Frédéric-Auguste Bartholdi, Die Basler Freiheitsstatue

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Ab auf die Insel Corvo. Die kleinste bewohnte Azoren-Insel hat kaum mehr als 17 Quadratkilometer Fläche und 450 Einwohner. Eine wunderbare Destination für Naturliebhaber. Seite 25 | Montag, 8. September 2014 | Seite 19 Kultur. Erfolgreiches Theaterfestival Höhepunkt und Bilanz. Mit Béla Pintérs grossartigem Stück «Unsere Geheimnisse» ging das Theaterfestival zu Ende. Das Festival zieht eine positive Bilanz. Seite 20 Die Basler Freiheitsstatue Strassburger Denkmal wird nächstes Jahr 120 Jahre alt: Zur Entstehung eines Monuments Goldener Löwe für Andersson Preise des Filmfestivals Venedig Der schwedische Film «A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence» von Roy Andersson ist mit dem Goldenen Löwen der 71. Internationalen Filmfest- spiele von Venedig ausgezeichnet wor- den. Das gab die Jury unter Vorsitz des französischen Filmmusikkomponisten Alexandre Desplat am Samstagabend bekannt. Eine Taube, die die Existenz bedenkt und die Menschen beobachtet, steht im Mittelpunkt von Anderssons Film, der zu den Favoriten des Filmfestivals gezählt hatte. Anderssons Wettbe- werbsbeitrag ist der abschliessende Teil einer Trilogie, die sich mit der Frage befasst, was es bedeutet, Mensch zu sein. Der Film setzt sich aus Episoden zusammen. Manche sind mehrteilig in den Film eingefügt, andere als Einzel- stücke. Massaker in Indonesien Der Grosse Preis der Jury ging an Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm «The look of silence». Dieser Film zählte ebenfalls von Anfang an zu den Favori- ten des Festivals. Der US-Regisseur wid- met sich in seinem Werk den Opfern von Massakern in Indonesien in den Jahren 1965 und 1966. Im Mittelpunkt des Films steht der Optiker Adi, der seinen Bruder durch Gräueltaten verloren hat und nun Klar- heit über die damaligen Geschehnisse verlangt. Das Werk ist eine Fortsetzung von Oppenheimers «The Act of Killing», bei dem sich der Regisseur vor allem auf die noch lebenden und nicht bestraften Täter hinter den Massakern konzen- triert hatte. Den Goldenen Löwen für den besten Schauspieler erhielt Adam Driver, verzweifelter Vater im Film des italienischen Regisseurs Saverio Costanzo «Hungry Hearts». In demsel- ben Film spielt die Italienerin Alba Rohrwacher, die als beste Schauspiele- rin gekürt wurde. «Hungry Hearts» kreist um den Kampf zwischen zwei Eheleuten um die Ernährung des einzi- gen Sohnes. Iranisches Panorama Der deutsch-türkische Film «Sivas» wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Das Werk des in Berlin lebenden Kaan Müjdeci handelt von einem Buben und dessen Kampfhund in einem türkischen Dorf. Für das beste Drehbuch wurde «Ghesseha» (Tales) der iranischen Regis- seurin Rakhshan Bani-Etemad ausge- zeichnet. «Das ist ein riesiges Geschenk für alle Iraner, die den Film lieben», kom- mentierte die Regisseurin bei der Preis- verleihung. Bani-Etemad bietet in ihrem Werk ein breites Panorama der moder- nen Gesellschaft in ihrem Land an. Die Filmemacherin konzentriert sich dabei auf Frauenfiguren. Einem vom Westen erwarteten Klischee – das der unterwür- figen Frau – begegnet man im Film aller- dings nicht. SDA ANzEIGE ANzEIGE Von Claude Cueni Sie ist da und man sieht sie doch nicht. Man fährt jeden Morgen an ihr vorbei und achtet nur auf das Rotlicht. Schüt- zend hält sie ein Schild über eine ver- zweifelte Frau und einige verstörte Kin- der. Das tut sie schon seit 1895. Seit 119 Jahren trotzt sie nicht mehr den Preus- sen, sondern Luftverschmutzung und Temperaturschwankungen: die Helve- tia im Strassburger Denkmal, das gegenwärtig restauriert wird und von einer Schutzplane umhüllt ist. Das Denkmal stammt von Frédéric-Auguste Bartholdi (1834– 1904). Der Bildhauer besuchte die Schu- len in Paris. Zur gleichen Zeit studierte ein anderer Junge im Internat vis-à-vis: Gustave Bönickhausen dit Eiffel, der spä- ter seinen Namen in Gustave Eiffel abän- derte, um wegen der deutsch-französi- schen