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n Empfehlungen zu institutionellen Maßnahmen der Universitätsmedizin zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis n Interessenkonflikte in der klinischen Arzneimittelforschung – Herausforderungen und Handlungsansätze n Forschung bei fraglicher Einwilligungsfähigkeit: ethische Herausforderungen und Entscheidungsassistenz n Patientenversorgung im Krankhaus unter finanziellem Druck: Herausforderungen und Lösungsansätze aus ethischer Perspektive n Normative Governance der Big Data Forschung n Tierversuche verstehen: Transparenz und proaktive Kommunikation über tierexperimentelle Forschung n Klinische Studien an Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Hirnerkrankungen: Qualität präklinischer Evidenz im ethischen Kontext n Agendasetting in der Forschung n Erkenntnisgewinn durch Praxis: Neue Wege in der Doktorand/innenausbildung 11. Jahrgang ISSN 1868 - 1654 www.universitaetsverlagwebler.de Medizinethik 2+3 UVW UniversitätsVerlagWebler 2018 Forschung Politik - Strategie - Management Fo

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n Empfehlungen zu institutionellen Maßnahmen der Universitätsmedizin zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis

n Interessenkonflikte in der klinischen Arzneimittelforschung – Herausforderungen und Handlungsansätze

n Forschung bei fraglicher Einwilligungsfähigkeit: ethische Herausforderungen und Entscheidungsassistenz

n Patientenversorgung im Krankhaus unter finanziellem Druck: Herausforderungen und Lösungsansätze aus ethischer Perspektive

n Normative Governance der Big Data Forschung

n Tierversuche verstehen: Transparenz und proaktive Kommunikation über tierexperimentelle Forschung

n Klinische Studien an Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Hirnerkrankungen:

Qualität präklinischer Evidenz im ethischen Kontext

n Agendasetting in der Forschung

n Erkenntnisgewinn durch Praxis: Neue Wegein der Doktorand/innenausbildung

11. Jahrgang ISSN 1868 - 1654

www.universitaetsverlagwebler.de

Medizinethik

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UVW UniversitätsVerlagWebler

2018

ForschungPolitik - Strategie - Management

Fo

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Herausgeberkreis

Jutta Allmendinger, Prof. Ph. D., Präsidentin, Wissenschafts-zentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH Berlin

Bernd Ebersold, Dr. rer.pol., Leiter der Abteilung Forschung,Technologie und Innovation im Thüringer Ministerium fürWirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, Erfurt,ehem. Geschäftsführer Jacobs-Foundation, Zürich, früherstellv. GenSekr. MPG

Reinhard Hüttl, Prof. Dr. rer. nat., Dr. h. c., Präsident acatech,Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Vorstands-vorsitzender des GeoForschungsZentrums Potsdam, Bran-denburgische Technische Universität Cottbus, ehemaligerVorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission des Wis-senschaftsrates

Hans-Gerhard Husung, Dr. phil., Staatssekr. a. D., ehem. Ge -neralsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz(GWK), Bonn

Hinweise für die Autor/innen

Impressum

In dieser Zeitschrift werden i.d.R. nur Originalbeiträge publiziert.Sie werden doppelt begutachtet. Publikationsentscheidungenergehen i.d.R. binnen 6 Wochen. Die Autor/innen versichern,den Beitrag bis zu einer Publikationsentscheidung der Herausge-ber (für maximal 3 Monate) keinem anderen Medium zur Veröf-fentlichung anzubieten. Beiträge werden nur dann angenom-men, wenn die Autor/innen den Gegenstand nicht in vergleich-barer Weise in einem anderen Medium behandeln. Senden Siebitte das Manuskript als Word-Datei und Abbildungen als JPG-Dateien per E-Mail an die Redaktion (Adresse siehe Impressum).

Wichtige Vorgaben zu Textformatierungen und beigefügtenFotos, Zeichnungen sowie Abbildungen erhalten Sie in den„Autorenhinweisen” auf unserer Website:www.universitaetsverlagwebler.de

Ausführliche Informationen zu den in diesem Heft aufgeführtenVerlagsprodukten erhalten Sie ebenfalls auf der zuvor genann-ten Website.

Wilhelm Krull, Dr. phil., Generalsekretär der Volkswagenstif-tung, Hannover; Vorsitzender des Aufsichtsrates des öster-reichischen Fonds zur Förderung der WissenschaftlichenForschung (FWF)

Stefan Kuhlmann, Prof. Dr. rer. pol., University of Twente, ChairFoundations of Science, Technology and Society, School ofManagement and Governance, Enschede (NL)

Christiane Neumann, Ass. Jur., ehem. Generalsekretärin derLeibniz-Gemeinschaft, Berlin

Christian Scherf, Ass. jur., Verwaltungsdirektor, EuropeanMolecular Biology Laboratory (EMBL), Heidelberg

Michael Stampfer, Dr. jur., GenSekr. WWTF Wien – WienerWissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds, Wien

Wolff-Dietrich Webler, Prof. Dr. rer. soc., ehem. Professor ofHigher Education, University of Bergen (Norway), Leiterdes Instituts für Wissenschafts- und Bildungsforschung Bie-lefeld (IWBB)

Verlag, Redaktion, Abonnementsverwaltung:UVW UniversitätsVerlagWeblerDer Fachverlag für HochschulthemenBünder Straße 1-3 (Hofgebäude), 33613 BielefeldTel.: 0521 - 92 36 10-12, Fax: 0521 - 92 36 10-22,E-Mail: [email protected]

Satz: UVW, E-Mail: [email protected]

Anzeigen:Die Zeitschrift „Forschung” veröffentlicht Verlagsanzeigen, Aus-schreibungen und Stellenanzeigen. Aufträge sind an den Verlagzu richten.

Erscheinungsweise: 4mal jährlich

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 10.09.2018

Umschlagsgestaltung & Grafik:Wolff-Dietrich Webler, Bielefeld. Gesetzt in der Linotype Syntax Regular.

Druck:Sievert Druck & Service GmbH,Potsdamer Str. 220, 33719 Bielefeld

Abonnement/Bezugspreis: (zzgl. Versandkosten)Jahresabonnement: 92 Euro Einzelheft: 26,50 Euro Doppelheft: 48 EuroAbobestellungen und die Bestellungen von Einzelheften sindunterschrieben per Post, E-Mail oder Fax an den Verlag zu rich-ten. Das Jahresabonnement verlängert sich automatisch um einJahr, wenn es nicht 6 Wochen vor Jahresende gekündigt wird.

Copyright: UVW UniversitätsVerlagWeblerDie mit Verfassernamen gekennzeichneten Beiträge geben nichtin jedem Falle die Auffassung der Herausgeber bzw. Redaktionwieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte/Rezenzionsex-emplare wird keine Verpflichtung zur Veröffentlichung/Bespre-chung übernommen. Sie können nur zurückgegeben werden,wenn dies ausdrücklich gewünscht wird und ausreichendesRückporto beigefügt ist. Die Urheberrechte der hier veröffent-lichten Artikel, Fotos und Anzeigen bleiben bei der Redaktion.Der Nachdruck ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verla-ges gestattet.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheber-rechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässigund strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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2+3 2018

ForschungPolitik - Strategie - Management

11. Jahrgang ISSN 1860 - 3068 Fo

Einführung der geschäftsführenden Herausgeberin

Seitenblick auf die Schwesterzeitschriften

IVHauptbeiträge der aktuellen Hefte HSW, HM, P-OE, ZBS, QiW & IVI

Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte

29Von Henrike Hartmann

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Stefan Treue & Roman StillingTierversuche verstehenTransparenz und proaktive Kommunikation über tierexperimentelle Forschung

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Annette Grüters-KieslichEmpfehlungen zu institutionellen Maßnahmen der Universitätsmedizin zur Sicherung der gutenwissenschaftlichen Praxis

Meldungen

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Ulrich Dirnagl & Mark YarboroughKlinische Studien an Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Hirnerkrankungen: Qualität präklinischer Evidenz im ethischen Kontext

Entwicklung, Strategie & politische Gestaltung

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Klaus LiebInteressenkonflikte in der klinischen Arzneimittelforschung– Herausforderungen und Handlungsansätze

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41

Julia Haberstroh, Matthé Scholten, Theresa Wied & Astrid GieselmannForschung bei fraglicher Einwilligungsfähigkeit: ethischeHerausforderungen und Entscheidungsassistenz

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Georg MarckmannPatientenversorgung im Krankhaus unter finanziellemDruck: Herausforderungen und Lösungsansätze aus ethischer Perspektive

53Daniel StrechNormative Governance der Big Data Forschung

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Christian BehlKommentar: Agendasetting in der Forschung

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Cornelia SoetbeerErkenntnisgewinn durch Praxis: Neue Wege in der Doktorand/innenausbildung

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Fo 2+3/2018II

Erhältlich im Fachbuchhandel und direkt beim Verlag – auch im Versandbuchhandel (aber z.B. nicht bei Amazon).

Bestellung – E-Mail: [email protected], Fax: 0521/ 923 610-22

Neuerscheinung in der Reihe: Motivierendes Lehren und Lernen in Hochschulen

Stephan Jolie (Hg.)

Internationale Studiengänge in den Geistes- und Kulturwissenschaften:Chancen, Perspektiven, Herausforderungen

Der vorliegende Sammelbandwidmet sich jenen Aspekten,die für die Internationalisie-rung der Lehre gerade in denGeistes- und Kulturwissen-schaften von besonderer Re-levanz sind:Sprachliche Vielfalt – Interna-tionale Studiengänge habenbeinahe immer das Englischeals Unterrichtssprache. Ist dasaus pragmatischen Gründenunumgänglich oder gibt esKonzepte, wie auf diesemFeld die Geistes- und Kultur-wissenschaften ihrem Auftragder Pflege und Förderung dersprachlichen Vielfalt gerechtwerden können?International Classroom – DieStudierendenschaft interna-tionaler Studiengänge ist inbesonderem Maße inhomo-gen. Wie kann das, was dieStudierenden an unterschied-lichem fachlichen, kulturellenund sozialen Wissen mitbrin-gen, als Chance begriffen undnutzbar gemacht werden, gerade auch für die Studien -inhalte?Employability – Der Übergangvon der Universität in die Be-rufswelt stellt in den Geistes-und Kulturwissenschafteneine besondere Herausforde-rung dar. Durch welche Kon-zepte und Maßnahmen kön-nen schon während des uni-versitären Studiums Berufs-fähigkeit und berufsbefähi-gende Kompetenzen sinnvollgefördert werden, insbeson-dere – aber nicht nur – in in-ternationalen Studiengängen?

Bielefeld 2018, 126 Seiten,ISBN 978-3-946017-12-7, 21.30 Euro zzgl. Versand

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E in füh rung de rges chä f t s füh renden He rausg ebe r inFo

Die biomedizinische Forschung steht vor zunehmendenHerausforderungen, was die selbstkritische Reflexion unddas beherzte Anwenden ethischer Kategorien belangt.Man hat fest im Blick, welche Wirkung wissenschaftlicheBefunde auf die eigenen Peers und Drittmittelgeberhaben bzw. haben sollen. Aber wer kümmert sich umden Verlust von Vertrauen und Glaubwürdigkeit, wenngefälschte Forschungsergebnisse auffliegen, Befunde inzweifelhaften Predatory Journals erscheinen und For-schungsziele entgegen vorheriger lautstarker Ankündi-gungen nicht erreicht werden? Wen also kümmert, wiemedizinische Forschung von jenen wahrgenommen wird,die am Ende dauernd und direkt betroffen sind: die Bür-gerinnen und Bürger. Unsere Gesellschaft.Bislang übernehmen vor allen Dingen die Medien die kri-tische ethische Reflexion, zu der die Fachcommunityselbst nur unzureichend in der Lage ist: Nach der Veröf-fentlichung des Bauplans für ein längst ausgestorbenesPockenvirus wurde von Journalisten die Frage diskutiert,ob diese Art von Forschung wirklich eine Verbesserungder medizinischen Versorgung im Blick habe oder eherdie Profilierung der beteiligten kanadischen Forscher-gruppe, der man zudem vorwarf, nicht unerhebliche Si-cherheitsrisiken für große Teile der Bevölkerung missach-tet zu haben. Auch die erste Klonierung von Primaten ineinem chinesischen Labor oder die Verpflanzung vonmenschlichem Hirngewebe in das Hirn einer Maus wer-fen ethische Fragen auf, die außerhalb der Wissenschaftvon einem verantwortungsvollen Wissenschaftsjournalis-mus kritisch beleuchtet werden. Zu Recht appellieren siean die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auchethische Überlegungen in ihre Forschungsarbeit zu inte-grieren, sich an den Prinzipien guter wissenschaftlicherPraxis auszurichten, keine übertriebenen Erwartungenhinsichtlich des erzielbaren Erkenntnisfortschritts zuwecken und bei Forschungsthemen mit gesellschaftlicherRelevanz aktiv den Dialog mit den Akteuren außerhalbder Scientific Community zu suchen. Nun sind gefälschte Daten, unsolide Forschungsdesigns,„Fake Publikationen“ oder problematisches Kommunikati-onsverhalten sicher kein alleiniges Problem der biomedizi-nischen Forschung. Eine eingehendere Betrachtung legt je-doch den Schluss nahe, dass solche Fehlentwicklungen inder Biomedizin und der klinischen Forschung besondersausgeprägt sind. Gleichzeitig ruht auf dieser Forschungein immenser Erwartungsdruck seitens der Gesellschaft,da die Forschungsthemen und die versprochenen und er-hofften Durchbrüche von unmittelbarer Relevanz für Pati-enten und deren Angehörige sind. Diese sind dann auchunmittelbar betroffen von Fehlschlägen und enttäuschtenHoffnungen, die sich u.a. aus mangelhaft durchgeführterGrundlagenforschung, schlechter Datenbasis oder unzu-reichender Konzeption klinischer Studien ergeben. Aber auch die ethische Dimension gewinnt gerade inder Biomedizin an wachsender Bedeutung: Die Erschaf-fung von Designerbabys durch neue Möglichkeiten derGenomeditierung, die Frage des Zugangs zu und dieAuswertung von intimen persönlichen Gesundheitsda-ten, Big Data Forschung und der Einsatz von KünstlicherIntelligenz – all dies sind aktuelle Beispiele für Themen,die unsere Zukunft radikal verändern können und des-halb in den öffentlichen Diskurs gehören.

Medizinische Forschung im Dienste der Gesellschaftsetzt voraus, dass sich alle Akteure mit den ethischenImplikationen ihres Handelns kontinuierlich auseinan-dersetzen und hierdurch gesellschaftliche Verantwor-tung für ihr Tun übernehmen. Diese Verantwortung be-zieht sich auf alle Phasen der medizinischen Forschung,angefangen von Grundlagenforschung bis hin zur Arbeitan und mit den Patienten in großen klinischen Studien.Dies schließt auch unabdingbar den Dialog mit anderenAkteuren ein, sowohl innerwissenschaftlich als auch imbreiteren gesellschaftlichen Kontext. Nur so kann Ver-trauen aufgebaut und erhalten werden, das die Grund-voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz undUnterstützung jeglicher Art von Forschung bildet. Die Gestaltung von Rahmenbedingungen, in denen krea-tive, produktive, unabhängige und ethisch verantwor-tungsvolle Forschung erfolgen kann, liegt gleichermaßenin den Händen institutioneller Entscheidungsträger alsauch in der Verantwortung der Wissenschaftspolitik, dernationalen und internationalen Wissenschaftsförderer,den wissenschaftlichen Verlagen und nicht zuletzt beiden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst. Die unterschiedlichen Akteure des Wissenschafts- undForschungssystems haben hierbei zahlreiche Gestal-tungsmöglichkeiten, die jedoch aufeinander abgestimmtund konzertiert genutzt werden müssen, um nachhaltigwirksam zu werden. Was bedeutet dies im Einzelnen? Auf der Ebene der Forschungsinstitutionen müssen sicht-bare Fehlentwicklungen aufgrund von Fehlanreizen korri-giert und dabei die ureigenen Mechanismen guter wis-senschaftlicher Praxis als Leitlinie angewandt werden.Dies bedeutet, dass die Falsifizierung einer wissenschaft-lichen Hypothese nicht als „negatives Ergebnis“ oder garals „Scheitern“ einzustufen ist, sondern als zielführenderSchritt im wissenschaftlichen Erkenntnis prozess. Nur sokann gewährleistet werden, dass Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler bereit sind, in der Grundlagenfor-schung auch gewagte oder alternative Forschungshypo-thesen jenseits des Mainstreams zu verfolgen, denengleichermaßen Risiko und Potenzial innewohnen. Dieserfordert seitens der Institutionen den Verzicht auf eineübertriebene Fokussierung auf quantitative Parameterwie Publikationszahlen und Impact Faktoren zu Gunstenverstärkter Aufmerksamkeit für die Reproduzierbarkeitund Reproduktion wissenschaftlicher Ergebnisse. Nötigist auch ein zurückhaltenderer Umgang mit Rankingsaller Art, auch institutionellen, weil deren Kriterien oftgenug selbst Fehlanreize darstellen.

Henrike Hartmann

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Einführung der geschäftsführenden Herausgeberin Fo

Fo 2+3/2018

1 Hacker, J./Krull, W./Lohske, M./Strohschneider, P. (2018): Wie sich die Qua-lität verbessern lässt. In: FAZ vom 12.07.2018, S. 6. Online unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/hoch-schule/auswahl-von-forschern-wie-sich-die-qualitaet-der-auswahl-verbessern-laesst-15685958.html (30.08.18).

Die Verbesserung der institutionellen Rahmenbedin-gungen beinhaltet auch die Pflege einer guten For-schungs- und Führungskultur, die inspiriert ist vom Wis-sen um den Wert der Freiheit und der Unabhängigkeitvon Wissenschaft und die von Führungspersonen aufallen Ebenen vorgelebt und weitergegeben wird. Vor-aussetzung dafür ist eine wertschätzende Kommunika -tions- und Fehlerkultur sowie der verantwortungsvolleUmgang mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs, ein -schließlich der Schaffung verlässlicher Karrierewege ins-besondere im Bereich der Clinical Scientists. Nur sokann letztendlich nachhaltiger Fortschritt mit relevanterPerspektive für einen erfolgreichen Transfer in die Klinikgewährleistet werden. Große Verantwortung kommt in diesem Kontext auchden Forschungsförderern zu, die durch ihr Handelnebenfalls Fehlanreize korrigieren und positive Kulturver-änderungen gestalten können. Ein wichtiger Beitrag sindAusschreibungen mit einem klaren Rahmen, der deut-lich macht, dass man weder auf die Werberhetorik mitüberhöhten Versprechungen hereinfällt noch unoriginel-le Forschung mit Fördermitteln belohnt. Eine Förder -agenda, die im Bereich der Biomedizin auch die Inves -tition in Replikationsstudien oder die bewusste/strategi-sche Unterstützung alternativer Forschungshypothesenvorsieht – unterstützt mit Mitteln für Wissenschaftskom-munikation – kann wichtige Signale setzen. Gute Qualität in der biomedizinischen Forschung wirdauch durch das Einfordern von adäquatem Datenmana-gement begünstigt, durch Datenschutz und Datensicher-heit sowie angemessene Statistik beim Versuchsdesign. Eine weitere zentrale Gestaltungsmöglichkeit für denForschungsförderer liegt in der Gestaltung des Begut-achtungsverfahrens, angefangen von einer angemesse-nen und immer wieder veränderten Gremienbesetzungbis hin zu klar definierten und im Prozess eingefordertenBegutachtungskriterien, die zuvorderst das Potenzialeines Ansatzes betreffen und nicht die bisherige Publika-tionstätigkeit eines Antragstellers. Zur angemessenenPersonalauswahl haben Hacker et al. vor kurzem zehnPrinzipien aufgestellt, die hier eine gute Leitlinie bil-den1. Letztendlich liegt es jedoch in der Hand jeder ein-zelnen Wissenschaftlerin und jedes Wissenschaftlers sichseiner Verantwortung kontinuierlich bewusst zu seinund forschungs- und medizinethische Aspekte zuberücksichtigen. Dies beinhaltet gleichermaßen die Re-flexion der eigenen Rolle, sei es als Führungskraft oderals Gutachter, wie die Verteidigung wissenschaftlicherFreiheit und Unabhängigkeit sowie eine prinzipielle Ori-entierung am Patientenwohl. Die biomedizinische Forschung stellt Wissenschaftlerund Wissenschaftlerinnen dabei vor besondere Heraus-forderungen: zum einen gilt es, bei der Translation vonGrundlagenforschung in die Klinik zahlreiche Hürdenzu überwinden. Diese liegen z.B. in der mangelndenReplizierbarkeit von Ergebnissen, aber auch in ggf.konfliktträchtigen Interessenkonflikten der beteiligtenPartner. Zum anderen kann es in der Klinik zu Zielkon-flikten kommen, wenn die bestmögliche Versorgungder Patienten und die Rahmenbedingungen für aussa-gekräftige klinische Studien aufeinander abgestimmtwerden müssen.

Im vorliegenden Heft werden verschiedene Phasen undPerspektiven der biomedizinischen Forschung – miteinem gewissen Fokus auf neurowissenschaftlichen bzw.neurologischen Themen – in den Blick genommen. Diessoll einen Überblick über die verschiedenen aktuellenund zukünftigen Herausforderungen geben und gleich-zeitig Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen, die keines-wegs auf diesen speziellen thematischen Bereich be-grenzt sind.

Annette Grüters-Kieslich geht in ihrem Bericht auf dieaktuelle Situation der Universitätsmedizin ein, in der diespezifischen Anforderungen der translationalen und kli-nischen Forschung derzeit unzureichend berücksichtigtwerden. Dies führt zu Fehlentwicklungen, die die gutewissenschaftliche Praxis beeinträchtigen. Dennoch lie-gen auf institutioneller Ebene Gestaltungsmöglichkeiten,um hier gegenzusteuern. In ihrem Artikel werden infra-strukturelle Maßnahmen sowie Ansätze der Personalent-wicklung vorgestellt, die die Sicherung der guten wis-senschaftlichen Praxis langfristig unterstützen können.

Kooperationen zwischen Wissenschaftler/innen, phar-mazeutischen Unternehmern und staatlichen Organisa-tionen bilden eine essenzielle Grundlage für die Ent-wicklung neuer Arzneimittel, mit denen die Behand-lungssituation von Patient/innen verbessert werdenkann. Bei solch einer Zusammenarbeit können jedochInteressenkonflikte entstehen, die mit dem Risiko ver-bunden sind, dass die Integrität der Wissenschaft undauch die bestmögliche Gesundheitsversorgung gefähr-det werden. Klaus Lieb definiert in seinem Artikel denBegriff „Interessenkonflikt“, beschreibt typische Situa-tionen und stellt zielführende Handlungsansätze für dietägliche Arbeit vor.

Die Durchführung klinischer Studien setzt stets die Ein-willigung der Patienten zur Teilnahme voraus. Wie beimedizinischen Eingriffen muss auch bei Forschungsinter-ventionen die informierte Einwilligung des potenziellenEmpfängers einer Intervention eingeholt werden. Wiekann jedoch mit Situationen umgegangen werden, indenen aufgrund der vorliegenden, beispielsweise de-menziellen Erkrankung, nicht-einwilligungsfähige Pa -tienten rekrutiert werden sollen? Julia Haberstroh, Matthé Scholten, Theresa Wied & Astrid Gieselmannstellen das Verfahren der Entscheidungsassistenz alseinen praktischen Lösungsansatz vor.

Die Herausforderung einer optimalen Patientenversor-gung, insbesondere im Krankenhaus, im Spannungsfeldzwischen Ethik und Ökonomie beschreibt Georg Marck-mann in seinem Artikel. Er spürt den Ursachen für dieseZielkonflikte nach und zeigt Perspektiven auf, wie dieseHerausforderung bewältigt werden kann. Grundlagehierfür ist die Bereitschaft aller beteiligten und gestal-

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tenden Akteure, Verantwortung zu übernehmen undaktiv ihren Beitrag zur Bewältigung dieser Situation bei-zutragen.

Die Big Data-Forschung entwickelt sich mit ungeahnterDynamik und stellt auch den Bereich der medizinischenVersorgung vor große Herausforderungen. Hierfür wur-den bereits verschiedene ethische Empfehlungen ent-wickelt. Diese Empfehlungen in die Praxis zu über-führen, ist die Aufgabe einer „normativen Governance“.Daniel Strech definiert 10 Bereiche der normativen Go-vernance für Big Data-Forschung und fordert gleichzeitigderen Evaluation, um eine kontinuierliche Optimierungzu ermöglichen.

Tierversuche sind in der biomedizinischen Grundlagen-forschung immer noch unverzichtbar. Gleichzeitig liegtes in der Verantwortung der Forscher und Forscherin-nen das ethische Prinzip der „3R“ zu berücksichtigen:Re place (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine(Verbessern). Darüber hinaus gilt es, offen und transpa-rent über die jeweilige Forschung zu kommunizieren.Die Plattform „Tierversuche verstehen“ (TVV), die vonder Allianz der Wissenschaftsorganisationen getragenwird, leistet hier wertvolle Unterstützung. Stefan Treue& Roman Stilling stellen die Initiative und deren Ange-bote vor.

Die Herausforderungen translationaler Forschung wur-den im Rahmen einer Tagung in Schloss Herrenhausenim Februar 2018 an einem konkreten Beispiel diskutiert.Die Veranstaltung „Lost in the Maze? Navigating Evi -dence and Ethics in Translational Neuroscience“ widme-te sich den Problemlagen bei der Erforschung schwererneurologischer Erkrankungen, nicht nur hinsichtlich derVerbindung von Präklinik und Klinik, sondern auch ausder Perspektive potenzieller Studienteilnehmer/innen,für die eine ausreichende und solide Datenlage für ihreEntscheidungsfindung essenziell ist. Die Organisatorender Tagung, Ulrich Dirnagl & Mark Yarborough, fassendie wichtigsten Ergebnisse in ihrem Artikel zusammen.

In einem persönlichen Kommentar reflektiert ChristianBehl welche Einflussfaktoren oder aktuelle StrömungenForschungsthemen oder gar eine umfassende For-schungsagenda bestimmen können. Beispielhaft führt erdabei die Erfahrungen seines eigenen Forschungsfelds,der Alzheimerforschung, an und mahnt an, auch für al-ternative Hypothesen ausreichend Raum zu lassen.

Die Vielfalt dieser Perspektiven vergegenwärtigen denBedarf kritischer ethischer Reflexion auf allen Ebenender biomedizinischen und klinischen Forschung. Gleich-zeitig werden aber auch die Gestaltungsmöglichkeitender verschiedenen Akteure deutlich. Auch wenn je nachProblemfokussierung ganz unterschiedliche Maßnah-men vorgeschlagen und gefordert werden, so gilt inallen Fällen, dass jeder Einzelne und jede Einzelne indi-viduelle Verantwortung für sein und ihr Tun und Ent-scheiden übernehmen muss. Nur in diesem Grundver-ständnis werden die zukünftigen Herausforderungeneiner angemessenen Berücksichtigung ethischer Aspektein der biomedizinischen und klinischen Forschung be-wältigt werden können.

Liegt in der medizinischen Ausbildung der Praxisbezugstets auf der Hand, so ist dies für Studierende der Geis -tes- und Kulturwissenschaften oftmals weniger nahelie-gend. Hier werden außeruniversitäre Praxisbezüge im -mer noch zu wenig in den Blick genommen. CorneliaSoetbeer stellt in ihrem Artikel in der Sparte „Anregun-gen für die Praxis“ eine Ausschreibung der Volkswagen-Stiftung vor, die auf neue Wege in der Doktorandenaus-bildung für diese Disziplinen zielt. Die Durchlässigkeitzwischen den Karrierewegen nach der Promotion wirddabei gestärkt durch eine explizite Integration von Pra-xiselementen in die Ausbildung der Promovierenden.Der Artikel erläutert die strategische Motivation für die-ses Förderangebot und stellt exemplarisch einige geför-derte Kollegs sowie die Ziele der Begleitforschung dieserFördermaßnahme vor.

Henrike Hartmann, VolkswagenStiftung

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Einführung der geschäftsführenden HerausgeberinFo

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L i e b e L e s e r i n n e n u n d L e s e r,

nicht nur in dieser lesenden Eigenschaft (und natürlich für künftige Abonnements) sind Sie uns willkommen. Wir begrüßen Sie im Spektrum von Forschungs- bis Erfahrungsberichten auch gerne als Autorin und Autor. Der UVW trägt mit seinen Zeitschriften bei jahresdurchschnittlich etwa 130 veröffentlichten Aufsätzen erheblich dazu bei, Artikeln in einem breiten Spektrum der Hochschulforschung und Hochschulentwicklung eine Öffentlichkeit zu verschaffen.

Wenn das Konzept dieser Zeitschrift Sie anspricht – wovon wir natürlich überzeugt sind – dann freuen wir unsüber Beiträge von Ihnen in den ständigen Sparten „Forschung über Forschung”, „Entwicklung, Strategie & poli-tische Gestaltung”, „Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte”, aber ebenso Rezensionen, Tagungsberich-te, Interviews oder im besonders streitfreudigen Meinungsforum.

Die Hinweise für Autorinnen und Autoren finden Sie unter: www.universitaetsverlagwebler.de

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Rahmenbedingungen

Die Etablierung eines Gesundheitssystems, das den me-dizinischen Fortschritt zeitnah, sozial gerecht und wirt-schaftlich umsetzt, ist eine der bislang ungelösten größ-ten Herausforderungen unserer Zeit. In der Medizin gibtes durch die Dynamik des Erkenntnisgewinns und derTechnologie-Entwicklungen sowie durch die Möglich-keiten Daten zu erheben, zu erfassen und auszuwertenein bisher beispielloses Potenzial für eine bessere Präzi-sion in der Diagnostik und Therapie. In Deutschland ist die Universitätsmedizin der einzigeOrt, an dem Strukturen vorhanden sind, die gleichzeitigeine auf Erkenntnisgewinn zielende und Patienten ori-entierte Forschung ermöglichen und sinnvoll verbindenkönnen. Die Gesellschaft ist daher hinsichtlich der Trans-lation und der Innovationen im Bereich der Gesund-heitsforschung und in der Reform des Gesundheitssys -tems abhängig von einer personell und strukturell hier-für ausgerichteten Universitätsmedizin. Die Finanzie-rung der Universitätsmedizin beruht jedoch derzeit aufzwei Säulen: 1. der Finanzierung durch die Landeszuführungsbeiträge

Lehre und Forschung, allerdings mit einer weitgehen-

den Mittelbindung zum einen für die Lehre und zumanderen für die Gegenfinanzierung der befristetenProjektförderung durch öffentliche Drittmittelgeber,

2. der Finanzierung der Krankenversorgung durch dieKrankenkassen in einem gedeckelten pauschaliertenEntgeltsystem.

Für die Förderung und Qualitätssicherung der Forschungin der Universitätsmedizin stehen daher nur begrenzteRessourcen für diese originäre Aufgabe der Forschungund Innovationsentwicklung zur Verfügung und diesohne ausreichende Planungssicherheit. Daher wird dieForschung im Wesentlichen über die kompetitive Ein-werbung öffentlicher Drittmittel und durch die pharma-zeutische Industrie finanziert. Hierdurch hat sich eineEntwicklung mit zahlreichen Fehlanreizen ergeben undes ist für die einzelne Universitätsmedizin im Wettbe-werb schwierig, eine Qualitätssicherung zu etablierenohne die Entwicklung des Standortes zu benachteiligen,da die Bewertung der Forschungsqualität eines Standor-tes zumeist auf rein quantitativer Ebene der eingewor-benen Drittmittel und der Publikationen erfolgt. Dies hat auch Implikationen für die Aus- und Weiterbil-dung von wissenschaftlich tätigen Ärztinnen und Ärzten

Annette Grüters-Kieslich

Empfehlungen zu institutionellen Maßnahmen der Universitätsmedizin zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis

The essential role of the medical faculties and university hospital in biomedical research and innovation is notadequately reflected in their basic public funding. Thus, substantial and quality assured translational and clinicalresearch depends on additional competitively awarded public or private funding or contract funding mainly of thepharmaceutical industry. Lack of reliable and sustainable research funding has led to wrong incentives and developments in research structures and processes. In spite of these adverse general framework conditions for assured quality in biomedicalresearch in university hospitals and medical faculties, these institutions take actions, which help to limit and evenmay stop the current deficits. These specific institutional measures, which focus on infrastructural as well ashuman resources development in basic science institutes and hospitals are qualified to promote and secure agood scientific practice. Concrete infrastructural measures are the clustering of high end research facilities andplatforms, e.g. in core facilities to enable the use of advanced methods. Importantly, clinical research units areneeded as a general prerequisite in university hospitals e.g. to support quality assured handling of tests and biospecimen collection and to assist in documentation and handling of regulatory affairs. New organizational structures and cooperation with other research institutes can improve the efficiency and avoid costly redundancies.New positions with tenure track options, like staff scientists in basic science institutes clinician scientists in theuniversity hospitals with protected time for research will help to limit useless projects and will promote researchin relevant areas with reliable and reproducible results. The most important prerequisite for good scientific practice is an institutional policy and culture of esteem of research conduct leading to gain of knowledge andtruthfulness and aiming at improvement of patient care, rather than being primarily oriented at acquisition ofthird party funding or the promotion of individual careers.

Annette Grüters-Kieslich

FoEntwicklung, Strategie & politische Gestaltung

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in der Universitätsmedizin sowie die in der Universitäts-medizin tätigen nicht-ärztlichen Wissenschaftler. Fürihre individuelle Karriereentwicklung spielen die Dritt-mitteleinnahmen und Publikationen bereits in frühenStadien eine entscheidende Rolle. Es fehlen jedoch anden meisten Standorten die Ressourcen für die Entwick-lung geeigneter Strukturen, die der Aufgabenstellungund dem Profil der Universitätsmedizin als wichtige For-schungseinrichtung gerecht werden und die es ermögli-chen, Karrierewege für wissenschaftlich und klinischtätige Ärztinnen und Ärzte und andere Wissenschaftlerin transparenter und verlässlichen Form in der Univer-sitätsmedizin zu etablieren. Keinesfalls sollten diesewichtigen gesellschaftlichen Aufgaben der Universitäts-medizin, die eine nationale Bedeutung haben, weiterhinüberwiegend aus der öffentlichen Projektförderung undDrittmitteln von Stiftungen wahrgenommen werden,sondern sollten eine Verankerung im System erfahren.Dies wäre eine notwendige Grundvoraussetzung für dieWahrung der guten wissenschaftlichen Praxis.Trotz dieser strukturellen Schwäche der Universitätsme-dizin, die die Rahmenbedingungen die Qualität der For-schung negativ beeinflusst, gibt es jedoch institutionelleMaßnahmen, die von der Universitätsmedizin ergriffenwerden können, um eine bessere Qualität der Forschungim Sinne der Originalität und Reproduzierbarkeit zu er-reichen. Diese sollen im Folgenden beschrieben werden.

Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Forschung in den grundlagenwissen -schaftlichen und klinisch-theoretischen Disziplinen in der Medizin

ForschungsinfrastrukturenInsbesondere in den Grundlagenwissenschaften sind dieUniversitätskliniken in erheblicher Konkurrenz mit denaus Landes- und Bundesmitteln finanzierten außeruni-versitären Forschungseinrichtungen, denen in den letz-ten 20 Jahren erhebliche Investitionsmittel und verlässli-che jährliche Aufwüchse in den laufenden Mitteln zurVerfügung gestellt wurden. Für die Validität grundlagen-wissenschaftlicher Forschungsergebnisse ist es notwen-dig die erforderliche Infrastruktur auf dem Stand derEntwicklung zu halten. Forschungsergebnisse, die mitveralteter Technologie erzielt wurden, werden nicht sel-ten durch den Einsatz weiterentwickelter Technologienrelativiert oder widerlegt. Daher muss auch die Univer-sitätsmedizin für ihre Forschung infrastrukturelle Res-sourcen vorhalten, die eine Forschung auf dem neuestenStand der Methodik ermöglichen. Dies kann durch eineUniversitätsmedizin nur erreicht werden, wenn sie dieihr nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel einemstrategischen Forschungskonzept folgend einsetzt. KeinStandort hat die Möglichkeit, alle Disziplinen der Uni-versitätsmedizin in der Forschung finanziell so auszustat-ten, dass sowohl die investiven als auch die laufendenMittel eine Infrastruktur vom neuesten Stand sicherstel-len. Einige Standorte verfolgen ein Konzept der vonmehreren Disziplinen genutzen core facilities, die durchdie Nutzer refinanziert werden und haben die umfang-reiche Zuweisung von Mitteln für die Grundlagenfor-

schung z.B. bei Berufungen in Leitungspositionen klini-scher Disziplinen limitiert. Hierbei handelt es sich um dieinterdisziplinäre Nutzung von sogenannte Großgerätenwie z.B. Sequenziergeräten oder Massenspektrometernsowie Einrichtungen für die Untersuchungen von Krank-heitsmodellen. Dies ist jedoch im Wettbewerb nicht strin-gent durchzuhalten, z.B. wenn in einem profilbildendenBereich des Standortes für die Berufung eines „bestenKopfes“ die Etablierung eines eigenen grundlagen-wis-senschaftlichen Forschungsraums notwendig wird. Im Gegensatz zu der Etablierung von core facilities istdie Schaffung von interdisziplinären Forschungszentrenoder thematisch fokussierten Forschungsclustern einWeg die Bereitstellung von Ressourcen mit einem wis-senschaftlichen Konzept eines Standortes sinnvoll zuverbinden. In den Forschungszentren und Clustern wirdeine Forschungsinfrastruktur mehreren Einrichtungen(Kliniken und Instituten) bereitgestellt, die auch für diejeweiligen Disziplinen spezifische Infrastrukturen z.B.der experimentellen Bildgebung oder der molekularge-netischen Analyse beinhaltet. Diese profilbildenden Ein-richtungen eines Standortes haben häufig eine Gremien-struktur, die für die Sicherstellung der Infrastruktur aufdem neuesten Stand verantwortlich ist und mit der Leitung der Universitätsmedizin hierfür nachhaltige Fi-nanzierungskonzepte und life-cycle Planungen der Gerä-te entwickelt. Eine noch weitergehende Etablierung und Sicherungeiner exzellenten Forschungsinfrastruktur kann durchdie Kooperation der Universitätsmedizin mit naturwis-senschaftlichen Instituten der Universitäten und außer -universitären Forschungseinrichtungen gelingen. Bei-spiele hierfür sind die Kooperationen mit Instituten derBiologie, Chemie und Biochemie, den Helmholtz Zen-tren und Standorten der Deutschen Zentren für Gesund-heitsforschung (DZG), den Max Planck oder den LeibnizInstituten. Ähnlich wie bei den Exzellenzclustern wirdim Rahmen einer thematischen Zielsetzung hier einelangfristige Kooperation etabliert. Ein Nukleus für dieEntwicklung von Kooperationen sind häufig auch dieSonderforschungsbereiche der DFG, durch die nebeneiner Drittmittelausstattung auch die Kooperation derverschiedenen Institutionen in der Nutzung von For-schungsinfrastrukturen gefördert wird. Durch Nutzung dieser Möglichkeiten kann eine Univer-sitätsmedizin die Grundvoraussetzung für eine qualitäts-gesicherte Forschung schaffen, indem Resultate vermie-den werden, die aufgrund methodischer Schwächen mitausgereifteren Methoden nicht mehr reproduzierbar sind.

