Friedrich Heine, Shakespeares Mädchen Und Frauen

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Friedrich Heine, Shakespeares Mädchen Und Frauen

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  • ber dieses BuchDies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google imRahmen eines Projekts, mit dem die Bcher dieser Welt online verfgbar gemacht werden sollen, sorgfltig gescannt wurde.Das Buch hat das Urheberrecht berdauert und kann nun ffentlich zugnglich gemacht werden. Ein ffentlich zugngliches Buch ist ein Buch,das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch ffentlich zugnglich ist, kannvon Land zu Land unterschiedlich sein. ffentlich zugngliche Bcher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturellesund wissenschaftliches Vermgen dar, das hufig nur schwierig zu entdecken ist.Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei eine Erin-nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.

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    >Ich bin noch nicht in Percys Stimmung, dem Heisporn des Nordens, der euch sechs bis sieben DutzendSchotten zum Frhstck umbringt, sich die Hnde wscht

    und zu seiner Frau sagt: Pfui ber dies stille Leben!Ich mu zu tun haben. O mein Herzens-Heinrich,sagt sie, wie viele hast du heute umgebracht? H

    Gebt meinem Schecken zu saufen, und eine Stundedrauf antwortet er: Ein Stcker vierzehn; Bagatell!Bagatell !

  • 112

    Ich frage nicht nach dir. Ist dies ne WeltZum Puppenspielen, und mit Lippen Fechten?Nein, jetzo mu es blutge Nasen geben,Zerbrochne Kronen, die wir doch im Handel

    Fr voll anbringen. Alle Welt, mein Pferd!Was sagst du, Kthchen? Wolltest du mir was?

    Lady Percy.

    Ihr liebt mich nicht? Ihr liebt mich wirklich nicht?Gut, lat es nur; denn, weil Ihr mich nicht liebt,

    Lieb ich mich selbst nicht mehr., Ihr liebt mich nicht?Nein, sagt mir, ob das Scherz ist oder Ernst?

    Percy.

    Komm, willst mich reiten sehn?Wenn ich zu Pferde bin, so ,will ich schwren,

    Ich liebe dich unendlich. Doch hre, Kthchen:Du mut mich ferner nicht mit Fragen qulen,Wohin ich geh, noch raten, was es soll.

    Wohin ich mu, mu ich; und kurz zu sein,Heut abend mu ich von dir, liebes Kthchen.

    Ich kenne dich als weise, doch nicht weiser,Als Heinrich Percys Frau: standhaft bist du,Jedoch ein Weib, und an Verschwiegenheit

    Ist keiner besser: denn ich glaube sicher,Du wirst nicht sagen, was du selbst nicht weit,Und so weit, liebes Kthchen, trau ich dir.

  • Prinzessin Catharina(Heinrich V.)

    Hat Shakespeare wirklich die Szene geschrieben,wo die Prinzessin Catharina Unterricht in der eng

    lischen Sprache nimmt, und sind berhaupt von ihm

    alle jene franzsischen Redensarten, womit sie JohnBull ergtzt? Ich zweifle. Unser Dichter htte dieselben komischen Effekte mittelst eines englischen

    Jargons hervorbringen knnen, um so mehr da die

    englische Sprach-e die Eigenschaft besitzt, da sie,

    ohne von den Regeln der Grammatik abzuweichen,

    durch bloe Anwendung romanischer Worte und Kon

    struktionen, eine gewisse franzsische Geistesrichtunghervortreten lassen kann. In hnlicher Weise knnte

    ein englischer Schauspieldichter eine gewisse germa

    nische Sinnesart andeuten, wenn er sich nur altsch

    sischer Ausdrcke und Wendungen bedienen wollt-e.

    Denn die englische Sprache besteht aus zwei heteroge

    nen Elementen, dem romanischen und dem germani

    schen Element, die, nur zusammengedrckt, nicht zu

    einem organischen Ganzen vermischt sind; und siefallen leicht auseinander, und alsdann wei man doch

    nicht genau zu bestimmen, auf welcher Seite sich das

    legitime Englisch befindet. Man vergleiche nur die

    Sprache des Doktor Johnson oder Addisons mit der

    Sprache Byrons oder Cobbetts. Shakespeare htte

    wahrlich nicht ntig gehabt, die Prinzessin Catharina

    Franzsisch sprechen zu lassen.

    Dieses fhrt mich zu ein-er Bemerkung, die- ich schon

    an einem andern Orte aussprach. Es ist nmlich einMangel in den geschichtlichen Dramen von ShakeDr.

  • 114

    speare, da er den normannisch-franzsischen Geist

    des hohen Adels nicht mit dem schsisch-britischen

    Geist des Volks, durch eigentmlichere Sprachformen

    kontrastieren lt. Walter Scott tat dieses in seinen

    Romanen, und erreichte dadurch seine farbigsten Ef

    fekte.

    Der Knstler der uns zu dieser Galerie das Konter

    fei der franzsischen Prinzessin geliefert, hat ihr,

    wahrscheinlich aus englischer Malice, weniger schne

    als drollige Zge geliehen. Sie hat hier ein wahres

    Vogelgesicht, und die Augen sehen aus wie geborgt.

    Sind es etwa Papagei-enfedern, die sie auf dem Haupte

    trgt, und soll damit ihre nachplappernde Gelehrigkeit angedeutet werden? Sie hat kleine, weie, neu

    gierige Hnde. Eitel Putzliebe und Gefallsucht ist ihrganzes Wesen, und sie wei mit dem Fcher allerliebstzu spielen. Ich wette ihre Fchen koketti-eren mit

    dem Boden worauf sie wandeln.

  • Johanna dArc(Heinrich VI., erster Teil)

    Heil dir groer deutscher Schiller, der du das hoheStandbild wieder glorreich gesubert hast von dem

    schmutzigen Witze Voltaires, und den schwarz'en

    Flecken, die ihm sogar Shakespeare angedicht-etJa, war es britischer Nationalha oder mittelalterlicher

    Aberglaube, was seinen Geist umnebelte, unser Dich

    ter hat das heldenmtige Mdchen als eine Hexe dar

    gestellt, die mit den dunkeln Mchten der Hlle ver

    . bndet ist. Er lt die Dmonen der Unterwelt von

    ihr beschwren, und gerechtfertigt wird durch solche

    Annahme ihre grausame Hinrichtung. Ein tieferUnmut erfat mich jedesmal, wenn ich zu Rouen ber

    den kleinen Marktplatz wandle, wo man die Jungfrau

    verbrannte und eine schlechte Statue diese schlechte

    Tat verewigt. Qualvoll tten! das war also schon da

    mals eure Handlungsweise gegen berwundene Fein

    de! Nchst dem Felsen von St. H-elena, gibt der er

    whnte Marktplatz von Rouen, das emprendste Zeug

    nis von der Gromut der Englnder.