Spannungen die Akzeptanz für seinen geplanten Turm zu erhöhen. Beide reisten, wie es damals für Künstler üblich war, nicht mehr nach Ita- lien, sondern in den Orient, und liessen sich inspirieren. Beim Anblick der monu- mentalen Pyramiden und der gewalti- gen Sphinx erwachte in ihnen der Ehr- geiz, Gigantisches zu erschaffen und dadurch Unsterblichkeit zu erlangen. Im Gegensatz zu den meisten Künstlern des 19. Jahrhunderts brachten sie nicht die Syphilis (maladie franÇaise) nach Hause, sondern pralle Skizzenblöcke, Zeichnungen und erste Fotografien. Gegensätzliche Charaktere Während Gustave Eiffel zum genia- len Ingenieur, zum Eisenmagier avan- cierte, verlor sich Bartholdi in giganti- sche Projekte: Einen neuen Koloss von Rhodos wollte er de Lesseps für die Eröffnung des Suezkanals verkaufen. Die zahlreichen Entwürfe einer Bedui- nin, die mit ihrer Fackel die Welt erleuchtet, sind noch heute im Geburts- haus von Bartholdi, dem heutigen Museum Bartholdi in Colmar, zu besichtigen. Eiffel und Bartholdi wurden Riva- len. Eiffel war der Nachfahre einer Dynastie von sieben Generationen von Tapezierern. Er wollte nicht verkleiden, sondern freilegen, damit die nackte Ingenieurskunst zum Vorschein kam. Bartholdi, der Besessene mit italieni- schen Wurzeln, wollte Patriotismus in Stein hauen, die Herzen der Menschen berühren, aber vor allem das Herz sei- ner Mutter. Gegensätzlicher hätten die beiden Charaktere nicht sein können, doch die Freimaurerloge Grand Orient de France zwang sie schliesslich zur Zusammenarbeit an der Freiheitssta- tue, denn für das innere Gerüst brauchte Bartholdi den besten Ingenieur der damaligen Zeit. Der plötzliche Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 unterbrach ihre Karrieren. Die fehler- hafte und gekürzte Übersetzung einer Depesche hatte den gekränkten Kaiser Napoleon veranlasst, den Preussen den Krieg zu erklären. Bartholdi, der heiss- blütige Patriot, zog in den Krieg. Die Preussen setzten den Strassbur- gern übel zu und erweckten das Mitleid der Schweizer. Abordnungen aus Basel, Bern und Zürich erbarmten sich ihrer und erhielten nach zähen Verhandlun- gen von der badischen Regierung die Erlaubnis, 1400 Frauen, Kinder und Greise aus der schwer belagerten Stadt, in die Schweiz zu bringen. Der Baron Hervé de Gruyer, ein glühender Strass- burger Patriot, wollte der Schweiz später aus Dankbarkeit ein Denkmal schenken. Die Monumente sind fertig 1895 war es so weit. Bartholdi war mit seiner Freiheitsstatue weltberühmt geworden und sein Konterfei zierte selbst Wein- und Käseetiketten in den New Yorker Spirituosenläden. Gustave Eiffel hatte gegen den Widerstand von tout Paris seinen Eisenturm pünktlich zur Weltausstellung fertiggestellt, obwohl ihn einige für die Phallus-Fan- tasien eines narzistisch Verhaltensge- störten hielten. Sogar Victor Hugo und Émile Zola unterschrieben die Petition, die in ganzseitigen Inseraten publiziert wurde; der Turm sei die «Kathedrale der Alteisenhändler», Alexandre Dumas attestierte diesem Eisenskelett, das sich «wie der Tod über Paris erhob», gar eine «frappierende Hässlichkeit». Eiffel wagte sich an ein noch grösseres Pro- jekt, den Panamakanal, doch die Mala- riamücken brachten ihn zu Fall, ein gigantischer Finanzskandal vor Gericht, und dann krachte auch noch die von ihm konstruierte Brücke in München- stein in die Birs und riss 73 Menschen in den Tod. Auch das Strassburger Denkmal war keine einfache Geburt. In einem Rap- port vom September 1891, an die feder- führende Fachkommission des Innen- departementes, wird festgehalten, dass «die Figuren Anlass zu gewissen Beob- achtungen» geben. Kein Detail ist zu klein, um nicht erörtert zu werden. Bemängelt wird u.a. dass die Körper- haltung des Kindes zu sehr der Körper- haltung des Engels gleicht, die einen wollen ein Knie ändern, die andern eine Fussstellung, Bartholdi war bestimmt nicht zu beneiden. Aber wie üblich hat Bartholdi das Projekt zu Ende gebracht. Das Strassburger Denkmal steht immer noch auf dem Centralbahnplatz