Foto: Michel Linssen · 2018. 6. 4. · schwarzen Musikern (Steve Cropper galt manchem als bester...

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SEELE des Südens Er kam aus dem Bauch, und er kam aus dem Süden. Mal warm und weich, mal schmutzig und roh. Er kam aus Memphis und aus Jackson. Er prägte eine Ära. Und er lebt immer noch: der Southern Soul. John Gary Williams von den Mad Lads (links) und Larry Dodson, Sänger der Bar-Kays („Son of Shaft“) an der East McLemore Avenue in Memphis. Foto: Michel Linssen

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SEELE des SüdensEr kam aus dem Bauch, und er kam aus dem Süden. Mal warm und weich, mal schmutzig und roh.

Er kam aus Memphis und aus Jackson. Er prägte eine Ära. Und er lebt immer noch: der Southern Soul.

John Gary Williams von den Mad Lads (links) und Larry Dodson, Sänger derBar-Kays („Son of Shaft“) an der East McLemore Avenue in Memphis.

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Das ist sie also, die berühmteKreuzung. Die Kreuzungvon Gospel und Blues, vonschwarz und weiß, von Col-lege Street und McLemore

Avenue in Downtown Memphis. Andieser Ecke entstanden Soul-Hits wie„Knock on Wood“, „The Dock of theBay“ oder „Respect“. Hier war dieHeimat von Stax. Von wem?

Das bekannteste aller Soul-Labelwar die Motown Record Company, diegrößte Hitfabrik schwarzer Musik ausDetroit, Michigan. Diana Ross und die Supremes, die Tempations oder der junge Stevie Wonder – seit derGründung 1959 visierte Motown mitgeschliffenem Soul-Sound zielgenaudie weiße Mittelschicht an und produ-zierte so wie am Fließband Hit auf Hitfür den Pop-Mainstream.

Schon 1957, zwei Jahre früher, hattedas Plattenlabel Satellite Records, später Stax das Licht der Welt erblickt.Im Süden ging es rauer zu als im küh-len Norden der USA: „Hier unten imSüden musste der Soul anders klin-gen“, sagt heute der Sänger Sir MackRice, der einst Southern-Soul-Klassi-ker wie „Mustang Sally“ und „RespectYourself“ schrieb. Wenn Rice auf derBühne steht, lüstern „Ride, Sally,

Ride“ ins Mikrofon ächzt und dabeiunverhohlen öbszön den bulligen Körper vor- und zurückschiebt, scheinter auch im Alter von 73 Jahren nochvor Energie zu bersten. „Der SouthernSoul kommt direkt aus dem Bauch.Roh und ungeschliffen. Für uns imSüden galt: Sag es so, wie es ist.“

Die alten Stars der Stax-Communitysind auch heute noch – oder wieder –Teil der Show. Und alle sind gekom-men: Von Superstar Isaac Hayes überSoul-Ikonen wie Eddie Floyd, LarryDodson oder William Bell. „50 JahreSoul“ – mag das 2007 ausgerufeneJubiläum auch ein geschickter PR-Schachzug der Stadt Memphis sein, soschlägt die Faszination, die mit einemsolchen Treffen alter Soul-Legendeneinhergeht, an diesem Nachmittagdoch voll durch. Auf dem Podium des Stax-Museums ist heute mehrMusikgeschichte versammelt, als dortPlatz findet. 50 Jahre Soul? Nein –500, mindestens.

Das Stax-Museum präsentiert Be suchern den schmutzigen Sound des Southern Soul als multimedialenErlebnispark. Man kann die Galerieder Plattencover abgehen und perMP3-Player die Musik dazu hören. DieInstrumente von Booker T. und seinen

SCHMUTZIGES LeuchtenIn Memphis wurde der erste Blues-Song veröffentlicht und der Rock ’n’ Roll geboren. Jetzt erinnert sich die

Musikstadt am Mississippi ihrer schwarzen Seele und feiert „50 Years of Soul“. Ein Hausbesuch von Hannes Klug

Das Logo strahlt wieder an alter Stelle: Werbung für einen Fundraiser für die Stax Music Academy (oben). Auftritt der alten Soul-Helden: Sir Mack Rice („Mustang Sally“) mit Eddie Floyd („Knock on Wood“), John Colbert aka J. Blackfoot von den Soul Children und Stax-Legende William Bell (unten von links nach rechts).