PersonalmaßnahmenIn der Universitätsmedizin sind Grundlagenwissen-schaftler überwiegend in den sogenannten vorklinischenund klinisch theoretischen Fächern vorhanden, in denKliniken sind in den letzten Jahren aufgrund des ökono-mischen Drucks auf die Krankenversorgung diese Posi-tionen zunehmend abgebaut worden.Neben einer Forschungsinfrastruktur auf hohem Niveauist die Qualität der Forschung jedoch in hohem Maßeabhängig von einer kontinuierlichen Supervision der ex-perimentellen Forschung von Nachwuchswissenschaft-lern insbesondere der von medizinischen Doktoranden

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aber auch ärztlichen Postdoktoranden durch Grundla-genwissenschaftler oder Mediziner mit hoher Expertiseund Methodenkompetenz. Verschiedene Entwicklun-gen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass die At-traktivität der Universitätsmedizin für Grundlagenwis-senschaftler sehr gering geworden ist. Ein wichtigerNachteil sind die überwiegend befristeten Beschäfti-gungsverhältnisse mit kurzen Vertragslaufzeiten, da esnur wenige aus universitären Grundmitteln finanziertePositionen gibt. Eine akademische Karriere ist für for-schungsorientierte Naturwissenschaftler in der Univer-sitätsmedizin daher ohne belastbare Perspektive und sie bevorzugen Positionen in außeruniversitären For-schungseinrichtungen oder universitären Instituten.Bislang gibt es auch kaum tenure-track Optionen, dadie Budgets der klinischen Einrichtungen auf eine wirt-schaftlich profitablen Krankenversorgung ausgerichtetsind. Daher sind Entfristungen von Grundlagenwissen-schaftlern in klinischen Einrichtungen selten und diePflichtzeiten in der Lehre sind häufig so umfangreich,dass sie kaum wettbewerbsfähig mit Wissenschaftlernin Forschungseinrichtungen bleiben können. Die Re-form des Medizinstudiums im Sinne einer vertikalen In-tegration von grundlagenwissenschaftlichen und klini-schen Inhalten wird es vielleicht leichter ermöglichen,die Positionen für Grundlagenwissenschaftler auf klini-sche Disziplinen auszuweiten.Eine wichtige Maßnahme im Sinne der Qualitätssiche-rung der Forschung ist daher die Etablierung von tenuretrack Positionen für nicht-ärztlich tätige Wissenschaftler.Die obengenannten Cluster, Forschungszentren oderCore facilities bieten die Möglichkeit Positionen zuschaffen, die neben eigener Forschung organisatorischeAufgaben und die Supervision von Nachwuchswissen-schaftlern wahrnehmen. Diese Positionen sind als labmanager oder staff scientists im angloamerikanischenSystem integraler Bestandteil der biomedizinischen For-schungsorganisation. Es muss aber regulatorisch ermög-licht werden, dass diese Positionen nicht in die Berech-nung der Kapazität in der Lehre einbezogen werden, dadiese Personen weitgehend von der Lehre freigestelltsein sollten. Entsprechend müssten bei der Berechnungder Kapazität für die Studienplätze diese Positionen aus-genommen sein und eine feste Berechnungsposition imZuführungsbeitrag der Länder muss für diese wichtigeMaßnahme der Qualitätssicherung eingeführt werden.

Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Forschung in den klinischen Einrichtungen InfrastrukturmaßnahmenDerzeit erfolgen in Deutschland die Berufungen auf Pro-fessuren in der klinischen Universitätsmedizin sehr häu-fig als Personalunion von Aufgaben in Forschung undLehre und einer Chefarzttätigkeit in Kliniken unter-schiedlicher Größe. Aufgrund der Priorisierung der klini-schen und administrativen Aufgaben in der unter erheb-lichem wirtschaftlichen Druck stehenden Universitätskli-nika können die Professorinnen und Professoren mit Lei-tungsfunktion nur unzureichend den Aufgaben des wis-senschaftlichen Mentorships nachkommen. Die in inter-nationalen Systemen zum Teil vorhandenen Tandem-

strukturen (Clinical and Research Leadership) sind inDeutschland strukturell derzeit nicht vorgesehen. Einewichtige Grundlage für eine qualitätssichernde Organi-sationsstruktur wäre ein Umbau der hierarchisch in Kli-niken gegliederten Universitätsmedizin in Department-strukturen in spezialisierten Zentren und Clustern, diemehrere Leitungsfunktionen aufweisen. Hierdurch ste-hen mehr wissenschaftlich qualifizierte Mentorinnenund Mentoren für die Supervision des wissenschaftli-chen Nachwuchses zur Verfügung und dadurch kann z.B.eine Begrenzung der Anzahl von gleichzeitig betreutenDoktorandinnen und Doktoranden institutionell leichterumgesetzt werden. Die Betreuung durch Ärzte und Wis-senschaftler in tenure Positionen im Gegensatz z.B.durch die Betreuung durch befristet beschäftigteOberärzte ist für die Wahrung der guten wissenschaftli-chen Praxis hilfreich und vermeidet, dass die Publikatio-nen der Nachwuchswissenschaftler im Zuge der Bewer-bungstätigkeiten der Betreuer unter Zeitdruck geraten. Umfangreichen Strukturänderungen im Sinne der Ein-führung von Departmentmodellen statt organbezogenerKliniken sind jedoch mit vielem ungelösten Fragen ver-bunden, die z.B. mit effektiver Governance, der Finanzie-rung sowie Haftungsfragen (ärztliche Endverantwortung)verbunden sind. Daher werden Department Modelle indeutschen Universitätskliniken kritisch gesehen, währendsie in anderen internationalen und wissenschaftlich er -folg reichen Einrichtungen der Standard ist.Zur Qualitätssicherung der klinischen Forschung ist esaber mindestens notwendig, dass eine Infrastruktur in denUniversitätskliniken vorhanden ist, die eine kontinuierli-che Fortbildung in der Methodik der klinischen Forschungermöglicht und die Ärzte vom administrativen Aufwandder Studien, der durch die umfassende Regulierung ent-standen ist, entlastet. Dies ist teilweise sehr gut in dendurch eine Anschubfinanzierung des BMBF etabliertenKoordinationszentren für Klinische Studien erreicht wor-den. In einigen Klinika sind diese Einrichtungen jedochaufgrund fehlender Planungssicherheit und Möglichkei-ten der Finanzierung nicht ausreichend weiterentwickeltworden. Die nachhaltige Etablierung von Koordinations-zentren für klinische Studien ist eine Grundvoraussetzungfür die Qualitätssicherung klinischer Studien. Eine weitere wichtige institutionelle Maßnahme ist dieSchaffung klinischer Studienzentren mit einem speziali-sierten Personal von study nurses für qualitätssicherndenMaßnahmen z.B. Entnahme, Behandlung und Asservie-rung von Biomaterialien, mit speziellen Untersuchungs-möglichkeiten und Messungen von physiologischenFunktionen und Parametern sowie mit Dokumentarenfür die lückenlose Erfassung von klinischen Daten undBefunden.Eine nicht ausreichende Anzahl von Patienten oder Pro-banden ist der häufigste Grund für die fehlende Aussa-gekraft klinischer Studien, daher muss den Ärzten undÄrztinnen, die eine klinische Studie durchführen durchdie Klinik sowohl der Zugang zu Patientendaten ermög-licht werden, um potentielle Patienten zu identifizierenund es muss neben ihrer klinischen Tätigkeit ausrei-chend Zeit für die Rekrutierung vorhanden sein. Dahersollten für die Rekrutierung in klinischen Studien ausrei-chendende Ressourcen mitbeantragt werden.

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Als institutionelle Maßnahme kann in großen Univer-sitätsklinika auch eine Management Unit für klinischeStudien etabliert werden, die die Aufgabe der Identifi-zierung potentieller Patienten in der Universitätsklinikoder Partnereinrichtungen für die Wissenschaftler über-nimmt und auch als Ansprechpartner für die pharmazeu-tische Industrie und CROs für Phase 3 Studien dient.

PersonalmaßnahmenDer Wissenschaftsrat hat in seiner Stellungnahme von2014 empfohlen, dass das Studium der Humanmedizineine Stärkung der wissenschaftsbasierten Ausrichtungerfährt. Wissenschaftlich interessierte Studierenden sol-len bereits im Studium Möglichkeiten haben, im Pflicht-studium erste Forschungserfahrungen zu sammeln unddie Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis ver-mittelt bekommen. Daher sollen im Studium der Hu -manmedizin in der anstehenden Reform verpflichtendeInhalte, die zum Erwerb von Kenntnissen der guten wis-senschaftlichen Praxis beitragen, etabliert und geprüftwerden. Der Wissenschaftsrat sowie der MedizinischeFakultätentag gehen auch davon aus, dass eine Verbes-serung der Qualität medizinischer Promotionen nur da-durch erreicht wird, dass alle Promovierenden an struk-turierten Promotionsprogrammen teilnehmen, die einedefinierte Freistellung für die Forschung ex ante vorse-hen. Strukturierte Promotionsprogramme sollen daheran allen Standorten die Regel werden. Eine wichtige qualitätssichernde Maßnahme ist auch dieBegrenzung der Anzahl von gleichzeitig betreuten Dok-toranden pro Betreuer. Insbesondere in den klinischenDisziplinen, in denen Professoren bzw. Oberärzte starkin der Versorgung eingebunden sind.Als wichtigste Maßnahme wurde von der DFG und demWR vorgeschlagen, eine umfassende Reform der ärztli-chen Weiterbildung vorzunehmen. Als erster Schrittwurde die flächendeckende Einführung von ClinicianScientist Programmen in der Universitätsmedizin emp-fohlen. In diesen Programmen sollen aufbauend auf ei-genen wissenschaftlichen Arbeiten z.B. im Rahmen einerPromotion und auf in den ersten Facharztweiterbil-dungsjahren erlangten klinischen Grundkenntnissen ei-gene Forschungsfragestellungen bearbeitet werden. We-sentliches Element hierbei ist die geschützte Zeit (50%)für die wissenschaftliche Qualifizierung, die so mit derFacharztweiterbildung verknüpft wird, dass keine we-sentlichen Nachteile für den Arzt/Ärztin entstehen. Ver-pflichtend im Sinne der Qualitätssicherung der medizini-schen Forschung werden Zusatzqualifikationen, z.B. inBereichen wie klinische Studien, Bioinformatik, Daten-analyse und Qualitätssicherung experimenteller For-schung erworben. Aber auch Fachärztinnen/Fachärztesowie Oberärztinnen/Oberärzte brauchen vertraglichgeschützte Zeiten für wissenschaftliches Arbeiten, wennsie qualitätsgesichert auf hohem Niveau wissenschaftlichtätig sein sollen. Der kontinuierliche Wissenszuwachsmacht es notwendig, dass diejenigen Fachärztinnen undÄrzte, die dauerhaft eine Position in der Universitäts -medizin einnehmen möchten, auf ihrem Karrierewegdurchgängig geschützte Zeiten haben, sich die spezifi-sche wissenschaftliche Kompetenz kontinuierlich anzu-eignen und weiterzuentwickeln. Die Wahrnehmung rei-

ner Fortbildung durch Fachgesellschaften oder die In -dus trie ist hierzu nicht ausreichend in der Lage. Ein Arztoder eine Ärztin in der Universitätsmedizin muss in derLage sein, sich auch über ein sehr spezifisches Fachwis-sen hinaus über die wesentlichen neuen Erkenntnisseund Technologien zu informieren. Notwendig ist auchdas Überdenken der Indikatoren mit denen der Erfolgeines wissenschaftlich tätigen Mediziners gemessenwird. Der Tatsache, dass die Anzahl der Publikationenkeine Bedeutung für die Qualifikation hat, hat die DFGbereits vor langer Zeit Rechnung getragen, dies ist aberz.B. noch nicht in Berufungsverfahren oder anderen Re-krutierungsmaßnahmen umgesetzt. Ebenso ist die Be-wertung der Platzierung in der Autorenschaft insbeson-dere in der fortschreitenden Karriere als klinischer Wis-senschaftler zu überdenken. Bei Interdisziplinären For-schungsfragestellungen sind alle Beiträge essentiell fürdas Ergebnis klinisch relevanter Arbeiten. Um die Pa -tienten- oder Krankheitsorientierten Forschung in einerInstitution qualitätsgesichert bestmöglich zu fördern,müssen hierfür spezifische Leistungsbewertungsmaßstä-be entwickelt werden. Es ist auch erforderlich in der Universitätsmedizin auchfür Ärzte und Ärztinnen, die langfristig wissenschaftlichtätig sein wollen, vermehrt tenure track Positionen zuschaffen, die es ermöglichen mit eigener Ausstattung(Personal, Raum, Sachmittel) Patienten relevante wis-senschaftliche Fragestellungen zu verfolgen und klinischeingebunden zu bleiben.

Wissenschaftsfördernde Kultur der UniversitätsmedizinAlle konkret aufgeführten institutionellen Maßnahmenwerden hinsichtlich der guten wissenschaftlichen Praxisnur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, in einemUniversitätsklinikum eine Kultur der Wertschätzung vonwissenschaftlicher Neugier und ernsthafter Forschung zuetablieren, die prioritär dem Erkenntnisgewinn undnicht nur im Sinne der Einwerbung von Drittmittelnoder der eigenen Karriereentwicklung dient. Es obliegthierbei den Vorständen, eine wertschätzende Haltungzur Tätigkeit in der Universitätsmedizin zu etablieren,die sowohl die Krankenversorgung, als auch Forschungund Lehre einbezieht. Diese Haltung kann schwerlichvon Vorständen „top-down“ verordnet werden, jedochkönnen sie diese Haltung schwerpunktmäßig im Rekru-tierungsprozess beachten und einzelne Maßnahmen inZielvereinbarungen mit den Leitungen von Kliniken undInstituten z.B. zur Supervision und Förderung des wis-senschaftlichen Nachwuchses adressieren. Die wichtigste Aufgabe liegt aber bei den grundlagen-wissenschaftlichen Instituten und insbesondere den Kli-niken. So haben die ärztlichen und wissenschaftlichenLeitungspersönlichkeiten hier eine verantwortliche Rolleund Vorbildfunktion für den wissenschaftlichen Nach-wuchs. Die kontinuierliche Fortbildung von klinisch täti-gen Ärzten in der Bewertung von Studien und Studi-energebnissen ist eine Aufgabe, die leicht in regelmäßi-gen internen Fortbildungen und journal clubs der Klini-ken realisiert werden kann. Dabei muss die Institutiondarauf achten, dass eine regelmäßige Teilnahme für alle,

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die interessiert sind, möglich ist und diese Veranstaltun-gen in ausreichender Frequenz angeboten werden. Diehierfür eingesetzten Zeiten sind als essentiell „geschütz-te Zeiten“ für die universitäre Forschung zu bewerten.Ebenso sollte die aktive und passive Teilnahme an Fort-bildungen großzügig gehandhabt werden, denn diesedient nicht nur der Fortbildung des Arztes oder Wissen-schaftler, sondern verankert ihn in einer peer group, diehinsichtlich der Qualitätssicherung der Forschung regu-lierend wirkt. Das System der leistungsabhängigen Mit-telvergabe an den einzelnen Standorten sollte ebenfallskritisch evaluiert und eine falsche Setzung von Anreizenvermieden werden. Darüber hinaus gibt es auch verbrei-tete Maßnahmen, die im Sinne einer Negativliste drin-gend vermieden werden sollten, da sie der Wahrung derguten wissenschaftlichen Praxis abträglich sind. Hierzugehören vor allem „persönliche“, insbesondere monetä-re incentives für die Einwerbung von Drittmitteln oderdie reine Anzahl der Publikationen als Indikatoren. Auchdie Überbewertung von Publikationen in High-ImpactJournalen ohne Beachtung des Status des Autors z.B. ineinem editorial board oder von Publikationen, diegehäuft in einem Journal erfolgen, führen zu Fehlanrei-zen und Fehleinschätzungen in der Rekrutierung oderder Bewertung der Forschungsqualität. Maßnahmen wiedie komplette Hinterlegung der Rohdaten (nur system-seitig erfasste Daten aus Geräten oder Krankenhausin-formationssystemen) sind sicher sinnvoll, aber sehr auf-

wändig. Zudem vermitteln sie den Eindruck eines Gene-ralverdachts der Verletzung der guten wissenschaftli-chen Praxis. Sinnvoller erscheinen „stichprobenartigeKontrollen“ mit dem Ziel einer Prävention statt desNachweises eines Fehlverhaltens. Die Schaffung dieser Kultur ist auch notwendig, um demwachsenden Vertrauensverlust der Gesellschaft in diemedizinische Forschung und der Demotivation desNachwuchses entgegenzuwirken. Weitere gesellschaftli-che Folgen einer mangelhaften Qualität der Forschungsind die Reduzierung der öffentlichen Fördermittel undfehlende Innovationen, aber auch die Verweigerung derPatienten an Studien teilzunehmen sowie deren Zuwen-dung und Trend zu „alternativer“ Medizin.Eine Analyse und Bewertung der derzeitigen Hemmnissefür die Förderung der guten wissenschaftlichen Praxis(z.B. fachspezifische Hürden durch Schwerpunktsetzun-gen der Klinika, reduzierte Möglichkeit der interinstitu-tionellen Kooperation, Gehaltsstrukturen) sind immerstandortbezogen notwendig, um spezifisch geeigneteMaßnahmen zu definieren und umzusetzen.

n Dr. Annette Grüters-Kieslich, Leitende ÄrztlicheDirektorin des Universitätsklinikums Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Philipp Pohlenz, Susan Harris-Huemmert & Lukas Mitterauer (Hg.)

Third Space revisited. Jeder für sich oder alle für ein Ziel?

Akteure in Hochschulen, die sich mit Themen der Qualitätsentwicklung, derLehrevaluation, der Hochschuldidaktik und weiteren konzeptionellen Aufga-ben im Leistungsbereich Studium und Lehre befassen, wurden in der letztenZeit unter dem Label „Third Space“ beschrieben. Damit ist gemeint, dass siezwischen der klassischen Verwaltung und dem Wissenschaftsbetrieb angesie-delt sind und dass ihr Aufgabenprofil dadurch gekennzeichnet ist, dass siezwar durchaus wissenschaftlich arbeiten, aber keine Forschung im engerenSinne durchführen. Die Zuständigkeiten der verschiedenen Bereiche innerhalbdes Third Space sind vielfach voneinander getrennt. Dadurch entsteht zumin-dest potenziell die Gefahr einer „Versäulung“ dieser Arbeitsbereiche und einerAtomisierung ihrer Aktivitäten. Durch eine produktive Nutzung von Schnitt-stellen kann sich eine größere Wirksamkeit für das Ziel der Qualitätsentwick-lung entfalten, etwa dann, wenn verschiedene Akteure ihre Kompetenzen fürein gemeinsames Entwicklungsziel einbringen und dafür z.B. evaluationsme-thodische und hochschuldidaktische Kompetenzen für eine evidenzbasiertePlanung von Interventionen in der Weiterbildung zusammenbringen. Dieser Band, welcher aus Beiträgen der Frühjahrstagung des AK Hochschulender DeGEval 2016 hervorgegangen ist, beschäftigt sich mit Fragen zur Auswir-kung der unterschiedlichen institutionellen Verortung von Einrichtungen derQualitätsentwicklung in der Hochschule, und stellt dar, welche Mechanismenfür eine „Lost“ (uncoupled) oder „Found“ (coupled) Situation dieser Tätigkei-ten in der Institution sorgen.

Aus der Reihe: Qualität - Evaluation - Akkreditierung:

ISBN 978-3-946017-07-3, Bielefeld 2017, 154 Seiten, 27.90 Euro zzgl. Versand

Bestellung – E-Mail: [email protected], Fax: 0521/ 923 610-22

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Kooperationen zwischen Wissenschaftler/innen, phar-mazeutischen Unternehmern und staatlichen Organisa-tionen sind eine essentielle Grundlage für die Entwick-lung neuer Arzneimittel, mit denen die Behandlungs -situation von Patient/innen verbessert werden kann.Eine Vielzahl von Untersuchungen hat jedoch gezeigt,dass durch diese Zusammenarbeit Interessenkonflikteentstehen, die mit dem Risiko verbunden sind, dass ei-nerseits die Integrität der Wissenschaft und andererseitsdie bestmögliche Gesundheitsversorgung gefährdet wer-den. In dieser Übersichtsarbeit wird zunächst der BegriffInteressenkonflikt definiert, um anschließend typischeInteressenkonflikt-Konstellationen in der Arzneimittel-entwicklung darzustellen. Dabei wird deutlich werden,dass bei der Arzneimittelforschung insbesondere finan -zielle Interessenkonflikte Risiken für verzerrtes Urteilenund Handeln mit sich bringen. Anschließend werdenmögliche Auswirkungen dieser Interessenkonflikte dar-gestellt und abschließend Handlungsansätze zur Reduk-tion von Interessenkonflikten und deren negativen Aus-wirkungen vorgestellt. Hierbei empfiehlt sich nebenstaatlichen und berufsständischen Regulierungen mitAugenmaß eine frühzeitige Sensibilisierung junger Wis-senschaftler/innen für das Problem der Interessenkon-flikte. Ein von uns entwickeltes Curriculum hat dieseSensibilisierung und Kompetenzvermittlung zum Ziel.

1. Interessenkonflikte in der klinischen Arzneimittelforschung

Die klinische Arzneimittelforschung ist in erster Liniekommerziell motiviert: Ca. 80% der weltweit durchge-führten klinischen Arzneimittelstudien werden durchpharmazeutische Unternehmen geplant und durchge-führt, um eine Marktzulassung oder eine Zulassungser-weiterung für ein Arzneimittel zu erhalten (EMA 2017).

Solche Arzneimittelentwicklungen werden meist in Ko-operation mit Ärzt/innen und Wissenschaftler/innen anuniversitären und außeruniversitären Forschungsinstitu-tionen durchgeführt. Dadurch entstehen eine Vielzahlvon Interessenkonflikten, die folgendermaßen definiertsind: Interessenkonflikte sind Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermö-gen oder Handeln, welche sich auf ein primäres Interes-se beziehen, durch ein sekundäres Interesse unangemes-sen beeinflusst werden (Thompson 1993). Das primäreInteresse ist im Fall der Arzneimittelforschung das Inte -resse von Wissenschaftler/innen, für die Patient/innendie bestmöglichen Therapieverfahren zu entwickeln undanzuwenden, die sekundären Interessen all diejenigenmateriellen oder immateriellen Interessen, die dem entgegenstehen. Im Rahmen der Arzneimittelforschungkommt den materiellen Interessenkonflikten die größteBedeutung zu.

1.1 Materielle Interessenkonflikte Materielle Interessenkonflikte entstehen zunächst ein-mal ganz grundsätzlich durch die Tatsache, dass pharma-zeutische Unternehmen nicht das primäre Ziel haben,das bestmögliche oder ein von Patient/innen dringendbenötigtes Medikament zu entwickeln, sondern mitdem Medikament möglichst viel Umsatz zu machen unddamit die Gewinninteressen der Aktionär/innen zu be-friedigen. Dieses Interesse hat eine Vielzahl von Auswir-kungen auf die Durchführung und Interpretation vonArzneimittelstudien, die weiter unten ausgeführt wer-den. Da die Studien fast immer in Kooperation mit Wis-senschaftler/innen außerhalb der Unternehmen durch-geführt werden, fließen an diese hohe Geldsummen, die wiederum Interessenkonflikte konstituieren. NachSchätzung des „Verband Forschender Arzneimittelher-steller e. V.“ (vfa) und der Freiwilligen Selbstkontrolle für

Klaus Lieb

Interessenkonflikte in der klinischen Arzneimittelforschung – Herausforderungen und Handlungsansätze

Klaus Lieb

Tight cooperations between researchers, drug companies and regulatory organizations are necessary for the successful development of effective new drugs for the best benefit of patients. However, these cooperations oftenconstitute conflicts of interest which may threaten scientific integrity and the best possible treatment of patients.This articles describes the most important financial conflicts of interest in drug development, exemplifies possibleundue influences und proposes strategies to manage them. Of particular importance is the promotion of a culturalchange among scientists and physicians as well as the provision of scientific and statistical knowledge early in medical education that may reduce the likelihood that conflicts of interest will be effective.

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die Arzneimittelindustrie (FSA) umfassten die Leistun-gen von pharmazeutischen Unternehmern an Ärzt/innensowie Angehörige der Fachkreise und Institutionen derMedizin für das Jahr 2016 in Deutschland ca. 562 Mio.Euro. Davon wurden ca. 356 Mio. Euro als Honorar fürdie Durchführung von klinischen Studien und Anwen-dungsbeobachtungen gezahlt, ca. 105 Mio. Euro fürFortbildung und Vorträge und ca. 101 Mio. Euro für dieUnterstützung von Veranstaltungen und Institutionen(vfa 2017). Neben diesen Geldern werden aber auchHonorare aus gemeinsamen Patenten an Wissen schaft -ler/innen bezahlt. Darüber hinaus können Universitätenmateriellen Interessenkonflikten unterliegen, wenn sieProfitorientierte Firmen aus der Universität ausgründen.Auf die Auswirkungen solcher materieller Interessen aufdie Handlungen und Urteile der beteiligten Wissen-schaftler/innen wird im Folgenden eingegangen.

2. Auswirkungen von Interessenkonflikten aufdie klinische Arzneimittelforschung

Eine Vielzahl von Studien konnte belegen, dass vonpharmazeutischen Unternehmen finanzierte Arzneimit-telstudien häufiger ein für den Sponsor günstiges Ergeb-nis erbringen als unabhängig finanzierte Studien (z.B.Bekelman et al. 2013; Schott et al. 2010a; Schott et al.2010b; Lundh et al. 2017). Dasselbe gilt für Studien,deren Autor/innen finanzielle Verbindungen zu pharma-zeutischen Unternehmen haben (Ahn et al. 2017) undlässt sich nicht dadurch erklären, dass pharmazeutischeUnternehmen eher Studien finanzieren, die eine hoheAussicht auf Erfolg haben. Mit folgenden grundsätzlichen Strategien nehmen phar-mazeutische Unternehmen im Ablauf einer Arzneimittel-studie Einfluss, um für den Sponsor günstige Ergebnissezu erzielen: • Die Verwendung eines Studienprotokolls, das Ergeb-

nisse zugunsten des pharmazeutischen Sponsors er-möglicht,

• Unregelmäßigkeiten bei der Publikation einer Studieund

• eine verzerrte Darstellung der Studienergebnisse inPublikationen.

2.1 Einflüsse auf das StudienprotokollObwohl die Qualität von Arzneimittelstudien, die vonpharmazeutischen Unternehmen finanziert werden,grundsätzlich nicht schlechter ist als die von unabhängi-gen Autor/innen, sind Studienprotokolle von industrie-gesponserten Studien häufig so gestaltet, dass sie eswahrscheinlicher machen, dass das zu prüfende Medika-ment besser abschneidet als das Vergleichspräparat. Dieswird häufig durch die Verwendung unfairer Vergleiche er-reicht. So kann z.B. die Wahl einer niedrigen Dosierungdes Vergleichs-Wirkstoffes eine überlegene Wirksamkeitdes Wirkstoffs des Sponsors vortäuschen. Andererseitskann eine niedrige Dosierung des zu prüfenden, neuenWirkstoffes dazu führen, dass er besser verträglich er-scheint als der Wirkstoff im Vergleichsarm. Weitere Ursa-chen für verzerrte Ergebnisse können aus der Auswahleiner Patientenpopulation resultieren, bei der eine guteWirksamkeit und Verträglichkeit des Arzneimittels wahr-

scheinlich ist, aus einer unzureichenden Verblindungsowie aus einer zu kurzen Studiendauer. Statistisch signi-fikante Ergebnisse bei nur minimalem klinischem Vorteilkönnen darüber hinaus erzielt werden, indem sehr vielePatient/innen in eine Studie eingeschlossen werden(Schott et al. 2010a; Lundh et al. 2017).

2.2 Unregelmäßigkeiten bei der Publikation von StudienEin grundsätzliches Problem bei der Publikation von in-dustriegeförderten Studien besteht darin, dass die ge-schlossenen Verträge zwischen den Unternehmen undden beteiligten Wissenschaftler/innen in der Regel fürletztere den Zugriff auf die Studiendaten und die Publi-kationsrechte ausschließen (Kasenda et al. 2016; Schottet al. 2010b). Damit bestehen für die Unternehmenviele Möglichkeiten, die erhobenen Daten unüberprüftzugunsten der eigenen Interessen zu verzerren (sieheKap. 2.3). Häufig kommen dabei Ghostwriter der Unter-nehmen zum Einsatz, deren Beitrag auf den Publikatio-nen nicht erwähnt wird, während durch die Aufnahmevon einflussreichen Wissenschaftler/innen in die Auto-renliste der Eindruck der wissenschaftlichen Seriositäterweckt wird (Matheson 2016). Die wichtigsten Unre-gelmäßigkeiten bei der Publikation von Studienergeb-nissen sind das Zurückhalten von Informationen überunerwünschte Wirkungen der getesteten Substanzenund der sog. Publikationsbias. Dass Unternehmen systematisch die Publikation uner-wünschter Arzneimittelwirkungen unterdrückt haben,wurde für viele Substanzen gezeigt. Diese Strategiewurde insbesondere durch die Analyse firmeninternerDokumente deutlich, die im Rahmen von Gerichtsver-fahren öffentlich zugänglich gemacht worden waren.Beispiele sind die erheblichen Gewichtszunahmen durchdas Antipsychotikum Zyprexa® oder die erhöhte kardio-vaskuläre Mortalität durch den Lipidsenker Cerivastatin(Lipobay®) und das Antirheumatikum Rofecoxib(Vioxx®) (Schott et al. 2011). Einen besonders gravierenden verzerrenden Effekt aufdas Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Arzneimittels hatder sog. Publikationsbias. Als Publikationsbias bezeich-net man die systematisch verzerrte Darstellung der Da-tenlage, die dadurch entsteht, dass Studien mit positi-ven und statistisch signifikanten Ergebnissen einegrößere Chance haben, publiziert zu werden, als Stu -dien mit negativen und nicht signifikanten Resultaten.Eindrucksvoll wurde dies z.B. für Antidepressiva ge-zeigt, deren Effektstärken bei Berücksichtigung der un-publizierten Studien, die deutlich häufiger ein negativesErgebnis haben als die publizierten Studien, deutlichabsinken (Turner et al. 2010). Ein besonders bekanntesBeispiel ist das Antidepressivum Reboxetin (Edronax®),das 2011 aus der Erstattungspflicht der Krankenkassengenommen wurde, nachdem Metaanalysen gezeigt hat-ten, dass bei Berücksichtigung aller unpublizierten Stu-dien keine Überlegenheit gegenüber Placebo mehrnachzuweisen war. Zum Publikationsbias tragen darü-ber hinaus auch multiple Publikationen derselben Er-gebnisse bei sowie das selektive Publizieren von ausge-wählten Daten einer Studie und das Zurückhalten vonDaten zu Nebenwirkungen. Zusammengefasst trägt derPublikationsbias in erheblichem Maße dazu bei, dass

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K. Lieb n Interessenkonflikte in der klinischen Arzneimittelforschung – Herausforderungen ...Fo

die Wirksamkeit von medikamentösen Therapien über-schätzt wird und Nebenwirkungen nicht adäquat be-kannt werden.

2.3 Verzerrte Darstellung von Ergebnissen in PublikationenDie in Kap. 2.2 genannten Aspekte können alle zu Ver-zerrungen in der Darstellung von Ergebnissen in Publika-tionen beitragen. Darüber hinaus verwenden Unterneh-men Techniken der Darstellung von Ergebnissen, die siein einem besseren Licht erscheinen lassen. Diese Techni-ken werden regelmäßig auch im Marketing der Unter-nehmen, etwa bei gesponserten Vorträgen, bei Produkt-bewerbungen durch Pharmareferent/innen oder in Wer-bebroschüren zu Medikamenten eingesetzt. Zu denhäufigsten Techniken gehören die selektive Darstellungder Ergebnisse von Einzelstudien statt der zusammenfas-senden Evidenz aus Metaanalysen und die Betonungvon statistischen Signifikanzen, die im Gegensatz zurDarstellung von Effektstärken nichts über die Größe unddamit die klinische Relevanz der Ergebnisse aussagen.Weitere Techniken sind die Darstellung des relativenNutzens (in %), wenn Therapieeffekte besonders großaussehen sollen (z.B. um den Nutzen eines Medika-ments besonders deutlich zu machen) bzw. Darstellungabsoluter Risiken, wenn z.B. Nebenwirkungen einerSubstanz möglichst klein aussehen sollen. Mit diesenTechniken werden der Nutzen eines Medikaments über-betont und die Risiken heruntergespielt.

3. Handlungsansätze zur Reduktion des Einflusses von Interessenkonflikten

Folgende Handlungsansätze zur Reduktion der negati-ven Auswirkungen der o.g. Interessenkonfliktkonstella-tionen und Einflüsse halten wir für besonders wichtig.Weitergehende Informationen finden sich in Lieb 2018.• Durch eine verstärkte Förderung der Arzneimittelfor-

schung durch staatliche Institutionen kann sicherge-stellt werden, dass Substanzen auch in den Bereichenentwickelt werden, in denen pharmazeutische Unter-nehmen nicht aktiv sind, weil die Gewinnerwartungenzu gering sind. Dazu gehört auch die Finanzierung derWeiterentwicklung von Substanzen, an denen die In-dustrie aufgrund patentrechtlicher Einschränkungenkein Interesse hat. Die hier etwa vom BMBF zur Verfü-gung gestellten Mittel müssen allerdings erheblich er-höht und gleichzeitig die Kompetenz der Universitätenin der Durchführung großer Phase III-Studien verbes-sert werden.

• Durch eine Registrierung aller Arzneimittelstudien inöffentlich zugänglichen Studienregistern und Zurverfü-gungstellung aller Studienergebnisse in solchen Regis -tern können verzerrende Effekte durch einen Publika-tionsbias verhindert werden (Chalmers et al. 2013).

• Durch einen Verzicht auf Anwendungsbeobachtungen,die Marketingzwecke verfolgen (Spelsberg et al.2017), können wichtige Ressourcen eingespart undnutzlose Studienergebnisse verhindert werden.

• Durch eine Einschränkung der Rechte der Unterneh-men, die Forschungsprojekte an Universitäten spon-sern, auf die Art der Studiendurchführung und die Pu-blikation der Ergebnisse kann eine unangemessene Be-

einflussung der universitären Forschung verhindertwerden. In jedem Fall sollten die Details der Vereinba-rungen offengelegt werden, um eine unabhängige Be-urteilung zu ermöglichen.

• Wenn Wissenschafter/innen in Publikationen oder,wenn sie gleichzeitig Ärzt/innen sind, vor Vorträgenüber Arzneimittel ihre finanziellen Firmenbeziehungenoffenlegen, können Herausgeber/innen oder Leser/in -nen bzw. Zuhörer/innen besser bewerten, ob es zueiner unangemessenen Beeinflussung der wissen-schaftlichen Inhalte gekommen ist. Solche Offenlegun-gen sind in internationalen Zeitschriften bzw. auchKongressen in der Regel Standard.

• Durch Regeln zur Einschränkung bzw. zum Manage-ment von Interessenkonflikten kann der Einfluss vonUnternehmen auf Wissenschaftler/innen und Univer-sitäten reduziert werden. Dazu gehört z.B. der Verzichtauf jegliches Sponsoring von Veranstaltungen, Mahl-zeiten, Kongressreisen etc., der Verzicht auf den Emp-fang von Pharmareferent/innen, der Verzicht auf eineAutorenschaft auf Publikationen, die von Ghostwriternder Industrie geschrieben sind u.ä.

• Durch eine Reduktion der Mitglieder, die Interessen-konflikte mit der Industrie haben, in Leitliniengruppenund anderen Gremien zur Bewertung von Arzneimit-teln, können verzerrende Effekte reduziert werden.Falls dennoch solche Mitglieder mitwirken, kannderen verzerrender Einfluss durch Ausschluss bei dieInteressenkonflikte betreffenden Abstimmungen oderdurch eine Reduktion der Funktion auf alleinige Bera-tung minimiert werden.

