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FORUM SUEVICUM Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen Herausgegeben von Rolf Kießling im Auftrag des Memminger Forums für schwäbische Regionalgeschichte e.V. Band 5

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FORUM SUEVICUMBeiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen

Herausgegebenvon

Rolf Kießlingim Auftrag des Memminger Forums für schwäbische Regionalgeschichte e.V.

Band 5

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FORUM SUEVICUMBeiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen

Band 5

Kriegsende und Neubeginn

Die Besatzungszeit im schwäbisch-alemannischen Raum

Herausgegeben vonPaul Hoser und Reinhard Baumann

UVK Verlagsgesellschaft mbH

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GERHARD FÜRMETZ

Alte und neue Polizisten. Kommunale Personalpolitik in der frühen Nachkriegszeit am Beispiel der Augsburger Stadtpolizei

1. Politische Säuberung und Neuerrichtung kommunaler Polizeiapparate im Gefolge der amerikanischen Besetzung

Die Frage der personellen Kontinuität von Funktionseliten in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist in jüngster Zeit wieder verstärkt ins Blickfeld der Zeitgeschichtsforschung geraten.1 Dies trifft insbesondere für einzelne Berufsgruppen wie Juristen, Hochschullehrer, Journalisten und Industrielle,2 aber auch generell für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu.3 Daß der Personal-

1 Vgl. WILFRIED LOTH/BERND-A. RUSINEK (HG.), Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt/Main-New York 1998; NORBERT FREI

(Hg.), Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945, Frankfurt/Main-New York 2001;ULRICH HERBERT (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980 (Moderne Zeit 1), Göttingen 2002. – Für kritische Anmerkun-gen zum vorliegenden Beitrag sei neben den Diskussionsteilnehmern des Memminger Forums insbesondere Frank Liebert gedankt. 2 Vgl. z.B. BERND WEISBROD (Hg.), Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wis-senschaftskultur der Nachkriegszeit (Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeits-kreises Niedersachsen 20), Göttingen 2002; LUTZ HACHMEISTER/FRIEDEMANN SIERING

(Hg.), Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, München 2002; DIETER ZIEGLER (Hg.), Großbürger und Unternehmer. Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert (Bürgertum 17), Göttingen 2000; PAUL ERKER/TONI PIERENKEMPER

(Hg.), Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 39), München 1999; mit Bezug auf Augsburg GERHARD HETZER, Unternehmer und leitende Angestellte zwischen Rüstungseinsatz und politischer Säuberung, in: MARTIN

BROSZAT/ KLAUS-DIETMAR HENKE/HANS WOLLER (HG.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 26), 3. Aufl. München 1990, S. 551–591. Vgl. auch die Beiträge von GERHARD NEUMEIER und PAUL HOSER in diesem Band. 3 Vgl. UDO WENGST, Beamtentum zwischen Reform und Tradition. Beamtengesetzgebung in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1948–1953 (Beiträge zur Ge-schichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 84), Düsseldorf 1988; CURT

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austausch in den Westzonen und der frühen Bundesrepublik letztlich nur partiell gelang, ist unbestritten. Über die langfristigen Auswirkungen gehen die Meinungen freilich auseinander. Während bis vor kurzem hauptsächlich auf die zum Teil skan-dalösen ›Renazifizierungs‹-Tendenzen im Zuge der ›Vergangenheitspolitik‹ der 50er Jahre hingewiesen wurde,4 unterstreichen neuere Forschungen immer deutlicher, daß die Integration der ehemaligen NS-Parteigänger in den demokratischen Nach-kriegsstaat nicht unwesentlich zu dessen Stabilisierung beigetragen habe.5

Im Verbund mit der massenhaften ›Entnazifizierung‹ der deutschen Gesell-schaft per geregeltem Spruchkammerverfahren ging es bei der von den westalliier-ten Siegermächten forcierten ›politischen Säuberung‹ der öffentlichen Verwaltung darum, alle Amtsträger dauerhaft auszuschalten, die NS-Organisationen angehört oder regimestützende Schlüsselpositionen bekleidet hatten.6 An ihre Stelle sollten unbelastete Kräfte nachrücken, von denen man glaubte, sie würden einen demo-kratischen Neubeginn gewährleisten. Erst nach einem längeren Läuterungs- und Umerziehungsprozeß war an eine Wiederverwendung der Entlassenen zu denken. Genaugenommen handelt es sich bei der personellen Reorganisation im öffentli-chen Dienst nach 1945 also um zwei getrennte, gleichwohl eng miteinander ver-

sozialgeschichtlichen Folgen, in: AXEL SCHILDT/ARNOLD SYWOTTEK (HG.), Modernisie-rung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre (Politik- und Gesell-schaftsgeschichte 33), Bonn 1993, S. 759–790; CURT GARNER, Public Service Personnel in West Germany in the 1950s: Controversial Policy Decisions and Their Effects on Social Composition, Gender Structure, and the Role of Former Nazis, in: Journal of Social History 29 (1995/96), S. 25–80; MICHAEL RUCK, Kontinuität und Wandel – Westdeutsche Verwaltungseliten unter dem NS-Regime und in der Bundesrepublik, in: W. LOTH/B.-A.RUSINEK, Verwandlungspolitik (Anm. 1), S. 117–142. 4 Vgl. z.B. ULRICH BROCHHAGEN, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und West-integration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994. Zur personalpolitischen Dimension der ›Vergangenheitspolitik‹ vgl. NORBERT FREI, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bun-desrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996, S. 25–131. 5 Vgl. N. FREI, Karrieren (Anm. 1), S. 303–335; ULRICH HERBERT, NS-Eliten in der Bun-desrepublik, in: W. LOTH/B.-A. RUSINEK, Verwandlungspolitik (Anm. 1), S. 93–115; AXEL

SCHILDT, NS-Eliten in der Bundesrepublik Deutschland, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 24 (1996), S. 20–32. 6 Vgl. grundlegend KLAUS-DIETMAR HENKE, Die Trennung vom Nationalsozialismus. Selbstzerstörung, politische Säuberung, ›Entnazifizierung‹, Strafverfolgung, in: KLAUS-DIETMAR HENKE/HANS WOLLER (HG.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrech-nung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, S. 21–83, hier 32–66; CORNELIA RAUH-KÜHNE, Die Entnazifizierung und die deutsche Gesellschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 35–70. Speziell zu Bayern wei-terhin gültig LUTZ NIETHAMMER, Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitie-rung unter amerikanischer Besatzung, Frankfurt/Main 1972. – Die Begriffe ›Entnazifizie-rung‹ und ›politische Säuberung‹ werden allerdings häufig synonym gebraucht.

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flochtene Vorgänge: die Entlassung wegen politischer Belastung und die Neu- oder Wiedereinstellung geeigneter Dienstkräfte. Hier soll nun mit der Polizei ein Spezialbereich der öffentlichen Verwaltung näher betrachtet werden, der bislang weder in personalpolitischer Hinsicht7 noch generell hinreichend untersucht worden ist.8 Um zu differenzierten Aussagen zu kommen, wird am Beispiel einer kommunalen Polizeiorganisation geprüft, wie das personelle Revirement zwischen 1945 und der Mitte der 50er Jahre konkret verlief, wo es Spannungen und Konflikte gab und welche Interessen sich am Ende durchsetzen konnten. Im Mittelpunkt steht die Stadtpolizei des bayerisch-schwäbi-schen Zentralorts Augsburg, der im Jahr 1950 mit rund 185.000 Einwohnern dritt-größten Kommune des Freistaats.9 Dabei soll bewußt zwischen zwei Funktions-ebenen unterschieden werden. Zunächst geht es um die große Masse des Augsbur-ger Stadtpolizeipersonals: die Vollzugsbeamten in der Schutz- und Kriminalpolizei. Anschließend befaßt sich die Untersuchung mit den Polizeichefs und ihren Stell-vertretern, also mit der Führungsspitze. In einem dritten Schritt vergleicht sie die Augsburger Entwicklung mit der Situation in einer anderen bayerischen Großstadt. Auf Befehl der amerikanischen Besatzungsmacht wurden nach Kriegsende in allen Städten und Gemeinden des Freistaats mit mehr als 5.000 Einwohnern kom-munale Polizeikräfte mit relativ starken Polizeichefs an der Spitze eingerichtet, die

7 Vgl. aber in jüngster Zeit erschienene, erste Regional- bzw. Lokalstudien: FRANK

LIEBERT, »Die Dinge müssen zur Ruhe kommen, man muß einen Strich dadurch machen«. Politische ›Säuberung‹ in der niedersächsischen Polizei 1945–1951, in: GERHARD FÜR-METZ/HERBERT REINKE/KLAUS WEINHAUER (HG.), Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945–1969 (Forum Zeitgeschichte 10), Hamburg 2001, S. 71–103; STEFAN NOETHEN, Alte Kameraden und neue Kollegen. Polizei in Nordrhein-Westfalen 1945–1953 (Schriften Villa ten Hompel 3), Essen 2003; STEFAN

LINCK, Der Ordnung verpflichtet: Deutsche Polizei 1933–1949. Der Fall Flensburg, Pader-born u.a. 2000, S. 217–286; NORBERT STEINBORN/KARIN SCHANZENBACH, Die Ham-burger Polizei nach 1945. Ein Neuanfang, der keiner war, Hamburg 1990, S. 69–88, 120–131. Speziell für die Kriminalpolizei vgl. jetzt PATRICK WAGNER, Die Resozialisierung der NS-Kriminalisten, in: U. HERBERT, Wandlungsprozesse (Anm. 1), S. 179–213. Vgl. ferner die Problemskizze bei HERBERT REINKE/ROBERT SEIDEL, Die Entnazifizierung und die ›Säuberung‹ der Polizei in West- und Ostdeutschland nach 1945, in: Polizei und Politik (Schriftenreihe der Polizei- Führungsakademie 4/97–1/98), Lübeck 1998, S. 53–67, hier 54–62. Zum Fall Buchloe vgl. den Beitrag von REINHARD BAUMANN in diesem Band. 8 Zum Stand der Forschung über die deutsche Polizei nach 1945 vgl. GERHARD FÜRMETZ/HERBERT REINKE/KLAUS WEINHAUER, Nachkriegspolizei in Deutschland. Doppelte Poli-zeigeschichte 1945–1969, in: G. FÜRMETZ/H. REINKE/K. WEINHAUER, Nachkriegspolizei (Anm. 7), S. 7–33, hier 22–27. 9 Zahlenangabe nach HANS THIEME, Der Weg zum Augsburg von heute. Politik und Sozialentwicklung nach 1945, in: GUNTHER GOTTLIEB u.a. (HG.), Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart 1984, S. 637–647, hier 642.

