siebzehnten Lanzenreitern.

    Dein Bruder? Gehrt zur Leichten Kavallerie?Wahnsinn! William sah sehr beeindruckt aus.

    Robbie wandte das Gesicht ab und starrte hinberzu den geblhten Segeln der anderen Schiffe. Die Tat-sache, dass Peters Regiment auch zur Krim unter-wegs war, war so ziemlich das Einzige, das ihn da-von abhielt, vom Heimweh bermannt zu werden.Er war erst zwlf Jahre alt. Was hatte er auf einemKriegsschiff mitten auf dem Mittelmeer zu suchen?

    Die Flotte drehte schlielich nordwrts entlang derKste der Trkei. William und Robbie standen nebenanderen Soldaten an der Reling, als auf der Andesdie Segel gerafft wurden, die Maschine zu stamp-fen begann und man durch den Bosporus dampfte.Sie staunten, als die glnzenden Kuppeln und spit-zen Minarette von Konstantinopel, der trkischenHauptstadt, an ihnen vorbeiglitten. Am gegenber-liegenden Ufer breitete sich Scutari aus, ein Vorortder Hauptstadt, durch die Meerenge abgetrennt.

    Kuck mal da oben! William zeigte auf ein gro-es festungshnliches Gebude, das auf einem H-

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    gel hinter der Kstenregion von Scutari lag. Wrdemich interessieren, was das ist.

    Das scheuliche Monstrum war mal eine trkischeArmeebaracke, schnaubte einer der anderen Solda-ten. Ist jetzt ein Militrlazarett, hab ich gehrt.

    Hoffentlich sehe ich den scheulichen Bau nie voninnen, dachte Robbie im Stillen.

    Und dann stampfte die H.M.S. Andes ins SchwarzeMeer.

    ***Mittlerweile war es Oktober und Robbie hatte dieNase vom Krieg gestrichen voll.

    Der kleine Trommler sa auf einem umgestlptenEimer, brtete vor sich hin und versuchte mit seinerguten Hand die Trommel und seinen Tornister vomLehm zu subern. Alles lief schief!

    Bis jetzt hatte er nur ein einziges Mal etwas vomKriegsgeschehen mitbekommen. Vor ein paar Wo-chen war das gewesen, an einem Fluss namens Alma.Bei diesem Kampf war seine linke Hand von einemSchrapnellstck getroffen worden. Die Russen hat-ten sich zurckgezogen und die Schlacht war alsSieg der Alliierten gewertet worden. Trotzdem hat-ten die Russen nach wie vor die Kontrolle ber Se-

    bastopol, ihrem Hauptsttzpunkt hier in der Krim.Frag mich wirklich, was das fr eine Art von Siegsein soll. Wir haben fast zweitausend Mnner verlo-ren, tot oder verwundet und haben trotzdem nichtserobert, murmelte Robbie vor sich hin und hieb w-tend mit seinem Putzlumpen auf die Trommel.

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    Die Wunde an seiner Hand hatte nicht allzu ernstausgesehen, aber der Schmerz lie nicht nach unddie steifen Finger machten es ziemlich schwierig,seine Trommel zu schlagen.

    Wenigstens ist Peter in Sicherheit, trstete Robbiesich. Lord Raglan, der Oberbefehlshaber des Heeres,hatte die Leichte Kavallerie noch zurckgehalten. Pe-ter und die anderen Soldaten seiner Einheit hatten

    ihr Lager aufgeschlagen, um abzuwarten und fallsntig zur Stelle zu sein. Aber Lord Raglan war stand-haft geblieben. Wenn ein neugieriger London-TimesReporter ihn fragte, warum er noch abwarte, so ant-wortete er, dass er die Leichte Kavallerie als Augenund Ohren der Armee bentige um das Gebiet zuerkunden und den Feind aufzuspren.

    Robbies Infanterieeinheit hatte nach der Schlachtam Alma-Fluss im September ein paar Meilen sd-lich von Sebastopol das Lager aufgeschlagen. Die Ka-vallerie hatte unterdessen ihr Hauptquartier in derNhe von Balaklava eingerichtet. Balaklava war einkleines verschlafenes russisches Dorf, das mit einerkleinen Bucht am Schwarzen Meer einen idealen Lie-geplatz fr die britischen Schiffe besa.

    Mittlerweile war es Oktober und man wartete war-tete auf die Kapitulation Sebastopols oder auf einenberfall der russischen Truppen aus den Wldern,

    die Balaklava umgaben. Der kalte Herbstregen hattezusammen mit Tausenden von Pferdehufen, Wagen-rdern und Stiefelabstzen den lehmigen Lagerbo-den in einen einzigen Schlammsumpf verwandelt.

    Es war die Warterei und der Dreck und die Klte und die widerlichen Essensrationen gepkeltes

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    Schweinefleisch und Zwieback jeden Tag, die Rob-bie zermrbten. Doch damit nicht genug. Die Hlfteder Vorrte waren zurckgelassen worden, um Platzfr die Verwundeten und Kranken zu haben, die aufdem Seeweg ins Lazarett nach Scutari gebracht wer-den sollten. Whrend also die Franzosen in Zeltenbernachteten, kampierten viele Angehrige der bri-tischen Truppen auf dem Lehmboden, eingerollt inihre dnnen, feuchten Wolldecken.

    Kein Wunder, dass die halbe Armee krank war.

    Robbie warf den Putzlumpen weg. Er wiegte seineverletzte Hand mit dem guten Arm, versuchte diekalten Finger aufzuwrmen und starrte dster aufseine Stiefelspitzen.

    Na, wie gehts der Hand?, fragte eine vertrauteStimme.

    Peter!, schrie er, sprang von dem Eimer auf undsa platsch! eine Sekunde spter auf seinem Hosen-boden im Matsch. Schmerz schoss von seiner Hand

    den ganzen linken Arm hinauf.Peter sprang vom Pferd, lachte entschuldigend undhalf Robbie beim Aufstehen.

    Voller Genugtuung stellte Robbie fest, dass der glei-che Dreck, der an seinem Hosenboden klebte, auchan Wolfgangs Bauch und Beinen und an Peters Stie-feln hing.

    Peter drehte den Eimer wieder um und setzte sichdarauf. Dann schaute er Robbie prfend an. Du bistdoch nicht krank, oder? Heilt die Hand denn gut?Bekommst du berhaupt genug zu essen?

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    Wolfgang beschnffelte Robbies rmel auf der Su-che nach etwas Fressbarem. Ich denke, meine Handist ganz in Ordnung, sagte Robbie achselzuckendund wnschte im Stillen, er htte eine dicke, saf-

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    tige Mhre fr Wolfgang. Nein, ich bin nicht krank.Aber ich wrde alles Mgliche hergeben fr MamasBratkartoffeln und Nudelauflauf.

    Peter lachte wehmtig: Jau. Allerdings.

    Robbie widerstand dem Wunsch, Peter einfach zuumarmen und ganz fest zu drcken. Es wre einfachnicht soldatenmig gewesen. Aber er wollte Peterso gern bitten, noch zu bleiben. Bis Balaklava waren

    es nur fnf Meilen. Aber die einzige Gelegenheit, beider er seinen Bruder zu Gesicht bekam, waren des-sen Erkundungsritte, bei denen er auf dem Rckwegeinen kurzen Abstecher ins Camp der sechsundacht-zigsten Infanterie machen konnte.

    Wolfgang sieht so dnn aus, stellte Robbie fest und

    streichelte den Hals des Pferdes.Peter zuckte zusammen. Klar. Die Tiere leiden ge-nauso wie die Menschen. Wir haben heute wiederzehn von den Lanzenreitern zum Hafen hinunter ge-bracht. Krank, Cholera. Manche von ihnen sind schonso weit, dass sie die Nacht bestimmt nicht berle-

    ben. Aber das Schiff legt nicht eher ab, ehe nicht ge-nug Verwundete oder Kranke an Bord sind um dieFahrt zu rechtfertigen.

    Peters Schultern sanken nach vorn. Sein Helmrutschte in den Matsch. Er schlug die Hnde vors Ge-sicht.

    Robbie war ganz aufgeregt. Das konnte nicht sein!Peter konnte doch nicht den Mut verlieren nicht Pe-ter. Robbie war auf seinen lteren Bruder angewie-sen, um seinen Schneid zu behalten, um den Ruhmder britischen Armee zu beschwren und die edlenZiele, fr die sie alle kmpften!

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    Aber Peters Stimme war mehr ein Sthnen, als er inseine Hnde murmelte. Die ganze Leichte Kavalle-rie ist auf sechshundert Mann geschrumpft, Robbie.Lanzenreiter, Dragoner, Husaren wir haben zu-sammen schon ber vierhundert Mnner verloren.Fast alle sind tot oder sterben. Und sie sterben nichtan Wunden aus irgendeiner Schlacht, sondern anKrankheiten und verdorbenem Essen!