Grundsätzlich erscheint uns aber die Förderung einesKulturwandels in Wissenschaft und Patientenversorgungvordringlich zu sein, um Veränderungen zu erreichen.Hier sind z.B. die internationalen no-free lunch Organi-sationen, mit dem deutschen Ableger MEZIS e.v., wasfür „Mein Essen zahl´ ich selbst“ steht, Vorreiter. Aberauch die Initiative „Neurology first“ und der Fachaus-schuss Transparenz und Unabhängigkeit der Arzneimit-telkommission der deutschen Ärzteschaft arbeiten aufeinen solchen Kulturwandel hin. Wichtig erscheint unsauch die Vermittlung von wissenschaftlichen/statisti-schen Kenntnissen und Kompetenzen, bei deren Vorlie-gen verzerrende Einflüsse eine geringere Chance haben,Fuß zu fassen. Wir haben dementsprechend – unter-stützt durch die VolkswagenStiftung – ein Curriculum fürMedizinstudierende entwickelt und dessen Wirksamkeitin einer randomisiert-kontrollierten Studie nachgewie-sen (derzeit in Vorbereitung zur Publikation). Hier lernendie Studierenden verzerrende Effekte in der Studien-durchführung und in der Darstellung der Studienergeb-nisse zu identifizieren, sie lernen Arten von Interessen-konflikten kennen und üben an Schauspielpatient/in -nen, diese entsprechend unabhängig bei diagnostischenund therapeutischen Interventionen aufzuklären und zuberaten. Das Curriculum wurde bereits in das Pflichtcur-riculum an der Universitätsmedizin Mainz aufgenommenund wird auch an anderen Universitätskliniken ange-wandt. Durch diese frühzeitige Sensibilisierung von Me-dizinstudierenden ist zu hoffen, dass sich langfristig Ver-änderungen in der unangemessenen Beeinflussung von

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Wissenschaftler/innen und Ärzt/innen wirkungsvollereinstellen als dies aktuell noch der Fall ist.

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n Dr. Klaus Lieb, Universitätsprofessor undLehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psycho-therapie, Universitätsmedizin Mainz, Wissen-schaftlicher Geschäftsführer des DeutschenResilienz Zentrums (DRZ), E-Mail: [email protected]

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J. Haberstroh et al. n Forschung bei fraglicher Einwilligungsfähigkeit: ethische Herausforderungen ...Fo

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Es gilt als allgemeinhin akzeptierte ethische und rechtli-che Anforderung, dass vor Eingriffen in die körperlicheUnversehrtheit eines Menschen z.B. durch medizinischeoder Forschungsinterventionen die informierte Einwilli-gung des potentiellen Empfängers der Intervention ein-geholt wird, bevor eine Intervention durchgeführt wird.Menschen haben das Recht zu entscheiden, ob sie anmedizinischen oder Forschungsinterventionen teilneh-men möchten. Um dieses Recht auszuüben, müssen sieeinwilligungsfähig, ausreichend informiert und in der Po-sition sein, eine freiwillige Entscheidung treffen zu kön-nen. Da Personen mit fraglicher Einwilligungsfähigkeitvulnerabel sind für Missbrauch und Ausbeutung, entste-hen bei dieser Personengruppe vor allem im Bereich vonEntscheidungen zur Teilnahme an Forschungsinterventio-nen besondere ethische Herausforderungen. Ein diesbe-züglicher praktischer Lösungsansatz ist die Entschei-dungsassistenz, die im folgenden Artikel vor dem Hinter-grund ethischer Herausforderungen konzeptuell und inpraktischen Beispielen vorgestellt werden soll.

1. Der ethische Konflikt im Bereich medizinischer Forschung

Forschung unterscheidet sich aus ethischer Sichtgrundsätzlich von medizinischer Behandlung: Währendim Bereich der klinischen Behandlung das Wohl des Pa-tienten und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen, istdas wesentliche Ziel von Forschung ein Erkenntnisge-winn für die Gesellschaft. Zwar kann die Teilnahme an

Forschung in bestimmten Situationen auch dem Stu -dienteilnehmer selbst einen Nutzen bringen, doch auchdann treten neben seine Interessen auch die Interessender Allgemeinheit und die Interessen zukünftiger Patien-ten, dass neue Erkenntnisse gewonnen werden unddamit medizinischer Fortschritt erreicht wird. Unbestritten ist, dass dieser Erkenntnisfortschritt notwen-dig ist und auf Forschung nicht verzichtet werden kann.Gleichzeitig besteht Konsens, dass sich Forschung legiti-mieren muss, und sich nicht nur durch den alleinigen Nut-zen für die Gesellschaft legitimieren kann. Auch die Inte -ressen des Studienteilnehmers müssen beachtet und ge-schützt werden. Damit Forschung ethisch vertretbar ist,müssen beispielsweise auch das Design der Studie wis-senschaftlich valide und deren Nutzen-Risiko-Verhältnisvertretbar sein (Emanuel et al. 2000). Die Einwilligung desStudienteilnehmers ist als eine besonders zentrale Voraus-setzung anzusehen (Beauchamp/Child ress 2013). So be-ginnt schon der Nürnberger Kodex mit dieser grundsätzli-chen Voraussetzung: „Die freiwillige Zustimmung der Ver-suchsperson ist unbedingt erforderlich“. Es wird die Auf-fassung vertreten, dass neben dem individuellen klini-schen Nutzen für die Person, die Einwilligung eine zentra-

Julia Haberstroh, Matthé Scholten, Theresa Wied & Astrid Gieselmann

Forschung bei fraglicher Einwilligungs-fähigkeit: ethische Herausforderungen und Entscheidungsassistenz1, 2

Matthé ScholtenJulia Haberstroh

1 Acknowledgements: Wir bedanken uns bei Jakov Gather, Frank Oswald, Jo-hannes Pantel und Jochen Vollmann für hilfreiche Hinweise und Beratung.

2 Funding: Diese Arbeit wurde gefördert von der VolkswagenStiftung unddem Network of European Funding for Neuroscience Research (ERA-NETNEURON) (German Federal Ministry of Education and Research, grantnumber 01GP1623A and B).

Astrid GieselmannTheresa Wied

It is a widely accepted ethical and legal requirement that researchersobtain informed consent before proceeding with a research inter-vention. Persons have a right to decide whether to participate in research. To exercise this right, they must be competent to consent,sufficiently informed, and in the position to reach a decision volun-tarily. Since persons with impaired decision-making capacity are vulnerable to abuse and exploitation, it seems ethically problematicto involve them in research at first sight. On the other hand, personswith impaired decision-making capacity also have a right to benefitfrom medical research. In view of this, their categorical exclusionwould appear to be ethically problematic, too. This contribution discusses ethical issues surrounding the inclusion of persons with impaired decision-making capacity in medical research as well as thechances and risks of supported decision-making.

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le Bedingung ist, da nur durch diese ausgeschlossen wer-den kann, dass die Person nur zum Zweck anderer Perso-nen benutzt wird (Lob-Hüdepohl 2016). In der Praxis ist es jedoch in bestimmten Situationennicht möglich, eine Einwilligung einzuholen aufgrundder Einwilligungsunfähigkeit des potentiellen Studien-teilnehmers. Eine Person ist in Bezug auf eine For-schungsteilnahme einwilligungsunfähig, wenn sie nichtin der Lage ist, die Art, Bedeutung und Tragweite (d.h.Risiken) der Studie zu erfassen. Einwilligungsfähigkeitkann aus unterschiedlichen Gründen eingeschränkt sein.In einigen Fällen können Personen mit psychischenStörungen aufgrund von kognitiven Symptomen in deraktuellen Situation nicht ihre Einwilligung in eine Studiegeben. Bei chronisch-progredienten Erkrankungen wieDemenz kann es auch längerfristig und zu einem mit derZeit zunehmendem Verlust der Einwilligungsfähigkeitkommen. Deswegen gilt es, die Selbstbestimmungs-fähigkeit von potentiellen Studienteilnehmern anhandethischer Kriterien sorgfältig zu prüfen (Scholten/Voll-mann 2017). Es stellt sich zudem die Frage, ob man ausethischer Sicht auch mit nicht-einwilligungsfähigen Per-sonen forschen darf.

2. Forschung mit nicht-einwilligungsfähigenPersonen

Forschung mit einwilligungsunfähigen Personen wird alsbesonders rechtfertigungsbedürftig angesehen. Einwilli-gungsunfähige Personen gelten aus forschungsethischerSicht als vulnerabel und sollten deswegen vor den Risi-ken und Belastungen von Forschungsmaßnahmen sowievor der grundsätzlichen Möglichkeit der Ausbeutung ge-schützt werden. Andererseits erscheint ein völliger Aus-schluss dieser Personengruppe als moralisch nicht ver-tretbar, da ihr damit die Teilhabe am medizinischen Fort-schritt verwehrt würde.Ob und unter welchen Bedingungen diese Forschungvertretbar ist, hängt deshalb insbesondere auch davonab, ob die Forschungsteilnahme der Person potentielleinen Nutzen bringen wird. Zu unterscheiden ist daherzwischen eigennütziger und nicht-eigennütziger For-schung. Bei nicht-eigennütziger Forschung wird zudemüblicherweise zwischen gruppennütziger und fremdnüt-ziger Forschung unterschieden. Nicht-eigennützige Forschung mit nicht-einwilligungs-fähigen Personen ist in besonderer Weise rechtferti-gungsbedürftig, da beide Bedingungen, die eine „Ver-zweckung“ des Studienteilnehmers zum Nutzen andererentgegenwirken sollen, entfallen: Hier kann die Personweder einwilligen, noch bringt es ihr einen individuellenNutzen. Dennoch erlauben internationale ethischeRichtlinien wie die Deklaration von Helsinki und rechtli-che Vorgaben wie die EU-Verordnung über klinischeStudien nicht-eigennützige Forschung mit nicht-ein -willigungsfähigen Personen unter bestimmten strengen Bedingungen (Scholten/Gieselmann/Gather/Vollmann2018). Hierzu gehören, dass 1. ein rechtlicher Vertreter anstelle des Studienteilneh-

mers zugestimmt hat,2. der Studienteilnehmer soweit wie möglich in den Ent-

scheidungsprozess involviert wird,

3. die Zustimmung des Studienteilnehmers eingeholtwird, soweit dies möglich ist,

4. der Studienteilnehmer die Studienteilnahme nichtausdrücklich ablehnt,

5. das Ziel der Forschung ein bestehender Nutzen fürPersonen ist, die an derselben Erkrankung leiden, wieder Studienteilnehmer selbst,

6. die Ergebnisse nicht durch Studien an einwilligungs-fähigen Personen gewonnen werden können,

7. die Forschung mit nur minimalen Belastungen undminimalen Risiken einhergeht.

Während die Bedingungen (5) bis (7) primär das Stu -diendesign betreffen, regeln die Bedingungen (1) bis (4)den Entscheidungsprozess. Eine Gesetzesänderung in Deutschland im November2016 hat die Zulässigkeit der gruppennützigen For-schung mit nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen imRahmen des Arzneimittelgesetzes zusätzlich an das Vor-liegen einer sogenannten Forschungsvorausverfügunggeknüpft. Während die zentrale Bedingung der Einwilli-gung des Studienteilnehmers bisher also dadurch ersetztwurde, dass ein rechtlicher Vertreter einwilligt, wird ak-tuell diskutiert, ob die aktuelle Einwilligung des Studien-teilnehmers durch eine vorgezogene und vorausverfügteEinwilligung des potentiellen Studienteilnehmers ersetztoder ergänzt werden kann. Umstritten ist insbesondere,wie genau diese vorausverfügte Einwilligung gestaltetsein muss und inwiefern eine vorausverfügte Einwilligungpraktisch umsetzbar und ethisch vertretbar ist (Schol-ten/Gieselmann/Gather/Vollmann 2018).

3. Die Einbeziehung nicht-einwilligungs -fähiger Studienteilnehmer in den Entscheidungsprozess

Für die praktische Umsetzung des Einbezugs von nicht-einwilligungsfähigen Personen in Forschung erscheinendie Bedingungen (2) bis (4) besonders relevant. Diesesollen sicherstellen, dass nicht-einwilligungsfähige Per-sonen in den Aufklärungs- und Entscheidungsprozessüber die Forschungsteilnahme einbezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass auch nicht-einwilligungsfähi-ge Personen Präferenzen zur Studienteilnahme äußernkönnen. Diese Bedingungen sollen also sicherstellen,dass selbstbestimmungsunfähige Personen in den Ent-scheidungsprozess einbezogen werden und deren aktu-elle Interessen berücksichtigt werden. Auch wenn einePerson aufgrund kognitiver Einschränkungen nicht in derLage ist, eine rechtlich verbindliche informierte Einwilli-gung zu erteilen, hat sie im Normalfall noch die Fähig-keit, einer Beteiligung an der Studie „informell“ zuzu-stimmen oder diese abzulehnen. In der angloamerikani-schen Literatur werden diese Art Zustimmung und Ab-lehnung unter den Begriffen „assent“ und „dissent“ inAbgrenzung zum Begriff „consent“ diskutiert. Obwohlnoch ungeklärt ist, was genau als Zustimmung bzw. Ab-lehnung einer Studienteilnahme zu verstehen ist, wirdim Allgemeinen angenommen, dass diese sowohl ausden verbalen Äußerungen als auch aus dem nonverbalenVerhalten des potentiellen Studienteilnehmers zu ent-

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J. Haberstroh et al. n Forschung bei fraglicher Einwilligungsfähigkeit: ethische Herausforderungen ...Fo

zumeist im Rahmen eines kommunikativen Prozesseszwischen einem Forschenden (z.B. Prüfarzt) und einempotentiellen Studienteilnehmer getroffen werden. BeiZielgruppen, deren Einwilligungsfähigkeit in Frage ge-stellt werden kann, werden Entscheidungen oft mit derUnterstützung eines Angehörigen, anderer nahe stehen-der Personen oder Vertrauenspersonen getroffen. Aneinem Kommunikationsprozess hinsichtlich der Entschei-dung für oder gegen eine Studienteilnahme nehmendemzufolge mehrere Interaktionspartner teil. Da Kom-munikation ein wechselseitiger Prozess ist, der in einersozial-räumlichen Umwelt stattfindet, ist das Gelingender Kommunikation nicht nur abhängig von den kommu-nikativen Fähigkeiten des potentiellen Studienteilneh-mers, sondern wird ebenso bedingt durch die Interakti-onsstile der sozialen Umwelt (Kommunikationspartner)sowie durch die Gestaltung der räumlich-dinglichen Um-welt, in der Kommunikation stattfindet (vgl. Abb. 1).

Personen, denen für eine konkrete Entscheidung die Ein-willigungsfähigkeit abgesprochen wird, erleben in eben-dieser Entscheidungssituation einen Misserfolg, da ihrebislang in Entscheidungssituationen eingesetzten Strate-gien nicht ausreichen, um die zur Verfügung gestellten In-formationen zu verstehen und auf Basis der eigenen Über-legungen eine freiwillige Entscheidung zu treffen und zukommunizieren. Ein solcher Misserfolg löst gemäß demModell der Selektion, Optimierung und Kompensationvon Baltes und Baltes (1990) als Reaktion einen Prozessder Kompensation aus. Kompensation beschreibt hierbeiAnstrengungen, um ein Ziel mit neuen Wegen zu errei-chen. Ein Misserfolg kann beispielsweise das Scheiterneiner Kommunikation sein, zum Beispiel, weil die intera-gierende Person vergisst, worüber gerade geredet wurde.Die Person kann nun intern kompensieren, indem sie z.B.Gedächtnisstrategien einsetzt, Kompensation kann aberauch extern erfolgen, z.B. indem der Gesprächspartnereinen Hinweis gibt, worüber gerade geredet wurde (so-ziale, externe Kompensation) oder die Person z.B. auf No-

nehmen ist (Black/Rabins/Sugarman/Karlawish 2010).Dabei gilt, dass insbesondere eine Ablehnung zu akzep-tieren ist, und zwar auch dann, wenn der poten tielleStudienteilnehmer einwilligungsunfähig ist.

4. EntscheidungsassistenzWenn ein potentieller Studienteilnehmer an einem be-stimmten Zeitpunkt zunächst nicht in der Lage ist, dieAufklärungsinformationen zu verstehen, zu beurteilen,Einsicht zu gewinnen und eine Entscheidung zu kommu-nizieren, so folgt daraus nicht, dass die Einholung einerinformierten Einwilligung ausgeschlossen ist. Durch dasKonzept der Entscheidungsassistenz kann eine infor-mierte Einwilligung erreicht werden, indem die Einwilli-gungsfähigkeit von potentiellen Studienteilnehmern ge-fördert wird. Laut einer Stellungnahme der ZentralenKommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in derMedizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkom-mission) bei der Bundesärztekammer (2016) umfasst dasKonzept verschiedene Verfahren, die einen „Perspekti-venwechsel im Selbstverständnis“ des Aufklärenden er-forderlich machen: „Ein Assistent ersetzt nicht die Ent-scheidungen des Patienten durch seine eigenen Ent-scheidungen, sondern assistiert ihm bei der Ausübungseines Selbstbestimmungsrechts. Der Patient erhält dieChance, das ihm zukommende Selbstbestimmungsrechttatsächlich wahrzunehmen“ (Zentrale Ethikkommissionbei der Bundes ärztekammer 2016, S. 1). Folglich sollten Forscher Entscheidungsassistenz leisten,um dem Recht auf Selbstbestimmung von Personen mitkognitiven Einschränkungen gerecht zu werden, bevorsie zu dem Schluss kommen, dass eine Person einwilli-gungsunfähig ist. Mit der Bereitstellung von Entschei-dungsassistenz wird jedoch nicht immer das Ziel er-reicht, die Einwilligungsfähigkeit des potentiellen Studi-enteilnehmers herzustellen. Dies ist besonders deutlichbei Personen mit Demenzerkrankungen. Während ver-besserte Einwilligungsverfahren zum Beispiel bei Perso-nen mit leichten kognitiven Einschränkungen und leich-ter Demenz zu sehr guten Ergebnisse führen (Buckles etal. 2003; Mittal et al. 2007), sind solche Ergebnisse beiPersonen mit einer mittleren oder fortgeschrittenen De-menz nicht zu erwarten (Wong et al. 2000). Dies hatzum Ergebnis, dass potentielle Studienteilnehmer trotzder geleisteten Entscheidungsassistenz ihre Einwilligungin eine Studie oftmals nicht selbst geben können. Aus praktischer Sicht stellt sich die Frage, wie Entschei-dungsassistenz umzusetzen ist und wie Personen trotzkognitiver Defizite in die Lage versetzt werden können,mitzuentscheiden.

5. Praktische Möglichkeiten der Entscheidungsassistenz bei Einwilligungsunfähigkeit

Im Folgenden soll nun konkretisiert werden, wo das rela-tiv neue Konzept der Entscheidungsassistenz in der prak-tischen Umsetzung ansetzen kann. Dafür erscheint eszunächst notwendig, sich vor Augen zu führen, dass Ent-scheidungen für oder gegen eine Forschungsteilnahme

Abb. 1: Ansatzpunkte zur Verbesserung der Person-Um-welt-Passung

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tizen zum Gespräch zurückgreift, um sich zu erinnern (räumlich-dingliche, externe Kompensation). Die überwiegende Mehrzahl der bislang zur Verfügungstehenden Maßnahmen zur Entscheidungsassistenz zieltdarauf ab, Einwilligungsfähigkeit mithilfe von externerKompensation sowohl sozial als auch räumlich-dinglich zuunterstützen. Personengruppen, bei denen derartige As -sistenz bislang empirisch untersucht wurde, sind solche,deren Einwilligungsfähigkeit in Frage steht. Dies sind ins-besondere Menschen mit psychiatrischen oder neurologi-schen Erkrankungen und Menschen mit geistiger Behin-derung. Angemerkt werden muss in diesem Zusammen-hang, dass Einwilligungsfähigkeit bei kognitiv gesundenPersonen in der gängigen Praxis in der Regel nicht über-prüft und als gegeben vorausgesetzt wird, obgleich dieEinwilligungsfähigkeit durchaus auch in konkreten Kon-texten, z.B. in hoch emotionalisierenden Situationen (z.B.Aufklärung über lebensbedrohliche Erkrankung und derenBehandlung) in Frage gestellt werden kann.Im Folgenden sollen beispielhaft einige konkrete Me-thoden vorgestellt werden, die für die konkrete Ziel-gruppe „Menschen mit (v.a. Alzheimer) Demenz“ zurUnterstützung der Entscheidungsassistenz über externeKompensation vorgeschlagen und empirisch untersuchtwurden. Konkrete Ansatzpunkte zur Aktivierung persön-licher Ressourcen (Person) von Menschen mit Demenzwurden bislang nicht empirisch untersucht und werdendaher im Folgenden nicht aufgeführt. Möglichkeiten derEntscheidungsassistenz für weitere Zielgruppen werdenbei Nishimura et al. (2013) besprochen.

Entscheidungsassistenz durch die soziale Umwelt Die Aufklärungsinformationen für Studien sind häufigkomplex und schwer verständlich. Aus diesem Grundsind Personen mit kognitiven Einschränkungen manch-mal nicht in der Lage, sie direkt zu verstehen. Abzielendauf eine Verbesserung des Verständnisses von relevantenund komplexen Informationen im Aufklärungsgesprächzeigen sich Erfolge durch die wiederholte Erklärung rele-vanter Information und die Zusammenfassung zentralerBestandteile (Mittal et al. 2007; Rubright et al. 2010).Der Einsatz einer klaren und einfachen verbalen wie auchnon-verbalen Sprache zur Verbesserung des Verständnis-ses von Menschen mit Demenz wurde bisher nicht syste-matisch überprüft, wird jedoch in einigen Studien alsgeäußertes Bedürfnis von Menschen mit Demenz darge-stellt und folglich als Strategie empfohlen (Fetherston-haugh/Tarzia/Bauer/Nay/Beattie 2016; Smebye/Kirkevold/Engedal 2012; Tyrell/Genin/Myslinski 2006).Die soziale Umwelt kann Personen mit kognitiven Ein-schränkungen folglich durch die Verwendung einer kla-ren Sprache (Plain Language, vgl. Schatz et al. 2017) un-terstützen, um ihnen zu ermöglichen die gegebenen In-formationen doch zu verstehen. Darüber hinaus wirdvorgeschlagen, die informierte Aufklärung in Form einesDialoges zu gestalten und Frage-Antwort-Strukturen zunutzen, um dadurch unter anderem auch das Verständ-nis des Aufzuklärenden zu überprüfen (Groen van deVen et al. 2017; Smebye et al. 2012; Tyrell et al. 2006).Auf der Beziehungsebene zielen Strategien der Entschei-dungsassistenz vornehmlich darauf ab Menschen mitDemenz zu befähigen und ihnen zu zeigen, dass sie

ernstgenommen und als Kommunikationspartner aufAugenhöhe begriffen werden. Es wird empfohlen, Men-schen mit Demenz zu ermutigen sich einzubringen unddarüber hinaus ihre Meinung, Wünsche und Präferenzenaktiv im Aufklärungsgespräch zu erfragen. Auch dieseEmpfehlung weist darauf hin, die informierte Aufklärungvorzugsweise als Dialog und weniger als Monolog desAufklärenden zu gestalten (Fetherstonhaugh/Tarzia/Nay2013; Fetherstonhaugh et al. 2016; Smebye et al. 2012;Tyrell et al. 2006).

Entscheidungsassistenz durch die räumlich-dinglicheUmwelt Im Hinblick auf Möglichkeiten der Entscheidungsassis -tenz durch die räumlich-dingliche Umwelt liegt einFokus der aktuellen Forschung auf dem Einsatz unter-stützender Materialen und Werkzeuge. Span und Kolle-gen (2015) entwickelten ein interaktives Web-Tool, densogenannten „DecideGuide“, der darauf abzielt Kom-munikationsstrukturen zwischen Interaktionspartnern zuverbessern und somit eine gemeinsame Entscheidungs-findung zu ermöglichen. Es zeigten sich hier jedoch viel-fältige Barrieren in der Benutzerfreundlichkeit des Web-Tools (Span et al. 2015). Murphy und Oliver (2013) un-tersuchten den Einsatz von Talking Mats, einem Kom-munikationsrahmen, der spielerisch durch die Zuord-nung von einfachen Piktogrammen zu einer Einschät-zungsskala die Entscheidung vereinfachen soll, bei wel-chen Aktivitäten des täglichen Lebens Unterstützungbenötigt wird. Talking Mats erhöhte die Zufriedenheitund das Gefühl der Einbindung in die Kommunikationüber Entscheidungen bei Menschen mit Demenz (Mur-phy/Oliver 2013). Durch die Vereinfachung schriftlicherInformationsmaterialien konnte das Verständnis von re-levanten und komplexen Informationen im Aufklärungs-gespräch verbessert werden (Mittal et al. 2007; Rubrightet al. 2010). Rubright und Kollegen (2010) setzten bei-spielsweise in der informierten Aufklärung mit Men-schen mit Demenz ein „Memory and OrganizationalAid“ ein, auf dem wesentliche Informationen in der glei-chen Reihenfolge wie innerhalb des Aufklärungsge-spräches verbal übermittelt, schriftlich zusammengefasstwurden. Die Zusammenfassung erfolgte vereinfacht ent-sprechend der Komplexität des Leseniveaus der sechs -ten Klasse. Die Teilnehmer, die die vereinfachte infor-mierte Aufklärung erhielten, zeigten ein verbessertes In-formationsverständnis. Überdies wird hinsichtlich der Gestaltung der informier-ten Aufklärung wiederholt die Berücksichtigung vonzeitlichen Ressourcen empfohlen. Bei dieser Strategiegeht es maßgeblich darum, Menschen mit Demenz aus-reichend Zeit zum Reflektieren und Nachdenken ein-zuräumen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Ent-scheidungen in ihrem eigenen Tempo treffen zu können(Fetherstonhaugh et al. 2013; Fetherstonhaugh et al.2016; Groen-van de Ven et al. 2017; Smebye et al.2012; Tyrell et al. 2006).

6. Diskussion und AusblickEine Auseinandersetzung mit der Thematik zeigt, dassdie Forschungslage zur Entscheidungsassistenz für Men-

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J. Haberstroh et al. n Forschung bei fraglicher Einwilligungsfähigkeit: ethische Herausforderungen ...Fo

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schen, deren Einwilligungsfähigkeit in Frage steht, ins-gesamt begrenzt ist (Wied/Knebel/Tesky/Haberstrohunder review). Empirische Studien hinsichtlich soge-nannter Enhanced Consent Procedures für verschiedeneZielgruppen zielen überwiegend auf die Förderung undUnterstützung des Informationsverständnisses der po-tentiell einwilligungsunfähigen Personen (u.a. Dunn/Jeste 2001; Flory/Emanuel 2004; Nishimura et al. 2013).Dies erscheint insofern nachvollziehbar, als der gesamteProzess der Entscheidungsfindung wie auch das Konzeptder Einwilligungsfähigkeit auf dem Vermögen basiert,die für die Entscheidung relevanten Informationen zuverstehen. Diesbezüglich kann jedoch die Sinnhaftigkeitvon Interventionen hinterfragt werden, die zwar erfolg-reich das Informationsverständnis verbessern (z.B. Ru-bright et al. 2010), jedoch keine Verbesserung von Ein-sichtsfähigkeit und Urteilsfähigkeit erzielen, wodurchdie Person auch weiterhin als einwilligungsunfähig beur-teilt werden muss und das Ziel selbstbestimmter Ent-scheidungen unerreicht bleibt. Zukünftige Forschung zurEntscheidungsassistenz sollte daher unbedingt auchdiese beiden zur Einwilligung erforderlichen Fähigkeitenin Überlegungen zur Gestaltung von Enhanced ConsentProcedures einbeziehen, um selbstbestimmte Entschei-dungen tatsächlich zu ermöglich, d.h. Einwilligungs-fähigkeit tatsächlich herstellen zu können. Darüber hinaus bleiben Möglichkeiten der internenKompensation bei vulnerablen Gruppen bislang weitest-gehend ungenutzt. Wenige Ansätze können im Sinneeiner internen Kompensation interpretiert werden, z.B.die Möglichkeit von „Probeentscheidungen“ (Olde Rik-kert/van den Bercken/ten Have/Hoefnagels 1997) oderdas Auffordern zur Erstellung einer eigenen Mitschrift inder Aufklärung. Bei Menschen mit Demenz wäre hierbeispielsweise auch an die Aktivierung alter Erfahrungenund den Rückgriff auf autobiografische Informationen,Werte und Lebensthemen zu denken, bei anderen Ziel-gruppen könnte das Training entscheidungsrelevanterkognitiver Fähigkeiten oder die Vermittlung alternativerProblemlösestrategien als interne Kompensation inter-pretiert und strukturiert im Rahmen von EnhancedConsent Procedures nutzbar gemacht werden.Neben dem Bedarf an weiterer empirischer Forschungzur Entscheidungsassistenz ist es insbesondere für dieImplementierung dieses Ansatzes in der Praxis dringenderforderlich, Entscheidungsassistenz stärker theoretischzu konzeptualisieren. Fragen der Abgrenzung zu Kon-zepten der Partizipation und Teilhabe wie auch des Em-powerments sind ungeklärt. Darüber hinaus erscheintdefinitionswürdig, wann Entscheidungsassistenz an-wendbar und zielführend ist und wer in unterschiedli-chen Entscheidungssituationen Entscheidungsassistenzleisten kann und sollte. Zudem sollte das Risiko von un-zulässiger Beeinflussung durch Entscheidungsassistenzstets bedacht und idealerweise auch durch unabhängigeDritte überprüft werden (Craigie 2015; Scholten/Gather2018). Die Stellungnahme der Zentralen Kommissionzur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin undihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei derBundesärztekammer (2016) leisten im deutschsprachi-gen Raum einen ersten wichtigen Beitrag hinsichtlichdieser Fragen.

Letztendlich gilt es zu betonen, dass das Konzept derEntscheidungsassistenz einen wichtigen Beitrag zur För-derung der Selbstbestimmung leisten kann, jedoch beiweitem nicht in allen Fällen zur Einwilligungsfähigkeitbetroffener Personen führt. Gleichwohl kann Entschei-dungsassistenz auch bei einwilligungsunfähigen Perso-nen zur Unterstützung einer Zustimmung oder Ableh-nung der Studienteilnahme im Sinne eines „assent“ oder„dissent“, eingesetzt werden. So kann auch in diesenFällen ein Einbezug in den Entscheidungsprozess durchAssistenz gewährleistet werden.

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n PD Dr. Julia Haberstroh, Forschungsgrup-penleiterin, Arbeitsbereich InterdisziplinäreAlternswissenschaft (IAW), Frankfurter Forumfür interdisziplinäre Alternsforschung (FFIA),Goethe-Universität Frankfurt a.M., E-Mail: [email protected] n Dr. Matthé Scholten, WissenschaftlicherMitarbeiter, Institut für medizinische Ethikund Geschichte der Medizin, Ruhr-UniversitätBochum, E-Mail: [email protected] Theresa Wied, M.Sc., WissenschaftlicheMitarbeiterin, Institut für Allgemeinmedizin,Arbeitsbereich Altersmedizin, Frankfurter Fo -rum für interdisziplinäre Alternsforschung(FFIA), Goethe-Universität Frankfurt a.M.,E-Mail: [email protected] n Astrid Gieselmann, Ärztin, B.A., Wissen-schaftliche Mitarbeiterin, Institut für medizini-sche Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum, E-Mail: [email protected]

Schreibzentrum der Ruhr-Universität Bochum (Hg.)'Aus alt mach neu' – schreibdidaktische Konzepte, Methoden und Übungen

Festschrift für Gabriela Ruhmann

Gabriela Ruhmann hat die Schreibdidaktik und Schreibfor-schung im deutschsprachigen Raum nachhaltig geprägtund entscheidend an ihrer Entwicklung als wissenschaftli-che Disziplin mitgewirkt. Neben ihrer Bedeutung für dieSchreibdidaktik und die Institution ‚Schreibzentrum‘ hatsie aber insbesondere viele Menschen beruflich und per-sönlich sehr geprägt. Einige davon sind die Beiträgerinnenund Beiträger dieser Festschrift, die von und mit ihr ge-lernt und gearbeitet haben und mittlerweile alle ausge-wiesene Expertinnen und Experten unseres Fachbereichssind. In dieser Festschrift stellen sie schreibdidaktischeKonzepte und Übungen vor, zu denen sie durch GabrielaRuhmann angeregt wurden. Da Gabriela Ruhmann auchals Quer- und Neudenkerin bekannt ist, finden sich konse-quenterweise auch unkonventionellere Beiträge wieder.

ISBN 978-3-946017-09-7, Bielefeld 2017, 203 Seiten, 33.80 Euro zzgl. Versand

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G. Marckmann n Patientenversorgung im Krankhaus unter finanziellem Druck: ...Fo

Die Kritik an einer Dominanz ökonomischer Erwägungim Gesundheitswesen ist nicht neu. Noch vor Ein-führung der Diagnosis Related Groups (DRGs) in dendeutschen Krankenhäusern kritisierten Kühn und Simondie zunehmende „Ökonomisierung“ der Patientenver-sorgung (Kühn/Simon 2001). Behandlungsentscheidun-gen orientieren sich nicht mehr ausschließlich an Wohl-ergehen und Willen der Patienten, sondern werden – sodie Kritik – zunehmend von betriebswirtschaftlichen Er-wägungen geprägt. Diese Entwicklung scheint in denletzten Jahren weiter an Brisanz gewonnen zu haben.Maio warnt eindringlich vor einer „ökonomischen Über-formung der Medizin“ (Maio 2012), verschiedene Kom-mission und Organisationen wie der Deutsche Ethikrat(Deutscher Ethikrat 2016) und die Bundesärztekammer(Bundesärztekammer 2015) haben in Stellungnahmendie Thematik aufgegriffen. Es steht dabei außer Frage,dass sich die finanziellen Rahmenbedingungen der Pa -tientenversorgung in den deutschen Krankenhäusern inden letzten Jahren zunehmend verschlechtert haben.Weniger klar ist es jedoch, wie die Ursachen der Ent-wicklung zu interpretieren sind und welche Schlussfol-gerungen sich daraus für Handlungsoptionen zum Um-gang mit dem finanziellen Druck ergeben. Der vorlie-gende Beitrag untersucht zunächst, wie sich die Proble-me aktuell manifestieren und welche Ursachen ihnenzugrunde liegen. Er fokussiert dabei auf die Patienten-versorgung im Krankenhaus, da sich hier die kritisierteDominanz wirtschaftlicher Überlegungen besondersdeutlich manifestiert. Anschließend werden dann Per-spektiven aufgezeigt, wie in einer ethisch vertretbarenArt und Weise mit den Herausforderungen umgegangenwerden kann, die aus den Rahmenbedingungen der Ge-sundheitsversorgung resultieren. Es wird dabei die Thesevertreten, dass die Herausforderungen nur dann zu be-wältigen sind, wenn die Akteure auf den verschiedenenEbenen der Gesundheitsversorgung jeweils Verantwor-tung übernehmen und ihren jeweiligen Beitrag zur Pro-blemlösung leisten.

1. Auswirkungen auf die Patientenversorgungund die Mitarbeiter im Gesundheitswesen

Inzwischen liegen verschiedene empirische Untersu-chungen vor, die Hinweise darauf geben, dass die aktu-ellen finanziellen Rahmenbedingungen Auswirkungenauf die Patientenversorgung und die Mitarbeiter imKrankenhaus haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dassdie meisten Untersuchungen auf Einschätzungen der be-teiligten Akteure beruhen und deshalb mit entsprechen-der Vorsicht zu interpretieren sind. Die vorliegendenStudien geben Hinweise darauf, dass es unter den der-zeitigen Rahmenbedingungen zugleich zu Überversor-gung und Unterversorgung und damit zu einer bedenkli-chen Fehlallokation von Mitteln kommt. In einer eige-nen repräsentativen Umfrage unter Krankenhausärztenin der Kardiologie und Intensivmedizin gaben 77% derTeilnehmer an, in den letzten 6 Monaten aus Kosten-gründen eine für den Patienten nützliche Maßnahmenicht durchgeführt zu haben (Strech et al. 2009). Ineiner Studie von Boldt und Schöllhorn antworteten 67%der befragten Leiter von Intensivstationen, dass Ratio-nierungen bereits stattfänden (Boldt/Schöllhorn 2008).Eine Umfrage unter Chefärzten, Geschäftsführern undPflegedienstleitern zufolge resultieren die Einschränkun-gen vor allem in den Bereichen Pflege und Zuwendung(Reifferscheid et al. 2014).Auch eine Umfrage unter den Mitgliedern der DeutschenGesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ergab Hinweisedarauf, dass indizierte diagnostische und therapeutischeMaßnahmen nicht durchgeführt wurden, wobei die re-sultierenden Probleme durch diese Unterversorgungüberwiegend als mittelgradig oder gering eingestuft wur-den (Fölsch et al. 2016). Gleichzeitig gaben die antwor-tenden Internisten an, dass die Durchführung überflüssi-ger Leis tungen gravierendere Probleme bereite und nichtnur zu einer Steigerung der Gesundheitsausgaben führe,sondern zudem die Patienten verunsichere und ihnenSchaden zufügen könne. Interessant ist zudem, dass als

Georg Marckmann

Patientenversorgung im Krankhaus unter finanziellem Druck: Herausforderungen und Lösungsansätze aus ethischer Perspektive

Georg Marckmann

The financial situation of German hospitals has become increasingly difficult since the introduction of the Diagno-sis Related Groups (DRG) reimbursement system. There is increasing evidence that this has not only negative effects on patient care but also on the health care personnel. The article analyses the underlying reasons and discusses possible solutions on the different levels of the health care system: Political regulation, hospital management, and micro-level decision making. Combined efforts on all three levels of the health care system arerequired to respond adequately to the challenges of limited financial resources.

