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mm 3lciie Jirdjtr peilung AUSLAND Mittwoch. 15. November 1989 Nr. 266 Grosser Empfang für Walesa in Washington Forderungen nach einem Besuch Bushs in Berlin Lech Walesa, der Führer der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarität, hält sich zu seinem ersten Besuch in den Vereinigten Staaten auf und wird hier als Symbolgestalt für die historischen Umwälzungen i n Osteuropa gefeiert. Präsident Bush pries den Gast am Montag bei einem Empfang im Weissen Haus als «geistigen Paten einer neuen Demokratie-Generation» und überreichte ihm die Freiheitsmedaille, den höchsten zivi- len Orden Amerikas. R. M. Washington, 14. November Präsident Bush hat während des Empfangs Walesas auf die Ereignisse in Berlin angespielt und erklärt, die Woche, in der Walesa nach Amerika komme, treffe mit dem Fall der Mauer zusammen. Der historische Kampf, den die «Solidaritäts»-Bewegung in Polen geführt habe, beginne nun auch in der DDR Früchte zu tra- gen. Walesa hält am Mittwoch auf einer ge- meinsamen Sitzung beider Kongresskammern eine Rede. VmcrikuniscliQ V irtschiiftshilfe Kurz vor dem Eintreffen des «Solidaritäts»- Führers hatte sich der Senat endlich auf einen Kompromiss zur Verabschiedung wirtschaft- licher Hilfsmassnahmen an Polen und Ungarn geeinigt. Das nun vom Senat genehmigte Paket beläuft sich auf 73S Millionen Dollar für die nächsten drei Jahre. Der Grossteil dieser Unter- stützung, rund 650 Millionen Dollar, ist für Polen bestimmt: Ungarn soll etwas mehr als 80 Millionen Dollar erhalten. Der Senatsvorschlag muss noch mit dem Standpunkt des Repräsen- tantenhauses, das zuvor 840 Millionen Dollar für die beiden osteuropäischen Reformländer gebilligt hatte, abgestimmt werden. Das defini- tive Paket der Legislative wird aber in jedem Fall wesentlich umfangreicher sein, als Präsident Bush gefordert hatte. Bush hatte nach seinen Besuchen in Polen und Ungarn im vergangenen Sommer dem Kongress die Gewährung von ins- gesamt 455 Millionen Dollar an diese beiden Länder vorgeschlagen, was in der Öffentlichkeit weitherum als allzu knausrig kritisiert worden war. Offizieller Gastgeber Walesas in den USA ist die gewerkschaftliche Dachorganisation AFL- CIO. Der «Solidaritäts»-Führer wird auf seiner ersten Amerika-Tour nach Washington auch New York, Chicago und Philadelphia be- suchen. In Princeton ist er Gast von Barbara Piasecka Johnson, der aus Polen gebürtigen Haupterbin des Kosmetikkonzerns Johnson und Johnson, die ihr millionenschweres Ver- mögen teilweise in die berühmte, aber wirt- schaftlich marode Leninwerft in Danzig - den Ursprung der «Solidaritätsbewegung - in- vestiert hat. Laut Angaben eines «Solidaritüts»- Vertreters haben nicht weniger als 62 amerika- nische Universitäten Walesa für eine Rede auf ihrem Campus den Ehrendoktortitel offeriert. Keines der Angebote ist für die jetzige Tour be- rücksichtigt worden. Stützung (Irr ltHWiu|iolitik? Der demokratische Mehrheitsführer im Se- nat, George Mitchell, hat inzwischen Präsident Bush aufgefordert, mit einem baldigen Besuch in Berlin die historische Bedeutung der Mauer- öffnung zu würdigen und der Begeisterung der Amerikaner über dieses Ereignis Ausdruck zu geben. Bushs Sprecher Fitzwater hat aber die Möglichkeit eines solchen Besuches noch vor dem Treffen mit Gorbatschew im Mittelmeer, das am 2. und 3. Dezember stattfindet, weit- gehend ausgeschlossen. Freilich sind in den letzten Tagen und Wochen auf der weltpoliti- schen Bühne derart viele unvorhergesehene Dinge passiert, dass wohl auch die Planer im Weissen Haus gut daran tun, die Idee einer Blitzvisite des Präsidenten in Berlin nicht defi- nitiv zu begraben. Am Dienstag war in Washington zu hören, Bush erwäge nach seiner Begegnung mit Gorbatschew vor de r maltesi- schen Küste einen Zwischenhalt in Brüssel zur direkten Beratung mit den Alliierten. Senator Mitchell forderte die Administration weiter auf, konkrete Schritte zur Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion zu unternehmen. Er erwähnte in diesem Zu- sammenhang die Gewährung eines Beobachter- status beim Gatt und andern