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Thienemann Aus dem Englischen von Elisabeth Spang tatanka Virgil W. Foutz Die Rückkehr der Pferde Foutz_Tatanka Rückkehr d Pferde 29.06.2009 10:28 Uhr Seite 3

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Thienemann

Aus dem Englischen

von Elisabeth Spang

tatankaVirgil W. Foutz

Die Rückkehr der Pferde

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Für Barbara,wie immer,

meine Frau und beste Freundin

Im Gedenken an meinen Großvater Jesse Jerome Foutz(1887–1943)

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1Es war nun beinahe ein Jahr her, dass sie sein Dorf be-sucht hatte. Jeden Tag während des vergangenen Mondeshatte er auf sie gewartet – auf einer Felsnase aus Basalt, einÜberbleibsel einer thermischen Hebung, die knapp tausendJahre zuvor durch einen Vulkanausbruch entstanden war.Der Vulkan hatte einen flüssigen Lavastrom ausgespien,der am Rand des tiefen Tales hinabgeflossen war, um dannunvermittelt innezuhalten und sich in die Erdoberfläche zu-rückzuziehen. Was nach dem Abkühlen davon übrig geblie-ben war, war eben diese Felserhebung, auf der er nun stand.Von hier aus hatte er ungehinderten Ausblick über dasweite, nahezu baumlose Tal. Little Raven musste sich mitaller Kraft gegen den Wind stemmen, damit seine schmalekleine Gestalt nicht von dem Felsen geweht wurde, der seinDorf vor den scharfen Böen aus dem Nordwesten schützte.Nach unten hin hatte er gute Sicht auf die Tipis, die zwi-schen dem mitten durch das Tal fließenden klaren Bach undseinem Felsen standen.

Er zählte sechs große Tipis, etwa dreimal so hoch wiesein Vater, und sieben kleinere, die etwa halb so groß wa-ren. Die größeren Tipis waren in lockerer Form eines Halb-kreises angeordnet, der an die gebogenen Hörner eines Bi-sons erinnerte. Die offene Seite zeigte nach Osten inRichtung des Baches, wobei die beiden größten Tipis die

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Spitzen der Hörner bildeten. Die kleineren Tipis standen inbeliebiger Anordnung innerhalb und außerhalb des Halb-kreises verstreut. In der Mitte lag die Grand Lodge, diegroße Hütte. Alle Eingänge wiesen nach wiyohiyanpa ta-kiya, nach Osten, wo sich Großvater Sonne erhebt.

Er erspähte sein eigenes Tipi, es gehörte zu den kleineren,und dachte daran, wie schön es doch wäre, mit einer gro-ßen Familie in einem großen Tipi zu leben, anstatt alleinmit seinen Eltern. Es wäre gut, Brüder zu haben – vielleichtauch ein oder zwei Schwestern. Dann hätte er jemandenzum Spielen. Weil er hinkte und viel kleiner und schmäch-tiger war als die anderen Jungen, musste er abseitsstehen,wenn sie etwas unternahmen, was Körperkraft erfordertewie etwa Bogenschießen oder Laufspiele. Es war nicht so,dass sie vorsätzlich auf ihm herumhackten oder ihn hänsel-ten. Sie lachten ihn auch nicht aus, wenn es ihm schwerfiel,die Bogenschnur zu spannen, aber er sah ja ihre Blicke, be-vor sie die Köpfe abwandten. Und wenn Mannschaftenaufgestellt wurden, wurde er jedes Mal als Letzter gewählt.

Seine Mutter hatte ihm erzählt, als er ein kleines Kind ge-wesen sei, habe die Eule seinen Namen gerufen. Doch seinVater hatte ihn in die Schwitzhütte gebracht und der Scha-mane hatte die heilenden Gesänge angestimmt. Danachwar er lange Zeit krank gewesen, hatte sich aber wieder er-holt. Während er daniederlag, waren die anderen Jungengewachsen.

»Daran liegt es, dass du kleiner bist«, hatte seine Muttergesagt, »aber da du noch lebst, obwohl die Eule deinen Na-men gerufen hat, musst du ein wirklich starkes Herz ha-ben.«

Sein bester Freund Laughing Badger spielte oft mit ihm.Die beiden älteren Brüder von Laughing Badger jedoch

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nahmen Little Raven nicht mit, wenn sie etwas vorhatten.Sie sagten dann: »Das wäre zu schwierig für dich«, oder er-fanden andere Gründe. Manchmal durfte aber sogar Bad-gers kleinerer Bruder mitmachen. Dann ging Little Ravenimmer los und spielte für sich, er sei Tatanka, der SpiritWalker.