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Ursache die Erzielung zusätzlicher Erlöse (=betriebswirt-schaftlich motivierte Überversorgung) nach der Sorge vorBehandlungsfehlern und dem Druck der Patienten erst andritter Stelle genannt wurde. Die berichtete Überversor-gung kann folglich nicht allein auf eine „Ökonomisie-rung“ medizinischer Entscheidungen zurückgeführt wer-den, was bei der Entwicklung von Lösungsstrategien zuberücksichtigen ist. Auch die in der Interviewstudie vonWehkamp und Naegler befragten Ärzte berichteten überbetriebswirtschaftlich motivierte Überversorgung, wasaber die Mehrzahl der ebenfalls befragten Geschäftsfüh-rer verneint (Wehkamp/Naegler 2017).Die verfügbaren Studien geben zudem Hinweise darauf,dass sich das Personal in den Krankenhäusern zuneh-mend durch die Rahmenbedingungen belastet fühlt. Inunserer Umfrage gaben beispielsweise über drei Viertelder antworteten Krankenhausärzte an, der Kostendruckbeeinträchtige ihre Arbeitszufriedenheit und belaste dasVertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten (Strech et al. 2009). In Tiefeninterviews berichteten dieÄrzte eine zunehmende Leistungsverdichtung und Per-sonalabbau, verbunden mit willkürlichen Entscheidun-gen und Unehrlichkeit gegenüber den Patienten sowieemotionalem Stress und Gefühlen der Überforderung(Strech et al. 2008). Auch unter den Pflegekräften ist derAnteil in den letzten Jahren gestiegen, die unzufriedenmit ihrer Arbeitssituation sind und an emotionaler Er-schöpfung leiden (vgl. z.B. die internationale RN4CAST-Studie, www.rn4cast.eu (29.08.2018)). Einsparungen im Bereich des Pflegepersonals haben zudem negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung. Eine Ver-schlechterung des Personalschlüssels oder ein niedrigerAnteil an besser qualifizierten Pflegekräften erhöht dieMortalität und Morbidität der Patienten (vgl. z.B. Aikenet al. 2002; Needleman et al. 2002). Dabei hängen dieAuswirkungen von der Gestaltung der Arbeitsumgebungab: Bei einer schlechten Arbeitsumgebung verringertsich die Mortalität der Patienten nicht, wenn man dieArbeitsbelastung um einen Patienten je Pflegekraft senkt(Aiken et al. 2011).

2. Ursachen des finanziellen Drucks in denKrankenhäusern

Angesichts der im vorangehenden Abschnitt geschilder-ten Auswirkungen auf die Patientenversorgung und dasPersonal im Krankenhaus erscheint es sinnvoll, einenBlick auf die Ursachen des finanziellen Drucks zu werfen.In vielen kritischen Stellungnahmen wird die Ursache ineinem wettbewerblichen Umbau des Gesundheitswesensgesehen, insbesondere im Bereich des „Krankenhaus-marktes“. Es ist zwar richtig, dass in vielen Krankenhäu-sern betriebswirtschaftliche Überlegungen ein immergrößeres Gewicht bekommen und in Konflikt mit medizi-nischen Erwägungen geraten. Die finanziellen Rahmen-bedingungen der Krankenhäuser resultieren aber nichtaus einem freien Wirken des Marktes, sondern ganz we-sentlich aus politischen Vorgaben, bei denen ökonomi-sche Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt werden(Marckmann/Maschmann 2017). Dies sei an ein paarBeispielen verdeutlicht. Während sich die Preise bei denProduktionsfaktoren wie Löhne und Gehälter, Infrastruk-

tur sowie medizinische Geräte und Arzneimittel frei ent-wickeln, sind die Abgabepreise der Krankenhausleistun-gen durch die Relativgewichte der DRGs und den – unzu-reichend angepassten – Basisfallpreis festgelegt. Damitkönnen die Krankenhäuser die steigenden Kosten beiden Produktionsfaktoren nicht durch entsprechendePreissteigerungen bei ihren Produkten ausgleichen, wiedas die Marktteilnehmer in anderen Branchen üblicher-weise tun. Zudem sind die Länder in den letzten Jahrenihren Verpflichtungen bei der Investitionsfinanzierungder Krankenhäuser nur unzureichend nachgekommen,sodass viele Krankenhäuser sich gezwungen sehen, not-wendige Investitionen – systemwidrig! – aus den DRG-Erlösen zu finanzieren. Noch vorhandene Überkapazitä-ten im stationären Bereich wurden nicht durch eine be-darfsorientierte Landeskrankenhauspolitik eliminiert. Be-kannte Fehlanreize im deutschen DRG-System, die einenAnreiz zu Über- und Unterversorgung bieten, wurdennicht eliminiert. Die sehr angespannte finanzielle Situa -tion der Krankenhäuser ist folglich nicht primär auf einfreies Wirken ökonomischer Kräfte zurückzuführen, son-dern auf mangelhafte regulative Rahmenbedingungen,die politisch zu verantworten sind. Dabei sind, wie imfolgenden Abschnitt noch zu zeigen ist, die gesundheits-politischen Bemühungen um eine Begrenzung des An-stiegs der Gesundheitsausgaben durchaus gerechtfertigt.

3. Aktuelle und zukünftige Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung

Die Überlegungen im vorangehenden Abschnitt könnenden Schluss nahelegen, dass die aktuellen Probleme inden deutschen Krankenhäusern durch veränderte gesund-heitspolitische Rahmenbedingungen gelöst werden kön-nen. Zwar besteht an den aufgezeigten Stellen – u.a. An-passung des Basisfallpreises, Investitionsfinanzierung, Eli-minierung von Fehlanreizen im DRG-System – dringendergesundheitspolitischer Handlungsbedarf, vieles spricht je-doch dafür, dass sich die Krankenhäuser auf absehbareZeit auf schwierige finanzielle Rahmenbedingungen wer-den einstellen müssen. Verantwortlich sind hierfür die all-gemeinen Rahmenbedingungen der Gesundheitsversor-gung in Deutschland. Der noch weiter ansteigende Alten-quotient wird die Einnahmesituation des umlagefinanzier-ten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)weiter schwächen, insbesondere dann, wenn die in den1960er Jahren zahlreich geborenen „Baby boomer“ inRente gehen. Gleichzeitig führen hochpreisige medizini-sche Innovationen zu Ausgabensteigerungen, sodass sicheine zunehmende Schwere zwischen Einnahmen undAusgaben in der GKV eröffnen dürfte.Dabei gibt es gute Gründe, die Gesundheitsausgabennicht immer weiter steigen zu lassen (Marckmann 2008).Der Gesundheitssektor konkurriert mit anderen Berei-chen wie Bildung, Infrastruktur und soziale Sicherung umbegrenzte öffentliche Finanzmittel, sodass weitere Er-höhungen der Gesundheitsausgaben mit Opportunitäts-kosten in anderen sozialstaatlichen Bereichen verbundensind. Dies ist nicht nur sozialpolitisch problematisch,sondern hätte zudem wahrscheinlich negative Auswir-

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kungen auf die Gesundheit der Bevölkerung, da Bildungoder soziale Sicherung wichtige Einflussfaktoren des Ge-sundheitszustands sind. Zudem wäre zu prüfen, ob wei-ter steigende Ausgaben für die medizinische Versorgungtatsächlich noch relevante Effekte auf die Gesundheit derBevölkerung haben. Investitionen in die nicht-medizini-schen Determinanten der Gesundheit könnten hier ziel-führender sein. Im Ergebnis bedeutet dies: Es gibt gute,durchaus auch ethisch relevante Gründe, die Ausgabenfür die medizinische Versorgung nicht immer weiter stei-gen zu lassen. Damit müssen sich nicht nur die Kranken-häuser, sondern alle Akteure im deutschen Gesundheits-wesen auf anhaltend schwierige finanzielle Rahmenbe-dingungen einstellen. Insbesondere wäre hier die Ge-sundheitspolitik auf nationaler Ebene gefragt, rechtzeitigStrategien zu entwickeln, wie auf zu erwartende schwie-rige Einnahmesituation der GKV spätestens ab 2030 unddie damit verbundene Verknappung der Finanzmittel an-gemessen reagiert werden kann. Initiativen zur Etablie-rung eines Diskurses über angemessene Priorisierungenim Gesundheitswesen wurden bislang von der Gesund-heitspolitik nicht aufgegriffen (Zentrale Kommission zurWahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihrenGrenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bun-desärztekammer 2007).Bei den Bemühungen um einen vernünftigen Einsatz derbegrenzt verfügbaren Finanzmittel ist zu berücksichti-gen, dass es auch ethisch durch das Prinzip der Nutzen-maximierung geboten ist, auf eine effiziente Mittelver-wendung hinzuwirken. Insofern ist die übliche Gegen -überstellung von Ethik und Ökonomie konzeptionellnicht ganz korrekt, da es ethisch wie ökonomisch glei-chermaßen geboten ist, mit den verfügbaren Ressourcenbestmögliche Ergebnisse zu erzielen oder ein bestimm-tes Ergebnis mit möglichst wenig Ressourcen. Allerdingssind aus ethischer Sicht andere Verpflichtungen zuberücksichtigen, insbesondere die ethischen Verpflich-tungen des Wohltuns, Nichtschadens und der Achtungder Autonomie des Patienten. Bei Verteilungsproblemenresultiert dann nicht primär ein Konflikt zwischen Ethikund Ökonomie, sondern ein binnenethischer Konfliktzwischen gerechtigkeitsethischen und individualethi-schen Überlegungen. Auf der Ebene des einzelnen Kran-kenhauses können aber durchaus Konflikte zwischen be-triebswirtschaftlichen Überlegungen der Erlösmaximie-rung und ethischen Verpflichtungen gegenüber den Pa-tienten resultieren, wie dies verschiedene empirischeUntersuchungen nahelegen (vgl. z.B. Wehkamp/Naegler2017). Dies ist bei der Entwicklung von Lösungsansät-zen zu berücksichtigen.

4. LösungsansätzeAus den bisherigen Überlegungen lässt sich folgendesZwischenfazit ziehen:(1) Die finanziellen Rahmenbedingungen in der GKV

werden sich vor allem durch die demographischeEntwicklung und medizinische Innovationen mittel-fristig verschlechtern. Da es gute Argumente gibt,die Ausgaben für die medizinische Versorgung nichtimmer weiter steigen zu lassen, müssen sich alle (!)Akteure im Gesundheitswesen der Frage stellen, wie

die begrenzt verfügbaren Finanzmittel medizinischangemessen, ökonomisch sinnvoll und ethisch ver-tretbar eingesetzt werden können.

(2) Aktuell gibt es verschiedene problematische Entwick-lungen in der Krankenversorgung, die durch Über-,Unter- und Fehlversorgung das Wohlergehen der Pa-tienten gefährden und das Gesundheitspersonal be -las ten. Hier besteht bereits jetzt Handlungsbedarf.

(3) Die Ursachen der Probleme sind dabei auf verschie-denen Ebenen zu lokalisieren: GesundheitspolitischeRahmenbedingungen, Führungsentscheidungen aufEbene der Krankenhäuser und medizinische Ent-scheidungen im Einzelfall. Zwischen den Ebenen gibtes vielfältige Wechselwirkungen, die Problemursacheist aber nicht auf einer Ebene allein zu lokalisieren.

Welche Konsequenzen lassen sich aus diesen Befundennun für mögliche Lösungsansätze ziehen? Angesichts derallgemeinen finanziellen Rahmenbedingungen wird sichdas Problem begrenzter Finanzmittel nicht eliminierenlassen. Im Gegenteil: Es wird auf absehbare Zeit eine zen-trale Herausforderung im Gesundheitswesen bleiben. An-gesichts der Komplexität und der jeweils begrenzten Ein-flussmöglichkeiten der Akteure auf den verschiedenenEbenen des Gesundheitswesens wird es nicht die einerichtige Lösung geben. Vielmehr bedarf es der gemeinsa-men (!) Anstrengungen aller Akteure auf den verschiede-nen Systemebenen. Aktuell schieben sich die Akteure je-weils gegenseitig den „schwarzen Peter“ zu und versu-chen sich damit jeweils selbst aus der Verantwortung zustehlen. Die Gesundheitspolitiker behaupten immer wie-der, es sei doch genug Geld im System (was möglicher-weise sogar stimmt), es müsse auf den nachgeordnetenEbenen nur richtig eingesetzt werden – und entziehensich damit der Verantwortung für die nachgeordnetenVerteilungsprozesse. Die Geschäftsführer der Kranken-häuser kritisieren (ebenfalls mit guten Gründen) die ge-sundheitspolitischen Rahmenbedingungen und entziehensich damit der Verantwortung für die negativen Auswir-kungen auf die Patienten und das Personal im Kranken-haus. Auf der Einzelfallebene schließlich machen die Ärztedie gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen und dieVorgaben der Geschäftsführer dafür verantwortlich, dassdie Pa tienten zu viele, zu wenige oder die falschen medi-zinischen Leistungen erhalten. Dabei steuern sie mit derIndikationsstellung und der gemeinsamen Entschei -dungsfindung mit dem Patienten wesentlich die Inan-spruchnahme medizinischer Leistungen und tragen damitzumindest eine Mitverantwortung für die aktuelle Über-,Unter- und Fehlversorgung von Patienten. Aus meinerSicht lassen sich die aktuellen und vor allem auch zukünf-tigen Herausforderungen nur dann bewältigen, wenn dieAkteure im Gesundheitswesen dieses „Schwarzer-Peter-Spiel“ beenden und die jeweiligen Handlungsspielräumenutzen, um einen Beitrag zu einer patientenorientiertenund fairen Verwendung der begrenzt verfügbaren Finanz-mittel zu leisten. Einige dieser Handlungsspielräumemöchte ich im Folgenden kurz skizzieren.

4.1 Gesundheitspolitische HandlungsspielräumeDie Gesundheitspolitiker auf den verschiedenen Ebenen(Bund, Länder, Kommunen) tragen durch die Gestaltung

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der regulatorischen Rahmenbedingungen eine wesentli-che Verantwortung für eine bedarfsgerechte Versorgungder Patienten im Krankenhaus. Hierzu gehört u.a. dieElimination der bekannte Fehlanreize im DRG-System,eine Anpassung des Basisfallwertes, die sich an den Kos -tensteigerungen der Produktionsfaktoren orientiert,eine ausreichende Investitionsfinanzierung durch dieLänder und der Abbau von ggf. noch bestehenden Über-kapazitäten durch eine bedarfsorientierte Landeskran-kenhauspolitik. Das aktuell vorgelegte Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz (PpSG), das die Personalsituation inder Pflege mit verschiedenen Maßnahmen (u.a. Finan-zierung von zusätzlichem Personal, volle Refinanzierungvon Tarifsteigerungen, separate Finanzierung über einePflegepersonalkostenvergütung) verbessern soll, ist si-cher ein Schritt in die richtige Richtung. Bislang fehltaber eine übergreifende Strategie für eine nachhaltigeFinanzierung der Gesundheitsversorgung nicht nur imKrankenhausbereich, die insbesondere mit Blick auf diemit dem Renteneintritt der Babyboomer zu erwartendenEinnahmeverluste in der GKV dringend geboten wären.Gemeinsam mit den jeweiligen Akteuren muss die Ge-sundheitspolitik überlegen, wie auf die Rahmenbedin-gungen auf den nachgeordneten Ebenen – Organisationdes Krankenhauses und Einzelfallentscheidungen – sogestaltet werden können, dass ein medizinisch ange-messener und ethisch vertretbarer Umgang mit dem an-haltenden Kostendruck gewährleistet ist.

4.2 Handlungsspielräume auf Ebene derKrankenhäuserHinsichtlich der aktuell auf Ebene derKrankenhäuser wohl drängendsten Proble-me muss sichergestellt werden, dass zen-trale Werte für die Patientenversorgungund für den Umgang mit den Mitarbeiterndurch den hohen finanziellen Druck nichtbeeinträchtig werden. Es reicht dabeinicht aus, an die individuelle moralischeVerantwortung der handelnden Akteurezu appellieren. Vielmehr muss die Berück-sichtigung der relevanten normativ-ethi-schen Vorgaben fest in der Krankenhaus-Organisation verankert werden, sie musszu einem integralen Bestandteil des Kran-kenhaus-Managements werden (Marck-mann/Maschmann 2014; Wehkamp/Weh-kamp 2017). Ein solches Wertemanage-ment erfordert dabei zwei Elemente (vgl.das Konzept „Management Innerer Qua-lität“, Rechkemmer 2015): Zunächst ist zuklären, welche Werte die Akteure im Kran-kenhaus bei der Patientenversorgung undim Umgang miteinander leiten sollen.Anschließend muss systematisch erfasstund gesteuert werden, wie die normativenVorgaben im Alltag des Krankenhauses tatsächlich um-gesetzt werden. Viele Krankenhäuser haben den erstenSchritt mit der Erstellung eines Leitbildes vollzogen, un-terlassen aber dann den zweiten Schritt. Aus diesemGrund entfalten die in der Regel öffentlichkeitswirksamproklamierten Leitbilder keine Wirkung im operativen

Geschäft des Krankenhauses. Vieles spricht dafür, dasssich ein solches Wertemanagement für die Krankenhäu-ser auch betriebswirtschaftlich rechnen könnte, da diebessere (ethische) Qualität der Patientenversorgung unddie höhere Motivation der Mitarbeiter die Wettbe-werbsfähigkeit des Krankenhauses verbessert (Marck-mann/Maschmann 2014). Auch für die Gewinnung vongut qualifiziertem Personal dürfte das Wertemanage-ment von Vorteil sein, da das Krankenhaus damit besse-re Arbeitsbedingungen bietet. Aus anderen Branchengibt es empirische Belege, dass Unternehmen mit einer„ethik-orientierten“ Führung wirtschaftlich leistungs-fähiger sind (Peus et al. 2010). Die beiden Elementeeines Wertemanagements im Krankenhaus werden imFolgenden kurz vorgestellt.

4.2.1 Erarbeitung der normativen VorgabeDie relevanten normativen Vorgaben für die Patienten-versorgung im Krankenhaus können aus den vier klassi-schen medizinethischen Prinzipien des Wohltuns, desNichtschadens, der Achtung der Patientenautonomieund der Gerechtigkeit abgeleitet werden (Beauchamp/Childress 2013; Marckmann 2015). Zudem sind ethischeVerpflichtungen gegenüber den Mitarbeitern zu berück-sichtigen. Tabelle 1 bietet eine Übersicht der relevantenethisch-normativen Vorgaben und erläutert beispielhaft,welche konkreten Verpflichtungen sich in der Operatio-nalisierung für den Krankenhausalltag ergeben.

Die hier aufgeführten normativen Vorgaben stellen einRahmengerüst dar, das für die einzelnen Krankenhäuserüberprüft und an die spezifischen Gegebenheiten ange-passt werden muss. Bereits existierende Leitbilder kön-nen auf dieser Grundlage überprüft und ggf. modifiziertwerden. Bei der Erarbeitung der normativen Vorgaben

Tab. 1: Normative Vorgaben für das Krankenhaus

Quelle: Marckmann/Maschmann 2014.

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sollten die Mitarbeiter des Krankenhauses beteiligt wer-den. Sie können sich dann besser mit den Werten iden-tifizieren, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sietatsächlich im Alltag des Krankenhauses gelebt werden.

4.2.2 Erfassung und Steuerung der Umsetzung der nor-mativen VorgabenDie Herausforderung bei der systematischen Erfassungund Steuerung der normativen Vorgaben, dem Werte -management, liegt darin, dass es sich um schwer zu ob-jektivierende und zu quantifizierende Faktoren handelt,die vom operativen Controlling in einem Krankenhausnicht erfasst werden. Gerade diese personenbezogenenFaktoren spielen aber für die Qualität der Patientenver-sorgung eine besondere Rolle, da die Prozesse im Kran-kenhaus nur eingeschränkt regel- und standardisierbarsind. Dies gilt für die Indikationsstellung ebenso wie fürdie Berücksichtigung von Wohlergehen und Wille desPatienten. Da sich die normativen Vorgaben auf das an-gemessene Verhalten von Menschen beziehen, kann ihreErfüllung am besten von anderen Menschen beurteiltwerden. Ein hierfür geeignetes Instrument können wie-derholte Mitarbeiterbefragungen sein: Wie das Personaldie Patienten fachlich behandelt, ob die personellen undmateriellen Ressourcen vernünftig eingesetzt werdenoder wie die Führungsqualität ist, kann das Kranken-hauspersonal selbst am besten beurteilen. Im Gegensatzzu herkömmlichen Mitarbeiterbefragungen geht es dabeinicht primär darum zu ermitteln, wie wohl sich die Mitar-beiter an ihrem Arbeitsplatz fühlen. Vielmehr sollen miteinem eher schlanken Befragungsinstrument führungsre-levante Informationen darüber gewonnen werden, wiedie vorgegebenen Werte im Krankenhausalltag umge-setzt werden. Nicht das „Ich“, sondern das „Wir“ stehtim Vordergrund. Die häufig durchgeführten Patientenbe-fragungen können die Befragung des Personals nicht er-setzen: Schließlich können Patienten wesentliche Aspek-te eines werteorientierten Managements – z.B. Füh -rungsqualität, Umgang mit Ressourcen, fachliche Exzel-lenz – nicht oder nur eingeschränkt beurteilen.

4.3 Handlungsspielräume im EinzelfallÄrzte tragen im Einzelfall durch die Indikationsstellungund die gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Pa-tienten eine wesentliche Verantwortung nicht nur fürpatientenorientierte Entscheidungen, sondern zudemfür einen vernünftigen Einsatz begrenzt verfügbarer Res-sourcen. Dies umfasst auch die Verpflichtung, sich inihrem professionellen Urteilen nicht von finanziellenund andersartigen Anreizen in unangemessener Art undWeise beeinflussen zu lassen. Der bereits erwähntenUmfrage unter Mitgliedern der Deutschen Gesellschaftfür Innere Medizin zufolge lassen sich Ärzte durch dieSorge vor Behandlungsfehlern, den Druck von Patientenoder zur Erzielung zusätzlicher Erlöse dazu verleiten,unnötige medizinische Maßnahmen durchzuführen, wasnicht nur die Gesundheitsausgaben unnötig steigert,sondern zudem auch die Patienten potenziell schadet(Fölsch et al. 2016).Es ist deshalb zu begrüßen, dass verschiedene medizini-sche Fachgesellschaften mit Initiativen wie „Choosing wisely“1 oder „Gemeinsam klug entscheiden“2 das Pro-

blem der Überversorgung angehen und Empfehlungenerarbeiten, in welchen Situationen medizinische Maß-nahmen nicht eingesetzt werden sollten, weil sie nach-weislich keinen Zusatznutzen für die Patienten bieten.Darüber hinaus wird diskutiert, ob ein neuer Eid für Ärzteeine angemessene Antwort auf die zunehmende Ökono-misierung medizinischer Entscheidungen sein könnte.3Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)und der Berufsverband der Deutschen Internisten (BDI)haben einen Klinik Codex „Medizin vor Ökonomie“ ver-abschiedet, um „dem Ökonomisierungsprozess eine aufärztlicher Ethik und Werten beruhende Haltung im Ar-beitsalltag entgegenzustellen“ (Schumm-Draeger et al.2017). Dabei sollte aber nicht nur den Ärzten der Rückengestärkt werden gegenüber patientenfernen, betriebs-wirtschaftlich motivierten Einflüssen, sondern sie solltenauch in ihrer Verantwortung unterstützt werden, wie sie im Einzelfall einen Beitrag zu einem vernünftigen Ressourceneinsatz leisten können (Marckmann/in derSchmitten 2011). Dies beinhaltet auch die Stärkung tra-ditioneller ärztlicher Verpflichtungen, wie z.B. die besse-re Berücksichtigung von Patientenwünschen in der letz-ten Lebensphase (Klingler et al. 2016). Sofern Ärzte imEinzelfall zudem auf Maßnahmen mit einem geringenNutzengewinn für die Patienten verzichten sollten,benötigen sie hierfür ein politisch legitimiertes Mandatund entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen.

5. FazitAufgrund der demographischen Entwicklung und Aus-gabensteigerungen durch medizinische Innovationenwerden sich die finanziellen Rahmenbedingen für dieGKV-Versorgung insgesamt, aber auch für die Patienten-versorgung im Krankenhaus zukünftig nicht durchgrei-fend verbessern. Im Gegenteil: Ein voraussichtlich nochsteigernder Versorgungbedarf einer alternden Bevölke-rung muss mit tendenziell eher noch zurückgehenden finanziellen Ressourcen gedeckt werden. Für die resul-tierenden Herausforderungen wird es nicht eine einfa-che Lösung geben. Vielmehr werden sie nur dann zu be-wältigen sein, wenn die Akteure auf den verschiedenenEbenen des Gesundheitswesens Verantwortung über-nehmen und ihre jeweiligen Handlungsspielräume nut-zen und dazu beitragen, dass die begrenzt verfügbarenRessourcen bedarfsorientiert und sparsam eingesetztwerden. Gefordert sind dabei nicht nur die Gesundheits-politiker auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene,sondern auch die Führungskräfte im Krankenhaus unddie Entscheidungsträger im Einzelfall. Die Akteure soll-ten sich dabei über die verschiedenen Ebenen hinwegverständigen, wie die in diesem Beitrag skizziertenHandlungsspielräume genutzt werden können. Davonwerden dann nicht nur die Patienten profitieren, son-dern zudem auch das Gesundheitspersonal und die Ge-meinschaft der Versicherten.

1 http://www.choosingwisely.org (04.08.2018).2 https://www.awmf.org/medizin-versorgung/gemeinsam-klug-entscheiden.

html (04.08.2018).3 https://www.zeit.de/2015/46/aerzte-medizin-oekonomie-hippokratischer

-eid-patienten (04.08.2018).

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n Dr. Georg Marckmann, Professor für Ethik,Geschichte und Theorie der Medizin und Vor-stand des gleichnamigen Instituts an der LMUMünchen, Präsident der Akademie für Ethik inder Medizin e.V., E-Mail: [email protected]

S t a n d a r d - L i t e r a t u r i m U n i v e r s i t ä t s V e r l a g W e b l e rReihe Hochschulwesen: Wissenschaft und Praxis

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D. Strech n Normative Governance der Big Data Forschung Fo

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Medizinische Forschung will Krankheiten besser verste-hen und darauf aufbauend bessere Prävention, Diagnose-und Therapieverfahren entwickeln. Um diese Forschungs-ziele noch effektiver und effizienter verfolgen zu können,wird gegenwärtig weltweit am Aufbau von Infrastrukturfür sogenannte Big Data (Daten-intensive) Forschung ge-arbeitet. Mit Big Data ist vorrangig eine Erweiterung derBezugsquellen für medizinisch relevante Daten gemeint.Bislang ist die medizinische Forschung an die in einem in-dividuellen Projekt erhobenen Daten von ausgewähltenStudienteilnehmenden bzw. „Datenspender/innen“ ge-bunden. Unter dem Label „Big Data Forschung“ sollen inZukunft viele weitere medizinisch relevante Daten explizitfür Forschungsprojekte verfügbar gemacht werden. Dazuwürden insbesondere alle Behandlungsdaten gehören, dieÄrzt/innen im Krankenhaus oder im ambulanten Settingfür ihre Patient/innen dokumentieren. Diese Daten ausder sogenannten Routine- oder „Real World-“Kranken-versorgung sollen in speziellen Datenbanken bzw. Da-tenintegrationszentren für zukünftige Forschung zusam-mengeführt und vernetzt werden. Diese Datenbankenkönnten wiederum vernetzt werden mit Biobanken, dieBlutproben oder Restgewebe chirurgischer Operationenfür zukünftige Forschungsprojekte professionell lagernund aufbereiten. Weitere für die medizinische Forschungrelevante Informationsquellen wären die Kranken- undRentenversicherung, Informationen aus sozialen Medien,Health-Apps/Wearables etc. Dieser Beitrag führt nicht primär in die verschiedenenethischen Herausforderungen der Big Data Forschungein. Hierzu gibt es bereits diverse Übersichtsarbeiten(Nuffield Council on Bioethics 2015; Deutscher Ethikrat

2017; Budimir et al. 2011). Stattdessen erläutert der Bei-trag, warum und wie die Big Data Forschungsethik umeine „normative Governance“ ergänzt werden muss, diedie Übersetzung (Translation) der ethischen Empfehlun-gen in die Praxis kontinuierlich evaluiert und optimiert*.

1. Legitimation und ethische Standards derBig Data Forschung

Viele internationale Institutionen heben in Leitlinien diehohe Relevanz von Gesundheitsforschung hervor, unteranderem die „Deklaration von Helsinki“ des Weltärzte-bundes (World Medical Association 2013) oder die „In-ternational Ethical Guidelines for Biomedical Research In-volving Human Subjects“ des CIOMS (Council for Interna-tional Organizations of Medical Sciences) (CIOMS 2016).Eine Big Data Forschung kann als eine bedeutsame Kom-ponente der modernen Gesundheitsforschung angesehenwerden und erlangt somit ihre grundsätzliche Legitima -tion (World Medical Association (WMA) 2016). Entspre-chende Rationalen für die Bedeutung der Big Data For-schung finden sich u.a. in den vom Bundesministerium fürBildung und Forschung (BMBF) geförderten Großprojek-ten wie zum Beispiel der Nationalen Kohorte, der Bioma-terialbanken Initiative oder der Medizininformatik-Initia-tive. Auch auf EU-Ebene finden sich entsprechende Struk-turförderungen wie z.B. für das BBMRI-ERIC (Biobankingand Biomolecular Resources Research Infrastructure – Eu-

Daniel Strech

Normative Governance der Big Data Forschung

Daniel Strech

In the last decade different ethical recommendations for Big Data research have been developed. The applicationof these recommendations in daily practice is the objective of “normative governance”. Normative governance forBig Data research consist of ten areas, such as “broad consent”, “access policies”, or the appropriate usage of artificial intelligence”. These areas of normative governance need to be evaluated in order to assess how “ethical”Big Data research performs in real life practice. How are, for instance, broad consent procedures applied in practice? How widespread is the use of access policies for data and biomaterial repositories and how can thesepolicies be compared to each other? Results from such evaluations can then inform the continuous improvementof normative governance. This article introduces the field of normative governance and illustrates the four areasa) broad consent, b) access policies, c) incidental findings and d) public involvement in more detail. For each ofthese four governance areas examples are given that demonstrate how evaluation may be approached. Finally, thecase of broad consent is used to illustrate how these results can be used constructively for the improvement ofnormative governance.

* Der Beitrag ist in einigen Abschnitten eine Weiterentwicklung eines Vor-trages, der in schriftlicher Form abgedruckt wurde im Tagungsband „5. Na-tionales Biobanken-Symposium 2016, TMF/GBN, Berlin“.

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ropean Research Infrastructure Consortium) oder BG4BO(Big-Data for Better Outcomes). In den oben genannten Leitlinien wird zugleich die hoheRelevanz ethischer Standards für Gesundheitsforschunghervorgehoben. Da dies selbstverständlich auch für dieBig Data Forschung gelten soll, muss in einem erstenSchritt konkretisiert werden, was die etablierten ethi-schen Standards wie „Informierte Einwilligung“, „Ange-messenes Nutzen-Schaden Verhältnis“ oder „Unabhän-gige Begutachtung“ im Kontext der Big Data Forschungbedeuten, was ihre Spezifika sind und wie sie in der Pra-xis umzusetzen wären. Die Anpassung ethischer Stan-dards an die Spezifika der Big Data Forschung wurde inden letzten zwei Dekaden viel diskutiert und analysiert(Budimir et al. 2011; Cambon-Thomsen/Rial-Sebbag/Knoppers 2007; Deutscher Ethikrat 2010; Hansson2009). Ergebnisse sind u.a. das Konzept des „BroadConsent“ (Grady et al. 2015; Hansson et al. 2006) oderÜberlegungen dazu, wie und wo eine Involvierung vonEthikkommissionen sinnvoll und angemessen ist (Strech2015; World Medical Association (WMA) 2016). Weite-re Diskussionen mit kontroversen Positionen finden sichu.a. zu Themen wie „Umgang mit Zufallsbefunden/Inci-dental Findings“ (Viberg et al. 2014) und „Fairer Zugangzu Daten und Data-Sharing“ (Mascalzoni et al. 2016).

2. Von der Ethik zur normativen Governanceder Big Data Forschung

Wie beschrieben, ist es eine Kernaufgabe der anwen-dungsbezogenen (aber weiterhin theoretischen) Ethik,die oben genannten ethischen Konzepte wie „BroadConsent“, „Ethikbegutachtung“ etc. zu konkretisierenund über Leitlinien (manchmal sogar Gesetzen) „einzu-fordern“. Hiervon abgrenzen lässt sich ein Bereich dernormativen Governance, der sich mit der konkreten Um-setzung dieser ethischen und rechtlichen Standards inder Praxis beschäftigt. Eine ähnliche Unterteilung findetsich in der neuen Leitlinie des Weltärztebundes „Decla-ration on Ethical Considerations Regarding Health Data-bases and Biobanks“ (World Medical Association(WMA) 2016). Ein eigenes Kapitel „Governance“ folgtdem vorgelagerten Kapitel „Ethical Principles“ und wirdeingeleitet mit „Health Databases and Biobanks must beappropriately managed and safeguarded”. Diese normative Governance lässt sich weiter unter-scheiden in eine Governance lokaler Daten- oder Bio-banken und in eine übergreifende Governance der na-tionalen, europäischen oder globalen Big Data For-schung. Die übergreifende Governance erfolgt mit un-terschiedlichen Verantwortungsbereichen und Legitima-tionen über i) politische Institutionen (z.B. BMBF, EU),ii) akademische Netzwerke (z.B. Nationales Steuerungs-gremium/NSG, German Biobank Alliance/GBA, BBMRI-ERIC) oder iii) Fachgesellschaften (z.B. Deutsche Gesell-schaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epi-demiologie/GMDS, International Society for Biologicaland Environmental Repositories/ISBER).Zur normativen Governance individueller Infrastrukturenfür Big Data Forschung gehört, stark verkürzt, dass z.B.ein konkretes Konzept für Aufklärungs- und Einwilli-gungsprozedere entwickelt und implementiert wird.

Auch die Festlegung einer konkreten Zugangsregulie-rung (Access Policy), eines Standards zum Umgang mitZufallsbefunden (Incidental Findings) und je nach Kon-text der Daten-Infrastruktur evtl. auch eines Prozederesfür Bürgerbeteiligung lassen sich als Teil einer lokalenGovernance bezeichnen. Aufgabe der übergreifendenGovernance ist es, ebenfalls stark verkürzt, Vorschlägezur Harmonisierung und Qualitätssicherung zu machenfür z.B. Aufklärungsmaterialien, Access Policies oderProzessen von Bürgerbeteiligung.

3. Evaluation und Optimierung der normativen Governance von Big Data Forschung

Mit der Planung der Nationalen Kohorte (NAKO) seit2009, dem Start der Initiative Biomaterialbanken imJahr 2011, wie auch im Rahmen der 2016 gestartetenMedizininformatik-Initiative (MI-I) wurde in Deutsch-land in den letzten 10 Jahren eine intensive, praxisorien-tierte Diskussion geführt zu den benötigten ethischenStandards für Big Data Forschung. Auf lokaler wie aufnationaler Ebene wurden Standards wie z.B. BroadConsent Texte, Access Policies und Regeln zur Mittei-lung von Zufallsbefunden entwickelt und in die Praxisüberführt. Diverse Arbeitsgruppen und Workshops be-schäftigen sich gegenwärtig mit der Weiterentwicklungdieser Standards, u.a. bei der TMF oder beim Arbeits-kreis der medizinischen Ethikkommissionen. Diese sehrgut gestartete Selbstregulierung muss sich nun die Fragestellen, ob die aktuell praktizierte Ethik bzw. die lokaloder national erarbeiteten und konsentierten Ethik-Standards auch „gut funktionieren“. Es bedarf eines„proof of concept“ bzw. einer Überprüfung, ob die lokalund national angewendeten ethischen Standards im in-tendierten Sinne „wirksam“ und „effizient“ sind. Wiesieht es mit unerwünschten Nebenwirkungen durch dieEinführung dieser neuen Ethik-Standards aus? Hierfürwären Evaluationen der aktuellen Governance Praxis er-forderlich, auf deren Basis im Bedarfsfall die bestehen-den Governance Maßnahmen modifiziert bzw. weiteroptimiert werden können. Grundsätzlich ist der Forschungs-Community dieseForm der Evaluation und Optimierung ihrer Prozessenatürlich nicht unbekannt – Stichwort: „Qualitätsmana-gement“. Wenn es um die „technische“ Governancegeht (z.B. IT-Konzepte, Gewebe-Konservierung), wirdauch zunächst durch eine Expertengruppe ein Konzepterarbeitet, das von der Theorie her gut funktionierenkönnte. Dieses würde man nach ersten erfolgreichen Pi-lotierungen zwar in der Praxis anwenden, aber dennochkontinuierlich auf erwünschte und unerwünschte Effek-te hin evaluieren und anschließend, wenn nötig undmöglich, optimieren. In diesem Sinne sollte die BigData Forschung auch die normative Governance in ihrQualitätsmanagement integrieren.

