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Imperium Romanum Das römische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke Johannes Fried Horst Fuhrmann zum 80. Geburtstag Rom mußte vergehen, um als Gedächtnisort wieder zu erstehen. Gewiß, es ist kein plötzlicher Tod zu beklagen, vielmehr ein langsames Absterben und Ver- wandeln. Gleichwohl war es ein Untergang und wurde er mit der Zeit auch be- wußt. Wer immer an „Erneuerung“ dachte, an „Wiedergeburt“, wer die Byzan- tiner zu „Griechen“ erklärte und in ihnen keine „Römer“ mehr erkannte, hatte bewußt oder unbewußt ein Ende vor Augen und vergegenwärtigte im Gedächt- nis einen anderen ‚Ort‘ als den, von dem aus er blickte. Indes, so deutlich sich diese Linie abzuzeichnen scheint, so klar tritt eine entgegengesetzte Perspektive hervor: Rom ging niemals unter. Sein einst universales, doch erloschenes Kaiser- tum sah sich in der universalen Kirche neu erstehen, sein weltlicher Princeps im Princeps apostolorum und dessen Erben, seine Tempel in seinen Kirchen, seine Kaiserpaläste im Lateran und im Vatikan, sein Forum in den Apostelgräbern neu. Wer immer „Erneuerung“ dachte, hatte ein lebendiges, wenn auch alterndes und vielleicht leidendes Rom vor Augen. In der Tat, Gedächtnis hat es stets mit zweierlei Phänomenen zu tun: mit einem realen, doch vergangenen Geschehen, das auf seine Weise fortwirkt, und mit dessen Memoration, die in unablässiger, unkalkulierbarer, doch gleichfalls wirkmächtiger Transformation begriffen ist. Als Wahrnehmung aber sind beide kognitive Konstrukte; und jede Kultur ist beider Folgen ausgesetzt. Das Ge- dächtnis indessen dürstet nach Gewißheit und konzentriert sich an immer wieder aufgesuchten „Orten“ und wohlbekannten „Begegnungsstätten“, um Dauerhaf- tigkeit zu gewinnen und der Unablässigkeit seiner Transformationen zu entkom- men. Gedächtnisorte sind damit Orte, an denen sich in Form von Erinnerung gegenwärtiges Selbstverständnis und aktuelle Selbstvergewisserung von Indivi- duen oder Kollektiven manifestieren und in ihrer Ausgestaltung artikulieren. Sie gestalten sich als memorative Begegnungsstätten mit Menschen, mit Helden und Antihelden, mit Geschehnissen und Erlebnissen, mit Fähigkeiten und Wissen, mit Ideen oder Doktrinen, literarischen Texten oder Rechtsforderungen, mit Sagen, Märchen und Legenden, mit Hypostasierungen des Guten oder Bösen, mit Reli- gion und Glauben und mit vielem mehr. Die Konstruktion persönlicher oder kollektiver Identität stützt sich auf derartige „Orte“.

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  • Imperium Romanum

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke

    Johannes Fried

    Horst Fuhrmann zum 80. Geburtstag

    Rom mute vergehen, um als Gedchtnisort wieder zu erstehen. Gewi, es istkein pltzlicher Tod zu beklagen, vielmehr ein langsames Absterben und Ver-wandeln. Gleichwohl war es ein Untergang und wurde er mit der Zeit auch be-wut. Wer immer an Erneuerung dachte, an Wiedergeburt, wer die Byzan-tiner zu Griechen erklrte und in ihnen keine Rmer mehr erkannte, hattebewut oder unbewut ein Ende vor Augen und vergegenwrtigte im Gedcht-nis einen anderen Ort als den, von dem aus er blickte. Indes, so deutlich sichdiese Linie abzuzeichnen scheint, so klar tritt eine entgegengesetzte Perspektivehervor: Rom ging niemals unter. Sein einst universales, doch erloschenes Kaiser-tum sah sich in der universalen Kirche neu erstehen, sein weltlicher Princeps imPrinceps apostolorum und dessen Erben, seine Tempel in seinen Kirchen, seineKaiserpalste im Lateran und im Vatikan, sein Forum in den Apostelgrbern neu.Wer immer Erneuerung dachte, hatte ein lebendiges, wenn auch alterndes undvielleicht leidendes Rom vor Augen.

    In der Tat, Gedchtnis hat es stets mit zweierlei Phnomenen zu tun: miteinem realen, doch vergangenen Geschehen, das auf seine Weise fortwirkt, undmit dessen Memoration, die in unablssiger, unkalkulierbarer, doch gleichfallswirkmchtiger Transformation begriffen ist. Als Wahrnehmung aber sind beidekognitive Konstrukte; und jede Kultur ist beider Folgen ausgesetzt. Das Ge-dchtnis indessen drstet nach Gewiheit und konzentriert sich an immer wiederaufgesuchten Orten und wohlbekannten Begegnungssttten, um Dauerhaf-tigkeit zu gewinnen und der Unablssigkeit seiner Transformationen zu entkom-men. Gedchtnisorte sind damit Orte, an denen sich in Form von Erinnerunggegenwrtiges Selbstverstndnis und aktuelle Selbstvergewisserung von Indivi-duen oder Kollektiven manifestieren und in ihrer Ausgestaltung artikulieren. Siegestalten sich als memorative Begegnungssttten mit Menschen, mit Helden undAntihelden, mit Geschehnissen und Erlebnissen, mit Fhigkeiten und Wissen, mitIdeen oder Doktrinen, literarischen Texten oder Rechtsforderungen, mit Sagen,Mrchen und Legenden, mit Hypostasierungen des Guten oder Bsen, mit Reli-gion und Glauben und mit vielem mehr. Die Konstruktion persnlicher oderkollektiver Identitt sttzt sich auf derartige Orte.

  • Solche Erinnerung kann sich der Worte bedienen oder der Rituale, weltlicherPraxis oder religiser Kulte, der Wissenschaft so gut wie des alltglichen Lebens,kann sich kommunikativ artikulieren oder nur in einzelnen, die an ihren subjek-tiven Gedchtnisorten weilen. Vllig dem Wandel entzogen ist auch sie nicht;Gedchtnisorte knnen an Attraktivitt verlieren, knnen versinken und vonneuen verdrngt, umorganisiert und umstrukturiert werden; ihre Architekturkann erneuert werden. Ohne derartige Orte und ein dieselben verbindendesWegesystem aber kommen kein Mensch und keine Gesellschaft, keine Individuenund keine Verbnde aus. Selbstbewutsein und Selbstverstndnis bedrfen ihrerzum Leben. Wer also pflegte das Rom-Gedchtnis im Mittelalter? In welchenFormen geschah es? Was weckte die Erinnerung? Welche Umstnde? WelcheIntentionen waren wirksam? Wie wurde es gehegt? Welche Wirkungen und Fol-gen sind zu verzeichnen? Welches Rom wurde berhaupt memoriert?

    Denn Rom hie vieles: Das Rom der Kaiser und der Heiden, das der Chri-sten und der Mrtyrer, das Rom der Apostelfrsten und des Papstes, der Kircheund der Kleriker, der Reliquienschtze, das Rom der Rmer, das Rom des Senatsund der Republik, das Rom der Pilger und Fremden, das Rom der Bibel und desNeuen Testaments, das der Gelehrten, Literaten und Dichter, der Geschichts-schreiber und der Juristen, das Rom auch der Visionre und Eschatologen, alsBabel und Sndenpfuhl, das eigene und das fremde, das Rom endlich der Ruinen,das schon Alkuin und Johannes Scotus Eriugena im 8./9. Jahrhundert wahrnah-men und besangen ( aurea Roma // Nunc remanet tantum saeva ruina tibi undMoribus et muris, Roma vetusta, cadis1), und das durch das ganze Mittelalter hindurch beweint wurde, das wiedererstandene Rom der Humanisten, der Bau-meister und Knstler Rom war einzigartig. Die reiche Flle seiner Gedenk-horizonte kann hier nicht verfolgt, nicht einmal knapp gestreift werden, obgleichalle diese Gedchtnisorte in Antike und Sptantike bereitet und sie im Mittelalterirgendwie in dem einen real-idealen Gedchtnisraum Rom vereint sein konnten.Hier indessen kann vieles nur angedeutet, noch mehr nicht einmal angesprochenwerden. Das groe Thema Rom und Rom-Memoria im Mittelalter liegt trotzverdienstvoller Vorstudien noch immer brach.2

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    1 Alkuin, Carmina, ed. Ernst Dmmler (MGH Poetae 1), Berlin 1881, 160351, hier230 v. 37/38 (Goldenes Rom, dir bleiben jetzt nur grausige Ruinen.); Johannes Sco-tus Eriugena, Carmina, ed. Ludwig Traube (MGH Poetae 3), Berlin 1896, 51856, hier556 v. 10 (Altes Rom, deine Sitten und Mauern verfallen.).

    2 Manfred Fuhrmann, Die Romidee der Sptantike, in: Historische Zeitschrift 207(1968), 52961; Fedor Schneider, Rom und Romidee im Mittelalter. Die geistigenGrundlagen der Renaissance, Kln u.a. 1959 (unvernderter Nachdruck der Aufl.Mnchen 1925); Walter Rehm, Europische Romdichtung, 2. durchgesehene Aufl.Mnchen 1960; Hubert Jedin, Die deutsche Romfahrt von Bonifatius bis Winckel-mann (Bonner Akademische Reden 5), Krefeld 1978; Gerd Tellenbach, Die Stadt Rom

  • Die folgende Skizze umreit in keiner Weise Gedchtnisorte der gegenwrti-gen Deutschen, sie mgen sich noch so intensiv Rom, dem Reich, dem Papst,einer noch so rmischen Erinnerungssttte zuwenden und noch so nachhaltig anRom appellieren. Der Abri wird sich vielmehr allein mit Vorstellungen, Er-wartungen, Hoffnungen oder Zielen mittelalterlicher Autoren und Herrscherbefassen; und er wird auch dies nur insoweit tun, als diese Erwartungen oderZiele sich auf das Imperium Romanum konzentrierten, das dem lateinischenWesten in mancherlei Weise als Gedchtnisort diente, als eine ideale Sttte derSelbstdeutung und Selbstvergewisserung, als handlungsleitendes Wissen oder alsGegenfolie zu eigener Macht- und Herrschaftsinszenierung. Diese Beschrnkungbietet freilich den Vorteil, da sie sich auf eine glnzende Synthese zur Reichsidee(Lide dempire) aus der Feder von Robert Folz sttzen kann.3

    Folz umri die Reichsidee der Karolinger und der Ottonen, verwies auf dieimperialen Attitden des apostolischen Stuhls und auf die stadtrmischen Er-neuerungskonzepte, auch auf die Reichsmystik zumal in der Zeit der Staufer unddie Reichsidee jenseits aller Realitten. Ausdrcklich sieht sich die Eschatologiebercksichtigt.4 Sie gab in der Tat ein starkes und fr Jahrhunderte prsentesMotiv fr das Rmische Reich als Gedchtnisort und war wohl noch nachhalti-ger wirksam, als Folz annahm. Solange das Reich fortbestehe, kme der Abfallnicht. So hatte Paulus gelehrt; und seine Botschaft blieb im Mittelalter stets pr-sent, reflektiert und folgenreich. Der Fortbestand des Reiches, so legten es dieSpteren aus, schob den Untergang auf. In der Tat, seit Karl dem Groen erff-nete die Erneuerung des Rmischen Reichs immer auch endzeitliche Perspek-tiven. Zumal unter Otto III., aber auch unter den Staufern wurde es deutlich.

    Soweit es das Imperium betrifft, lassen sich drei oder vier Erinnerungsfeldertheoretisch auseinanderhalten: 1) die reale mittelalterliche Kaiserherrschaft, diesich erst ber das Frankenreich, sodann ber das nordalpine Regnum Teutoni-cum und ber Italien erstreckte, doch auch den Schutz des Papstes und seiner

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    in der Sicht auslndischer Zeitgenossen, in: ders., Ausgewhlte Abhandlungen undAufstze, Stuttgart 1988, Bd. 1, 265304; Gerd Tellenbach, Kaiser, Rom und Renova-tio. Ein Beitrag zu einem groen Thema, in: ders., Ausgewhlte Abhandlungen undAufstze, Stuttgart 1988, Bd. 2, 77092; Eberhard Nellmann, Die Reichsidee in deut-schen Dichtungen der Salier- und frhen Stauferzeit (Philologische Studien und Quel-len 16), Berlin 1963.

    3 Robert Folz, Lide dEmpire en Occident du Ve au XIVe sicle (Collection histori-que), Paris 1953. Nichts mit unserer Thematik hat trotz des Titel zu tun: JrgenSchatz, Imperium, Pax et Iustitia. Das Reich Friedensstiftung zwischen Ordo, Reg-num und Staatlichkeit (Beitrge zur Politischen Wissenschaft 114), Berlin 2000.

    4 Folz (s. Anm. 3), 56; 12832; 2134. Dazu jetzt: Hannes Mhring, Der Weltkaiser derEndzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjhrigen Weissagung (Mit-telalter-Forschungen 3), Stuttgart 2000.