beim Bahnhof SBB. Die Figurengruppe stellt eine Frau mit Kindern dar, die von einem Engel und einer Helvetia beschützt werden. Doch die Frauensta- tuen sind bei Bartholdi nie, was sie vor- geben zu sein. Die Helvetia ist ein weite- rer Avatar der Göttin Minerva- Athena, eine abgewandelte Kopie der ersten Entwürfe der Freiheitstatue. Das Strassburger Denkmal aus Car- rara-Marmor, das Bartholdi damals für rund 125.00 Francs in Rechnung stellte, wird bis Ende Oktober für 300 000 Franken restauriert. Denkmäler sind manchmal beliebt, manchmal nicht, oft sind sie anfangs umstritten oder gar unerwünscht (wie die Freiheitsstatue) oder gar verhasst (wie der Eiffelturm), dann mutieren sie zum Wahrzeichen einer Stadt, eines Landes oder gar zu einem Symbol. Das Strassburger Denkmal steht für die zweite Hälfte des zweiten 19. Jahr- hunderts, für die atemberaubende Epo- che der Gründerzeit, dem Zeitalter der Beschleunigung, als Eisenbahnen die Pferdekutschen ablösten, als Telegrafie- ren bis zu den Goldgräbern in Klondike möglich wurde; es ist die Epoche der zahlreichen bekannten Unbekannten: Der Reisekofferhersteller Louis Vuitton lässt sich von Gustave Eiffel Stahlträger für seinen ersten Laden in Paris bauen, Flaubert schreibt «Emile Bovary», US- Präsident Ulysses Grant besucht Barthol- dis Pariser Atelier, Detektiv Allan Pinker- ton («We never sleep») gründet die welt- weit grösste Privatdetektei, Marx und Engels schreiben gegen das Elend in den Fabriken an. Es ist die Epoche des über- bordenden Enthusiasmus, der bahnbre- chenden Erfindungen wie Grammofon, Dynamit, Telefon, Glühbirne und Repe- tiergewehr. Die Begeisterung für neue Technologien kennt kaum Grenzen, Europa ist im Aufbruch, es entstehen die ersten grossen Industriedynastien. Eine gewaltige Epoche Es ist die Epoche des rücksichtslo- sen Kolonialismus in einer zunehmend vernetzten Welt, es ist die Tragödie des gnadenlosen 14-Stunden-Tags in sticki- gen Fabrikhallen, der Aufstieg Ameri- kas, der Untergang Englands und von Bismarcks Staatsräson. Im Zuge der industriellen Revolution entsteht ein neuer Realismus in der Literatur, Mary Shelley erschafft «Frankenstein», Jules Verne taucht 20000 Meter tief ins Meer. Wir erleben die letzten grossen Typhus- und Cholera-Epidemien, ein Jahrhun- dert voller Finanz- und Weltwirtschafts- krisen. Der neue Goldstandard befeuert den Goldrausch in Alaska und mit der Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges von 1870, ziehen unheilvolle Wolken am Himmel auf. Es ist die Geburt des Nationalismus, der das nächste Jahrhundert in Flammen setzen wird. Das Strassburger Denkmal ist nicht einfach ein Klotz aus Carrara-Marmor, es ist die Erinnerung an eine gewaltige Epoche, an einen grossen Künstler und an eine hilfsbereite Stadt. Und wäre Bartholdi noch am Leben, wer weiss, ob er dem Bundesrat nicht vorschlagen würde, auf einem unserer Berge eine monumentale Statue zu errichten, eine sitzende Helvetia. Dass er uns erneut eine seiner Liberty- Modelle unterjubeln würde, für die angeblich seine vergötterte Mutter Modell stand, sollte uns nicht küm- mern. Wir sollten uns anhören, wieso das nicht möglich ist und es dann trotz- dem versuchen. Claude Cueni, Schriftsteller. zuletzt erschienen im Wörterseh Verlag «Script Avenue». www.cueni.ch Schutzheilige. Das Strassburger Denkmal erinnert an die Aufnahme elsässischer Flüchtlinge durch Basel. Foto Atelier Fontana, Basel Celebrating 5 Years – The very best in Soul, Blues and R&B Freitag, 12. September 2014 Live in concert: Victor Wainwright & The Wild Roots with special guest Brandon Santini (USA) Konzertbeginn 20:15h Volkshaus, Rebgasse 12, Basel CHF 49.– / Vorverkauf: www.ticketcorner.ch 0900 800 800 (CHF 1.19/Min. ab Festnetz) oder an der Abendkasse www.bluesnow.ch 20-09-14 19.30 UHR | STADTCASINO BASEL DIE NEUNTE BEETHOVEN: SINFONIE NR. 9 LEITUNG GIOVANNI ANTONINI www.kammerorchesterbasel.ch TICKETS: www.kulturticket.ch Bider und Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel T +41 61 206 99 96