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dienstrechtlich dem Gemeinderat bzw. dem Bürgermeister unterstanden.10

Faktisch kam es dadurch zu einer Kommunalisierung bislang staatlicher Polizei-organisationen, die auch deren Personal einschloß. Außer in sehr kleinen Orten setzten sich die neuen Kommunalpolizeien aus zwei Hauptzweigen zusammen, einer Schutz- und einer Kriminalpolizei.11 Hinzu kam anfangs noch die sog. Ver-waltungspolizei, die aber auf Druck der Amerikaner bis 1949 ausgegliedert wurde und in den neu gegründeten Ämtern für öffentliche Ordnung aufging. Das baye-rische Innenministerium konnte erst allmählich wieder in begrenztem Maße Ein-fluß auf die Kommunalpolizeien gewinnen. Seit Inkrafttreten des Bayerischen Poli-zeiorganisationsgesetzes vom 28. Oktober 1952 gab es zwar die Möglichkeit, Stadt- und Gemeindepolizeien zu verstaatlichen; in den meisten größeren Orten blieben sie aber bis in die 70er Jahre hinein – in Augsburg beispielsweise bis 1973 – bestehen. Für den Rest des Landes war die staatliche Landpolizei zuständig, deren streng hierarchische Struktur an die Organisation der allgemeinen inneren Verwaltung angelehnt war.12 Für Augsburg bedeutete dies, daß in der Stadt zwei separate Polizeiorganisationen angesiedelt waren: die Stadtpolizei und die zentrale Chefdienststelle der Landpolizei im Regierungsbezirk Schwaben – letztere aller-dings ohne im Stadtgebiet tätige Vollzugsbeamte. In personalpolitischer Hinsicht war die Stadtpolizei weitgehend unabhängig von bayerischen Staatsbehörden. Die Personalhoheit lag bei der Stadtverwaltung mit dem Oberbürgermeister an der Spitze, genauer gesagt beim städtischen Perso-nalreferat bzw. -amt und beim Personalausschuß des Stadtrats. Lediglich in bestimmten Angelegenheiten des Beamtenrechts, etwa bei außerordentlichen Beförderungen, mußte die Zustimmung des Landespersonalamts eingeholt wer-den. Insofern ist der hier untersuchte Fall auch beispielhaft – wenngleich nicht unbedingt idealtypisch – für die Personalpolitik kommunaler Verwaltungen in Bayern nach 1945.

10 Vgl. zum Folgenden zusammenfassend WILHELM VOLKERT/EMMA MAGES, Sicherheits-polizei, in: WILHELM VOLKERT (HG.), Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799–1980, München 1983, S. 54–59; HERBERT REINKE/GERHARD FÜRMETZ,Polizei-Politik in Deutschland unter alliierter Besatzung, in: HANS-JÜRGEN LANGE (HG.),Staat, Demokratie und Innere Sicherheit in Deutschland (Studien zur Inneren Sicherheit 1), Opladen 2000, S. 67–86, hier 78–82. 11 In Augsburg bezeichnete man die Schutzpolizei zeitweilig als ›Außendienstpolizei‹. 12 Auf Regierungsbezirksebene operierten ab 1946 sog. Chefdienststellen der Landpolizei, die einem zentralen Präsidium in München unterstanden. Nachgeordnet waren Bezirksin-spektionen für jeden Landkreis.

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2. Die unnormalen personellen Verhältnisse [...] müssen durch gerechte Maßnahmen gelöst werden: Personalrekrutierung und

Beförderungspolitik in der Augsburger Stadtpolizei

Die ersten Wochen nach Kriegsende brachten für die Augsburger Polizei einen enormen Status- und Autoritätsverlust. In personeller Hinsicht stellten sie eine Übergangszeit dar, in der nach kurzem Interregnum und der Verhaftung einiger höherer Dienstränge die meisten verbliebenen Beamten und Polizeireservisten auf Anweisung der amerikanischen Besatzungstruppen wieder zu Streifengängen und Hilfspolizeidiensten eingesetzt wurden.13 Auch der als Polizeichef amtierende Schutzpolizeikommandeur Karl Stäb wurde vorläufig noch im Amt belassen, nach-dem sich der letzte Augsburger Polizeipräsident, SS-Brigadeführer Friedrich Wil-helm Starck, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner abgesetzt hatte.14 Dauerhaft verankert wurde die neugeschaffene städtische Polizeidirektion Augsburg erst im Zusammenhang mit der Etablierung des örtlichen Detachments der US-Militär-regierung Anfang Juni 1945. Dies fand unter anderem in der Auswechslung des Polizeichefs am 30. Mai 1945 sinnfälligen Niederschlag. Damit war der organisa-torische Neuaufbau nach amerikanischem Vorbild eingeleitet, und auch die Perso-nalpolitik erfuhr nun einen fundamentalen Wandel. Da die neue Militärregierung auf konsequenter Säuberung der Stadtverwaltung beharrte, rissen die ab Juni 1945 systematisch begonnenen Entlassungen politisch belasteter Polizisten große Löcher in die ohnehin dünne Personaldecke der Augs-burger Stadtpolizei. Am Ende des Monats waren noch 117 aktive Beamte der Schutzpolizei und 35 Kriminalbeamte im Dienst, ferner 99 während der Kriegs-jahre notverpflichtete Polizeireservisten und elf Kripoangestellte, insgesamt also 262 Beschäftigte aus der Zeit vor Kriegsende. Trotz der kurzfristigen Rekrutierung von 25 Ersatzkräften fiel die Personalstärke damit weit unter das Stellensoll von 444 Personen.15 Im Juli ließ der Augsburger Militärregierungskommandeur, Major Everett S. Cofran, die Säuberungen konsequent fortsetzen: Denazification of the Police

13 EDWARD N. PETERSON, The American Occupation of Germany. Retreat to Victory, Detroit 1977, S. 273. 14 Starck hatte noch am 28.4.1945 in Mering widerrechtlich die Exekution eines Anhängers der Freiheitsaktion Bayern angeordnet, wofür er im Dezember 1948 zu vier Jahren Gefäng-nis verurteilt wurde; vgl. MARKUS PÖHLMANN, Vom Tod am letzten Kriegstag. SS-Brigadeführer Starck und der Meringer Werwolfmord, in: MARKUS PÖHLMANN (Hg.), Kellerwohnung und Persilschein. Kriegsende und Neuanfang in Augsburg nach 1945, Augsburg 1995, S. 30–46. 15 Polizeikämmerei Augsburg an OB vom 30.6.1945, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513.

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Department is continuing on a planned basis, schrieb er in seinem Monatsbericht.16 Bis Mitte August 1945 mußten schließlich 335 alte Polizeiangehörige suspendiert werden; für sie kamen 313 neue Anwärter, die zum Teil nach kurzer Zeit wieder ausgewechselt wurden.17 Berücksichtigt man den Umstand, daß eine größere Zahl von Beamten noch nicht aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, so wird deutlich, daß die Besatzungsmacht innerhalb weniger Wochen einen fast voll-ständigen Personalwechsel erzwungen hatte.18 Die hohe Zahl der Entlassungen wirft zudem ein deutliches Licht auf die Quote der ehemaligen NSDAP-Mitglieder in den Reihen der Polizei, war doch auf Betreiben der Militärregierung die formale NS-Belastung, also in erster Linie die Zugehörigkeit zu nationalsozialistischen Parteiorganisationen, zum Hauptkriterium für die Entfernung aus dem Polizei-dienst erklärt worden. Erst in den sich später anschließenden individuellen Spruch-kammerverfahren war zu klären, in welche Schuldkategorie die Betroffenen tatsächlich einzuordnen waren.19