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wird augenfällig, wie in Memphis im20. Jahrhundert viele Fäden amerikani-scher Geschichte zusammenliefen.Und dass diese sich auch alsGeschichte der schwarzen Musikerzählen lässt.

Nicht zufällig ist gerade Memphisin der südwestlichen Ecke Tennesseesdas wohl wichtigste Zentrum schwar-zer Musik in Amerika. GeographischTeil der Südstaaten und wirtschaftlichseit jeher angebunden an den Baum-wollhandel im Mississippi Delta, warMemphis immer schon ein wichtigerZufluchtsort für Afroamerikaner.Bereits im Bürgerkrieg, nachdem Tennessee sich den Nordstaaten an -geschlossen hatte, war Memphis fürehemalige Sklaven erster Anlaufpunktauf dem Weg in die Freiheit.

Später reichte für viele schwarzeFarmer, die das Land weißer Grundbe-sitzer gegen Abgabe eines Ernteanteils

nutzten, die Baumwollernte nicht mehrzum Überleben. Von 1935 bis 1960verließen rund sieben MillionenSchwarze ihre ländliche Heimat in denSüdstaaten und zogen in die Städte –allen voran nach Memphis. Was siemitbrachten, waren Gospel, Work-songs und die Wunden ihrer Jahrhun-derte langen Entrechtung.

Doch ausgerechnet ein weißesGeschwisterpaar, der Bankier undCountry-Geiger Jim Stewart und seineSchwester Estelle Axton, gründeten1957 Satellite Records und zogen 1960aus Brunswick, Tennessee in das leerstehende Capitol Theater nach Down-town Memphis, ein altes Kino mittenin einem schwarzen Ghetto. Der NameStax entstand aus den zusammen ge -zogenen Anfangsbuchstaben ihrer bei-der Nachnamen. Schon bald stolpertenKids aus der schwarzen Nachbarschaftin den von Estelle Axton betriebenen

„Satellite Record Shop“ im einstigenKinofoyer und damit auch ins musika-lische Experimentierfeld der allmäh-lich heranwachsenden Stax-Commu-nity. Booker T. Jones wohnte in der666 Edith Street, Aretha Franklin inder 406 Lucas Avenue, Memphis Slimin der 113 College Street. Die Blocksringsum brachten in den nächsten Jahren eine einmalige Anhäufung vonTalenten hervor.

„Ich glaube nicht, dass Memphis für Stax schon bereit war“, erinnertsich Bettye Crutcher heute. „Stax wareine einzige große Familie, in der allejede Menge Spaß hatten“, sagt IsaacHayes. Zusammen mit seinem kon -genialen Songwriting-Partner David Porter schrieb er in den frühen Stax-Jahren Hit auf Hit für das Duo Sam &Dave: „Hold On! Im Coming“, „SoulMan“, „When Something is Wrongwith my Baby“.

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MGs sind zu sehen oder die erstenVideos von Otis Redding. Den mitGold verzierten Cadillac schenkte Stax1972 Isaac Hayes für dessen sensatio-nelle Erfolge: Hayes hatte mit demTitelsong zu dem Film „Shaft“ denOscar, den Golden Globe und zweiGrammys gewonnen. Das Soundtrack -

album erreichte Platin-Status – einNovum für einen afroamerikanischenKünstler.

Das Firmenzeichen von Stax leuch-tete einst wie ein Versprechen in denHimmel über Memphis: „Wer bist du?Was bist du? Wo kommst du her? Wogehst du hin? Leg alles auf den Tisch.Blicke in die Seele eines Menschen.Darum ging es bei Stax“, sagt die Sän-gerin Mable John.

Als in Memphis der Soul entstand,tranken Schwarze und Weiße nicht amselben Tresen, gingen an verschiede-nen Tagen in den Zoo, saßen Weißevorn und Schwarze hinten im Bus.Doch den Stax-Sound prägte eine Studioband aus zwei weißen und zweischwarzen Musikern (Steve Cropper

galt manchem als bester Gitarrist nachJimi Hendrix), die Mar-Keys wareneine durchgängig weiße Band, Grup-pen wie Sam & Dave oder Sänger wieEddie Floyd oder Rufus und CarlaThomas wurden zu Ikonen des schwar-zen Soul. Hautfarbe spielte innerhalbdes Stax-Clans ganz einfach keineRolle. Nicht zuletzt diese völligunwahrscheinliche Mischung hob denMemphis-Soul aus der Taufe.