    Ja, auch Shakespeare hat sich an der Pucelle versn

    digt, und wo nicht mit entschiedener Feindschaft, be

    handelte er sie doch unfreundlich und lieblos, die edleJungfrau, die ihr Vaterland befreite! Und htte sie

    es auch mit der Hlfe der Hlle getan, sie verdiente

    dennoch Ehrfurcht und Bewunderung!

    Oder haben die Kritiker recht, welche dem Stcke,

    worin die Pucelle auftritt, wie auch dem zweiten unddritten Teile Heinrichs VI., die Autorschaft des gro

    en Dichters absprechen? Sie behaupten, diese Tri

  • 116

    logie gehre zu den ltern Dramen, die er nur bearbeitet habe. Ich mchte gern, der Jungfrau von Or

    leans wegen, einer solchen Annahme beipflichten.Aber die vorgebrachten Argumente sind nicht haltbar.

    Diese bestrittenen Dramen tragen in manchen Stellenallzusehr das Vollgeprge des Shakespeareschen Gei

    stes.

  • Margaretha(Heinrich VI. erster Teil)

    Hier sehen wir die schne Tochter des Grafen

    Reignier noch als Mdchen. Suffolk tritt auf und fhrt

    sie vor als Gefangene, doch ehe er sich dessen ver

    sieht, hat sie ihn selber gefesselt. Er mahnt uns ganz

    an den Rekruten, der, von einem Wachtposten aus,

    seinem Hauptmann entgegenschrie: Ich habe einen

    Gefangenen gemacht. So bringt ihn zu-mir her,

    antwortete der Hauptmann. Ich kann nicht, erwi

    derte der arme Rekrut, denn mein Gefangener lt

    mich nicht mehr los.

    Suffolk spricht:

    Sei nicht beleidigt, Wunder der Natur!Von mir gefangen werden ist dein Los.

    So schtzt der Schwan die flaurnbedeckten SchwnleinMit seinen Flgeln sie gefangen haltend:

    Allein, sobald dich krnkt die Sklaverei,So geh, und sei als Suffolks Freundin frei.

    (Sie wendet sich weg, als wollte sie gehn)

    O bleib! Mir fehlt die Kraft sie zu entlassen,Befrein will sie die Hand, das Herz sagt nein.Wie auf kristallnem Strom die Sonne spielt,

    Und blinkt mit zweitem nachgeahmten Strahl,So scheint die lichte Schnheit meinen Augen;

    Ich wrbe gern, doch wag ich nicht zu reden;Ich fodre Tint und Feder, ihr zu schreiben.

    Pfui, De la Poole! entherze dich nicht selbst.Hast keine Zung ? ist sie nicht dort?Verzagst du vor dem Anblick eines Weibs?

    Ach ja! der Schnheit hohe MajesttVerwirrt die Zung, und macht die Sinne wst.

  • 118

    Margaretha.

    Sag, Graf von Suffolk (wenn du so dich nennst),Was gilts zur Lsung, eh du mich entlssest?

    Denn wie ich seh, bin ich bei dir Gefangne.

    Suffolk (beiseit).

    Wie weit du, ob sie deine Bitte weigert,Eh du um ihre Liebe dich versucht?

    Margaretha.

    Du sprichst nicht: was fr Lsung mu ich zahlen?

    Suffolk (beiSeit).

    Ja, sie ist schn, drum mu man um sie werben;Sie ist ein Weib, drum kann man sie gewinnen.

    Er findet endlich das beste Mittel die Gefangene zubehalten, indem er sie seinem Knig-e anvermhlt, und

    zugleich ihr ffentlicher Untertan und ihr heimlicherLiebhaber wird.

    Ist dieses Verhltnis zwischen Margarethen undSuffolk in der Geschichte begrndet? Ich wei nicht.Aber Shakespeares divinatorisches Auge sieht oft

    Dinge, wovon die Chronik nichts meldet, und die den

    noch wahr sind. Er kennt sogar jene flchtigen Tru

    me der Vergangenheit, die Klio aufzuzeichnen verga.

    Bleiben vielleicht auf dem Schauplatz der Begebenheiten allerlei bunte Abbilder derselben zurck, dienicht wie gewhnliche Schatten mit den wirklichen

    Erscheinungen verschwinden, sondern gespenstischhaften bleiben am Boden, unbemerkt von den gewhn

    lichen Werkeltagsmenschen, die ahnungslos darber

    hin ihre Geschfte treiben, aber manchmal ganz far

    ben- und formenbestimmt sichtbar werdend, fr das

    sehende Auge jener Sonntagskirider, die wir Dichternennen?

  • Knigin Margaretha(Heinrich VI. zweiter und dritter Teil)

    In diesem Bildnis sehen wir dieselbe Margaretha

    als Knigin, als Gemahlin des sechsten Heinrichs. Die

    Knospe hat sich entfaltet, sie ist jetzt eine vollblhende

    Rose; aber ein widerlicher Wurm liegt darin verbor

    gen. Sie ist ein hartes, frevelhaftes Weib geworden.

    Beispiellos grausam in der wirklichen wie in der ge

    dichteten Welt ist die Szene, wo sie dem weinenden

    York das grliche, in dem Blut-e seines Sohnes getauchte Tuch berreicht, und ihn verhhnt, da erseine Trnen damit trocknen mge. Entsetzlich sind

    ihre Worte:

    Sieh, York! dies Tuch befleckt ich mit dem Blut,Das mit geschrftem Stahl der tapfre CliffordHervor lie strmen aus des Knaben Busen;

    Und kann dein Aug um seinen Tod sich feuchten,So geb ich dirs, die Wangen abzutrocknen.Ach, armer York! hat ich nicht tdlich dich,So wrd ich deinen Jammerstand beklagen.So grm dich doch, mich zu belustgen, York!Wie? drrte so das feurge Herz dein Innres,

    Da keine Trne fllt um Rutlands Tod?Warum geduldig, Mann? Du solltest rasen;Ich hhne dich, um rasend dich zu machen.Stampf, tob und knirsch, damit ich sing und tanze!

    Htte der Knstler, welcher die schne Margarethafr diese Galerie zeichnete, ihr Bildnis mit noch weiter

    geffneten Lippen dargestellt, so wrden wir bemerken, da sie spitzige Zhne hat, wie ein Raubtier.

    In einem folgenden Drama, in Richard III., erscheint sie auch physisch scheulich, denn die Zeit hat

  • 120

    ihr alsdann die spitzigen Zhne ausgebrochen, siekann nicht mehr beien, sondern nur noch fluchen,

    und als ein gespenstisch altes Weib wandelt sie durchdie Knigsgemcher, und das zahnlose bse Maul

    murmelt UnheiIr-eden und Verwnschungen.Durch ihre Liebe fr Suffolk, den wilden Suffolk,

    wei uns Shakespeare sogar fr dieses Unweibein-ige

    Rhrung abzugewinnen. Wie verbrecherisch auchdiese Liebe ist, so drfen wir derselben dennoch we

    der Wahrheit noch Innigkeit absprechen. Wie entzk'kend schn ist das Abschiedsgesprch der beiden-Lie-

    benden! Welche Zrtlichkeit in den Worten Margarethens:

    Ach! rede nicht mit mir! gleich eile fort! O, geh noch nicht! So herzen sich und kssenVerdammte Freund, und scheiden tausendmal,

    Vor Trennung hundertmal so bang als Tod.Doch nun fahr wohl! fahr wohl mit dir mein Leben!