  • Patrimonien mit einschlo; 2) die Erinnerung an das antike Rom und seineKaiser von Augustus und Nero bis zu Konstantin, Theodosius und Justinian;sowie 3) die westliche Kaiserdoktrin, wie sie sich seit den Erneuerungen des Kai-sertums durch Karl und Otto, die beiden Groen, entwickelte und wie sie seitder Rezeption des rmischen Rechts im ausgehenden 11.Jahrhundert durch dieLegistik ausgestaltet wurde. Alle drei Linien Erfahrung, Erinnerung und dietheoretische Reflexion partizipierten 4) an einem seit der augusteischen Zeitnicht erloschenen Mythos der Roma aeterna, der Aurea Roma, des Caput mundiund der Orbis domina. Schlielich gab es auch Gegenstimmen, die von einerErneuerung Roms nichts wissen wollten oder eine solche sogar ablehnten. Allediese Entwicklungen und auch die eingangs angedeuteten durchdrangen einanderwechselseitig, steigerten damit ihre Wirkung und lieen sich in ihrer jeweiligenWahrnehmung durch die Zeitgenossen nicht immer scharf voneinander trennen.Sie werden nachfolgend denn auch gemeinsam betrachtet und nicht systematischvoneinander geschieden. Vier Phasen seien ins Zentrum gerckt: die Erneuerun-gen des Kaisertums je unter Karl und Otto und dessen unmittelbaren Nachfol-gern, dazu die Epochen Friedrich Barbarossas und Friedrichs II.

    Das westrmische Kaisertum war mit der Absetzung des letzten KaisersRomulus Augustulus durch den Skirenknig Odoaker im Jahr 476 untergegan-gen: Hesperium Romanae gentis imperium cum hoc Augustulo periit; 5 allein imOsten bestand es fort. Die Barbarenknige ein Theoderich oder Chlodwig respektierten dieses Kaisertum, beanspruchten fr sich keine kaiserlichen Ehrenund begngten sich damit, in je unterschiedlicher Weise in die Hierarchie deskaiserlichen Zeremoniells eingebunden zu sein. Damit aber standen sie nichtauerhalb des Imperiums. Rckblickend gestaltete denn auch der erste Ge-schichtsschreiber im Frankenreich, der Bischof Gregor von Tours, die TaufeChlodwigs nach dem Muster der Taufe Konstantins. Im 7.Jahrhundert lt sichdann bei dem sog. Fredegar erstmals die frnkische Troja-Sage nachweisen, die inden Franken so gut wie in den Rmern die Nachkommen der Trojaner sah, beidemithin zu Brdern erklrte. Doch bereits im frheren 9. Jahrhundert spottete derGeschichtsschreiber und Nichtfranke Frechulf ber solche Fabeln. Sie bliebendennoch lebendig. Durch Justinians Eroberungen partizipierte Italien bis in diekarolingische Zeit noch einmal an diesem Rmischen Reich und garantierte dieAnwesenheit des in Ravenna residierenden Exarchen fr weitere zwei Jahrhun-derte eine verblassende Erinnerung an kaiserliche Gegenwart und imperialesZeremoniell. Erst die Langobarden setzten auch dieses Restreich und zumal die

    Johannes Fried4

    5 Marcellinus comes, Chronicon ad a. DXVIII continuatum ad a. DXXXIV, ed. Theo-dor Mommsen (MGH AA 11), Hannover 1894, 37104, hier 91 (Das westliche Reichdes rmischen Volkes ging mit diesem Augustulus zugrunde.).

  • Stadt Rom strker und strker unter Druck, dem beide auf Dauer zu erliegendrohten.

    Lngst hatte zudem die rmische Kirche begonnen, sich dem Kaisertumanzugleichen, obwohl die Imitatio imperii erst im Constitutum Constantini ex-plizit thematisiert wurde, in jener Flschung auf Konstantin den Groen mithin,die, sehe ich recht, frnkischen Autoren und der Zeit um 830/835 zuzuweisenist.6 Doch bereits im frhen 5.Jahrhundert galt der Apostel Petrus als PrincepsApostolorum, geradezu als Kaiser der Apostel, und ahmte das ppstliche Zere-moniell in Kult, Liturgie, Kleidung, Palastordnung und Prozessionswesen daskaiserliche nach; und als im 7. und 8.Jahrhundert die ostrmischen Kaiser, derExarch oder der Stratege Siziliens sich nicht mehr in der Lage sahen, die rmi-schen Reichsgebiete vor den Langobarden wirksam zu schtzen, verselbstndigtesich faktisch die weltliche Herrschaft des Bischofs von Rom. Es entstand daseigentmliche Gebilde der sancta Dei ecclesia (oder des sanctus Petrus) rei publi-cae Romanorum, das sich mehr und mehr aus dem rmisch-byzantinischen Reichemanzipierte. Die quasi-imperiale Ausgestaltung des Lateran (etwa mit zwei Tri-klinien unter Leo III.) und des Campus Lateranensis (etwa mit der Einbeziehungantiker Spolien, der kapitolinischen Lupa, dem Reiterbild Mark Aurels als Ca-ballus Constantini oder der ehernen Gesetzestafel der Lex de Imperio) machtenes weithin sichtbar.7

    Zum Schutz vor den Langobarden suchten die Ppste als Nachfolger Petriund als Bischfe der rmischen Kirche die Untersttzung durch Pippin und seineShne Karl und Karlmann, indem sie ihnen den Schutz dieser Kirche bertrugenund sie mit einem Titel ehrten, der Gewohntes mit Neuem verschmolz: PatriciusRomanorum.8 Die Rechtsgrundlage dieses Aktes und seine Rechtsfolgen sind

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    6 Johannes Fried, The Donation of Constantine and the Constitutum Constantini:The Misinterpretation of a Fiction, its Original Meaning and the Lateran Palace (Mil-lennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. = Millen-nium Studies 3), Berlin, New York 2006.

    7 Ingo Herklotz, Der Campus Lateranensis im Mittelalter, in: Rmisches Jahrbuch frKunstgeschichte 22 (1985) 143, hier 212; ders., Gli eredi di Costantino. Il papato, il Laterano e la propaganda visiva nel XII secolo, Rom 2000, 4194, hier 5965.

    8 Zu der eigentmlichen Zwitterstellung des Patricius Romanorum zwischen alt undneu vgl. Erich Caspar, Pippin und die rmische Kirche. Kritische Untersuchungenzum frnkisch-ppstlichen Bunde im VIII. Jahrhundert, Berlin 1914, 1813; PeterClassen, Karl der Groe, das Papsttum und Byzanz. Die Begrndung des karolingi-schen Kaisertums. Nach dem Handexemplar des Verfassers hrsg. von Horst Fuhr-mann und Claudia Mrtl (Beitrge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittel-alters 9), Sigmaringen 1985, 212; z.T. abweichend: Hans Hubert Anton, Soliumimperii und Principatus sacerdotium in Rom, frnkische Hegemonie ber den Okzi-dent/Hesperien. Grundlagen, Entstehung und Wesen des karolingischen Kaisertums,

  • hchst zweifelhaft; eine kaiserliche Besttigung der Titelverleihung lag ebenso-wenig vor, wie aus ihr Herrschaftsrechte ber die res publica Romanorum flossenoder flieen sollten. Mit dem ostrmischen Kaisertum hatten diese Patrizier jeden-falls nichts zu schaffen; sie bekleideten ein neues Amt, das sich gleichwohl undnicht zuletzt durch seinen Namen in einem kaiserlichen Gedchtnisort einnistete.

    Die entscheidende Wende trat bekanntlich mit Karl dem Groen ein, als er,durchaus im Einvernehmen mit dem Papst Hadrian I., im Jahr 774 das Langobar-denreich eroberte und seine Herrschaft damit bis an die Grenzen des res publicaRomanorum ausdehnte. Umgehend, noch vor der Einnahme Pavias, eilte er nachRom und alsbald auch fgte er, der, ohne es zu bernehmen, seit seiner Kindheitseitens der Ppste Patricius Romanorum genannt wurde, seinen frnkischen undlangobardischen Knigstiteln erst sporadisch, dann kontinuierlich diesen rmi-schen Titel hinzu. Er gab demselben damit einen neuen Sinn, der gleichsam ausjenem imperialen Gedchtnisort herauswuchs und sich schwerlich mit jenemdeckte, den die Ppste wnschten oder die Kaiser in Konstantinopel akzeptier-ten, der sich dennoch ohne Zweifel unmittelbar auf Rom und seinen Dukat er-streckte.

    Der rmische Bischof empfing diesen frnkischen Patricius der Rmer stan-desgem, gleich einem Exarchen, dem Vertreter des Kaisers. Das hie freilichnicht, da Hadrian den Frankenknig, gar dieser sich selbst als einen solchenbetrachtete. Doch durfte Karl, nachdem er dem Papst Sicherheit geschworenhatte, die Stadt betreten eine Gunst, wie sie keinem Langobardenknig je zuteilgeworden war; er residierte indessen nicht wie frher der Exarch auf dem Palatin,mithin innerhalb der Aurelianischen Mauern, sondern nahm in einer eigens her-gerichteten Pfalz bei St. Peter Wohnung. Nach seiner Kaiserkrnung sollte er esebenso halten. Karls imperialer Gedchtnisort Rom nahm seine eigene Gestaltan. Byzanz indessen, das in jenen Jahren erstmals und nicht ohne innere Span-nungen von einer Kaiserin, Irene, regiert wurde, mute in seiner Schwche dasendgltige Abdriften Roms aus dem rmischen Reich hinnehmen; es entsandtekein Heer und keine Flotte, um sich den Franken zu widersetzen. Im Gegenteil,Irene suchte den Frieden mit ihnen und anerkannte die eingetretene Entwicklungfrmlich, als sie ihren Sohn Konstantin VI. mit Karls Tochter Rothrud verlobte(781).

    Vieles, was damals geschah, war in seiner Gesamtheit neu; aber es prsentiertesich mit zahlreichen Anspielungen auf das Gewohnte. Doch blieb auch das Altein Kontamination mit dem Neuen mit sich nicht identisch. Damit zeigt sich auch

    Johannes Fried6

    in: Von Sacerdotium und Regnum. Geistliche und weltliche Gewalt im frhen undhohen Mittelalter. Festschrift fr Egon Boshof zum 65. Geburtstag, hrsg. von Franz-Reiner Erkens und Hartmut Wolff, Kln u.a. 2002, 20374; doch folge ich AntonsHypothesen nicht.

  • das kulturelle Gedchtnis in schleichender Transformation. Der GedchtnisortRom machte dabei keine Ausnahme; er nderte gleichsam seine Architektur.Fortan schwand das griechische Element in der Stadt bis auf wenige Reste voll-ends, regierte fr die Rmer in Konstantinopel nicht mehr der eigene Kaiser, son-dern ein fremder Herrscher, muten die Ppste sich mit den Knigen des Westensarrangieren und verstrkten sie die Bemhungen um eigene, weltliche Herrschaftund damit die Imitatio imperii.

    Karl seinerseits begngte sich mit Erbe und Eroberungen nicht. Er, der zweiKnigreiche regierte, seine jngeren Shne Pippin und Ludwig zu Knigen frItalien und Aquitanien hatte salben lassen, der (so hielt es im Jahr 791/792 dasOpus Caroli regis adversus synodum, die sog. Libri Carolini, fest) ber zahlreichermische Provinzen gebot,9 der (so registrierten die dem Hof nahestehendenAnnales Laureshamenses zum Jahr 801) ber smtliche alten Kaisersitze desWestens verfgte: ber Trier, Arles, Mailand und Ravenna, und dem selbst Romnicht verschlossen blieb, er trug fortan Rom im Herzen: Rmische Liturgie,rmisches Kirchenrecht, rmischer Apostelkult, rmisches Martyrolog, rmi-sche Bildung, rmische Ordnung alles flo an diesem Ort zusammen. Undauch die hchste weltliche Wrde, ber die dieser universale Gedchtnisort ver-fgte, blieb von dieser memorativen Romprsenz nicht ausgeschlossen.

    Was dieser Franke indessen von Rom und seinem Imperium tatschlichwute, bevor er selbst die ewige Stadt betrat und gar im Jahr 800 dort zum Kai-ser gekrnt wurde, mit welchen imperialen Erwartungen und Handlungsimpul-sen er damals an den Tiber zog, welchen Gedchtnisort Karl also aufsuchte, welche Folgen es zeitigte, das alles knnen wir nur vermuten. Selbstaussagen fehlen von den knappen Hinweisen der Libri Carolini abgesehen vllig. Zweifel-los kannte Karl das Weihnachtsevangelium mit seiner Evokation des KaisersAugustus, auch die eschatologische Bedeutung des rmischen Reiches, wie siesich in der Paulus-Exegese etabliert hatte, war ihm nicht verborgen geblieben;gewi auch wird die Silvesterlegende von Konstantins Taufe und postbaptis-malem Traum ihm vertraut gewesen sein und berhaupt die Vorbildlichkeit Kon-stantins des Groen; wahrscheinlich kannte Karl auch rmische Rechtstexte.Welche Historien der Frankenknig aber tatschlich zur Kenntnis genommenhatte, welche imperialen Ideen und Praxen, wie er sie gelesen hatte, das ist so un-klar wie sein Rombild. Aus Augustinus Civitas Dei habe er sich seit wann? vorlesen lassen, so berichtete sein Biograph Einhard; die Historien des Orosiusund des Beda Weltgeschichte drften ihm nicht fremd gewesen sein. Das Rom-

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    9 Opus inlustrissimi et excellentissimi seu spectabilis viri Caroli, nutu Dei regis Fran-corum, Gallias, Germaniam Italiamque sive harum finitimas provintias Domino opi-tulante regentis , Theodulf von Orlans, Opus Caroli regis contra synodum (LibriCarolini), ed. Anne Freeman (MGH Concilia 2, Suppl. 1), Hannover 1998, hier 97.