Dann kam der 4. April 1968. MartinLuther King wurde in Memphiserschossen, während er eine Redehielt, mit der er die aufgeladene Stim-mung in der Stadt beruhigen wollte.Bettye Crutcher, die für zahllose Stax-Hits die Texte geschrieben hat, erinnertsich heute an die gespenstische Atmos -phäre nach den tödlichen Schüssen:„Mable John und ich waren in dieser Nacht allein im Studio. Draußenwar überall Militär, Panzer fuhrenherum, und auf den Dächern warenSchritte zu hören. Es war zum Fürchten.“

Das Lorraine Motel, auf dessen Balkon King getroffen zusammensank,ist inzwischen zum National CivilRights Museum umgebaut. Das Hotel-zimmer, in dem King seine letzteNacht verbracht hat, wurde unverän-dert konserviert. In Verbindung mitdem Stax-Museum und dem ebenfallssehenswerten RockNSoul-Museum

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Das National Civil Rights Museum (oben). Der Kranz erinnert an die Stelle, an der Martin Luther King erschossen wurde.1968 war das damalige Lorraine Motel das einzige Motel in Memphis, in dem Schwarze übernachten durften.

Leuchtkästen imCivil RightsMuseum zeigen die Beerdigungvon Martin LutherKing in Atlanta(links). Schüler derSoulsville CharterSchool beimMusikunterricht(rechts) und in erMittagspause(unten).

„Auf den Straßen fuhren Panzer herum, überall war Militär, und aufden Dächern waren Schritte zu hören. Es war zum Fürchten.“

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In den 70er Jahren war Stax einMulti-Millionen-Dollar-Unternehmen.Doch plötzlich taten sich Gräben auf,wo vorher Harmonie herrschte: NachMartin Luther Kings Ermordungkonnte niemand mehr so tun, alsspielte Hautfarbe keine Rolle. Es war,als ob der böse Geist, vor dem diebunte Soul-Familie bisher auf eigen-tümliche Weise verschont gebliebenwar, nun auch das Stax-Label befiel.Raymond Jackson, Homer Banks und

Bettye Crutcher (die als Team unter„We Three“ firmierten) erzählten nichtmehr nur von Alltagsproblemen undLiebesdramen, sondern schriebensozial engagierte Songs wie „TheGhetto“, „Long March to DC“ oder„When will we be paid“. GitarristSteve Cropper soll mit vorgehaltenerWaffe zu einer Session gezwungenworden sein. Die heile Soul-Idyllehatte ihre Unschuld verloren.

1975 zogen Banken ihre Kreditezurück, Knebelverträge und Missma-nagement trieben das Unternehmentrotz seiner Erfolge in die roten Zahlen.Nach 800 Singles und 300 LPs warStax bankrott. Über die genauen

Gründe schweigen sich die Verant-wortlichen auch heute noch aus. Fra-gen zum Thema beantwortet Al Bell,bis zuletzt das strategische Mastermindan der Spitze von Stax Records, durchein Lächeln und sanftes Schweigen.

1981 erstand die Southside Churchof God das nutzlos gewordene Stax-Gebäude für zehn Dollar und riss es1989 ab. Vom Ruhm war nichts als einFlecken Brachland geblieben, gelegenim Niemandsland zwischen Barber

Shops, Schönheits salons mit handge-malten Logos und Scherben übersätenParkplätzen. Stax zog es mit hinab inden Strudel aus Trostlosigkeit und Ver-fall, der die Innenstadt von Memphis inden 1970er und 80er Jahren heim-suchte. Einer der wichtigsten Orte derPopgeschichte war fast schon wiedervergessen.