    Robbie wusste, dass das die Wahrheit war. Bevor diebritische Armee berhaupt in Russland angekommenwar, waren schon einige hundert Soldaten an Cho-lera gestorben. Seit damals hatten sich die Zustndevon schlecht zu absolut katastrophal entwickelt.

    Robbie! Robbie! Hast du gehrt? Robbie drehtesich um und sah William durch den Matsch auf sichzu rutschen. Williams schmales Gesicht glhte vorAufregung. Ach Peter. Ich wusste gar nicht, dassdu hier bist. Der Junge war ein bisschen verwirrt.Warst du der Bote?

    Bote? Was fr ein Bote?, fragte Robbie.

    Peter hob seinen Helm aus dem Lehm und richtetesich auf. Ja. Ich habe Lord Raglan eine Nachrichtberbracht. Seine Stimme war wieder ganz die alte,zuversichtlich, nchtern. Eine unserer Einheiten hatTausende von russischen Soldaten entdeckt, die sichzu einem Angriff auf Balaklava vorbereiten.

    Peter schwang sich in den Sattel.Er salutierte knapp vor Robbie, ehe er Wolfgang wen-dete und beim Wegreiten ber die Schulter zurck-rief: Sie knnten morgen frh im Morgengrauen an-greifen!

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    Ins Tal des Todes

    Ich bentige einen Assistenten, donnerte eine krf-tige Stimme. Knnen Sie nicht einen einzigen Sol-daten entbehren, um

    Mr. Russel! Robbie, der in seine Decke einge-wickelt lag, den Tornister als Kissen unter seinem

    Kopf, erkannte Lord Raglans Stimme, hflich, aber bestimmt: Die britische Armee hat nicht die Auf-gabe, Zeitungsreporter mit Hilfspersonal zu versor-gen. Darum mssen Sie sich schon selbst bemhen.Es gengt vllig, dass wir Ihre Anwesenheit ertragenmssen, whrend eine Schlacht vorbereitet wird.

    Wenn Sie meinen, mit mir nach Balaklava kommenzu mssen, dann sollten wir uns auf den Weg ma-chen unverzglich.

    Robbie streckte seinen Kopf unter seiner Decke her-vor. Der Himmel war noch verhangen vom Frhne-bel. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. William

    schlief noch neben ihm. Durch die Gesprchsfetzenneugierig geworden, schlte sich Robbie aus seinerDecke. Er achtete darauf, sich nicht auf den linkenArm zu sttzen, denn seine Hand pochte mittler-weile ganz gehrig. Er ging um einen Stapel mit Ver-sorgungsgtern herum in die Richtung, aus der die

    Stimmen kamen.Lord Raglanwar leicht zu

    erkennen. Der Kom-mandant der britischen

    Armee hatte vor

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    vielen Jahren seinen rechten Arm im Kampf gegenNapoleon verloren. Der schlaffe rechte rmel stecktein seinem Grtel. Trotzdem sa er majesttisch aufseinem rotbraunen Pferd.

    Auf einem anderen Pferd sa ein groer Mann inZivilkleidung. Er hatte schwarze buschige Augen- brauen und einen dichten Vollbart. Das muss derZeitungsmann sein, dachte Robbie und schaute sich

    verstohlen die Versammlung der verschiedenen Re-gimentskommandeure an.

    In diesem Augenblick entdeckte ihn der Reporter.

    Moment mal, brllte er. Der Junge da wer istdas?

    Lord Raglan hatte Schwierigkeiten, ruhig zu bleiben.Nun, Junge, fuhr er Robbie an, dein Name, deinRegiment.

    I-ich?, stammelte Robbie. Dann fing er sich undnahm Haltung an. Robbie Robinson, Sir, Trommlerbeim sechsundachtzigsten Infanterieregiment.

    Aber der Junge hat eine verletzte Hand, Lord Rag-lan, krchzte der Reporter. Sicher kann er fr ei-nen Tag von seinen Pflichten als Trommler entbun-den werden. Vielleicht sollte er, bis seine Hand ge-heilt ist, sowieso vom Dienst befreit werden. In derZwischenzeit knnte er mir sehr ntzlich sein.

    Lord Raglan, der mglichst schnell mit dieser Un-terbrechung zu Ende kommen wollte, schickte ei-nen Helfer, der mit Robbies Vorgesetztem sprechensollte. Fnf Minuten spter fand sich Robbie im Sat-tel wieder, vor sich den breiten Rcken von WilliamRussel, Berichterstatter fr die London Times. Als sie

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    aus dem Lager hinaus ritten, sah Robbie ganz kurzseinen Freund William, der mit offenem Mund da-stand und mit unverhohlenem Neid hinter ihm herschaute.

    Innerhalb einer halben Stunde hatten Lord Raglanund die brigen in gleichmigem Trab den Randdes Plateaus erreicht, das vor Balaklava etwa hun-dertachtzig Meter tief zum Tal hin abfiel.

    Lord Raglan hob den Arm. Alle hielten an. Robbie,der hinter dem breiten Rcken von Mr. Russel nichtssehen konnte, stieg ab und starrte mit groen Augenauf die Ebene unter ihm.

    Ungefhr vier Kilometer sdlich konnte Robbie diehohen Masten der britischen Kriegsschiffe sehen,die dort im Hafen von Balaklava vor Anker lagen.Vor ihnen lagen zwei lange Tler, die wie ein V ange-ordnet waren und durch eine leichte Erhebung von-einander getrennt wurden. Das rechte Tal nahe Ba-laklava nannte man einfach Sdtal und das linkeNordtal. Beide Tler waren ungefhr eineinhalb

    Kilometer breit und zirka fnf Kilometer lang. BeideTler endeten jh an einem Bergmassiv.

    Lord Raglan hob sein Fernglas und sah sich um.Dort drben, am Ende des Nordtales, haben dieRussen Stellung bezogen, murmelte er seinem Ge-hilfen zu, und es hat den Anschein, dass sie nochmehr Kanonen da drben auf den Bergen haben, amRande des Nordtales. Wo sind unsere Kanonen?

    An der Hgelkette zwischen den Tlern, Sir. Aufdas Nordtal gerichtet, lautete die Antwort. MitTrken bemannt, glaube ich.

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    Robbie blinzelte in die aufgehende Sonne. Ah ja,da am Ende des Nordtales konnte er eine undefi-nierbare graue Masse aus Mnteln ausmachen. Dasmusste die Kavallerie sein; vor ihnen eine Reihe vonzehn oder zwlf schweren Geschtzen. Und an denHgeln, die beide Tler voneinander trennten, sah erGruppen trkischer Soldaten, die sich neben Kano-nenrohren eingruben.

    Sonnenaufgang fnfundzwanzigster Oktober1854 Rundblick ber Balaklava alles ruhig,murmelte Mr. Russel leise. Der Zeitungsmann standhinter Robbie und machte rasch Notizen auf einemBndel Papier. Dann fragte er pltzlich: Wie vieleGeschtze der Alliierten siehst du auf den Hgeln,Robinson? Offensichtlich konnte er nicht besonders

    gut sehen.Robbie kniff die Augen zusammen und zhlte. VierStellungen auf den Hgeln eingegraben, Sir. Norma-lerweise sind zwei oder drei Kanonen in einer Stel-lung.

    Und die Briten?

    Robbie deutete auf den Hafen. Da drben nrdlichvom Dorf. An der Front zwischen dem Sdtal unddem Hafen. Das ist das dreiundneunzigste Korps,schottische Soldaten aus dem Hochland

    Sieht ja aus wie eine Parade von Ballkleidern mit

    diesen karierten Rcken und den hohen Brenfell-mtzen, murmelte Russel.

    und da unter uns, fuhr Robbie fort. Er berflogmit den Augen schnell den unteren Rand des Pla-teaus, auf dem sie standen. Sehen Sie? Hier an die-sem Ende des Sdtales. Die schwere und die leichte

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    Kavallerie haben aufgesessen und sind bereit. Dann,in einem Anflug von Stolz, fgte er hinzu: Mein Bru-der ist da unten, Sir. Gefreiter Peter Robinson, vonden siebzehnten Lanzenreitern.

    Bruder, eh? Mr. Russels Bleistift kritzelte eifrig.Was machen sie denn alle im Sdtal?, brummte er.Sie knnen doch berhaupt nichts sehen, mit diesenHgeln zwischen sich und den Russen. Wissen dieseDummkpfe nicht, dass die Russen etwa fnfmal soviele sind wie sie?

    Robbie sah den Reporter scharf an. Aber dann rissihn der Knall der Geschtze von den Hgeln hoch.Sein Herz raste. Die Trken feuerten ihre Zwlfpfn-der ab und die Russen rckten vor!

    Lord Raglan behielt sein Fernrohr am Auge, sprachab und zu eindringlich mit einem seiner Leute, diedann einen berittenen Boten mit den Befehlen zu denOffizieren unten im Tal schickten.

    Was zum ? William Russel unterdrckte mh-sam den Fluch. Die Russen klettern die Hgelkette

    hoch, versuchen, die Stellungen einzunehmen heh!Die Trken sind auf der Flucht!