  • bild dieser drei Werke war freilich eher widersprchlich. Der Geschichtsschrei-ber Paulus Diaconus von Montecassino, der einige Jahre an Karls Hof lebte, wirdihn mit der Geschichte der Langobarden und Rmer vertraut gemacht haben; daseine oder andere Geschichtswerk knnte zustzlich noch hinzugekommen sein.An Romulus Augustulus, den letzten westrmischen Imperator, anzuknpfen,wird Karl schwerlich erstrebt haben; doch auch der groe Gesetzgeber Justinian,der Italien und Rom gleichsam den Griechen ausgeliefert hatte, trat nach Aus-weis der erhaltenen Quellen und anders als im hohen Mittelalter berhaupt nichtin den Blick dieses Franken. Irgendwie wird aber das byzantinisch-ostrmischeVorbild eine Rolle gespielt haben; gerade mit ihm setzte sich das Opus Caroliregis adversus synodum auseinander. Doch das alles bleibt vage und spekulativ.

    Allein das Bildprogramm der Aula regia in Ingelheim, wie es durch Ermol-dus Nigellus berliefert ist, drfte einiges ber Karls Selbstverstndnis am Vor-abend seiner rmischen Krnung verraten.10 Der an des Orosius Vier-Weltreiche-Lehre angelehnte Bildzyklus entstand nmlich, wie ich meine, noch vor der Kai-serkrnung.11 Gleichwohl bot er ein Geschichts- und Identittskonstrukt, das diewelthistorisch-universale Bedeutung Roms in mehreren Szenen ansprach. Dieeine Wand der Halle zeigte danach heidnische Herrscher von Cyrus und Ninus

    Johannes Fried8

    10 In honorem Hludowici christianissimi caesaris augusti Ermoldi Nigelli exulis elegiacicarminis IV, ed. Ernst Dmmler (MGH Poetae 2), Berlin 1884, v. 24582, 656; Er-mold le Noir, Pome sur Louis le Pieux et pitres au roi Ppin, ed. Edmond Faral (Les Classiques de lhistoire de France au moyen ge 14), Paris 1964, v. 212663,1625. Ich zitiere im folgenden allein die Ausgabe Dmmlers. Zum Bildprogramm:Walther Lammers, Ein karolingisches Bildprogramm in der Aula regia von Ingelheim,in: Festschrift fr Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag, Bd. 3, Gttingen 1972,22689; wieder (und danach zitiert) in: ders., Vestigia Mediaevalia. Ausgewhlte Auf-stze zur mittelalterlichen Historiographie, Landes- und Kirchengeschichte (Frank-furter Historische Abhandlungen 19), Wiesbaden 1979, 21983, hier bes. 24772.

    11 Zur Datierung: Lammers, Ein karolingisches Bildprogramm (s. Anm. 10), 227 mitAnm. 33 und 272. Danach ist der Terminus ante quem fr die Vollendung der Pfalzdas Jahr 807, ist Karls Kaiserkrnung nicht nur vorausgegangen (vgl. 265), sondernhatte der Nachfolger Ludwig bereits den Thron bestiegen (272). Doch drfte dasBildprogramm vor Karls Kaiserkrnung (800) zu rcken sein. Denn dieser Frankeerscheint nach den von Ermoldus berlieferten Bildtituli lediglich als Sachsensiegerund trotz der wiederholten Rom-Evokation des Bildzyklus gerade nicht als Kaiser.Da karolingische Herrscherbilder auch vor der rmischen Krnung en face und mitKrone mglich waren, verdeutlichen etwa die bekannten rmischen Mosaiken (PercyErnst Schramm, Die deutschen Kaiser und Knige in Bildern ihrer Zeit 7511190.Neuauflage unter Mitarbeit von Peter Berghaus, Nikolaus Gussone, FlorentineMtherich, hrsg. von Florentine Mtherich, Mnchen 1983, Abb. 78). Die abschlie-ende Doppelung des Karlsbildes im Zyklus der Aula schliet meiner Meinung nachaus, da der Zyklus erst unter (dem bildlos gebliebenen) Ludwig dem Frommen ent-standen ist.

  • bis Alexander den Groen, dazu auch die Grndung Roms und zuletzt (vielleichtbegleitet von einer Augustus-Darstellung): wie die rmische Herrschaft zumGipfel wuchs (Ut Romana manus crevit et usque ad polum, IV,266); die andereSeite war den Christen gewidmet und vereinte die Taten rmischer Caesaren mitden Taten der Franken (Caesareis actis Romanae sedis opimae // Iunguntur Francigestaque mira simul, IV,26970). Sie setzte mit Konstantin ein, der Rom ausLiebe zu der wunderschnen Maid Constantinopolis verlie (Romam dimittitamore12, IV,271), um die Stadt Konstantinopel zu grnden, fhrte ber Theodo-sius zu Karl Martell als dem Sieger ber die Friesen, zu Pippin als dem ErobererAquitaniens und endlich zu Karl dem Groen, der mit zweifachem Bild ver-gegenwrtigt war: als Herrscher im Schmuck der Krone und als Sachsenbezwin-ger (IV,27982).

    Sollte dieser Sieg ber Heiden, wie angenommen werden darf, mit dem Jahr798 in Verbindung zu bringen sein, als Karl mit der Niederwerfung der Nord-albingier den Sachsenkrieg victor iterum remeavit Franciam fr beendet hal-ten mochte,13 wenn nicht schon mit dem Jahr 785, als die Reichsannalen ausAnla von Widukinds Taufe jubelten, ganz Sachsen (sei) unterworfen (tunctota Saxonia subiugata est), und der Knig in Rom den Papst Hadrian um Dank-gebete bat,14 dann besen wir mit den Ingelheimer Fresken ein einzigartiges

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 9

    12 Amore bezieht sich meiner Meinung nach weder auf den Papst Silvester (so Dmmlerin seiner Edition von Ermoldus Nigellus, MGH Poet. Lat. 2, 66 Anm. 1), noch bedeu-tet es aus eigenem Entschlu und Neigung (so Lammers, Ein karolingisches Bild-programm (s. Anm. 10) 259), sondern bezieht sich auf jene beiden Trume Konstan-tins, die ihn Konstantinopel grnden lieen, wie sie manche Handschriften der Actusb. Silvestri berliefern und bereits Aldhelm, De virginitate, in: ed. Rudolf Ehwald(MGH AA 15), Berlin 1919, 226323, hier 2589 zu Beginn des 8. Jahrhunderts kannte. Danach erfreute sich Konstantin zchtig (casta contemplatione) an eineriuvencula pulcherrima velut rubicundo venustae pubertatis flore rubescens: eben demvon ihm erneuerten Byzantium-Constantinopolis. Dazu demnchst Fried (s. Anm. 6).

    13 Zitat: Annales Petaviani zu 798, ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 1), 1518, hier18, ein annhernd gleichzeitiger Eintrag; die spteren Annalen kennen bereits denFortgang des Sachsenkrieges, vgl. Annales Laureshamenses zu 798, ed. Georg Hein-rich Pertz (MGH SS. 1), 2239, hier 37; Annales regni Francorum inde ab a. 741 usquead a 829, qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi, ed. Friedrich Kurze(MGH SS rer. Germ. [6]), hier 1025; zusammenfassend: Matthias Becher, Karl derGrosse, 2. durchgesehene Aufl., Mnchen 2000, 7172; vgl. auch Johannes Fried,Papst Leo III. besucht Karl den Groen in Paderborn oder Einhards Schweigen, in:Historische Zeitschrift 272 (2001) 281326, hier 3089 mit Anm. 89.

    14 Die immer wieder bemhte Stelle in Einhards Vita Karoli, c. 17 (Einhard, Vita KaroliMagni, ed. Georg Waitz und Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. [25], Han-nover 1911, 20) wonach Karl das Palatium in Ingelheim begonnen habe (inchoavit)besagt nichts ber die Bauzeit und den Fortgang der Arbeiten. Die gesamte Pfalz-anlage war ausgesprochen weitrumig und gebudereich; die Aula regia wird gewi

  • Zeugnis ber den Gedchtnisort Rom im Umfeld des Hofes und seines Herrnnicht allzulange oder unmittelbar vor dessen Kaiserkrnung und aus der Zeit, alsder Frankenknig mit der Imperatissa Irene tatschlich ber das Imperium ver-handelte.15 Rom, wo die Caesaren immer zu residieren gepflegt hatten, hatteKonstantin aus Liebe verlassen, Gott aber mit den anderen Kaisersitzen desWestens in Karls Gewalt gegeben; dies letzte registrierten die Lorscher Anna-len als Argument fr die Kaiserkrnung (zu 801).16 Der Karolinger schickte sichtatschlich an, dort wieder, in Rom, und zwar als Kaiser einzuziehen. Die rmi-sche Geschichte mndete danach geradezu in die Geschichte der Franken unddiese vereinte sie beide. Sie fhrte in christlicher Zeit unmittelbar von Konstantinzu Karl.

    Sptestens seit 798 trachtete Karl nach dem Imperium.17 Die Kaiserin Ireneschien es ihm bereits zuzugestehen. Es sollte indessen anders kommen. Aufrh-rerische Vorgnge in Rom verlangten Karls Eingreifen und dasselbe mndete amWeihnachtstag des Jahres 800 in die Kaiserkrnung durch den Papst Leo III. Das

    Johannes Fried10

    nicht der letzte Bauteil gewesen sein, der begonnen wurde. Immerhin fand im Jahr788 in Ingelheim der groe Proze gegen den Bayernherzig Tassilo statt und schon imJahr zuvor hatte Karl Weihnachten, anschlieend Ostern in Ingelheim gefeiert; diePfalz drfte damals bereits in einem reprsentablen Zustand gewesen sein. Als Pala-tium ist Ingelheim erstmals zum Jahr 807 berliefert, was wenig besagt, da fr dieJahre seit 788 nur beilufig zwei Herrscherbesuche erwhnt wurden, und die Reichs-versammlung des Jahres 807 berhaupt der einzige bekannte Besuch des Kaisers inden letzten anderthalb Jahrzehnten seiner Regierung war. Man wird aus diesen spr-lichen Hinweisen nichts ber den Fortgang des Baues deduzieren drfen. Vgl. zu die-sem gesamten Komplex trotz jngerer und jngster Grabungen noch immer: PeterClassen, Die Geschichte der Knigspfalz Ingelheim bis zur Verpfndung an Kurpfalz1375, in: Ingelheim am Rhein. Forschungen und Studien zur Geschichte Ingelheimsvon Kurt Bhner u.a., Ingelheim am Rhein 1964, 87146, hier 916. Immerhinwurde auf dem Gelnde der Pfalz der bislang einzig bekannte Solidus Karls desGroen gefunden, eine Arleser Prgung von 812/14 von ca. 4,2 g Gold; gute Abb. beiDieter Hgermann, Karl der Grosse. Herrscher des Abendlandes. Biographie, 2. Auf-lage, Berlin 2000, nach 288. Die Titulatur knnte lauten: DN KARLUS IMP AUGREX FEL (?).

    15 Dazu Fried (s. Anm. 13), 30815.; z.T. anders: Rudolf Schieffer, Neues von der Kai-serkrnung Karls des Groen (Bayerische Akademie der Wissenschaften Phil.-Hist.Klasse. Sitzungsberichte 2004,2), Mnchen 2004.

    16 Annales Laureshamenses (s. Anm. 13) 38: (Carolus) qui ipsam Romam tenebat, ubisemper Caesaras sedere soliti erant quia Deus omnipotens has omnes sedes in potestate eius concessit. Vgl. Das Wiener Fragment der Lorscher Annalen u.a. CodexVindobonensis 515 der sterreichischen Nationalbibliothek. Facsimileausgabe, Ein-fhrung und Transkription Franz Unterkircher (Codices selecti 15), Graz 1967, 39und fol. 3v4r.

    17 Fried (s. Anm. 13).

  • Krnungszeremoniell war neuartig, obgleich es auch Vertrautes Akklamation,Bekleidung mit der Purpurchlamys und Krnung durch den Patriarchen bemhte. Das Ritual orientierte sich an byzantinischen, mithin an rmischenGebruchen, wich aber zugleich in auffallender Weise von ihnen ab. Wieweit esmit Karl abgesprochen war, ist ungewi, obgleich der Knig von dem Geschehennicht wirklich berrascht gewesen sein kann. Eine Kaisersalbung war in Kon-stantinopel so unbekannt wie in der christlichen Antike. Der zeitgenssischebyzantinische Geschichtsschreiber Theophanes (zu A.M. 6289) spottete darob:Der Papst habe den Franken von Kopf bis Fu mit Olivenl gesalbt.18 Konsti-tutiv freilich waren auch in Karls Fall weder die Krnung noch die Salbung, viel-mehr die Akklamation durch die Rmer, deren formelhafter Zuruf sich unterVerwendung frnkischer Elemente wiederum an byzantinisch-rmische Vorbil-der anlehnte: (Exaudi Christe!) Karolo piissimo Augusto a Deo coronato magno etpacifico imperatore vita et victoria!19 Karl, dem frommen, von Gott gekrntenAugustus, dem groen und friedenbringenden Kaiser, Leben und Sieg! Dochsollte knftig das kirchliche Ritual die Tradition berlagern und das bisherigeZeremoniell bald ganz verdrngen mit erheblichen Folgen fr Kaisertum undPapsttum im Mittelalter. Derartiges freilich hatte nicht in Karls Sinn gelegen.