weltwirtschaft- lichen Institutionen. Präsiden t Bush hat in Re- aktion auf die jüngsten dramatischen Vorgänge in Osteuropa ausdrücklich seinen Willen be- kundet, mit Gorbatschew auch über einen Aus- bau der wirtschaftlichen Kooperation zur Stüt- zung der Perestroika-Politik zu diskutieren. Ausserordentlicher SED-Parteitag einberufen Laues Echo in der Bevölkerung auf die Volkskammer-Tagung Das Zentralkomitee der SED hat beschlossen, die für Mitte Dezember vorgesehene Parteikonferenz i n einen ausserordentliche n Parteitag umzuwandeln. Ablauf und Ergeb- nisse der Volkskammer-Tagung vom Montag scheinen in der Bevölkerung nicht auf nen- nenswertes Interesse gestossen zu sein. U. Sd. Ostberlin. 14. November An einer kurzfristig einberufenen Tagung hat am späten Montagabend das Zentralkomitee der SED entschieden, dass vom 15. bis zum 17. Dezember nicht wie vorgesehen eine Parteikon- ferenz, sondern ein ausserordentlicher Parteitag durchgeführt werden soll. Das ZK begründete seine Entscheidung mit der wachsenden Anzahl von Anträgen und Stellungnahmen aus de r Parteibasis, die vor allem darauf dränge, das Zentralkomitee und die zentrale Revisionskom- mission neu zu wählen. Auf dem Programm des Parteitages stehen neben diesen beiden Wahl- gängen eine Rede von Staats- und Parteichef Kren; «zur aktuellen Lage und den Aufgaben der Partei» sowie die Ausarbeitung eines neuen Programms und eines neuen Parteistatuts. Mit dem Entscheid zur Abhaltung eines ausser- ordentlichen Parteitages hat die SED-Spitze den Weg freigemacht für eine Neuwahl des Zentralkomitees - einer Parteikonferenz fehlt dafür die Kompetenz. Krenz hatte sich schon am Wochenende mit Nachdruck für eine Neu- bestellung des Zentralkomitees ausgesprochen. Reiseerleichterungen für die Tschechoslowaken Unklarheit über den Zeitpunkt Prag. 14. Nov. (ap) Die tschechoslowakische Führung hat ihren Burgern am Dienstag Reise- freihei t in Aussicht gestellt. Ministerpräsident Adamec nannte vor den beiden Kammern des Parlaments in seinem Regierungsbericht jedoch keinen Termin für das Inkrafttreten der neuen Reiseregelungen. Bisher mussten Tschecho- slowaken beim Innenministerium in Prag ein Ausreisevisum beantragen. Dazu müssen Be- scheinigungen des Arbeitgebers und der Mili- tärbehörden vorgelegt werden. Die Wartezeit bis zur Ausstellung beträgt 30 Tage. Bereits seit etwa zwei Jahren gilt eine etwas erleichterte Ausreiseregelung. Sie ist jedoch neben dem Be- hördenweg an den Nachweis von Devisenbesitz gebunden. Gegenwärtig muss der Besitz von zehn Dollar für jeden Tag der Reise belegt wer- den. Ein Sprecher des Aussenministeriums sagte auf Anfrage, es sei unmöglich, ein ge- naues Datum des Beginns der Reisefreiheit zu nennen. da die «Erneuerung des Sozialismus» ein ZK brauche, das Verantwortung tragen könne und volles Vertrauen geniesse. Wessen Vertrauen, liess Krenz offen. Althergebrachter Wahlmodus Die Wahl Hans Modrows zum Vorsitzenden des Ministerrats scheint die Bevölkerung in Ost- berlin nicht über Gebühr zu erregen. Die in de r Gegend des Bahnhofs Friedrichstrasse zu die- sem Thema Befragten zuckten grösstenteils die Schultern; grössere Aufmerksamkeit oder gar Begeisterung löste der Name Modrow nirgends aus. Dies hat zum einen sicher damit zu tun, dass man sich von einem SED-Vertreter als Regierungschef, und sei er auch ein sogenann- ter Reformer, kaum etwas verspricht. Reform- versprechen gehören angesichts der prekären wirtschaftlichen und finanziellen Lage der DDR schon seit Jahren zum politischen Alltag, und zum Aufhorchen bringt man die Menschen nur dann, wenn wirklich konkrete politische Neuerungen angekündigt werden. Und zwei- tens erfolgte die Wahl Modrows in der altherge- brachten Form: auf Vorschlag der SED-Frak- tion und ohne die Aufstellung eines Gegen- kandidaten. «Einstimmig... bei einer Gegen- stimme» sei der Kandidat Modrow gewählt worden, berichtete am Dienstag die «Berliner Zeitung» - nicht gerade die Facon, welche vom Regime enttäuschte Berliner mit der Partei ver- söhnen wird. Auf mehr Interesse stiess da schon die einigermassen demokratische Wahl Günther Maleudas zum