    Es war die Wahrheit. Robbie konnte das Hand-gemenge um die eingegrabenen Stellungen auf denHgeln beobachten und die kleinen Figuren, die ander Sdseite der Hgel hinunter rannten. Sie rannten

    an den Schotten vorbei auf das Dorf zu.Robbie versuchte, dem Reporter seine Fragen so guter konnte zu beantworten, aber es war schwer, sichzu konzentrieren. Whrend die Schlacht um die H-gel tobte, drngten sich die Offiziere um Lord Rag-lan. Jeder hatte eine andere Strategie anzubieten.

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    Dann pltzlich durchbrach die russische Reiterei dieTruppen auf den Hgeln und raste die Hgel hin-unter direkt auf Balaklava zu. Es wirkte wie Massen-mord: berittene Kosaken gegen eine kleine TruppeInfanterie. Aber die dreiundneunzigsten Hochln-

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    der, zu Fu und vllig unterlegen, wichen keinenZentimeter zurck. Die Vorderen knieten sich hinund feuerten, auch als die zweite und dritte Reiheschon ber ihre Kpfe hinweg schoss.

    Robbie war vllig verblfft: Die schmale rote Linievon Schotten hielt, und die Russen zogen sich zu-rck!

    Ein lautes Hurra war von den Reitern unter ihnen zu

    hren. Trotzdem war offensichtlich, dass die Alliier-ten mehr Futruppen brauchten. Lord Raglan belltewieder einen Befehl und schickte einen Eilboten nachSebastopol, damit die erste und vierte Infanteriedivi-sion eingesetzt werden konnten.

    Na wenigstens bekommt William jetzt endlich Ac-

    tion zu sehen, dachte Robbie ironisch. Ihm fiel derGesichtsausdruck des Freundes am Morgen wiederein. William hatte ihn wirklich darum beneidet, zurFront zu reiten, whrend er zurckbleiben musste.

    Bist jetzt war die Schlacht etwa anderthalb Kilome-ter entfernt gewesen. Aber jetzt sah Robbie, wie sich

    die Schwere Kavallerie unter ihrem Kommandanten,Sir Alfred Scarlett fertig machte, um zum Kampfge-biet im Sdtal zu reiten. Nicht einen Augenblick zufrh, denn pltzlich schwappte eine neue Welle rus-sischer Reiter ber den Hgel, ihnen entgegen. Sogardort oben auf dem Plateau konnte Robbie die lauten

    Angriffsparolen, den Klang der Schwerter und Sbelund die Schreie der verwundeten Mnner und Tierehren.

    Robbie schienen Stunden vergangen zu sein viel-leicht waren es auch nur Minuten aber so pltzlich,wie sie gekommen waren, verschwanden die Russen

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    auch wieder. Sie zogen sich ins Nordtal zurck undlieen ihre Toten und Verwundeten hinter sich.

    Robbie beobachtete Lord Raglan scharf, der mit sei-nen Offizieren den Kopf zusammensteckte. Waswrde er jetzt tun? Wrden die Russen sich zurck-ziehen? War die Schlacht vorbei? Wieder hob derKommandant sein Fernglas und suchte den Hori-zont ab. Auch ohne Fernglas konnte Robbie erken-

    nen, dass die Russen sich hinter ihren Kanonen nurneu aufstellten.

    Aber was passierte da auf der Hgelkette? Es sah soaus, als wren die Russen dabei, die erbeuteten Ka-nonen der Alliierten abzutransportieren.

    Lord Nolan!, bellte Lord Raglan. Hier ein Befehl

    fr Lord Cardigan.Robbie blieb fast das Herz stehen. Lord Cardigan warder Kommandant der Leichten Kavallerie. Nein!,dachte Robbie angsterfllt. Lord Raglan kann dochnicht die Leichte Kavallerie losschicken! Warum hlter sie nicht zurck, wie am Alma-Fluss?

    Befehl an Cardigan: Er soll dem Feind folgen undsie am Abschleppen der Kanonen hindern. Sie wer-den von Bodentruppen untersttzt, die ich an beideSeiten befehligt habe.

    Hauptmann Nolan, ein exzellenter Reiter von den

    Elften Husaren, trieb sein Pferd zum vollen Galoppan und ritt waghalsig den steilen Abhang zu denLeichten Brigaden hinunter.

    Welche Bodentruppen?, grummelte William Rus-sel in Robbies Ohr. Siehst du irgendwelche Boden-truppen? Sie sind noch gar nicht hier.

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    Robbies Mund wurde trocken. Am Fue des Pla-teaus konnte er Lord Nolan sehen, der Lord Cardi-gan etwas zurief und mit dem Arm auf das Nordtalzeigte, das sie durch die Hgel in der Mitte nicht ein-sehen konnten. Zuerst war Lord Cardigan rgerlichoder vielleicht eher unglubig. Dann pltzlich befahler anzutraben. Die Reiter verlieen das Sdtal und bogen um die Hgel bis zum westlichen Ende desNordtales. Robbie sah Lord Nolan mit den Husaren

    folgen.Robbie starrte mit aufgerissenen Augen. Was er sah,passierte wirklich. Genau unter ihnen reihten sich dieReiter der Leichten Kavallerie hinter Lord Cardiganauf und die Lanzenreiter waren in der vorderstenReihe! Robbie meinte, Peter entdecken zu knnen,wie er stocksteif auf Wolfgang sa, die Lanze sto-bereit in der rechten Hand.

    Was um alles in der Welt ?, donnerte Lord Rag-lan, der pltzlich sah, was dort geschah. Der Mannhat den Befehl missverstanden. Wei Cardigan dennnicht, dass die Russen immer noch unsere Kanonenauf den Hgeln unter ihrer Kontrolle haben? Das istdoch ein Hinterhalt auf drei Seiten feindliche Sol-daten! Er wird doch sicher nicht

    Aber gerade jetzt gab die einsame Person, die vor denTruppen herritt, mit erhobenem Schwert das Signal

    zum Angriff. Hinter Lord Cardigan begannen seineMnner in ruhigem Schritt vorzurcken. Wieder hobCardigan das Schwert und sofort trabten alle, Husa-ren, Lanzenreiter und Dragoner in geordneten Rei-hen an.

    Der Nachrichtenreporter neben Robbie fluchte in

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    seinen Bart. Das ist Wahnsinn, japste er. GlatterSelbstmord!

    Pltzlich brach ein einzelner Reiter aus dem Truppder Husaren aus, galoppierte nach vorn und schnittLord Cardigan den Weg ab. Nein! Nein!, schrieeine Stimme. Nicht die Geschtze da hinten! Dieauf den Hgeln!

    Es war Hauptmann Nolan!

    Aber genau in diesem Moment drhnten undrauchten die russischen Geschtze auf beiden Sei-ten des Tals und pltzlich war Hauptmann NolansBrust blutdurchtrnkt. Einige der Pferde in den wei-teren Reihen strauchelten und kamen zu Fall. Abersofort schlossen sich die Reihen der Reiter wieder

    und trabten weiter.Lord Cardigan setzte seinen Ritt unbeeindruckt fort;er schien nichts zu bemerken, weder HauptmannNolans Versuch, ihn zurckzuhalten, noch die Ge-schtze, die links und rechts von ihm aus allenRohren feuerten. Er hob wieder das Schwert

    Sofort fielen die Reiter in Galopp und donnerten ge-nau auf die Geschtze am langen Ende des Tales zu.Die berittenen Kosaken bewegten sich nicht, aberdie Reihe mit Geschtzen vor ihnen spie Feuer undRauch. Robbie sah berall Mnner und Pferde derLeichten Kavallerie zu Boden gehen. Die Sekunden

    schienen ewig lang und immer noch griffen die bri-tischen Reiter auf voller Lnge des Tales an. Danngab es nur noch Durcheinander, als die Mnner gera-dewegs zwischen die Geschtze preschten, die Mn-ner mit erhobenen Schwertern. Sogar in drei MeilenEntfernung war nichts anderes mehr zu hren als

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    Rufen und Schreien von Menschen oder sterbendenPferden; blaue, rote und graue Jacken wie ineinanderverknotet am Ende des Tales.

    Robbie stand wie versteinert auf dem Berg und starrteauf das Schlachthaus unter ihm. Dann bemerkte erdie einsame Gestalt, die auf sie zuritt; immer nochim Sattel im langsamen Schritt. Es war Lord Cardi-gan, der sich ohne seine Mnner zurckzog. Um ihn

    herum nur noch Pferde ohne Reiter, die in panischerAngst wild durch das Tal galoppierten.

    Pltzlich zuckte Robbie zusammen. Peter! Irgendwoda unten war Peter. Er musste ihn finden.