    Wie dem aber sei, Karl hatte sich in dem Gedchtnisort Rom festgesetzt; seinKaisertum sollte es manifestieren. Bisher verfgte er nur ber einen vagen Rechts-titel ber Rom, den Papst und Frankenknig je anders interpretieren mochten.Nun aber suchte er systematisch nach einem echten, nmlich wirklich vonrmischen Imperatoren benutzen Kaisertitel, der explizit auf Rom verwies.20

    Wiederum sah sich Altes mit Neuem verschmolzen. Das Ergebnis war so neu wieder ganze Erhebungsakt. Der endlich gefundene Kaisertitel vereinte rmischesImperium mit frnkischem und langobardischem Knigtum. In seiner endglti-gen Fassung lautete er:

    Karolus serenissimus Augustus a Deo coronatus magnus pacificus imperator Romanumgubernans imperium qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorum.

    Obgleich das Imperium den Knigsherrschaften vorangestellt war, mochte esscheinen, als bestnde dieses Imperium Romanum lediglich aus den neugewon-nenen italienischen Provinzen und habe Karl blo additiv den rmischen Herr-

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 11

    18 Classen (s. Anm. 8), 68 und 84. 19 Vgl. Classen (s. Anm. 8), 66. Das Eingeklammerte ist in Analogie zu den frnkischen

    Laudes zu dem sonst dem aus dem Liber Pontificalis, ed. Louis Duchesne, Bd. 2, Paris1892, hier 7, entnommenen Zuruf beigefgt.

    20 Peter Classen, Romanum gubernans imperium. Zur Vorgeschichte der KaisertitulaturKarls des Groen, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 9 (1952),10321; zuletzt in: ders., Ausgewhlte Aufstze, Sigmaringen 1983, 187204.

  • schaftsteil zu der frnkischen und der langobardischen Knigswrde hinzu-gefgt. Vielleicht artikulierte sich in dieser Geste Rcksicht auf den Stolz derFranken. Doch Karls Kaiserbulle korrigierte den Eindruck; sie propagierte dieRenovatio Romani imperii und ihr Revers reprsentierte in schematischem Bilddie Stadt Rom: ROMA21. Hier war mehr intendiert als bloe Addition von Herr-schaftsgebieten. Mit weit ausholendem antikisierendem Caesarengestus prsen-tierte sich auch Karls erste Nachfolgeordnung nach Erlangung der Kaiserkrone(806):

    Imperator Caesar Karolus rex Francorum invictissimus et Romani rector imperii piusfelix victor ac triumphator semper augustus omnibus fidelibus sanctae Dei aecclesiae etcuncto populo catholico presenti et futuro gentium ac nationum que sub imperio etregimine eius constitute sunt.22

    Es ist das einzige Zeugnis dieser Art, das sich erhalten hat. Ob und wie vielegleichartige Karls Hof verlieen, ist in keiner Weise zu erkennen. Als spter (831)unter seinem Sohn und Nachfolger diese Teilungsformel noch einmal hervor-geholt wurde, verzichtete Ludwig auf die anspruchsschwere Intitulation.23 Lud-wigs Historiographen aber beherrschten auf Dauer die Erinnerung an dengroen Karl.

    Kritik meldete sich frhzeitig. Alkuin etwa gab seinem nach Rom eilendenKnig die Idee eines Imperium christianum mit auf den Weg; Erfolg hatte erdamit nicht. In der Tat, wie immer Karl Rom erinnerte, wie nachdrcklich erauch eine Renovatio Romani imperii anstrebte, sein Reich galt nicht als ein er-neuertes Imperium Romanum, auch wenn es rmisches Kaisertum beanspruchte;es blieb ein Frankenreich, nur der Herrscher war rmischer Kaiser. Der Kaiseraber machte das Kaisertum; Imperium ab imperatoribus dictum, so liee sich inAnalogie zu Isidors von Sevilla Etymologie des Regnum formulieren. Allein derImperator machte auch sein Reich zu einem Imperium. Ludwig der Frommebernahm denn auch nicht die Romanum gubernans imperium-Formel; semanti-sches Gedchtnis, episodische Konstellation und kognitive Operationskonditionspielten anders zusammen als unter seinem Vater. Er, dieser Franke, der fast ein

    Johannes Fried12

    21 Schramm (s. Anm. 11), 149 Nr. 5.22 Capitularia regum Francorum, ed. Anton Boretius (MGH Capit. 1), Hannover 1883,

    12630 Nr. 45, hier 126 Anm. a. Die meisten erhaltenen Abschriften weisen diesesIntitulation auf, vgl. zur berlieferung demnchst Matthias T. Tischler, Die Divisioregnorum von 806 zwischen handschriftlicher berlieferung und historiographischerRezeption, in: Herrscher- und Frstentestamente im westeuropischen Mittelalter,hrsg. von Brigitte Kasten; der Band soll in der Reihe Norm und Struktur erschei-nen.

    23 Divisio regnorum: Capitularia regum Francorum, ed. Anton Boretius (MGH Capit. 2),Hannover 1897, 204 Nr. 194.

  • Sugling noch in der Rom-fernen Umwelt der Westgoten erzogen und soziali-siert worden war, verzichtete berhaupt auf jede namentliche Benennung seinesKaisertums. Als er wider Erwarten die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte,verlangte es ihn nach der Erneuerung des Frankenreichs, wie Rom-los seineKaiserbulle verkndete.24 Rom, die aurea Roma, war da nur eines der Regnaunter Ludwigs Imperium, so sah es Ermoldus Nigellus in seinem Lobgedicht aufden Frommen.25 Diese Haltung sollte sich frs erste durchsetzen. Das Reich warein Frankenreich und kein Imperium Romanum. Gleichwohl hatte Karl eine Tra-dition begrndet, die den Gedchtnisort Rom bis zum Jahr 1806 immer wiederevozieren sollte. Doch nicht immer ist zu erkennen, ob und wieweit bewut an die rmischen Caesaren erinnert wurde oder lediglich die Tradition des frn-kisch-mittelalterlichen Kaisertums fortwirkte, wie sie etwa die goldene Scheidedes Reichsschwertes aus dem spteren 11.Jahrhundert vor Augen fhrt.

    Die Geschichte des karolingischen Kaisertums und seiner Nachfolger in Italien sei hier nicht weiter verfolgt, auch wenn mit Ludwig II., einem Urenkeldes groen Karl, der Rmername noch einmal mit dem Kaisertitel in Verbindunggebracht wurde. Doch dies war keine Gedchtnisfigur, vielmehr eine Kampfansagean Byzanz, dessen Kaiser sich seinerseits seit Karls des Groen Zeit Kaiser derRmer (Basileus (ton) Rhomaion) nannte, um den eigenen Anspruch gegenberdem frnkischen Usurpator zu betonen. Ludwigs Reich wurde auch jetzt durchden Imperator Romanorum kein Imperium Romanum. Der Kaiser betonte mitdem Titel seine faktische Herrschaft ber die Stadt Rom und ihren Dukat, diedem Griechen vorenthalten blieb. Das rmische Reich hatte die Stadt verlas-sen: Tempore iam longo, Roma misella fores // Transiit imperium mansitquesuperbia tecum // Cultus avaritiae te nimium superat, so dichtete Johannes Sco-tus Eriugena.26 Allein, Rom war mehr als jeder andere Kaisersitz, deren keiner innmlicher Weise hervorgehoben wurde wie diese einzig ewige Stadt. So klangim Namen Roms zugleich immer auch die Erinnerung an das Rmische Impe-rium mit an selbst in den schweren Zeiten des Niedergangs um 900, als etwa derDichter Eugenius Vulgarius ppstliche Renovatio-Hoffnungen nhrte, die indes-sen trotz imperialer Sprache auf keine Reichserneuerung zielten.27

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 13

    24 Schramm (s. Anm. 11), 157 Nr. 14. 25 Ermoldus Nigellus, ed. Dmmler (s. Anm. 10), v. II,7980: Francia plaude libens,

    plaudat simul aurea Roma // Imperium spectant cetera regna tuum. 26 Johannes Scotus Eriugena, Carmina, ed. Ludwig Traube (MGH Poetae 3), Berlin

    1896, 51856, hier 556 vv. 14 und 178. 27 Eugenius Vulgarius, Sylloga, ed. Paul von Winterfeld (MGH Poetae 4,1), Berlin 1899,

    40640, hier 440 Nr. 38 [zum Lob des Papstes Sergius]: Roma caput mundi, rerumsuprema potestas // Terrarum terror, fulmen quod fulminat orbem // Regnorum cul-tus, bellorum vivida virtus // immortale decus solum, haec urbs super omnes //

  • Die glcklose Regierung Ludwigs des Frommen freilich zeitigte noch weitereFolgen, deren eine hier anzusprechen ist: das Constitutum Constantini.28 Seinefrnkischen Flscher entwarfen eine verpflichtende Erinnerung an Konstantinden Groen (und mit ihm vielleicht auch an Karl den Groen, den neuen Kon-stantin), auf den als Kaiser, als Christ und als Stifter die unantastbare Kirchen-ordnung der Rmischen Kirche und des Rmischen Reiches mit dem Papst alsdem hchsten Richter in Glaubensfragen und als dem Patriarchen des gesamtenlateinischen Westens zurckzufhren sei. Er habe sein Kaisertum und die kai-serliche Gewalt nach dem Osten bertragen und verlagert, auf da dort, woder himmlische Kaiser den Prinzipat der Priester und das Haupt der christlichenReligion eingesetzt hat, der irdische Kaiser keine Gewalt besitzt.29 Das Mach-werk wurde wohl Ludwig dem Frommen entgegengehalten, unter dem derBischof von Rom Gefahr lief, zu einem Episkopen gleich jedem anderen Reichs-bischof herabgedrckt, ja, abgesetzt zu werden. Realitt und Forderung verein-ten sich im Gedchtnisort Konstantin. So ging das Constitutum in die zu dernmlichen Zeit und in demselben Kontext entstehenden PseudoisidorischenDekretalen ein und wurde dadurch unter die Leute gebracht. Seine groe Stundeschlug im spteren 11. Jahrhundert. Jetzt nmlich wurde es zur Konstantini-schen Schenkung umgedeutet, und aus dem Patriarchat des rmischen Bischofswurde die Kaisergewalt des Papstes. Ps.-Konstantin leistete nun gedanklicheHilfe zur Ausformung der ppstlichen Doktrin: Der wahre Kaiser ist der Papst(Ipse [sc. Papa] est verus imperator).30 Damit war ein neuer Gedchtnisort vonhoher politischer Brisanz geschaffen, der bis ins 19. Jahrhundert bald freund-schaftlich, bald feindselig immer wieder betreten wurde. Er zog freilich mehr das

    Johannes Fried14

    Aurea priscorum reparat nunc secla virorum (sc. Sergius) // Imperium renovatheroum numenque priorum.

    28 Zum folgenden vgl. Fried (s. Anm. 6). 29 Unde congruum prospeximus, nostrum imperium et regni potestatem orientalibus

    transferri ac transmutari regionibus et in Byzantiae provincia civitatem aedificari etnostrum illic constitui imperium; quoniam, ubi principatus sacerdotum et christianaereligionis caput ab imperatore caelesti constitutum est, iustum non est, ut illic impera-tor terrenus habeat potestatem, Das Constitutum Constantini (KonstantinischeSchenkung), ed. Horst Fuhrmann (MGH Fontes Iuris Germanici Antiqui in usumscholarum seperatim editi 10), Hannover 1968, 945 Z. 2716. Vgl. ders., Das frh-mittelalterliche Papsttum und die Konstantinische Schenkung. Meditationen ber einunausgefhrtes Thema, in: I problemi dellOccidente nel secolo VIII (Settimane distudio del centro italiano di studi sull Alto Medioevo 20,1), Spoleto 1973, 257329.

    30 Horst Fuhrmann, Der wahre Kaiser ist der Papst. Von der irdischen Gewalt imMittelalter, in: Das antike Rom in Europa. Vortragsreihe der Universitt Regensburg(Schriftenreihe der Universitt Regensburg 12), Regensburg 1986, 99121; das Zitatstammt aus der kanonistischen Summa Parisiensis (um 1160/1170) und bietet eine keineswegs isolierte Lehrmeinung der Epoche.

  • Volk und die Pamphletisten an als die rmische Kurie und berschattete noch dieReformation und die ihr folgenden konfessionellen Kmpfe.

    Strker als die Karolinger erneuerten die Ottonen das Rom-Gedchtnis; ihrReich galt manchen als Imperium Romanum.31 Aktuelle politische Konstellation,literate Romerinnerung und Karlsgedchtnis wirkten dabei zusammen. AuchOtto I. wurde hnlich Karl dem Groen wieder von dem jugendlichen PapstJohannes XII. (aus hier nicht zu errternden Grnden) um Hilfe gerufen. Zuvorhatte der Sachse keine planmig auf das Kaisertum zulaufende Politik betrie-ben.32 Doch hat er die sich bietende Gelegenheit zu nutzen verstanden und wiederum eine imperiale Tradition begrndet, die nicht weniger stark als KarlsKaisertum die kommenden Jahrhunderte prgen sollte. Bevor der Sachse dieLeostadt und Rom selbst betreten durfte, verstand er sich zu einem Sicherheits-eid fr den Papst und die Patrimonien der rmischen Kirche, der im spterenMittelalter von kanonistischer und kurialer Seite als Lehnseid interpretiertwurde. Daran knpften sich brisante Fragen: Hatte der Kaiser, besaen seineNachfolger ihr Imperium, das kaiserliche Schwert, vom Papst oder unmittel-bar von Gott? Doch mag auch diese Kontroverse hier auf sich beruhen.