Volkskammerpräsidenten. Er hatte immerhin gegen vier Gegenkandidaten zu bestehen, und es steht ausser Zweifel, dass die Abgeordneten bei ihrer Wahl an keine Instruk- tionen gebunden waren, auch wenn es natürlich zu Fraktionsabsprachen kam. Erstaunlich wenig Beachtung fanden in der Bevölkerung auch die neuen, recht aufmüpfigen und manchmal schon fast oppositionell zu nen- nenden Töne in der Volkskammer. «Dat is doch nur Theater», beschied uns ein junger Mann, der gerade mit einer Plastictüte voller Orangen vom Einkaufsbummel in Westberlin zu- rückkehrte. Nur an Konkretem sei er interes- siert, sagte er; den Willen beispielsweise, die Massen vermehrt in den politischen Prozess mit einzubeziehen, bekundeten Politiker hierzulan- de schon seit Jahrzehnten, ohne dass sich bisher etwas geändert habe. « Die Grenzöffnung, sehen _J r? Wollank Strasse\ Q Bornholmer Strasse Chausseestrasse (y^fßernauer Strasse Invalidenstrasse Qq Bahnhof Friedrichstrasse a-*-j m jJ^TxPriruenstrasse Potsdamer Checkpoint ^Schlesisches Tor Charlie *S. SpäthStrasse Stubenrauch -Strasse 0 Bahnhof Friedrichstrasse Q bisherige Strassenübergänge neue Strassenübergänge ___ Sektorengrenze Grenze der Stadt Berlin Sonnenallee ->; :h-StrasseV<;*^ \ udU Dreilinden-Drewitz Ostpreussen, Waltersdorfer--'\ Damm Chaussee Kirchhainer Damm Grössere Bewegungsfreiheit für Berlin Mehr Grenzübergänge aber die Mauer bleibt A. C. Durch die Beschlüsse der DDR-Behör- den über die Schaffung neuer Grenzübergänge zwischen den beiden Teilen Berlins und die Er- öffnung neuer Kontrollpunkte an den Grenzen Westberlins zur DDR hat die geteilte Stadt mehr Atemfreiheit erhalten. Bei aller Euphorie aber darf nicht übersehen werden, dass die neuen Regelungen vor allem den Bürgern der DDR Luft verschaffen. Der Weg in der Gegen- richtung, von West nach Ost, bleibt vorläufig, wie er war, umständlich und beschwerlich. So ergibt sich gegenwärtig die groteske Situation, dass es für die Bewohner der DDR einfacher ist, nach Westberlin und in die Bundesrepublik zu reisen, als für Westberliner und Westdeut- sche nach dem Osten. Für sie sind die büro- kratischen Hindernisse die gleichen geblieben. Wer aus dem Westen kommt, benötigt noch immer ein Visum oder einen Tagespassier- schein, muss auf die Erledigung von Anträgen warten und dem devisenhungrigen SED- Regime durch den Zwangsumtausch von 25 Mark täglich (zum Kurs von 1:1) seinen Tribut entrichten. Verhandlungen über Neuregelungen stehen bevor. Eine erste Lockerung hat die DDR bereits verfügt. Reisende aus dem Westen dtlrfen künftig auch Velo oder Motorrad benüt- zen ; bisher war das nämlich strikt untersagt .. Sektorenübergänge Die Situation in Berlin ist also noch immer reichlich kompliziert. Innerhalb der Stadt gab es bisher auf der Strasse sieben Grenzkontrollpunk- te zwischen West und Ost. Die Benützungsbe- rechtigung war von Anfang an streng geregelt. Nur für Westberliner geöffnet sind die Über- gänge Chausseestrasse, Sandkrugbrücke, Ober- baumbrücke und Sonnenallee. An de r Prinzen- strasse dürfen nur Bundesbürger passieren, an der Bomholmerstrasse sowohl Bundesbürger wie Westberliner. Ausländer und Alliierte haben sich über den «Checkpoint Charlie» an der Friedrichstrasse nach Ostberlin zu begeben. Nur wer den Schienenweg benützt, ist von einer solchen Klassifizierung ausgenommen: Auslän- der, Bundesbürger und Westberliner reisen alle über den Bahnhof Friedrichstrasse. Wer in den Katakomben dieser U- und S-Bahn-Station das langwierige Prozedere der DDR-Grenzorgane einmal über sich hat ergehen lassen müssen, wird das Erlebnis in den notorisch überfüllten, schlecht gelüfteten Hallen und Gängen nicht so rasch vergessen. Nu n sind weitere Grenzübergänge in der Stadt geöffnet worden oder sollen es nächstens wer- den: am Potsdamer Platz, an Bernauer- und Wollankstrasse im Norden, am Schlesischen Tor, der Späthstrasse und der Stubenrauchstras- se im Süden. Was dort für Differenzierungen unter den von West nach Ost wechselnden Pas- santen getroffen werden, ist bis zum Augenblick nicht bekannt. In den Turbulenzen der letzten Tage ist der Volkspolizei die Kontrolle an