Einer Non-Profit-Initiative namens„Soulsville“ ist es zu verdanken, dassdas Stax-Museum 2003 an derselbenStelle eröffnen konnte, an der einst dasStudio stand. „Soulsville“ sammelteGeld, kaufte das Grundstück und bautedas alte Capitol Theater eins zu einswieder auf. Es ist dem originalen

Gebäude so exakt nachempfunden,dass manche der alten Stars sich heutedarin vorkommen müssen wie Wieder-gänger: „Ich kriege Gänsehaut, wennich durch diese Gänge gehe und michdaran erinnere, wie ich mich genauhier zum ersten mal bei Stax vorge-stellt habe“, erzählt Bettye Crutcher.

Das Stax-Museum steht, aber es sollnicht nur als Schrein an vergangeneZeiten erinnern. Das ist die vielleichtgrößte Überraschung: Es atmet undlebt. Ihm angeschlossen ist seit 2006die „Stax Music Academy“, in derNachwuchstalente ausgebildet werdenund in der die Soul-Veteranen ab undzu unterrichten. Ebenfalls zum Kom-plex gehört die Soulsville CharterSchool, eine privat betriebene, aberöffentlich finanzierte Schule, dieJugendliche aus dem armen Stadt -zentrum von Memphis gezielt aufsCollege vorbereitet. Ausnahmslos alleSchüler hier sind schwarzer Hautfarbe.Wer arm und schwarz ist in Memphishat auch heute noch wenig Chancen.

Den Geist von Stax weiterzureichenan kommende Generationen, das sehendie Musiker heute als ihren Auftrag.„Stax wohnt in den Herzen und in denKöpfen der Menschen“, sagt Al Bell.„Und deshalb wird Stax für immerweiterleben.“ ★

INFORMATIONENMemphis&Mississippi TourismHorstheider Weg 106a, 33613 Bielefeld,Tel. (0521) 986-0420www.memphis-mississippi.dewww.deep-south-usa.dewww.memphistravel.comAlles zu „50 Years of Soul“ mit Stax-Klassikern zum Hören:www.memphissoul50.com

MEMPHIS

MUSEENStax Museum of American Soul Music, 926 E. McLemore Ave.,www.soulsvilleusa.comMemphis RockNSoul Museum, 191 Beale Street, www.memphisrocknsoul.orgNational Civil Rights Museum, 450 Mulberry Street,www.civilrightsmuseum.org

LIVE-MUSIKVon 4.-6. Mai 2007 findet das FestivalMemphis in May mit über 60 Bands

statt, darunter Bobbie Blue Bland, EddieFloyd, Ann Peebles, Taj Mahal und JerryLee Lewis, www.memphisinmay.orgLive-Musik gibt es sonst in der – aller-dings sehr touristischen – Beale Streetoder im Juke Joint Wild Bill’s, 1580Vollintine Ave., Tel. +1 (901) 726-5473

TOURENwww.heritagetoursmemphis.com.www.americandreamsafari.com

ESSEN UND UNTERKUNFTSoul Food gibt es im Four Way, 998Mississippi Blvd., Tel. +1 (901) 507-1519Das Peabody Hotel (vgl. S.17) bietetein Special zu „50 Years of Soul“ an.

SOUTHERN SOUL

Da die Southern-Soul-Szene sichständig wandelt, empfehlen sich Informationen aus dem Internet:Liebhaberseite mit Hörproben:www.southernsoulrnb.com;Livestream eines der beliebtesten Bluessender aus Jackson:

www.WMPR901.com;Internetradio mit aktuellem Service zurSouthern-Soul-Szene:www.chittlincircuit.com;Webseite des bedeutendsten SouthernSoul Labels: www.malaco.com;Webseite und Hörproben vieler bekannter Chitlin’ Circuit Stars:www.eckorecords.com.

Für aktuelle Informationen

des jetzigen New Orleans

können Sie uns unter der

Nummer 069/255 38-270

erreichen oder besuchen

Sie unsere Website

www.neworleans.de

Info-Karte 26 ankreuzen

Es war, als ob der böse Geist, von dem die bunte Soul-Familie bisherverschont geblieben war, nun auch das Stax-Label befiel.

AMERICA GUIDE Memphis und Southern Soul„Black Moses“ heute: Isaac Hayes war in den 70er Jahren einIdol des Black Pride und der Superstar des Memphis Soul(links). Das „Wild Bill’s“ ist ein legendärer Club in Memphis(unten).

Soul Food at its best: das Four Way in Memphis.