Little Raven sah die Pferde zu beiden Seiten des Bachesgrasen. In einer Herde zählte er beinahe fünfzig Tiere. Siewaren mit Laufleinen an Pfosten gebunden, damit sie bei-sammenblieben und sich nicht über das ganze Tal verteil-ten. Ihr Anblick erinnerte ihn an die von Okiyáka Ooyákeerzählte Geschichte, wie Tatanka den Atsinas geholfenhatte, den Sahiyelas auf deren Pferden zu entfliehen.

Jeden Tag kletterte Little Raven auf den Felsen und hieltnach Okiyáka Ooyáke Ausschau. So wie die anderen ihnansahen, dachten sie bestimmt, er sei witkó. Aber er warnicht närrisch. Irgendetwas sagte ihm, dass die Geschich-tenerzählerin bald käme. Obwohl die Kletterei anfangssehr anstrengend für ihn war, freute er sich mittlerweiledarauf. Vielleicht, weil er jedes Mal hoffte, an diesem Tagsähe er sie zurückkehren. Überrascht stellte er nach knappeinem Monat des Felsenkletterns fest, dass seine Arme undBeine allmählich stärker wurden. Dann beschlichen ihnZweifel. Vielleicht war er doch witkó und sie würde garnicht kommen. Vielleicht glaubte er nur, dass sie zurück-kehrte, um ihre Geschichten zu erzählen, weil er sich so da-nach sehnte, ihr zu lauschen.

Als er gerade wieder hinabklettern wollte, zog etwas beiden Pferden seine Aufmerksamkeit auf sich. Irgendetwaswar anders als sonst, nur wusste er nicht genau, was. Erdachte schon, er habe sich geirrt, und war im Begriff, denBlick abzuwenden, als er entdeckte, was ihm aufgefallen

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war: Zwischen den Pferden bewegte sich etwas. Er be-schirmte seine Augen seitlich mit den Händen, um sie vordem Wind zu schützen, da konnte er es erkennen. Jemandmachte sich an einem der Pferde zu schaffen.

Es war ihm ein Rätsel, wo der Eindringling hergekom-men war. Wenige Augenblicke zuvor war er noch überzeugtgewesen, dass sich kein Mensch dort unten befand. Viel-leicht wollte jemand die Pferde stehlen! Er hob die Händeüber den Kopf, um Dorfbewohnern, die ihn vielleicht sehenkönnten, ein Zeichen der Warnung zu geben. Doch nie-mand bemerkte sein Winken. Also hielt er verzweifelt dieHände seitlich an den Mund, damit seine Stimme über grö-ßere Entfernung zu hören war. Aber noch ehe seinem Mundein Ton entwichen war, stutzte er und hielt inne. Hoffent-lich hatte er noch niemanden auf sich aufmerksam ge-macht. Nun wusste er, wer da bei den Pferden war.

Eilig kletterte er den Felsen hinab, in Gedanken bei dem,was er bei den Pferden beobachtet hatte. Auf halbem Wegeerreichte er die schwierigste Stelle des Abstiegs. Das Gesichtzum Felsen gewandt begann er, sich ein kurzes, nahezusenkrechtes Gefälle hinabzuhangeln. Der scharfkantige Ba-salt bot Händen und Füßen guten Halt, doch ein einzigerAusrutscher könnte einen knapp fünfzig Meter tiefen Fallund damit den sicheren Tod bedeuten.

Dieser Abschnitt sah so schwierig aus, dass er beim ers-ten Versuch, den Felsen zu erklimmen, Angst bekommenund beinahe aufgegeben hatte. Nun fürchtete er sich kaumnoch beim Klettern. Ohne dass es ihm aufgefallen wäre,nahm mit jedem Tag, an dem er zu dem Aussichtspunkthinauf- und wieder hinabgeklettert war, seine Geschicklich-keit zu und seine Furcht ab, sodass ihm der Abstieg nunschon fast selbstverständlich geworden war. Er belastete

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die Finger und die Zehen des rechten Fußes und setzte denlinken Fuß nach unten auf einen schmalen, mit Flechten be-wachsenen Sims. Als er dann das Gewicht auf den linkenFuß verlagerte, rutschte er an den Flechten ab, beide Füßelösten sich vom Felsen und er hing nur noch mit der Kraftseiner Finger an der Wand.

