Freeride - Engelberg€¦ · Warum ist Engelberg so beliebt bei Freeridern? Das Gelände ist ideal....

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F reerider haben nicht den bes- ten Ruf: Das sind die Gesetzlo- sen, die keine Regeln respektie- ren, dort Ski fahren, wo man nicht darf, und dann in einer Lawine en- den. «Ganz so kann man das nicht sa- gen», relativiert Daniel Perret (28). Der junge Engelberger ist ausgebildeter Bergführer und leitet in Engelberg Free- ride-Touren. Natürlich könne man nicht ausschliessen, dass manche Skifahrer unvorbereitet und mangelhaausgerüs- tet, «und dann vermutlich auch ohne die nötigen Kenntnisse», in die Tiefschnee- hänge fahren. Aber die meisten wüssten, dass man solche Touren nur mit Orts- kenntnissen und Know-how über Schnee und Lawinen mache. Weil Engelberg als Mekka für die Free- rider gilt, bietet das Tourismusbüro auch solche Touren an. Ein Einfüh- rungs-Package ist für Übernachtungs- gäste sogar gratis*. «Wir wollen das Freeriden nicht unterbinden, sondern sicherer machen», sagt Peter Reinle, Marketingleiter der Titlis-Bahnen. Hotspot der Schweiz Verhindern geht vermutlich auch gar nicht mehr. Laut einem deutschen In- ternetportal zählt Engelberg neben Da- vos-Klosters, Disentis und der Jungfrau- region zu den Freeride-Hotspots der Schweiz. Die Hänge Laub, Steinberg und Galtiberg haben sich laut dem Por- tal längst einen Namen gemacht. Es kommt zum Schluss: «Ein Muss für je- den Freerider!» So stehen wir nun oberhalb eines dieser Hänge, wie sie Engelberg reichlich bie- tet. Wir, das ist eine Gruppe von Jour- nalisten aus der Schweiz, aus Deutsch- land, Frankreich und Schweden. Unter uns die verführerisch weisse Fläche, keine Spuren darin, hin und wieder eine kleine Erhebung, unter der sich wohl nur die Spitze eines Busches verbirgt. Das Kribbeln in den Knien wird grösser. Dürfen wir? Ist der Hang sicher? Ja. Er ist es. Bergführer Perret gibt das Okay: «Dieser Hang ist sicher, ihr könnt alle hinter mir fahren. Ein paar Meter links und rechts von mir ist immer noch safe.» Und dann fährt er los, und wir Freeride Skisport Einst hiess es Tiefschneefahren, später Variantenfahren, heute Freeriden. Gemeint ist immer das Gleiche: die Suche nach Pulverschneehängen, die noch keiner durchfahren hat. THOMAS COMPAGNO SICHER IM PULVERSCHNEE 88 Coopzeitung · Nr. 8 vom 23. Februar 2016

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F reerider haben nicht den bes-ten Ruf: Das sind die Gesetzlo-sen, die keine Regeln respektie-ren, dort Ski fahren, wo man

nicht darf, und dann in einer Lawine en-den. «Ganz so kann man das nicht sa-gen», relativiert Daniel Perret (28). Der junge Engelberger ist ausgebildeter Bergführer und leitet in Engelberg Free-ride-Touren. Natürlich könne man nicht ausschliessen, dass manche Skifahrer unvorbereitet und mangelhaft ausgerüs-tet, «und dann vermutlich auch ohne die nötigen Kenntnisse», in die Tiefschnee-hänge fahren. Aber die meisten wüssten, dass man solche Touren nur mit Orts-kenntnissen und Know-how über Schnee und Lawinen mache.

Weil Engelberg als Mekka für die Free- rider gilt, bietet das Tourismusbüro auch solche Touren an. Ein Einfüh-rungs-Package ist für Übernachtungs-gäste sogar gratis*. «Wir wollen das Freeriden nicht unterbinden, sondern sicherer machen», sagt Peter Reinle, Marketingleiter der Titlis-Bahnen.

Hotspot der SchweizVerhindern geht vermutlich auch gar nicht mehr. Laut einem deutschen In-ternetportal zählt Engelberg neben Da-vos-Klosters, Disentis und der Jungfrau-region zu den Freeride-Hotspots der Schweiz. Die Hänge Laub, Steinberg und Galtiberg haben sich laut dem Por-tal längst einen Namen gemacht. Es

kommt zum Schluss: «Ein Muss für je-den Freerider!» So stehen wir nun oberhalb eines dieser Hänge, wie sie Engelberg reichlich bie-tet. Wir, das ist eine Gruppe von Jour-nalisten aus der Schweiz, aus Deutsch-land, Frankreich und Schweden. Unter uns die verführerisch weisse Fläche, keine Spuren darin, hin und wieder eine kleine Erhebung, unter der sich wohl nur die Spitze eines Busches verbirgt. Das Kribbeln in den Knien wird grösser. Dürfen wir? Ist der Hang sicher? Ja. Er ist es. Bergführer Perret gibt das Okay: «Dieser Hang ist sicher, ihr könnt alle hinter mir fahren. Ein paar Meter links und rechts von mir ist immer noch safe.» Und dann fährt er los, und wir

Freeride ♦ Skisport Einst hiess es Tiefschneefahren, später Variantenfahren, heute

Freeriden. Gemeint ist immer das Gleiche: die Suche nach Pulverschneehängen, die noch keiner durchfahren hat. THOMAS COMPAGNO

SICHER IM PULVERSCHNEE

88 Coopzeitung · Nr. 8 vom 23. Februar 2016

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Ein Hang, wie ihn Freerider lieben: schön breit, nicht abrutschgefährdet und vor allem – nicht ausgefahren.

hinterher. Die Skier durchschneiden den lockeren Schnee, carven durch die unverbrauchte weisse Ebene vor mir. Der Pulverschnee stiebt – es ist Vergnü-gen pur. «Grandios», meint etwa Jeny, die Schwedin, die für ein Reisemagazin schon diverse Freeride-Destinationen besucht hat.