    Er wusste nicht genau wie, aber er kam den steilenAbhang heil hinunter. Unten rappelte er sich auf und

    rannte stolpernd zu all den Sterbenden und Toten,die berall im Tal lagen. Er musste Peter finden ermusste ihm helfen

    Robbie bemerkte das durchgegangene Pferd nicht,das von der Seite auf ihn zugaloppiert kam. Pltz-lich flog er durch die Luft. Als er mit einem dump-

    fen Plumps auf dem harten, steinigen Erdboden auf-schlug, wurde alles schwarz um ihn herum.

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    Barracks-Krankenhaus

    Robbie merkte, dass ihn jemand herumrollte undseinen Kopf drehte. Dann eine Stimme, die vonganz weit her zu rufen schien: He! Der hier lebtnoch! Bringt den Karren hierher!

    Halb wachend, halb schlafend hrte Robbie Schreie

    Kanonendonner Kreischen Schreien aberalles war weit, weit weg. Er wurde auf einen Kar-ren gehoben, der schon berfllt war mit verwunde-ten Soldaten. Robbie presste die Augen zu und ver-suchte zu denken. Was war passiert? Warum tat seinganzer Krper weh, jedesmal, wenn der Karren hol-

    perte? Aber die Anstrengung war zu gro. Ein paarAugenblicke spter versank er wieder in gndigerDunkelheit.

    ***

    Robbie ffnete die Augen. ber sich sah er die ho-hen Masten eines Segelschiffes, das auf den Wellenschaukelte. Die Dmmerung brach herein; zwei oderdrei Sterne konnte man schon am Himmel sehen.

    Und dann erinnerte er sich: Peter. Er war aufder Suche gewesen nach Peter. Schlag-artig kam alles wieder zurck, wie einFausthieb in den Magen.

    Die Leichte Kavallerie hatte dierussische Reiterei angegriffen;die russischen Kosaken undihre schweren Geschtze.

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    Robbie versuchte unter groen Schmerzen, sichaufzusetzen. Mit seinem Fu und der guten Handdrckte er sich vom Boden hoch, bis er mit dem R-cken aufgerichtet an der Bordwand sa. Links undrechts von ihm lagen Verwundete ber das ganzeDeck verteilt. Manche lagen still in Bewusstlosig-keit da, andere sthnten und riefen um Hilfe. Wiederandere saen so wie Robbie aufrecht da, Arme undKopf auf den Knien. Mnner in Uniformen gingen

    ber Deck, hatten andere Verwundete auf den Ar-men und suchten Platz, um sie abzulegen.

    Im Hintergrund hrte er streitende Stimmen, aber erkmmerte sich nicht darum. Dann aber hrte er sei-nen Namen.

    Robinson. Sein Name ist Robbie Robinson ein Junge, vielleicht zwlf Jahre alt; Trommler bei dersechsundachtzigsten.

    Das war sein Name. Jemand suchte ihn. Irgendwiewar ihm die Stimme bekannt, aber woher ?

    Pltzlich beugte sich ein dicker Bart herunter zu

    Robbie und das Paar Augen darber schaute ihn an.Also! Da bist du ja! Mein Gott, bin ich froh, dass dulebst. Der Mann schaute ihn prfend an. Hast dichaber offensichtlich ziemlich zusammenhauen las-sen.

    Jetzt erinnerte sich Robbie wieder. Das war der Mannvon der Zeitung, William Russel.

    Robbie schluckte und versuchte zu sprechen. Peter mein Bruder Siebzehnte Lanzenreiter. Ist ister am Leben?

    Der Mann schnaubte. Ich wei es nicht, Junge. Wreein Wunder, wenn er noch lebte. Sie suchen immer

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    noch nach berlebenden und registrieren die To-ten. Aber , seine Stimme wurde jetzt weicher. Ichwrde die Hoffnung nicht aufgeben. Tapfere Mn-ner, jeder Einzelne, aber dieser Befehl war ein Selbst-mordkommando eine Tragdie.

    Robbie hob seine gute Hand und packte den Mann beim rmel. Mr. Russel!, sagte er mit heisererStimme. Bitte finden Sie heraus, was mit Peter

    William Russel lste sanft die Finger des Jungen.In Ordnung, Junge. Ich werde sehen, was ich tunkann.

    ***Das Schiff stach mit der nchsten Flut in See. Rob-

    bie schlief mit Unterbrechungen die Nacht durch. Erlegte sich so nah wie mglich an die Verwundetenneben ihm heran, um es etwas wrmer zu haben. DerWind blies empfindlich durch seine Uniformjacke.Als der Morgen graute, hrte er chzen und Schlei-fen, als ob Mnner eine schwere Last befrderten.

    Zuuugleich!, kommandierte jemand, und dann einPlatschen. Mehr chzen, noch einmal zuuugleich!und noch einmal Platsch.

    Robbie blinzelte und riss die Augen auf. Die Seeleutewarfen Leichen ber Bord. Mnner, die in der letztenNacht gestorben waren.

    Ein pltzlicher Gedanke machte ihn vollends wach.Was, wenn was, wenn Peter einer dieser Toten war?Was, wenn Peter einer der Verwundeten auf die-sem Schiff war und er, Robbie, wusste davon nichts?Was, wenn er starb, ohne dass Robbie ihn gefundenhatte?

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    Er packte eines der Taue mit seiner guten Hand undzog sich auf die Fe. Dieses Schiff kam ihm be-kannt vor. Er sah sich um und stellte fest, dass esdie Andes war, dasselbe Schiff, mit dem seine Ein-heit und er zur Krim gekommen waren. Er klam-merte sich fest an das Tau. Jeder Knochen und jederMuskel schmerzten, aber nichts schien gebrochen zusein. Der Verband um seine linke Hand war schmut-zig, zerrissen und blutverkrustet, aber das war keine

    neue Verletzung.So ermutigt lie Robbie das Tau los und wollte berden Verletzten steigen, der vor ihm lag. Ein pltz-licher Ruck, als das Schiff auf die nchste Welleprallte, schickte ihn wieder zu Boden. Sofort wurdenFlche und Verwnschungen laut, als er mit meh-reren Verwundeten zusammenstie, die zusammen-gekauert in einer Ecke saen.

    Junge, lass das lieber so lange bleiben, bis du et-was im Magen hast, rief eine freundliche Stimme.Ein Matrose nahm Robbie und setzte ihn wiederhin. Dann griff er in den Korb, den er ber dem Armhatte, und holte einen trockenen Brotkanten heraus.Hier, nimm erst mal das. Ist nicht gerade ein Fest-essen, aber es wird dich auf die Beine bringen.

    Der Matrose ging weiter und verteilte die hartentrockenen Brotstcke an alle Verwundeten, die et-

    was essen konnten. Hinter ihm ging ein anderer Ma-trose, der einen Eimer Wasser und eine Kelle trug.Robbie griff nach der Kelle und trank durstig. Erstjetzt wurde ihm bewusst, dass er seit gestern Morgennichts mehr gegessen oder getrunken hatte.

    Dann hatte er das letzte bisschen von dem salzigen

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    Brotkanten aufgegessen. Robbie rappelte sich wie-der auf, ging langsam ber Deck, und betrachteteprfend die blutigen und verschmutzten Gesichterder Mnner. Da waren Uniformen von den verschie-densten Regimentern Reiterei und Fusoldaten.Peter?, fragte er immer wieder. Peter Robinson wei irgendjemand, ob Peter Robinson hier ist?

    Ein groer krftiger Matrose ging mit einem auf-gerollten Tau an ihm vorbei. Robbie hielt ihn am r-mel fest. Mister, haben Sie haben Sie heute Mor-gen bei der Bestattung der Leichen mitgeholfen?

    Der Mann sah ihn an. Ja. Was ist damit?

    Robbie schluckte. Er hatte Angst, seine Frage zu stel-len. Hie einer der Toten Robinson? Peter Robin-

    son, vom siebzehnten Regiment der Lanzenreiter?Die Anspannung im Gesicht des Mannes lie nach.Bin mir nicht ganz sicher, aber er kratzte seinenBart nein, ich glaube nicht. Der Kapitn hat aucheine Liste. Du kannst bei ihm nachfragen.

    In Robbie keimte Hoffnung auf. Er setzte seinen Weg

    fort, ber Arme und Beine steigend, bis hin zumHeck und dann auf der anderen Seite wieder zu-rck. Er bemhte sich, die zerfetzten Uniformen undblutigen Gliedmaen zu ignorieren und nur die Ge-sichter anzusehen.

    Es war jetzt heller Tag, aber der Himmel war bewlkt

    und grau. Der Seegang war ziemlich rau und die Se-gel ber ihm spannten sich im krftigen Sdwest-wind. Robbie musste sich mit seiner guten Hand fest-halten, wo er nur konnte, als er sich weiterschleppte.Das schmerzhafte Klopfen in seinem linken Arm ver-suchte er nicht zu beachten.

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    Er hatte sich gerade an einer Schiffskanone vorbei-gearbeitet, als er pltzlich eine wimmernde Stimmehrte: Robbie hilf mir! Erschreckt versuchteRobbie auszumachen, woher die Stimme kam. Dannhrte er es wieder ganz leise: Robbie, hilf mir!