4. Unterteilung der Governance-BereicheWie einführend bereits dargestellt, kann dieser Beitragnicht dezidiert in die verschiedenen ethischen Dimen-

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D. Strech n Normative Governance der Big Data Forschung Fo

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sionen von Big Data Forschung einführen. Tabelle 1 un-terscheidet 10 normative Governance-Bereiche, die dasSpektrum der ethischen Dimensionen abdecken sollen.Weil die meiste Literatur zu diesen Themen englisch-sprachig ist, werden die englischen Begriffe mitgenanntund in den anschließenden Passagen verwendet:

Für alle genannten Governance-Bereiche besteht ausGründen der Qualitätssicherung und Effizienzsteigerungein Bedarf an nationaler oder sogar internationaler Har-monisierung. Weiterhin sind Harmonisierungen der Go-vernance Strukturen über verschiedene Bereiche der BigData Forschung hinweg möglich und erstrebenswert. DieBiobankforschung bedarf zwar für die Lagerung und Auf-bereitung der Biomaterialien andere Kernkompetenzenals Medizininformatiker/innen zur „Lagerung“ und „Auf-bereitung“ klinischer Daten benötigen. Aber hinsichtlichder oben genannten Governance-Bereiche sind sich dieAufgaben und Kompetenzanforderungen sehr ähnlich. Im Folgenden werden einige Governance-Bereiche exem -plarisch vorgestellt. Jeweils ergänzend wird an konkre-ten Studien ebenfalls exemplarisch beschrieben, wiediese Governance-Bereiche im Sinne einer Qualitäts -sicherung empirisch evaluiert werden können.

5. Beispiele für Evaluationen der normativenGovernance-Bereiche

5.1 Breite Einwilligung/Broad ConsentEine informierte, freiwillige und damit valide Einwilli-gung wird in der Regel als eine notwendige Grundvor-aussetzung angesehen, wenn man menschliche Bioma-terialien oder klinische Daten für Forschungszwecke la-gern und verwenden will. Die Einwilligung nach verstan-dener Aufklärung zielt ab auf den Schutz von Selbstbe-stimmungs- und Persönlichkeitsrechten sowie auf denErhalt des öffentlichen Vertrauens in die Integrität derBig Data Forschung. Zum Zeitpunkt der Speicherung vonDaten bzw. Lagerung von Biomaterialien und damit zumZeitpunkt der Einwilligung sind die konkreten Fragenzukünftiger Big Data Forschungsvorhaben oft noch nichtvorhersehbar. Zudem können nationale und internatio-nale Kooperation entstehen, die Proben und Datensätzezusammenlegen. Vor diesem Hintergrund kann die Ein-willigung nicht in ein spezifisches Forschungsprojekt miteiner klar umrissenen Forschungsfrage gegeben werden,sondern sie bezieht sich auf die grundsätzliche Ermögli-chung zukünftiger Big Data Forschung. Deshalb wirdvon einer breiten Einwilligung bzw. Broad Consent ge-sprochen. Der Broad Consent Text erläutert entspre-chend nicht die Inhalte konkreter Forschungsprojekte,sondern die Rahmenbedingungen unter denen die spä-tere Big Data Forschung stattfinden soll.

Irene Hirschberg und Kollegen haben eine vergleichendeStudie anhand konkret verwendeter Consent Texte deut-scher Biobanken durchgeführt (Hirschberg/Knuppel/Strech 2013). Sie konnten zeigen, dass die Texte im Hin-blick auf die für eine valide Einwilligung potentiell rele-vanten Informationen stark variieren. Festgemacht wurde

dies anhand eines Ratings der ConsentTexte durch eine Checkliste von 41 „po-tentiell relevanten Informationen füreine Einwilligung in Biobankforschung“.Die Checkliste wiederum war das Er-gebnis einer Sichtung internationalerForschungsleitlinien (Hirschberg/Kah rass/Strech 2014). Von den 30 untersuchtendeutschen Aufklärungs- und Einwilli-gungstexten deckten drei Texte (10%)

über 80% der 41 Punkte ab, aber auch sieben Texte(23%) weniger als 40% dieser 41 Punkte. Wie weiterunten dargestellt wird, waren die Ergebnisse dieser Eva-luationen auch relevant für Arbeiten zur Optimierung derBroad Consent Praxis in Deutschland.

5.2 Nutzungs- und Zugangsregulierung/Use- and AccessPoliciesEine forschungsorientierte Sammlung von Daten undBiomaterialien macht natürlich nur Sinn, wenn diese fürspätere Projekte auch zugänglich sind. Oft stellt sich aberdie Frage, wer unter welchen Bedingungen auf die Datenzugreifen und im Falle von Biomaterialien diese im Kon-text von Forschungsprojekten „verbrauchen“ darf. Nurdie (lokalen) Wissenschaftler/innen, die zur Sammlungbeigetragen haben oder alle (internationalen) Wissen-schaftler/innen und evtl. auch private Unternehmen, diequalitativ hochwertige Projekte mit hohem Erkenntnis-gewinn beantragen? Eng verbunden mit diesen Zugangs-fragen sind Fragen der finanziellen oder anderweitigenKompensation der Personen oder Institutionen, welcheZeit und Arbeit in die Generierung und Speicherung vonDaten oder Biomaterialien investiert haben. Zudem han-delt es sich bei Biomaterialien um mehr oder weniger be-grenzte Ressourcen. Bei vielen Anfragen zur Verwendungder gleichen Materialien entstehen möglicherweise Prio-risierungs- bzw. Verteilungsfragen. Damit „gesammelte“Daten und Biomaterialien effektiv und effizient für BigData Forschungsvorhaben zusammengestellt und ver-wendet werden können, bedarf es deshalb öffentlich zu-gänglicher und inhaltlich präziser Access Policies. UmDaten- oder Biobank-übergreifende Projekte zu ermögli-chen, ist weiterhin eine gewisse Harmonisierung von Access Policies erstrebenswert. Holger Langhof und Kollegen haben die Webseiten voninternationalen Biobanken untersucht, um Informatio-nen zur Zugangsregulierung zu finden (Access Policiesim weitesten Sinne) (Langhof et al. 2017). Trotz einersehr sensitiven Webseiten-Suche konnten von den 333im BBMRI-Register gelisteten Biobanken nur 15 Policies(5%) und von den 164 im P3G Katalog gelisteten Bio-banken nur 20 Policies (12%) identifiziert werden. Vonden 26 auf der Website des Australasian BiospecimenNetwork verlinkten Biobanken konnten immerhin 13Policies (50%) identifiziert werden. Von insgesamt 523überprüften Biobank-Websites hatten somit 48 (9%)

Tab. 1: Zehn Bereiche normativer Governance für Big Data Forschung

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Entwicklung, Strategie & politische Gestaltung Fo

eine öffentlich verfügbare Access Policy. Die Autorenhaben zudem die identifizierten Access Policies qualita-tiv ausgewertet und ein umfassendes Spektrum der ge-genwärtig verwendeten Access Kriterien vorgelegt. Ins-gesamt konnten somit über 70 verschiedene Kriterienzur Regulierung des Zugriffs unterschieden werden, dieje nach Kontext einer bestimmten Daten- oder Biobankmal mehr oder weniger relevant sein können. Damitwurde auf der einen Seite eine starke Heterogenität in-nerhalb der verschiedenen Access Policies deutlich. DieDarstellung der unterschiedlichen Kriterien, die für denZugang relevant sein können, kann aber auch konstruk-tiv als Informationsgrundlage zur Entwicklung zukünfti-ger Mustertexte für Access Policies genutzt werden.

5.3 Zufallsbefunde/Incidental FindingsBei der retrospektiven Analyse gespeicherter klinischerDaten aus Laboruntersuchungen oder bildgebendenVerfahren, bei der Analyse genetischer Daten oder beider Analyse von in Biobanken gelagerten Biomaterialienkönnen Befunde entstehen, die nicht nur für das eigent-liche Big Data Forschungsprojekt relevant sind, sondernunter Umständen auch für die Person, die ehemals in dieSpeicherung ihrer klinischen Daten oder Biomaterialieneingewilligt hat. In diesem Fall spricht man von Zufalls-befunden (incidental findings), Sekundärbefunden (se-condary findings) oder nicht intendierten Befunden (un-solicited findings). In dieser Situation muss geklärt wer-den, ob und wie diese Befunde an die jeweilige Personkommuniziert werden sollen. Die Klärung wird sich u.a.an prozeduralen, ökonomischen oder juristischen As -pekte orientieren. Aber zentral sind natürlich auch diemedizinischen Aspekte wie z.B. die Fragen danach, A)wie sicher man sein kann, dass es sich um einen richti-gen („richtig-positiven“) Befund handelt, B) wie schwer-wiegend und akut der Befund ist, C) welche therapeuti-schen oder präventiven Maßnahmen für diesen Befundbestehen und D) wie Evidenz-basiert der Patienten-ori-entierte Nutzen der Befundmitteilung ist. Der letztePunkt ist deshalb wichtig, weil die Mitteilung von medi-zinischen „Test-Auffälligkeiten“ an ansonsten symptom-freie Patient/innen in letzter Konsequenz auch mehrSchaden als Nutzen bewirken kann. Offensichtlich istdies bei sogenannten „Fehldiagnosen“ für z.B. Krebser-krankungen, die neben der psychosozialen Belastung fürden Betroffenen auch zu weiteren, eigentlich vermeid-baren, diagnostischen oder sogar therapeutischen Maß-nahmen führen können. Ein weiteres Problem sind diesogenannten „Überdiagnosen“, deren Problematik fürviele Laien, aber auch z.T. für medizinisches Fachperso-nal schwieriger zu verstehen ist. Am bekanntesten istdas Problem von Überdiagnosen gegenwärtig vielleichtim Kontext der Früherkennung von Prostatakrebs. EineÜberdiagnose ist eine richtige Diagnose (z.B. wird bei ei-nigen Männern durch den PSA-Test tatsächlich ein rich-tiger, von der Biologie her „bösartiger“ Prostatakrebsfestgestellt), die aber solange die betreffende Personlebt, nie körperlich auffällig (symptomatisch) gewordenwäre. Der betroffene Mann hätte ohne die Früherken-nung niemals mitbekommen, dass er Prostatakrebs hatund wäre irgendwann an z.B. Herzschwäche, Schlagan-fall oder einem anderen Tumor gestorben. Da nun aber

die Diagnose eines bösartigen und potentiell lebensbe-drohlichen Tumors gestellt wurde, wird i.d.R. auch eineinvasive Therapie durchgeführt wie z.B. eine operativeEntnahme der Prostata, die mit verschiedenen Neben-wirkungen einhergehen kann. Nach ausführlichen Eva-luationen zu Nutzen und Schaden kam die US-amerika-nische Präventionsbehörde (United States PreventiveServices Task Force/USPSTF) z.B. zu einer klaren „Do-not-screen“ Empfehlung für den Prostatakrebs (Moyer/Force 2012). Diese Form von Überdiagnosen und Über -therapien könnten durch Zufallsbefunde in der Big DataForschung stark zunehmen. Sollte man sich für eine Mit-teilung der Zufallsbefunde entscheiden, entstehen wei-tere Fragen dazu, wie bzw. durch welche Personen inwelchem Setting diese Mitteilung erfolgen soll. Carsten Schmidt und Kollegen haben in einer empiri-schen Studie die erwünschtem und unerwünschten (z.B.psychosomatischen) Effekte der Mitteilung von Zufalls-befunden auf die Studienteilnehmer der MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie) Subgruppe der Greifswalder„SHIP“ Studie untersucht (Schmidt et al. 2013). Auchwenn es hierbei um die Evaluation einer MRT-Subgrup-pe ging, dürfte deutlich werden, dass ähnliche Evalua-tionen für alle Kontexte von Big Data Forschung relevantwären. Neben den kurzfristigen, psychosomatischen Ef-fekten durch die Ergebnismittteilung wäre natürlichauch eine länger angelegte Evaluation der gesundheitli-chen und psychologischen Effekte sehr wichtig. Erst mitsolchen länger angelegten Evaluationen wäre die Dar-stellung möglicher „Überdiagnosen“ und konsekutiver„Übertherapien“ möglich. Heutzutage würde man wahr-scheinlich keine Krebsfrüherkennung ohne vorherigerandomisiert-kontrollierte Studien zu erwünschten undunerwünschten Nebenwirkungen in der Praxis imple-mentieren. Bislang existieren aber keine Studien, die un-tersuchen, welche erwünschten und unerwünschten Ef-fekte die Mitteilung von Zufallsbefunden aus der BigData Forschung mit sich bringt.

5.4 Bürger- und Patientenbeteiligung/Public and PatientInvolvementBürgerbeteiligung wird oft als ein zentrales ethischesPrinzip der Big Data Forschung aufgeführt. Die Rationalevon Bürgerbeteiligung beruht nicht nur darauf, dass dieBig Data Forschung die Aufmerksamkeit der Öffentlich-keit genießt. Eine Beteiligung der Gesellschaft an derAusrichtung der Ziele, Methoden und Infrastrukturenvon Big Data Forschung kann auch unabhängig von die-sem Interesse begründet werden. So birgt die Big DataForschung diverse Ansatzmöglichkeiten unsere gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen in bestimmten Berei-chen zu verändern. Stichworte wie „Lernendes Gesund-heitssystem/Learning Health Care System“, „Personali-sierte Medizin“ oder auch „Datensouveränität als infor-mationelle Selbstgestaltung“ (Deutscher Ethikrat 2017)deuten auf ein sich möglicherweise veränderndes Selbst-verständnis der Medizin hin. Diese Veränderungenwären dabei so grundlegend, dass sich auch das Selbst-verständnis bzw. die Rolle von erkrankten und gesundenMenschen verändert. Um diese Prozesse nicht „an derGesellschaft vorbei“ sondern „mit der Gesellschaft zu-sammen“ zu entwickeln, wird Bürgerbeteiligung in be-

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stimmten Prozessen und Entscheidungssituationen starkempfohlen (Nuffield Council on Bioethics 2015). So plausibel die Empfehlungen zu Bürgerbeteiligungauch klingen, sie bringen verschiedene praktische undkonzeptionelle Herausforderungen mit sich. Wer z.B.sind „die“ Bürger/innen bzw. gesellschaftlichen Grup-pen, die es zu beteiligen gilt? Wer genau soll diese Grup-pen repräsentieren? Welche Ziele soll die Bürgerbeteili-gung verfolgen? Informationskampagnen und Transpa-renz darüber was bei Big Data Forschung passiert, sindwichtig, wären aber im engeren Sinne noch keine aktiveForm von Bürgerbeteiligung. Will man die Meinungen,Wünsche und Sorgen aus der Gesellschaft erfahren z.B.durch Interview- und Surveyforschung? Oder will mansogar Vertreter der Gesellschaft an Entscheidungspro-zessen teilhaben lassen, z.B. bei der Planung, Finanzie-rung und Ausrichtung von Forschungsprogrammen oderbei der Entwicklung von Broad Consent Texten und Access Policies?Jonas Lander und Kollegen haben in einem systemati-schen Literaturreview die Charakteristika von Bürgerbe-teiligungsprojekten in der biomedizinischen Forschunguntersucht, wobei der Großteil dieser Aktivitäten zu Fra-genstellungen der Big Data Forschung durchgeführtwurde (Lander et al. 2014). Die meisten Public Involve-ment Aktivitäten (93%) verwiesen auf andere, mitunterähnliche Bürgerbeteiligungsverfahren, um das eigeneVerfahren in einen Kontext zu stellen. Jedoch berichtetekeine der 46 ausgewerteten Studien, sich bewusst in derPlanung des eigenen Vorhabens an bereits existierendenMethodik-Manualen, Handbüchern oder konkreten For-schungsergebnissen orientiert zu haben. Das eigene Vor-gehen blieb deshalb oft undurchsichtig. Ebenfalls nur22% der untersuchten Studien berichteten über die Eva-luation der Zufriedenheit der Teilnehmenden und Mach-barkeit des Verfahrens. In einer weiteren Publikationzum gleichen Sample wurde dargestellt, welcher Teil derÖffentlichkeit bislang an Bürgerbeteiligungsverfahrenteilnimmt und wie das methodische Vorgehen bei derRekrutierung aussieht (Lander et al. 2016). So berichte-ten 27 Studien, dass ihre Teilnehmenden eine repräsen-tative Gruppe der gesamten (Ziel-)Bevölkerung darstel-len sollten. Nur fünf Studien rechtfertigten hierbei ihrVorgehen anhand vorab definierter Ziele der Beteili-gungsmaßnahme. Nach Auswahl der Teilnehmenden be-stätigten dann nur 12 Studien, ihr Ziel bezüglich der (re-präsentativen) Teilnehmendenauswahl tatsächlich er-reicht zu haben, während 17 Studien berichteten, dassihr Verfahren nicht repräsentativ gewesen sei. Alle wei-teren Studien trafen keinerlei Aussage zur Repräsentati-vität der Teilnehmenden, auch wenn dies nach Einschät-zung vieler Expert/innen eines der zentralsten Qualitäts-kriterien für Bürgerbeteiligung ist.

6. Optimierung der normativen Governance Alle vier Beispiele für Evaluationsforschung zu zentralenBereichen der normativen Governance von Big Data For-schung haben Informationen generiert, auf deren Basiseine Optimierung der gegenwärtigen Governance Praxismöglich ist. Zum Teil machen die Arbeiten bereits selberkonkrete Optimierungsvorschläge.

Als ein exemplarisches Beispiel für Optimierungsprozes-se sei hier die Erstellung des Broad Consent Mustertex-tes durch die AG Biobanken des Arbeitskreises der me-dizinischen Ethikkommissionen genannt. Auf der Basisder oben erläuterten Arbeiten von Hirschberg et al.wurde in der interdisziplinär besetzten AG ein Muster-text erarbeitet, der 39 der 41 potentiell relevanten In-formationspunkte adressiert. Die zwei nicht adressiertenPunkte wurden mit expliziter Begründung nicht einge-schlossen. Der Evidenz- und Konsens-basierte Entwick-lungsprozess dieses Mustertextes wurde in einer Publi-kation der AG ausführlich beschrieben (Strech et al.2016). Gegenwärtig überarbeitet eine neue AG im Rah-men der Medizininformatik-Initiative diesen Mustertextso, dass neben der Biobankforschung auch andere For-men Big Data Forschung abgebildet sind. Weitere Evaluations- und Optimierungsansätze füreben jene Aufklärungs- und Einwilligungstexte sinddenkbar. So wäre zu fragen, wie gut dieser und andereBroad Consent Texte in der Praxis verstanden werden.Ein entsprechender „User Test“, wie er jüngst von Sabi-ne Bossert und Kollegen am Beispiel des Biobank-Mus -tertextes pilotiert wurde, könnte weitere wichtige In-formationen für spätere Überarbeitungen bzw. Opti-mierungen liefern (Bossert et al. 2017; Bossert/Strech2017). Aber auch die „Real World“ Umsetzung vonBroad-Consent Verfahren, z.B. im Rahmen der Kranken-hausaufnahme von Patient/innen, wäre möglichst neu-tral und valide zu evaluieren.

7. FazitIn den letzten Jahren wurden umfassende, interdiszi-plinäre Arbeiten zur Konkretisierung ethischer Prinzipi-en für die Big Data Forschung durchgeführt. Dies zeugtfür eine hohe ethische Sensibilität derjenigen, die BigData Forschung vorbereiten, fördern und durchführen.Diese (aus guten Gründen) bislang theoretische Arbeitsollte zukünftig vermehrt durch Praxisevaluationen er-gänzt werden, um „Real World“ Informationen zu denerwünschten und unerwünschten Effekten der verschie-denen normativen Governance-Bereiche zu sammeln.Die Ergebnisse der Praxisevaluationen sollten konsekutivdie Optimierung der gegenwärtigen Governance-Berei-che für Big Data Forschung informieren.

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n Dr. Dr. Daniel Strech, Professor für Transla-tionale Bioethik an der Charité in Berlin, AG-Leiter am QUEST-Center des Berliner In-stituts für Gesundheitsforschung (BIG/BIH),E-Mail: [email protected]

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Stefan Treue & Roman Stilling

Tierversuche verstehen

Transparenz und proaktive Kommunikationüber tierexperimentelle Forschung

Roman Stilling

The current success of biomedical research critically relies on the use of animals – to study fundamental biolo-gical processes or as models for human disease. At the same time, animal welfare in research facilities hasmade significant progress in the last decades. However, animal-based research has a notoriously bad reputa -tion throughout society. We propose that, to a large extent, this situation is due to a lack of transparency and openness to communicate about the necessity, the regulatory framework, and significance of animals research.To this end, in September 2016 the Alliance of Science Organisations in Germany launched the initiative “Tier-versuche verstehen” to comprehensively and transparently engage the public with all aspects of using animalsin research.

FoAnregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte

Stefan Treue

Die Nutzung von Tieren in der Forschung hat ein denk-bar schlechtes Image. Forscher und Forscherinnenfühlen sich missverstanden und bedroht, die öffentlicheDiskussion um dieses wichtige und anspruchsvolleThema ist dominiert von den extremen Positionen radi-kaler Tierversuchsgegner. Diese suggerieren der Öffent-lichkeit eine enthemmte und nutzlose tierexperimentel-le Forschung zum Ruhm und Reichtum gewissensloserForscher und Forscherinnen zu Lasten der Tiere.Wie konnte es zu so schlechten Voraussetzungen füreinen sachlichen, faktenbasierten gesellschaftlichen Dis-kurs kommen? Ganz wesentlich hat dazu die mangelndeTransparenz und Kommunikation von Seiten der Wis-senschaft über die Notwendigkeit, die Rahmenbedin-gungen, die Grenzen und die Bedeutung von tierexperi-mentellen Ansätzen beigetragen. Koordiniert und finan-ziert von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen istam 6. September 2016 die Informationsinitiative „Tier-versuche verstehen“ an den Start gegangen. Mit einerWebsite (www.tierversuche-verstehen.de) und anderenAktivitäten richtet sich die Initiative an Öffentlichkeit,Politik und Medien, um umfassend und transparentüber Tierversuche in der Forschung zu informieren. Sieleistet damit nun seit knapp zwei Jahren einen entschei-denden Beitrag dazu, die öffentliche Diskussion überNotwendigkeiten, Nutzen und Alternativen tierexperi-menteller Forschung zu versachlichen.

1. AusgangspunktDie Biomedizin ist ein Schwerpunkt moderner For-schung mit enormen Erfolgen. So hat sich beispielswieseunser Wissen um die Funktionsweise sowohl des Im -

mun- als auch des Nervensystems, ihrer Erkrankungenund deren Prävention, Diagnose und Therapie in denletzten Jahrzehnten explosionsartig erweitert. Das hatzu großen Fortschritten in der Medizin geführt, aberauch zu einem neuen Verständnis davon, was denmenschlichen Organismus ausmacht und in weit er sichvon anderen Organismen, wie etwa dem assoziiertenMikrobiom, abgrenzen lässt. Trotzdem werden ganzeBereiche der biomedizinischen Forschung in der Öffent-lichkeit kritisch gesehen. All diesen Themen ist gemein,dass sie uns veranlassen verschiedene moralische Grund-werte gegeneinander abzuwägen oder zu hinterfragen.Dazu gehören zum Beispiel die Gentechnik, die Stamm-zellforschung und Tierversuche.Tierexperimentelle Ansätze sind zwar nur ein kleinerTeil des biomedizinischen Methodenspektrums, sie sindaber für zentrale Bereiche und Fragestellungen essen -tiell und alternativlos. So haben Tierversuche zu fastallen Nobelpreisen für Physiologie oder Medizin derletzten 100 Jahre beigetragen. Zu dieser wissenschaftli-chen Erfolgsgeschichte kommen große Fortschritte imTierschutz durch umfangreiche Verbesserungen in derMethodik und der Entwicklung hoher gesetzlicher An-forderungen an tierexperimentelle Forschung.Trotzdem hat diese ein denkbar schlechtes Image. For-scher/innen fühlen sich missverstanden und bedroht,die öffentliche Diskussion um dieses wichtige und an-spruchsvolle Thema ist dominiert von den extremenPositionen radikaler Tierversuchsgegner. Diese sugge-rieren der Öffentlichkeit eine enthemmte und nutzlosetierexperimentelle Forschung zum Ruhm und Reichtumgewissensloser Forscher und Forscherinnen zu Las tender Tiere.

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2. Kommunikationsschieflage

Wie konnte es zu so schlechten Voraussetzungen füreinen sachlichen, faktenbasierten gesellschaftlichen Dis-kurs kommen? Ganz wesentlich hat dazu die mangelndeTransparenz und Kommunikation von Seiten der Wis-senschaft über die Notwendigkeit, die Rahmenbedin-gungen, die Grenzen und die Bedeutung von tierexperi-mentellen Ansätzen beigetragen (Abb. 1).In anderen forschungsstarken Ländern hat die Wissen-schaftsgemeinschaft aus dieser Erkenntnis schon vor Jah-ren Konsequenzen gezogen und Anstrengungen unter-nommen diese Kommunikationsschieflage zu überwinden.Die britische Understanding Animal Research, die französi-sche Recherche Animal, die schweizer Forschung fürLeben oder die amerikanische Foundation for BiomedicalResearch sind Beispiele für koordinierte Trans parenz- undKommunikationsinitiativen der dortigen Wissenschaft.In Deutschland hat diese Entwicklung deutlich längergebraucht. Trotz vereinzelter lokaler Initiativen war esvor allem die komplexe, zergliederte Struktur der deut-schen akademischen Forschungslandschaft und die aus-geprägte Elfenbeinturmmentalität in der Wissenschaft,die hier als Hemmschuh gewirkt haben.

3. Informationsinitiative der Allianz der Wissenschaftsorganisationen

Nach einer langen Vorbereitungszeit schließt Deutsch-land nun aber seit Ende 2016 zu den entsprechenden Ak-

tivitäten im Ausland auf. Koordiniert und finanziert vonder Allianz der Wissenschaftsorganisationen1 ist am 6.September die Informationsinitiative „Tierversuche ver-stehen“ an den Start gegangen. Sie startet mit einem jähr-lichen Budget von 250.000€ über fünf Jahre, einer Refe-rentenstelle, der Expertise einer Kommunikationsagenturund dem ehrenamtlichen Engagement der Wissenschaft-ler/innen und Kommunikationsexpert/innen in ihrer Steu -erungsgruppe und den beteiligten Institutionen.Mit der Website (www.tierversuche-verstehen.de) richtetsich die Initiative an Öffentlichkeit, Politik und Me dien,um umfassend und transparent über Tierversuche in derForschung zu informieren und damit die öffentliche Dis-kussion über Notwendigkeiten, Nutzen und Alternativentierexperimenteller Forschung zu versachlichen. Dazukommt ein YouTube-Kanal und Kommunikation über diesozialen Medien (auf Twitter unter @TVVde) sowieKommentar- und Diskursmöglichkeiten. Über eine Exper-tendatenbank vermittelt die Initia tive Ansprechpartnerfür Journalisten, Schulen und die Politik.„Tierversuche verstehen“ ist keine Reaktion auf einzelnemedienwirksame Kampagnen von radikalen Tierver-suchsgegnern, im Netz oder auf der Straße. Das Projektrepräsentiert vielmehr einen Richtungswechsel in der

Kommunikation über konflikt -reiche und komplexe Themen:Fand Kommunikation über Tier-versuche von Seiten der Wissen-schaft bisher vor allem anlassbe-zogen als Krisenkommunikationstatt, wirbt die Initiative nundarum, mit proaktiver Kommu-nikation zu einem sachlichen,faktenbasierten gesellschaftli-chen Diskurs beizutragen. Diesist kein Ersatz sondern eine Er-gänzung für die entsprechendenlokalen Aktivitäten von Seiteneinzelner Wissenschaftler/innenund ihrer Institutionen. Fürdiese bietet „Tierversuche ver-stehen“ Medientrainings undberät, wie Transparenz und eineproaktive Kommunikation zudem schwierigen Thema Tierver-suche gelingen kann.

KommunikationsverantwortungMit der Gründung der Informa-tionsinitiative stellt sich die Alli-anz der Wissenschaftsorganisa-tionen der Kommunikationsver-antwortung öffentlich geförder-ter Forschung. Verantwortungs-

Abb. 1: Ein Teufelskreis

1 Mitglieder der Allianz sind die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH),die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der DeutscheAkademische Austauschdienst (DAAD), die Deutsche Forschungsgemein-schaft (DFG), die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), die Helmholtz-Gemein-schaft (HGF), die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die Leibniz-Ge-meinschaft (LG), die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und der Wissen-schaftsrat (WR).

Ein „Teufelskreis“, der für die gegenwärtige Kommunikationsschieflage mitverantwortlichist. Angetrieben wird der Kreislauf durch Kampagnen von Tierversuchsgegnern, die auf einerhebliches Informationsdefizit in der Bevölkerung treffen. In dieser Situation findet prak-tisch jede Information in der Öffentlichkeit Gehör, auch wenn sie nicht den Tatsachen ent-spricht. Diese Informationen bleiben in aller Regel unwidersprochen, denn die Wissen-schaft ist bisher zumeist schlecht auf solche Kampagnen vorbereitet. Den oft haltlosen Vor-würfen wird von Seiten der Wissenschaft mit Unverständnis und mit weiterem Zurückzie-hen begegnet, also weniger Offenheit in der Kommunikation. Über Tierversuche wird ineinem solchen Umfeld nur noch intern gesprochen, in Erfolgsmeldungen der Pressestellentaucht die Methodik dann kaum noch auf. Das führt dazu, dass den Empfängern dieserMeldungen nicht klar ist, auf welche Weise die Forschungsdurchbrüche gelungen sind.Dies trägt weiter zum Informationsdefizit bei und so schließt sich der Teufelskreis.

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte Fo

bewusste Tierversuche beruhen auf einem gesellschaftli-chen Konsens über die Abwägung zwischen dem Schutzund Wohl des Tieres und der Bedeutung wissenschaftli-cher Erkenntnis für den Menschen und für Tiere. DieserKonsens muss stetig von einer sachlichen und faktenba-sierten Diskussion begleitet werden. Dazu soll die Infor-mationsinitiative wesentliche Beiträge liefern.

4. Großer Bedarf an InformationDie hohe Zahl an Zugriffen auf die Webseiten von „Tier-versuche verstehen“, das Interesse an den Videoclipsdes YouTube-Kanals und der stetige Zuwachs bei denTwitter-Followern dokumentieren einen großen Bedarfan verlässlichen Informationen über Tierversuche in derÖffentlichkeit und auch in der Wissenschaft selbst.Besonders gefragt sind die Materialien zur Bedeutung undRolle von Tierversuchen, aber auch Materialien die sichhäufigen Fehlwahrnehmungen in der Öffentlichkeit wid-men. Dazu gehört zum Beispiel die Vorstellung, dass Tier-versuche für Kosmetik gemacht werden, obwohl solcheVersuche seit Jahren in Deutschland und auch allen ande-ren EU-Staaten verboten sind. Selbst der Import von imnicht-EU-Ausland in Tierversuchen getesteten Kosmetikaist verboten. Ebenso verbreitet ist die Vorstellung, dassSchimpansen und andere Menschenaffen in Tierversu-chen eingesetzt werden, obwohl das in Europa schon seitmehr als zehn Jahren nicht mehr der Fall ist. Ausführlicherläutert die Website zudem die Möglichkeiten und Gren-zen von Alternativ- und Ergänzungsmethoden und bietetumfangreiche Informationen über die Anzahl und Art vonTieren in der tierexperimentellen Forschung sowie dierechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen.Neben solchen statischen Hintergrundinformationenliegt der Fokus der Webseite aber auf einer Nutzung alsNewsportal. Die Inhalte auf der Startseite verändern sichdynamisch und neue Artikel, Meldungen, Interviewsund andere Beiträge kommen hinzu, die auf aktuelleForschungsergebnisse hinweisen, zu Diskussionen Stel-lung nimmt und aktuelle Entwicklungen einordnen.Dabei ist die Redaktion, die die Inhalte für die Webseiteerstellt, auf die Unterstützung aus der wissenschaftli-chen Community angewiesen. Kontinuierlich benötigtdie Initiative Ansprechpartner und Experten, die sich be-reit erklären, öffentlich zur Verfügung zu stehen für dieRecherche von verlässlichen Hintergrundinformationen,für Interviews oder auch für zeitkritische Statements zuaktuellen Forschungsfragen.

5. ErfolgeDie wohl wichtigste Erkenntnis seit demStart der Initiative ist, dass sich viele der Be-fürchtungen, die im Vorfeld die Diskussionüber mehr Transparenz und proaktive, offeneKommunikation zum Thema Tierversuchebestimmt hatten, nicht bewahrheitet haben. Wedergab es einen der berüchtigten „shit storms“ in den so-zialen Netzwerken, noch hat die zunehmende Kommu-nikationsaktivität zu diesem Thema „schlafendeHunde“ geweckt und in der Folge zu medienwirksamenKampagnen gegen die Initiative oder seine Protagonis -

ten geführt. Eine wichtige Erfahrung, die sich auch anvielen Einzelbeispielen zeigen lässt, ist also, dass eineÖffnung hin zu vermehrter proaktiver Kommunikationnicht damit korreliert, ob oder wie sehr man in denFokus von Kampagnen der Tierversuchsgegner gerät.Tatsächlich scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein:Proaktive Kommunikation ist nicht nur eine gute Vor-bereitung auf die nächste Krise, sondern kann dazubeitragen vor einer solchen zu schützen. Ein eindrück-liches Beispiel dafür fand sich unlängst am Max-Del-brück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) in Ber-lin, das durch die langjährige Offenheit in der Lage war,sich kollektiv und solidarisch einer Negativ-Kampagneoffensiv entgegen zu stellen und so die Berichterstat-tung zu Gunsten der Forschung zu drehen (Bericht undHintergrund dazu unter: https://www.tierversuche-ver-stehen.de/wir-haben-kein-herz-aus-stein-lassen-sie-uns-reden/).„Tierversuche verstehen“ hat sich in der deutschen Me-dienlandschaft durch schnelle und umfassende Bearbei-tung von Presseanfragen mittlerweile einen festen Platzals Ansprechpartner für die Sicht der Wissenschaft ge-macht. Dies ist insbesondere dort wichtig, wo die redak-tionelle Verantwortung für journalistische Beiträge zumThema Tierversuche nicht mehr bei Fachjournalistenliegt, die in aller Regel mit der Thematik vertraut sindund in der Lage sind, trotz Zeit und Ressourcenmangelmit der nötigen Sorgfalt zu recherchieren. Dabei bautTierversuche verstehen auch auf die punktuelle Zusam-menarbeit mit dem Angebot des Science Media CentersGermany (SMC), das Journalisten bei der Berichterstat-tung zu wissenschaftlichen Themen mit gesamtgesell-schaftlicher Brisanz unterstützt.Auch innerhalb der lebenswissenschaftlichen Communi-ty ist die Initiative bekannt geworden und findet dortzunehmend Unterstützung. So haben sich bereits zehnunabhängige wissenschaftliche Organisationen den An-liegen und Zielen der Initiative als Kooperationspartnerangeschlossen. Darunter neben Fachgesellschaften wiedie Deutsche Gesellschaft für Immunologie (DGfI) auchgroße Verbände, wie der VBIO und die Deutsche Hoch-schulmedizin. Weitere sollen folgen. Es ist daher nurkonsequent, dass Wissenschaftler/innen oder For-schungseinrichtungen die Angebote auf vielfältige Weisenutzen, etwa als Informationsressource, zur Beratung füreigene Aktivitäten oder als Referenten für Vorträge undDiskussionsveranstaltungen.

6. Ausblick

Ein wichtiges Anliegen der Initiative ist, die Kommuni-kationsanstrengungen aller relevanten Forschungsein-richtungen zu verstärken und die Transparenz lokal zu

Abb. 2: Logo der Informationsinitiative

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erhöhen. Zu viele Universitäten und außeruniversitäreForschungseinrichtungen verzichten aktuell noch daraufsich öffentlich zu dem Thema Tierversuche zu positio-nieren. Es findet aber zunehmend ein Umdenken statt,hin zu mehr Offenheit und Transparenz. Dafür ist „Tier-versuche verstehen“ in verschiedener Weise Katalysatorund verlässlicher Partner, und trägt etwa durch Bera-tungsgespräche oder als Initiatorin neuer Überlegungenzu einer neuen Kommunikationskultur bei. Dazu hat dieInitiative gerade kürzlich ein spannendes Drittmittelpro-jekt gemeinsam mit der VolkswagenStiftung ins Lebengerufen, bei dem sich Universitäten für Mittel zur Ent-wicklung einer transparenten Kommunikation zu Tier-versuchen bewerben können. Wichtiges Ziel der Initiati-ve ist dabei, die Institutionen zu ermächtigen selbstsprechfähig zu werden – und zwar nicht erst im Krisen-fall. Die Angebote von „Tierversuche verstehen“ solltenimmer nur als Ergänzung lokaler Kommunikationsakti-vitäten gesehen werden – niemals als Ersatz.Wie wir aus vielen anderen Lebensbereichen wissen, ver-lagert sich der Prozess der Meinungsbildung zunehmendin die sozialen Netzwerke. „Tierversuche verstehen“ suchtdaher die Vernetzung mit Wissenschaftskommunikato-ren, Journalisten und anderen Zielgruppen bei Twitterund beteiligt sich an der Diskussion der eigenen Videos auf YouTube. Allerdings werden diese Netzwerkedurch den Effekt der „Filterblasen“ beherrscht. Das führtdazu, dass die Reichweite der eigenen Aktivitäten meistsehr viel beschränkter ist, als es zunächst den Anscheinhat. Auch die Initiative „Tierversuche verstehen“ wirddurch solche Effekte herausgefordert neue Wege zugehen. Gerade Twitter eignet sich hierbei als Medium mitdem Potential, diese Blasen zumindest punktuell zumPlatzen zu bringen, indem sich die Initiative aktiv in Kon-versationen rund um das Thema Tierversuche einbringt,Informationen zur faktenbasierten Meinungsbildung an-bietet und gewinnbringende Dialoge ermöglicht.