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Beitrag von Claude Cueni zum Strassburgerdenkmal von Bartholdi in Basel.

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Ab auf die InselCorvo. Die kleinste bewohnte Azoren-Insel hat kaum mehrals 17 Quadratkilometer Fläche und 450 Einwohner.Eine wunderbare Destination für Naturliebhaber. Seite 25| Montag, 8. September 2014 | Seite 19

Kultur. Erfolgreiches TheaterfestivalHöhepunkt und Bilanz. Mit Béla Pintérs grossartigemStück «Unsere Geheimnisse» ging das Theaterfestivalzu Ende. Das Festival zieht eine positive Bilanz. Seite 20

Die Basler FreiheitsstatueStrassburger Denkmal wird nächstes Jahr 120 Jahre alt: Zur Entstehung eines Monuments

Goldener Löwefür AnderssonPreise des Filmfestivals Venedig

Der schwedische Film «A Pigeon Sat ona Branch Reflecting on Existence» vonRoy Andersson ist mit dem GoldenenLöwen der 71. Internationalen Filmfest-spiele von Venedig ausgezeichnet wor-den. Das gab die Jury unter Vorsitz desfranzösischen FilmmusikkomponistenAlexandre Desplat am Samstagabendbekannt.

Eine Taube, die die Existenz bedenktund die Menschen beobachtet, steht imMittelpunkt von Anderssons Film, derzu den Favoriten des Filmfestivalsgezählt hatte. Anderssons Wettbe-werbsbeitrag ist der abschliessende Teileiner Trilogie, die sich mit der Fragebefasst, was es bedeutet, Mensch zusein. Der Film setzt sich aus Episodenzusammen. Manche sind mehrteilig inden Film eingefügt, andere als Einzel-stücke.

Massaker in IndonesienDer Grosse Preis der Jury ging an

Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm«The look of silence». Dieser Film zählteebenfalls von Anfang an zu den Favori-ten des Festivals. Der US-Regisseur wid-met sich in seinem Werk den Opfernvon Massakern in Indonesien in denJahren 1965 und 1966.