Die neue Belegschaft kam, wie es in einem polizeiinternen Rückblick von 1946 heißt, aus den verschiedensten Kreisen und unterschiedlichster Vorbildung.20 Neben den bereits erwähnten Polizeireservisten, die während des Zweiten Weltkriegs die in die besetzten Gebiete abgeordneten Kollegen vertreten sollten, fanden sich ab Sommer 1945 ehemalige Wehrmachtssoldaten – in der Regel ohne polizeiliche Vorkenntnisse – und frühere Angehörige kasernierter Länderbereitschaftspolizeien der Zeit bis 1935, ebenso Flüchtlingsbeamte und aus anderen Teilen Deutschlands meist unfreiwillig zugewanderte Polizisten. Hinzu kamen zahlreiche Anwärter, die beim Eintritt in die Stadtpolizei völlig berufsfremd waren. Einer von ihnen wandte sich mit folgendem Gesuch an den Augsburger Bürgermeister: Wie verlautet wird das gesamte Polizeiwesen reorganisiert und einer gründlichen Säuberung unterzogen. Es werden verläßliche Personen, die weltanschaulich auf der Basis der Militär-Regierung stehen und sich voll und ganz dem Neuaufbau einer neuen Zukunft der deutschen Nation des Friedens und Anständigkeit [verpflichten,] benötigt, um all diese Planungen zu verwirklichen. Möchte mich zum Polizeidienst melden und meine ganze Kraft in den Dienst des Volkes stellen. Bin am

16 Monatsbericht des Detachments G1H2 für Juli 1945, abgedruckt in: KARL-ULRICH GEL-BERG (Bearb.), Kriegsende und Neuanfang in Augsburg 1945. Erinnerungen und Berichte (Biographische Quellen zur Zeitgeschichte 17), München 1996, S. 140. 17 Manuskript »Die Augsburger Polizei – eine Übersicht seit der Besetzung« von 1946, S. 3, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 32/2. 18 Dem Tagebuch der Polizeidirektion Augsburg zufolge blieben z.B. bei der Schutzpolizei nur 6% der alten Beamten übrig; StadtAAugsburg, DOK 200. 19 Zur Entnazifizierung in Augsburg vgl. die Skizze von NATASCHA GÜCKEL, Spruchkam-mern und Persilscheine. Probleme der Entnazifizierung, in: M. PÖHLMANN, Kellerwoh-nung (Anm. 14), S. 74–95. 20 Manuskript ›Die Augsburger Polizei – eine Übersicht seit der Besetzung‹ von 1946, S. 3, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 32/2.

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1.1.1904 zu Augsburg geboren von Beruf Mechaniker die vergangenen letzten 2 Jahre als Berufsausbilder tätig gewesen. Meine weltanschauliche Gesinnung war stets die demokratische Staatsform und kann meine Vergangenheit dokumentarisch beweisen.21 Aus diesen holprigen Bewerbungszeilen läßt sich ein wesentliches Anforderungsmerkmal für Polizisten nach 1945 herausfiltern, das fachlichen Voraussetzungen keineswegs nachstand: äußere Loyalität zum neuen politischen System. Da die neuen Kräfte trotz ihrer heterogenen Herkunft sofort zur praktischen Dienstleistung herangezogen wurden, erfolgte lediglich eine begleitende Kurzschu-lung.22 Die wenigen Nichtentlassenen rückten zwar bevorzugt in leitende Funk-tionen auf, konnten aber den Bedarf an Führungspositionen auf der unteren und mittleren Ebene, z.B. als Revierleiter, nicht decken. Dadurch mußten zwangsläufig auch Neueingestellte Schlüsselstellungen einnehmen, ohne die an sich erforderliche beamtenrechtliche Qualifikation zu besitzen. Auch in der Folgezeit blieb das Augsburger Polizeipersonal alles andere als konstant. Viele Neueinsteiger quittier-ten bereits nach kurzer Zeit wieder den Dienst und kehrten in erlernte Berufe zurück, während andere wegen mangelnder Diensteignung und Amtspflichtver-letzungen entlassen wurden. Wie wenig gefestigt die Augsburger Polizeibelegschaft war, erwies sich zuletzt Mitte 1948, als bei der Überprüfung der kompletten Stadtverwaltung durch einen unabhängigen Revisor herauskam, daß mehr als ein Viertel der 91 festgestellten Straftaten im Amt seit 1946 – darunter vor allem Unterschlagungs- und Korruptionsdelikte – auf Angehörige der Stadtpolizei ent-fiel.23

Mit der Überführung der meisten neuen Beschäftigten vom Angestellten- ins Beamtenverhältnis ab Januar 194824 ging die Personalfluktuation merklich zurück. Zugleich wurde die Personalstärke, die von der Militärregierung ursprünglich streng begrenzt worden war, deutlich erhöht. Bereits im September 1947 beschloß der Stadtrat eine Aufstockung um 50 Stellen.25 Bis zum 1. Oktober 1949 war bei

21 Ernst Schwager an den Augsburger Bürgermeister Dr. Wilhelm Ott vom 3.6.1945, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513. 22 Polizeifachschule Augsburg an das städtische Personalreferat vom 12.3.1948, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/513. Vgl. auch die programmatische Schrift des ersten Augsburger Polizeischulleiters GÜNTER BIALEK, Der neue Polizeibeamte. Richtlinien für den bayerischen Polizeidienst, Augsburg 1946. 23 EBERHARD RIEGELE, Parteienentwicklung und Wiederaufbau. Die lokale Neugründung und Politik der SPD in den Jahren 1945 bis 1949 am Beispiel der Stadt Augsburg, Phil. Diss. Augsburg 1977, S. 400. 24 Personalreferat der Stadt Augsburg an Polizeidirektion Würzburg vom 26.1.1948, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/513. 25 Beschluß des Augsburger Stadtrats vom 24.9.1947, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513.

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den Vollzugskräften ein Stand von 439 Beamten und 14 Angestellten erreicht.26 Ab Mitte 1951 sah der Stellenplan schließlich 466 Polizeivollzugsbeamte vor.27 Diese Zahl blieb in den Folgejahren weitgehend konstant. Ab 1947/48 verschob sich das Gewicht bei der Neurekrutierung von Polizei-personal in Augsburg auf Beamte, die 1945/46 aufgrund politischer Belastung entlassen worden waren.28 Zur Hauptvoraussetzung für die Wiedereinstellung wur-de ein abschließend durchlaufenes Spruchkammerverfahren, bei dem zunächst eine ›Entlastung‹ erforderlich war, bald aber auch der ›Mitläufer‹-Status genügte. Als Rechtsgrundlage diente die für den gesamten öffentlichen Dienst in Bayern erlasse-ne Verordnung Nr. 113 zur Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffenen Beamten vom 29. Januar 1947, die eine Versorgungsberechtigung für ordnungsgemäß entnazifizierte Beamte vorsah.29

Allerdings wurden die Betroffenen in Augsburg angesichts des engen Stellenplans und offenkundig übermäßiger Kriegsbeförderungen in der Regel eine bis maximal drei Besoldungsgruppen unterhalb ihres früheren Dienstranges eingestellt.30

Zu den frühesten Wiederverpflichteten gehörten ab September 1947 fünf sog. ›Weihnachtsamnestierte‹, d.h. rangniedrige Mitläufer mit vor 1945 geringem Ein-kommen.31 Nach und nach wurden auch stärker belastete Entnazifizierte reinte-griert. Bezeichnenderweise erfolgte die Wiedereinstellung auf Antrag des Betrof-fenen ähnlich schematisch-bürokratisch wie die Entlassung. Was die Spruchkam-mern nicht urteilsverschärfend gewertet hatten, interessierte auch im städtischen Personalamt nicht. Auf diese Weise konnten zum Beispiel Beamte problemlos wieder in ihr Amt zurückkehren, die an Tötungseinsätzen von Polizeibataillonen in den besetzten Ostgebieten teilgenommen hatten,32 sofern sie in der Heimat nur Parteigenossen von 1937 an gewesen waren. Anfang Oktober 1948 betrug der

26 Personalreferat der Stadt Augsburg an Regierung von Schwaben vom 23.12.1949, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/513. 27 Aktenvermerk des Personalamtes der Stadt Augsburg vom 17.3.1952, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/515. 28 Im Folgenden können nur Grundmuster des Reintegrationsprozesses dargestellt werden. Für ein exaktes Soziogramm der Wiedereingestellten wären umfangreiche fallbiographische Untersuchungen notwendig. 29 BayGVBl 1947, S. 82–85. Am 14.7.1948 wurde die Verordnung neu gefaßt. 30 Personalreferat der Stadt Augsburg an Personalamt und Polizeidirektion vom 28.4.1949, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513. 31 Stadtverwaltung Augsburg an Militärregierung/Special Branch vom 6.9.1947, mit Ver-merk des Personalreferats vom 1.3.1948, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513. 32 Zum auswärtigen Einsatz der uniformierten Polizei im Zweiten Weltkrieg vgl. u.a. KLAUS-MICHAEL MALLMANN, Vom Fußvolk der ›Endlösung‹. Ordnungspolizei, Ostkrieg und Judenmord, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 26 (1997), S. 355–391.