Mehr erstaunt über die Stärke seiner Muskeln als bangevor dem Fall zog er sich mit den Armen am Felsen hoch undfand mit den Füßen sicheren Halt, um weiter nach unten zuklettern. Vor Begeisterung über seine neu gewonnene Kraftwäre er noch einmal fast abgestürzt, als er den Fels hinab-kletterte, so schnell es ging. Dann rannte er eilig zu denPferden. Bei der Herde angekommen, keuchte er schwerund war schweißgebadet. Doch obwohl es ihn erschöpfthatte, war es ein gutes Gefühl, dass er es geschafft hatte, dieganze Strecke in einem Stück zu rennen. Ihm fiel auf, dasser zum ersten Mal ohne Unterbrechung so weit hatte ren-nen können. Auf halbem Wege hatte sein schwaches Beinzwar zu schmerzen begonnen, doch er hatte sich gezwun-gen weiterzulaufen und je näher er der Herde gekommenwar, umso weniger hatte es ihm ausgemacht.

Als er zwischen den Pferden hindurchging, fiel ihm auf,dass er nicht mehr so stark hinkte. Einige Tiere hoben inseiner Nähe die Ohren, drehten sie nervös in seine Richtungund blähten die Nüstern. Als sie seinen Geruch witterten,senkten sie ihre Köpfe. Sie erkannten den schmächtigenJungen, der oft seine Zeit bei ihnen verbrachte, und grastenweiter. Der unverwechselbare Geruch der verschiedenenPferde hatte auf Little Raven eine beruhigende Wirkung.Sie waren seine besonderen Freunde; sie akzeptierten ihnso, wie er war, und machten sich nicht über ihn lustig. Erhatte sich ein Spiel ausgedacht, um seinen Geruchssinn auf

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die Probe zu stellen. Auch jetzt schloss er die Augen, wie sooft, wenn er bei den Pferden war. Im Vorbeigehen tätschelteer sie am Hals oder kraulte sie am Kopf und nannte jedesbei seinem Namen. Als ein Graufalber ihn erkannte, blieber stehen, rieb seinen Hals und flüsterte ihm etwas ins Ohr.Kaum aber war er an dem Graufalben vorbeigegangen,blieb er wie angewurzelt stehen. Unmittelbar vor ihm standOkiyáka Ooyáke.

»Heca Cík’ala! Ich habe dich erwartet«, sagte sie zu ihm.»Du bist ja beachtlich schnell gerannt!«

Little Raven, der nicht recht wusste, ob er nun vom Ren-nen so außer Atem war oder infolge der unerwarteten Be-gegnung mit der Geschichtenerzählerin, antwortete:»Uncí!«, denn viele nannten sie Großmutter. »Ich wusste,dass du kommen würdest!«

Noch immer keuchend und ohne sich zu wundern, wo-her die blinde, einhundertundein Jahr alte Geschichtener-zählerin wissen konnte, dass er es war, fragte er mit müh-sam bezähmter Vorfreude: »Wirst du uns eine Geschichteerzählen?«

»Tákoja, mein Enkel, das ist einer der Gründe, aus de-nen ich gekommen bin«, antwortete sie. »Aber erst einmalkönntest du mir helfen, súnkawakán den Schweiß abzuwi-schen.«

Sie pflückte eine Handvoll langes, trockenes Gras, faltetedas Büschel und rieb ihr Pferd damit ab. »Hier, nimm esdoppelt, so wie dies hier, und reib sie damit ab, angefangenbeim Kopf, dann den Leib entlang und zuletzt die Beinehinunter.«

Als Little Raven begann, gemeinsam mit ihr das Pferd zustriegeln, fuhr sie fort:

»Wenn wir von súnkawakáns Kopf ausgehend in diese

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Richtung streichen, fördert das die Durchblutung ihrerBeine und belebt die Muskeln. Nachdem sie mich auf einemlangen Ritt getragen hat, sollte ich mich erkenntlich zeigen.Ihr den Schweiß abzuwischen, hilft ihr, gesund zu bleiben.«

Aufmerksam lauschte Little Raven ihren Worten undwunderte sich, warum sie für das Tier keinen richtigen Na-men, sondern den Lakota-Ausdruck für Pferd gebrauchte,súnkawakán hieß genau genommen großer Hund. Aber ersagte nichts.

Als sie mit súnkawakán fertig waren, sagte Okiyáka Oo-yáke: »Komm, tákoja, nun wollen wir zu deinem Dorf ge-hen.« Sie erweckte den Anschein, sehen zu können, weil siezu spüren vermochte, was sie umgab.

Als man die uralte Lakota auf die Tipis zukommen sah,hallten Rufe durch die Siedlung: »Okiyáka Ooyáke! Oki-yáka Ooyáke!« Die freudige Begeisterung spiegelte sichauch in Little Ravens Gesicht, als er und die Geschichten-erzählerin Hand in Hand das Dorf betraten, so als sei diealte Frau ganz auf den kleinen, schmächtigen Jungen nebensich angewiesen.

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