7. Fazit für die Praxis

„Tierversuche verstehen“ gibt auf viele Arten Einblickein das Themenfeld verantwortungsbewusster Tierversu-che. Verantwortungsbewusst heißt, stets in Abwägungzwischen dem Schutz und Wohl des Tieres und der Be-deutung wissenschaftlicher Erkenntnis für den Men-schen zu handeln. Verantwortungsbewusst heißt aberauch, dem gesellschaftlichen Verlangen nach Transpa-renz und der Begründung für öffentlich finanzierte For-schung an und mit Tieren nachzukommen.Bei Vorträgen zu den Aktivitäten von „Tierversuche ver-stehen“ regen wir daher immer auch einen Dialog überdie vielen Möglichkeiten an, die jede einzelne Personim Forschungssystem nutzen kann, um zu einer Verbes-serung der Kommunikation zwischen Wissenschaft undGesellschaft beizutragen. Dazu gehören unter anderemdiverse niedrigschwellige Möglichkeiten sich zu enga-gieren und die sachliche Diskussion, vor allem online,zu fördern.

n Dr. Stefan Treue, Professor für KognitiveNeurowissenschaften und Biopsychologie, Direktor des Deutschen Primatenzentrums,Leibniz-Institut für Primatenforschung, Abtei-lungsleiter Kognitive Neurowissenschaften, E-Mail: [email protected] n Dr. Roman Stilling, Wissenschaftlicher Refe-rent, Informationsinitiative „Tierversuche ver-stehen“ der Allianz der Wissenschaftsorgani-sationen, E-Mail: [email protected]

An unsere Leser/innen und Autor/innen: Geschäftsgebaren von Amazon im Umgang mit dem UniversitätsVerlagWebler

Sie haben möglicherweise schon einmal versucht, ein Erzeugnis des UVW bei Amazon zu bestellen. Dann haben Sie erfah-ren: Amazon hatte den Titel zwar geführt, aber als „nicht verfügbar” bezeichnet. Diese Formel wird von Kunden üblicher-weise als „vergriffen” verstanden. Die korrekte Auskunft hätte wohl lauten müssen: „Von uns nicht lieferbar”.Denn wir arbeiten mit Amazon nicht zusammen. Von Anfang an nicht. Und – unsere Titel sind in aller Regel lieferbar oderwerden kurzfristig nachgedruckt. Sie sind in jeder Buchhandlung erhältlich oder direkt beim Verlag zu bestellen.Warum ist das so? Amazon hatte uns vor Jahren bereits angeboten zu kooperieren, wenn wir bereit seien, auf ihre Bezugs-bedingungen einzugehen. Die von diesem Händler geforderten Gewinnmargen lagen jedoch weit über den im Buchhandelüblichen. Daraufhin hatte sich der Verlag entschlossen, auf den Vertrieb seiner Bücher und Zeitschriften über Amazon ganzzu verzichten. Andernfalls müssten hohe Amazon-Gewinnmargen in die Preise einkalkuliert werden – die Endpreise für un-sere Kunden müssten steigen. Das lehnen wir ab. Auch den Verdrängungswettbewerb gegenüber dem deutschen Buch-handel lehnen wir ab. Wir arbeiten vertrauensvoll mit dem gesamten übrigen Buchhandel zusammen, weil wir das deut-sche Buchhandelssystem für eine Errungenschaft, ein Kulturgut erster Ordnung ansehen. Wer Länder ohne ein solches kun-dennahes, beratendes Buchhändlersystem kennt, weiß, was es in Deutschland zu verteidigen gilt. Wir sind als Verlag in Ge-fahr, damit auf etwa 25% unseres möglichen Umsatzes zu verzichten. Als Fachverlag versuchen wir dies zu kompensierenund unsere Adressaten direkt über unsere Titel zu informieren.Täuschen Sie sich nicht über die Lieferbarkeit unserer Titel.Über http://www.universitaetsverlagwebler.de können Sie sich jederzeit informieren.

Wolff-Dietrich Webler, Verleger

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Karin Gavin-Kramer

Allgemeine Studienberatung nach 1945:

Entwicklung, Institutionen, AkteureEin Beitrag zur deutschen Bildungsgeschichte

ISBN 978-3-946017-15-8, Bielefeld 2018 (erscheint voraussichtlich im Oktober), E-Book, 530 Seiten + 710 Seiten Archiv-Anhang

Erstmals überhaupt thematisiert und doku-mentiert dieses umfangreiche E-Book dasWesen und die Rolle der Allgemeinen Stu -dienberatung als Teil der deutschen Bil-dungsgeschichte. Hochschulgesetze, Kultus-minister- und Hochschulrektorenkonferenzhaben die Allgemeine Studienberatung zueiner Institution mit anspruchsvollen, genaudefinierten Aufgaben und Voraussetzungenbestimmt und sie dem akademischen Be-reich zugeordnet. Schon die erste Studien-beratergeneration bemühte sich aktiv umBeratungsqualität, ethische Grundsätze undum Unabhängigkeit ihrer Arbeit. Fort- undWeiterbildung blieben stets aktuelle The-men, was sich u. a. an der selbst entwickel-ten GIBeT-Zertifikatsfortbildung und an bis-her über 80 Tagungen zeigt. Das E-Book do-kumentiert diese und weitere Studienbera-tungstagungen im Detail.

In neun Kapiteln und einem umfangreichenArchiv-Anhang mit teils unveröffentlichtenZeitdokumenten bietet dieses einmaligeNachschlage- und Nachlesewerk einen In-tensivkurs in deutscher Universitätsge-schichte nach 1945. Während das erste Ka-pitel wichtige Aspekte und Probleme derAllgemeinen Studienberatung beschreibt,geht es im zweiten um ihre bildungspoliti-sche Funktion, ergänzt von einer Zusam-menstellung der Gesetzesparagrafen (BRD/DDR) zur Studierendenberatung (1966–2017). Kapitel 3 befasst sich u. a. anhand konkreter Beispiele mit derhistorischen Entwicklung der ZSB, wobei zum Vergleich kurz auch die Anfänge der Studierendenberatung inÖsterreich und der Schweiz dargestellt werden. Die Kapitel 4 bis 6 behandeln Anfänge und Entwicklung derteils schwierigen Beziehungen der Allgemeinen Studienberatung zu ihren wichtigsten Kooperationspartnern:Psychologische Beratung, Studienfachberatung und Berufsberatung. Kapitel 7 problematisiert anhand von Beispielen „Aufgabenspektrum und Eingruppierung“ der Allgemeinen Studienberatung. Kapitel 8, das vom Engagement der Akteure handelt, wird ergänzt durch 14 Zeitzeugeninterviews aus den Jahren 2009 bis 2014.Kapitel 9 schließlich gibt – z. T. erstmals – einen Einblick in die über die Grenzen des eigenen Bundeslandes hinaus kaum bekannte, sehr unterschiedliche Beraterkooperation auf Länderebene.

Demnächst erhältlich in der Reihe: Hochschulwesen – Wissenschaft und Praxis

E-Book

Erhältlich im Fachbuchhandel und direkt beim Verlag – auch im Versandbuchhandel (aber z.B. nicht bei Amazon).

Vorbestellung – E-Mail: [email protected], Fax: 0521/ 923 610-22

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U. Dirnagl & M. Yarborough n Klinische Studien an Patientinnen und Patienten mit ...Fo

Weltweit leiden Millionen Menschen an neurologischenErkrankungen und Störungen, für die es bisher nur weni-ge oder gar keine wirksamen Therapien gibt. So gab es inden mehr als 20 Jahren seit der US-Zulassung von Rilu -zole zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerosezwar Studien mit 60 neuen Molekülen, doch diese führ-ten nur zu einer einzigen neuen Arzneimittelzulassungdurch die FDA, die US-Lebensmittelüberwachungs- undArzneimittelbehörde (Petrov et al. 2017). Trotzdem aufdem Gebiet der Alzheimer-Forschung über mehrere Jahr-zehnte zahlreiche klinische Prüfungen durchgeführt wur-den und viele Milliarden Euro in die präklinische For-schung investiert wurden, ist nach wie vor kein effektivesMedikament gegen die Krankheit auf dem Markt (Win-disch 2015). Obwohl es zahlreiche Neuroprotektiva gibt,die sich in präklinischen Modellen als wirksam in der Ver-besserung der Folgen eines experimentell induziertenSchlaganfalls erwiesen haben, hat sich bisher keinesdavon als wirksam bei Patienten mit dieser Erkrankungerwiesen (Dirnagl 2016). Diese Beispiele illustrieren dieganz allgemein geringe Erfolgsrate bei der Entwicklungneuer und effektiver Therapien für die wichtigsten undschwerwiegendsten Erkrankungen des Nervensystems.

Risiko und Nutzen klinischer Prüfungen beigeringer Erfolgsaussicht der neuen TherapiePatientinnten und Patienten mit schwerwiegenden Er-krankungen des Nervensystems, die für frühe klinischeArzneimittelstudien in Frage kommen, müssen ihre Ent-scheidung für oder gegen eine Studienteilnahme vordem Hintergrund treffen, dass ein unmittelbarer per-sönlicher Nutzen durch die Studienteilnahme wenigwahrscheinlich ist, auch wenn sie sich in der Behand-

lungsgruppe befinden (Kimmelman 2018). Es mussdaher ein Diskurs geführt werden, der die Vorteile derForschung und die Suche nach medizinischen Durch-brüchen in den Mittelpunkt stellt, und dabei die mögli-chen Nachteile und den vermutlich eher bescheidenentherapeutischen Nutzen nicht verschweigt. Die absolu-te Notwendigkeit, Forschung zur Etablierung neuer, effektiver Therapien gegen schwerwiegende Erkrankun-gen voranzutreiben, muss also gegen den nicht mindernotwendigen Schutz der Sicherheit und die sonstigenInteressen derjenigen, die diese Forschung durch ihrefreiwillige Teilnahme überhaupt erst möglich machen,abgewogen werden.Dies gilt für alle Bereiche der Medizin, wobei die Erkran-kungen des Nervensystems hier mit besonderen Heraus-forderungen aufwarten – allen voran zweifelsohne dieextreme Komplexität neurologischer und psychiatrischerErkrankungen sowie unser sehr begrenztes Wissen überderen Pathophysiologie. Erschwert wird dies noch da-durch, dass es kaum Tiermodelle gibt, mit denen sichkomplexe menschliche Hirnphänomene, wie Kognition,Emotionen und Verhalten abbilden lassen. Nicht-huma-ne Primaten, die diese Eigenschaften und Fertigkeitenmöglicherweise mit uns teilen, stehen aufgrund ethi-scher Aspekte entweder gar nicht oder nicht in ausrei-chender Zahl für Forschungszwecke zur Verfügung.

Wie robust ist das präklinische Fundament aufdem klinische Studien aufbauen?In den meisten Fällen folgt die klinische Prüfung vonneuen Therapien einer präklinischen Entwicklung. Indieser wurde, basierend auf Untersuchungen zu vermu-teten Krankheitsursachen und Schadensmechanismen

Ulrich Dirnagl & Mark Yarborough

Klinische Studien an Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Hirnerkrankungen: Qualität präklinischerEvidenz im ethischen Kontext Mark Yarborough

This article summarizes the results of the Herrenhausen Conference “Lost in the Maze? Navigating Evidence andEthics in Translational Neuroscience” (Hanover, Germany, Feb 12-14 2018) which was funded by the VolkswagenFoundation and organized to instigate critical changes in research on serious neurological disorders. These in -clude, on the one hand, to better enable diagnosed individuals to make truly informed decisions about partici -pating in research on novel treatment modalities. On the other hand participants discussed measures to improvethe quality of prior research. Trialists rely on preclinical research to design and launch studies, as do research review boards as they ponder the safety of proposed trials and whether benefits outweigh risks. Both groups canbe unaware of the quality concerns that often plague prior research and the extent to which those concerns undermine their decisions. It is critical to improve that research in order to responsibly establish that it is bothsafe and ethical for trials to commence.

Ulrich Dirnagl Foto

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte Fo

das neue Therapeutikum in Modellsystemen der Erkran-kung soweit entwickelt, dass Ethikkommissionen undZulassungsbehörden von deren Nutzen und Sicherheitüberzeugt werden konnten und einer Prüfung am Men-schen zustimmten. In den letzten Jahren kommen je-doch vermehrt Zweifel darüber auf, ob diese präklini-schen Untersuchen immer mit der gebotenen Robust-heit und Qualität durchgeführt werden und ob über-haupt Mechanismen existieren, die Robustheit undQualität bei der Entscheidung für eine Studiendurch-führung rationell berücksichtigen. Eine Vielzahl vonmeta-analytischen Studien in verschiedensten Indika -tionsbereichen (z.B. Schlaganfall: Crossley et al. 2008;Demenzerkrankungen: Egan et al. 2016; Rückenmarks-verletzung: Watzlawick et al. 2014) fand Hinweise da -rauf, dass präklinische Untersuchungen häufig zu geringeinterne, externe sowie statistische Validität (Button et al.2013) aufweisen, sowie ein starker Publikationsbias(Sena et al. 2010) die Veröffentlichung von negativenund sogenannten NULL Resultaten erschwert. Ergebnis-se rein explorativer Forschung bilden häufig ohne nach-folgende Konfirmation (z.B. in multizentrischen präklini-schen Studien) die Basis für klinische Studiendesigns(Kimmelman et al. 2014). Theoretische Überlegungenlegen nahe, dass ein nicht geringer Teil der präklinischenErgebnisse falsch positiv ist, bzw. unrealistisch hohe Ef-fektstärken zeigt (Button et al. 2013). Dies wird durchReplikationsstudien, wie sie jetzt häufiger durchgeführtwerden, praktisch bestätigt: Viele Studienergebnisse las-sen sich nicht replizieren und auch wenn ein Effekt ge-funden wird, ist er meist niedriger als in den Originalpu-blikationen (Button et al. 2013).

Die Herrenhausen-Konferenz „Lost in theMaze?“Die von der Volkswagen-Stiftung geförderte Herrenhau-sen-Konferenz zum Thema „Lost in the Maze? NavigatingEvidence and Ethics in Translational Neuroscience“(Schloss Herrenhausen, Hannover, 14.-16. Februar 2018)sollte daher vor diesem Hintergrund ein Nachdenkenüber die Erforschung schwerer neurologischer Erkrankun-gen anstoßen. Einerseits gilt es, potenzielle Studienteil-nehmer in die Lage zu versetzen, wirklich fundierte undinformierte Entscheidungen darüber zu treffen, ob sie anStudien zu neuen Therapieformen teilnehmen möchten.Andererseits sollten Maßnahmen erörtert werden, mitdenen sich die Qualität der präklinischen Studien verbes-sern lässt, welche die Grundlage für das Design und dieDurchführung klinischer Studien darstellen. Auch die zu-ständigen regulatorischen Behörden und Ethikkommis-sionen verlassen sich ja bei der Sicherheits- und Nutzen-Risiko-Abschätzung beantragter klinischer Studien aufdie präklinische Evidenz. Sowohl die Verantwortlichenund Durchführenden von klinischen Studien, als auchBehörden und Ethikkommissionen sind sich der Qua-litätsmängel vorausgehender Untersuchungen möglicher-weise nicht bewusst und wissen auch nicht, dass dieseMängel ihre Entscheidungen untergraben könnten. Die Problemlage in Bezug auf translationale Neurowis-senschaften ist komplex und bezieht sich auf die präkli-nische Forschung ebenso wie auf die öffentliche Darstel-

lung dieser Forschung. Beides wirkt sich auf die Sicher-heit und die Entscheidungsfähigkeit derjenigen aus, dieals Teilnehmer an klinischen Studien in Frage kommen.Die Verantwortlichen für die präklinische Forschungsowie Forschungsförderer und Redakteure fachwissen-schaftlicher Zeitschriften müssen erkennen, dass Qua-litätsmängel in der präklinischen Forschung Problemefür frühe klinische Studien nach sich ziehen können. Kli-niker, die Patienten in Studien einschliessen, müssensich bewusst sein, dass frühen klinischen Tests Risikenanhaften – nicht nur, weil die zu untersuchenden Thera-pieansätze neuartig sind, sondern auch, weil die klini-schen Studien möglicherweise auf zu wenig aussagekräf-tige vorausgehende Untersuchungen aufbauen (Hartung2013; Ioannidis 2017; Lindner 2007; Peers et al. 2014).Dass Kliniker sich dieser Gefahr bewusst sind, ist insbe-sondere deshalb wichtig, weil die meisten Patienten miteiner hohen Erwartungshaltung an frühen klinischenStudien teilnehmen und den potenziellen Nutzen häufigüberschätzen (Horng/Grady 2003; Kimmelman 2007).Wir sollten erkennen, dass• zwischen der Qualität der präklinischen Forschung

und der Ethik translationaler Medizin ein oft nicht un-mittelbar erkennbarer Zusammenhang besteht (Kim-melman/Federico 2017);

• wir klinische und präklinische Studien noch kritischerüberprüfen müssen (Wieschowski et al. 2018);

• wir mehr Gelegenheiten für den Austausch zwischenWissenschaftlern, Ethikern, Patienten, Klinikern undKommunikationsexperten schaffen müssen;

• wir institutionelle Hürden für diese Art von Zusammen-arbeit überwinden und alles in unserer Macht stehendetun müssen, um einander dabei zu unterstützen, solcheinen übergreifenden Austausch zu ermöglichen.

Eine der Strategien, mit denen sich Sicherheit, wissen-schaftlicher Wert und Ethik früher klinischer Studien be-deutend verbessern lassen, könnte darin bestehen, zwi-schen exploratorischen und konfirmatorischen präklini-schen Studien klar zu unterscheiden (Kimmelman et al.2014; Mogil/Macleod 2017) und Konfirmation insbeson-dere dann einzufordern, bevor es zum Einsatz am Men-schen kommt. Wichtig ist es außerdem, dass sich die For-schergemeinde selbstkritischer mit ihren eigenen Ergeb-nissen auseinandersetzt und mehr Metastudien durch-führt. Wir brauchen bessere Instrumente, um Evidenzaus präklinischen Studien zu bewerten und abzusichern.Hierzu zählt eine bessere wissenschaftliche Qualitätsme-trik, damit solide und belastbare Forschung institutionellhöher bewertet wird als hohe Zitationsraten und der Impact-Faktor der entsprechenden Zeitschriften.

Empfehlungen und Resultate der KonferenzEmpfehlungen werden nur angenommen, wenn die Be-troffenen auch erkennen, welche Probleme damit beho-ben werden können. Im Laufe der Konferenz wurde of-fensichtlich, wie wenig verbreitet bei den verschiedenenStakeholdergruppen das Bewusstsein darüber ist, dassQualitätsprobleme in der präklinischen Forschung um-fangreiche und schwerwiegende ethische Folgen nachsich ziehen. Wir müssen daher alle Beteiligten für diese

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U. Dirnagl & M. Yarborough n Klinische Studien an Patientinnen und Patienten mit ...Fo

späteren Folgen sensibilisieren und Impulse dafürgeben, wie sie sich besser vermeiden lassen. Eine der wohl wichtigsten Botschaften der Konferenzwurde immer wieder von verschiedenen Teilnehmern be-tont: Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Stakeholderist unverzichtbar, wenn wir die derzeitigen Qualitätspro-bleme in der präklinischen Forschung und deren negati-ven Einfluss auf wissenschaftlichen Wert, Sicherheit undEthik früher klinischer Studien beseitigen wollen.

Weitere wichtige Konferenzergebnisse waren:1. Ethische Herausforderungen im Design klinischer Stu-

dien schaffen Hürden, die den Forschungserfolg be-hindern können. Aufgrund von Sicherheitsbedenkenim Zusammenhang mit neuartigen Interventionen –beispielsweise dem Einsatz genetisch veränderterStammzellen (Mathews et al. 2007) – werden Phase-I-Studien oft mit den Patienten durchgeführt, die amstärksten erkrankt sind und die kürzeste Lebenserwar-tung haben. Hierdurch entgeht uns die Chance, Si-cherheits- und Wirksamkeitsprobleme zu untersu-chen, die möglicherweise erst lange nach einer Trans-plantation auftreten. Da viele neurologische Störun-gen wie zum Beispiel schwere Depressionen oderneuropathische Schmerzen mit starkem Leidensdruckeinhergehen, werfen sie schon durch ihr Wesen ethi-sche Probleme auf, sowohl für die Ethikkommissionenals auch bei der Patientenrekrutierung. Bei anderendegenerativen Erkrankungen, wie beispielsweise derAlzheimer Demenz, erweist sich die Forschung alsähnlich komplex, denn hier bedarf es Interventionenim Prodomalstadium, durch die gesunde Risikopa -tienten einer bisher unerprobten und potenziell ge-fährlichen Behandlung ausgesetzt würden. Darüberhinaus müssen solche Studien sehr langfristig ange-legt sein, was für die industrielle Studiensponsoreneinen hohen Kostenaufwand bedeutet.

2. Es gibt jedoch noch weitere Fortschrittsbremsen, diewir möglicherweise sehr viel wirksamer aus dem Wegräumen können, als die bereits beschriebenen Hin-dernisse, und denen wir daher größte Aufmerksam-keit widmen sollten. Gemeint sind die vielen ver-meidbaren Beeinträchtigungen im Bereich der präkli-nischen Forschung, darunter Mängel in Studiende-sign, Datenanalyse und Ergebnisberichten. Sie allestehen dem Fortschritt im Weg (Enserink 2017; Ho-wells et al. 2017; Steward/Balice-Gordon 2014; Peerset al. 2014; Ioannidis 2014). Je weniger belastbar diepräklinische Forschung, desto schlechter lässt sich dieBerechtigung und Sicherheit klinischer Studien ein-schätzen. Ziel der Konferenz „Lost in the Maze?“ wares daher zu erörtern, wie sich diese Mängel beseiti-gen lassen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen,dass sie nicht nur den Fortschritt behindern, sondernauch eine ethisch fundierte Durchführung früher kli-nischer Studien zu neurologischen Erkrankungen undStörungen erschweren.

3. Wir können diese Probleme nur beseitigen, wenn wirsie gemeinsam mit unterschiedlichen Stakeholdernangehen. Hierzu zählen Wissenschaftler im präklini-schen Bereich, Redakteure von Wissenschaftsjourna-len, Patienten- und Angehörigenfürsprecher, Bioethi-

ker, klinische Forscher, Spezialisten für Meta-For-schung und Wissenschaftskommunikation sowieNachwuchswissenschaftler. Diese Stakeholder kön-nen nur dann zur Lösung der genannten Problemebeitragen, wenn sie das Ausmaß und die Komplexitätder Faktoren erkennen, die eine sichere und ethischfundierte Untersuchung vielversprechender neuerTherapieansätze behindern. Wir sind der Ansicht,dass es uns durch unsere Konferenz gelungen ist, dasBewusstsein der Stakeholder für diese Zusammenhän-ge zu schärfen. Darüber hinaus haben wir aussichts-reiche Strategien ermittelt, mit denen sich die Proble-me verringern lassen, die qualitativ hochwertige For-schung beeinträchtigen. Auch Hürden, mit denen beider Umsetzung dieser Strategien zu rechnen ist,konnten identifiziert werden.

Auch in Zukunft gilt es auf den Zusammenhang zwi-schen der Qualität präklinischer Untersuchungen undder ethischen Vertretbarkeit der darauf aufbauenden kli-nischen Studien hinzuweisen (Yarborough et al. 2018).Wichtig ist es außerdem, die Vorsitzenden der Ethik-kommissionen sowie die zuständigen Bundesbehörden(Paul Ehrlich Institut, Bundesamt für Arzneinmittelsi-cherheit, European Medicines Agency, usw.) über dasErgebnis der Konferenz, dass ein großes Ausmaß wissen-schaftlicher Unsicherheit in Bezug auf die potenziellenRisiken und Nutzen früher klinischer Studien besteht, zuinformieren.

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte FoMacleod, M. R./Lawson McLean, A./Kyriakopoulou, A./Serghiou, S./de

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n Ulrich Dirnagl, Department of ExperimentalNeurology, Charité – Universitätsmedizin Berlin &QUEST Center for Transforming Biomedical Re -search, Berlin Institute of Health, E-Mail: [email protected] Mark Yarborough, Bioethics Program, Universityof California Davis, Sacramento, California, UnitedStates of America, E-Mail: [email protected]

Aletta F. Hinsken

Qualitätssicherung und Governance in der Lehrerbildung Eine Bestandsaufnahme nach der Reform in Baden-Württemberg

Reformprozesse im Hochschulrecht und Hochschulstrukturen, der Bologna-Prozess und seine Umstrukturierun-gen der Studienstruktur, (externe) Qualitätssicherung – mit der Hochschulreform ging eine weitereichende Ver-änderungen einher, ein Feld, das durch politische und Machtprozesse gekennzeichnet ist. Hauptaugenmerk der qualitativen Studie liegt auf der Qualitätssicherung in der Lehrerbildung nach der baden-württembergischen Strukturreform mit dem Erkenntnisinteresse, wie die Anforderungen an Studium und Prü-fung zwischen Hochschulen und Ministerien moderiert und wie sie in Governancestrukturen an Hochschulenumgesetzt werden. Welche Maßnahmen im Bereich der Qualitätssicherung von den Hochschulen wurden um-gesetzt, um die politisch vorgegebenen Ziele zu erreichen? Welche Veränderungen haben stattgefunden? Ausgehend von einem kursorischen Überblick über die Entwicklung und insbesondere auch der jüngsten Ver-änderungen im Rahmen der Reform der Lehrerbildung werden die in der Reform der Lehrerbildung manifestier-ten Veränderungen, die Veränderungen des spezifischen Organisationstypus Hochschule auf institutionellerEbene, in den Blick genommen. Durch die Verlagerung der Prüfungshoheit von staatlicher auf die hochschu -lische Ebene – ein deutliches Signal für eine gestärkte Autonomie der lehrerbildenden Hochschulen – geht glei-chermaßen die Verantwortlichkeit für die Qualitätssicherung der Lehramtsstudiengänge einer. Doch die Vielfaltder qualitätszusichernden Inhalte und Prozesse erfordert in der Praxis besondere Methoden und Verfahren, diequasi von außen angelegt werden müssen, um zu geeigneten Urteilen und Verfahren einer Qualitätssicherungauf der organisationalen Ebene zum Beispiel einer Fachhochschule oder Universität zu kommen. Diejenigen, diedas tun, müssen dafür befähigt und legitimiert sein. Damit bekommt das Vorhaben des Qualitätsmanagementsim Tertiären Sektor unter anderem auch macht- und steuerungspolitische Dimensionen, hier Governance ge-nannt, die natürlich Berührungspunkte mit der Forschungs- und Wissenschaftspolitik haben.

ISBN 978-3-946017-13-4, Bielefeld 2018, 80 Seiten

Vorbestellung – E-Mail: [email protected], Fax: 0521/ 923 610-22

Demnächst erhältlich in der Reihe Hochschulwesen: Wissenschaft und Praxis

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C. Behl n Agendasetting in der ForschungFo

Diese kurze Abhandlung ist kein wissenschaftliches Pa-pier, das erhobene experimentelle Daten präsentiert unddie neue Erkenntnis in den Kontext des bereits Bekanntenstellt, sondern ein persönlicher Erfahrungsbericht, dieEinschätzung eines Biochemikers und Zellbiologen, derseit vielen Jahren an humanrelevanten Themen der mole-kularen Medizin arbeitet. Es soll ein opinion paper sein,ein kurzes Schlaglicht, das einigen Aspekten des ThemasAgendasetting in Teilen der medizinischen Forschungnachgehen will. Der Begriff Agendasetting steht hierbeifür Einflussfaktoren oder aktuelle Strömungen, die dieForschungsthemen, die Agenda, auf einem wissenschaftli-chen Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt stark beein-flussen. Ich möchte dabei u.a. auch folgende Fragen kurzaufgreifen: Können externe Ereignisse eine völlig neueAgenda aufrufen und den mainstream therapierelevanterForschung zumindest zeitweise bestimmen? Inwieweitbeeinflussen bestimmte wissenschaftliche Arbeitshypo-thesen der scientific community ein medizinischen For-schungsthema und damit den Lauf der Forschung?

Forschen und Wissenschaft, ein Grundrecht„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sindfrei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treuezur Verfassung“ (Art. 5 Absatz III GG). Somit ist die For-schungsfreiheit im Zusammenhang mit der Wissen-schaftsfreiheit und der Lehrfreiheit ein bürgerliches

Grundrecht in Deutschland und ist geschützt. DiesesGrundrecht ist ein sehr hoher Wert, wird von allen For-schenden und Lehrenden geschätzt und muss verteidigtwerden. Ein Forscher oder eine Forscherin, ein principalinvestigator (PI), in der Regel ein promovierter Wissen-schaftler oder Wissenschaftlerin, der selbstständig Pro-jekte bearbeitet und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnenund Studierende anleitet (z.B. Masterstudierende, Pro-movenden oder Habilitanden), ist in seiner Forschungfrei. Dieser PI wird seine Ergebnisse in von unabhängi-gen Gutachtern überprüften Journalen (peer-reviewedjournals) mit einem möglichst hohen impact factor, derden Einfluss dieses Journal definiert, zu publizieren ver-suchen. Um seine weitere Forschung finanzieren zu kön-nen wird er möglicherweise mit den veröffentlichten Er-gebnissen als Vorarbeiten einen Forschungsantrag beieiner Förderorganisation wie etwa der Deutschen For-schungsgemeinschaft, der Deutschen Krebshilfe, einerStiftung oder der EU stellen. Niemand an seiner Univer-sität kann und wird ihm direkt in sein Forschungsportfo-lio hineinreden oder gar versuchen, es ändern zu wollen,solange die Experimente in den allgemein akzeptiertenethischen Rahmenbedingungen stattfinden. Die genaueForschungsausrichtung, die detaillierten Ziele aber auchdie Durchführung der Forschung des Labors des PIs kön-nen dennoch von außen mitunter stark beeinflusst wer-den, beispielsweise dann, wenn er sich mit seinemLabor an einem Schwerpunktthema der Fakultät, der

Christian Behl

Kommentar:

Agendasetting in der Forschung

Christian Behl

Research is free and on the basis of ethical rules it is up to the researcher what exactly to investigate and how; thisfreedom is guaranteed in the basic law of Federal Republic. Research organizations provide the tool of substantialfunding of a network of scientists focusing on a particular, frequently narrowed down research topic which is actually a very good measure to create a critical mass of expertise and to initiate synergies. On the other hand, biomedical research is highly influenced by actual developments and needs. Consequently, rather rapidly novel research directions may appear as public health problems show up, AIDS or the BSE crisis in the 1980/90s are justtwo examples of the almost instant initiation of novel research directions and huge also financial efforts. Parts ofthe scientific community adjust their focus and follow such novel research programs driven also by the incentive ofsolid funding guarantee scientific progress and very often also progress for the people affected by a certain disease.Personally, for many years the author observes agenda setting by a strong hypothesis in Alzheimers disease pursuedby large parts of the Alzheimer researcher for the last 25 years. As strong as this dominating hypothesis is many alternative research approaches are under-represented. The setting of a certain research direction, the agenda, is welcome but there must be still consideration and funding for research aside of the mainstream and for thinkingoutside the box that tackles even the strongest hypothesis, therefore also fullfilling a basic demand of science and epistemology.

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte Fo

Universität oder einem nationalen oder internationalenForschungsverbund beteiligt (z.B. bei DFG-Forscher-gruppen, DFG-SFBs, Gesundheitszentren, Exzellenz -initiativen, HFSP, EU-Programmen), seine aktuelle For-schung also am dort vorgegebenen Schwerpunktthema,der Agenda, orientiert (z.B. Fokus Infektiologie, FokusKrebsforschung, Fokus Alternsforschung).

Agendasetting durch themenorientierte ForschungsförderungGrößere wissenschaftliche Konsortien auf nationalerund internationaler Ebene sind ein bewährtes und phan-tastisches Instrument, die besten Köpfe und Ideen zuvernetzen, Synergien zu schaffen und Forschung nach-haltig – bei SFBs etwa bis zu 12 Jahre – zu einem be-stimmten Thema zu fördern. Ohne solche Instrumentewäre ein signifikanter Fortschritt in vielen Bereichen derletzten Jahrzehnte gar nicht denkbar. Diese Art desAgendasettings durch Drittmittelorganisationen, alsodurch den Geldgeber, ist sehr zu begrüßen, da es einenPräzipitationspunkt generiert und ein gemeinsames In-teresse definiert, und sich dann entsprechend vieleGruppen kompetitiv mit qualitativ hochwertigen Projek-ten um Fördergelder bewerben. Neben struktur- undprojektfördernden Maßnahmen zu den hot topics in derWissenschaft und der Förderung von Spitzenforschungkönnen solche Initiativen sicherstellen, dass auch eherrandständige Themen Aufmerksamkeit und Förderungerfahren, so etwa die Beforschung seltener Krankheiten(rare diseases), um unabhängig von den großen Volks-krankheiten des Menschen auch für geringere Patienten-zahlen Fortschritte erzielen zu können. Gerade diese Artder Vorgabe des Agendasettings durch spezielle Dritt-mittelprogramme ist ausdrücklich zu begrüßen.Manchmal führt ein themenorientierter Aufruf zur Pro-jekteinreichung aber auch zu sehr interessanten Neben -effekten. Ich erinnere mich noch gut an meine eigenenpraktischen Arbeiten im Rahmen meiner Diplomarbeit aneinem universitären Grundlageninstitut und meine Ver-wunderung darüber, dass die verschiedenen Arbeitsgrup-pen, in denen ich meine Experimente durchführen durfte,so völlig unterschiedlich ausgestattet waren. Währenddie einen Labors doch eher karge Mittel zur Verfügunghatten und alles rationiert wurde, gab es im gleichen In-stitut auch Abteilungen und Labors, die ausgesprochengut dastanden, instrumentell und personell, und überVerbrauchsmittel brauchte man sich dort keine Gedankenmachen. Nun, ein Unterschied dieser Top-Labors zu denanderen, den ich nach und nach realisierte, war die Betei-ligung verschiedener Gruppen des gleichen Instituts anVorexperimenten zur geplanten D2-Space-Lab-Missiondes Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR),das damals ein echtes Prestigeprojekt der nationalen undinternationalen Forschung war und in dessen Kontext dasDLR verschiedene Projekte an bundesdeutschen Univer-sitäten substantiell förderte. Letztendlich gab es also dieMöglichkeit, seine eigene Forschungsagenda so weiter-zuentwickeln und Experimente für die weitere Erfor-schung im Space Lab der D2 Mission vorzuschlagen undmitzugestalten. Sicher ging das nicht willkürlich und un-terlag auch hier strengen Regularien und unabhängigen

Begutachtungsprozessen, aber es hat sicherlich in vielenLabors in Deutschland manchen PI angeregt, seine eige-ne Forschung zu erweitern, um damit auch an diesemFördertopf teilhaben zu können. Damit wurde die Agen-da der Grundlagenforschung möglicherweise verändert,was hier nicht als Kritik verstanden werden soll, denn In-stitute und Labors müssen bei üblicherweise eher gerin-gen Grundausstattungsmitteln an einer von der öffentli-chen Hand finanzierten Universität auch irgendwie finan-ziert werden. Vielmehr zeigt es, wie sich Forschungsrich-tungen durch externe Faktoren durchaus verändern kön-nen. Hier handelt es sich demnach, um ein Agendasettingdurch die Chance, Forschungsmittel zu akquirieren, so-fern die eigene Forschung in den erfolgten Aufruf thema-tisch passt. Manchmal ist man sicherlich versucht, beiDrittmittel-Bewerbungen die eigene wissenschaftlicheHistorie sehr breit auszulegen und zum eben gerade ge-forderten (und geförderten) Thema etwas passender zuinterpretieren. Überspannt man dabei den Bogen, wirddies jedoch von den Gutachtern, die die sich bewerben-den PIs und deren wissenschaftliches Ouvre sehr gut ken-nen, fast ausnahmslos erkannt, was auch gut so ist undfür die Qualität unserer Begutachtungssysteme spricht. Abschließend soll hier kurz auf den Punkt der „Industrie-förderung“ eingegangen werden. Denn dem PI, der eineKooperation mit einer am Forschungsgebiet des PI inte -ressierten pharmazeutischen Firma eingeht, wird häufigeine gewisse Abhängigkeit unterstellt. Selbstverständlichkann man ganz hervorragend mit forschenden Kollegenin einer Pharmafirma zusammenarbeiten. Die Vorstel-lung, dass ein Forscher zu einer Firma fährt, sich Geld fürseine Forschung abholt und dann bestimmte Daten erar-beitet, die nur der Firma gefallen, ist falsch. Solche Sze -narien, wie sie häufig in der Öffentlichkeit überzeichnetdargestellt werden, passieren so nicht, sie sind zudemaußerhalb des Gesetzes und kein verantwortlich han-delnder PI würde sich strafbar machen wollen; das giltmit absoluter Sicherheit für die allergrößte Mehrheit derForscher in Deutschland. Vielmehr ist eine Interaktionund Kooperation zwischen einem universitären Institut(öffentlich gefördert) und einer Firma (privat finanziert)heute strikt und transparent geregelt. Es gibt Kooperati-onsverträge, die noch bevor das erste Experiment läuft,zwischen Verwaltungen und Leitungsebenen der betei-ligten Partner abgestimmt werden. Eine solche Koopera-tion kann sehr fruchtbar sein, da selbstverständlich einPartner aus der Pharmaindustrie viel näher an der An-wendung arbeitet als viele Forscher dies in den Grundla-genlabors können. Es ist der Traum für einen Wissen-schaftler, der an medizinischen Fragestellungen arbeitet,wenn ein Teil seiner experimentellen Daten mittel- oderlangfristig in eine klinische Anwendung münden. Ich be-richte hier auch aus eigener glücklicher Erfahrung. Isteine solche Kooperation getrieben durch eine bestimmtethematische Agenda (z.B. das Forschungsziel der Phar-mafirma), wird selbstverständlich auch dadurch das For-schungsportfolio des PIs zumindest in bestimmten Nuan-cen verändert, da er Dinge beforscht, die er möglicher-weise ohne diese Kooperation nicht oder nicht so detail-liert angegangen wäre. In Zeiten des Rückgangs der öf-fentlichen finanziellen Förderung unserer Universitätensind Kooperationen notwendig und gewinnen an Bedeu-

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C. Behl n Agendasetting in der ForschungFo

tung; außerdem gibt es bei bestimmten Großprojektenmehr und mehr gemeinsame Finanzierungsmodelle, sogenannte public-private-partnerships.