    Hierauf antwortet Suffolk:

    Mich kmmert nicht das Land, wrst du von hinnen;Volkreich genug ist eine Wstenei,Hat Suffolk dein-e himmlische Gesellschaft:

    Denn wo du bist, da ist die Welt ja selbst,Mit all und jeden Freuden in der Welt;

    Und wo du nicht bist, de nur und Trauer.

    Wenn spterhin Margaretha, das blutige Haupt desGeliebten in der Hand tragend, ihre wildeste Verzweiflung ausjammert, mahnt sie uns an die furcht

    bare Kriemhilde des Nibelungenlieds. Welche gepan-'

    zerte Schmerzen, woran alle Trostworte ohnmchtig

    abgleiten!Ich habe bereits im Eingange angedeutet, da ichin Beziehung auf Shakespeares Dramen aus der eng

  • I2!

    lischen Geschichte mich aller historischen und philo

    sophischen Betrachtungen enthalten werde. Das The

    ma jener Dramen ist noch immer nicht ganz abgehan

    delt, so lange der Kampf der modernen Industriebe

    drfnisse mit den Resten des mittelalterlichen Feudal

    wesens unter allerlei Transformationen fortdauert.

    Hier ist es nicht so leicht, wie bei den rmischen

    Dramen, ein entschiedenes Urteil auszusprechen, und

    jede starke Freimtigkeit knnte einer milichen Auf

    nahme begegnen. Nur eine Bemerkung kann ich hier

    nicht zurckweisen.Es ist mir nmlich unbegreiflich, wie einige deutsche

    Kommentatoren ganz bestimmt fr die EnglnderPartei nehmen, wenn sie von jenen franzsischen Kriegen reden, die in den historischen Dramen des Shake

    speares dargestellt werden. Wahrlich, in jenen Krie

    gen war weder das Recht, noch die Poesie auf Seiten

    der Englnder, die einesteils unter nichtigen Succes

    sionsvorwnden die roheste Plnderungslust verbar

    gen, anderenteils nur im Solde gemeiner Krmerinter

    essen sich herumschlugen ganz wie zu unserereignen Zeit, nur da es sich im neunzehnten Jahrhun

    dert mehr um Kaffee und Zucker, hingegen im vier

    zehnten und fnfzehnten Jahrhundert mehr um Schafs

    wolle handelte.Michelet, in seiner franzsischen Geschichte, dem

    genialen Buche, bemerkt ganz richtig:

    Das Geheimnis der Schlachten von Crecy, von

    Poitiers usw. befindet sich im Comptoir der Kaufleutevon London, von Bordeaux, von Bruges. w

    Wolle und Fleisch begrndeten das ursprnglicheEngland und die englische Rasse. Bevor England fr

  • 122

    die ganze Welt eine groe Baumwollspinnerei und

    Eisenmanufaktur wurde, war es eine Fleischfabrik.

    Von jeher trieb dieses Volk vorzugsweise Viehzucht

    und nhrte sich von Fleischspeisen. Daher diese Fri

    sche des Teints, diese Kraft, diese (kurznasige undhinterkopflose) Schnheit. Man erlaube mir bei die

    ser Gelegenheit eines persnlichen Eindrucks zu er

    whnen:

    Ich hatte London und einen groen Teil Englands

    und Schottlands gesehen; ich hatte mehr angestauntals begriffen. Erst auf meiner Rckreise, als ich von

    York nach Manchester ging, die Insel in ihrer Breite

    durchschneidend, empfing ich eine wahrhafte Anschauung Englands. Es war eines Morgens, bei feuchtemNebel; das Land erschien mir nicht blo umgeben,

    sondern berschwemmt vom Ozean. Eine bleiche

    Sonne frbte kaum die Hlfte der Landschaft. Die

    neuen ziegelroten Huser htten allzu schroff gegen

    die saftig grnen Rasen abgestochen, wren diese

    schreienden Farben nicht von den flatternden See

    nebeln gedmpft worden. Fette Weidenpltze, be

    deckt mit Schafen, und berragt von den flammenden

    Schornsteinen der Fabrikfen. Viehzucht, Ackerbau,

    Industrie, alles war in diesem kleinen Raume zusam

    mengedrngt, eins ber das andre, eins das andre er

    nhrend; das Gras lebte vom Nebel, das Schaf vom

    Grase, der Mensch von Blut.Der Mensch, in diesem verzehrenden Klima, wo er

    immer von Hunger geplagt ist, kann nur durch Arbeit

    sein Leben fristen. Die Natur zwingt ihn dazu. Aberer wei sich an ihr zu rchen; er lt sie selber arbei-

    ten; ernterjocht sie durch Eisen und Feuer. Ganz

  • 123

    England keucht von diesem Kampfe. Der Mensch istdort wie erzrnt, wie auer sich. Seht dieses rote Ge

    sicht, dieses irrglnz-ende Auge Man knnte leicht

    glauben, er sei trunken. Aber sein Kopf und seineHand sind fest und sicher. Er ist nur trunken von Blut

    und Kraft. Er behandelt sich selbst wie eine Dampf

    maschine, welch-e er bis zum berma mit Nahrung

    vollstopft, um so viel Ttigkeit und Schnelligkeit als

    nur irgend mglich daraus zu gewinnen.

    Im Mittelalter war der Englnder ungefhr was er

    jetzt ist: zu stark genhrt, angetrieben zum Handeln

    und kriegerisch in Ermangelung einer industriellen

    Beschftigung.

    England, obgleich Ackerbau und Viehzucht trei

    bend, fabrizierte noch nicht. Die Englnder lieferten

    den rohen Stoff; andere wuten ihn zu bearbeiten. Die

    Wolle war auf der einen Seite des Kanals, der Arbei

    ter war auf der andern Seite. Whrend die Frsten

    stritten und haderten, lebten doch die englischen Vieh

    hndler und die flmischen Tuchfabrikanten in bester

    Einigkeit, im unzerstrbarsten Bndnis. Die Franzosen, welche dieses Bndnis brechen wollten, muten

    dieses Beginnen mit einem hundertjhrigen Kriege

    ben. Die englischen Knige wollten zwar die Eroberung Frankreichs, aber das Volk verlangte nur

    Freiheit des Handels, freie Einfuhrpltze, freien Markt

    fr die englische Wolle. Versammelt um einen groen

    Wollsack, hielten die Kommunen Rat ber die Forderungen des Knigs, und bewilligten ihm gern hinlng

    liche Hlfsgeld-er und Armeen.