ver- schiedenen Grenzstellen entglitten: auch zwi- schen einreisenden Westberlinern und Bundes- bürgern gab es keinen Unterschied mehr. Ob sich die normative Kraft des Faktischen hier geltend machen wird, bleibt abzuwarten. An der Grenze zur DDK Auch, an de r Grenze Westberlins zur DDR sind neue Übergänge geschaffen worden. Die bisherigen befinden sich an de r Heerstrasse in Staaken und an der Waltersdorfer Chaussee (Zufahrt zum Flughafen Schönefeld im Süd- osten de r Stadt), dazu kamen die beiden Auto- bahnkontrollpunkte in Dreilinden/Drewitz (Richtung Hannover, Frankfurt, München) so- wie in Heiligensee/Stolpe an der erst vor weni- gen Jahren eröffneten Autobahn Berlin-Ham- burg. Jetzt ist auch die durch Agentenaustau- sche berühmt gewordene Glienicker Brücke an der Strasse nach Potsdam gewöhnlichen Sterb- lichen zugänglich. Weitere Passierstellen sind die Falkenseer Chaussee im Westen sowie de r Ostpreussendamm und der Kirchhainer Damm im Süden. Es ist wahrscheinlich, dass in nächster Zeit noch andere Übergänge geöffnet werden. Ob auch am Brandenburger Tor die Grenzbefesti- gungen fallen, ist noch ungewiss, aber nicht mehr undenkbar. Eine Beseitigung der Mauer an dieser Stelle wäre eine Tat von eindrucksvol- lem Symbolwert. Sie: das ist was anderes. Da hab ich wirklich was davon.» Ministerielle Selbstanklagen Eine ebenfalls mit gefüllten Tüten de r S-Bahn entstiegene Frau zeigte sich vor allem von den Auftritten des ehemaligen Regierungs- chefs Stop h und des Vorsitzenden der staat- lichen Planungskommission, Gerhard Schürer. vor der Volkskammer beeindruckt. Die Apolo- gien de r ehemaligen Minister vor den teilweise erzürnten Volksvertretern können in der Tat nur als penibel bezeichnet werden: sie erinner- ten, wenn sie, wie bei Stoph, zur zerknirschten Selbstanklage gerieten, an chinesische Verhält- nisse. Stoph übernahm zwar, wie er sagte, für die gegenwärtige Lage «die Verantwortung», ergänzte jedoch, die Kompetenzen des Mini- sterrates seien oft eingeschränkt gewesen. Als Parlamentarier lautstark nach den dafür Ver- antwortlichen fragten, nannte Stoph wider- willig, aber deutlich die Namen Honeckers und Günther Mittags, des früheren Wirtschaftssekre- tärs und zurückgetretenen Politbüro-Mitglieds. Schürer seinerseits bezifferte zum sichtlichen Entsetzen der Abgeordneten die Inlandver- schuldung der DDR auf mittlerweile 130 Mil- liarden Mark, weigerte sich dann aber mitzutei- len, über wie viele Devisen die DDR momentan verfüge - dies sei, sagte er, geheim. Auch wenn das neuartige Erlebnis, am Fern- sehen von Parlamentariern gepeinigte Minister sehen zu können, einiges Aufsehen erregte - wirklich bewegt hat die Menschen in Ostberlin bisher offensichtlich nur die Öffnung der Gren- zen. Natürlich ist in Gesprächen ein Bewusst- sein festzustellen dafür, dass sich im Verhältnis zwischen Regierung, Partei und Parlament eini- ges - wenn auch vieles nur an der Oberfläche - geändert hat. Bestimmend aber in vielen Dis- kussionen ist allein, dass die Mauer ihre n Schrecken verloren hat, dass Westberlin heute jederzeit und ohne Umstände erreichbar ist. Der Entscheid, die Grenzen zu öffnen, mag denn auch teilweise verantwortlich dafür ge- wesen sein, dass am Montag abend - sonst ein Termin für Demonstrationen -auf den Strassen Ostberlins nichts Aussergewöhnliches festzu- stellen war. In der kubischen Öde des Alex- anderplatzes bewegten sich nur wenige Men- schen, und auch anderswo in der Innenstadt blieb es still - so auffallend still, dass der Ver- dacht nicht unbegründet erschien, viele Ost- berliner hätten sich als Ort massenhaften Er- scheinens auch an diesem Abend wieder West- berlin ausgesucht. Doch damit rechnen, dass mit der neuen Reiseregelung der Appetit des Volkes auf wirkliche demokratische Reformen auf die Dauer gestillt ist, kann das Regime nicht, wie die Grossdemonstration am selben Abend in Leipzig bewies. Forderung nach Streichung des SK.D- Artikels in der Verfassung Berlin. 14. Nov. (Reuter) Der neue Präsident der DDR- Volkskammer, Günther Maleuda, hat sich für eine Änderung von Artikel I der Ver- Neue Zürcher Zeitung vom 15.11.1989