    Mit aufgerissenen Augen bemerkte Robbie nun dieschmale Gestalt, die fast genau vor seinen Fen lag.William!, rief er. Er fiel auf seine Knie und nahm

    die Hand, die der ltere Junge ihm hinstreckte. Erkonnte seinen Freund kaum wiedererkennen. Wil-liams Haare waren mit Schmutz und Blut verfilzt.Aber es war Williams rechtes Bein, das ihm den gr-ten Schreck versetzte. Das Hosenbein war fast vlligabgerissen und das Bein darunter war nur noch einebreiige Masse aus Blut, Knochen und Fleisch.

    Robbie starrte entsetzt darauf, dann kam er zu sichund stand auf. Ein Arzt, ein Arzt! Dieser Soldat braucht sofort einen Arzt!, schrie er. Er taumeltehinber zu den beiden Matrosen, die gerade durcheine der Luken an Deck gekommen waren. Mister,wo ist der Arzt? Mein Freund braucht sofort einenArzt!Sachte, sachte, junger Mann, sagte der Seemann.Wir haben nur einen einzigen Arzt an Bord diesesSchiffes. Er ist in diesem Augenblick unter Deck undoperiert die schlimmsten Flle.

    Schlimmsten Flle unter Deck? Robbie starrteden Mann unglubig an. Sie meinen, unter Decksind noch mehr Verwundete?

    Der Matrose schnaubte geruschvoll. Junge, wir ha-ben mehr als fnfhundert Verwundete und Krankean Bord dieses Schiffes aber bei der Sterblichkeits-

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    rate werden es sicher weniger sein, wenn wir in Scu-tari ankommen. Tut mir leid, Junge aber alles, waswir fr die hier oben tun knnen, ist ihnen genugWasser und Brot zu geben, um sie am Leben zu hal-

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    ten, bis wir sie ins Lazarett bringen knnen. Und zu-stzlich kann man dann nur hoffen, dass sie keineCholerabakterien in ihre Sbel- und Schusswundenkriegen.

    Der Matrose schwang sich auf die Leiter, die zumVordeck hinauf fhrte und Robbie sank neben Wil-liam zu Boden. Williams Augen waren riesig eineinziges Flehen.

    Halt durch, William, sagte Robbie und versuchtezuversichtlich zu klingen. Wir bringen dich insKrankenhaus.

    ***Die Reise ber das Schwarze Meer nach Scutari

    dauerte zehn Tage. Die H.M.S. Andes kmpfte gegenhohe Wellen und Sturm, kreuzte hin und her, erstnach Osten, dann nach Westen, beim Versuch, denBosporus zu erreichen.

    Robbie blieb in unmittelbarer Nhe von William, dervon einem Delirium ins nchste fiel. Er bat einen der

    Matrosen um eine Extraration Wasser und versuchteden Schmutz von Williams Bein zu waschen. Dannschlte er sich aus seiner Uniformjacke und zog seinHemd aus. Das wickelte er nun um das zerschmet-terte Bein.

    Mit jedem Tag fhlte Robbie sich schwcher und m-

    der. Aber jeden Tag kmpfte er sich auf die Beine undmachte seine Runde durch die Verwundeten, auf derSuche nach Peter. Die Matrosen erlaubten ihm nicht,nach unten zu gehen aber einmal, als die Luke ver-sehentlich offen gelassen worden war, kroch Robbiedie Leiter hinunter und suchte dort weiter. Manche

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    Mnner, ohne Verletzungen, lagen da, sthnten undhusteten. Robbie erkannte die Symptome der Cho-lera und eilte schnell vorbei. Weiter hinten am Hecksah er einige Matrosen, die einen schreienden Mannfesthielten mit Entsetzen wurde ihm klar, dass derArzt gerade das Bein des Mannes abnahm. Er stol-perte schnell zurck nach vorn und versuchte diebelkeit, die in ihm aufstieg, zu unterdrcken.

    Die Toten wurden alle paar Stunden ber Bord ge-worfen Tag und Nacht.

    Schlielich ging die Andes im Hafen von Scutari vorAnker. Den ganzen Tag lang wurden die Verwun-deten auf lange Boote umgeladen und an Land ge-rudert. Die Mnner unter Deck die sogenannten

    schlimmsten Flle wurden zuerst von Bord ge-bracht. Danach kam das Oberdeck an die Reihe. End-lich hoben einige Matrosen William, der leider al-les andere als bewusstlos war, in eine breite Trage-schlaufe und lieen ihn in das unten festgemachteBoot hinab. Ein Matrose ergriff Robbie an den Ellen-bogen und reichte ihn so in die wartenden Arme hin-unter. Robbie musste die Zhne zusammenbeien,um nicht laut aufzuschreien. Seine Hand und seinArm schmerzten frchterlich.

    Am Ufer wurden die Verwundeten in trkische Ara-bas gepackt, kleine Karren mit zwei Rdern, die von

    struppigen Pferden den furchigen Lehmweg hochzum Barracks-Lazarett gezogen wurden. Diejenigen,die laufen konnten, halfen sich gegenseitig, den H-gel zu erklimmen.

    William wurde in ein Araba gelegt. Robbie hatteAngst, ihn zu verlieren und so hielt er sich an dem

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    Stiefel fest, der hinten am Karren baumelte, undstolperte hinterher. Warum fhlte er sich nur soschwach? Warum brannten seine Augen so?

    Wie im Nebel lief Robbie den trkischen Trgernhinterher, die mit den Verwundeten in das groe fes-tungshnliche Gebude gingen. Er versuchte Wil-liam nicht aus den Augen zu verlieren, whrend dienervsen rzte die Flut von Notfllen, die von der

    Andes hierher schwappte, zu dirigieren versuchten.Zunchst wurde William auf einem Flur unter-gebracht. Robbie sank an seiner Seite nieder und hobWilliams Kopf in seinen Scho.

    Stunden vergingen. Niemand brachte ihnen Was-ser oder Essen. Endlich kamen zwei englische rzte,

    hoben William hoch und brachten ihn in ein groesZimmer. Robbie rappelte sich mhsam auf und ginghinterher. William, der nur halb bei Bewusstsein war,wurde auf eine groe Holzplattform gelegt, die ei-nige Zentimeter ber dem Fuboden angebracht warund um die ganze Zimmerwand herumlief.

    Weit du, wie dieser Soldat hier heit?, fragte ei-ner der rzte.

    Bitte knnen wir was zu essen und zu trinken ha-ben?, flsterte Robbie matt.

    Sein Name?, bohrte der Mediziner.

    Gefreiter William Jones, sechsundachtzigstes-Infan-terie-Regiment, sagte Robbie tonlos. Und ich binRobbie Robinson, Trommler, sechsundachtzigstes-Infanterie-Regiment.

    Die beiden Mnner verschwanden. Kurze Zeit sp-ter wurde eine groe Schssel mit einer dampfenden

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    Flssigkeit hereingebracht. Die Flssigkeit wurde in billige Zinntassen eingegossen und weitergereicht.Robbie versuchte ein bisschen von der Flssigkeit inWilliams Mund zu trufeln, dann trank er selbst da-von. Es schmeckte nach Kohlwasser und es schwam-men ein paar aufgeweichte Gemsestcke darin.

    Trotzdem tat es gut, etwas Warmes in den Magenzu bekommen. Robbie legte sich auf die Holzplatt-form neben William und schloss die Augen. Er hrteunterhalb der Plattform ein Kratzen und Rascheln Ratten! Und der Gestank von dem berquel-lenden Mlleimer in der Zimmerecke und den vie-len ungewaschenen Mnnern war so stark, dass Rob-bie meinte, die Suppe die er eben gegessen hatte,wrde postwendend wieder herauskommen.

    Er fiel in einen unruhigen Schlaf. Im Traum sah erimmer wieder die Leichte Kavallerie im Nordtal dieReihe der russischen Kanonen angreifen sah diePferde in einem Wirbel aus Staub und Beinen zu Bo-den gehen sah, wie Schwerter und Sbel in dieLuft schlugen

    Im Dunkeln wachte er auf. Er schwitzte. Zunchstwusste er nicht, wo er war. Aber dann hrte er dietrippelnden Fe unterhalb der Plattform, hrte dasSthnen der Verwundeten um ihn her und liesich verzweifelt zurckfallen.

    Vielleicht wre es besser gewesen, auf dem Schlacht-feld zu sterben, als hier in diesem trostlosen Loch zuverrecken.

    Drauen auf dem Flur sah er den Schein einer Lampe,die vorbeihuschte. Dann kam die Lampe ins Zimmerund warf groe unheimliche Schatten an die Wand.

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    Die Gestalt neben der Lampe ging leise im Zimmerumher, hielt neben jedem Soldaten an, sagte einigeWorte und ging dann weiter.