    Eine solche Mischung von Industrie und Chevalerie

    verleiht dieser ganzen Geschichte ein wunderliches

  • 124

    Ansehen. Jener Eduard, welcher auf der Tafelrundeeinen stolzen Eid geschworen hat, Frankreich zu erobern, jene gravittisch nrrischen Ritter, welche in

    folge ihres Gelbdes ein Auge mit rotem Tuch bedeckt tragen, sie sind doch keine so groen Narren,als da sie auf eigne Kosten ins Feld zgen. Die

    fromme Einfalt der Kreuzfahrten ist nicht mehr an

    der Zeit. Diese Ritter sind im Grunde doch nichtsanders als kufliche Sldner, als bezahlte Handels

    agenten, als bewaffnete Commis-Voyageurs der Londoner und Ganter Kaufleute. Eduard selbst mu sich

    sehr verbrgern, mu allen Stolz ablegen, mu den

    Beifall der Tuchhndler- und Webergilde erschr_neicheln, mu seinem Gevatter, dem Bierbrauer Arte

    velde, die Hand reichen, mu auf den Schreibtisch

    eines Viehhndlers steigen, um das Volk anzureden.Die englischen Tragdien des vierzehnten Jahrhun

    derts haben sehr komische Partien. In den nobelsten

    Rittern steckte immer etwas Falstaff. In Frankreich,

    in Italien, in Spanien, in den schnen Lndern des S

    dens, zeigen sich die Englnder eben so gefrig wietapfer. Das ist Herkules der Ochsenverschlinger. Siekommen, im wahren Sinne des Wortes, um das Land

    aufzufressen. Aber das Land bt Wiedervergeltung,und besiegt sie durch seine Frchte und Weine. Ihre

    Frsten und Armeen bernehmen sich in Speis undTrank, und sterben an Indigestionen und Dysentrie.

    Mit diesen gedungenen Frahelden vergleiche man

    die Franzosen, das migste Volk, das weniger durch

    seine Weine berauscht wird, als vielmehr durch seinen angebornen Enthusiasmus. Letzterer war immerdie Ursache ihrer Migeschicke, und so sehen wir

  • 125

    schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, wie

    sie im Kampfe mit den Englndern eben durch ihrberma von Ritterlichkeit unterliegen muten. Daswar bei Crecy, wo die Franzosen schner erscheinendurch ihre Niederlage, als die Englnder durch ihren

    Sieg, den sie in unritterlicher Weise, durch Fuvolk

    erfochten Bisher war der Krieg nur ein groes

    Turnier von ebenbrtigen Reutern; aber bei Crecy

    wird diese romantische Kavallerie, diese Poesie,

    schmhlich ni-edergeschossen von der modernen Infanterie, von der Prosa in strengstilisierter Schlacht

    ordnung, ja, hier kommen sogar die Kanonen zum

    Vorschein . . . Der greise Bhmenknig, welch-er, blind

    und alt, als ein Vasall Frankreichs dieser Schlacht bei

    wohnte, merkte wohl, da knftig der Mann zu Ro

    von dem Mann zu Fu berwltigt werde, und er

    sprach zu seinen Rittern: Ich bitte euch angelegent

    lichst, fhrt mich so weit ins Treffen hinein, da ich

    noch einmal mit einem guten Schwertstreich drein

    schlagen kann! Sie gehorchten ihm, banden ihrePferde an das seinige, jagten mit ihm in das wildeste

    Getmmel, und des andern Morgens fand man sie alle

    tot auf den Rcken ihrer toten Pferde, welche noch

    immer zusammengebunden waren. Wie dieser Bh

    menknig und sein-e Ritter, so fielen die Franzosen

    bei Crecy, bei Poitiers; sie starben, aber zu Pferde.Fr England war der Sieg, fr Frankreich war der

    Ruhm. Ja, sogar durch ihre Niederlagen wissen dieFranzosen ihre Gegner in den Schatten zu stellen. Die

    Triumphe der Englnder sind immer eine Schande derMenschheit, seit den Tagen von Crecy und Poitiersbis auf Waterloo. Klio ist immer ein Weib, trotz ihrer

  • 126

    parteilosen Klte, ist sie empfindlich fr Ritterlichkeitund Heldensinn; und ich bin berzeugt, nur mit knir

    schendem Herzen verzeichnet sie in ihre Denktafeln

    die Sieg-e der Englnder.

  • Lady Gray(Heinrich VI.)

    Sie war eine arme Witwe, welche zitternd vor K

    nig Eduard trat und ihn anflehte, ihren Kindern das

    Gtchen zurckzugeben, das nach dem Tode ihres Ge

    mahls den Feinden anheimgefallen war. Der woll

    stige Knig, welch-er ihre Keuschheit nicht zu kirren

    vermag, wird so sehr von ihren schnen Trnen be

    zaubert, da er ihr die Krone aufs Haupt setzt. Wie

    viel Kmmernisse fr beide dadurch entstanden, mel

    det die Weltgeschichte.

    Hat Shakespeare wirklich den Charakter des erwhnten Knigs ganz treu nach der Historie geschil

    dert? Ich mu wieder auf die Bemerkung zurck

    kommen, da er verstand, die Lakunen der Historie

    zu fllen. Seine Knigscharaktere sind immer so wahr

    gezeichnet, da man, wie ein englischer Schriftsteller

    bemerkt, manchmal meinen sollte, er sei whrend sei

    nes ganzen Lebens der Kanzler des Knigs gewesen,den er in irgend einem Drama agieren lt. Fr die

    Wahrheit seiner Schilderungen brgt, nach meinem

    Bednken, auch die frappante hnlichkeit, welche sichzwischen seinen alten Knigen und jenen Knigen der

    Jetztzeit kundgibt, die wir als Zeitgenossen am besten

    zu beurteilen vermgen.Was Friedrich Schlegel von dem Geschichtschreiber

    sagt, gilt ganz eigentlich von unserem Dichter: er ist

    ein in die Vergangenheit schauender Prophet. Wre

    es mir erlaubt einem der berhmtesten unserer gekrnten Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten, so

    wrde jeder einsehen, da ihm Shakespeare schon vor6 Heine. Sh. M. u. F.

  • 128

    zwei Jahrhunderten seinen Steckbrief ausgefertigt hat.

    In der Tat, beim Anblick dieses groen, vortrefflichen

    und gewi auch glorreichen Monarchen berschleichtuns ein gewisses Schauergefhl, das wir zuweilen emp

    finden, wenn wir im wachen Tageslichte einer Gestalt

    begegnen, die wir schon in nchtlichen Trumen erblickt haben. Als wir ihn vor acht Jahren durch dieStraen der Hauptstadt reiten sahen, barhuptig und

    demtig nach allen Seiten grend, dachten wir im

    mer an die Worte, womit York des Bolingbrokes Einzug in London schildert. Sein Vetter, der neuere Ri

    chard II., kannte ihn sehr gut, durchschaute ihn immer

    und uerte einst ganz richtig:

    Wir selbst und Bushy, Bagot hier und Green,Sahn sein Bewerben beim geringen Volk,Wie er sich wollt in ihre Herzen tauchenMit traulicher, demtger Hflichkeit;Was fr Verehrung er an Knechte wegwarf,

    Handwerker mit des Lchelns Kunst gewinnend,Und ruhige-m Ertragen seines Loses,Als wollt er ihre Neigung mit verbannen.

