Flugblatt: Haider - Tod eines ArbeiterInnenfeindes

4
M it dem Unfalltod von Jörg Haider in der Nacht vom 10. auf den 11.Oktober 2008 hat einer der raffiniertesten Klassenkämpfer auf Seiten der österreichischen Bou- rgeoisie die politische Bühne verla- ssen. Der politische Aufstieg Jörg Haiders, der seit 1979 als FPÖ-Abgeordneter im Nationalrat saß, war untrennbar mit der Geschichte des deutschnationalen Flügels der FPÖ verbunden. Als Mitglied der Turnerjugend und "Bundesjugend- führer" des RFJ, als Mitglied der schlag- enden - Verbindung "Silvania" war klar, wes (Un)Geistes Kind der re- degewandte Oberösterreicher war, der es trotzdem verstand, sich als jugendli- cher Rebell zu positionieren. Nachdem er und seine Gefolgsleute im Herbst 1986 dem liberalen FP-Vorsitzenden Ste- ger auf dem Parteitag in Innsbruck die Macht in der Partei entreissen konnten und die Koalition mit der SPÖ unter Vranitzky platzte, führte Haider seinen ersten Wahlkampf gegen das "Establish- ment", gegen die "Privilegienritter“ und – um es mit seinen Worten auszu- drücken – gegen den „rotschwarzen Filz in diesem Land“. Der Aufstieg Jörg Haiders war kei- ne österreichische Zufälligkeit. Er voll- zog sich in einer Phase, in der weltweit reaktionäre bürgerliche Regierungen (Thatcher in England, Reagan in den USA) daran gingen, die Errungenschaf- ten der ArbeiterInnen anzugreifen und zu zerschlagen. Nach der welthistorischen Niederla- ge des internationalen Proletariats durch die Zerschlagung der Sowjetuni- on und die Restauration des Kapitalis- mus in Osteuropa begann europaweit Jörg Haider: Anmerkungen zum Tod eines ArbeiterInnenfeinds K K L L A A S S S S E E N N K K A A M M P P F F f f ü ü r r R R ä ä t t e e m m a a c c h h t t u u n n d d R R e e v v o o l l u u t t i i o o n n Im Februar 2000 fällt die Maske: Der „Robin Hood“ und „Freund des kleinen Mannes“ zeigt sich als Pensionsräuber und Aussackler.

description

Welche Auswirkungen hat der Tod Jörg Haiders auf die innenpolitische Lage?

Transcript of Flugblatt: Haider - Tod eines ArbeiterInnenfeindes

Mit dem Unfalltod von Jörg Haider in der Nacht vom 10.

auf den 11.Oktober 2008 hat einer der raffiniertesten Klassenkämpfer auf Seiten der österreichischen Bou-rgeoisie die politische Bühne verla-ssen.

Der politische Aufstieg Jörg Haiders, der seit 1979 als FPÖ-Abgeordneter im Nationalrat saß, war untrennbar mit der Geschichte des deutschnationalen Flügels der FPÖ verbunden. Als Mitglied der Turnerjugend und "Bundesjugend-führer" des RFJ, als Mitglied der schlag-enden - Verbindung "Silvania" war klar, wes (Un)Geistes Kind der re-degewandte Oberösterreicher war, der es trotzdem verstand, sich als jugendli-cher Rebell zu positionieren. Nachdem er und seine Gefolgsleute im Herbst 1986 dem liberalen FP-Vorsitzenden Ste-ger auf dem Parteitag in Innsbruck die Macht in der Partei entreissen konnten und die Koalition mit der SPÖ unter Vranitzky platzte, führte Haider seinen ersten Wahlkampf gegen das "Establish-ment", gegen die "Privilegienritter“ und – um es mit seinen Worten auszu-

drücken – gegen den „rotschwarzen Filz in diesem Land“.

Der Aufstieg Jörg Haiders war kei-ne österreichische Zufälligkeit. Er voll-zog sich in einer Phase, in der weltweit reaktionäre bürgerliche Regierungen (Thatcher in England, Reagan in den USA) daran gingen, die Errungenschaf-ten der ArbeiterInnen anzugreifen und zu zerschlagen.