Agendasetting durch die TagespolitikWeltweit gibt es eine Vielzahl von Volkskrankheiten.Wir alle wissen um die Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Infektionskrankheiten und der De-menz (v.a. der Alzheimer-Demenz) in einer älter wer-denden Gesellschaft. Es ist Aufgabe und Pflicht der me-dizinischen Forschung, sowohl der reinen Grundlagen-forschung als auch der klinischen Forschung die größt-mögliche Anstrengung zu erbringen, um Krankheitsent-stehung aufzuklären und Präventionsmöglichkeiten undTherapien zu entwickeln, auch wenn dies Jahrzehntebraucht; Nachhaltigkeit ist hier besonders gefordert.Nimmt man etwa das Beispiel Krebserkrankung, konn-ten durch gezielte Forschungsprogramme und die Ein-richtung sehr gut geförderter Forschungszentren in derBundesrepublik große Fortschritte im Verständnis derUrsachen bestimmter Krebsarten erreicht werden, dienicht selten in konkrete und dem Menschen helfendeDiagnoseverfahren und Therapien münden. Man denkehier nur an die am Deutschen Krebsforschungszentrum(DKFZ in der Helmholtz-Gemeinschaft) erarbeitete Imp-fung ge gen das Gebärmutterhalskrebs auslösende huma-ne Papillomvirus (HPV), die großen Fortschritte bei derDarmkrebsdiagnose oder die Entwicklung neuer compu-ter-gestützter und minimal invasiver Operationsverfah-ren. Es ist also selbstverständlich, dass die großen undbedrohlichen Volkskrankheiten besondere Aufmerksam-keit, auch in der Forschungsförderung, erfahren. Hiersetzen sozusagen der unmittelbare Bedarf und die ver-ständliche Erwartung der Gesellschaft nach effektiverenTherapien die Forschungsagenda. Gleiches gilt auch fürdie Alzheimer-Krankheit, auf die ich weiter unten nochetwas detaillierter eingehen werde. Auch hier gab es dieInitiative zur Bildung außeruniversitärer Forschungszen-tren (hier DZNE der Helmholtz-Gemeinschaft), initiiertvon der Bundesregierung im Jahre 2007, die heute sehraktiv in der Neurodegenerationsforschung an verschie-denen Standorten wie z.B. Bonn, München und Tübin-gen tätig sind. Es ist daher notwendig, dass sich die me-dizinische Forschungsagenda eines Industrielandes aucham Bedarf, also v.a. an den evidenten medizinischenProblemen, den Volkskrankheiten, orientiert; hier seiaber nochmals darauf hingewiesen, dass mittlerweileauch eine Vielzahl von seltenen Erkrankungen intensivbeforscht werden, teilweise, um mit anderen Erkrankun-gen überlappende Pathogenesewege zu studieren.Aber auch die aktuelle Tagespolitik kann sehr schnellneue Forschungsgebiete definieren und die Agenda vie-ler Forschungslabors mitbestimmen; AIDS war so einThema, das in den 90er Jahren berechtigterweise in denFokus rückte. Ich erinnere mich noch gut an den völligüberfüllten Hörsaal an meiner Alma Mater bei einemVortrag des amerikanischen Virologen Robert Gallo, deran der Entdeckung des humanen Immundefizienzvirus(HIV) beteiligt war (auch wenn er später wegen patent-rechtlicher Differenzen nicht mit dem Nobelpreis geehrtwurde, sondern ausschließlich sein französischer Kollege

Luc Montagnier). Die Aufdeckung und Charakterisie-rung dieses für den Menschen offensichtlich tödlichenVirus war von immenser Bedeutung. Robert Gallo hielteinen tollen Vortrag und hat sicher auch viele anwesen-de Forscherinnen und Forscher motiviert, an demThema HIV und AIDS mitzuarbeiten. Selbstverständlichhaben diese neuen internationalen Erkenntnisse und diepublic awareness um das Problem HIV-Infektion undAIDS neue Förderinitiativen auf verschiedensten Ebeneninitiiert, zum Glück, denn heute wissen wir sehr vielüber diese Infektion, die nach gut 20 Jahren intensiverForschung mittlerweile medikamentös zumeist be-herrschbar ist. Das Bekanntwerden von prominentenAIDS-Opfern wie Freddy Mercury, Rock Hudson, Ant-hony Perkins oder Keith Haring haben den Bekannt-heitsgrad dieser Erkrankung weiter verstärkt. Es gab inden 90er Jahren in allen verfügbaren Medien eine sehrbreite Berichterstattung zu AIDS. Dennoch, trotz allerForschung und Aufklärung ist AIDS auch heute nochpräsent: laut Informationen der deutschen AIDS Hilfelebten Ende 2016 in Deutschland etwa 88.400 Men-schen mit HIV, ca. 64.900 Menschen nahmen HIV-Medikamente. Im gleichen Jahr infizierten sich etwa3.100 Menschen neu mit HIV, wobei allerdings die Zahlder Neuinfektionen seit 2006 weitgehend stabil ist; aberauch in 2016 starben rund 460 Menschen an den Folgenihrer HIV-Infektion. Somit sind durch die Erfolge der ef-fektiven Prävention durch sexuelle Aufklärung aber ebenauch durch die Erfolge der Grundlagen- und klinischenForschung in den zurückliegenden Jahren die Zahl derHIV-Infektionen und AIDS Erkrankungen glücklicher-weise eben nicht explosionsartig gestiegen.Aber selbst dieses wichtige Thema konnte durch aktuel-le Entwicklungen kurz- und mittelfristig in den Hinter-grund geraten. So etwa durch den so genannten BSE-Skandal, der Mitte der 90er Jahre begann. Nachdem1996 mehrere Menschen an einer neuen Form derCreutzfeldt-Jacob-Krankheit starben, vermuteten For-scher, dass diese durch BSE infiziertes Fleisch auf dieMenschen übertragen wurde. BSE, also die bovine spon-giforme Enzephalopathie, ist eine Tierseuche, erstmals1986 in Großbritannien registriert. In der Öffentlichkeitgab es nach den ersten BSE-Berichten fast über Nachtverständlicherweise eine heftige Diskussion, da die Be-völkerung sehr besorgt war. Gab es mit Blick auf eineHIV-Infektion effektive Schutzmöglichkeiten, entstan-den nun Ängste, dass große Bevölkerungsteile übertra-gen durch infiziertes Rindfleisch von einer tödlichen Ge-hirnerkrankung bedroht sind. Ein Schreckensszenariohatte in kürzester Zeit eine tagesaktuelle Agenda ge-setzt, die dann sehr schnell in die weitere Forschungs-förderungspolitik in Deutschland hineinwirkte. An nichtwenigen Universitäten wurden BSE- (und Prionen-) Zen-tren gegründet und mit großzügiger finanzieller Förde-rung ausgestattet. Und ebenfalls nicht wenige For-schungsgruppen wurden auf das Problem aufmerksamund haben möglicherweise ihre eigenen Forschungsge-biete angepasst und erweitert, um sich dem Thema BSEmit anzunehmen und ihre BSE-Forschung finanzieren zukönnen. Ein paar ab schließende Fakten zur BSE-Krise:bis zum Jahr 2007 wurden weltweit etwa 200 BSE-Totegezählt, der Rindfleisch-Markt brach damals zeitweise

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte Fo

völlig zusammen und zehntausende Rinder wurden not-geschlachtet. Auch wenn im Nachgang von einer insge-samt verständlichen, aber eher hysterischen Reaktion derÖffentlichkeit gesprochen werden kann, katalysiert undbegleitet von einer teils unsäglichen Berichterstattung inverschiedenen Medien, das Thema BSE hatte für eineganze Weile die Agenda vieler Forscher mit beeinflusst.Gerade mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit ist auchdie Rolle von wichtigen wissenschaftlichen Journalennicht zu unterschätzen. So werden auch bei den großenJournalen wie Science und Nature über einen gewissenZeitraum oftmals Themenschwerpunkte gesetzt, die Pu-blikationen in bestimmten Forschungsbereichen favori-sieren (z.B. Stammzellbiologie, Regenerationsmedizin,Mikrobiom). Da gerade hochklassige Journale einen im-mens hohen Einfluss auf die Scientific Community haben(hohe IFs, impact factors) stellen auch sie einen großenEinflussfaktor in der Forschungslandschaft dar, könnendie Agenda also mit bestimmen.

Hypothesen-getriebene Forschung und Agenda setting am Beispiel Alzheimer-Forschung

Nach meiner Promotion hatte ich in den frühen 90erJahren das Glück, einen zweieinhalbjährigen For-schungsaufenthalt in einem außeruniversitären und vor-nehmlich durch Spenden und Stiftungen finanzierten In-stitut in San Diego, Südkalifornien zu bestreiten. Natür-lich gibt die Auswahl der Forschungsgruppe, der mansich anschließen will, schon das eigene Forschungsge-biet vor. Allerdings gab es schon vor etwa 25 Jahren ver-schiedene Strategien in den Labors. So hielten einige daseigene Forschungsgebiet eher eng, begrenzt auf einenmolekularen Mechanismus oder gar nur auf ein Genoder Protein, andere verfolgten den Ansatz, sich sehrbreit aufzustellen. Eine Bemerkung meines dortigenChefs Dave Schubert gemeint als Rat, aber sicher auchaus der eigenen Erfahrung heraus, gleich zu Beginn mei-ner Arbeit war: „In science you have to work on impor-tant problems!“ Und Alzheimer war (und ist leiderimmer noch) ein sehr wichtiges und mit Blick auf die exakten Ursachen immer noch zu lösendes Problem.Nun, obwohl mein Gastlabor bis zu diesem Zeitpunktgrundlegende neurobiologische Fragestellungen zu denThemenkomplexen neurotrophe Faktoren und Neuro-protektion, Zelladhäsion und ähnliches bearbeitet hatte,kam Anfang der 90er Jahre ein neuer Fokus dazu, näm-lich die Erforschung der Rolle des Alzheimer-assoziiertenAmyloid beta Proteins und der Exzitotoxizität bei derNeurodegeneration. Wenige Jahre, bevor ich dort meinePost Doc Zeit startete, wurde in anderen Labors in denUSA gezeigt, dass das Amyloid beta Protein, das in denProteinverklumpungen außerhalb der Nervenzellen inbestimmten Gehirnarealen von Alzheimer-Patienten ge-funden wurde, neurotoxische Aktivitäten besitzt. Undman gab mir als Neuankömmling im Labor die Chance,an diesem Mechanismus mitzuarbeiten, wofür ich bisheute sehr dankbar bin. Und somit war das meine per-sönliche Agenda für die nächsten gut zwei Jahre meinerZeit in USA, die Erforschung der potentiellen toxischen

Effekte dieses Alzheimer-assoziierten Proteins in zel-lulären Systemen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich etwa einJahr, bevor ich in Südkalifornien angetreten war, einenNeurologen-Kongress in Seattle besuchte, um einige Er-gebnisse meiner eigenen (neuroonkologischen) Doktor-arbeit vorzustellen. Eher zufällig geriet ich auf diesemKongress in eine Sitzung zur „Alzheimer-Krankheit“, diemich wissenschaftlich zu diesem Zeitpunkt nur eher pe-ripher interessierte. Und dort trat ein älterer amerikani-scher Wissenschaftler ans Rednerpult und sein ersterSatz war: „Amyloid beta protein has nothing to do withAlzheimers, it is not the cause of Alzheimers“, was zueinem Raunen im Auditorium führte, das ich damalsnoch nicht einordnen konnte. Dieser Wissenschaftlerwar Robert Terry, ein Neuroanatom und Neuropatholo-ge an der UCSD (University of California San Diego), derüber viele Jahre mit elektronenmikroskopischer Auflö-sung post mortem Alzheimer-Gehirngewebe untersuch-te und synaptische Veränderungen unabhängig von derAnwesenheit eben dieses Amyloid beta Proteins be-schrieb; kurz darauf veröffentlichte er seine Sicht derDinge als Alternative zu der damals schon formuliertenund dominierenden Amyloid-Hypothese der Alzheimer-Krankheit (Terry 1996). Ich hatte diesen kleinen Vorfallschon fast vergessen, bis ich Robert Terry ein bis zweiJahre später dann persönlich traf, in einem Alzheimer-Journal-Club an der UCSD, an dem ich nun selbst betei-ligt war. Und diese damals von Terry wissenschaftlichstark attackierte und kritisierte Amyloid-Hypothese,dass das Amyloid beta Protein die Ursache der Alzhei-mer-Krankheit ist, die so genannte Amyloid-Kaskaden-Hypothese, auch heute noch die Agenda. Diese Hypo-these beschreibt Bildung und Ablagerung des Amyloidbeta Proteins im Gehirn als die pathologischen Schlüssel-ereignisse bei der Entstehung von Alzheimer. Sie wurdeerstmals vor etwa 25 Jahren formuliert und gründet aufeiner Vielzahl von hervorragenden experimentellen Da -ten (Selkoe/Hardy 2016). Konsequenterweise werdendie Bildung, Aggregation und Ablagerung des Amyloidbeta Proteins und seiner höhermolekularen Formen (Oligofibrillen) verhindernde Ansätze, so genannte anti-amyloidogene Strategien, als die größten Hoffnungsträ-ger für zukünftige Therapien diskutiert, allen voran die Impfungsansätze („Impfung gegen Amyloid beta Pro-tein“, „Impfung gegen Alzheimer“) (zur Übersicht:www.alzforum.org). Viele Labors weltweit haben sichdieser Hypothese angeschlossen. Zum besseren Ver-ständnis hier in aller Kürze zentrale Eckpunkte zu diesernun schon 25 Jahre bis heute dominierenden Hypothese:Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der De-menz und das Alter ist bei über 90% der Krankheitsfälleder wichtigste Risikofaktor der so genannten sporadi-schen Formen. Eine Demenz aber, die vor dem 65. Le-bensjahr eintritt, basiert häufig auf klar definierten ge-netischen Mutationen (Mutationen in den Genen fürdas Amyloid beta Vorläufer/Precursor Protein APP, fürPräsenilin 1 und 2, PS1, PS2) und repräsentieren etwa 1-5% aller Alzheimer-Fälle (familiäre Formen). Eine Viel-zahl der molekularen Daten zu Alzheimer wurde undwird in Zellen und (transgenen) Mäusen erarbeitet, diediese Mutanten der seltenen Fälle tragen. Es mangelt

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C. Behl n Agendasetting in der ForschungFo

leider an Tiermodellen, die das Alter, den wesentlichenRisikofaktor für die Mehrheit der Alzheimer-Fälle, abbil-den. Allerdings scheint die post mortem zu beobachten-den, so gut wie identische Histopathologie der fami-liären und sporadischen Formen die Übertragbarkeit derDaten von den genetischen auf die sporadischen Fälle zuerlauben. Zu Beginn der modernen molekularen Alzhei-mer-Forschung vor nun mittlerweile schon 25 Jahren fo-kussierte man v.a. auf jenes Amyloid beta Protein, das inso genannten senilen Plaques in Alzheimergewebe ge-funden wird, aber auch damals schon auf einen zweitenwesentlichen histologischen Befund, das intrazelluläreStruktur- und Transportprotein Tau (dessen FunktionRobert Terry intensiv untersuchte); sowohl die senilenPlaques (gebildet u.a. vom Amyloid beta Protein) alsauch die so genannten neuronalen Versteifungen (verur-sacht durch biochemisch verändertes Tau Protein) wur-den bereits von Alois Alzheimer histopathologisch be-schrieben; in besonderer Weise hat also Alois Alzheimerselbst die weitere Agenda der Erforschung der späternach ihm benannten Erkrankung gesetzt, obwohl manauch festhalten sollte, dass er damals auch noch vonweiteren histopathologischen Merkmalen sprach, so z.B.von fetthaltigen Kompartimenten („adipose saccules“),die weniger stark verfolgt wurden (Alzheimer 1907).Amyloid und Tau waren die Ausgangspunkte zweier un-terschiedlicher Agenden in den Anfängen der molekula-ren Alzheimer-Forschung. Die Forschungslabors habensich dabei vielfach in zwei Lager aufgeteilt, die „Baptis -ten” (beta amyloid protein) und die „Tauisten” (tau).Beide Richtungen haben sich publikatorisch sowie aufden internationalen Alzheimer-Meetings zeitweise hefti-ge Diskussionen geliefert und so kam es sicher dannauch zu der oben erwähnten sehr starken Aussage vonRobert Terry, der zu dieser Zeit sicher den Tauisten an-gehörte. Heute ist das Feld befriedet und die Tau-Hypo-these der Alzheimer-Krankheit in die Amyloid-Kaska-den-Hypothese weitestgehend integriert. Die meistenForscher sehen die Veränderungen im Tau-Protein alsFolge der weitaus früheren Ereignisse der Amyloid-Bio-chemie, als Konsequenz etwa einer inflammatorischenReaktion im Gehirngewebe, ausgelöst durch sich abla-gerndes Amyloid beta Protein; mittlerweile ist auch dasTau-Protein ein selbstständiges pharmakologisches Ziel(zur Übersicht: www.alzforum.org).Dominierend und das forscherische Tagesgeschäft be-stimmend bleibt jedoch bis heute die Erforschung derBiochemie des Amyloid beta Proteins als Ursache derAlzheimer-Krankheit, allen Fehlschlägen der bisherigenklinischen anti-amyloidogenen Interventionsstudien zumTrotz. Die Amyloid-Kaskaden-Hypothese ist eine Hypo-these, also eine Sicht der Dinge. Die Wissenschaftstheo-rie sagt uns, dass wir wissenschaftliche Befunde alsGrundlage von Hypothesen immer herausfordern müssenund dass erst ein aktiver und kontroverser Disput denwissenschaftlichen Fortschritt, die Erkenntnis, voran-treibt. Durchforstet man die wissenschaftliche Literaturder letzten 25 Jahre zum Thema Alzheimer, fällt auf, dassviele neu gewonnenen Erkenntnisse (neue Gene als Dis-positionsfaktoren, neue Risiko- und Einflussfaktoren) fastimmer zunächst auf ihre Kompatibilität mit der Amyloid-Kaskaden-Hypothese hin untersucht wurden; es finden

sich zahllose Publikationen in PubMed, der zentralen Da-tenbank medizinrelevanter Veröffentlichungen, die denEinfluss eines Faktors X oder Vorgangs Y etwa auf die Bil-dung, Aggregation und Ablagerung des Amyloid betaProteins hin untersucht haben.Viele exzellente Untersuchungen zur Genetik der Alzhei-mer-Krankheit, biochemische Analysen, eine Unmengevon Mausmodellen und Beobachtungen in post mor-tem-Gehirngewebe, sowie eine ganze Reihe von neuenBildgebungsuntersuchungen (z.B. Abeta-PET) liefernzweifellos sehr starke Argumente für die Amyloid-Kaska-den-Hypothese. Aber eine nach Meinung einiger Alzhei-mer-Forscher objektivere Betrachtung mancher Datenlässt durchaus auch Raum für eine kritischer Diskussiondieser noch dominierenden Hypothese. Die verschiede-nen Pros und Contras der linearen und gut verständli-chen Amyloid-Kaskaden-Hypothese wurden bereits ananderen Stellen ausführlich diskutiert (Terry 1996;Neve/Robakis 1998; Herrup 2015; Winblad et al. 2016).Nicht zuletzt der Ausstieg des Pharmariesen Pfizer ausder Alzheimer- (und Parkinson-) Forschung hat zuletztgroßen Wirbel verursacht; auch Pfizer hatte u.a. auf anti-amyloidogene Therapiestrategien gesetzt. Derzeit isteine Vielzahl von anti-amyloidogenen und anti-tau Stra-tegien sowie davon völlig unabhängigen Ansätzen aufunterschiedlichen Stufen der klinischen Testung (zurÜbersicht: www.alzforum.org). Am meisten aber wirdderzeit von den Immunisierungsansätzen gesprochenund hier besonders vom Einsatz des Antikörpers Aduca-numab, der gegen eine bestimmte oligomere Form desAmyloid beta Proteins gerichtet ist und sich mittlerweileauf Stufe 3 der klinischen Prüfung befindet. Es ist abzu-warten und sehr zu hoffen, dass diese klinische Studiepositiv verläuft und neben dem medizinischen Erfolgdann auch den proof-of-concept der Amyloid-Kaskaden-Hypothese beim Menschen erbringt. Denn sie würdedamit auch eindeutig klarmachen, dass das Antikörper-vermittelte Abräumen von Amyloid beta Protein im Alz-heimer-Gehirn auch zu einer verbesserten Kognitionoder zumindest zu einem signifikanten Abbremsen deskognitiven Verlustes im Krankheitsverlauf führt; viel-leicht wird der Traum von der Impfung gegen Alzheimerwahr. Erste exploratorische Untersuchungen noch vorAbschluss der Studie erst in einigen Jahren, machendurchaus Hoffnung (Sevigny et al. 2016). Denn ein posi-tives Ergebnis dieser oder einer anderen Studie wäre unsallen zu wünschen und es wäre ein sehr großer Erfolg fürviele Bemühungen der Amyloid-hypothesengetriebenenForschung. Es bleibt hierbei dann aber dringend weiterzu diskutieren, ob ein solcher Ansatz wirklich für alleFormen der Alzheimer-Krankheit einzusetzen wäre odereben nur für spezielle Ausprägungen der Alzheimer-Krankheit, eben jener, die durch abgelagertes Amyloidbeta Protein ausgelöst wird. Denn betrachtet man diemultifaktoriellen Einflüsse und die individuellen Erkran-kungsformen, muss man durchaus die Frage stellen, ob es sich bei Morbus Alzheimer in Wirklichkeit nichtum durchaus unterschiedliche Alzheimer-Krankheitenhandelt und nicht nur um die eine Form des Morbus Alz-heimer (Behl 2017). Diese Frage wird immer häufigerdiskutiert und beeinflusst die Agenda. Dies wurde zu-letzt wieder auf einem Meeting zu Mechanismen der

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte Fo

molekularen Neurodegeneration in Stockholm deutlich(ICMN 2018, Stockholm, Juni 2018), auf dem der US Alz-heimer-Forscher Bradley Hyman die besondere Heteroge-nität der Alzheimer-Krankheit darstellte und von unter-schiedlichen Formen der Alzheimer-Krankheiten sprach. Betrachtet man die Alzheimer-Literatur der letztenJahre, sind insgesamt verschiedene neue genetische undEinflussfaktoren entdeckt worden, wie etwa das ProteinTREM2, das v.a. in Mikrogliazellen vorkommt (Triggeringreceptor expressed on myeloid cells 2), verschiedenevaskuläre Aspekte, das Mikrobiom oder die Autophagie,ein zellulärer Abbauprozess, der sich ebenfalls bei derAlzheimer-Krankheit stark verändert zeigt. Dennochsteht die Amyloid-Kaskaden-Hypothese zur Erklärungder Alzheimer-Krankheit immer noch ganz oben auf derAgenda, aber glücklicherweise beginnt langsam eine ob-jektivere Diskussion (Selkoe/Hary 2016; Winblad et al.2016; Herrenhausen-Symposium 2016).

Agendasetting ist nichts Negatives, es kann Motivationund Motor sein für die Forschung und die Beforschungbestimmter Themen überhaupt erst ermöglichen. Eskann Forschungsbemühungen für eine geraume Zeitbündeln und dadurch Synergien befördern, die dannwiederum zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen inder medizinischen Forschung führen, die kein Labor al-leine erbringen kann, und im besten Fall den Weg fürneue effektive Therapien ebnet. Es ist in den meistenFällen sehr gut, dass solche Strömungen und Schwer-punkte die Forschung mit voran treiben. Dennoch solltedabei stets auch Platz sein für neue Ideen, solche Ansät-ze, die eben nicht im mainstream der aktuellen Agendamit schwimmen, sondern wissenschaftlich begründetneue Wege gehen. Häufig ist es doch gerade das Able-gen der Scheuklappen, im Englischen treffend thinkingoutside of the box genannt, das den echten Fortschrittbringt, auch zum besseren Verständnis der Alzheimer-Krankheit wird dies gefordert (Winblad et al. 2016). ZurLösung von wissenschaftlichen Problemen müssen Hy-pothesen (Arbeitshypothesen) formuliert werden, dieeine Zeit lang (vielleicht immer) Bestand haben und diemit adäquaten Methoden verifiziert oder falsifiziert wer-den. Als verantwortliche Wissenschaftler müssen wir

stets offen sein und neue, auch ungewöhnliche Befunde– sofern diese nach wissenschaftlichen Standards erho-ben wurden – zulassen. Wir müssen solche neuen Wegeernst nehmen und dann auch den Mut haben, diese zubeschreiten, auch wenn diese den bisherigen Hypothe-sen entgegenstehen.*

Literaturverzeichnis:

Alzheimer, A. (1907): Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde. In:Allgemeine Zeitschrift fur Psychiatrie und Psychisch-gerichtliche Medi-zin, 64, S. 146-148.

Behl, C. (2017): Amyloid in Alzheimer’s disease: guilty beyonf reasonabledoubt? In: Trends in Pharmacological Sciences, 38 (10), pp. 849-851.

Herrenhausen Symposium der Volkswagen Stiftung im Oktober 2016:Beyond Amyloid-Widening the view on Alzheimers Disease, https://www.volkswagenstiftung.de/veranstaltungen/veranstaltungskalender/herrenh%C3%A4user-symposien/beyond-amyloid-widening-the-view-on-alzheimer-s-disease/.

Herrup, K. (2015): The case for rejecting the amyloid cascade hypothesis. In:Nature Neuroscience, 18 (6), pp. 794-799.

Neve, R. L./Robakis, N. K. (1998): Alzheimer's disease: a re-examination ofthe amyloid hypothesis. In: Trends in Neurosciences, 21 (1), pp. 15-19.

Selkoe, D. J/Hardy, J. (2016): The amyloid hypothesis of Alzheimer's diseaseat 25 years. In: EMBO Molecular Medicine, 8 (6), pp. 595-608.

Sevigny, J. et al. (2016): The antibody aducanumab reduces A plaques in Alz-heimer's disease. In: Nature, 537 (7.618), pp. 50-56.

Terry, R. D. (1996): The pathogenesis of Alzheimer disease: an alternative tothe amyloid hypothesis. In: Journal of Neuropathology & ExperimentalNeurology, 55 (10), pp. 1.023-1.025.

Winblad, B. et al. (2016): Defeating Alzheimer's disease and other demen-tias: a priority for European science and society. In: The Lancet Neurolo-gy, 15 (5), pp. 455-532.

www.alzforum.org

* Danksagung: Die Forschungsarbeiten im Behl-Labor werden gefördert von derDeutschen Forschungsgemeinschaft, verschiedenen Stiftungen im Rahmen desDeutschen Stifterverbandes sowie durch die private Hans Bragard Stiftung.

n Dr. Christian Behl, Professor für Pathobio-chemie und Direktor des Instituts für Patho-biochemie, Universitätsmedizin der JohannesGutenberg Universität Mainz, E-Mail: [email protected]

Michael Hofer et al. (Hg.)

Qualitätsmanagement im Spannungsfeld zwischen Kompetenzmessung und Kompetenzentwicklung

Der Kompetenzbegriff ist zwar mittlerweile im internationalen Hochschuldiskurs verankert, aber aufgrund seiner ofttechnischen Definition und uneinheitlichen Verwendung nach wie vor umstritten. Vier für das universitäre Qualitäts -management zentrale Themen in diesem Spannungsfeld sind die organisationale Kompetenzentwicklung, die wissenschaftliche Nachwuchsförderung, die Professionalisierung der Lehrkompetenz und der studentische Kompe-tenzerwerb. Das Netzwerk für Qualitätsmanagement und Qualitätsentwicklung der österreichischen Universitätenwidmete sich diesen Fragen im Rahmen einer Tagung und präsentiert in diesem Sammelband ausgewählte Beiträgezum Diskurs im deutschsprachigen Hochschulraum.

ISBN 978-3-946017-03-5, Bielefeld 2016, 175 Seiten, 29.80 Euro zzgl. Versand

Aus der Reihe: Qualität - Evaluation - Akkreditierung:

Bestellung – E-Mail: [email protected], Fax: 0521/ 923 610-22

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C. Soetbeer n Erkenntnisgewinn durch Praxis: Neue Wege in der Doktorand/innenausbildungFo

Ausgangspunkt

Globalisierte, digitalisierte und wissensbasierte Gesell-schaften haben einen steigenden Bedarf an akademischgut ausgebildeten Arbeitskräften. Die beschleunigteVerwissenschaftlichung nahezu aller Lebensbereicheführt dazu, dass forschungserprobte Doktorand/innen invielen Berufsfeldern auch außerhalb der Wissenschaftdringend benötigt werden. Interkulturelle Kompetenz,Mehrsprachigkeit, kritische Analyse sowie zumindesteine „Tiefenbohrung“ mit der Dissertation sind Teil einerfundierten akademischen Ausbildung, die Promoviertefür den Arbeitsmarkt grundsätzlich attraktiv machen.Zudem gilt der Doktortitel in Deutschland oftmals alsKarrierebeschleuniger – aller negativen Auswirkungenrund um Plagiatsvorwürfe und den berechtigten Ruf nachAufrechterhaltung der Qualitätsstandards zum Trotz.Jenseits der Produktion und Vermehrung von Wissen isteine der wichtigsten Aufgaben der Universität, dieseFührungskräfte von morgen auszubilden und zwar nichtnur für den akademischen Betrieb, sondern eben auchfür Wirtschaft und Gesellschaft. Für ersteres scheinendie Universitäten gut gerüstet, aber wie sieht es mit derQualifikation des Nachwuchses für Karrierewege außer-halb der Wissenschaft aus? Diese Frage stellt sich vorallem in den geistes- und kulturwissenschaftlichen Diszi-plinen, da ihnen jenseits des Lehramtes in der Regelkaum direkt zugängliche Berufsfelder offenstehen undzudem zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nur einegeringe Durchlässigkeit existiert. In Ansätzen trifft diesauch für die Gesellschaftswissenschaften zu. Aber gerade für Absolvent/innen dieser Disziplineneröffnen sich durch die hohe Veränderungsdynamikneue Chancen, in der digital vernetzten Wissensgesell-schaft – vor allem in der Contentproduktion und in derKommunikation – eine ihren Qualifikationen entspre-chende Tätigkeit zu finden.Deshalb besteht auch grundsätzlich kein Anlass, in diemancherorts geäußerte Klage einzustimmen, es gäbe in-zwischen zu viele Doktorand/innen, die man „nicht un-

terbringen“ könne. Dies trifft sicherlich für die ebenfallsstetig steigende Anzahl an Postdoktorand/innen zu, dieohne realistische Aussicht auf eine Professur in befriste-ten Arbeitsverhältnissen, meist auf Drittmittelstellen,beschäftigt sind – für Promovierte stimmt das so nicht.2Somit ist die Promotionsphase für Geistes- und Kultur-wissenschaftler/innen auch ein sinnvoller Zeitpunkt zuentscheiden, ob man (mit dem Fernziel Professur) an derUniversität bleiben oder sie verlassen möchte. Hier soll-ten die Promovierten so ausgebildet werden, dass ihnenbeide Möglichkeiten offenstehen. Doch dies ist leidernur selten der Fall.Zwar hat sich in der Promotionsausbildung in den letz-ten 20 Jahren einiges getan: Der Schwerpunkt verlagertesich weg von isolierten Einzelpromotionen hin zu struk-turierten Programmen und übergreifenden Angeboten,etwa in Form von Graduiertenschulen. Auch macht mansich im Rahmen dieser Angebote durchaus Gedankenüber den Verbleib von Absolvent/innen und lädt Refe-rent/innen aus verschiedenen Berufsfeldern zu Vorträ-gen ein und/oder bietet meist modularisierte Strukturenan, in denen zusätzliche Fertigkeiten erlernt werdenkönnen. Es handelt sich dabei jedoch in der Regel umunverknüpft nebeneinander herlaufende Stränge. Theo-rie und Praxis sind nicht miteinander verzahnt – bleibtdie Frage nach Alternativen.

AusschreibungDie VolkswagenStiftung hat 2017 mit ihrer Ausschrei-bung unter dem Titel „Wissenschaft und berufliche Praxisin der Graduiertenausbildung“ einen anderen Weg einge-schlagen, der sich mehr an den „practice-based docto -

Cornelia Soetbeer

Erkenntnisgewinn durch Praxis:Neue Wege in der Doktorand/innenausbildung1

Cornelia Soetbeer

It is a core task of universities to train and qualify tomorrow’s leaders in the areas of science, business and society.However, during their doctorates, PhD students are often insufficiently prepared for career paths outside therealm of academia. Therefore, the Volkswagen Foundation has launched a specific call for the humanities and cultural studies. The aim is to promote permeable and diverse career paths after the doctorate by including elements of practice in the curriculum.

1 Dieser Artikel ist eine überarbeitete und aktualisierte Version aus „For-schung und Lehre“ (10/16).

2 Zu diesem Schluss kommt auch eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrumsfür Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), die sich mit dem Ver-bleib Promovierter nach ihrer Promotion beschäftigt. Vgl. hierzu auch denArtikel von Kolja Briedis in „Forschung und Lehre“, April 2018, S. 306f.

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte Fo

rates“ im angelsächsischen Raum orientiert, wo For-schung und Praxis aufeinander bezogen sind und einan-der ergänzen. Erprobt hatte sie das Format in den Jahrenzuvor mit der Pilotförderung von vier Forschungskollegs:• In dem Göttinger Kolleg Wertung und Kanon. Theorie

und Praxis der Literaturvermittlung in der nachbürger-lichen Wissensgesellschaft (2006 bis 2010) habenzwölf Doktorand/innen verschiedener Philologien un-terschiedliche Wertungs-, Kanonisierungs- und Ver-mittlungskulturen im wissenschaftlichen und wirt-schaftlichen Bereich untersucht und miteinander ver -glichen. Zusätzlich haben sie halbjährige Praktika undVolontariate in renommierten Verlagen absolviert. Zielder Praktika war zum einen ein inhaltlicher Impuls fürdie Promotionsvorhaben. Darüber hinaus sollten siedazu dienen, die Verlagsbranche als mögliches Berufs-feld kennen zu lernen.

• Im ab 2009 geförderten Naumburg Kolleg. Interdiszi-plinäre Forschungen zur Baugeschichte, Ausstattungund Konservierung des Westchors des NaumburgerDoms (2009 bis 2012) haben elf Doktorand/innen vorOrt den 1250 errichteten kunstgeschichtlich bedeu-tenden Westchor des Doms erforscht. Das NaumburgKolleg zeichnete sich dadurch aus, dass hier ein kon-kretes gemeinsames Objekt im Mittelpunkt stand, dasvon verschiedenen Seiten und Disziplinen simultan inden Blick genommen wurde.

• Im Rahmen des Suhrkamp-Forschungskollegs (2012bis 2016) haben sechs Doktorand/innen in Fallstudiendie 2009 erworbenen Archive der Verlage Suhrkampund Insel bereits im Erschließungsprozess erforscht.Flankiert wurde die Arbeit an den Dissertationendurch die Möglichkeit, Verlagspraktika zu absolvierenund bei der Vorbereitung von Archivausstellungen zuden eigenen Dissertationsthemen mitzuarbeiten.

• Das Kolleg Schreibszene Frankfurt (Förderbeginn2016) setzt sich mit aktuellen literarischen Phänome-nen des (Gegenwarts-)Literaturbetriebs auseinander.Acht junge Literatur- und Kulturwissenschaftler erhal-ten hier die Möglichkeit, aus vergleichenden Perspek-tiven und in konkreten Praxiszusammenhängen be-währte philologische Verfahren auf den Prüfstand zustellen und neue Formen der Gegenwartsliteraturfor-schung zu erproben.

Mit ihren expliziten Praxisbezügen beschreiten die Kol-legs paradigmatisch neue Wege in der Ausbildung jun-ger Nachwuchswissenschaftler/innen vor allem in denGeis tes- und Kulturwissenschaften. Sie tragen zugleichzu einer stärkeren Durchlässigkeit zwischen akademi-schen und außerakademischen Karrierewegen bei. Zielder einmaligen Ausschreibung war es, diesen innova -tiven Aspekten einen zusätzlichen, nachhaltigen Schubzu geben.Insgesamt werden acht Forschungskollegs mit Pilotcha-rakter in den Geistes- und Kulturwissenschaften geför-dert, in denen die Kollegiat/innen sowohl für eine wis-senschaftliche Laufbahn als auch durch den Einblick inverschiedene einschlägige Praxisfelder für Karrierewegeaußerhalb der Wissenschaft qualifiziert werden. Im Ge-gensatz zu klassischen Praktika, die nicht direkt mit derDissertation verbunden sind, sind die Praxisfelder hier

von Anfang an in die wissenschaftliche Arbeit integriert,der Forschungsprozess ist auf sie ausgerichtet. Die Kollegs sollen das exemplarische Gelingen einerGraduiertenausbildung ermöglichen, die bereits in ihrerthematischen Konzeption beide Laufbahnen in den Blicknimmt und gar nicht erst den Eindruck erweckt, dassvon allen Kollegiat/innen das „Berufsziel Professur“ er-wartet wird. Voraussetzung für eine Förderung sind(promotions)themenbezogene Einblicke in die außer-wissenschaftliche Berufspraxis bei gleichzeitiger hoherwissenschaftlicher Qualität und intensiven Betreuungs-angeboten. Dabei sollen die Praxiselemente auch Impul-se für das wissenschaftliche Arbeiten geben – ganz imSinne einer gegenseitigen Durchlässigkeit der Sektoren.Dies gilt auch für die Postdoc-Stelle, die jedes Kolleg mitbeantragen konnte.