    Vor einem Austerweib zieht er die Mtze,Ein Paar Karrnzi-eher grten: Gott geleit euch!

    Und ihnen ward des schmeidgen Knies Tribut,Nebst: Dank, Landsleute! meine gtgen Freunde!

    Ja, die hnlichkeit ist erschreckend. Ganz wie der

    ltere, entfaltete sich vor unsern Augen der heutigeBolingbroke, der, nach dem Sturze seines kniglichen

    Vetters, den Thron bestieg, sich allmhlich darauf be

    festigte: ein schlauer Held, ein kriechender Riese, ein

    Titan der Verstellung, entsetzlich, ja emprend ruhig,

    die Tatze in einem samtnen Handschuh, und damit

    die ffentliche Meinung streichelnd, den Raub schon

  • 129

    in weiter Ferne ersphend, und nie darauf Iossprin

    gend, bis er in sicherster Nhe Mge er immerseine schnaubenden Feinde besiegen, und dem Reiche

    den Frieden erhalten, bis zu seiner Todesstunde, woer zu seinem Sohn jene Worte sprechen wird, die

    Shakespeare schon lngst fr ihn aufgeschrieben:

    Komm her, mein Sohn, und setz dich an mein Bett,Und hr den letzten Ratschlag, wie ich glaube,

    Den ich je atmen mag. Gott wei, mein Sohn,Durch welche Nebenschlich und krumme Wege

    Ich diese Kron erlangt; ich selbst wei wohl,Wie lstig sie auf meinem Haupte sa.

    Dir fllt sie heim nunmehr mit bessrer Ruh,Mit bessrer Meinung, besserer Besttgung;

    Denn jeder Flecken der Erlangung gehtMit mir ins Grab. An mir erschien sie nur

    Wie eine Ehr, erhascht mit heftger Hand;Und viele lebten noch, mir vorzurcken,

    Da ich durch ihren Beistand sie gewonnen,Was tglich Zwist und Blutvergieen schuf,

    Dem vorgegebnen Frieden Wunden schlagend.Alle diese dreisten Schrecken, wie du siehst,

    Hab ich bestanden mit Gefahr des Lebens;Denn all mein Regiment war nur ein Auftritt,

    Der diesem Inhalt spielte; nun verndertMein Tod die Weise; denn was ich erjagt,

    Das fllt dir nun mit schnerm Anspruch heim,Da du durch Erblichkeit die Krone trgst.Und, stehst du sichrer schon als ich es konnte,

    Du bist nicht fest genug, solang die KlagenSo frisch noch sind; und allen meinen Freunden,

    Die du zu deinen Freunden machen mut,Sind Zhn und Stachel krzlich nur entnommen,

    Die durch gewaltsam Tun mich erst befrdert,Und deren Macht wohl Furcht erregen konnteVor neuer Absetzung; was zu vermeidenIch sie verdarb, und nun des Sinnes war,6.

  • ISO

    Zum heilgen Lande viele fortzufhren,Da Ruh und Stilleliegen nicht zu nahMein Reich sie prfen lie. Damm, mein Sohn,

    Beschftge stets die schwindlichten GemterMit fremdem Zwist, da Wirken in der Fern

    Das Aqgedenken vorger Tage banne.Mehr wollt ich, doch die Lung ist so erschpft,

    Da krftge Rede gnzlich mir versagt ist.Wie ich zur Krone kam, 0 Gott vergebe!

    Da sie bei dir in wahrem Frieden lebe!

  • Lady Anna(Knig Richard III.)

    Die Gunst der Frauen, wie das Glck berhaupt, ist

    ein freies Geschenk, man empfngt es, ohne zu wis

    sen wie, ohne zu wissen warum. Aber es gibt Men

    schen, die es mit eisernem Willen vom Schicksal zu er

    trotzen verstehen, und diese gelangen zum Ziele, ent

    weder durch Schmeichelei, oder indem sie den Wei

    bern Schrecken einflen, oder indem sie ihr Mitlei

    den anregen, oder indem sie ihnen Gelegenheit geben

    sich aufzuopfern .. . Letzteres, nmlich das Geopfert

    sein, ist die Li-eblingsrolle der Weiber, und kleidet sieso schn vor den Leuten, und gewhrt ihnen auch in

    der Einsamkeit so viel trnenreich-e Wehmutsgensse.

    Lady Anna wird durch alles dieses zu gleicher Zeit

    bezwungen. Wie Honigseim gleiten die Schmeichel

    worte von den furchtbaren Lippen . .. Richard schmei

    chelt ihr, derselbe Richard, welcher ihr alle Schrecken

    der Hlle einflt, welcher ihren geliebten Gemahl

    und den vterlichen Freund gettet, den sie eben zu

    Grabe bestattet Er befiehlt den Leichentrgernmit herrischer Stimme, den Sarg niederzusetzen, und

    in diesem Momente richtet er seine Li-ebeswerbung

    an die schne Leidtragende . . . Das Lamm sieht schon

    mit Entsetzen das Zhnefletschen des Wolfes, aber

    dieser spitzt pltzlich die Schnauze zu den sestenSchmeicheltnen . .. Die Schmeichelei des Wolfes

    wirkt so erschtternd, so berauschend auf das arme

    Lammgemt, da alle Gefhle darin eine pltzlicheUmwandlung erleiden Und Knig Richard sprichtvon seinem Kummer, von seinem Gram, so da Anna

  • 132

    ihm ihr Mitleid nicht versagen kann, um so mehr, dadieser wilde Mensch nicht sehr klageschtig von Na

    tur ist Und dieser unglckliche Mrder hat Gewissensbisse, spricht von Reue, und eine gute Frau

    knnte ihn vielleicht auf den besseren Weg leiten,wenn sie sich fr ihn aufopfern wollte . .. Und Annaentschliet sich Knigin von England zu werden.

  • Knigin Catharina(Heinrich VIII.)

    Ich hege ein unberwindliches Vorurteil gegen diese

    Frstin, welcher ich dennoch die hchsten Tugenden

    zugestehen mu. Als Ehefrau war sie ein Muster

    huslicher Treue. Als Knigin betrug sie sich mithchster Wrde und Majestt. Als Christin war sie

    die Frmmigkeit selbst. Aber den Doktor Samuel

    Johnson hat sie zum berschwenglichsten Lobe begeistert, sie ist unter allen Shakespeareschen Frauen

    sein auserlesener Liebling, er spricht von ihr mit Zrt

    lichkeit und Rhrung Das ist nicht zu ertragen.