Nach der welthistorischen Niederla-ge des internationalen Proletariats durch die Zerschlagung der Sowjetuni-on und die Restauration des Kapitalis-mus in Osteuropa begann europaweit

Jörg Haider: Anmerkungen zum Tod eines ArbeiterInnenfeinds

KKLLAASSSSEENNKKAAMMPPFFffüürr RRäätteemmaacchhtt uunndd RReevvoolluuttiioonn

Im Februar 2000 fällt die Maske: Der „Robin Hood“ und „Freund des kleinen Mannes“ zeigt sich als Pensionsräuber und Aussackler.

der Aufstieg rechter Populisten. Die FührerInnen der Sozialdemokratie, ebenso wie die der meisten "reform-kommunistischen" Parteien, wandten sich im Eilzugstempo sogar auf dem Pa-pier vom Sozialismus ab. Das Ziel der Operation war klar: Angesichts des tri-umphierenden Imperialismus, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, woll-ten die traditionellen reformistischen BürokratInnen rechtzeitig ihre Schäf-chen ins Trockene bringen und das de-moralisierte und entpolitisierte

Proletariat als Morgengabe vorweisen.Haider nutzte die Unzufrieden-

heit wachsender Teile des Proletari-ats mit der sozialdemokratischen Führung als Regierungspartei, um von der rechten Seite einen Flanken-angriff zu starten.

Die von den ReformistInnen be-wusst mitgetragene und im ÖGB orga-nisierte Spaltung der ArbeiterInnen in "In- und AusländerInnen" bot den idea-len Nährboden für ausländerfeindliche Parolen, mit denen Haider an die zu-rückgebliebensten Schichten des Proleta-riats und deklassierte Elemente, die aus

dem Arbeitsprozess herausgefallen wa-ren, appellierte. Während revolutio-näre MarxistInnen die Sozialpartnerschaft als klassenversöhn-lerischen Betrug in- und außerhalb der Gewerkschaften bekämpft und ange-prangert hatten, drehte die Haider-FPÖ mit ihren Parolen gegen "Partei-enfilz" und "Bonzokratie" die Kritik an diesen untauglichen Mitteln zur Ver-besserung der sozialen Lage der arbei-tenden Bevölkerung in ihr genaues Gegenteil. Letztlich sollte die Macht der Gewerkschaften gebrochen und eine Interessensvertretung maximal noch auf Betriebsebene möglich sein - was sich unter anderem in der "ideologischen Missgeburt" der gel-ben Gewerkschaft FGÖ nieder-schlug.

Haiders Aufstieg ist das Nebenpro-dukt des unaufhörlichen Niederganges der traditionellen Partei der österreichi-schen ArbeiterInnen, der SPÖ. Hatte die SP seit den 80er Jahren davon ge-zehrt, dass die österreichische Bour-geoisie keine wirkliche politische Alternative zu einer regierenden Sozial-demokratie hervorbrachte, konnte Hai-ders FPÖ, unbelastet vom Postenschacher des Proporzsystems, als neuer Besen, der das "verrottete Sys-tem" umkrempeln wolle, sowohl bei knallharten Wirtschaftsliberalen wie Prinzhorn oder Mautner-Markhof punkten, zugleich aber auch durch ei-ne "radikal-soziale" Rhetorik unzufrie-denen SPÖ-AnhängerInnen Sand in die Augen streuen.

Die schwarz-blaue Wenderegierung ab Februar 2000 machte klar, auf wes-sen Seite die "Partei des kleinen Man-nes" wirklich stand. Dass Haider als

Die von den ReformistInnen bewusst mitgetragene und im ÖGB organisierte Spaltung der ArbeiterInnen in "In- und AusländerInnen" bot den idealen Nährboden für ausländerfeindliche Parolen, mit denen Haider an die zurückgebliebensten Schichten des Proletariats und deklassierte Elemente, die aus dem Arbeitsprozess herausgefallen waren, appellierte.

unberechenbarer eitler Miniaturführer nicht zum Vizekanzler oder gar Kanz-ler taugte, war der Bourgeoisie klar. Als politisches Ausgedinge blieb ihm immer noch Kärnten.

Dieser politische Rückzug nach Kärnten im Jahr 2000 nach der Regie-rungsbildung war gleichzeitig der Ver-such, seiner eigenen politischen Entzauberung entgegen zu wirken. Große Teile der österreichischen Arbei-terInnenklasse hatten zu begreifen be-gonnen, dass Jörg Haider nicht „Einer von uns“ sondern ein reicher Groß-grundbesitzer ist, von dem außer Sozial-abbau, Gebührenerhöhungen, Pensionskürzungen und Steuergeschen-ke für die Reichen wenig zu erwarten ist. Das Sunnyboyimage mit Schüssel im Porsche Cabrio am Wörthersee konnte dann doch nicht die massiven Verschlechterungen verdecken, die Schwarzblau mit sich brachte. Wir erin-nern uns mit Schaudern an „High-lights“ wie Studiengebühren, Ambulanzgebühren, Unfallrentenbe-steuerung, Verdoppelung des Preises der Autobahnvignette, massive Erhö-hung der Kosten für Reisepässe und Personalausweise, Verschärfung der Aufenthaltsgesetze und last but not least die massivsten Verschlechterun-gen im österreichischen Pensionssys-tem seit seinem Bestehen, um nur die wichtigsten zu nennen.

Mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ ging es für die Partei Jörg Hai-ders stetig bergab. Ein Wahldebakel jag-te das andere. In dieser für das rechte Lager fast aussichtslosen Situation (7 % Stimmenanteil bei Umfragen) inszenier-te Haider im Frühjahr 2005 mit der Gründung des BZÖ die Spaltung der

FPÖ, um dem durch eine monatelange Persönlichkeitskampagne bereits in Po-sition gebrachten Nachfolger H. C. Strache ein gutes Ergebnis für die Wie-ner Landtagswahlen zu ermöglichen. Viele angelinkste zivilgesellschaftliche Intellektuelle sahen mit der Spaltung der FPÖ das Problem Rechtsextremis-mus in Österreich als erledigt. Diese Stimmung brachte Elfriede Jelinek mit ihrer Aussage „sie genieße und schwei-ge“ zum Ausdruck.

Die FPÖ hatte also als vermeintli-che politische Leiche ausreichend Zeit, die Wunden zu lecken und Kräfte zu sammeln. Mit inszenierten verbalen Schaukämpfen Strache – Haider blie-ben die in Richtung neofaschistischen Populismus gehenden Bruderparteien im Gespräch. Strache konnte sich als Newcomer mit Handschlagsqualitäten präsentieren und Jörg Haider baute mit dem BZÖ einstweilen eine FPÖ light auf, die sich selbstverständlich nicht als „kuschelig kleine Rechtspar-tei“ wie die eigentliche FPÖ verstehen wollte.

Bei der Nationalratswahl 2006 stand es auf des Messers Schneide, ob dieses Kalkül aufgehen sollte. Doch das Glück war Haiders BZÖ hold und der Einzug in den Nationalrat wurde mit 4,3 % gerade noch geschafft. Der große Coup gelang Haider bei der NR-Wahl 2008: Während H. C. Strache längst Haiders Rolle als jugendlich wir-

Viele angelinkste zivilgesellschaftliche Intellektuelle

sahen mit der Spaltung der FPÖ das Problem Rechtsextremismus in

Österreich als erledigt.

Eigentümer, Herausgeber, Verleger: Gruppe Klassenkampf. Druck und Herstellungsort: Wien

kender „Einer von uns“-Außenseiter übernommen hatte, gab sich das „Origi-nal“ Haider vor allem bei Fernsehauf-tritten souverän, gereift und staatsmännisch.

Auf Wahlebene profitierten FPÖ und BZÖ davon, dass die SPÖ durch ihren großkoalitionären Ku-schelkurs mit der ÖVP nicht nur ih-re Wahlversprechen gebrochen hatte, sondern maßgeblich an neuen Belastungen, der Ausbreitung der Massenarmut und den Preissteigerun-gen mitgewirkt hatte.

Das rechte Lager konnte mit über 28 % Stimmenanteil sogar das Ergebnis der Nationalratswahl 1999 (fast 27 %) toppen. Bereits wenige Tage nach der Wahl hat das Duo Strache/Haider mit der behutsamen Beendigung der Zwei-Parteien-Taktik begonnen und eine mögliche Regierungszusammenarbeit von FPÖ und BZÖ verkündet.

Getreu dem Motto "Speed kills", mit dem Schwarz-Blau ab Februar

2000 die Errungenschaften der arbei-tenden Bevölkerung in Österreich im Brausetempo zerstörte, raste Haider in den Tod.

Die österreichische ArbeiterInnen-klasse weint ihm keine Träne nach.Ver-mutlich wird es nun am extrem rechten Rand des bürgerlichen Partei-enspektrums zu Umgruppierungen kommen. Im Gegensatz zu den Journa-listInnen und KommentatorInnen der bürgerlichen Medien wissen wir Mar-xistInnen, dass nicht Individuen den Kurs der Geschichte prägen, sondern Klassen, die in besonders angespann-ten Situationen entsprechende Füh-rungsgestalten hervorbringen, in denen sich die Interessen relevanter Fraktionen widerspiegeln. Wir werden sehr genau beobachten, wer die Stelle Haiders einnimmt. Wir werden sei-nem Nachfolger genauso entgegentre-ten wie seinem Vorgänger.

Gruppe Klassenkampf, Ende Oktober 2008

Kontakt: [email protected]

Gruppe KlassenkampfStiftgasse 8A-1070 Wien

www.klassenkampf.net.tfUnsere Zeitung KLASSENKAMPF berichtet über österreichische und internationale Klassenkämpfe, wirtschaftliche und soziale Fragen und ergreift, ausgehend von der Theorie des revolutionären Marxismus, Partei für die Ausgebeuteten und Unterdrückten.Der Marxistische Studienzirkel ist ein von der Gruppe Klassenkampf angeregter Schulungskreis, in dem sich interessierte GenossInnen die theoretischen Grundlagen für ihre politische Arbeit erarbeiten können.