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3lciie Jirdjtr peilung AUSLAND Mittwoch. 15. November 1989 Nr. 266

Grosser Empfang für Walesa in WashingtonForderungen nach einem Besuch Bushs in Berlin

Lech Walesa, der Führer der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarität, hält sichzu seinem ersten Besuch in den Vereinigten Staaten auf und wird hier als Symbolgestaltfür die historischen Umwälzungen in Osteuropa gefeiert. Präsident Bush pries den Gastam Montag bei einem Empfang im Weissen Haus als «geistigen Paten einer neuenDemokratie-Generation» und überreichte ihm die Freiheitsmedaille, den höchsten zivi-len Orden Amerikas.

R. M. Washington, 14. November

Präsident Bush hat während des EmpfangsWalesas auf die Ereignisse in Berlin angespieltund erklärt, die Woche, in der Walesa nachAmerika komme, treffe mit dem Fall der Mauerzusammen. Der historische Kampf, den die«Solidaritäts»-Bewegung in Polen geführt habe,beginne nun auch in der DDR Früchte zu tra-gen. Walesa hält am Mittwoch auf einer ge-meinsamen Sitzung beider Kongresskammerneine Rede.

VmcrikuniscliQ V irtschiiftshilfeKurz vor dem Eintreffen des «Solidaritäts»-

Führers hatte sich der Senat endlich auf einenKompromiss zur Verabschiedung wirtschaft-licher Hilfsmassnahmen an Polen und Ungarngeeinigt. Das nun vom Senat genehmigte Paketbeläuft sich auf 73S Millionen Dollar für dienächsten drei Jahre. Der Grossteil dieser Unter-stützung, rund 650 Millionen Dollar, ist fürPolen bestimmt: Ungarn soll etwas mehr als 80Millionen Dollar erhalten. Der Senatsvorschlag

muss noch mit dem Standpunkt des Repräsen-tantenhauses, das zuvor 840 Millionen Dollarfür die beiden osteuropäischen Reformländergebilligt hatte, abgestimmt werden. Das defini-tive Paket der Legislative wird aber in jedemFall wesentlich umfangreicher sein, als PräsidentBush gefordert hatte. Bush hatte nach seinenBesuchen in Polen und Ungarn im vergangenenSommer dem Kongress die Gewährung von ins-gesamt 455 Millionen Dollar an diese beidenLänder vorgeschlagen, was in der Öffentlichkeitweitherum als allzu knausrig kritisiert wordenwar.

Offizieller Gastgeber Walesas in den USA istdie gewerkschaftliche Dachorganisation AFL-CIO. Der «Solidaritäts»-Führer wird auf seinerersten Amerika-Tour nach Washington auchNew York, Chicago und Philadelphia be-suchen. In Princeton ist er Gast von BarbaraPiasecka Johnson, der aus Polen gebürtigenHaupterbin des Kosmetikkonzerns Johnson

und Johnson, die ihr millionenschweres Ver-mögen teilweise in die berühmte, aber wirt-schaftlich marode Leninwerft in Danzig - denUrsprung der «Solidaritätsbewegung - in-vestiert hat. Laut Angaben eines «Solidaritüts»-Vertreters haben nicht weniger als 62 amerika-nische Universitäten Walesa für eine Rede aufihrem Campus den Ehrendoktortitel offeriert.Keines der Angebote ist für die jetzige Tour be-rücksichtigt worden.

Stützung (Irr ltHWiu|iolitik?

Der demokratische Mehrheitsführer im Se-nat, George Mitchell, hat inzwischen PräsidentBush aufgefordert, mit einem baldigen Besuchin Berlin die historische Bedeutung der Mauer-öffnung zu würdigen und der Begeisterung derAmerikaner über dieses Ereignis Ausdruck zugeben. Bushs Sprecher Fitzwater hat aber dieMöglichkeit eines solchen Besuches noch vordem Treffen mit Gorbatschew im Mittelmeer,das am 2. und 3. Dezember stattfindet, weit-gehend ausgeschlossen. Freilich sind in denletzten Tagen und Wochen auf der weltpoliti-schen Bühne derart viele unvorhergeseheneDinge passiert, dass wohl auch die Planer imWeissen Haus gut daran tun, die Idee einerBlitzvisite des Präsidenten in Berlin nicht defi-nitiv zu begraben. Am Dienstag war inWashington zu hören, Bush erwäge nach seinerBegegnung mit Gorbatschew vor d er maltesi-schen Küste einen Zwischenhalt in Brüssel zurdirekten Beratung mit den Alliierten.