    Shakespeare hat alle Macht seines Genius aufgeboten,die gute Frau zu verherrlichen, doch diese Bemhung

    wird vereitelt, wenn man sieht, da Dr. Johnson, der

    groe Porterkrug, bei ihrem Anblick in ses Ent

    zcken gert und von Lobeserhebungen berschumt.

    Wr sie meine Frau, ich knnte mich von ihr scheiden

    lassen ob solcher Lobeserhebungen. Vielleicht war es

    nicht der Liebreiz von Anna Boleyn, was den armenKnig Heinrich von ihr losri, sondern der Enthusias

    mus, womit sich irgend ein damaliger Dr. Johnson ber

    die treu-e, wrdevolle und fromme Catharina aussprach. Hat vielleicht Thomas Morus, der bei all sei

    ner Vortrefflichkeit etwas pedantisch und ledern und

    unv-erdaulich wie Dr. Johnson war, zu sehr die K

    nigin in den Himmel erhoben? Dem wackern Kanzlerfreilich kam sein Enthusiasmus etwas teuer zu stehen;

    der Knig erhob ihn deshalb selbst in den Himmel.

    Ich wei nicht was ich am meisten bewundern soll:

    da Catharina ihren Gemahl ganze fnfzehn Jahre

  • 134

    lang ertrug, oder da Heinrich seine Gattin whrendso langer Zeit ertragen hat? Der Knig war nichtblo sehr launenhaft, jhzornig und in bestndigemWiderspruch mit allen Neigungen seiner Frau das

    findet sich in vielen Ehen, die sich trotzdem, bis der

    Tod allem Zank ein Ende macht, aufs beste erhalten

    aber der Knig war auch Musiker und Theolog,und beides in vollendeter Miserabilitt. Ich habe un

    lngst als ergtzliche Kuriositt einen Choral vonihm gehrt, der eben so schlecht war wie sein Traktat

    de septem sacramentis. Er hat gewi mit seinen mu-.

    sikalischen Kompositionen und seiner theologischen

    Schriftstellerei die arme Frau sehr belstigt. Das Bestean Heinrich war sein Sinn fr plastische Kunst, undaus Vorliebe fr das Schne, entstanden vielleicht

    seine schlimmsten Sympathien und Antipathien. Catharina von Aragonien war nmlich noch hbsch in

    ihrem vierundzwanzigsten Jahre, als Heinrich achtzehn Jahre alt war und sie heiratete, obgleich sie dieWitwe seines Bruders gewesen. Aber ihre Schnheit

    hat wahrscheinlich mit den Jahren nicht zugenommen,

    um so mehr da sie, aus Frmmigkeit, mit Geielung,

    Fasten, Nachtwachen und Betrbungen ihr Fleisch bestndig kasteite. ber diese ascetischen bungen be

    klagte sich ihr Gemahl oft genug, und auch uns wren dergleichen an einer Frau sehr fatal gewesen.

    Aber es gibt noch einen andern Umstand, der mich

    in meinem Vorurteil gegen diese Knigin bestrkt: Sie

    war die Tochter der Isabella von Kastilien und dieMutter der blutigen Maria. Was soll ich von dem

    Baume denken, der solcher bsen Saat entsprossen,und solche bse Frucht gebar?

  • 135

    Wenn sich auch in der Geschichte keine Spurenihrer Grausamkeit vorfinden, so tritt dennoch der

    wilde Stolz ihrer Rasse bei jeder Gelegenheit hervor,

    wo sie ihren Rang vertreten oder geltend machen will.

    \ Trotz ihrer wohleingebten christlichen Demut, geriet

    sie doch jedesmal in einen fast heidnischen Zorn, wenn

    man einen Versto gegen die herkmmliche Etikette

    machte oder gar ihr den kniglichen Titel verweigerte.

    Bis in den Tod bewahrte sie diesen unauslschbaren

    Hochmut, und auch bei Shakespeare sind ihre letzten

    Worte :

    Ihr sollt mich balsamieren, dann zur Schau 'Ausstellen, zwar entknigt, doch begrabt michAls Knigin und eines Knigs Tochter.

    Ich kann nicht mehr.

  • An n a B 0 l ey n(Heinrich VIII.)

    Die gewhnliche Meinung geht dahin, da KnigHeinrichs Gewissensbisse ob seiner Ehe mit Catha

    rinen durch die Reize der schnen Anna entstandenseien. Sogar Shakespeare verrt diese Meinung, und

    wenn in dem Krnungszug die neue Knigin auftritt,legt er einem jungen Edelmann folgende Worte in denMund: 4

    ........._Gottseimitdir!Solch s Gesicht, als deins, erblickt ich nie!Bei meinem Leben, Herr, sie ist ein Engel,

    Der Knig hlt ganz Indien in den Armen,Und viel, viel mehr, wenn er dies Weib umfngt:Ich tadle sein Gewissen nicht.

    Von der Schnheit der Anna Boleyn gibt uns derDichter auch in der folgenden Szene einen Begriff, wo

    er den Enthusiasmus schildert, den ihr Anblick bei der

    Krnung hervorbrachte.Wie sehr Shakespeare seine Gebieterin, die hohe

    Elisabeth, liebte, zeigt sich vielleicht am schnsten in

    der Umstndlichkeit, womit er die Krnungsfeier ihrerMutter darstellt. Alle diese Details sanktionieren das

    Thronrecht der Tochter, und ein Dichter wute diebestrittene Legitimitt seiner Knigin dem ganzen

    Publikum zu veranschaulichen. Aber diese Kniginverdiente solchen Liebeseifer! Sie glaubte ihrer K

    nigswrde nichts zu vergeben, wenn sie dem Dichtergestattete, alle ihre Vorfahren, und sogar ihren eige

    nen Vater, mit entsetzlicher Unparteilichkeit auf derBhne darzustellen! Und nicht blo als Knigin, son

  • 137

    dem auch als Weib wollte sie nie die Rechte der Poesie beeintrchtigen; wie sie unserem Dichter in poli

    tischer Hinsicht die hchste Redefreiheit gewhrte, so

    erlaubte sie ihm auch die kecksten Worte in ge

    schlechtlicher Beziehung, sie nahm keinen Ansto an

    den ausgelassensten Witzen einer gesunden Sinnlich

    keit, und sie, the maiden queen, die knigliche Jung

    frau, verlangte sogar, da Sir John Falstaff sich ein

    mal als Liebhaber zeige. Ihrem lchelnden Wink ver

    danken wir Die lustigen Weiber von Windsor.

    Shakespeare konnte seine englischen Geschichtsdra men nicht besser schlieen, als indem er am Ende von

    Heinrich VIII. die neugeborne Elisabeth, gleichsam

    die bessere Zukunft in Windeln, ber die Bhne tra

    gen lt.