    Bittere Klagen der Rmer begleiteten die bernahme der Kaiserherrschaftdurch die Barbaren des Nordens. Factus est Italico regno vel Romanum imperiuma Saxonicum regem subiugatum, sthnte ein rmischer Chronist in dem vulgari-sierten Latein seiner Epoche.33 Panegyrische Dichtung sollte spter folgen unddie Caesaren aus Sachsen preisen. Der Lombarde Liudprand von Cremona undandere, auch urkundliche Selbstaussagen des Kaisers, feierten Otto den Groenalsbald nach der rmischen Kaiserkrnung als sanctus oder sanctissimus impera-tor 34, was ohne Zweifel die Heiligkeit des antiken Kaisertums reflektierte.Otto selbst freilich htete sich, den Rmernamen seinem Titel beizufgen. Doch

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 15

    31 Carl Erdmann, Das ottonische Reich als Imperium Romanum, in: Deutsches Archivfr Erforschung des Mittelalters 6 (1943), 41241, wieder in: ders., Ottonische Studien,hrsg. von Helmut Beumann, Darmstadt 1968, 174203 (mit Originalpaginierung, da-nach zitiert).

    32 Werner Maleczek, Otto I. und Johannes XII. berlegungen zur Kaiserkrnung von962, in: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, vorge-legt von Mitgliedern des Konstanzer Arbeitskreises fr mittelalterliche Geschichte,hrsg. von Jrgen Petersohn (Vortrge und Forschungen 54), Stuttgart 2001, 151203.

    33 Benedikt von S. Andrea, Chronikon, ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 3), Hanno-ver 1839, 695719, hier c. 36, 71718.

    34 Vgl. Hagen Keller, Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Ge-stalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext, in: Bild und Geschichte.Studien zur politischen Ikonographie, Festschrift fr Hansmartin Schwarzmaier zumfnfundsechzigsten Geburtstag, hrsg. von Konrad Krimm und Herwig John, Sigma-ringen 1997, 351, hier 8 mit Anm. 20.

  • Rom hat er die einstige Freiheit wiedergegeben: Romam pristinae reddidit liber-tati, jubelte man, sich seiner Heroen erinnernd, spter unter den Deutschen.35

    Umgehend wurde auch der Siegeltyp gendert: In Anlehnung an byzantinischeBildreprsentationen der Basileis (wie sie zumal die Goldsolidi verbreiteten) gabOtto den Bildtyp des Heerfhrers mit Lanze und Schild auf und bernahm diestrenge en face-Darstellung mit den Herrschaftszeichen der Krone, des Szeptersund des Globus.36 Der neue Kaiser dokumentierte damit seine Gleichrangigkeitmit dem Basileus, erinnerte damit freilich auch und nicht zuletzt an das rmischeImperatorentum, das in Byzanz fortbestand. Dort freilich sah man die Dingeanders. Ihr seid keine Rmer, fertigte man am Kaiserhof den Gesandten Ottosdes Groen, Liudprand, den spteren Bischof von Cremona, ab, vielmehrLangobarden. Der Gescholtene konterte. Ein Brudermrder und Hurensohn,Romulus, habe den Rmern den Namen gegeben; Betrger, entlaufene Knechte,Mrder, die Hinrichtung verdienendes Pack habe er um sich geschart und diesesGesindel sich nachbenannt. Aus solchem Adel stammen die, die Ihr Kosmo-kraten und Imperatoren heit, die Wir, wir Langobarden, Sachsen, Franken,Lotharingier, Bayern, Schwaben, Burgunder, aber so sehr verachten, da wirunsere Feinde mit keinem anderen Schimpfwort belegen als Rmer!37. DieSchmhung des Namens drfte nicht unbedingt in seines Herrn Sinne gewesensein. Als sich dann des Groen Sohn Otto II. mit einer byzantinischen Prinzessinvermhlt sah, wurde das byzantinisch-rmische Vorbild, so wie man es imWesten verstand, erst recht zum Ma des eigenen Imperiums.

    Sie, die Griechin, die Byzantinerin, nein, die Rhomerin Theophanu muihrem ganzen Selbstverstndnis nach Rmerin gewesen sein. Griechische An-sprche abwehrend hatte Otto II. sie in der fr sie ausgestellten Heiratsurkundedie Nichte des Konstantinopolitanischen Kaisers tituliert, mit der er nun inder ltesten Romuleischen Stadt die Ehe einging. Endlich griff er, als er im Jahr982 auf byzantinisches Gebiet in Sditalien vordrang, abermals auf den Titeleines Kaisers der Rmer (Romanorum imperator augustus) zurck: Die Spitzerichtete sich zweifellos gegen Theophanus Heimat, Byzanz, der sie selbst als Kai-serin des Westens, coimperatrix, den Rcken gekehrt hatte. Doch im folgendenJahr schon starb ihr Gemahl, dieser Herrscher der Rmer, und so blieb der vonihm erhobene Anspruch einstweilen Episode. Im Verstndnis seiner heimischen

    Johannes Fried16

    35 Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. BernhardSchmeidler (MGH SS rerum Germanicarum in usum scholarum seperatim editi 2), 3. Auflage Hannover/Leipzig 1917, hier c. II,11, 689.

    36 Keller (s. Anm. 34), passim. 37 Liudprand von Cremona, Opera, ed. Joseph Becker (MGH SS rerum Germanicarum

    in usum scholarum seperatim editi 41), 3. Auflage Hannover/Leipzig 1915, Legatio,175212, hier: c. 12, 1823.

  • Sachsen regierte Otto II., den wir nicht ungleich der vterlichen und grovter-lichen Tugend halten (quem paternae avitaeque non imparem credimus virtutis),ohnehin blo ber das regnum Latinorum et Saxonum, wie es am Schlu der lteren Vita seiner Gromutter, der Knigin Mathilde, hie.38 Lediglich die liu-dolfingischen Vorgnger wurden hier memoriert, nicht einmal Karl der Groeund schon gar nicht die antiken Caesaren. Schsischer Stolz vertrug sich nichtimmer mit rmischer Erneuerung.

    Anders der Sohn des Sachsen und der Byzantinerin.39 Er, der noch als Sug-ling den Vater verlor und dessen frhe Kindheitsjahre in der Obhut der Mutterlagen, wurde in eigentmlich rmischem Geiste erzogen. Er suchte in den Basi-leis die Caesaren und in den Griechen die Rmer; er wollte, wie er an Gerbert,seinen Lehrmeister, schrieb, die schsische Unbildung (Saxonica rusticitas) ver-trieben und seinen griechischen Esprit (Grecisca subtilitas) gefrdert wissen, daja bei uns ein Fnklein griechischen Fleies gefunden wird40; und er verlieh demRmernamen im Kaisertitel Dauer. Seine Lehrer, der kalabresische GriecheJohannes Philagathos, ein Byzantiner, Bernward von Hildesheim, ein Sachse, undder eben genannte Gerbert von Aurillac, ein Aquitanier, vertieften sein Wissenum Rom und strkten sein Verlangen nach ihm. Er, so antwortete Gerbert demjugendlichen Kaiser, er wisse nicht, welch Gttliches darin zur Offenbarung ge-langt, da ein Mensch griechischer Herkunft (genere Grecus), Rmer durch dasKaisertum (imperio Romanus) gleichsam nach Erbrecht die Schtze Griechen-lands und rmischer Weisheit (thesauros Grecie ac Romane sapientie) fr sicheinfordert. Auch Ottos sonstige Berater zhlten zu den herausragenden Geist-

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 17

    38 Die Lebensbeschreibungen der Knigin Mathilde, ed. Bernd Schtte (MGH SS rerumGermanicarum in usum scholarum seperatim editi 66), Hannover 1994, hier: c. 16,S. 1412.

    39 Noch immer lesenswert trotz mancherlei Irrtmer: Percy Ernst Schramm, Kaiser,Rom und Renovatio. Studien zur Geschichte des rmischen Erneuerungsgedankensvom Ende des Karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit, Nachdruck der Aus-gabe Leipzig 1929, Darmstadt 1962; notwendige Korrekturen: Herbert Bloch, DerAutor der Graphia aureae urbis Romae, in: Deutsches Archiv fr Erforschung desMittelalters 40 (1984) 55175; berzogen ist die Kritik von Knut Grich, Otto III.,Romanus Saxonicus et Italicus. Kaiserliche Rompolitik und schsische Historiogra-phie, Sigmaringen 1993; vgl. Johannes Fried, Rmische Erinnerung. Zu den Anfngenund frhen Wirkungen des christlichen Rommythos, in: Studien zur Geschichte desMittelalters. Jrgen Petersohn zum 65. Geburtstag, hrsg. von Matthias Thumser,Annegret Wenz-Haubfleisch und P. Wiegand, Stuttgart 2000, 141, hier 3541.

    40 Die Briefsammlung Gerberts von Reims, ed. Fritz Weigle (MGH Die Briefe der deut-schen Kaiserzeit 2), Weimar 1966, ep. 186, 2203; dazu Gerberts Antwort (ep. 187;2235).

  • lichen seiner Zeit.41 Christen- und Rmertum zu vereinen, legten sie ihm nahe.Jene Schtze aber, die Gerbert verhie, beschrnkten sich nicht auf Kaiserherr-schaft und Herrschaftsideologie. Otto drstete, wie er dem knftigen Lehrerschrieb, nach Arithmetik, nach dem Quadrivium, nach rmischer Wissen-schaft. Die Isagoge des Porphyrius, Livius und Orosius befanden sich tatsch-lich in seinem Besitz. Die berhmte, heute in Bamberg verwahrte Handschriftder Justinianischen Institutionen knnte aus Ottos Bibliothek dorthin gelangtsein.42 Die Erinnerungsorte Rom und Imperium verlangten im Wissen um beider unauflslicher und sich wechselseitig bedingender Zusammengehrigkeitzugleich nach Herrschaftswissen und Bildungserneuerung, nach einem umfas-senden Kulturprogramm. Der Kaiser, ein Knabe noch, rstete sich, es zu ver-wirklichen. Es geschah durchaus im Wissen, in den Jngsten Zeiten zu lebenund der Vorbereitung auf das Gericht zu bedrfen. Denn Rom und Endzeithatten lngst ihren Bund geschlossen.

    Dieser Mensch trachtete in der Tat danach, das alte Recht der Rmer, dasschon fast vernichtet war, zu erneuern.43 Im Anschlu an Karl den Groenerhob er die Erneuerung des Rmerreichs zu seinem Programm, wie seine ersteKaiserbulle unmiverstndlich verkndete: Renovatio imperii Romanorum.Deren Revers zeigte zugleich das Bild der Helm-, Speer- und Schild-bewehrtenDea ROMA, der ins Christliche gewendeten Tyche Roms. Es geschah nach einemhalben Jahrtausend zum ersten und bis in die Zeiten der Renaissance zum letztenMal. Gerbert bestrkte den jugendlichen Herrscher in seiner Haltung: Unser,unser ist das rmische Reich, Nostrum, nostrum est imperium Romanum Ger-bert, der einstmals das Rmische Reich fr untergegangen und den von Paulusangekndigten Abfall fr vollzogen erklrt,44 der als Lehrer den knftigen

    Johannes Fried18

    41 Dazu Wolfgang Huschner, Transalpine Kommunikation im Mittelalter. Diplomati-sche, kulturelle und politische Wechselwirkungen zwischen Italien und dem nord-alpinen Reich (9.11. Jahrhundert) (MGH Schriften 52, 13), 3 Bde. Hannover 2003.Die gegen einige Thesen Huschners vorgetragene Kritik von Hartmut Hoffmann,Notare, Kanzler und Bischfe am ottonischen Hof, in: Deutsches Archiv fr Erfor-schung des Mittelalters (in Vorbereitung) trifft den hier relevanten Sachverhalt nicht.

    42 Zu den Bchern vgl. Percy Ernst Schramm, Florentine Mtherich, Denkmale derdeutschen Knige und Kaiser 1. Ein Beitrag zur Herrschergeschichte von Karl demGroen bis Friedrich II. 7681250 (Verffentlichungen des Zentralinstituts frKunstgeschichte in Mnchen 2), 2. ergnzte Auflage, Mnchen 1981, hier 1501, Nr.8892.

    43 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier berarbei-tung, ed. Robert Holtzmann (MGH SS rerum Germanicarum NS 9), Berlin 1935,IV,47, 184: antiquam Romanorum consuetudinem iam ex parte magna deletam.

    44 Acta concilii Remensis ad sanctum Basolum auctore Gerberto archiepiscopo, ed. GeorgWaitz (MGH SS 3), 658686, hier 676: post imperii occasum haec urbs (sc. Roma)Alexandrinam aecclesiam perdidit, Antiocenam amisit, et ut de Africa taceamus atque

  • Knig Robert II. von Frankreich unterrichtet,45 der endlich diesem und seinemVater Hugo die Feder geliehen hatte fr deren Schutzgebrde zugunsten des (ost-)rmischen Imperiums gegen den Kaiser aus Sachsen. Sein neuer Herr Ottoaber fhrte rmisches Herrscherritual oder, was er dafr hielt, an seinem Hofein;46 die Quelle seines Wissens wies erneut an den Bosporus und in das Reich derRomer, die Romania;47 aber nicht nur. Rom selbst, die Stadt am Tiber, warCaput mundi.48 Otto residierte so oft und so lange in Rom, wo er vermutlich aufdem Palatin den Kaiserpalast das sacrum palacium erneuerte, wie keiner seinerVorgnger oder Nachfolger; ihm eigneten in antikisierender Geste divina mensund sacri aures.49 Antike rmische oder rmisch klingende Titel erhielt nun seinGefolge: Logothet oder Archilogothet der Kanzler, Magister palacii, Magistermilitum, Protospatar andere. Unser Kaisertum soll blhen, unseres AmtesKrone soll triumphieren, des rmischen Volkes Macht soll sich verbreiten, dieRes publica erneuert werden; so formulierte Leo von Vercelli fr seinen Kaiserdas Programm; das alles: um Rom, den Erdkreis, die Kirche zu leiten. Christe,preces intellige, Romam tuam respice, Romanos pie renova, vires Rome excita.Surgat Roma imperio sub Ottone tertio. Christus, erhre die Gebete, blicke gn-dig auf Dein Rom, erneuere die Rmer, strke die Kraft Roms. Rom soll sicherheben unter der Kaisermacht Ottos III.

