Frauenfussball Erste Mannschaft Vosslocher Sv

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FUSSBALL 1 FRAUENFUßBALL Ein Platz nur für Frauen Weil die Männer sich nicht benehmen wollten, schmiss der Vosslocher SV sie raus – und wagt einen einmaligen Neuanfang. VON Kilian Trotier | 25. Juli 2015 - 19:28 Uhr © Isadora Tast für DIE ZEIT Hoch das Bein: Die Frauen-Mannschaft des Vosslocher SV beim ersten Training In der Kabine gibt es Prosecco. Zwei Flaschen liegen in einem weißen Bottich auf einem weißen Stehtisch, eine mit grünem Deckel, eine mit pinkem Deckel. "Die Frauen", sagt Jochen Lenz, "die trinken doch am liebsten so ’nen Hugo." Und weil Jochen Lenz, der zweite Vorsitzende des Vosslocher SV, glaubt, dass sich die Frauen über so ’nen Hugo am meisten freuen, hat er ihnen zur Begrüßung die Flaschen besorgt und zwanzig Gläser dazu. Echte Sektgläser aus Glas natürlich, gehört sich ja so. In der Kabine, in der jetzt der Sekt steht und sonst noch niemand ist, es ist eine Stunde vor Trainingsbeginn, da wurde bis vor Kurzem auch getrunken. Nicht aus Gläsern, sondern aus Flaschen. Manchmal Wasser, meist aber Bier, kistenweise. Das war das Problem. Der Vosslocher SV aus Bokholt-Hanredder, 1200 Einwohner, 40 Kilometer nordwestlich von Hamburg gelegen, hat ein Imageproblem. Die erste Mannschaft der Herren, also die wichtigste Mannschaft des Vereins, existiert nicht mehr. Entlassen wegen schlechter Führung. Sie soffen, sie pöbelten, griffen Gegner an, stritten sich mit Fans. "Wir haben einfach keine andere Möglichkeit mehr gesehen", sagt Jochen Lenz. Und da es einen Verein ohne erste Mannschaft zwar geben kann, aber nicht geben sollte, mussten sie eine Lösung finden. Sie suchten etwas, was dem Verein Hoffnung gibt. Was das Gegenteil von rüpelhaften Männern ist. Sie fanden: Frauen.

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    F R A U E N F U B A L L

    Ein Platz nur fr FrauenWeil die Mnner sich nicht benehmen wollten, schmiss derVosslocher SV sie raus und wagt einen einmaligen Neuanfang.VON Kilian Trotier | 25. Juli 2015 - 19:28 Uhr

    Isadora Tast fr DIE ZEIT

    Hoch das Bein: Die Frauen-Mannschaft des Vosslocher SV beim ersten Training

    In der Kabine gibt es Prosecco. Zwei Flaschen liegen in einem weien Bottich auf einemweien Stehtisch, eine mit grnem Deckel, eine mit pinkem Deckel. "Die Frauen", sagtJochen Lenz, "die trinken doch am liebsten so nen Hugo." Und weil Jochen Lenz, derzweite Vorsitzende des Vosslocher SV, glaubt, dass sich die Frauen ber so nen Hugo ammeisten freuen, hat er ihnen zur Begrung die Flaschen besorgt und zwanzig Glser dazu.Echte Sektglser aus Glas natrlich, gehrt sich ja so.

    In der Kabine, in der jetzt der Sekt steht und sonst noch niemand ist, es ist eine Stunde vorTrainingsbeginn, da wurde bis vor Kurzem auch getrunken. Nicht aus Glsern, sondern ausFlaschen. Manchmal Wasser, meist aber Bier, kistenweise. Das war das Problem.

    Der Vosslocher SV aus Bokholt-Hanredder, 1200 Einwohner, 40 Kilometer nordwestlichvon Hamburg gelegen, hat ein Imageproblem. Die erste Mannschaft der Herren, alsodie wichtigste Mannschaft des Vereins, existiert nicht mehr. Entlassen wegen schlechterFhrung. Sie soffen, sie pbelten, griffen Gegner an, stritten sich mit Fans. "Wir habeneinfach keine andere Mglichkeit mehr gesehen", sagt Jochen Lenz. Und da es einenVerein ohne erste Mannschaft zwar geben kann, aber nicht geben sollte, mussten sie eineLsung finden. Sie suchten etwas, was dem Verein Hoffnung gibt. Was das Gegenteil vonrpelhaften Mnnern ist.