    Robbie kniff seine schmerzenden Augen zusammenund versuchte genauer hinzusehen. Irgendetwas andieser Person mit der Lampe schien ihm vertraut.Von der Figur und der Kleidung her sah es fast nacheiner Frau aus. Aber das war unmglich! Dann, als

    die Gestalt nher kam, hrte Robbie das Raschelneines langen Kleides auf dem Boden.

    Er sttzte sich auf dem rechten Ellenbogen hoch. DieLampe beleuchtete William und eine schmale Handstrich sanft ber die Hand des jungen Soldaten. Dannkamen die Lampe und die Frau zu Robbie.

    Kurz erhellte die Lampe das Gesicht der Frau. Rob-bie sah weiches, gewelltes rotgoldenes Haar, das einschmales Gesicht umrahmte und unter eine einfacheweie Haube zurckgekmmt war.

    Dieses Gesicht er kannte das Gesicht! War das einTraum? Oder konnte es wirklich

    Miss Nightingale!, japste er und zitterte am ganzenKrper. Sie sind es!

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    Nachricht aus Balaklava

    Die Frau sah Robbie verblfft an. Du kennst mei-nen Namen? Wer bist du? Sie hielt die Lampenher an sein Gesicht. Aber du bist ja gerade einJunge.

    Ich bin es, Miss Nightingale, Robbie Robinson, aus

    Wellow Village. Trommler Sechsundachtzigstes-Infanterie-Regiment.

    Ja, sagte sie leise. Ich erinnere mich. Er fhlteihre khle Hand auf seiner Stirn. Meine Gte, duglhst ja vor Fieber!

    Kmmern Sie sich nicht um mich, Miss Nightin-gale, sagte Robbie heiser. Ist blo meine Hand.Aber William braucht Hilfe, so schnell es geht. Wenner die nicht bald bekommt, stirbt er wahrschein-lich.

    Einen Augenblick lang schwieg sie dann hrte er

    sie murmeln, Ach, Gott, warum all das Gemetzelund dieses Elend? Sie stand schnell auf. Ich werdees versuchen, Robbie. Aber hier sind so viele Ver-wundete und zu wenige rzte. Wir haben Kranken-schwestern, aber ach, was soll ich dich damit be-lasten. Versuch zu schlafen. Ich versuche mein Mg-

    lichstes.Robbie sank zurck auf diePlattform und beobachteteMiss Nightingales Lampebei ihrer Runde zu den an-deren Verwundeten.

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    Schlielich verschwand der Lampenschein auf demFlur und wurde von der Finsternis verschluckt.

    ***Robbie wurde von einigen Frauenstimmen geweckt.

    Was, den Dreckeimer hier ausleeren?, beschwertesich eine weinerliche Stimme. Aber Miss Nightin-gale, ich dachte, wir wrden hier pflegen! Ich bin

    doch nicht den weiten Weg von England hierher ge-kommen, um Spucknpfe und Toiletteneimer auszu-leeren wie ein Dienstbote.

    Dann haben Sie ihren Auftrag grndlich missver-standen, sagte ruhig eine andere Frauenstimme.Robbie erkannte Florence Nightingales Stimme. Wir

    sind hier, um zu tun, was immer ntig ist, um diesenkranken und verwundeten Mnnern zu helfen. Augen-blicklich scheinen die rzte uns nichts weiter zu erlau-ben, als Spucknpfe und Toiletteneimer auszuleeren also leeren wir Spucknpfe und Toiletteneimer!

    Robbie musste sich sehr anstrengen, um die Augen

    zu ffnen. Warum nur fhlte er sich so schwach?Endlich hatte er sich auf seinen rechten Ellbogenhochgearbeitet und sah sich um. Es war Morgen. Diekalten und schmutzigen Fenster lieen zumindestTageslicht herein. Miss Nightingale und eine andereFrau kmpften gerade mit aufgekrempelten rmeln

    mit dem groen Eimer, der in der Ecke stand.Robbie fhlte, dass etwas nicht stimmte. Er sah sichsuchend um. Es lagen immer noch verwundete Sol-daten um ihn herum, die unruhig schliefen. Anderesaen aufrecht und fluchten oder murmelten leisevor sich hin. Und dann merkte er, was los war.

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    William war weg.

    Miss Nightingale! Er versuchte, laut zu rufen, aber

    seine Stimme kam nur krchzend und leise heraus.Wo haben sie William hingebracht?

    Die groe schlanke Frau lief schnell zu ihm. Still,Robbie, keine Aufregung! Dein Freund ist zur Ope-ration geholt worden. Dort ist er jetzt. Aber Siewandte sich um und sah die junge Schwester an, die

    mit den Hnden in den Hften neben dem stinken-den Eimer stand und sie anfunkelte. Warte ein paarMinuten, Robbie. Ich bin gleich zurck.

    Die beiden Frauen ergriffen gemeinsam die Hen-kel des Bottichs und trugen den stinkenden Behltervorsichtig aus dem Zimmer. Nach etwa fnf Minu-

    ten war Florence Nightingale wieder an seiner Seite.Ihre rmel waren wieder heruntergekrempelt, dieweien Manschetten zugeknpft und ihre Hnde ro-chen nach Seife. Sie hatte eine groe Schere bei sich.

    Robbie zeig mir bitte einmal deine linke Hand, sagtesie. Ich muss diesen alten Verband abschneiden.

    Vorsichtig schnitt sie an dem alten schmutzigenStck Tuch, das schon seit Wochen um seine Handgewickelt war. Wann ist das passiert?

    Ach das war nur ein Stck von einem Schrapnell hat mich da erwischt, presste er zwischen den Zh-nen hervor und chzte, als der Fetzen, verkrustet mit

    Blut und Schmutz, von der schmerzenden Wundeentfernt wurde. In der Schlacht am Alma-Fluss beiSebastopol.

    Sie sah ihn mit blitzenden Augen an: Aber das warim September, fast sechs Wochen her! Und du wirsterst jetzt in ein Lazarett gebracht?

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    Nein, nein, widersprach er und chzte wieder. Ichbin nicht wegen meiner Hand hier. Ich wir ichmeine, ich versuche Peter zu finden, nachdem dieLeichte Kavallerie Er konnte nicht weiterspre-chen. Nach einer langen Pause, whrend der FlorenceNightingale weiterschnippelte und ihm ab und zu ei-nen prfenden Blick zuwarf, holte er tief Luft und fuhrfort. Irgendwas hat mich bewusstlos geschlagen. Ichdachte, ich htte einen Schuss abbekommen, aber ich

    habe keine Lcher an mir gefunden. Aber die Pferdewaren alle durchgegangen sie hatten ihre Reiterverloren. Ich glaube, eines von ihnen Er brach ab.

    Wo ist dein Bruder Peter?, fragte Miss Nightingalebehutsam.

    Robbie sah sie aus fieberglnzenden leeren Augenan. Wei ich nicht, flsterte er. Auf der Andeswar er jedenfalls nicht.

    Sie nickte mit grimmigem Gesicht. Es liegen nochzwei Schiffe mit Verwundeten aus der Schlacht beiBalaklava im Hafen. Und Hunderte, die nicht ver-

    wundet, sondern krank sind, alle zusammenge-pfercht, damit sich auch die weniger stark Verwun-deten anstecken. Sie schaute in Robbies Gesicht, dasblass geworden war, trotz des hohen Fiebers. Es tutmir leid, Robbie, aber ich fhle mich so machtlos undes macht mich so wtend, wenn ich all das Elend

    sehe, das verhindert werden knnte. Ich werde dieNamenslisten der Schiffe berprfen und herausfin-den, ob dein Bruder hierher gebracht wurde.

    Mit einem letzten Schnippen ihrer Schere wollte sieden letzten Rest des Verbandes entfernen, aber dasStck klebte fest an der Wunde. Ganz langsam, Stck

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    fr Stck, wurde das letzte verkrustete Verbandsteilentfernt.

    Entsetzt starrte Robbie auf seine Hand. Die Wundeauf seinem Handrcken sah viel schlimmer aus, alser das erwartet htte. Eiter und Blut flossen aus deroffenen Wunde und die umgebende Haut war dickgeschwollen und rot.

    Kein Wunder, dass du so hohes Fieber hast, sagte

    Florence Nightingale. Das Schrapnellstck ist im-mer noch in der Hand und das Ganze ist hochgradigentzndet. Komm, wir mssen deine Jacke auszie-hen. Sie half Robbie aus der schmutzigen Uniform-jacke; pltzlich fiel ihm ein, dass er nur seine Unter-wsche darunter an hatte, weil er sein Hemd benutzt

    hatte, um Williams Bein zu bandagieren.Vorsichtig untersuchte sie seine Hand und seinenArm. Robbie, schau mich bitte an, bat sie schlie-lich. Er versuchte, sich auf ihr Gesicht zu konzen-trieren so sanft und gtig. Deine Hand ist sehrschlimm entzndet. Die Infektion hat sich schon

    auf den Arm ausgebreitet. Siehst du hier diese rotenStreifen? Diese Infektion macht dich so krank. Hremir jetzt genau zu. Ihre Augen hielten seinen Blickganz fest. Ich wei nicht, ob deine Hand gerettetwerden kann. Das Wichtigste ist, dein Leben zu ret-ten. Verstehst du das?