Tiere brauchen Ruhe im WinterWas das Freeriden heute zum Problem machen kann, sagt auch Perret, sei die schiere Masse an Wintersportlern, die das Freeriding suchen – zumal die Ski-hersteller auch schon auf diesen Trend reagiert haben. Sie bringen extra breite Skier auf den Markt, die das Fahren im Tiefschnee noch einfacher machen.

Ganz wichtig sei deshalb, dass Free- rider Rücksicht auf die Natur nehmen, damit die Tiere noch genügend Raum finden, wo sie den Winter ungestört verbringen können. Beim Amt für Wald und Landschaft des Kantons Obwalden teilt man diese An-sicht. Seit der Kanton vor einigen Jah-ren aber sogenannte Wildruhezonen ausgeschieden habe, habe man das Problem weitgehend im Griff, sagt Forstingenieur Roland Christen. «Wir haben Rückzugsgebiete gesperrt, in de-nen vor allem Schneehasen, Schnee-hühner, Birkhühner und Gämsen vor-kommen», sagt Christen. Ausserhalb dieser Zonen sei das Freeriden erlaubt. «Die Natur ausserhalb der Wildruhezo-

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nen darf aber nicht zu einer reinen Frei-zeitarena verkommen», so Christen weiter. Auch sie sei Lebensraum für viele Tiere, die auf Ruhe angewiesen sind. Wald, Waldränder und Ein-zelbäume im Speziellen seien daher zu meiden und grosszügig zu umfahren. Wer jedoch in eine Wildruhezone oder das Eidgenössische Jagdbanngebiet hi-neinfährt und erwischt wird, zahlt eine happige Busse von 200 Franken.

Und wenn die Lawine kommt?Weil Freerider nicht nur Wildruhe- zonen kennen, sondern auch in heiklen Situationen richtig reagieren sollen, bietet Engelberg Lawinenkurse an. Dort lernen die Gäste, wie sie in Fo

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Coopzeitung: Will man in Engelberg das Freeriden fördern?Peter Reinle: Wir verhin-dern es nicht, aber wir heben es auch nicht spe-ziell hervor. Engelberg steht aber dazu, dass wir viele Freerider haben. Das ist auch okay.

Sollte man das Freeri-den aus Sicherheitsgründen nicht ganz verbieten?Das können wir nicht, weil es keine Hand-habe gibt. Und das wollen wir auch nicht. Freeriden ist für uns nicht etwas Schlech-

«Es braucht Hirn und Verstand»

einem Notfall Lawinenschaufel, Sondierstange und Suchgerät gebrau-chen. Wer sich einmal das Vergnügen des Freeridens leisten will, für den ist es rat-sam, sich einem Bergführer anzuschlies- sen. Statt nur 10 oder 20 Meter neben der Piste den eh schon zerfahrenen Neu-schnee zu befahren, führt der Moun-

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tainguide, wie die Bergführer in Engel-berg heissen, seine Gäste in wirklich unverbrauchte Hänge, die nicht einfach von der Bergstation des Sesselliftes er-reichbar sind. Man muss dafür einen kurzen Aufstieg mit Fellen an den Skiern in Kauf nehmen, dazwischen vielleicht die Skier abschnallen und einen steilen, schneelosen Hang zu Fuss erklimmen.

tes, es muss nur mit Hirn und Verstand betrieben werden. Wir sagen den Leuten immer, dass sie sich – wenn sie selber die Fähigkeiten und Kenntnisse nicht haben – einem Skilehrer oder Bergführer anschliessen sollen.

Warum ist Engelberg so beliebt bei Freeridern?Das Gelände ist ideal. Vom Titlis gibt es vier tolle Varianten. Zum Beispiel die Laub-Ab-fahrt mit 1000 Höhenmetern und einer gros- sen Breite. Oder die Steinberg-Route durch Gletscher, die landschaftlich sehr schön ist. Bei den Galtiberg-Abfahrten sind es sogar 2000 Höhenmeter. Solche Varianten gibts nicht viele im Alpenraum.

Ist Engelberg weniger gefährlich als andere Orte?Nein, das kann man nicht sagen. Was man aber bedenken muss: Wenn ein Hang viel befahren wird, ist das ein Reduktionsfaktor. Kein Blankocheck wohlgemerkt, denn es kann immer wieder zu Lawinen kommen. Aber wenn ein Hang viel befahren wird, wird der Schnee angepresst. Das macht den Hang stabiler.

Sichern Sie auch einzelne der beliebten Freeride-Hänge?Gar nicht. Höchstens, wenn die Hänge oberhalb einer Piste sind, aber da geht es um die Piste darunter. Fürs Freeriden wird nicht gesprengt.

Aber dann entschädigt eine traumhafte Abfahrt für jede zuvor vergossene Schweissperle. ●

* Das Gratis-Freeride-Angebot in Engel-berg (mit der Gästekarte) sowie die Wild- ruhezonen der ganzen Schweiz unter:

!!!Rwww.coopzeitung.ch/freeride

Bergführer Daniel Perret (rechts) zeigt den richtigen Umgang mit dem Lawinen- verschütteten-Suchgerät.

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Peter Reinle Marketingleiter der Titlis- Bergbahnen.

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