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Anteil der 122 vom Befreiungsgesetz betroffenen, d.h. formal nationalsozialistisch belasteten Stadtpolizeibeschäftigten bereits 27,7% des verbeamteten Personals.33

Spätestens ab 1950 wurden fast alle frei werdenden Planstellen mit vormals entlassenen Beamten besetzt. Am 31. Januar 1950 standen theoretisch nur noch 58 ehemalige Schutzpolizisten und elf Kriminalbeamte zur Wiedereinstellung an; da-von hatten sich aber knapp die Hälfte gar nicht zurückgemeldet oder befanden sich vereinzelt noch in Kriegsgefangenschaft. Außerdem waren die letzten sechs Kriminalisten, die noch nicht wieder in den Beamtenstatus gelangt waren, zumin-dest als Polizeiangestellte tätig.34 Letzte Bereinigungen der Amtsenthebungswelle von 1945/46 brachte schließlich auch für die Augsburger Stadtpolizei das im Mai 1951 in Kraft getretene Ausführungsgesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes, das die verschiedenen Dienstherren verpflichtete, die meisten der noch übriggebliebe-nen Exbeamten entweder wieder zu verwenden oder ordnungsgemäß in den Ruhe-stand zu versetzen.35 In Erwartung des Gesetzes hatte der Personalausschuß des Stadtrats schon am 4. Januar 1951 beschlossen, alle Stellenbesetzungen bei der Schutzpolizei vorerst aufzuschieben.36 Auf Drängen der städtischen Personal-verwaltung stand damit als Reservoir für frei werdende Stellen praktisch nur mehr der mittlerweile kleine Kreis der ›Unterbringungsberechtigten‹ zur Verfügung. Als beispielsweise im August 1952 im Zuge einer Personalverstärkung neun Stellen zu vergeben waren, entschied das Personalamt nur in zwei Fällen gegen Beamte, die zur Wiederverwendung anstanden: Einer wurde wegen seiner früheren Verfehlungen auf sittlichem Gebiete abgelehnt, der andere aufgrund seiner Vergangen-heit als ›Alter Kämpfer‹, d.h. als NSDAP-Mitglied vor 1933 – eine Belastung, die offenbar zu skandalträchtig erschien.37 Vergeblich gab der Betriebsrat zu beden-ken, daß die Wiederverwendung von älteren Polizeibeamten im Vollzugsdienst, die nun schon 7 Jahre außer Dienst sind, vom fachlichen Wissen aus unzweckmäßig wäre.38 Bezeichnend ist auch die Personalauswahl für die vierköpfige Dienststelle zur Bearbeitung der Delikte mit politischem Einschlag, die Ende 1952 innerhalb der Stadtpolizei Augsburg neu gebildet wurde. Als Leiter der neuen Unterabteilung wurde auf Vorschlag des

33 Personalreferat der Stadt Augsburg an Polizeidirektion vom 13.10.1948, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513. 34 Personalreferat der Stadt Augsburg an BayStMI vom 14.3.1950, StadtAAugsburg, Stadt-verwaltung 49/514. 35 Zur Entstehung des sog. 131er-Gesetzes vgl. U. WENGST, Beamtentum (Anm. 3), S. 152–222. 36 Beschluß des Personalausschusses des Augsburger Stadtrats vom 4.1.1951, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/514. 37 Personalamt der Stadt Augsburg an Personalreferat vom 19.8.1952, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/515. 38 Betriebsrat der Polizeidirektion Augsburg an das städtische Personalamt vom 29.8.1952, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/515.

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Chefs der Kriminalpolizei und des Betriebsratsvorsitzenden ausgerechnet der frühere Kriminalsekretär Heinrich Eichenseher (geb. 1903) auserkoren und als ›131er‹ wieder eingestellt – nicht zuletzt deshalb, weil der seit 1930 in Augsburg Polizeidienst leistende Kollege eine vergleichbare Funktion bereits in seiner Gesta-pozeit zwischen 1938 und 1945 bekleidet hatte und deshalb die notwendige Erfah-rung bei Ermittlungen gegen politische Straftäter, in Wiedergutmachungs-, Aus-wanderungs- und Einbürgerungsangelegenheiten oder bei Personalüberprüfungen für Behörden mitzubringen schien.39

Im Fall des Polizeiinspektors Johann Centmeyer (geb. 1888) war die Wiederver-pflichtung aus ähnlich pragmatischen Überlegungen heraus bereits im März 1947 erfolgt. Seit 1913 im Polizeidienst, hatte Centmeyer am 7. August 1945 wie die meisten seiner Kollegen seine Dienststellung verloren. Zuvor war er während des Krieges infolge der vielseitigen polizeilichen Kenntnisse [und] seiner großen dienstlichen Erfahrung und Eignung für die Schulung von Nachwuchskräften, zur Ausbildung und Unter-richtung der Polizeireservisten herangezogen worden und hatte als Kompanieführer oder Stell-vertreter bei Polizeieinheiten Verwendung gefunden. Wie es in der Begründung für seine geplante Beförderung zum Oberinspektor im September 1952 weiter heißt, waren genau diese ›Vorzüge‹ für seine frühe Wiedereinstellung maßgeblich, sollte Cent-meyer doch für die Schulung und Prüfung der neuen Polizeikräfte gewonnen werden. Prompt wurde er als Schulleiter und Lehrkraft der Polizeifachschule Augsburg eingesetzt, wo er bis 1952 die gesamten seit 1945 eingestellten Nachwuchskräfte in Grund-ausbildungslehrgängen geschult und auf die Anstellungsprüfung für den einfachen Polizeidienst vorbereitet hat. Bis zu seiner Pensionierung ein Jahr später übernahm Centmeyer so-gar noch als Ausbildungsleiter [...] die Aufgabe der fortlaufenden Weiterbildung der städt. Poli-zeibeamten.40

Daß die geschilderten personalpolitischen Maßnahmen innerhalb der zusam-mengewürfelten Polizeibelegschaft schon bald für erhebliche Spannungen sorgten, belegen nicht nur zahlreiche Konflikte zwischen neuberufenen, entlassenen und wiedereingestellten Polizeibeamten, sondern auch wiederholte Klagen über unsi-chere Dienstverhältnisse und unzureichende Beförderungsmöglichkeiten.41 Erste Befürchtungen der Neueingestellten, alsbald wieder von den alten Kollegen ver-drängt zu werden, lassen sich bereits in einem Betriebsratsantrag an den Stadtrat vom 30. August 1946 nachweisen: Die Betriebsversammlung der Angestellten der hiesigen

39 Personalreferat der Stadt Augsburg an Personalamt vom 18.12.1952, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/515. 40 Personalreferat der Stadt Augsburg an Bayerisches Landespersonalamt vom 27.9.1952, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/515. Das Landespersonalamt lehnte allerdings die beantragte Beförderung aus beamtenrechtlichen Gründen ab. 41 So z.B. Fachgruppe Polizei des ÖTV-Ortsausschusses Augsburg an OB Dr. Klaus Müller vom 9.8.1948, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513.

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Polizeidirektion ersucht den Stadtrat, bei etwaiger Wiedereinstellung von ehem. Parteigenossen, eine solche nur vorzunehmen, wenn dadurch keinerlei Benachteiligungen von Nicht-Pg's entstehen. Dieses gilt insbesondere aber auch in Bezugnahme auf etwaige Beförderungsangelegenheiten. Außerdem verlangt die Betriebsversammlung, daß Nicht-Pg's weder entlassen noch versetzt wer-den dürfen, um ehem. Pg's an deren Stelle zu setzen. Wir fordern weiter, daß bei evtl. Einstellung ehem. Pg's der Betriebsrat eingeschaltet werden muß.42 Wie sich herausstellen sollte, gab es nach Anlauf der Wiedereinstellungsphase zwar keine gezielten Entlassungen von Unbelasteten, um Plätze für einzugliedernde Expolizisten frei zu machen; bei Beförderungen und der Besetzung von Funktionsstellen wurden die ehemaligen Parteigenossen aber immer stärker bevorzugt. Anlaß zur Kritik bot nicht nur die als Zurücksetzung empfundene Schlechter-behandlung der Nicht-PGs gegenüber wiedereingestellten Schutzpolizeibeamten bei der Überführung ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.43 Schwere Unzufrie-denheit löste auch der schrittweise Austausch von unbelasteten Beamten in mittle-ren Führungspositionen durch wiedereingestellte Kollegen aus. Als etwa der Chef der Augsburger Schutzpolizei im November 1950 beantragte, zehn seiner zurück-gekehrten Beamten des mittleren Dienstes zu Oberkommissären zu befördern und ihnen zugleich ihre früheren Arbeitsgebiete als Reviervorsteher, deren Stellver-treter oder als sonstige Dienststellenleiter zuzuweisen, stimmte das städtische Per-sonalreferat in sieben Fällen zu.44 Die bisherigen Stelleninhaber, die aufgrund mangelnder Schulungsmöglichkeiten noch nicht über entsprechende Laufbahn-qualifikationen verfügten, wurden größtenteils in den Außendienst zurückgestuft. Im Herbst 1952 kam die als Bereinigung der Stellenplanverhältnisse bei der Schutzpolizeibezeichnete Auswechslung der in Kommissärsfunktionen beschäftigten Berufsneu-einsteiger zum Abschluß.45

Ein anderes Beispiel zeigt, wie auch die Masse der Neueinsteiger in den Polizei-beruf im Lauf der Zeit immer stärker benachteiligt wurde. Im April 1951 strebte der Schutzpolizeichef die Beförderung von 26 qualifizierten Hauptwachtmeistern zu Kommissären bzw. in drei Fällen zu Oberkommissären an; das entsprach dem Aufstieg vom einfachen in den mittleren Dienst. Darunter sollten je zur Hälfte wiedereingestellte und nach 1945 neueingetretene Beamte sein, um Unzufriedenheiten innerhalb der Beamtenschaft auszuschließen. Diesem Wunsch folgte das Personalamt al-

42 Betriebsrat der Polizeidirektion Augsburg an Stadtrat vom 30.8.1946, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513. 43 ÖTV-Ortsverwaltung Augsburg an städtisches Personalreferat vom 29.6.1950, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/514. 44 Chef der Schutzpolizei Augsburg an das städtische Personalreferat vom 4.11.1950 bzw. Vermerk des Personalreferats vom 22.11.1950, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/514. 45 Personalamt der Stadt Augsburg an Personalreferat vom 3.9. und 18.10.1952, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/515.