Geförderte KollegsInsgesamt werden acht Forschungskollegs mit rund 13,2Mio. Euro durch die Stiftung gefördert:• Scripts for Postindustrial Urban Futures: American Mo-

dels, Transatlantic Interventions (Universität Duisburg-Essen, Ruhr-Universität Bochum und Technische Uni-versität Dortmund),

• Wissen/Ausstellen: Eine Wissensgeschichte von Aus-stellungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts(Universität Göttingen),

• Neues Reisen – Neue Medien: Zirkulationen zeit-genössischer Reiseerfahrung zwischen Praxis und Re-präsentation (Universität Freiburg),

• Sensing: Zum Wissen sensibler Medien (UniversitätPotsdam, Fachhochschule Potsdam, BrandenburgischeTechnische Universität Cottbus-Senftenberg, Filmuni-versität Babelsberg Konrad Wolf),

• Rahmenwechsel: Kunstwissenschaft und Kunsttechno-logie im Austausch (Universität Konstanz, StaatlicheAkademie der Bildenden Künste Stuttgart),

• Forschungskolleg: MEDAS 21 | Global Media Assis -tance: Applied Research, Improved Practice in the 21Century (Universität Duisburg-Essen, Ruhr-UniversitätBochum und Technische Universität Dortmund),

• Modellierung von Kulturgeschichte am Beispiel desGermanischen Nationalmuseums: Vermittlungskon-zepte für das 21. Jahrhundert (Universität Erlangen-Nürnberg),

• Münchner Kolleg „Ethik in der Praxis” (MKEP) (LMUMünchen, TU München).

Informationen zu den einzelnen Kollegs und ihren Pra-xispartnern können auf der Website der Stiftung einge-sehen werden. Beispielhaft seien hier drei Kollegs etwasausführlicher beschrieben: Das Münchner Kolleg „Ethik in der Praxis” beschäftigtsich mit dem ansteigenden Bedarf an ethischen Analy-sen und Bewertungen mit Blick auf zahlreiche sozialeund technologische Entwicklungen. Diese müssen welt-anschaulich neutral sein und eine rationale, für alle ak-zeptable Grundlage verantwortlichen Handelns in plura-listischen und global vernetzten Gesellschaften liefern. Die philosophische Ethik kann eine solche Grundlagebereitstellen. Dennoch finden viele öffentliche und be-

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C. Soetbeer n Erkenntnisgewinn durch Praxis: Neue Wege in der Doktorand/innenausbildungFo

rufsethische Diskurse derzeit oftmals ohne die Teilnah-me von Moralphilosoph/innen statt: Ethikkommissio-nen, die sich etwa mit der Bewertung neuester Entwick-lungen in Medizin oder biologischer Grundlagenfor-schung auseinandersetzen, sind nur gelegentlich mitausgebildeten philosophischen Ethiker/innen besetzt;sozialpolitische Anliegen werden oft nur von juristischeroder ökonomischer Seite bearbeitet, bevor dann die Po-litik Entscheidungen trifft und in regulatorische Rah-menbedingungen umsetzt. Ethische Analysen zu diesenThemen werden zwar an den Universitäten verfasst,doch verlassen sie oftmals nicht das akademische Um-feld und werden in den entscheidenden Gremien nichtwahrgenommen. Mit dem Münchner Kolleg „Ethik inder Praxis“ soll das neue Berufsbild des/der „praxisorien-tierten philosophischen Ethikers/in“ geschaffen werden.Um dieses Berufsbild nachhaltig zu prägen, bestehenKooperationen mit Wirtschaftsunternehmen, Stiftungenund öffentlichen Institutionen (Character Counts Ltd.,London, Vaude Sport GmbH & Co KG, DeutschesJugend institut e.V., Deutscher Gewerkschaftsbund, Kli-nisches Ethikkomitee am Klinikum der Universität Mün-chen, Fraunhofer-Gesellschaft und Otto Bock HealthcareGmbH), in denen sich die Doktorand/innen vertieft mitderen moralisch relevanten Herausforderungen ausei -nandersetzen und Handlungsempfehlungen entwickelnkönnen, die auf höchstem philosophischen Niveau re-flektiert und begründet sind.Thema des Potsdamer Kollegs „Sensing: Zum Wissensensibler Medien“ sind die uns inzwischen überall um-gebenden „sensorischen“ Medien. Sensoren verleihenDingen und Maschinen die Fähigkeit zu „empfinden“, zu„spüren“ – oder technischer ausgedrückt: zu erfassenund zu vermessen. Durch ihre Implementierung inSmartphones, E-Books, Ausstellungen, Architekturen,VR-Environments, Autos, Kleidung, Haushaltstechnolo -gien, Pflanzen und Tieren etc. werden Dinge unter-schiedlichster Art heute in wachsendem Maße miteinem „technischen Empfindungsvermögen“ aufgela-den. In dem diese Dinge sich untereinander vernetzen,werden Medien, Städte und Umgebungen zu sensori-schen – autonomen – Netzwerken umgeformt. Diesewiederum sind über verschiedenartige Interfaces mitMenschen verknüpft, die die menschliche Sinneswahr-nehmung zunehmend technisch erweitern, erfassen, jedoch auch steuern und kontrollieren, wie z.B. durchEyetracking, Bewegungs- und Bildsensoren oder Verfah-ren der Emotionserkennung. Das Forschungskolleg führt zu diesem aktuellen Themen-gebiet eine Gruppe von Promovierenden der Medienwis-senschaften zusammen. Diese werden in EinzelprojektenFragen computertechnisch vernetzter Sensorik und derenVerhältnisse zum menschlichen Wahrnehmen undFühlen in sozialen Zusammenhängen erforschen. DiePromovierenden werden dies anhand konkreter Beispielevon technologischem und organischem Sensing in Theo-rie und Praxis untersuchen und dabei das Zusammenspielund -treffen sensorischer Ebenen untersuchen. Hierfürwerden sie 12 Monate lang in einen intensiven Aus-tausch mit den Partnerinstitutionen und -unternehmendes Kollegs treten. Zu diesen gehören u.a die Art + ComAG, der Böhlau Verlag, das Computerspielemuseum Ber-

lin, der Cornelsen Verlag, die Deutsche Welle, das Fraun-hofer-Institut für Nachrichtentechnik, das Virtual RealityStudio INVR.SPACE GmbH, die Produktionsfirma Miri-quidiFilm und das Museum für Kommunikation Berlin. Ziel des Forschungskollegs „Rahmenwechsel“ ist eineverstärkte Verzahnung von Theorie und Praxis in derDoktorandenausbildung von Kunstwissenschaftler/in -nen. Es stellt eine Kooperation zwischen der UniversitätKonstanz (AG Kunstwissenschaft) und der StaatlichenAkademie der Bildenden Künste Stuttgart (AbteilungRestaurierung) dar, die von nationalen und internationa-len Partnern (Wallraf-Richartz-Museum & FondationCorboud, Köln, Institut für Restaurierungs- und Konser-vierungswissenschaft der Fachhochschule Köln, Rijks-museum Amsterdam, Courtauld Institute of Art, Lon-don, Hamilton Kerr Institute / Fitzwilliam Museum,Cambridge) während der gesamten Laufzeit aktiv unter-stützt und begleitet wird. Adressiert werden kunsthisto-rische, kunstwissenschaftliche oder aus den Restaurie-rungswissenschaften kommende Doktorand/innen, diein ihrer Arbeit materielle Objekte untersuchen und dazumethodologische Fragestellungen entwickeln, zu derenBearbeitung sie gleichermaßen geistes- und naturwis-senschaftliche Perspektiven und Kompetenzen benöti-gen. Weiterhin gibt es Promotionsprojekte, die sich derFrage nach der Bewertung und Einordnung des ästheti-schen und historischen Stellenwerts eines Werkes wid-men, da diese Frage ganz praktische Konsequenzen hat.Sie betrifft nicht nur maßgeblich die Einordnung in einensozio-kulturellen Kontext, sondern auch die daraus re-sultierende Behandlung, wie z.B. die Ausstellungs- oderInszenierungspraxis in einem urbanen oder musealenPräsentationszusammenhang.

BegleitforschungAufgrund des Pilotcharakters dieser Ausschreibung un-terstützt die VolkswagenStiftung eine Begleitforschung,die auf eine systematische Evaluation der Forschungs-kollegs zielt. Im Mittelpunkt des durch das DeutscheZentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung(DZHW) durchgeführten Projekts steht dabei die explo-rative Erhebung unterschiedlicher Dimensionen, dieAuskunft über die individuellen Praktiken der Umset-zung unterschiedlicher an den Forschungskollegs betei-ligter Akteure (Promovierende, Programmverantwortli-che und Praxispartner-Institutionen) gibt sowie institu-tionelle Folgeabschätzungen der Programme auf dasdeutsche Hochschulsystem freilegt. Die Ergebnisse derBegleitforschung zielen ferner darauf, geeignete Maß-nahmen und Bewertungskriterien für eine nachhaltigeImplementierung von praxisorientierten Promotionenim deutschen Hochschulkontext zu generieren. Damitentwickelt die Begleitforschung eine neue Forschungs-perspektive auf die aktuellen Entwicklungen im Kontextder Geistes- und Kulturwissenschaften im deutschenHochschul- und Universitätskontext.Die Begleitforschung ist auf einen Zeitraum von siebenJahren angelegt und umfasst fünf konzeptionelle Phasender Umsetzung, beginnend mit dem Prozess der Aus-wahl der zu fördernden Forschungskollegs (Entschei-dungs- und Begutachtungsphase), über die initiale Im-

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Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte Fo

plementation der institutionellen Programmstrukturen(Implementationsphase), die Vergabe und Durchführungder Promotionsstellen (Umsetzungsphase) bis hin zumAuslaufen der Finanzierungs- und Promotionsphase (Ab-schlussphase) und dem Übergang auf den Arbeitsmarkt(Übergangsphase). Methodisch setzt die Evaluation auf den Einsatz unter-schiedlicher, sich ergänzender Verfahren, im Sinne eines‚mixed-method-approach‘, um so differenzierte Einblickein die Kollegpraxis zu generieren. Systematisch und inknapper Form sind dabei grundsätzlich zwei methodi-sche Stränge zu unterscheiden: In einem ersten Strangwird mithilfe von qualitativen Verfahren (Beobachtung,problemzentrierte Interviews) die Entscheidungs-, Imple-mentations- und Umsetzungsphase erhoben. In einemzweiten Strang wird unter Bezugnahme auf eine standar-disierte Panelbefragung zur Erfassung der Situation vonPromovierenden in Deutschland die Umsetzungs-, Ab-schluss- und Übergangsphase ermittelt. Im Anschluss andie Panelbefragung, die im Abstand von zwei Jahrendurchgeführt wird, wird ein Vergleich zwischen den Pro-movierenden in den Forschungskollegs und ‚anderen‘Promovierenden an deutschen Universitäten ermöglicht.

AusblickDie Diskussion um ein Zuviel oder Zuwenig an Dokto-rand/innen und Postdocs ist gemeinhin verbunden miteiner Kritik der schlechten Planbarkeit von Karriereninnerhalb der Wissenschaft aufgrund des Mangels anProfessuren und unbefristeten Stellen in deutschenUniversitäten.Die prominentesten Lösungsvorschläge machten zuletztdie Hochschulrektorenkonferenz („Orientierungsrahmenzur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchsesnach der Promotion und akademischer Karrierewegeneben der Professur“, 2014) sowie die Junge Akademiemit zwei Veröffentlichungen („Nach der Exzellenzinitia-tive: Personalstruktur als Schlüssel zu leitungsfähigerenUniversitäten“, 2013, und „Departments statt Lehrstüh-le: Moderne Personalstruktur für eine zukunftsfähligeWissenschaft”, 2017). Auch das neue Förderprogrammdes BMBF, das bis 2032 die Einrichtung 1.000 neuer

Tenure-Track-Professuren zum Ziel hat, setzt einen wich-tigen Impuls.Jedoch zielen all diese Vorschläge auf innerwissenschaft-liche Lösungen ab. Die Karriereaussichten des wissen-schaftlichen Nachwuchses an den Universitäten, die oh-nehin nur für fünf bis maximal zehn Prozent aller promo-vierten gegeben sind, sollen verbessert werden. Außer-wissenschaftliche Perspektiven werden nicht in denBlick genommen.Der Ansatz der VolkswagenStiftung ist hier ein anderer.Es handelt sich mitnichten um eine Arznei für „geschei-terte“ wissenschaftliche Laufbahnen, sondern um einPlädoyer für die Vielfalt möglicher Karrierewege undden Wert einer fundierten wissenschaftlichen Ausbil-dung auch für andere Arbeitgeber als die Universität.3Die Ausschreibung der Stiftung soll Signalcharakter fürdie künftige Doktorand/innen-ausbildung in den Geis -tes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften haben. Eswäre wünschenswert, wenn sie dazu beitragen könnte,strukturverändernd in Richtung der Förderkonzepte an-derer Förderorganisationen zu wirken, wenn es um dieFinanzierung auch von Praxisanteilen während der Pro-motionszeit geht. Wünschenswert wäre zudem, dass die Durchlässigkeitkeine Einbahnstraße bliebe: Es täte dem Wissenschafts-system insgesamt sicher gut, wenn mehr Professuren mitPersonen besetzt würden, die sich einige Zeit auch inanderen Umfeldern bewegt und andere Arbeitgeber alsdie Universität kennengelernt haben.

3 Zu lesen ist dies auch in den „Empfehlungen zu Karrierezielen und -wegenan deutschen Universitäten“ des Wissenschaftsrates (2014). Empfohlenwird hier nachdrücklich mehr Durchlässigkeit zwischen den Karrierewe-gen, nicht zuletzt von den Universitäten in andere Arbeitsmärkte.

n Dr. Cornelia Soetbeer, Teamleiterin Heraus-forderungen – für Wissenschaft und Gesell-schaft, VolkswagenStiftung, Hannover, E-Mail: [email protected]

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München, 26.06.2018: Das Verhältnis von Wissenschaftund Gesellschaft unterliegt einem deutlichen Wandel.Vermehrt werden Erwartungen an öffentlich finanzierteWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerichtet,ihre Ergebnisse besser zu erklären, die gesellschaftlicheRelevanz und Wirkung ihrer Forschung deutlicher herauszustellen, in ihre Erkenntnisprozesse Bürgerinnenund Bürger bzw. gesellschaftliche Gruppen einzubezie-hen und ihre Veröffentlichungen für alle frei zugänglichzu machen. Im nächsten EU-Rahmenprogramm für For-schung und Innovation soll diesem Wandel durch ‚OpenScience‘ als durchgängiges Prinzip entsprochen werden.In den Schwerpunkten ‚Missionen‘ und Innovation sol-len die EU-Fördermaßahmen zudem noch enger aufihren unmittelbaren Nutzen fokussiert werden.Aus Sicht der Allianz sollten die Kriterien von einer offe-nen Wissenschaft differenziert und wissenschaftsadä-quat angewendet werden und das neue Rahmenpro-gramm den unterschiedlichen Aufgaben von Wissen-schaft sowie der Vielfältigkeit der europäischen Wissen-schafts- und Forschungseinrichtungen gerecht werden.

Rahmenbedingungen für einen starken Europäischen ForschungsraumDie Forschungsrahmenprogramme der EU haben einezentrale Funktion für den Erfolg einer Mehrwert stiften-den wissenschaftlichen Zusammenarbeit in Europa.Wirksame Fortschritte im Bereich der Forschungsver-bünde und der Mobilität von Forschenden sind maß-geblich den EU-Fördermaßnahmen zuzuschreiben, diewie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft die in-ternationale Kooperation zwischen den Wissenschafts-systemen stärken müssen. Dabei ist die Förderungtransnationaler Verbundforschung, die neben dem öf-fentlichen auch den privaten Sektor sowie Akteure ausDrittstaaten oder schwächere Regionen einbeziehenkann, ein Kerninstrument europäischer Forschungs-und Innovationspolitik.Die folgenden Grundprinzipien müssen auch für dasnächste Forschungsrahmenprogramm beachtet werden:

Chancen und Herausforderungen von Open ScienceDie „3O-Politik“ der EU-Kommission hat in den For-schungspolitiken der Mitgliedsstaaten eine breite Reso-nanz erfahren. Für die zukünftige Umsetzung des Kon-zepts von „Open Science“ ist eine Präzisierung des Be-griffs in Bezug auf wissenschaftliche, kommunikativeund partizipative Prozesse erforderlich. Hier gilt es, imSinne der Wissenschaft zwischen Bereichen zu differen-zieren, in denen eine solche Öffnung erfolgen kann undsolchen, in denen Wissenschafts- und Technologieent-wicklungsprozesse auch in Zukunft eigene Räumebenötigen. Sollten Open Science-Kriterien für die Förde-rung von Forschungsprojekten – analog zu dem Quer-

schnittsbereich „Responsible Research“ – gelten, müs-sen diese in enger Abstimmung mit den Scientific Com-munities entwickelt werden.Innerhalb des breiten Open Science-Begriffsfeldes musseine klare Unterscheidung zwischen Wissenschaftskom-munikation und Partizipation getroffen werden. Der Zu-gang zu wissenschaftlichen Publikationen und Daten(Open Access) betrifft nur einen – unstrittigen – Aspekt;nicht zulässig ist jedoch die Gleichsetzung von OpenScience mit wissenschaftlicher Exzellenz. Aus diesemGrund sollte die erste Säule von Horizon Europe weiter-hin begrifflich den Exzellenzgedanken aufgreifen undnicht wie in dem Vorschlag der EU-Kommission geplantin Open Science umbenannt werden. Auf jeden Fall sindaber auch unter einem Titel „Open Science“ die Exzel-lenzprinzipien unverändert zu verwirklichen.

Pluralität und MehrwertFinanziell und strukturell starke nationale Wissen-schaftssysteme bilden das Fundament für die Leistungs-fähigkeit der Wissenschaft in Europa und somit dieGrundlage für den Erfolg der EU-Rahmenprogramme.Nationale Forschungssysteme müssen ausreichend inder Breite der unterschiedlichen Forschungstypen (er-kenntnisgeleitete, programmatische und anwendungs-bezogene Forschung) unterstützt werden. Zugunstendieses Prozesses und zur Verankerung des Exzellenzprin-zips sollte eine zielgerichtete Verwendung von EU-Strukturfondsmitteln zur Stärkung von Forschung undInnovation in den Mitgliedsstaaten der EU stattfinden.Der Grundsatz einer erfolgreichen Aufgabenteilung zwi-schen der nationalen und der europäischen Ebene liegtdarin, dass die subsidiären Maßnahmen der EU-For-schungsförderung einen Mehrwert erzeugen sowie einekomplementäre Funktion für die Mitgliedsstaaten erfül-len. Dies sollte bei der Ausgestaltung zukünftiger Part-nerschaften besonders berücksichtigt werden.Die Stärke des Europäischen Forschungsraums basiertauf der Pluralität der Forschungszugänge, -ansätze und -methoden, die die unterschiedlichen Forschungsein-richtungen einbringen. Diese bilden den Kern wissen-schaftlicher Innovation in Europa. Aufgabe der Förde-rung durch die EU-Kommission ist es, die Kooperationder unterschiedlichen Akteure durch entsprechendeAngebote zu unterstützen. Eine weitere Verdichtungdes Europäischen Hochschul- und Forschungsraums(EHFR) muss daher politische und finanzielle Unterstüt-zung für bi- und multilaterale Kooperationen – inner-halb und jenseits des EU-Rahmenprogramms – gewähr-leisten. In der Bereitstellung ausreichender und attrakti-ver Möglichkeiten für an den wissenschaftlichen Bedar-fen orientierte Kooperationen liegt der Mehrwert derEU-Förderung.Daneben kann auch die Herausbildung „EuropäischerUniversitäten“ auf Basis von bereits existierenden, stra-tegischen universitären Partnerschaften und Netzwerken

Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zum

9. EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon Europe (FP9)

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innerhalb Europas zur Stärkung des Europäischen Hoch-schul- und Forschungsraums beitragen.Die EU-Kommission hat den Entwurf für das nächste EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation vorge-legt. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen nimmtdies zum Anlass für die vorliegende Stellungnahme.

1. Struktur und Finanzierung des 9. EU-Forschungsrahmenprogramms

Der Vorschlag zu Horizon Europe sieht erneut eine, je-doch mit dem Schwerpunkt Innovation neu zugeschnit-tene 3-Säulen-Struktur vor. Die Ergebnisse der Zwi -schen evaluierung von Horizon 2020 und der Berichtder High Level Group on Maximising Impact of EU R&IProgrammes (Lamy Group) zeigen, dass sich die 3-Säu-len-Struktur des aktuellen Rahmenprogramms bewährthat und mit den Zielen Exzellenzförderung, Beiträge zuglobalen Herausforderungen und Wirtschaftsförderungfortgeführt werden soll. Allerdings darf die grundla-genorientierte Verbundforschung nicht eingeschränktwerden durch die geplante Integration der Förderungder industriellen Wettbewerbsfähigkeit in den Bereichder globalen Herausforderungen. Die Allianzorganisa-tionen begrüßen den Vorschlag der EU-Kommission,das Budget von Horizon Europe in den anstehendenVerhandlungen deutlich zu erhöhen. Aufgrund der im-mensen Bedeutung von Forschung und Innovation fürEuropa und seine Gesellschaften fordert die Allianz abereine weiter gestärkte finanzielle Ausstattung über diegesamte Breite der Instrumente von erkenntnisgeleite-ter bis zur anwendungsorientierten Forschung in allenSäulen des Rahmenprogramms. Daher unterstützt dieAllianz die Position des Europäischen Parlaments hinsichtlich einer Erhöhung des Budgets von Horizon Europe auf 120 Mrd. Euro.Die Förderung von Forschungsvorhaben sollte in Hori -zon Europe weiter auf dem Zuwendungsprinzip basie-ren. Der Einsatz von Krediten bzw. Finanzierungsinstru-menten ist nur für sehr marktnahe Innovationsvorhabensinnvoll. Kredite für öffentliche Forschungsakteure sindin Deutschland und anderen Mitgliedstaaten rechtlichnicht zulässig – die mit Krediten verbundene Gewinn -erwartung steht zudem im Widerspruch zur Offenheiterkenntnisgeleiteter Forschungsprozesse. Instrumentewie der geplante InvestEU-Fonds stellen für viele öffent-liche Forschungseinrichtungen keine Alternative dar undsollten daher keinesfalls durch Budgetverschiebungenzulas ten des EU-Forschungshaushalts finanziert werden.

2. Fundamental ScienceDer Europäische Forschungsrat (ERC) setzt mit seinenInstrumenten zur Personenförderung sowie mit der un-eingeschränkten Unabhängigkeit und Zuständigkeit desERC Scientific Council weltweit Qualitätsmaßstäbe fürexzellente Forschung. Mit der hohen Reputation seinerFörderprogramme insbesondere aufgrund der wettbe-werblichen Auswahl ist eine prägende Exzellenzmarkegeschaffen worden. Um weiterhin zukunfts- und nach-wuchsorientierte exzellente Forschung für Europa zu er-möglichen, sind der vorgesehene Erhalt des proportio-

nalen Anteils des ERC-Budgets am Gesamtbudget vonHorizon Europe und die alleinige Geltung der wissen-schaftlichen Qualität als Entscheidungskriterium un -abdingbar. Entsprechendes gilt auch für die MarieSkłodowska-Curie-Maßnahmen. Exzellenz als Auswahl-kriterium sowie die Förderung erkenntnisgeleiteter For-schung sollten jedoch nicht allein auf den ERC be-schränkt werden, sondern das gesamte Rahmenpro-gramm mit seinen unterschiedlichen Förderfunktionendurchziehen.Der Zugang zu erstklassigen Forschungsinfrastrukturenist ein unabdingbarer Baustein wissenschaftlicher Exzel-lenz. Die europäische Zusammenarbeit im Bereich derForschungsinfrastrukturen sollte daher fortgesetzt und –stärker als bisher geplant – entwickelt werden, um dieLeistungskraft und Effizienz des Europäischen For-schungsraums zu stärken.

3. Global ChallengesDer Kommissionsvorschlag zum 9. Rahmenprogrammsieht die Einführung von Missionen in der Säule „Globa-le Herausforderungen“ vor. Missionen sollen auch dazubeitragen, die Leistungen, welche die Forschungs- undInnovationsförderung für die Gesellschaft bewirken,noch deutlicher aufzuzeigen. Missionen können eine in-termediäre Funktion zwischen den „Globalen Herausfor-derungen“ und einzelnen, konkreten Forschungsprojek-ten haben. Die Definition und Abgrenzung der jeweili-gen Themenfelder muss jedoch auf der Grundlageschlüssiger Kategorien und, ebenso wie Implementie-rung, Governance und Gremienbesetzung, unter ori-ginärer Beteiligung der jeweiligen Forschungscommuni-ties erfolgen. Entsprechende Kriterien müssen auchdeutlich machen, welche politischen Erwartungen andie Forschung gerichtet bzw. angesichts der Offenheitvon Forschungsprozessen und unvorhersehbaren wis-senschaftlichen Durchbrüchen als erfüllbar vorausge-setzt werden. Hierzu gehört etwa die Unterscheidungzwischen Bereichen, in denen realistischerweise direkter„Societal Impact“ erwartet werden darf und solchen, indenen unhaltbare Impact-Verheißungen gesellschaftli-ches Vertrauen noch weiter verringern würden. Wesent-lich für einen Erfolg von Missionen wird zudem die(auch budgetäre) Mitverantwortung anderer Politikbe-reiche bzw. -akteure für die Zielerreichung sein, dennbei Missionen handelt es sich um gesellschaftspolitischeAufgaben, die politikfeldübergreifend sind.Notwendige Grundlagen für eine nachhaltige, vonWohlstand und Freiheit geprägte Zukunft Europas sindgut funktionierende Demokratien, rechtsstaatliche Ver-waltungen und gesellschaftlich-kultureller Zusammen-halt. Daher sind auch diese Aspekte, die wichtige Leis -tungs-dimensionen der Geistes- und Sozialwissenschaf-ten darstellen, in der Säule „Global Challenges“ in ange-messener Weise zu berücksichtigen.

4. Open InnovationDie Einrichtung eines European Innovation Council(EIC) wird grundsätzlich begrüßt. Der EIC erscheint an-gesichts einer unübersichtlichen und daher reformbe-

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dürftigen Förderlandschaft im Bereich der technologi-schen Innovation ein vielversprechender Ansatz zu sein,um die existierenden Instrumente auf ihre Funktionalitätzu prüfen und Innovationsförderung als solche zielge-richteter auf- bzw. einzusetzen. Durch den EIC solltenprimär forschungsgetriebene kollaborative Innovations-vorhaben gefördert werden, nicht jedoch einzelne Un-ternehmen. Gleichermaßen sollte hierbei vor allem auchdie interinstitutionelle Zusammenarbeit im Vordergrundstehen, um eine möglichst große Nutzung des auf demMarkt existenten Technologiepotentials (insbesondereauch im Fall von jungen Unternehmen) und eine intelli-gente Verknüpfung mit nationalen Initiativen garantie-ren zu können. Die etablierten europäischen Organisa-tionen mit Fokus auf angewandte Forschung solltenhierbei als Mittlerinstitutionen verstanden werden, umdie europäische Forschung in innovative Produkte undLösungen für Europa zu transformieren und die indus -trielle Basis in Europa gewinnbringend weiterentwickelnzu können.Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist ein Zu-sammenschluss der bedeutendsten Wissenschaftsorga-

nisationen in Deutschland. Sie nimmt regelmäßig Stel-lung zu wichtigen Fragen der Wissenschaftspolitik.Fraunhofer ist Mitglied der Allianz und hat für 2018 dieFederführung übernommen. Weitere Mitglieder sind dieAlexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akade-mische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsge-meinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hoch-schulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, dieMax-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie derWissenschaften Leopoldina und der Wissenschaftsrat.

Kontakt:Dr. Anke Soemer | Fraunhofer-GesellschaftAbteilung WissenschaftspolitikHansastr. 27c, 80686 MünchenTel.: +49 89 1205 1604E-Mail: [email protected]

Quelle: https://www.fraunhofer.de/content/dam/zv/de/ueber-fraunhofer/wissenschaftspolitik/10/201806%20Stellungnahme%209FRP%20der%20Allianz.pdf(05.09.2018)

MeldungenFo

Leichter Zugang für Sie zur Expertise!

Bei 7 Zeitschriften im Themenfeld Wissenschaft und Hochschulen, die der UVW herausbringt, sammelt sich in kürzester Zeit eine erhebliche Expertise an.

Wir veröffentlichen rund 140 Aufsätze pro Jahr. Da verlieren Leserinnen und Leser bei der Fülle schon malleicht den Überblick. Wer weiß noch, was der Jahrgang 2010 in der Zeitschrift „Hochschulmanagement” fürThemen bereit hielt? Seit Gründung hat die Zeitschrift „Qualität in der Wissenschaft” bisher rd. 200 Artikelpubliziert – sorgfältig (i.d.R. doppelt) begutachtet. Ähnlich auch die anderen.Daher bieten wir die Artikel aller unserer Zeitschriftenjahrgänge, die älter als zwei Jahre sind, kostenlos zum Herunterladen an. Auf unserer Website finden Sie sie, wie unten angegeben.

Das Hochschulwesen (HSW)• https://www.universitaetsverlagwebler.de/hswForschung. Politik - Strategie - Management (Fo)• https://www.universitaetsverlagwebler.de/forschungZeitschrift für Beratung und Studium (ZBS)• https://www.universitaetsverlagwebler.de/zbsQualität in der Wissenschaft (QiW)• https://www.universitaetsverlagwebler.de/qiwHochschulmanagement (HM)• https://www.universitaetsverlagwebler.de/hmPersonal- und Organisationsentwicklung in Einrichtungen der Lehre und Forschung (P-OE)• https://www.universitaetsverlagwebler.de/poeInternationalisierung, Vielfalt und Inklusion in der Wissenschaft (IVI)• https://www.universitaetsverlagwebler.de/ivi

Unser Gesamtangebot an Heften, Büchern und Zeitschriften finden Sie unter

http://www.universitaetsverlagwebler.de

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Hauptbeiträge der aktuellen Hefte HSW, HM, P-OE, ZBS, QiW und IVIAuf unserer Website www.universitaetsverlagwebler.de erhalten Sie Einblick in das Editorial und Inhaltsverzeichnis aller bisher erschienenen Ausgaben. Nach zwei Jahren sind alle Ausgaben eines Jahrgangs frei zugänglich.

FoS ei t enb l i ck au f d i e Schwes te r z e i t s ch r i f t en

Fo 2+3/2018

HSW 3+4/2018(Vorschau)

Wolff-Dietrich Weblero.T.

Uwe SchmidtIndividuelle und institutionelle Exzellenz

Herbert GrünerPrivate Hochschulen im Vergleich zu staatlichen: exklusiver – elitärer –exzellenter?

Inka Spang-GrauDie Begutachtung gesamtuniversitärer Strategien in den Förderprogrammen Exzellenzinitiative und Exzellenzstrategie

René KrempkowExzellenz in der Gründungsförderung erfassen –ein vermessen(d)es Anliegen anHochschulen?

Ludwig HuberWas soll heißen „Exzellenz (in) derLehre“? Einführende Überlegungen

u.v.m.

HM 3/2018(Vorschau)

Erfolgsfaktoren für wissenschaftliche Karrieren

Anregungen für die Praxis/Erfahrungsberichte

Lisa K. Horvath & Tanja Hentschel„Gesucht: Führungserfahrener Projektleiter!“ – das geht auch anders! Sprachliche Genderfairnessals Erfolgsfaktor in Personalauswahlprozessen

Organisations- und Managementforschung

Regina Dutz, Sylvia Hubner & Claudia PeusDer Einfluss der Darstellung unterschiedlicher Organisationskulturen in Stellenausschreibungen für MINT-Professuren

Luisa Barthauer & Simone KauffeldNetzwerke als Erfolgsfaktor für wissenschaftliche Karrieren

Levke Henningsen, Juliane Konrad & Klaus JonasErfolgsfaktoren für die Gewinnungvon Dekan_innen Deskriptive Ergebnisse zweier Online-Befragungen mitProfessor_innen und Expert_innenin Deutschland, Österreich und derSchweiz

P-OE 1+2/2018(Vorschau)

Bettina Donnermann & Martin MehrtensDie Einführung des Jahresgesprächsals nachhaltiges Führungsinstrumentin der Universität Bremen

Doris Klee & Dagmar GrüblerTransparente Karrierewege an derRWTH Aachen im Kontext der Personalentwicklung

Alexandra HasslerKarriereoptionen weiterdenken – alternative Karrierewege als zentraler Baustein akademischer Personalentwicklung

Mirjam Müller & Melanie MoosbuchnerModeriertes Peer-Coaching für Postdocs

Karin Griesbach, Eva Klein-Heßling & Ricarda Mletzko„Die Handlungen der Menschenleben fort in den Wirkungen.” (G. W. Leibniz) – die Führungsleitlinien der Leibniz Universität Hannover

Michael Müller-VorbrüggenQualität im Personalmanagement

Stefanie Klug & Katrin WodzickiGood Practice Beispiel: Career Service für Postdocs an der Georg-August-Universität Göttingen

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Seitenblick auf die SchwesterzeitschriftenFo

Fo 2+3/2018

ZBS 2/2018

Imke Kimpel, Martina A. Knust & Elke MittagProzessmodellierung im Rahmendes Qualitätsmanagements nieder-sächsischer StudienberatungsstellenHandreichung „ReferenzprozessHochschulinformationstag (HIT)"

Ute Hartkens & Yvonne A. HenzeQualitätsmanagement in der Beratung

Karin Gavin-KramerÜber Studienberatung forschen –Richtigstellung zum Beitrag von Tillmann Grüneberg (ZBS 4/2017)

Elisabeth Pauza & Manuela PötschkePsychosoziale Beratung von Studierenden – in der Evaluierung

Ingo Blaich Blended Counselling in der Studienberatung? Bedarf und Chancen digitaler Beratungsangebote

Jürgen Allemeyer Die Sozialerhebung – ein bedeut sames Instrumentariumzur Überprüfung und Weiterent-wicklung des Leistungsspektrumsder Studierendenwerke

Linda WilkenSozialerhebungen des DeutschenStudentenwerks und des DeutschenZentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Unverzichtbare Daten für die Praxis

QiW 1/2018Evaluation an Hochschulen: Entwicklung – Stand – Perspektiven

Qualitätsentwicklung, -politik

Lukas MitterauerEntwicklung der Evaluation an Österreichs Universitäten

Philipp Pohlenz Evaluation von Studium und Lehre an Hochschulen in Deutschland

Susan Harris-HuemmertThe role of peer review in science

Christine Meyer RichliEvaluation an Schweizerischen Universitäten – nur Evaluationsaktivität oder bereitsEvaluationskultur?

Sandra WagnerErfolgsfaktoren zur Förderung vonEvaluations- und Qualitätskultur amBeispiel der zentral durchgeführtenLehrveranstaltungsbeurteilung ander Universität Zürich

Michael FraisDer Aufbau eines Bottom-up Evaluationssystems an der PH Zürich

IVI 1+2/2018(Vorschau)

Birgit BehrensenDie professionelle Haltung in Zeiten von Fluchtzuwanderung: Erfahrungen mit einer dialogisch angelegten Ringvorlesung am Institut für Soziale Arbeit der BTU Cottbus-Senftenberg

IVI-Gespräch mit Dr. Daniela Heitzmann, Georg-August-Universität Göttingen

Annette Lang & Christina v. BehrFlucht nach vorn?Zur Integration von Geflüchteten in die Hochschulen

Niels Uhlendorf“You’re not enough until you’re too much”Immigrant university students dealing with contradictory demandsof self-optimization

Michael HerschelmannSexualisierte Gewalt an der Hochschule aus Sicht eines männlichen Hochschullehrenden – Handlungsmöglichkeiten zumSchutz

u.v.m.

Infos & Bestellung:E-Mail: [email protected]

Web: www.universitaetsverlagwebler.de Telefon: 0521/ 923 610-12, Fax: 0521/ 923 610-22

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Neuerscheinung in der Reihe Hochschulwesen: Wissenschaft und Praxis

Erhältlich im Fachbuchhandel und direkt beim Verlag – auch im Versandbuchhandel (aber z.B. nicht bei Amazon).

Bestellung – E-Mail: [email protected], Fax: 0521/ 923 610-22

Peer Pasternack, Daniel Hechler & Justus Henke

Die Ideen der UniversitätHochschulkonzepte und hochschulrelevante Wissenschaftskonzepte

Einst genügte es, von „uni-versitas magistrorum et scho-larium“, „universitas litter-arum“, der „HumboldtschenUniversitätsidee“ oder dem„Wesen der deutschen Uni-versität“ zu sprechen, um einallgemeines konzeptionellesEinvernehmen zu erzeugenbzw. zu bekräftigen. Seit der„Hochschule in der Demokra-tie“ ändert sich das: DieHochschulexpansion verbandsich mit einer Hochschulkon-zepte-Expansion. Heute las-sen sich 44 Konzepte identifi-zieren, die aktuelle Relevanzhaben. Diese werden hier aufjeweils zwei bis fünf Seitenvorgestellt und anschließendmiteinander verglichen. Daswiederum bleibt nicht ohneÜberraschungen.

Bielefeld 2018, 212 Seiten, ISBN 978-3-946017-14-1, 39.70 Euro zzgl. Versand