Senator Mitchell forderte die Administrationweiter auf, konkrete Schritte zur Normalisierung

der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion

zu unternehmen. Er erwähnte in diesem Zu-sammenhang die Gewährung eines Beobachter-status beim Gatt und andern weltwirtschaft-lichen Institutionen. Präsident Bush hat in Re-aktion auf die jüngsten dramatischen Vorgänge

in Osteuropa ausdrücklich seinen Willen be-kundet, mit Gorbatschew auch über einen Aus-bau der wirtschaftlichen Kooperation zur Stüt-zung der Perestroika-Politik zu diskutieren.

Ausserordentlicher SED-Parteitag einberufenLaues Echo in der Bevölkerung auf die Volkskammer-Tagung

Das Zentralkomitee der SED hat beschlossen, die für Mitte Dezember vorgesehene

Parteikonferenz in einen ausserordentlichen Parteitag umzuwandeln. Ablauf und Ergeb-

nisse der Volkskammer-Tagung vom Montag scheinen in der Bevölkerung nicht auf nen-nenswertes Interesse gestossen zu sein.

U. Sd. Ostberlin. 14. November

An einer kurzfristig einberufenen Tagung hatam späten Montagabend das Zentralkomiteeder SED entschieden, dass vom 15. bis zum 17.Dezember nicht wie vorgesehen eine Parteikon-ferenz, sondern ein ausserordentlicher Parteitagdurchgeführt werden soll. Das ZK begründete

seine Entscheidung mit der wachsenden Anzahlvon Anträgen und Stellungnahmen aus d erParteibasis, die vor allem darauf dränge, dasZentralkomitee und die zentrale Revisionskom-mission neu zu wählen. Auf dem Programm desParteitages stehen neben diesen beiden Wahl-gängen eine Rede von Staats- und ParteichefKren; «zur aktuellen Lage und den Aufgabender Partei» sowie die Ausarbeitung eines neuenProgramms und eines neuen Parteistatuts. Mitdem Entscheid zur Abhaltung eines ausser-ordentlichen Parteitages hat die SED-Spitzeden Weg freigemacht für eine Neuwahl desZentralkomitees - einer Parteikonferenz fehltdafür die Kompetenz. Krenz hatte sich schonam Wochenende mit Nachdruck für eine Neu-bestellung des Zentralkomitees ausgesprochen.

Reiseerleichterungenfür die Tschechoslowaken

Unklarheit über den ZeitpunktPrag. 14. Nov. (ap) Die tschechoslowakische

Führung hat ihren Burgern am Dienstag Reise-freiheit in Aussicht gestellt. MinisterpräsidentAdamec nannte vor den beiden Kammern desParlaments in seinem Regierungsbericht jedochkeinen Termin für das Inkrafttreten der neuenReiseregelungen. Bisher mussten Tschecho-slowaken beim Innenministerium in Prag einAusreisevisum beantragen. Dazu müssen Be-scheinigungen des Arbeitgebers und der Mili-tärbehörden vorgelegt werden. Die Wartezeitbis zur Ausstellung beträgt 30 Tage. Bereits seitetwa zwei Jahren gilt eine etwas erleichterteAusreiseregelung. Sie ist jedoch neben dem Be-hördenweg an den Nachweis von Devisenbesitzgebunden. Gegenwärtig muss der Besitz vonzehn Dollar für jeden Tag der Reise belegt wer-den. Ein Sprecher des Aussenministeriumssagte auf Anfrage, es sei unmöglich, ein ge-

naues Datum des Beginns der Reisefreiheit zunennen.

da die «Erneuerung des Sozialismus» ein ZKbrauche, das Verantwortung tragen könne undvolles Vertrauen geniesse. Wessen Vertrauen,liess Krenz offen.

Althergebrachter Wahlmodus

Die Wahl Hans Modrows zum Vorsitzendendes Ministerrats scheint die Bevölkerung in Ost-berlin nicht über Gebühr zu erregen. Die in d erGegend des Bahnhofs Friedrichstrasse zu die-sem Thema Befragten zuckten grösstenteils dieSchultern; grössere Aufmerksamkeit oder garBegeisterung löste der Name Modrow nirgendsaus. Dies hat zum einen sicher damit zu tun,dass man sich von einem SED-Vertreter alsRegierungschef, und sei er auch ein sogenann-ter Reformer, kaum etwas verspricht. Reform-versprechen gehören angesichts der prekären

wirtschaftlichen und finanziellen Lage derDDR schon seit Jahren zum politischen Alltag,und zum Aufhorchen bringt man die Menschennur dann, wenn wirklich konkrete politischeNeuerungen angekündigt werden. Und zwei-tens erfolgte die Wahl Modrows in der altherge-

brachten Form: auf Vorschlag der SED-Frak-tion und ohne die Aufstellung eines Gegen-

kandidaten. «Einstimmig... bei einer Gegen-

stimme» sei der Kandidat Modrow gewähltworden, berichtete am Dienstag die «BerlinerZeitung» - nicht gerade die Facon, welche vomRegime enttäuschte Berliner mit der Partei ver-söhnen wird. Auf mehr Interesse stiess da schondie einigermassen demokratische Wahl GüntherMaleudas zum Volkskammerpräsidenten. Erhatte immerhin gegen vier Gegenkandidaten zubestehen, und es steht ausser Zweifel, dass dieAbgeordneten bei ihrer Wahl an keine Instruk-tionen gebunden waren, auch wenn es natürlichzu Fraktionsabsprachen kam.