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lerdings nicht, da Wiedereingestellte protestieren könnten.46 Fünf Monate später betrug die Relation in einem neuerlichen Antrag der Schutzpolizeileitung bereits 21 zu zehn, wobei fünf der zehn Neueingestellten sogar noch auf die Pensionierung älterer Kollegen warten sollten.47 Diesem Vorschlag wurde vom Personalausschuß des Stadtrats entsprochen. An der neuen Zusammensetzung der Beförderungs-gruppe hatte offenbar die Lobbyarbeit des Zentralverbands der Gemeindebeamten Bayerns Anteil, der im kommunalen Polizeidienst hauptsächlich die Interessen ehemaliger PGs vertrat.48 Einen Gegenantrag der Gewerkschaft ÖTV vom No-vember 1951 schmetterte der Personalausschuß ab.49

Im Februar 1952 startete der Augsburger Schutzpolizeichef einen weiteren Anlauf zur vollständigen Rehabilitierung seiner wiedereingestellten Polizisten. Diesmal wurde im Interesse der für eine ersprießliche Polizeitätigkeit unbedingt erforder-liche[n] Ruhe und Rechtssicherheit beantragt, die letzten 16 Hauptwachtmeister, die noch einen niedrigeren Dienstgrad besaßen als vor dem Mai 1945, überplanmäßig in den vorigen Stand bzw. in ihre alten Rechte einzusetzen.50 Auch wenn dieses Vorha-ben aus finanziellen Gründen dahingehend reduziert wurde, daß die betreffenden Personen noch bis zum Erreichen ihres 55. Lebensjahres warten mußten,51 spiegelt die Antragsbegründung durch den Leiter der Schutzpolizei eindrucksvoll die Gna-denstimmung wider, die in den frühen 50er Jahren im öffentlichen Dienst vor-herrschte: Die unnormalen personellen Verhältnisse, entstanden in einer ebenso unnormalen Zeit, dürfen nicht durch ungerechte und durch nichts begründete Beschneidungen wohlerworbener Rechte beseitigt, sondern müssen durch gerechte Maßnahmen gelöst werden.52 Von dem, was die 16 Polizisten in den Jahren 1933 bis 1945 getan hatten, wollte zu diesem Zeit-

46 Chef der Schutzpolizei Augsburg an den Polizeidirektor vom 21.4.1951 bzw. Personal-amt Augsburg an Personalreferat vom 11.7.1951, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/514.47 Chef der Schutzpolizei Augsburg an den Polizeidirektor vom 10.9.1951, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/514. 48 Vgl. das Bittschreiben des Kreisverbands Augsburg des Zentralverbands der Gemeinde-beamten Bayerns an den Landtagsabgeordneten der Bayernpartei und späteren bayerischen Innenminister Dr. August Geislhöringer vom 22.6.1951, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/514.49 Eingabe der ÖTV-Ortsverwaltung Augsburg an den Personalausschuß des Stadtrats vom 14.11.1951, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/514. 50 Chef der Schutzpolizei Augsburg an das städtische Personalamt vom 6.2.1952, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/515. 51 Personalamt der Stadt Augsburg an Polizeidirektion vom 20.2.1952, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/515. 52 Chef der Schutzpolizei Augsburg an das städtische Personalamt vom 6.2.1952, StadtA Augsburg, Stadtverwaltung 49/515.

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punkt niemand mehr etwas wissen. Sie waren zu Opfern einer ›unnormalen‹ Nachkriegszeit geworden, denen nun endlich Gerechtigkeit widerfahren sollte.

3. Ausserdem brauchen wir ihn, weil wir keinen besseren haben:Biographische Betrachtungen zur Augsburger Polizeispitze

Auf oberster Ebene griff die Besatzungsmacht 1945 zunächst bevorzugt auf ver-sierte Polizeiführer der Vorkriegszeit zurück, vor allem auf solche, die 1933 entlassen worden waren. An die Spitze der Augsburger Stadtpolizei trat Ende Mai 1945 mit Georg Knapp (geb. 1889) ein ehemaliger Polizeioffizier aus Hessen, der zwar auf seine antinazistische Vergangenheit pochen konnte und mit großem Elan und fleißiger Öffentlichkeitsarbeit an die Rekonstruktion seines Polizeiapparats ging, wegen persönlicher Begünstigungen und zweifelhaften privaten Umgangs aber stark angefeindet wurde und auf Druck von Stadtverwaltung und Militär-regierung Anfang 1947 seinen Hut nehmen mußte. Auch Eugen Wolff (geb. 1905), der Leiter der uniformierten Außendienstpolizei und zugleich Knapps Stellver-treter seit März 1946, ein deutscher Jude und ehemaliger französischer Unter-grundkämpfer und Militärpolizeiführer, wurde 1947 als fachlich ungeeignet und korrupt abgeschoben.53

Für Knapp kam Franz Drzimala (1890–1953) als neuer Polizeichef, ein unauf-fälliger Verwaltungspolizeispezialist, der von 1941 bis 1943 in Augsburg die Paß- und Fremdenpolizei geleitet hatte. Wolff wurde im Dezember 1947 durch den schon zwischen 1929 und 1938 als Augsburger Schutzpolizeikommandeur tätigen Heinrich Trillich (1894–1956) ersetzt, der vor allem in der Arbeiterschaft und der SPD heftig umstritten war. Als dritter im Bunde gelangte Anfang 1950 Johann Steindl (geb. 1896) an die Spitze der Augsburger Kriminalpolizei zurück – eine Funktion, die er schon während der NS-Zeit jahrelang bekleidet hatte. Vom Polizeichef wurde Steindls Bewerbung hauptsächlich wegen seiner Augsburger Herkunft und seiner Fachkompetenz unterstützt. Der ehemalige Dienstvorgesetzte Steindls von 1939/40 wollte in seinem Referenzschreiben überdies eine moralische Verpflichtung für die Stadt Augsburg erkennen, Kriminalrat Steindl wieder an die Stelle zu bringen, von der er wegen seiner aufrechten gesetzestreuen Haltung entfernt wurde.54

53 Zur kurzen Karriere von Knapp und Wolff vgl. v.a. deren Personalakten, StadtAAugs-burg, P 13/2934 bzw. P 12/4813. Vgl. auch die negative Charakterisierung bei E. PETER-SON, American Occupation (Anm. 13), S. 289 f., gestützt auf FRITZ AUMANN, Gangster in Augsburgs Ämtern, in: Schwäbische Neue Presse vom 13.6.1969. 54 Polizeichef Drzimala bzw. Landpolizeidirektor Dr. Albrecht Böhme an das Personalamt der Stadt Augsburg vom 28.6. bzw. 28.10.1949, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/513.

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Während Steindl allerdings eine längere Unterbrechung seiner beruflichen Tätigkeit hinnehmen mußte, gelang den anderen beiden Spitzenfunktionären der Augsburger Stadtpolizei der Wiedereinstieg wesentlich schneller. Angesichts der Unzulänglichkeiten ihrer Vorgänger Knapp und Wolff schien der Stadtregierung im Jahr 1947 die Berufung von bewährten Führungskräften mit Ortskenntnis offensichtlich geboten – trotz der Vorbehalte, die insbesondere gegen den frühe-ren Schutzpolizeioffizier Trillich existierten. Drzimala und Trillich hatten sich ge-schickt durch die NS-Zeit manövriert. Beiden war es gelungen, ihre Polizeikarriere nahezu ungebrochen fortzusetzen, ohne sich formal politisch – etwa durch einen NSDAP-Beitritt – zu kompromittieren. Von ihrem polizeilichen Selbstverständnis her waren beide stark von der Weimarer Republik geprägt. Dort knüpften sie in ihrer Führungsarbeit an der Spitze der Augsburger Stadtpolizei ab 1947 an. Der gebürtige Kölner Franz Drzimala war ab 1917 zuerst in kommunalem, dann in staatlich-preußischem Dienst als Polizeiverwaltungsbeamter tätig.55 1927 stieg er ins Präsidialbüro der staatlichen Krefelder Polizei auf, wo er auch das Personalamt, die Pressestelle und die Politische Polizei leitete. In Gladbach-Rheydt übernahm Drzimala 1932 eine ähnliche Funktion, geriet dort aber im Mai 1933 in Schwierigkeiten, da er in den Augen des neuen Polizeipräsidenten heute noch in seinem ganzen Fühlen und Denken gebunden an die früher hier herrschenden Verhältnissewirkte. Die Einschätzung, er sei ein verbissener Anhänger des alten Systems, trug Drzimala allerdings nur vorübergehend einen dienstlichen Rückschlag ein. Nach seiner Versetzung ans Polizeipräsidium Köln im April 1934 wurde er gerade wegen seiner bürokratischen Fähigkeiten, seiner Anpassungsbereitschaft und seines einge-impften Gehorsams vollständig rehabilitiert, denn – so die Beurteilung vom Januar 1940 – kraft dieser Eigenschaft ist Drzimala jetzt unter nationalsozialistischer Regierung in gleicher Weise geneigt, dem Willen der Führung sich zu beugen. Nachdem ihm kurz darauf von der NSDAP-Gauleitung Köln-Aachen auch die ›politische Zuverlässigkeit‹ bescheinigt worden war, wurde Drzimala im Februar 1941 als Abteilungsleiter für Paß- und Fremdenangelegenheiten zur staatlichen Polizeiverwaltung Augsburg abgeordnet, wohin er schließlich ein halbes Jahr später unter Beförderung zum Polizeirat offiziell versetzt wurde. Im August 1943 mußte er in gleicher Dienst-funktion nach Düsseldorf und ein knappes Jahr später nach München wechseln, wo er nach mehrmonatiger Erkrankung auch das Kriegsende erlebte. Nun kam Drzimala zugute, daß er nicht der NSDAP beigetreten war. Am 16. Juli 1945 wurde er von der Münchner Militärregierung im Amt bestätigt, und seit August fungierte er als Leiter eines der vier lokalen Polizeiämter der neugeschaffe-nen Stadtpolizei. Vom Vollzugspolizeidienst überfordert, strebte Drzimala im Frühjahr 1946 zunächst die Position des Verwaltungsdirektors seiner früheren