    Sie fanden: Frauen.

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    "Wie wre das, wenn wir statt der ersten Mannschaft Herren eine erste Mannschaft Frauenmachen?", fragte Jochen Lenz seinen ersten Vorsitzenden, das war im Frhling, da hattensie die Herren gerade rausgeschmissen, nachdem ihr letztes Spiel abgebrochen wurde dieSpieler hatten Jagd gemacht auf einen Fan des Gegners und ihn bis ins Clubheim verfolgt.Der erste Vorsitzende fand die Idee mit den Frauen super. Sie besprachen das im Vorstand,zwei Mnner, sieben Frauen. Auch die Frauen fanden die Idee mit den Frauen super. Unddeshalb luft an diesem Mittwochabend Ende Juni zum ersten Mal eine Frauenmannschaftin Bokholt-Hanredder auf den Rasenplatz.

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    Dieser Artikel stammt aus demHamburg-Teil der ZEIT Nr. 28vom 09.07.2015. Sie finden dieseSeiten jede Woche auch in derdigitalen ZEIT.

    17 Frauen sind gekommen zu diesem Training. 17 Frauen, die alle in der Zeitung vondem Projekt gelesen haben oder auf Facebook. Einige haben noch nie gespielt, sie fandeneinfach den Gedanken gut: einen Verein, der ganz auf Frauen setzt, wow. Einige habenschon in anderen Vereinen gespielt, frher mal, und wollen jetzt wieder anfangen, wie dieSpielertrainerin, schwanger im siebten Monat.

    Nach dem Warmlaufen ruft die Spielertrainerin: "Trinkt noch mal was, Verena ist jetztda, die wird euch ordentlich zum Schwitzen bringen." Verena ist Fitnesstrainerin. Siegibt sonst Kurse im Vosslocher SV, die Namen tragen wie deepWork. Jetzt macht siedie Fuballfrauen fit. Sie laufen, ziehen die Fersen hoch, ziehen die Knie hoch. Dannnehmen sie die Liegesttzposition ein und gehen mit den Fen langsam zu den Hnden.Einmal, zweimal, dreimal, viermal. Eine Frau ruft: "Wer kam eigentlich auf die Idee, hiermitzumachen?" Die Spielerinnen lachen. Sie schwitzen.

    Jochen Lenz schwitzt nicht. Er sitzt ein paar Meter vom Platz entfernt auf der Veranda desVereinsheims. Trinkt ein Bier, raucht eine Zigarette. Das auf dem Platz sei jetzt die Sacheder Frauen, sagt er, damit habe er nichts zu tun. Ihn macht das glcklich. Endlich geht waslos, endlich gibt es etwas, worauf er sich freuen kann, nach all den Jahren, in denen seinVerein nur dann wahrgenommen wurde, wenn es wieder ordentlich Streit gab.

    7. April 2005: Spieler werfen mit Flaschen, Spieler prgeln sich mit der Mannschaft derAlten Herren des eigenen Vereins. Der Vosslocher SV meldet zum ersten Mal seine ersteHerrenmannschaft ab.

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    15. April 2013: Der Vosslocher SV hat eine neue erste Fuballmannschaft der Herrenaufgebaut, der Verein steht trotzdem kurz vor dem Ende, weil niemand bereit ist, denVorsitz zu bernehmen. Erst ganz am Ende der Mitgliederversammlung lassen sich zweiMnner aufstellen: Einer ist Jochen Lenz, der Mann, der spter die Frauenfuball-Ideehaben wird.

    26. September 2014: Das Hamburger Sportgericht verurteilt den Vosslocher SV zu einerStrafe von 500 Euro, weil Spieler auf ihre Gegner eingeprgelt haben.

    29. Mrz 2015: Ein Spiel zwischen TSV Seestermher Marsch II und dem Vosslocher SVwird nach 70 Minuten abgebrochen, weil ein Fan von Seestermhe Vosslocher Spielerrassistisch beleidigt und die Spieler auf ihn losgehen und ihn verfolgen, bis ins Clubheim.