    Eines der eindrucksvollsten Zeugnisse dieser Rom-Erinnerung findet sich indes hl. Bernward von Hildesheim Lebensbeschreibung aus der Feder von dessenLehrer Thangmar; es ist zeitgenssisch und wurde vielleicht noch zu BernwardsLebzeiten niedergeschrieben: jene berhmte Rede Ottos III., durch die derjugendliche Kaiser angefeindet von den Rmern sie an seine Taten zu ihremRuhm erinnerte.50 Vernehmt die Worte eures Vaters, merkt auf und bewahrt sie

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 19

    Asia, ipsa iam Europa discedit. Nam Constantinopolitana ecclesia se subduxit, et interiora Hispaniae eius iudicia nesciunt. Fit ergo discessio secundum apostolum, nonsolummodo gentium, sed etiam ecclesiarum; vgl. Erdmann (s. Anm. 31), 192.

    45 Hugo von Fleury, Historia Francorum Senonensis a. 6881034, ed. Georg HeinrichPertz (MGH SS IX), Hannover 1851, 3649, hier 368, v. 1920.

    46 Thietmar, Chronik, ed. Holtzmann (s. Anm. 43), IV,47, 1847. 47 So etwa in den Annales Einsidlenses, ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 3), Han-

    nover 1839, 145 (zu 982). 48 Otto III., Diplom 389 (1001) (MGH DD 2), Hannover 1893, 818820. 49 Vgl. etwa Gerberts Widmung seines fr Otto III. bestimmten logischen Libellus de

    rationali et ratione uti, ed. Julien Havet, Lettres de Gerbert (Collection de Textes),Paris 1889, 2368.

    50 Thangmar, Vita Bernwardi episcopi Hildesheimensis, ed. Georg Heinrich Pertz(MGH SS 4), Hannover 1841, 75482. Die zeitgenssische Entstehung ist zu Unrechtangezweifelt worden, vgl. Marcus Stumpf, Zum Quellenwert von Thangmars VitaBernwardi, in: Deutsches Archiv fr Erforschung des Mittelalters 53 (1997), 46196.

  • gut in eurem Herzen! Seid ihr nicht meine Rmer? Euretwegen habe ich meinVaterland und meine Verwandten, aus Liebe zu euch habe ich meine Sachsen undalle Deutschen, mein eigen Blut, verschmht. Euch habe ich in die fernsten Teileunseres Reiches gefhrt, wohin eure Vter, als sie den Erdkreis unterwarfen, nie-mals den Fu gesetzt haben. So wollte ich euren Namen, euren Ruhm bis an dieGrenzen des Erdkreises ausbreiten. Dies letzte diente zugleich der Ausbreitungdes Christentums und war ein Rsten fr die hereingebrochene Endzeit und dasBestehen im Jngsten Gericht. Auch Ottos Jubel ber den Mrtyrertod Adal-berts von Prag, seines Freundes, an den uersten Grenzen des rmischen Orbis,ebenso sein Versuch zur Elevation Karls des Groen zur Ehre der Altre gehr-ten in den Kontext dieser heilsuchenden Rom-Memoria. Die Kirche auf derTiberinsel (heute S. Bartolomeo) wurde dem Heiligen aus Bhmen geweiht, wieberhaupt der Adalbertskult das Reich des Jngsten der Ottonen und die lateini-sche Christenheit von Aachen und Gnesen ber Esztergom, Ravenna und Romeinen sollte. Auch Bernward, des Kaisers Lehrer und Freund, weilte wiederholtin der Stadt am Tiber; seine Christus-Sule in Hildesheim, ein frhes Meister-werk des Bronzegusses, zitierte die rmische Trajanssule und verdeutlicht aufihre Weise, wie das kaiserliche Renovationsprogramm kulturell tatschlich wirk-sam wurde.

    Die Bildzeugnisse aus dem direkten Umfeld des Hofes sprechen die nmlicheSprache. Drei Meisterwerke ottonischer Buchmalerei aus zwei verschiedenenAteliers die Evangeliare in Gieen, aus St. Gereon in Kln sowie in Manchester weisen eine einheitliche Rahmengestaltung der Initialseite des Matthus-Evange-liums mit dem Liber generationis auf, deren Programm vermutlich vom Knigs-hof selbst entworfen wurde.51 Die beiden lteren wurden noch vor Ottos Kaiser-krnung ausgefhrt, ihr jngstes (Manchester, John Rylands Library Ms. 98)offenbar bald danach.52 Es zeigt auf jeder Seite der Initialen jeweils ein Kaiser-bild: oben Otto den Groen, unten Otto II., rechts und links jeweils Otto III.,Grovater und Vater also des regierenden Kaisers und diesen selbst. Die Herr-schertitel appellieren an Rom, an die Romana res publica, jener Ottos III. zustz-lich noch mit Rckgriff auf karolingische Vorbilder an die Christiana religio:XRIANE RELIGIONIS ET ROMANE R(ei) P(ublice) OTTO IMP(erator)

    Johannes Fried20

    51 Dazu und zum folgenden: Wolfgang Christian Schneider, Die Generatio Imperatorisin der Generatio Christi. Ein Motiv der Herrschaftstheologie Ottos III. in Trierer,Klner und Echternacher Handschriften, in: Frhmittelalterliche Studien 25 (1991)22858.

    52 Zur Exklusivitt des Augustus-Titels im ottonischen Reich vgl. Johannes Fried, OttoIII. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der Aktvon Gnesen und das frhe polnische und ungarische Knigtum, 2. durchgeseheneund erweiterte Auflage, Stuttgart 2001.

  • AUG(ustus). Christliche Religion und rmische Res publica sehen sich im Kaiservereint. Und mehr noch: Die Generatio des Kaisers ist in die Generatio Christihineingenommen, in den Anfang des Erlsungswerkes Christi, der fr jedenKenner zugleich gem Apocalypsis 22,1620 auf seine Erfllung und denAbschlu des Neuen Testaments verweist:

    Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids (radix et genus David), der helleMorgenstern. Und der Geist und die Braut rufen: Komm! Und wer es hrt, der rufe:Komm! Und wen drstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser desLebens umsonst Es spricht, der solches bezeugt: Ja, ich komme bald. Amen.Komm Herr Jesus!

    Christliche Religion, rmisches Imperium, seine Erneuerung und die Erwartungdes Herrn zum Gericht sind ineinandergeschlungen ein weltumspannenderGedchtnisort.53 Er endlich sollte es bleiben.

    Otto war Gesalbter des Herrn (Christus Domini) und Romkaiser. Ihm hul-digten von ROMA angefhrt, die auch seine erste Kaiserbulle vergegenwrtigte,die Provinzen seines Reiches.54 Er war der Weltenherrscher, zu dessen Fen dieWeltkugel ruhte, die Majestt schlechthin.55 Fr diesen Jngsten der Ottonenwurde in romerneuernder Absicht der Typus des Majesttssiegels geschaffen,56

    den dann fr alle Zeit sich Kaiser und Knige, die regierenden Frsten aneigne-ten. Die Halbbste, die sein Grovater fr das Kaisersiegel eingefhrt, sein Vaterbeibehalten und auch er selbst als Knig benutzt hatte, war lediglich ein Schrittdarauf zu.

    Doch scheint in Sachsen nicht jedermann diese Rom-Begeisterung seinesKnigs und Kaisers geteilt zu haben. Der Geschichtsschreiber Widukind vonCorvey, ein Zeitgenosse Ottos des Groen, jedenfalls wollte noch am Ende vondessen, die eigenen Krfte in Italien verzehrenden Regierung nichts von einemrmischen Kaisertum wissen. Als gar die ersten schweren Rckschlge in Italienzu verkraften waren, und als der Morbus Italicus immer hufiger die Heeredahinraffte, nahm die Ablehnung zu und verdsterte rckblickend das Bild derjngeren Ottonen. Novam normam habe Otto II. eingefhrt, den rechten Wegeinstiger Wahrheit und Gerechtigkeit verlassen, so beklagte, lange nach Ottos III.Tod (1002), der Geschichtsschreiber Thietmar von Merseburg und meinte damit

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 21

    53 Die eschatologische Deutung des Programms der Generation des Kaisers in derGeneratio Christi hat Schneider (s. Anm. 51), 2446 am Beispiel des Evangeliars vonSt. Gereon herausgearbeitet, dessen Matthus-Initiale unter dem Bild des apokalypti-schen Lammes steht.

    54 Bayerische Staatsbibliothek Mnchen clm 4453 (Evangeliar Ottos III.), fol. 23v24r. 55 Erstes und zweites Kaisersiegel: Schramm (s. Anm. 39), 199, Nr. 989. 56 Drittes Kaisersiegel: Schramm (s. Anm. 39), 199 Nr. 100.

  • die Byzantinismen, die durch Theophanu im Westen heimisch wurden,57 mithindie Orientierung am Gedchtnisort des Rmischen Reiches. Noch schrferurteilte Brun von Querfurt, bald ein Mrtyrer, der jenen zweiten Otto schalt,weil er kindischem Rat gefolgt sei, womit er wohl den Einflu der Griechinmeinte, die auch seinen Sohn, Otto III., erzogen hatte.58 Der Nachfolger diesesmit 21 Jahren gestorbenen Kaisers, der nicht viel ltere Heinrich II., brach dennradikal mit der Renovatio-Politik seines Vorgngers.

    Auch im Westen des einstigen Karlsreiches hielt man sich deutlich zurck.Bei Richer von Reims ist das Ottonenreich lediglich ein Regnum Germaniae.Und fr Adso von Montier-en-Der, den Autor eines bis ins Sptmittelalter ein-flureichen und weit verbreiteten Antichrist-Libells, war um 950, in kaiserloserZeit, der westfrnkische Karolinger der Reprsentant des endzeitlich-rmischenKaisertums. Das Regnum Romanorum wird, so der Libellist in PaulinischerGedchtnisfigur, am Ende der Zeiten alle Reiche dieser Erde sich unterworfenhaben und alle Nationen werden den Rmern untertan sein. Noch sei die Zeitnicht erfllt, der Abfall noch nicht erfolgt, obgleich das Romanum Imperiumbereits zum grten Teil zerstrt sei (destructum). Doch solange die Franken-knige regieren, die das rmische Imperium innehaben sollen, wird die Wrde desRmischen Reiches nicht untergehen (quamdiu reges Francorum duraverint,qui Romanum imperium tenere debent, Romani regni dignitas ex toto non peri-bit). Einer von ihnen wird es am Ende ganz beherrschen; er wird der grte undaller Knige letzter sein (Unus ex regibus Francorum Romanum imperium exintegro tenebit, qui in novissimo tempore erit et ipse erit maximus et omniumregum ultimus). Er ziehe nach Jerusalem und lege dort Zepter und Krone amlberg nieder. Dann wird das Ende sein (finis et consummatio Romanorum chri-stianorumque imperii).59 Adso war der letzte Autor, der einen Karolinger undberhaupt einen westfrnkisch-franzsischen Knig so unmittelbar mit demRmischen Imperium in Verbindung brachte.

    Einer von Adsos Adressaten, der westfrnkische Knig Lothar, gedachte gar(in wenig verhllter Kritik an Otto I.) Konstantins des Groen, der Rom demApostelfrsten und dem Papst berlassen und sich nach Byzanz zurckgezogenhabe. Doch griff bereits der erste Kapetinger auf dem Thron, Hugo Capet, denAugustus-Titel auf, um seine Gleichrangigkeit mit den Ottonen zu bekunden.Dieser Knig wnschte ein Heiratsbndnis mit den Basileis Basilius II. und Con-

    Johannes Fried22

    57 Thietmar, Chronik, ed. Holtzmann (s. Anm. 43), II, 445, 924. 58 Brun von Querfurt, S. Adalberti Pragensis episcopi et martyris vita altera, ed. Hedvig

    Karwasinska (MPH series nova 4,2), Warschau 1969.59 Adso Dervensis, De ortu et tempore Antichristi necnon et tractatus qui ab eo

    dependunt, ed. Daniel Verhelst (Corpus Christianorum Continuatio Medievalis 45),Turnhout 1976, 256. Vgl. Mhring (s. Anm. 4), 1448.