    Hat aber Shakespeare wirklich den Charakter Hein

    richs VIII., des Vaters seiner Knigin, ganz geschichts

    treu geschildert? Ja, obgleich er die Wahrheit nicht

    in so grellen Lauten wie in seinen brigen Dramen

    verkndete, so hat er sie doch jedenfalls ausgespro

    chen, und der leisere Ton macht jeden Vorwurf desto

    eindringlich-er. Dieser Heinrich VIII. war der schlimm

    ste all-er Knige, denn whrend alle andere bse Fr

    sten nur gegen ihre Feinde wteten, raste jener gegen

    seine Freunde, und seine Liebe war immer weit gefhrlicher als sein Ha. Die Ehestandsgeschichten die

    ses kniglichen Blaubarts sind entsetzlich. In alle

    Schrecknisse derselben mischte er obendrein eine gewisse bldsinnig grauenhafte Galanterie. Als er Anna

    Boleyn hinzurichten befahl, lie er ihr vorher sagen,da er fr sie den geschicktesten Scharfrichter von

    ganz England bestellt habe. Die Knigin dankte ihm

  • 138

    gehorsamst fr solche zarte Aufmerksamkeit, und in

    ihrer leichtsinnig heitern Weise, umspannte sie mitbeiden weien Hnden ihren Hals und rief: Ich bin

    sehr leicht zu kpfen, ich hab nur ein kleines schmales Hlschen.

    Auch ist das Beil, womit man ihr das Haupt ab

    schlug, nicht sehr gro. -Man zeigte es mir in derRstkammer des Towers zu London, und whrend ich

    es in den Hnden hielt, beschlichen mich sehr sonder

    bare Gedanken.

    Wenn ich Knigin von England wre, ich liee je

    nes Beil in die Tiefe des Ozeans versenken.

  • Lady Macbeth(Macbeth)

    Von den eigentlich historischen Dramen wende ich

    . mich zu jenen Tragdien, deren Fabel entweder rein

    ersonnen, oder aus alten Sagen und Novellen ge

    schpft ist. Macbeth bildet einen bergang zu die

    sen Dichtungen, worin der Genius des groen Shake

    speare am freiesten und kecksten seine Flgel entfaltet. Der Stoff ist einer alten Legende entlehnt, er

    gehrt nicht zur Historie, und dennoch macht dieses

    Stck einige Ansprche an geschichtlichen Glauben,

    da der Ahnherr des kniglichen Hauses von England

    darin eine Rolle spielte. Macbeth ward nmlich lin

    ter Jakob I. aufgefhrt, welcher bekanntlich von dem

    schottischen Banko abstammen sollte. In dieser Be

    ziehung hat der Dichter auch einige Prophezeiungen

    zur Ehre der regierenden Dynastie seinem Drama ein

    gewebt.

    Macbeth ist ein Liebling der Kritiker, die hier

    Gelegenheit finden, ihre Ansichten ber die antikeSchicksalstragdie, in Vergleichung mit der Auffas

    sung des Fatums bei modernen Tragikern, des brei

    testen auseinanderzusetzen. Ich erlaube mir ber die

    sen Gegenstand nur eine flchtige Bemerkung.Die Schicksalsidee des Shakespeare ist von der Ideedes Schicksals bei den Alten in gleicher Weise ver

    schieden, wie die wahrsagenden Frauen, die kronen

    verheiend in der alten nordischen Legende dem Mac

    beth begegnen, von jener Hexenschwesterschaft verschieden sind, die man in der Shakespeareschen Tra

    gdie auftreten sieht. Jene wundersamen Frauen inder alten nordischen Legende sind offenbar Walkren,

  • 140

    schauerliche Luftgttinnen, die ber den Schlachtfeldern einherschwebend, Sieg oder Niederlage entschei- _den, und als die eigentlichen Lenkerinnen des Menschenschicksals zu betrachten sind, da letzteres im

    kriegerischen Norden zunchst vom Ausgang der

    Schwertkmpfe abhngig war. Shakespeare verwan

    delte sie in unheilstiftende Hexen, entkleidete sie aller_

    furchtbaren Grazie des nordischen Zaubertums, er

    machte sie zu zwitterhaften Miweibern, die unge- heuerlichen Spuk zu treiben wissen, und Verderben

    brauen, aus hmischer Schadenfreude oder auf Ge

    hei der Hlle; sie sind die Dienerinnen des Bsen,

    und wer sich von ihren Sprchen betren lt, geht

    mit Leib und Seele zu Grunde. Shakespeare hat alsodie altheidnischen Schicksalsgttinnen und ihren ehr

    wrdigen Zaubersegen ins Christliche bersetzt, und

    der Untergang seines Helden ist daher nicht etwas

    voraus bestimmt Notwendiges, etwas starr Unabwendbares wie das alte Fatum, sondern er ist nur die Folge

    jener Lockungen der Hlle, die das Menschenherz mit

    den feinsten Netzen zu umschlingen wei: Macbethunterliegt der Macht Satans, dem Urbsen.

    Interessant ist es, wenn man die Shakespeareschen

    Hexen mit den Hexen anderer englischen Dichter vergleicht. Man bemerkt, da Shakespeare sich dennochvon der altheidnischen Anschauungsweise nicht ganzlosreien konnte, und seine Zauberschwestern sind da

    her auffallend grandioser und respektabler als dieHexen von Middleton, die weit mehr eine bse Vettel

    natur bekunden, auch weit kleinlichere Tcken aus

    ben, nur den Leib beschdigen, ber den Geist wenig

    vermgen, und hchstens mit Eifersucht, Migunst,

  • 141

    Lsternheit und hnlichem Gefhlsaussatz unsere Her

    zen zu berkrusten wissen.Das Renommee der Lady Macbeth, die man wh

    rend zwei Jahrhunderten fr eine sehr bse Person

    hielt, hat sich vor etwa zwlf Jahren in Deutschlandsehr zu ihrem Vorteil verbessert. Der fromme Franz

    Horn machte nmlich im Brockhausischen Konversa

    tionsblatt die Bemerkung, da diearme Lady bisher

    ganz verkannt werden, da sie ihren Mann sehr liebte,

    und berhaupt ein liebevolles Gemt b-ese. Diese

    Meinung suchte bald darauf Herr Ludwig Tieck mitall seiner Wissenschaft, Gelahrtheit und philosophi

    schen Tiefe zu untersttzen, und es dauerte nicht lan

    ge, so sahen wir Madame Stich auf der kniglichenHofbhne in der Rolle der Lady Macbeth so gefhlvollgirren und turteltubeln, da kein Herz in Berlin vor

    solchen Zrtlichkeitstn-en ungerhrt blieb, und man

    ches schne Auge von Trnen berflo beim Anblick

    der juten Macbeth. Das geschah, wie gesagt, voretwa zwlf Jahren, in jener sanften Restaurationszeit,

    wo wir so viel Liebe im Leibe hatten. Seitdem ist ein

    groer Bankrott ausgebrochen, und wenn wir jetzt

    mancher gekrnten Person nicht die berschwengliche

    Liebe widmen, die sie verdient, so sind Leute daran schuld,

    die, wie die Knigin von Schottland, whrend der Restaurationsperiode unsre Herzen ganz ausgebeutelt haben.