Im Mittelpunkt des Films steht derOptiker Adi, der seinen Bruder durchGräueltaten verloren hat und nun Klar-heit über die damaligen Geschehnisseverlangt. Das Werk ist eine Fortsetzungvon Oppenheimers «The Act of Killing»,bei dem sich der Regisseur vor allem aufdie noch lebenden und nicht bestraftenTäter hinter den Massakern konzen-triert hatte. Den Goldenen Löwen fürden besten Schauspieler erhielt AdamDriver, verzweifelter Vater im Film desitalienischen Regisseurs SaverioCostanzo «Hungry Hearts». In demsel-ben Film spielt die Italienerin AlbaRohrwacher, die als beste Schauspiele-rin gekürt wurde. «Hungry Hearts»kreist um den Kampf zwischen zweiEheleuten um die Ernährung des einzi-gen Sohnes.

Iranisches PanoramaDer deutsch-türkische Film «Sivas»

wurde mit dem Spezialpreis der Juryausgezeichnet. Das Werk des in Berlinlebenden Kaan Müjdeci handelt voneinem Buben und dessen Kampfhund ineinem türkischen Dorf.

Für das beste Drehbuch wurde«Ghesseha» (Tales) der iranischen Regis-seurin Rakhshan Bani-Etemad ausge-zeichnet. «Das ist ein riesiges Geschenkfür alle Iraner, die den Film lieben», kom-mentierte die Regisseurin bei der Preis-verleihung. Bani-Etemad bietet in ihremWerk ein breites Panorama der moder-nen Gesellschaft in ihrem Land an. DieFilmemacherin konzentriert sich dabeiauf Frauenfiguren. Einem vom Westenerwarteten Klischee – das der unterwür-figen Frau – begegnet man im Film aller-dings nicht. SDA

ANzEIGE ANzEIGE

Von Claude Cueni

Sie ist da und man sieht sie doch nicht.Man fährt jeden Morgen an ihr vorbeiund achtet nur auf das Rotlicht. Schüt-zend hält sie ein Schild über eine ver-zweifelte Frau und einige verstörte Kin-der. Das tut sie schon seit 1895. Seit 119Jahren trotzt sie nicht mehr den Preus-sen, sondern Luftverschmutzung undTemperaturschwankungen: die Helve-tia im Strassburger Denkmal, dasgegenwärtig restauriert wird und voneiner Schutzplane umhüllt ist.

Das Denkmal stammt vonFrédéric-Auguste Bartholdi (1834–1904). Der Bildhauer besuchte die Schu-len in Paris. Zur gleichen Zeit studierteein anderer Junge im Internat vis-à-vis:Gustave Bönickhausen dit Eiffel, der spä-ter seinen Namen in Gustave Eiffel abän-derte, um wegen der deutsch-französi-schen Spannungen die Akzeptanz fürseinen geplanten Turm zu erhöhen.

Beide reisten, wie es damals fürKünstler üblich war, nicht mehr nach Ita-lien, sondern in den Orient, und liessensich inspirieren. Beim Anblick der monu-mentalen Pyramiden und der gewalti-gen Sphinx erwachte in ihnen der Ehr-geiz, Gigantisches zu erschaffen unddadurch Unsterblichkeit zu erlangen. ImGegensatz zu den meisten Künstlern des19. Jahrhunderts brachten sie nicht dieSyphilis (maladie franÇaise) nachHause, sondern pralle Skizzenblöcke,Zeichnungen und erste Fotografien.

Gegensätzliche CharaktereWährend Gustave Eiffel zum genia-

len Ingenieur, zum Eisenmagier avan-cierte, verlor sich Bartholdi in giganti-sche Projekte: Einen neuen Koloss vonRhodos wollte er de Lesseps für dieEröffnung des Suezkanals verkaufen.Die zahlreichen Entwürfe einer Bedui-nin, die mit ihrer Fackel die Welterleuchtet, sind noch heute im Geburts-haus von Bartholdi, dem heutigenMuseum Bartholdi in Colmar, zubesichtigen.