  • stantin VIII. und bot als Gegengabe den Schutz der fines Romani Imperii vorGallus und Germanus, was hie: den Schutz des byzantinischen Reiches vor demlinks- und rechtsrheinisch herrschenden Kaiser aus Sachsen.60 Als Gedchtnisortwird ein derartiges Reichsverstndnis nicht zu deuten sein. Die Historia Fran-corum Senonensis, eine knappe, sachlich unzuverlssige, doch durch ihre sptereRezeption fr die franzsische Geschichtsschreibung hoch wirksame Darstellungder westfrnkischen karolingischen und frhkapetingischen Geschichte zu Be-ginn des 11.Jahrhunderts, wies dem bald imperator, bald rex titulierten Otto II.kein Imperium zu; im Gegenteil: Sie machte ihn zum Vasallen des rex Fran-corum.61 Das Imperium Romanorum billigte sie (neben dem regnum Francorum)allein im Rckblick Ludwig dem Frommen und dessen Sohn Karl dem Kahlen,keinem lebenden franzsischen Knig zu.62 Auch sie etablierte keinen Gedcht-nisort Rom, sondern erinnerte an die frhere reale, doch lngst vergangeneHerrschaft ber Rom. Dreihundert Jahre nach Adso von Montier-en-Der bestrittdann einer der Hofjuristen Philipps des Schnen, Pierre Belleperche, da dasRegnum Francie, Frankreich, jemals zum Herrschaftsbereich des ImperatorRomanus gehrt habe; es sei frei.63

    Der Bruch mit der imperialen Italien- und Rompolitik der Ottonen trat alsounter Heinrich II. zu Tage, der sie aus Einsicht in die berhohen Kosten anmateriellen Gtern und Menschenleben tausendfacher Tod, tausendfache Er-schpfung (Brun von Querfurt) aufgab. Doch war dieser Bruch nicht so ein-schneidend wie einst jener, der nach Karl dem Groen durch seinen Sohn Lud-wig den Frommen herbeigefhrt wurde. Der Anspruch nmlich auf die rmischeHerrschaft und den Rmernamen blieb nun mit dem Kaisertum gewahrt. Hein-rich bekundete es durch mehrere vergleichsweise kurze Italien- und Romzge.Seine Nachfolger hielten es bis hin zu Friedrich Barbarossa ebenso. Auch imTitel wurde es manifest: Nicht nur wurde der rmische Kaisertitel beibehalten:Romanorum imperator augustus lautete er fortan stets; der Rmernamen wurdemit der Zeit auch dem Knigstitel hinzugefgt: Romanorum Rex. Es geschah

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 23

    60 Die Briefsammlung Gerberts von Reims, ed. Fritz Weigle (MGH Die Briefe der deut-schen Kaiserzeit 2), Weimar 1966, ep. 111 von 988, 139 mit Anm. 5; ebenfalls in: Ger-bert dAurillac, Correspondance 1. Lettres 1129, ed. Pierre Rich und Jean-PierreCallu (Les Classics de lHistoire de France au Moyen-Age), Paris 1993, Nr. 111,26870.

    61 Hugo von Fleury, ed. Pertz (s. Anm. 45), 367; zur Bedeutung dieses an sich unschein-baren Werkes vgl. Joachim Ehlers, Die Historia Francorum Senonensis und der Auf-stieg des Hauses Capet, in: Journal of Medieval History 4 (1978) 125.

    62 Hugo von Fleury, ed. Pertz (s. Anm.45), 365,1 und Z. 101. 63 Petrus de Bella Pertica, Lectura aurea super librum Institutionum, zur Rubr. Inst., Ed.

    Paris 1513 (Exemplar UB Heidelberg) fol. Iiii r; vgl. Domenico Maffei, La donazionedi Costantino nei giuristi medievali, Mailand 1964, 1207.

  • eben unter Heinrich II. zum ersten Mal (in einer um 1017/1021 auf das Jahr 1007rckdatierten Urkunde fr Bamberg) und zwar in Auseinandersetzung mit demitalischen Knigtum Arduins von Ivrea,64 sodann wiederholt in Diplomen frburgundische Empfnger.65 Kontinuierlich freilich begegnet dieser Titel undzwar in Abwehr eines einschrnkend blo auf die Deutschen und ihr Reichnrdlich der Alpen bezogenen, Italien gar ausklammernden Knigtums fr dennoch nicht zum Kaiser gekrnten salisch-staufischen Herrscher erst seit Hein-rich V.66 Bei Licht besehen kann er schwerlich als Gedchtnisort des antikenrmischen Imperiums gelten; der Titel proklamierte vielmehr einen konkreten,auf die Reichsgebiete Italiens konzentrierten politischen Anspruch und eineentsprechende Verpflichtung fr die Gegenwart.

    Anderes verweist auf eine nmliche Rechtswahrung. So kam in jenen Jahrenauch die erinnerungs- und anspruchsschwere Legende der Goldbullen auf, wiesie dann die spteren Kaiser bernahmen: ROMA CAPUT MUNDI REGITFRENA ORBIS ROTUNDI. Sie begegnet zuerst an einer Urkunde Konrads II.aus dem Jahr 1033 und war eine Erfindung seines Kapellans, des gelehrten Bur-gunders Wipo. Die Worte umgaben das stilisierte Bild der Stadt, der schon vonOtto III. im Kontext seiner zweiten (bleiernen) Kaiserbulle erneuerten AUREAROMA.67 Der Typus wurde beibehalten bis zum Ende des Mittelalters und darfals eine Gedchtnisfigur gelten, die das antike Rom fr den Herrscher ausDeutschland in Anspruch nahm, der sich tatschlich kaum mehr in der ewigenStadt blicken lie. Ideal und Realitt traten damit scharf auseinander. Die hoheKonstruktivitt dieses Gedchtnisortes ist evident.

    Dennoch, das ottonisch-salische Reich galt die lngste Zeit und bei den mei-sten Autoren nicht als ein Imperium Romanum. Wenn von Rom die Rede war, sowurde vielfach nur eines Reichsteils gedacht, das zu den anderen dem ost-frnkisch-deutschen, dem langobardischen, italischen oder burgundischen hin-zutrat. Erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts sollte es sich ndern und verbreitetesich die Vorstellung vom Kaisertum und Kaiserreich der Salier als einem rmi-schen.68 Es kontrastierte mit der anderen Einschtzung des nordalpinen Reiches

    Johannes Fried24

    64 Wolfgang Christian Schneider, Heinrich II. als Rex Romanorum, in: Quellen undForschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 67 (1987), 42146.

    65 Helmut Beumann, Der deutsche Knig als Romanorum rex (Sitzungsberichte derWissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universitt Frank-furt am Main 18,2), Wiesbaden 1981, 345.

    66 Beumann (s. Anm. 65), 134.67 Bloch (s. Anm. 39), 947. 68 Ekkard Mller-Mertens, Rmisches Reich im Besitz der Deutschen, der Knig an

    Stelle des Augustus. Recherche zur Frage: Seit wann wird das mittelalterlich-frhneu-zeitliche Reich von den Zeitgenossen als rmisch und deutsch begriffen?, in: Histori-sche Zeitschrift 282 (2006), 158.

  • als eines deutschen (regnum Teutonicum), die sich neuerlich propagiert zu-mal durch den Papst Gregor VII. durchsetzte, und mit der immer deutlicherenImitatio imperii durch das Reformpapsttum eben dieses Gregors und seinerNachfolger: Der wahre Kaiser sei der Papst.

    Dagegen fand ein anderes Konzept Verbreitung, an dem das Papsttum, seheich recht, empfangend zu keiner Zeit partizipierte: die Translatio imperii, diebertragung des Imperiums aus dem Osten nach dem Westen. Die Theorie ent-wickelte sich aus der heilsgeschichtlich-linearen Deutung der Welt im Anschluan die von Hieronymus begrndete Exegese von Nebukadnezars Traum im BuchDaniel.69 Die antike Abfolge der Reiche, wie sie etwa bei Orosius anzutreffenoder in der Knigshalle zu Ingelheim mit den Herrschergestalten ins Bild gesetztworden war und auf Jahrhunderte sichtbar blieb, wurde in einen die Welt-geschichte durchziehenden Translationsproze der ersten und einzigen Welt-monarchie umgedeutet: von Assur, Persien und Babylon ber Griechenland(Alexander) nach Rom und dort wieder (durch Konstantin) zu den Griechen(Byzanz) und durch den Papst zu den Franken und endlich nach Otto von Frei-sing zu den deutschen Franken: ein einziges Weltkaisertum. Die Vorstellungformte sich allmhlich vom 9. zum 11. Jahrhundert, wobei wohl wenn auch erstseit der Mitte des 11. Jahrhunderts die Formulierung des Constitutum Constan-tini, wonach Konstantin sein Imperium und die Regni potestas nach dem Orienttransferierte (Z. 2712), Geburtshilfe leistete. Die elaborierte Theorie freilicherhhte das rmische Imperium gerade zu keinem in besonderer Weise heraus-ragenden Gedchtnisort. Im Gegenteil, Rom erschien lediglich als ein Durch-gangsstadium der Weltmonarchie wie die anderen Reiche auch.

    Allein die Geburt Christi unter einem rmischen Kaiser und die Entfaltungder Kirche Christi im Schutz des Rmischen Reichs verliehen diesem Imperiumeinen besonderen, heilsgeschichtlich ausgezeichneten, memorier-, aber nichtrenovierbaren Rang. Warum aber Gott gerade diesem Volk oder dieser Stadt soviel mehr Gnade als anderen zukommen lie, das knnen wir nicht errtern. Ichkann nur sagen (so reflektierte der Bischof von Freising), es sei aufgrund der Ver-dienste des Apostelfrsten geschehen, von dem Gott voraussah, da er dortseinen Sitz errichten werde.70 So war nach Karl und den Ottonen ein dritterImpuls ntig, um das mittelalterliche Imperium trotz wachsender Romfernedauerhaft zu einem Rmischen werden zu lassen. Er kam zugleich mit der

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 25

    69 Zum folgenden: Werner Goez, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte desGeschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frhenNeuzeit, Tbingen 1958.

    70 Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, ed. Adolf Hofmeister(MGH SS rerum Germanicarum in usum scholarum seperatim editi 45), Hannover/Leipzig 1912, Prolog zu Buch III., 134, 1422.

  • Rezeption des rmischen Rechts und der entstehenden Rechtswissenschaft undgedieh in den Strmen der Kirchenreform des spten 11. und 12.Jahrhundertsund im Konflikt mit einem weltherrscherlichen Papsttum. Es wurde ein zwie-facher Kampf um Rom: um den imaginativen Gedchtnisort wie um die realeStadt am Tiber. Seitdem, genauer: erstmals bei dem Chronisten Adam von Bre-men und dem Weltchronisten Marianus Scottus in den 1070er Jahren, findet sichdie Durchzhlung der Kaiser (oder Knige) von Augustus oder Caesar an bis auf den gegenwrtig regierenden Herrscher aus dem Knigshaus der Salier.71 Soergab es sich aus der Theorie der Translatio imperii.

    brigens und dies kann hier nur beilufig bemerkt werden uerte sichdieser jngste Impuls keineswegs nur in den erhabenen Hhen des Kaisertums.Er artikulierte sich vielmehr gerade auch und fr unser eigenes Antikenbildvielleicht noch wirksamer in den aufstrebenden Kommunen Nord- und Mittel-italiens. Manch ein Monument, das den Jahrhunderten seit der Antike nur miteinigem Glck hatte trotzen knnen, wurde durch kommunale Wiederbelebungvor einem endgltigen Untergang bewahrt. Pisa machte dabei den Anfang; es tratbewut und gezielt in Roms Spuren, nachdem die Stadt erste erfolgreiche Kmpfegegen Muslime in Afrika, in Alt-Karthagos Nachbarschaft, bestanden hatte undsich anschickte, weiter in das Mittelmeer auszugreifen. Das Triumphlied nach dererfolgreichen (noch mit dem spteren Erbfeind Genua gemeinsam durchgefhr-ten) Flottenexpedition im Jahr 1087 gegen al-Mahdya und Zawla lie keinenZweifel: Pisa sah sich als Erbe der Scipionen, als neues Rom Inclitorum Pisa-norum scripturus istoriam, // antiquorum Romanorum renovo memoriam // namextendit modo Pisa laudem admirabilem, // quam recepit olim Roma vincendoCartaginem (v. 14).72 Stolze, machtbewute und herausfordernde Verse nicht

    Johannes Fried26

    71 Mller-Mertens (s. Anm. 68).72 Der erhabenen Pisaner Geschichte will ich schreiben, der alten Rmer Gedchtnis

    erneuern. Denn jetzt breitet sich Pisas hoher Ruhm aus, den einstmals Rom empfing,als es Karthago besiegte. Giuseppe Scalia, Il carme pisano sullimpresa contro iSaraceni del 1087, in: Studi di filologia romanza. Scritti in onore di Silvio Pellegrini,Padua 1971, 163, hier 33 das Zitat; dazu H. E. J. Cowdrey, The Mahdia campain of1087, in: The English Historical Review 92 (1977) 129. Zum sozialhistorischen Kon-text: Craig B. Fisher, The Pisan Clergy and an Awakening of Historical Interest in a Medieval Commune, in: Studies in Medieval and Renaissance History 3, hrsg. vonW. M. Bowsky, Lincoln 1966, 143219; Il Duomo di Pisa, hrsg. von Adriano Peroni, 3 Bde., Modena 1995; ders., Spolia e architettura nel Duomo di Pisa, in: Antike Spo-lien in der Architektur des Mittelalters und der Renaissance, hrsg. von JoachimPoeschke, Mnchen 1996, 20524; Max Seidel, Dombau, Kreuzzugsidee und Expan-sionspolitik. Zur Ikonographie der Pisaner Kathedralbauten, in: FrhmittelalterlicheStudien 11 (1977) 34069 (mit 8 Tafeln); ders., Nicola Pisano. Bauskulptur, in: Mittei-lungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz 43 (1999) 253332; Mauro Ronzani,La formazione della piazza del Duomo di Pisa (secoli XIXIV), in: La piazza del

  • zuletzt an die Adresse Genuas gerichtet wurden wenig spter als Inschriften andie Fassade des Doms geschlagen, noch heute dort zu lesen.73 Wenn sie auch Romnicht erwhnen, so gehren sie doch zu dem Komplex der Romanitas Pisana,wie ihn Giuseppe Scalia benannte und beschrieb.74 Politische Legitimation undein neuer Blick fr antike Monumente, eine politische sthetik also, trafen zu-sammen. Die gesamte Gestaltung des Dom-Ensembles mit Baptisterium undCampo Santo und seiner Stein gewordenen Romidee, mit den zahlreichen, inAugenhhe sichtbar vermauerten Spolien, der Antikenrezeption etwa im Werkdes Nicola Pisano, mit den tatschlich aus Rom importierten echten Marmimanifestierte und verkndete selbstbewut das Rmertum der hochmittelalter-lichen Kommune Pisa: Ich bin das zweite Rom genannt. Ego Roma altera iamsolebam dici, // que sum privilegiis dives Federici, // propter gentes barbaras quasubique vici. Jenes Privileg Friedrich Barbarossas (1162) pries die Pisaner Brger-schaft in der Tat, zwar nicht wegen der Siege, die sie erfochten, wohl aber wegenihrer Treue zu den gttlichen rmischen Knigen und Kaisern:

    Quanta enim fidelitate et probitate Pisana civitas a prima sui fundatione caput suuminter alias civitates extulerit, quanta enim constantia divis antecessoribus nostris regi-bus Romanorum et imperatoribus fidelissime serviendo perseveranter adheserit luceclarius constat.75

    Zwei Gedchtnisorte wurden hier miteinander verbunden: Das Privileg flo ausdem Reichtum des kaiserlichen und schmeichelte dem aufstrebenden kommuna-len Stolz.