55 Biographische Angaben inkl. der folgenden Zitate nach dem Personalakt Drzimalas; StadtAAugsburg, P 17/452.

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Wirkungsstätte Mönchengladbach an, bewarb sich aber dann im Juni – unter explizitem Verweis auf seine angebliche Zurücksetzung aus politischen Gründen seit 1933 – bei der Augsburger Stadtpolizei, wo er schließlich am 1. August 1946 unter Wiederberufung in das Beamtenverhältnis als Polizeiamtmann und Leiter der Verwaltungspolizeiabteilung eingestellt wurde. Nach der Ablösung Georg Knapps übernahm Drzimala im Februar 1947 zunächst kommissarisch und ab Mai dann permanent die Leitung der städtischen Polizeidirektion. Der Dienstrang eines Poli-zeidirektors der Besoldungsgruppe A2c1 wurde ihm freilich erst im August 1949 zugebilligt, rechnete man in der Stadtverwaltung doch mit seiner baldigen Pensio-nierung aus gesundheitlichen Gründen. Drzimala trat zwar wenig nach außen in Erscheinung, erwies sich aber im Zusammenspiel mit seinem Stellvertreter Trillich als prägende Kraft bei der personellen und organisatorischen Restrukturierung sei-nes Amtsbereiches. Im Herbst 1950 nahm er sogar an einer mehrwöchigen Fort-bildungsreise in die USA im Rahmen des HICOG-Austauschprogramms teil. Nach schwerer Erkrankung verstarb er allerdings noch während seiner Amtszeit 63jährig am 20. August 1953. Heinrich Trillich, ein unverheirateter, freireligiöser Münchner, war das militä-risch-schutzpolizeiliche Gegenstück zu Drzimala, mit dem er sich ausgezeichnet ergänzte.56 Nach Abitur, aktivem Heeresdienst im Ersten Weltkrieg, Mitgliedschaft im Freikorps Epp und kurzer Reichswehrzugehörigkeit schied Trillich als Ober-leutnant der Reserve im Oktober 1920 aus dem Militär aus und trat ein halbes Jahr später in die kasernierte Bayerische Landespolizei ein. Ende 1923 wurde er – nun im Rang eines Polizeihauptmanns – Abschnittskommandeur der Schutzmann-schaft der staatlichen Polizeidirektion Nürnberg, bis er am 1. April 1929 an die Spitze der Augsburger Schutzpolizei aufstieg, eine Funktion, die er – seit 1936 Polizeimajor – bis März 1938 beibehielt. Zu diesem Zeitpunkt bot Trillich seinen Vorgesetzten trotz guter geistiger Veranlagung nicht mehr genügend Energie, um sich durch-zusetzen, weshalb er in Augsburg abgelöst und zum Abschnittskommandeur in München zurückgestuft wurde. Möglicherweise spielten aber auch noch andere Gründe wie etwa Trillichs kompromißlose Haltung gegenüber Partei- und SS-Vertretern eine Rolle, blieb er doch weiterhin nahezu allen NS-Organisationen und -Versammlungen fern. Andererseits erwarb er sich laut Beurteilung vom Oktober 1940 in der ›weltanschaulichen Schulung‹ seiner Untergebenen besondere Verdien-ste, und noch Anfang September 1944 bescheinigte die Münchner NSDAP-Gauleiterkanzlei, Trillich sei in seiner weltanschaulichen Haltung stets klar gewesen. Ab 1940 fand Trillich eine neue Verwendung als alleiniger Adjutant des Reichsstatt-

56 Biographische Angaben inkl. der folgenden Zitate (sofern nicht gesondert nachgewiesen) nach den beiden Personalakten Trillichs: StadtAAugsburg, P 14/113; BayHStA, Reichs-statthalter 798; bzw. nach zwei Dossiers über Trillich: BA, BDC/PK (R00074); BA-ZADH, ZB 3542.

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halters in Bayern, Ritter von Epp, der ihn auch persönlich als einen Mann schätzte, auf den man sich verlassen kann. Auf Epps Betreiben wurde Trillich nun sogar zum Polizeioberstleutnant befördert, obwohl das Reichssicherheitshauptamt politische Bedenken erhob. Trillichs Nischenexistenz an der Seite Epps fand im August 1943 ein Ende, als der eigenwillige Polizeioffizier wegen zunehmenden Personalmangels als Schutzpolizeikommandeur nach Aussig ins Sudetenland entsandt wurde. In der Kriegsendphase als Polizeiverbindungsoffizier zu einer Wehrmachtsgroßeinheit verwendet, verschlug es Trillich zuletzt nach Tirol, worunter seine bereits angegrif-fene Gesundheit weiter litt. Dieses Manko sollte ihm in der Folgezeit noch nach-hängen. Mitte Juni 1945 kehrte Trillich nach München zurück, wo er mit Genehmigung der Militärregierung wieder in der Schutzpolizei eingesetzt wurde, im September aber mangels adäquater Planstellen nicht weiterbeschäftigt werden konnte. Als er sich daraufhin in Augsburg meldete, griff der neue Polizeichef Knapp sofort zu und gab ihm das Kommando über die uniformierte Schutzpolizei zurück. Aller-dings regte sich nun massiver Widerstand auf Seiten der Augsburger Kommu-nisten, denen Trillich noch aus Weimarer Zeiten als rigoroser ›Arbeiterfeind‹ in Erinnerung war. Auf Fürsprache des neuen Oberbürgermeisters Ludwig Dreifuß (SPD) blieb Trillich aber zunächst im Amt. Die Begründung, die der Augsburger OB dafür im Stadtbeirat gab, erscheint geradezu bezeichnend für die kommunale Personalpolitik der nächsten Jahre in der Lechstadt: Mag Trillich vielleicht zu schneidig gewesen sein, er ist heute der Bürger einer neuen Zeit, er ist älter und gemässigter geworden und ausserdem brauchen wir ihn, weil wir keinen besseren haben. [...] Sollte er einmal gefehlt haben, so müssen wir ihm das verzeihen.57

Dreifuß' pragmatische Versöhnungsgeste war freilich schon kurz darauf hin-fällig, als die örtliche Militärregierung zum 1. Januar 1946 Trillichs Entlassung ver-fügte, offenbar aufgrund seines hohen Polizeidienstranges in der NS-Zeit. Da er von keinem früheren Dienstherrn eine Pension erhielt, verdingte sich Trillich schließlich im Dezember 1946 als einfacher Angestellter beim Polizeipräsidium München. Anfang April 1947 wurde das Spruchkammerverfahren gegen ihn einge-stellt, in dem er anfangs aufgrund seiner Funktionen als ›Belasteter‹ gegolten hatte. Nach Meinung der Kammer war Trillich vielmehr als Gegner des Nationalsozialismuseinzustufen. Nun war der Wiederverpflichtung des umstrittenen Polizisten formal der Weg geebnet. Als sich der städtische Personalsenat aber Anfang Dezember 1947 mehrheitlich für Trillichs Rückkehr in das durch den Weggang Eugen Wolffs frei gewordene Amt des Außendienstleiters der Stadtpolizei aussprach, begann eine scharfe kommunalpolitische Kontroverse, die auch in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregte.58 Während die Stadtratsfraktionen zunächst übereinge-

57 Beiratsprotokoll vom 27.11.1945 (OB Ludwig Dreifuß), Hauptamt der Stadt Augsburg. 58 Vgl. dazu im Detail E. RIEGELE, Parteienentwicklung (Anm. 23), S. 344–48.

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kommen waren, Trillich wegen seines schlechten Gesundheitszustandes nur be-fristet und im Angestelltenverhältnis einzustellen, um seinen Nachfolger einzuar-beiten, entschied sich die SPD am 20./21. Januar 1948 plötzlich für eine Macht-probe mit der CSU-geführten Mehrheit von Oberbürgermeister Dr. Klaus Müller, die gründlich scheiterte. An der Person Trillichs, der nun von der SPD massiv ab-gelehnt wurde, entzündete sich eine erbitterte Auseinandersetzung im Stadtrat. Am Ende stand der Mehrheitsbeschluß, Trillich ab Februar 1948 aufgrund seiner gro-ßen Diensterfahrung, seiner Fachqualifikation und seiner vermeintlichen NS-Geg-nerschaft unbefristet zu beschäftigen. Ins Beamtenverhältnis wurde Trillich trotz wiederholter Gesuche freilich erst mehr als drei Jahre später berufen, zudem mit dem gegenüber der Zeit vor 1945 deutlich niedrigeren Rang eines Polizeiamt-manns, über den er nicht mehr hinauskam. Für Trillich ging es ab 1948 in erster Linie darum, endlich einmal eine Außenpolizei aufziehen zu können, die unbeeinflußt von parteilichen oder persönlichen Rankünen nur ihrer Aufgabe lebt, für Ruhe u. Ordnung zu sorgen. Dazu zählte – wie bereits gezeigt – auch, erfahrenes Personal zu rekrutieren und in Schlüsselpositionen zu plazieren. Dieses ›unpolitische‹ Polizeiverständnis, mit dem eine harte Haltung gegen politische Wil-lensbekundungen auf der Straße einherging, war in den Jahren der Weimarer Republik entwickelt worden. Dementsprechend gehörte Trillichs bevorzugtes Interesse auch nach 1945 der sog. Polizeiverwendung, dem geschlossenen Einsatz größerer Polizeiverbände. Zwischen 1951 und 1953 besuchte er drei einschlägige Arbeitstagungen für Polizeiführer am Polizeiinstitut Hiltrup. Trotz seiner Spezialkenntnisse scheiterte Trillich aber in der Praxis an seiner Politik der harten Hand gegenüber Protestierern.59 Zu Beginn des bayernweiten Metallarbeiterstreiks im August 1954 wurde er wegen seiner Intoleranz von aufgebrachten Augsburger Streikenden niedergeschlagen und in den Stadtbach geworfen. Erst der in der Fol-gezeit hinzugezogenen Landpolizei gelang die Deeskalation.60 Von den Folgen