Eiffel und Bartholdi wurden Riva-len. Eiffel war der Nachfahre einerDynastie von sieben Generationen vonTapezierern. Er wollte nicht verkleiden,sondern freilegen, damit die nackteIngenieurskunst zum Vorschein kam.Bartholdi, der Besessene mit italieni-schen Wurzeln, wollte Patriotismus inStein hauen, die Herzen der Menschenberühren, aber vor allem das Herz sei-ner Mutter. Gegensätzlicher hätten diebeiden Charaktere nicht sein können,doch die Freimaurerloge Grand Orientde France zwang sie schliesslich zurZusammenarbeit an der Freiheitssta-tue, denn für das innere Gerüst brauchteBartholdi den besten Ingenieur derdamaligen Zeit.

Der plötzliche Ausbruch desDeutsch-Französischen Krieges 1870unterbrach ihre Karrieren. Die fehler-

hafte und gekürzte Übersetzung einerDepesche hatte den gekränkten KaiserNapoleon veranlasst, den Preussen denKrieg zu erklären. Bartholdi, der heiss-blütige Patriot, zog in den Krieg.

Die Preussen setzten den Strassbur-gern übel zu und erweckten das Mitleidder Schweizer. Abordnungen aus Basel,Bern und Zürich erbarmten sich ihrerund erhielten nach zähen Verhandlun-gen von der badischen Regierung dieErlaubnis, 1400 Frauen, Kinder undGreise aus der schwer belagerten Stadt,in die Schweiz zu bringen. Der BaronHervé de Gruyer, ein glühender Strass-burger Patriot, wollte der Schweiz späteraus Dankbarkeit ein Denkmal schenken.

Die Monumente sind fertig1895 war es so weit. Bartholdi war

mit seiner Freiheitsstatue weltberühmtgeworden und sein Konterfei zierteselbst Wein- und Käseetiketten in denNew Yorker Spirituosenläden. GustaveEiffel hatte gegen den Widerstand vontout Paris seinen Eisenturm pünktlichzur Weltausstellung fertiggestellt,obwohl ihn einige für die Phallus-Fan-tasien eines narzistisch Verhaltensge-störten hielten. Sogar Victor Hugo undÉmile Zola unterschrieben die Petition,die in ganzseitigen Inseraten publiziertwurde; der Turm sei die «Kathedraleder Alteisenhändler», Alexandre Dumasattestierte diesem Eisenskelett, das sich«wie der Tod über Paris erhob», gar eine«frappierende Hässlichkeit». Eiffelwagte sich an ein noch grösseres Pro-jekt, den Panamakanal, doch die Mala-riamücken brachten ihn zu Fall, eingigantischer Finanzskandal vor Gericht,und dann krachte auch noch die vonihm konstruierte Brücke in München-stein in die Birs und riss 73 Menschen inden Tod.

Auch das Strassburger Denkmal warkeine einfache Geburt. In einem Rap-port vom September 1891, an die feder-führende Fachkommission des Innen-departementes, wird festgehalten, dass«die Figuren Anlass zu gewissen Beob-

achtungen» geben. Kein Detail ist zuklein, um nicht erörtert zu werden.Bemängelt wird u. a. dass die Körper-haltung des Kindes zu sehr der Körper-haltung des Engels gleicht, die einenwollen ein Knie ändern, die andern eineFussstellung, Bartholdi war bestimmtnicht zu beneiden. Aber wie üblich hatBartholdi das Projekt zu Ende gebracht.

Das Strassburger Denkmal stehtimmer noch auf dem Centralbahnplatzbeim Bahnhof SBB. Die Figurengruppestellt eine Frau mit Kindern dar, die voneinem Engel und einer Helvetiabeschützt werden. Doch die Frauensta-tuen sind bei Bartholdi nie, was sie vor-geben zu sein. Die Helvetia ist ein weite-rer Avatar der Göttin Minerva-Athena, eine abgewandelte Kopie derersten Entwürfe der Freiheitstatue.

Das Strassburger Denkmal aus Car-rara-Marmor, das Bartholdi damals fürrund 125.00 Francs in Rechnung stellte,wird bis Ende Oktober für 300 000Franken restauriert.

Denkmäler sind manchmal beliebt,manchmal nicht, oft sind sie anfangsumstritten oder gar unerwünscht (wiedie Freiheitsstatue) oder gar verhasst(wie der Eiffelturm), dann mutieren siezum Wahrzeichen einer Stadt, einesLandes oder gar zu einem Symbol.