    Auch andernorts verbreiteten sich entsprechende Vorstellungen. Die StadtRom selbst und nur dieses Beispiel sei noch knapp angedeutet lie gleichfallsdas kulturelle Zusammenspiel von kaiserlicher und kommunaler Romerneuerungaufscheinen. Die Bewohnerschaft der ewigen Stadt konnte sich stets ihrer glor-reichen Vergangenheit erinnern und tat es wiederholt. Im Umfeld des ppstlichen

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 27

    Duomo nella citt medievale (nord e media Italia, secoli XIXVI), in: BollettinodellIstituto Storico Artistico Orvietano 46/47 (1990/91; ersch. 1997) 19134.

    73 Giuseppe Scalia, Epigrafica Pisana. Testi latini sulla spedizione contro le Baleari del111315 e su altre imprese anti-saracene del secolo XI, in: Miscellanea di Studi Ispa-nici 6, Florenz 1963, 23486 (mit 5 Tafeln). Nicht verfgbar war mir Ottavio Banti, Leepigrafi e le scritte obituarie del duomo di Pisa (Biblioteca del Bollettino StoricoPisano, Fonti 5), Pisa 1996.

    74 Giuseppe Scalia, Romanitas Pisana tra XI e XII secolo. Le iscrizioni romane delduomo e la statua del console Rodolfo, in: Studi Medievali 13,2 (1972), 791843 (mit13 Tafeln), dort 805 die folgenden Verse (aus der ltesten Handschrift des Liber Maiorichinus, s. XII).

    75 Friedrich I. Constitutio 205 [Conventio cum Pisanis, 1162 Apr. 6], ed. Ludwig Wei-land (MGH Constitutiones 1), 2827, Nr. 205, hier 282.

  • Patriarchiums und der Kurie reiften immer aufs neue die Frchte einer reichenTradition. Hier war Rom mit seinen antiken Monumenten, Inschriften, Skulp-turen, Geblkstcken, Kapitellen, Sulen und Mauern, mit Kolosseum, MadamaLucrezia oder Bocca della verit nicht blo Gedchtnisort, sondern in wech-selnder Gestalt verheiungsvolle Gegenwart.76 Zahlreiche kirchliche Neu- undUmbauten des 12. und 13.Jahrhunderts bedienten sich der Spolien, um impe-riale Konnotation sichtbar zu machen, whrend der Palatin mit seinen antikenKaiserpalsten verlassen lag. Auch der exklusiv kaiserliche Porphyr, nur noch inden antiken Kaiserbauten sekundr verfgbar, fand im ppstlichen Zeremoniellwiederholt als Zeichen der Imitatio imperii Verwendung.

    Die stdtische Kommunebewegung griff derartiges auf. Ein frhes Beispielanspruchsvoller Antikenrezeption in ihrem Kontext bietet die Casa di Crescen-zio (um 1150?) mit ihrer programmatischen Portalinschrift: Romae veteremrenovare decorem sowie die bald verbreitete Zusammenstellung rmischer anti-ker Mirabilien in den Mirabilia urbis Romae. Einen ersten Hhepunkt bedeu-tete die Erneuerung des Senats um 1140, die Rckkehr der stdtischen Re-gierung auf das Kapitol und dessen Reedifikation durch Arnold von Brescia(reedificandum Capitolium), das Angebot an Friedrich Barbarossa, das Kaiser-tum aus den Hnden eben dieser Rmer zu empfangen, mithin die Lex de impe-rio, die Lex regia zu erneuern, die am Campus Lateranensis auf eherner Tafel zulesen stand. Der Appell an die Antike sollte das eigene revolutionre Vorgehen,die Emanzipation aus dem ppstlichen Regiment, legitimieren. Spter, zumalwhrend der Phase des Avignonesischen Papsttums, wurde das Kapitol, dessenSchauseite sich vom antiken, zur Viehweide abgesunkenen Forum ab- und demAbitato der mittelalterlichen Stadt im Tiberbogen zugewandt hatte, Sitz derRegierung. In der Epoche Karls IV. erstand der Kommune dann in Cola di Rienzoder stimmgewaltigste Herold.

    In dieser Zeit also, in der das mittelalterliche Imperium ein rmisches wurdeund die Kommunen sich ihres Rmertums besannen, erfolgte die Rezeptionder Justinianischen Digesten und die Wiedergeburt der rmischen Jurisprudenz,ja, entstand aus dieser Erneuerung die europische Rechtswissenschaft schlecht-hin.77 Die Quellen des rmischen Rechts verkndeten in zahlreichen Stellen inprgnanten und hochtnenden Worten die Kompetenzflle und Rechte des Prin-

    Johannes Fried28

    76 Arnold Esch, Rom, in: Der Neue Pauly 15,2, Stuttgart/Weimar 2002, Sp. 84163. ZurThematik allgemein und auch auerhalb Roms: Joachim Poeschke, Antike Spolien inder Architektur des Mittelalters und der Renaissance, Mnchen 2002; Arnold Esch,Reimpiego, in: Enciclopedia dellArte Medievale 9, Rom 1998, 87683; ders., Wieder-verwendung von Antike im Mittelalter. Die Sicht des Archologen und die Sicht desHistorikers (Hans-Lietzmann-Vorlesungen 7), Berlin/New York 2005.

    77 Hermann Lange, Rmisches Recht im Mittelalter 1: Die Glossatoren, Mnchen 1997.

  • ceps und die Idee imperialer Glorie. Die Kaiser zgerten nicht, diese Nachhilfe inTheorie und Reichskonzeption, in der Wahrnehmung der eigenen Herrlichkeit,anzunehmen. Damit wurde die Einheit des antiken und des mittelalterlichenRmischen Reichs etabliert und juristisch legitimiert. Jetzt stand ein anderesAussagenbndel zur Konstruktion des Gedchtnisortes Rom und rmischesReich zur Verfgung als je zuvor im Mittelalter. Das staufische Kaisertum profi-tierte nachhaltig davon. Es inszenierte sich in der Folge legistisch, sakral undchristlich.

    Dieses Kaiserrecht blieb das gesamte Mittelalter hindurch virulent undQuelle immer neuer Romvisionen.78 Wohin es fhrte, verdeutlicht beispielsweiseder gefeierte, in den Jahrzehnten um 1200 ttige Bologneser Legist Azo. Er lehrtegleich zu Beginn seiner Lectura super Codicem: Gestrkt durch Arma et leges seidas genus Romanorum allen Nationen vorangestellt und herrsche in den vergan-genen Zeiten wie in Ewigkeit durch sein Imperium ber alle: genus Romanorumomnibus anteponi nationibus, omnibusque imperio dominari tam preteritis tem-poribus quam Deo propitio efficiet in aeternum.79 Eine erste Staatslehre entstand.Erste staatsrechtliche Prinzipien wurden mit Hilfe dieser Jurisprudenz formu-liert oder wrtlich von Ulpian und seinen Kollegen bernommen: Quod principiplacet legis habet vigorem (D. 1.4.1pr.); Princeps legibus solutus est (D. 1.3.31);der Kaiser galt als lex animata (Nov. 105.2.4); Dignitas (auch Fiscus) non mori-tur 80 oder die Lehre von der Persona ficta des Herrschaftsverbandes, der Genos-senschaft oder Universitas und dergleichen Doktrinen mehr erblickten jetzt dasLicht der mittelalterlichen Welt.

    In staufischer Zeit, zumal unter Friedrich Barbarossa, wurde derartiges wrt-lich verstanden: 81 Das Reich galt fr universal, als Weltmonarchie. Der Kaiserstehe ber den Reguli, den Knigen Europas, tnte es aus Produkten der staufi-schen Kanzlei. Durchsetzen lie sich derartiges nicht; aber es frderte die Impe-rialisierung eben dieser Knige. Rex est imperator in regno suo, hie es schonnach wenigen Jahrzehnten; und diese Maxime, keineswegs nur, wenn auch frh-zeitig (1250 oder 1256) explizit auf den Knig Frankreichs gemnzt, lie sich auf

    Das rmische Reich und der mittelalterliche Reichsgedanke 29

    78 Hermann Krause, Kaiserrecht und Rezeption (Abhandlungen der Heidelberger Aka-demie der Wissenschaften. Phil.-Hist. Klasse 1952,1), Heidelberg 1952.

    79 Azo, Lectura super Codicem (Ad singulos leges XII librorum codicis Justinianeicommentarius), ed. M. Viora (Corpus Glossatorum Juris Civilis 3), Turin 1966[Nachdruck der Ausgabe Paris 1577], 3 (zu 1,1, 56).

    80 Ernst H. Kantorowicz, Christus Fiscus, in: ders., Gtter in Uniform. Studien zurEntwicklung des abendlndischen Knigtums, hrsg. von Eckhart Grnewald undUlrich Raulff, Stuttgart 1998, 25562.

    81 Auf frhe Rezeption bei ,staufischen Autoren verweist Thomas Szabo, Rmisch-rechtliche Einflsse auf die Beziehung des Herrschers zum Recht, in: Quellen undForschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 53 (1973) 3448.

  • jedes Frstentum anwenden.82 Gemeinsam mit dem der Dekretale Per venerabi-lem Innocenz III. entnommenen Prinzip: rex in temporalibus superiorem mi-nime recognosc[it], wurde dieser Satz zu dem entscheidenden Ausgangspunkt dereuropischen Souvernittslehre. Das Knigreich Frankreich wurde nun eigensaus dem Imperium Romanum ausgenommen und hatte diesem, so lehrten dieJuristen zumal in Frankreich, auch niemals angehrt.83 Im Westen des einstigenKarlsreiches entstand denn auch keine imperiale Tradition. Erst mit Napoleonsollte es sich ndern. Entsprechende Mhe gab sich Marinus da Caramanico, derangiovinische Kommentator der Konstitutionen von Melfi Friedrichs II. gegenEnde des 13.Jahrhundert, die Gleichheit eines jeden freien Knigs und Fr-sten, sogar freier Kommunen mit dem Kaiser zu begrnden.84

    Eben dieser, der Kaiser, freilich suchte seit Heinrich V. immer wieder den Ratder Legisten.85 Zumal die berhmten Quattuor doctores verdienten sich dabei jenach politischem Standort der Berichterstatter Ruhm oder Schelte. Sie hattendem Kaiser Rotbart auf dem Reichstag von Roncaglia (1158) aufgrund ihrerLeges aufgewiesen, welche Rechte (Regalien) das Reich ber die Kommunenbese; und Friedrich hatte es umgehend als Gesetz verkndet.86 Alles, was Kai-ser und Kaisertum berhrte, war sacer, der Palast so gut wie die Gesetze, die Person des Princeps so gut wie ihr Handeln. So wurde das staufische Reich dasSacrum Romanum imperium, alsbald also ein Heiliges Rmisches Reich.87

    Schon unter Friedrich I. war dieser Schritt vollzogen. Der Rotbart trat in dieNachfolge Konstantins, Valentinians und vor allem Justinians, christlicher Im-

    Johannes Fried30

    82 Bruno Paradisi, Il pensiero politico di giuristi medievali, in: Storia delle idee politiche,economiche e sociali, diretta da Luigi Firpo, Turin 1973, 4362; Robert Feenstra, Jeande Blanot et la formule Rex Franciae in regno suo princeps est, in: ders., Fata IurisRomani. Etudes dhistoire du droit, Leyden 1974, 13949.

    83 S. Anm. 63. 84 Vgl. das Promium zit. nach: Constitutiones Regni Siciliae. Liber Augustalis. Faksimile-

    druck mit einer Einleitung von Hermann Dilcher (Mittelalterliche Gesetzbchereuropischer Lnder in Faksimiledrucken 6), Glashtten/Taunus 1973 [Nachdruckder Ausgabe