59 Ähnliches läßt sich zur selben Zeit in München beobachten; vgl. GERHARD FÜRMETZ,Polizei, Massenprotest und öffentliche Ordnung: Großeinsätze der Münchner Polizei in den frühen fünfziger Jahren, in: CHRISTIAN GROH (HG.), Öffentliche Ordnung in der Nachkriegszeit (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte 2), Ubstadt-Weiher 2002, S. 79–106. 60 Zum Metallarbeiterstreik in Augsburg vgl. die Quellensammlung: Und über sich keinen Herrn: Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Augsburg 1848–1954, Bd. 3: Die alten und die neuen Herren 1933–1954, hg. von der Verwaltungsstelle Augsburg der Industriegewerkschaft Metall, Augsburg 1988, S. 346–378. Vgl. auch RUDI SCHMIDT, Der Streik in der bayerischen Metallindustrie von 1954. Lehrstück eines sozialen Konflikts (Schriftenreihe der Otto-Brenner-Stiftung 58), Frankfurt/Main 1995; EVA MOSER, Bayerns Arbeitgeberverbände im Wiederaufbau. Der Verein der Bayerischen Metallindustrie 1947–1962 (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Beiheft 59), Stuttgart 1990, S. 184–211; Das

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seines ›Dienstunfalles‹ erholte sich der gesundheitlich nach wie vor labile Trillich nicht mehr richtig, so daß er zum 1. Mai 1955 auf eigenen Antrag vorzeitig pensioniert wurde. Nur eineinhalb Jahre später starb er infolge eines Magenleidens. Auf Trillich folgte erneut ein bereits vor 1945 als Polizeioffizier hervorgetrete-ner Kollege im Amt des Leiters der Schutzpolizei. Herbert Scholz (geb. 1906) hatte es bis Kriegsende zum Major der Gendarmerie mit SS-Rang gebracht. In der Nachkriegszeit war es ihm gelungen, trotz seiner politischen Belastung in der klei-nen Stadtpolizei von Neuötting Fuß zu fassen. Als diese 1953 verstaatlicht wurde, fand sich Scholz in der bayerischen Landpolizei wieder, wo er zuletzt die Inspek-tion im Landkreis Altötting führte. Vor dem Wechsel nach Augsburg trat er noch kurzzeitig zur Stadtpolizei Neu-Ulm über.61 Nachfolger Drzimalas wurde Ende 1953 der Jurist und frühere Stadtsyndikus Dr. Maximilian Utz (geb. 1902), der nach seiner Entnazifizierung zunächst als Leiter des städtischen Ausgleichsamtes verwendet worden war. Wie alle seine Mitkonkurrenten war er ›131er‹, setzte sich aber – trotz fehlender Polizeierfahrung und ohne eine offizielle Bewerbung einge-reicht zu haben – aufgrund seiner Verwurzelung in der Augsburger Stadtverwal-tung und durch seine Nähe zur örtlichen CSU durch,62 für die er 1964 sogar vergeblich das Amt des Oberbürgermeisters anstrebte. Insofern korrespondiert die Neubesetzung der Stelle des Polizeichefs mit dem seit Beginn der 50er Jahre vor-herrschenden, pragmatischen Bestreben der Augsburger Stadtregierung, altgediente ›Amtsverdrängte‹ mit adäquaten Positionen zu versorgen.

4. Augsburg im Vergleich: Personalpolitische Alternativen?

Blickt man vergleichend auf den Fall Nürnberg, so wird deutlich, daß die in Augsburg praktizierte Personalpolitik im Bereich der Stadtpolizei nicht zwangs-läufig einem einheitlichen, für alle bayerischen Großstädte gültigen Muster folgte. Vielmehr lassen sich – trotz weitgehend identischer Ausgangslage im Frühsommer 1945 – in den beiden Kommunen merkliche Unterschiede in der Neu- und Wiedereinstellungspraxis feststellen. Wie in Augsburg kam es auch in der fränkischen Metropole auf Druck der Be-satzungsmacht zunächst zu einer rigiden Säuberung des Polizeipersonals entlang formaler Belastungskriterien. In den Rängen der uniformierten Polizisten wurden 83%, bei der Kriminalpolizei sogar 95% aller ehemaligen NSDAP-Mitglieder

mißhandelte Recht im bayerischen Metallarbeiter-Streik 9. bis 31. August 1954. Weißbuch des Vereins der Bayerischen Metallindustrie, München 1955. 61 Biographische Angaben nach StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/516. 62 Biographische Angaben nach Aktenvermerk des Personalreferats der Stadt Augsburg vom 20.11.1953, StadtAAugsburg, Stadtverwaltung 49/515.

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entlassen. Bis 1948 konnten allerdings nur 2,7% von ihnen eine Rückkehr in den städtischen Polizeidienst erwirken.63 Währenddessen hatte unter der Leitung des 1946 neueingesetzten Polizeichefs, des SPD-Mitglieds Leo Stahl (1895–1955), ein von der Militärregierung wohlwollend begleiteter, konsequenter personeller Neu-aufbau begonnen, der die Wiedereinstellung entlassener Beamter erheblich er-schweren sollte.64 Stahl, der der gleichen Generation wie seine Augsburger Kolle-gen Drzimala und Trillich angehörte, hatte bereits von 1919 bis 1923 in Nürnberg Polizeidienst geleistet und anschließend weitere städtische Verwaltungsaufgaben erfüllt, bis er 1936 wegen ›politischer Unzuverlässigkeit‹ in den Ruhestand versetzt worden war. 1945 wurde er zunächst als Leiter der Nürnberger Kriminalpolizei re-aktiviert; die Wahl zum Polizeipräsidenten und berufsmäßigen Stadtrat erfolgte im August 1946.65

Stahls Versuch, junge Nachwuchskräfte aus dem SPD-Milieu für die Stadtpoli-zei zu gewinnen, gelang zwar nur ansatzweise. Dennoch bevorzugte man in Nürn-berg – anders als in Augsburg – auch nach 1947/48 in erster Linie Polizei-angehörige ohne NS-Belastung. Daran konnte selbst eine spektakuläre Interessen-versammlung von 400 bis 500 Expolizisten im März 1948 nichts ändern, auf der der CSU-Landtagsabgeordnete Josef Donsberger zusammen mit dem früheren Polizeichef scharf gegen die restriktive Wiedereinstellungspolitik in der Nürnberger Stadtpolizei protestierte.66 Gewerkschaftlich organisierte Beamte widersprachen öffentlichkeitswirksam den Forderungen ihrer auf Wiedereinstellung drängenden Exkollegen, und auch die SPD-geführte Stadtratsmehrheit blockierte eine großangelegte Rückkehr entnazifizierter Polizisten.67 So blieb letztlich das eher sozialdemokratisch geprägte Profil der Nürnberger Polizeibelegschaft, der sogar einige wenige KPD-Mitglieder angehörten, erhalten, was der Stadtpolizei ab 1949 wiederholt den Vorwurf eintrug, kommunistisch orientiert zu sein.68

63 WOLFGANG ECKART, Amerikanische Reformpolitik und deutsche Tradition Nürnberg 1945–1949. Nachkriegspolitik im Spannungsfeld zwischen Neuordnungsvorstellungen, Notlage und pragmatischer Krisenbewältigung (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 42), Neustadt/Aisch 1988, S. 273. 64 Vgl. W. ECKART, Amerikanische Reformpolitik (Anm. 63), S. 243–245 und 273. 65 Biographische Angaben nach freundlicher Mitteilung von Karl-Ulrich Gelberg. 66 Die Parteinahme Donsbergers für politisch belastete Expolizisten in Nürnberg wurde am 15.3.1948 sogar im Bayerischen Landtag kritisiert; Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 1. Legislaturperiode, Bd. 2, S. 1078–1081. 67 Vgl. W. ECKART, Amerikanische Reformpolitik (Anm. 63), S. 274–276. 68 So z.B. 1949 durch Konrad Adenauer; W. ECKART, Amerikanische Reformpolitik (Anm. 63), S. 276. – Für den Wandel des Säuberungsgedankens, der sich ab 1948 zunehmend gegen angebliche oder tatsächliche Kommunisten innerhalb von Polizei und Verwaltung richtete, waren die Amerikaner mitverantwortlich; vgl. WALTER IMLE, Zwischen Vorbehalt und Erfordernis. Eine historische Studie zur Entstehung des nachrichtendienstlichen Ver-

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Der Personalwechsel in der Nürnberger Polizei erwies sich damit als wesentlich einschneidender und vor allem dauerhafter als in den meisten anderen größeren Kommunen Bayerns wie beispielsweise Augsburg. Dieser Befund ist umso bemer-kenswerter, wenn man weiß, daß in anderen Zweigen der Nürnberger Stadtver-waltung weitaus mehr personelle Kontinuität herrschte.69 Daraus läßt sich schlie-ßen, daß die an der Spitze der städtischen Polizeiorgane stehenden Personen – neben den kommunalen Personalämtern und -ausschüssen – beträchtlichen Ein-fluß auf die Personalpolitik in ihrem jeweiligen Amtsbereich ausübten. Gab wie in Nürnberg ein reformorientierter Polizeichef den Ton an, waren die Wiederein-stellungschancen geringer als in Städten mit einer auf die Polizeitradition der Vor-kriegszeit fixierten Führung wie Augsburg.