Erstaunlich wenig Beachtung fanden in derBevölkerung auch die neuen, recht aufmüpfigenund manchmal schon fast oppositionell zu nen-nenden Töne in der Volkskammer. «Dat isdoch nur Theater», beschied uns ein jungerMann, der gerade mit einer Plastictüte vollerOrangen vom Einkaufsbummel in Westberlin zu-rückkehrte. Nur an Konkretem sei er interes-siert, sagte er; den Willen beispielsweise, dieMassen vermehrt in den politischen Prozess miteinzubeziehen, bekundeten Politiker hierzulan-de schon seit Jahrzehnten, ohne dass sich bisheretwas geändert habe. « Die Grenzöffnung, sehen

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Wollank Strasse\Q Bornholmer Strasse

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Ostpreussen, Waltersdorfer--'\Damm Chaussee

KirchhainerDamm

Grössere Bewegungsfreiheit für BerlinMehr Grenzübergänge aber die Mauer bleibt

A. C. Durch die Beschlüsse der DDR-Behör-den über die Schaffung neuer Grenzübergänge

zwischen den beiden Teilen Berlins und die Er-öffnung neuer Kontrollpunkte an den GrenzenWestberlins zur DDR hat die geteilte Stadtmehr Atemfreiheit erhalten. Bei aller Euphorieaber darf nicht übersehen werden, dass dieneuen Regelungen vor allem den Bürgern derDDR Luft verschaffen. Der Weg in der Gegen-richtung, von West nach Ost, bleibt vorläufig,wie er war, umständlich und beschwerlich. Soergibt sich gegenwärtig die groteske Situation,dass es für die Bewohner der DDR einfacherist, nach Westberlin und in die Bundesrepublikzu reisen, als für Westberliner und Westdeut-sche nach dem Osten. Für sie sind die büro-kratischen Hindernisse die gleichen geblieben.

Wer aus dem Westen kommt, benötigt nochimmer ein Visum oder einen Tagespassier-schein, muss auf die Erledigung von Anträgenwarten und dem devisenhungrigen SED-Regime durch den Zwangsumtausch von 25Mark täglich (zum Kurs von 1:1) seinen Tributentrichten. Verhandlungen über Neuregelungenstehen bevor. Eine erste Lockerung hat dieDDR bereits verfügt. Reisende aus dem Westendtlrfen künftig auch Velo oder Motorrad benüt-zen ; bisher war das nämlich strikt untersagt . .

Sektorenübergänge

Die Situation in Berlin ist also noch immerreichlich kompliziert. Innerhalb der Stadt gab esbisher auf der Strasse sieben Grenzkontrollpunk-te zwischen West und Ost. Die Benützungsbe-rechtigung war von Anfang an streng geregelt.

Nur für Westberliner geöffnet sind die Über-gänge Chausseestrasse, Sandkrugbrücke, Ober-baumbrücke und Sonnenallee. An d er Prinzen-strasse dürfen nur Bundesbürger passieren, ander Bomholmerstrasse sowohl Bundesbürger

wie Westberliner. Ausländer und Alliierte habensich über den «Checkpoint Charlie» an derFriedrichstrasse nach Ostberlin zu begeben.

Nur wer den Schienenweg benützt, ist von einersolchen Klassifizierung ausgenommen: Auslän-der, Bundesbürger und Westberliner reisen alleüber den Bahnhof Friedrichstrasse. Wer in den

Katakomben dieser U- und S-Bahn-Station daslangwierige Prozedere der DDR-Grenzorganeeinmal über sich hat ergehen lassen müssen,wird das Erlebnis in den notorisch überfüllten,schlecht gelüfteten Hallen und Gängen nicht sorasch vergessen.

N un sind weitere Grenzübergänge in der Stadtgeöffnet worden oder sollen es nächstens wer-den: am Potsdamer Platz, an Bernauer- undWollankstrasse im Norden, am SchlesischenTor, der Späthstrasse und der Stubenrauchstras-se im Süden. Was dort für Differenzierungen

unter den von West nach Ost wechselnden Pas-santen getroffen werden, ist bis zum Augenblicknicht bekannt. In den Turbulenzen der letztenTage ist der Volkspolizei die Kontrolle an ver-schiedenen Grenzstellen entglitten: auch zwi-schen einreisenden Westberlinern und Bundes-bürgern gab es keinen Unterschied mehr. Obsich die normative Kraft des Faktischen hiergeltend machen wird, bleibt abzuwarten.