Das Strassburger Denkmal steht fürdie zweite Hälfte des zweiten 19. Jahr-hunderts, für die atemberaubende Epo-che der Gründerzeit, dem Zeitalter derBeschleunigung, als Eisenbahnen diePferdekutschen ablösten, als Telegrafie-ren bis zu den Goldgräbern in Klondikemöglich wurde; es ist die Epoche derzahlreichen bekannten Unbekannten:Der Reisekofferhersteller Louis Vuittonlässt sich von Gustave Eiffel Stahlträgerfür seinen ersten Laden in Paris bauen,Flaubert schreibt «Emile Bovary», US-Präsident Ulysses Grant besucht Barthol-dis Pariser Atelier, Detektiv Allan Pinker-ton («We never sleep») gründet die welt-weit grösste Privatdetektei, Marx undEngels schreiben gegen das Elend in denFabriken an. Es ist die Epoche des über-

bordenden Enthusiasmus, der bahnbre-chenden Erfindungen wie Grammofon,Dynamit, Telefon, Glühbirne und Repe-tiergewehr. Die Begeisterung für neueTechnologien kennt kaum Grenzen,Europa ist im Aufbruch, es entstehen dieersten grossen Industriedynastien.

Eine gewaltige EpocheEs ist die Epoche des rücksichtslo-

sen Kolonialismus in einer zunehmendvernetzten Welt, es ist die Tragödie desgnadenlosen 14-Stunden-Tags in sticki-gen Fabrikhallen, der Aufstieg Ameri-kas, der Untergang Englands und vonBismarcks Staatsräson. Im Zuge derindustriellen Revolution entsteht einneuer Realismus in der Literatur, MaryShelley erschafft «Frankenstein», JulesVerne taucht 20 000 Meter tief ins Meer.Wir erleben die letzten grossen Typhus-und Cholera-Epidemien, ein Jahrhun-dert voller Finanz- und Weltwirtschafts-krisen. Der neue Goldstandard befeuertden Goldrausch in Alaska und mit derBeendigung des Deutsch-FranzösischenKrieges von 1870, ziehen unheilvolleWolken am Himmel auf. Es ist dieGeburt des Nationalismus, der dasnächste Jahrhundert in Flammen setzenwird.

Das Strassburger Denkmal ist nichteinfach ein Klotz aus Carrara-Marmor,es ist die Erinnerung an eine gewaltigeEpoche, an einen grossen Künstler undan eine hilfsbereite Stadt.

Und wäre Bartholdi noch am Leben,wer weiss, ob er dem Bundesrat nichtvorschlagen würde, auf einem unsererBerge eine monumentale Statue zuerrichten, eine sitzende Helvetia. Dasser uns erneut eine seiner Liberty-Modelle unterjubeln würde, für dieangeblich seine vergötterte MutterModell stand, sollte uns nicht küm-mern. Wir sollten uns anhören, wiesodas nicht möglich ist und es dann trotz-dem versuchen.Claude Cueni, Schriftsteller.zuletzt erschienen im Wörterseh Verlag«Script Avenue». www.cueni.ch

Schutzheilige. Das Strassburger Denkmal erinnert an die Aufnahme elsässischer Flüchtlinge durch Basel. Foto Atelier Fontana, Basel

Celebrating 5 Years – The very best in Soul,Blues and R&B

Freitag, 12. September 2014

Live in concert:

Victor Wainwright

& The Wild Roots with special

guest Brandon Santini (USA)

Konzertbeginn20:15h

Volkshaus, Rebgasse 12, Base

l

CHF 49.– / Vorverkauf: www.ticketcorner.ch

0900 800 800 (CHF 1.19/Min. ab Festnetz) oder

an der Abendkasse

www.bluesnow.ch

20-09-1419.30 UHR | STADTCASINO BASEL

DIE NEUNTEBEETHOVEN: SINFONIE NR. 9LEITUNG

GIOVANNI ANTONINIwww.kammerorchesterbasel.chTICKETS: www.kulturticket.chBider und Tanner – Ihr Kulturhaus in BaselT +41 61 206 99 96