5. Gesäubert, renazifiziert oder transformiert? Eine Schlußbetrachtung

Nachdem die amerikanische Militärregierung anfänglich entscheidend interveniert hatte, überließ sie die Personalpolitik im staatlichen wie im kommunalen Poli-zeibereich ab 1946 weitgehend den Deutschen.70 Auf diese Weise war auch in den bayerischen Städten und Gemeinden mit eigener Polizei die Rückkehr von ord-nungsgemäß entnazifizierten Polizeibeamten in den Dienst und ihr Wiedereinzug in Leitungsfunktionen prinzipiell möglich. Die Grenzen setzten nun die für die lokale Personalpolitik verantwortlichen Verwaltungsorgane, Kommunalparlamente und Polizeiführungen. Dennoch verlief der Reintegrationsprozeß von Ort zu Ort anders. Während beispielsweise in Nürnberg grundsätzliches Interesse an einem zu-mindest partiellen, aber nachhaltigen Personalaustausch innerhalb der Stadtpolizei bestand, vertrat die Augsburger Stadtregierung und mit ihr die städtische Perso-nalverwaltung einen stärker rückwärtsgewandten Ansatz. Bei der Besetzung der Führungspositionen in der dortigen Stadtpolizei favorisierte man ›bewährte‹, orts-bekannte Kräfte, die aufgrund ihrer Erfahrungen aus der Zeit vor und nach 1933 die Garantie für eine effiziente, auf traditionellen Ordnungsvorstellungen beru-hende Ausübung der lokalen Polizeigewalt zu bieten schienen. In bezug auf das übrige Polizeipersonal rangierte der Säuberungsgedanke weit hinter der Absicht, die Rechtsansprüche der Entlassenen auf Wiederverwendung zu erfüllen. Dahinter

fassungsschutzes nach 1945 (tuduv-Studien, Reihe Sozialwissenschaften 35), München 1984, S. 89–109. 69 Vgl. W. ECKART, Amerikanische Reformpolitik (Anm. 63), S. 277. 70 Vgl. FALCO WERKENTIN, Die Restauration der deutschen Polizei. Innere Rüstung von 1945 bis zur Notstandsgesetzgebung, Frankfurt/Main-New York 1984, S. 34–36.

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stand freilich nicht das Ziel einer bewußten ›Renazifizierung‹, sondern ein doppelt wirkender Pragmatismus. Aus Sicht der Personalverantwortlichen in der Stadtverwaltung ging es primär darum, kostspielige Versorgungsleistungen für Anspruchsberechtigte bzw. deren vorzeitige Versetzung in den Ruhestand zu vermeiden. Fragen der politischen Belastung oder der dienstlichen Eignung traten demgegenüber ebenso in den Hin-tergrund wie die Verschlechterung der beruflichen Situation der nach 1945 Neu-eingestellten. Die daraus resultierenden belegschaftsinternen Grabenkämpfe wur-den in Kauf genommen. Für die Augsburger Polizeispitze um Drzimala und Tril-lich zählte vor allem die Rekrutierung bzw. der Aufstieg polizeierfahrener Beamter, mit denen die unteren und mittleren Führungsfunktionen im Sinne einer an Vor-kriegstraditionen orientierten Dienstausübung besetzt werden konnten. Insofern läßt sich der personelle Konsolidierungsprozeß in der Augsburger Stadtpolizei bis Mitte der 50er Jahre als pragmatischer Transformierungsvorgang unter vergangenheitspolitischen Vorzeichen beschreiben, dessen Ergebnis keines-wegs restaurativ im Sinne einer Wiederherstellung der Personalsituation von vor 1945 war. Vielmehr bildete sich in Augsburg wie auch in den meisten übrigen Stadt- und Gemeindepolizeien Bayerns eine heterogene Polizeibelegschaft mit unterschiedlichen Rekrutierungsmustern heraus, deren Folgen wie Überalterung und ein ungünstiger Stellenkegel noch über Jahre hinaus spürbar blieben. Damit ist freilich noch nicht die Frage beantwortet, ob mit der personellen Transformierung ein Einstellungswandel und mit diesem veränderte polizeiliche Handlungsweisen und Problemlösungsstrategien einhergingen. Am Beispiel Tril-lichs ist deutlich geworden, wie stark traditionelles, unflexibles Einsatzdenken fort-zudauern vermochte. Konnte sich aber beispielsweise der mit der Dienstent-hebung verbundene, oft mehrjährige Ausschluß von der gewohnten Erwerbsquelle – mit allenfalls vagen Aussichten auf eine berufliche Rehabilitierung – auf die schließlich wieder Aufgenommenen nicht auch in Form einer erhöhten Bereit-schaft zur Einordnung in die neuen politischen Verhältnisse auswirken? Inwieweit und mit welchen Konsequenzen ist es also gelungen, die wiedereingestellten Poli-zisten der NS-Zeit in Polizeibeamte des demokratischen Nachkriegsstaates zu verwandeln? Will man über die hier am Beispiel Augsburgs gewonnenen Erkennt-nisse zu den Kontinuitäten und Brüchen im Polizeipersonal nach 1945 und zur dahinter steckenden kommunalen Personalpolitik hinausgelangen, so ist es not-wendig, verstärkt die polizeiliche Alltagspraxis zu untersuchen.71

71 Vgl. dazu für Bayern erste Studien des Verfassers zur Polizeipraxis im Straßenverkehr und gegenüber Massenprotesten; GERHARD FÜRMETZ, »Kampf um den Straßenfrieden«. Polizei und Verkehrsdisziplin in Bayern zwischen Kriegsende und beginnender Massenmo-torisierung, in: G. FÜRMETZ/H. REINKE/K. WEINHAUER, Nachkriegspolizei (Anm. 7), S. 199–228; G. FÜRMETZ, Polizei (Anm. 59); vgl. künftig auch die Dissertation des Ver-

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In einer Hinsicht jedenfalls – soviel sei vorweggenommen – ist einem verbrei-teten Rechtfertigungsargument politisch belasteter Polizisten nachträglich Plausibi-lität zu bescheinigen: Die bloße NSDAP-Mitgliedschaft ist noch kein hinreichen-des Indiz dafür, daß ein Polizeibeamter nach seiner Rückkehr ins Amt im Sinne der NS-Ideologie oder gar mit im NS-Staat praktizierten Repressionsmethoden agierte; sie besagt noch nicht einmal, ob der betreffende Beamte überhaupt als durch sein dienstliches Verhalten ›belastet‹ anzusehen ist. Nürnbergs Polizeipräsi-dent Leo Stahl, ein gewiß unverdächtiger Experte, brachte dies im Mai 1950 auf den Punkt, als er gegenüber dem sichtlich beunruhigten bayerischen Innenministe-rium begründete, warum die Wahl eines der KPD nahestehenden Kriminalbeam-ten in den Betriebsrat seines Polizeipräsidiums nicht zwangsläufig eine kommuni-stische Unterwanderung bedeute: Die Wahl des Beyer mit 94 Stimmen gibt zu Besorg-nissen in keiner Weise Veranlassung. Als Gegenstück darf ich kurz den Ausgang der Betriebs-ratswahlen bei der Schutzpolizei anführen. Dort erhielt mit 449 Stimmen ein Schutz-polizeibeamter die meisten Stimmmen, obwohl dieser wegen seiner früheren Zugehörigkeit zur NSDAP ab 1945 längere Zeit vom Dienst suspendiert war. Es wäre jedoch durchaus fehl am Platze, hier in umgekehrtem Sinne behaupten zu wollen, daß nun bei der Schutzpolizei der Neofaschismus beginne Einzug zu halten.72 Von größerer Bedeutung erscheint vielmehr die Anpassungsleistung, die der einzelne Polizist während seines Verwandlungs-prozesses nach 1945 zu vollbringen hatte. Abgefedert wurde sie von tiefsitzenden, professionellen Ressourcen und Dienstmentalitäten, aber auch von kollektiven Erfahrungen von Krieg und Kameradschaft. Letztere teilten nahezu alle Augsbur-ger Nachkriegspolizisten, unabhängig davon, ob sie sich im NS-Staat engagiert hat-ten oder nicht.

fassers zum Thema ›Ordnungsmacht und Unsicherheitsfaktor: Bayerns Polizei im städti-schen und ländlichen Nachkriegsalltag 1945–1955‹. Für die Kriminalpolizei vgl. jetzt PAT-RICK WAGNER, Hitlers Kriminalisten: Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozia-lismus zwischen 1920 und 1960, München 2002. 72 Polizeipräsident Leo Stahl an BayStMI vom 23.5.1950, BayHStA, MInn 86848.

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