    1. April 2015: Der Vosslocher SV meldet zum zweiten Mal seine erste Herrenmannschaftab.

    Fuball ist ein harter Sport. Amateurfuball ist oft ein brutal harter Sport. JedesWochenende spielen Tausende von Hobbykickern auf rumpeligen Rasenpltzen. Siekmpfen um Punkte in Ligen, die kaum jemand auseinanderhalten kann, der nicht aufdiesen Pltzen steht. Der Vosslocher SV ist in diesen Ligen nicht der einzige Verein, derProbleme mit seinen Spielern hat. Gefoult, getreten, gespuckt, gepbelt, geschlagen wirdberall in Deutschland auf rumpeligen Rasenpltzen. Aber der Vosslocher SV ist einerder wenigen Vereine, der konsequent ist. Der seinen Spielern nicht nur droht, sondern sierausschmeit.

    Der Vorstand hat verhandelt, wollte ein paar der Spieler behalten. Eine neue Mannschaftmit ihnen aufbauen. Oder mit einem anderen Verein fusionieren. Aber die Spielerwollten nicht. Und die anderen Vereine auch nicht, nicht mit dem Vosslocher SV,diesem Chaotenclub. Also schlossen sie die Abteilung ganz und boten den Spielern an,auerplanmig aus dem Verein auszutreten. Jochen Lenz und der erste Vorsitzendekommen nicht aus der Fuballabteilung des Vereins, Lenz spielte Handball, sie kannten dieSpieler erst seit Kurzem. "Das hat fr uns die Entscheidung sicherlich leichter gemacht",sagt Lenz. Denn das ist im Dorf ja hufig das grte Problem: Jeder kennt jeden, und dakann nicht jeder jeden einfach so aus dem Verein werfen.

    Auf dem Platz stellen sich die Spielerinnen im Halbkreis auf, erstes Trainingsspiel. "Wervon euch hat schon mal im Tor gestanden?", ruft die Spielertrainerin. Zwei Frauen meldensich. Eine sagt: "Aber das ist schon zehn Jahre her, nur dass du es weit." "Du musstja auch nicht gleich so gut wie Manuel Neuer sein", sagt die Spielertrainerin. Sie teilt dieFrauen auf. Die mit schwarzen T-Shirts spielen gegen die mit bunten T-Shirts. Trikots gibtes noch keine. Die von den Mnnern wollen sie an diesem Tag nicht anziehen.

    Wer beim Vosslocher SV bislang als Frau zum Fuballplatz kam, sa am Spielfeldrand,neben der Htte des Platzwarts, neben dem Grill und der Kiste Bier. Eine Abteilung fr

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    Frauenfuball gab es nicht. Am Spielfeldrand sitzt an diesem Abend nur eine Frau, aufeiner Decke mit drei Mnnern. Die Mnner trinken Bier aus der Flasche, sie rauchen. Hiergibt es keine Spielerfrauen mehr. Hier gibt es jetzt Spielerinnenfreunde.

    Es hat sich etwas verschoben in diesem kleinen schleswig-holsteinischen Verein. Weil dieMnner sich nicht benehmen konnten, sind die Frauen an der Macht. Sie sind nicht mehrdie, die mit ihren Spielen in den frhen Morgen ausweichen mssen, wenn sich ein Spielder Mnner verschiebt. Sie sind nicht mehr die, die in dreckige Kabinen kommen, weil dieMnner nicht saubermachen. Sie sind jetzt die, die entscheiden, wann sie trainieren undwann sie spielen. Das gibt es in Deutschland nicht noch einmal. Deshalb will Jochen Lenzzum ersten Spiel, Anfang September, auch "was losmachen" im Dorf, wie er das nennt.Plakate will er aufhngen, Stehtische an den Spielfeldrand stellen, weie Tischdeckendrauf, bisschen was eindecken, bisschen was ausschenken.

    Er hat sich dafr schon eine Kladde gemacht, auen grn-wei, die Farben seinesVereins. Innen, auf dem ersten Blatt, ein Bild: zwei Frauenbeine, ab der Wade, in zweiStckelschuhen in Pink. Ein Stckelschuh steht auf einem Fuball. Da sei doch Dynamikdrin, sagt er. Lenz will so ein Logo fr seinen Club, das Motiv hat er aus dem Internet. Frden Saisonstart will er ein eigenes entwerfen.

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