    Robbie versuchte weiter, sich auf ihr Gesicht zu kon-zentrieren, aber das Zimmer begann sich um ihn zudrehen. Sein Krper wurde von Fieber geschttelt, erfror, obwohl ihm Kopf und Augen brannten.

    Ganz weit entfernt hrte er Miss NightingalesStimme, sanft aber bestimmt. Was ich meine Rob-

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    bie, ist Folgendes: Vielleicht muss der Arzt deineHand abschneiden. Du musst tapfer sein. Das ist dereinzige Weg.

    ***Robbie starrte auf den verbundenen Stumpf am Endeseines linken Armes, der in einer Schlinge steckte.Sieben Tage waren vergangen, seit sie ihm die Handabgeschnitten hatten. Die Fieberanflle waren vor-

    bei, aber er fhlte sich immer noch schwach und lust-los. Er sa einfach nur da auf dieser hlzernen Platt-form in einem viel zu groen und unfrmigen Kran-kenhauskittel und starrte die Wnde an.

    Als die rzte zu ihm kamen, war er schon im Fie-berwahn gewesen. Wie durch Nebel hatte er gesprt,

    dass Florence Nightingale die ganze Nacht lang im-mer wieder nach ihm schaute. Sie flte ihm Wasserein und legte ihm beruhigend ihre khle Hand aufdie glhende Stirn. Und dann kamen die rzte undhalfen ihm den langen Korridor hinunter zum Ope-rationszimmer. Er stolperte den Weg entlang und

    musste von beiden Seiten gesttzt werden. Dann hat-ten sie ihn auf einen Tisch gehoben. Er wollte fragen,was jetzt passieren sollte, aber keiner sprach mit ihm.Ein Mann, dessen Hemd unter den Hosentrgernmit Blut vollgespritzt war, befahl harsch: Haltet den Jungen fest! Dann wurden seine Arme, Beine und

    Schultern schwer an den Tisch gedrckt.Bitte, Dr. Hall! Geben Sie dem Jungen etwas Chlo-roform, bat eine vertraute Frauenstimme. Robbiewand sich zur Seite und versuchte durch das Gewirrvon Armen, die ihn festhielten, Miss Nightingale zusehen.

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    Unsinn!, schnaubte der Mann. Das hier sind Sol-daten. Der pltzliche Schmerz durch das Messer be-lebt kolossal.

    Soldat? Das hier ist ein Junge!, argumentierte sieweiter.

    Verschwinden Sie, Miss Nightingale, herrschte derArzt, oder ich lasse Sie hinauswerfen! Ein Militr-lazarett ist kein Ort fr Frauen.

    Robbie wollte schreien: Nein! Gehen Sie nicht! Aberer wurde berrollt von diesem furchtbaren, bren-nenden Schmerz in seinem linken Unterarm. Er hrteeinen Schrei, den er gar nicht als seinen eigenen er-kannte.

    Und dann war er in Ohnmacht gefallen.

    Heh, sagte William mit trockenem Humor, ichwei gar nicht, wieso du dich beklagst. Wenigstenskannst du aufstehen und herumlaufen. Was soll ichsagen? Ich habe mein Bein verloren.

    Robbie sah seinen Freund an, der vor einer Wand

    sa. Er hatte Recht. Williams Bein war direkt unter-halb des Knies abgenommen worden. Aber, wie MissNightingale immer wieder betonte, hatte das ver-mutlich sein Leben gerettet.

    Ich wei ja, murmelte Robbie beschmt. Es ist nur na ja, was soll ich jetzt denn anfangen? Mit einer

    Hand kann ich doch keine Trommel mehr spielen.Du fragst mich, was du jetzt anfangen sollst?Williams Stimme hatte einen sarkastischen Ton an-genommen. Er zeigte mit ausladender Gebrde aufalle anderen Soldaten im Zimmer. Was soll ber-haupt irgendeiner von uns anfangen? Einige von

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    ihnen werden sie zusammenflicken und wieder zuihren Regimentern schicken, damit sie bei der nchs-ten Schlacht zerschossen oder aufgespiet werdenknnen. Aber die meisten von uns humpeln nachHause und vermissen fortan das eine oder andereKrperteil. Und die Glcklichen wie du habenwenigstens ein Zuhause.

    Robbie sah William entgeistert an. Wie meinstdu das? Hast du denn kein Zuhause, wo du hinkannst?

    William lachte bitter. Nein, hab ich nicht. Wasdenkst du denn, warum ich schon mit sechzehn Jah-ren zur Armee gegangen bin? Die meisten Jungendrcken in meinem Alter noch die Schulbank. Oder

    sie haben wenigstens eine Arbeit als Lehrling beiihrem Vater oder vielleicht bei einem Onkel.

    Robbie hob die Schultern. Peter war sechzehn, alser bei den Lanzenreitern anfing. Unser Vater war ge-storben und er dachte, das wre ein guter Weg, Geldzu verdienen und Mama zu untersttzen.

    Na ja, ist es ja auch, seufzte William. Nur ichhabe keinen Vater und keine Mutter. Hatte ich auchnie. Wenigstens kann ich mich nicht erinnern. DieArmee ist so das Familienhnlichste, was ich kenne,aber ich wette, die wollen keinen einbeinigen Gefrei-ten hier rumlaufen lassen.

    Robbie sa gedankenverloren da. William hatteRecht. Es war weitaus schlimmer, ein Bein zu ver-lieren als eine Hand. Trotzdem grbelte er finsterweiter, William konnte wenigstens noch Dinge tun,fr die man eben zwei Hnde bruchte, wie schnit-zen, Khe melken oder einen Nagel in die Wand

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    schlagen. Das wrde er, Robbie, alles niemals mehrknnen.

    Der Junge schttelte den Kopf, so als wolle er die ds-teren Gedanken abschtteln, wie ein Hund das Was-ser aus seinem Fell schttelt. Er musste sofort damitaufhren! Andernfalls wrde er verrckt werden vorlauter Selbstmitleid.

    Moment mal, sagte er zu William, blo, weil du

    nur noch ein Bein hast, heit das noch nicht, dass dudich nicht von der Stelle rhren kannst. Er rutschtevon der Holzplatte und stand auf noch ein bisschenunsicher auf den Beinen. Ich geh mal und besorgedir ein paar Krcken.

    Whrend er schlief, hatte jemand seine Uniform-

    jacke gewaschen und sie ihm sauber als Decke um-gelegt. War das Miss Nightingale gewesen? Jetzt zogRobbie die Jacke an. Den linken rmel lie er leerhngen und ging noch etwas wackelig zur Tr. Derbreite Flur war wieder vollgestopft mit Verwunde-ten. Er stieg vorsichtig ber Beine, Stiefel und andere

    Gliedmaen. Bei all dem versuchte er so wenig wiemglich zu atmen. Dieser Geruch nach Eiter und un-gewaschenen Menschen war ihm zwar nun bekannt,aber immer noch sehr unangenehm. Woher kamendenn all diese Mnner? Immer noch von der Schlachtbei Balaklava?

    Am Ende des Flures blieb er stehen, weil er nicht ge-nau wusste, nach welcher Seite er weitergehen sollte.Einer der rzte balancierte vorsichtig zwischen denVerletzten herum und versuchte Namen und Datenfestzustellen. Mister, rief Robbie laut, wo kannich Miss Nightingale finden?

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    Miss wen?, fragte der Arzt und hob nicht einmalden Kopf. Ach die Frau. Er deutete mit dem Dau-men nach links. Dort war wieder ein langer Gang.

    Robbie lief weiter. Entsetzt sah er berall Verletzteund Kranke liegen. Wenn das in dem Tempo wei-terging, wrde bald nicht mehr viel brig sein vonder britischen Armee.

    Er musste noch mehrfach nach dem Weg fragen, bis er

    endlich zwei kleine Zimmer ganz am Rand des Kran-kenhauses erreichte. Er schaute in das erste Zimmerund sah eine stattliche Anzahl von Frauen, dreiigoder vierzig, die dicht gedrngt hier warteten. Man-che saen auf Sthlen, andere auf dem Boden. Siealle trugen das gleiche Kleid aus graubraunem Woll-

    stoff, eine weie schmucklose Haube auf dem Kopf,und einen Schal locker um die Schultern gelegt. Ei-nige von ihnen rissen Stoffe in Streifen und rolltendie Bnder dann zu kleinen Ballen; andere nhtenlange Stoffstcke aneinander.