An der Grenze zur DDKAuch, an d er Grenze Westberlins zur DDR

sind neue Übergänge geschaffen worden. Diebisherigen befinden sich an d er Heerstrasse inStaaken und an der Waltersdorfer Chaussee(Zufahrt zum Flughafen Schönefeld im Süd-osten d er Stadt), dazu kamen die beiden Auto-bahnkontrollpunkte in Dreilinden/Drewitz(Richtung Hannover, Frankfurt, München) so-wie in Heiligensee/Stolpe an der erst vor weni-gen Jahren eröffneten Autobahn Berlin-Ham-burg. Jetzt ist auch die durch Agentenaustau-sche berühmt gewordene Glienicker Brücke ander Strasse nach Potsdam gewöhnlichen Sterb-lichen zugänglich. Weitere Passierstellen sinddie Falkenseer Chaussee im Westen sowie d erOstpreussendamm und der Kirchhainer Dammim Süden.

Es ist wahrscheinlich, dass in nächster Zeitnoch andere Übergänge geöffnet werden. Obauch am Brandenburger Tor die Grenzbefesti-gungen fallen, ist noch ungewiss, aber nichtmehr undenkbar. Eine Beseitigung der Maueran dieser Stelle wäre eine Tat von eindrucksvol-lem Symbolwert.

Sie: das ist was anderes. Da hab ich wirklichwas davon.»

Ministerielle Selbstanklagen

Eine ebenfalls mit gefüllten Tüten d erS-Bahn entstiegene Frau zeigte sich vor allemvon den Auftritten des ehemaligen Regierungs-

chefs S t o ph und des Vorsitzenden der staat-lichen Planungskommission, Gerhard Schürer.vor der Volkskammer beeindruckt. Die Apolo-gien d er ehemaligen Minister vor den teilweiseerzürnten Volksvertretern können in der Tatnur als penibel bezeichnet werden: sie erinner-ten, wenn sie, wie bei Stoph, zur zerknirschtenSelbstanklage gerieten, an chinesische Verhält-nisse. Stoph übernahm zwar, wie er sagte, fürdie gegenwärtige Lage «die Verantwortung»,ergänzte jedoch, die Kompetenzen des Mini-sterrates seien oft eingeschränkt gewesen. AlsParlamentarier lautstark nach den dafür Ver-antwortlichen fragten, nannte Stoph wider-willig, aber deutlich die Namen Honeckers undGünther Mittags, des früheren Wirtschaftssekre-tärs und zurückgetretenen Politbüro-Mitglieds.Schürer seinerseits bezifferte zum sichtlichenEntsetzen der Abgeordneten die Inlandver-schuldung der DDR auf mittlerweile 130 Mil-liarden Mark, weigerte sich dann aber mitzutei-len, über wie viele Devisen die DDR momentanverfüge - dies sei, sagte er, geheim.

Auch wenn das neuartige Erlebnis, am Fern-sehen von Parlamentariern gepeinigte Ministersehen zu können, einiges Aufsehen erregte -wirklich bewegt hat die Menschen in Ostberlin

bisher offensichtlich nur die Öffnung der Gren-zen. Natürlich ist in Gesprächen ein Bewusst-sein festzustellen dafür, dass sich im Verhältniszwischen Regierung, Partei und Parlament eini-ges - wenn auch vieles nur an der Oberfläche -geändert hat. Bestimmend aber in vielen Dis-kussionen ist allein, dass die Mauer i h r enSchrecken verloren hat, dass Westberlin heutejederzeit und ohne Umstände erreichbar ist.

Der Entscheid, die Grenzen zu öffnen, magdenn auch teilweise verantwortlich dafür ge-

wesen sein, dass am Montag abend - sonst einTermin für Demonstrationen -auf den StrassenOstberlins nichts Aussergewöhnliches festzu-stellen war. In der kubischen Öde des Alex-anderplatzes bewegten sich nur wenige Men-schen, und auch anderswo in der Innenstadtblieb es still - so auffallend still, dass der Ver-dacht nicht unbegründet erschien, viele Ost-berliner hätten sich als Ort massenhaften Er-scheinens auch an diesem Abend wieder West-berlin ausgesucht. Doch damit rechnen, dassmit der neuen Reiseregelung der Appetit desVolkes auf wirkliche demokratische Reformenauf die Dauer gestillt ist, kann das Regimenicht, wie die Grossdemonstration am selbenAbend in Leipzig bewies.

Forderung nach Streichungdes SK.D- Artikels in der Verfassung

Berlin. 14. Nov. (Reuter) Der neue Präsidentder DDR- Volkskammer, Günther Maleuda, hatsich für eine Änderung von Artikel I der Ver-

Neue Zürcher Zeitung vom 15.11.1989