    Von Robbie nahm niemand Notiz und er traute sich

    kaum zu sprechen: Miss Nightingale, bitte?Nanu, wer ist denn das?, fragte die Frau, die ne- ben der Tr sa, freundlich. Mtterlich betrachtetesie ihn. Bist du nicht ein bisschen zu klein, um hierin dieser Ecke des Krankenhauses herumzustro-mern? Und du meine Gte, er hat seine Hand ver-

    loren, ach du Armer! Sie schluckte mitfhlend undzog ihn ins Zimmer. Ich bin Mrs. Roberts, Jungchen.Wie knnen wir dir helfen?

    Robbie stand ganz verdattert da. Das mussten wohldie Krankenschwestern sein, die Miss Nightingaleerwhnt hatte Frauen, die kranke Menschen pfle-

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    gen konnten! Aber warum saen sie hier herum wiebeim Kaffeekrnzchen, wenn drauen auf den FlurenHunderte von kranken und verwundeten Mnnernunversorgt dalagen?

    Die Hnde hielten alle inne und alle Augen starrtenihn an. Robbie bemerkte jetzt entsetzt, dass er seineGedanken wohl laut ausgesprochen hatte.

    Kein Wunder, dass du dich das fragst, mein Junge,

    sagte Miss Roberts begtigend. Wir haben MissNightingale selbst schon gefragt, warum das so ist.Von allen Seiten hrte man zustimmendes Gemur-mel. Aber in Armeekrankenhusern tut man sichschwer bei dem Gedanken, dass Krankenschwesternfr irgendetwas anderes gut sein knnten, als Fu-

    bden zu schrubben oder Bettwsche zu waschen wenn es welche zu waschen gbe. Gott wei, wieschlecht es damit bestellt ist. Sie seufzte und scht-telte den Kopf. Jetzt tun wir einfach, was im Hinter-grund mglich ist, um zu helfen. Wir reien Streifenfr Verbnde und nhen Betttcher fr die Betten.

    Robbie, der sich schon weit vorgewagt hatte, sagtergerlich: So tun Sies doch einfach! Wer kmmertsich darum, was diese dummen rzte denken? DieMenschen sterben da drauen! Seine Lippen zit-terten. Vielleicht liegt sogar mein Bruder da drau-en und wartet darauf, dass ihm jemand hilft!

    Nein, Robbie, wir knnen nicht einfach vorpreschenund das Kommando bernehmen, sagte eine ru-hige Stimme hinter ihm. Er fhlte Miss NightingalesHand auf seiner Schulter. Sie war gerade ins Zimmergekommen. Es braucht Zeit, bis die rzte sich anden Gedanken gewhnt haben, dass Krankenschwes-

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    tern ausgebildet sind, Menschen zu helfen und dieLeiden zu lindern. Militrrzten fllt das besondersschwer, weil sie in einer Mnnerwelt leben. Wenn wirihre Einstellung verndern wollen, mssen wir Ge-duld haben.

    Manchen der jngeren Krankenschwestern sah manihre Emprung an, aber sie wandten sich gleich wie-der ihrer Arbeit zu.

    Ich bin froh, dass du hier bist, Robbie, sagte MissNightingale, ich habe nmlich eine Nachricht frdich. Sie reichte ihm ein zusammengefaltetes Blatt,das mit Wachs versiegelt war. Das kam mit demSchiff, das die Verwundeten aus der Schlacht von In-kerman hierher brachte.

    Inkerman? Noch eine Schlacht? Robbie schaute aufdas Papier in seiner Hand. Eine Nachricht fr ihn?Sein Herz raste. Vielleicht

    Er sah Miss Nightingale gerade ins Gesicht. Ich kannnicht lesen, sagte er einfach und gab ihr den Briefzurck. Wrden Sie mir vorlesen, was da steht?

    Sie nickte kurz, ffnete das Siegel und las.

    An Robbie Robinson, Trommler, sechsundachtzigstes In-fanterieregiment mit freundlichen Gren.

    Am selben Tag, als ich dich an Bord der Andes zurck-

    lie, habe ich deinen Bruder ausgemacht, Peter Robinson,siebzehnte Lanzenreiter. Ich bedaure, mitteilen zu mssen,dass er bei dem Angriff der Leichten Brigade den Tod fand,zusammen mit seinem treuen Pferd Wolfgang. Ich habeselbst geholfen, deinen Bruder zu beerdigen. Er starb alsHeld, Robbie, als tapferer Soldat, der Befehle befolgte. Aber

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    ich wei, Robbie, dass dies deinen schmerzlichen Verlustnicht schmlert. Er starb, als der Angriff der Russen zu-rckgeschlagen wurde und du solltest wissen, dass Bala-klava immer noch in der Hand der Briten ist, auch wennein entsetzlich hoher Preis an Menschenleben dafr ge-zahlt werden musste.

    Wenn dieser Brief dich erreicht, hast du dich hoffentlichvon deiner Verletzung erholt. Bis wir uns wiedersehen

    bleibe ich dein FreundWilliam Russell

    The London Times

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    Ich bin Ihr Mann!

    Florence Nightingale faltete den Briefbogen zu-sammen und steckte ihn wieder in Robbies Hand.Es tut mir so leid, Robbie. Ich werde deiner Muttergleich einen Brief schreiben und ihr von Peters Todberichten. Sie hat ein Recht, es zu erfahren.

    Robbie stand wie versteinert da, mit trockenen Au-gen und stumm. Peter war tot. In der Schlacht ge-fallen. Gefallen in einem Selbstmordkommando vonsechshundert Reitern der Leichten Kavallerie, diemit Lanzen und Sbeln gegen dreitausend russischeReiter und Kanonenschsse von drei Seiten angetre-

    ten waren.In diesem Augenblick schlngelten sich zwei rztemit einer Bahre durch den berfllten Flur. DerMann auf der Bahre war tot. Robbie nahm keine No-tiz davon. Aber Florence Nightingale legte sacht ih-ren Arm um seine Schultern und sagte leise: Dut-

    zende von Mnnern sterben hier jeden Tag, nachdemsie tage- oder sogar wochenlang leiden mussten. Pe-ter hat sicher nicht sehr lange gelitten, als er auf demSchlachtfeld starb. Vielleicht war das ein Segen.

    Robbie wusste nicht genau warum, aber erfhlte sich von ihren Worten getrstet. Er

    wusste, dass Peter sich eher dies ausge-sucht htte: als Soldat in der Schlachtauf dem offenen Feld zu sterben undnicht als Patient in einem berfllten,stinkenden, dunklen Loch von Kran-kenhaus.

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    Ich brauche Krcken, sagte er.

    Miss Nightingale war berrascht von der pltzlichen

    Bitte.Fr meinen Freund William, schob Robbie eine Er-klrung nach.

    Verstehe. Sie sah ihn nachdenklich an. Du hastvollkommen Recht, Robbie. Wir brauchen Krcken jede Menge Krcken und auerdem noch vieleandere Dinge: mehr Toiletteneimer und Spucknpfe,mehr Handtcher und mehr Seife, mehr Matratzenund mehr Bettlaken, mehr Besen und mehr Aufneh-mer Ihre Stimme erstarb und sie runzelte dieStirn, offensichtlich tief in Gedanken versunken.

    Pltzlich wandte sie sich an Robbie. Robbie, ich brauche deine Hilfe. Im Augenblick drfen meineKrankenschwestern und ich uns nicht frei bewegenin diesem Krankenhaus. Das bedeutet, dass wir nichtberall hingehen drfen. Obwohl wir vom Kriegs-ministerium hierher geschickt worden sind, habendoch Dr. Menzies, oberster Offizier bei den Sanit-tern und Major Sillery, der Krankenhausdirektor, dasSagen, wenn es darum geht, was genau wir hier inder Klinik drfen und was nicht. Und diese beidenhaben nicht vor, rzte wie Dr. Hall zum Beispiel vorden Kopf zu stoen, der berhaupt nichts von Frauenin medizinischen Berufen hlt.

    Aber wie kann ich Ihnen dann helfen?, fragteRobbie verwirrt.

    Sie senkte ihre Stimme. Ich brauche dich als meineAugen und Ohren. Da du ja einer der Patienten bist,wird niemand fragen, warum du durch das Kran-

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    kenhaus lufst, um dir ein wenig Bewegung zu ver-schaffen. Ich muss wissen, was die Klinik an Vor-rten hat und, noch wichtiger, was alles fehlt, aberdringend gebraucht wird. Sie betrachtete Robbieeingehend. Auerdem knnte ich, wenn du dich einwenig krftiger fhlst, einen Boten gebrauchen je-manden, der sich auskennt, jemanden, der nach Scu-tari gehen knnte Sie brach ab und lchelte ihnan: Verzeih mir, vielleicht ist das noch ein bisschen

    zu viel verlangt. Schlielich erholst du dich ja nochvon der Operation und auerdem

    Nein, protestierte Robbie. Das ist berhaupt nichtzu viel. Er merkte, wie sich zaghaft Hoffnung in seinHerz schlich, eine kleine Freude, die den Schmerzlinderte, der ihn durch die Nachricht von Peters Tod

    bermannt hatte. Miss Nightingale brauchte ihn. Mitverschmitztem Lcheln hob er seine