    Ob man in Deutschland die Liebenswrdigkeit derbesagten Lady noch immer verficht, wei ich nicht.Seit der Juliusrevolution haben sich jedoch die An

    sichten in vielen Dingen gendert, und man hat vielleicht sogar in Berlin einsehen lernen, da die jute

    Macbeth eine sehr bese Bestie :sint. '

  • Oph el i a(Hamlet)

    Das ist die arme Ophelia, die Hamlet der Dne geliebt hat. Es war ein blondes schnes Mdchen, und

    besonders in ihrer Sprache lag ein Zauber, der mirschon damals das Herz rhrte, als ich nach Wittenberg

    reisen wollte und zu ihrem Vater ging, um ihm Lebewohl zu sagen. Der alte Herr war so gtig mir alle

    jene guten Lehren, wovon er selber so wenig Gebrauch machte, auf den Weg mitzugeben, und zuletzt

    rief er Oph-elien, da sie uns Wein bringe zum Abschiedstrunk. Als das liebe Kind, sittsam und anmutig,

    mit dem Kredenzteller zu mir herantrat und das strahlend groe Auge gegen mich aufhob, griff ich in der

    Zerstreuung zu einem leeren, statt einem geflltenBecher. Sie lchelte ber meinen Migriff. Ihr Lcheln war schon damals so wundersam glnzend, es

    zog sich ber ihre Lippen schon jener berauschendeSchmelz, der wahrscheinlich von den Ku-Elfen her

    rhrte, die in den Mundwinkeln lauschten.Als ich von Wittenberg heimkehrte und das L

    cheln Ophelias mir wieder entgegenleuchtete, verga

    ich darber alle Spitzfndigkeiten der Scholastik, undmein Nachgrbeln betraf nur die holden Fragen: Was

    bedeutet jenes Lcheln? Was bedeutet jene Stimme,jener geheimnisvoll schmachtende Fltenton? Woher

    empfangen jene Augen ihre seligen Strahlen? Ist es

    ein Abglanz des Himmels, oder erglnzt der Himmelnur von dem Widerschein dieser Augen? Steht jenes

    Lcheln im Zusammenhang mit der stummen Musikdes Sphrentanzes, oder ist es nur die irdische Signa

  • 143

    tur der bersinnlichsten Harmonien? Eines Tages, alswir im Schlogarten zu Helsingr uns ergingen, zrt

    lich scherzen-d und kosend die Herzen in voller Sehn

    suchtsblte . . . es bleibt mir unvergelich, wie bettel

    haft der Gesang der Nachtigallen abstach gegen diehimmelhauchende Stimme Ophelias, und wie armseligblde die Blumen aussahen mit ihren bunten Gesich

    tern ohne Lcheln, wenn ich sie zufllig verglich mit

    dem holdseligen Munde Ophelias! Die schlanke Gestalt, wie wandlende Lieblichkeit schwebte sie neben

    mir einher. '

    Ach! das ist der Fluch schwacher Menschen, da sie

    jedesmal, wenn ihnen eine groe Unbill widerfhrt,

    zunchst an dem Besten und Liebsten was sie be

    sitzen, ihren Unmut auslassen. Und der arme Hamlet

    zerstrte zunchst seine Vernunft, das herrliche Klein

    od, strzte sich durch verstellte Geistesverwirrung in

    den entsetzlichen Abgrund der wirklichen Tollheit,

    und qulte sein armes Mdchen mit hhnischen Stachelreden Das arme Ding! das fehlte noch, da

    der Geliebte ihren Vater fr eine Ratte hielt und ihntotstach . . . Da mute sie ebenfalls von Sinnen kom

    men! Aber ihr Wahnsinn ist nicht so schwarz und br

    tend dster wie der Hamletische, sondern er gaukelt,

    gleichsam besnftigend, mit sen Liedern, um ihrkrankes Haupt Ihre sanfte Stimme schmilzt ganz

    in Gesang, und Blumen und wieder Blumen windensich durch all ihr Denken. Sie singt und flechtet Krn-

    ze und schmckt damit ihre Stirn, und lchelt mitihrem strahlenden Lcheln, armes Kind!

    Es neigt ein Weidenbaum sich bern Bach,Und zeigt im klaren Strom sein grnes Laub,7 Heine. Sh. M. u. F.

  • 144

    Mit welchem sie phantastisch Krnze wandVon Hahnfu, Nesseln, Malieb, Kuckucksblumen.

    Dort, als sie aufklomm, um ihr LaubgewindeAn den gesenkten sten aufzuhngen,Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen

    Die rankenden Trophen und sie selbstIns weinende Gewsser. Ihre KleiderVerbreiteten sich weit, und trugen sie

    Sirenengleich ein Weilchen noch empor,Indes sie Stellen alter Weisen sang,

    Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,Wie ein Geschpf, geboren und begabt

    Fr dieses Element. Doch lange whrt es nicht,Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,

    Das arme Kind von ihren MelodienHinunterzogen in den schlammgen Tod.

    Doch was erzhl ich euch diese kummervolle Ge

    schichte. Ihr kennt sie alle von frhester Jugend, undihr habt oft genug geweint ber die alte Tragdie von

    Hamlet dem Dnen, welcher die arme Ophelia liebte,

    weit mehr liebte als tausend Brder mit ihrer Ge

    samtliebe sie zu lieben vermochten, und welcher ver

    rckt wurde, weil ihm der Geist seines Vaters erschien,

    und weil die Welt aus ihren Angeln gerissen war under sich zu schwach fhlte, um sie wieder einzufgen,

    und weil er im deutschen Wittenberg vor lauter Denken das Handeln verlernt hatte, und weil ihm die Wahl

    stand, entweder wahnsinnig zu werden oder eine rasche Tat zu begehn, und weil er als Mensch berhaupt

    groe Anlagen zur Tollheit in sich trug.Wir kennen diesen Hamlet wie wir unser eignesGesicht kennen, das wir so oft im Spiegel erblicken,

    und das uns dennoch weniger bekannt ist, als manglauben sollte; denn begegnete uns jemand auf der

  • 145

    Strae, der ganz so ausshe wie wir selber, so wrden

    wir das befremdlich wohlbekannte Antlitz nur instinkt

    mig und mit geheimen Schreck anglotzen, ohne jedoch zu merken, da es unsere eignen Gesichtszgesind, die wir eben erblickten.

    70

  • Cordelia(Knig Lear)

    In diesem Stcke liegen Fuangeln und Selbstschsse fr den Leser, sagt ein englischer Schriftstel

    ler. Ein anderer bemerkt, diese Tragdie sei ein Labyrinth, worin sich der Kommentator verirren, und am

    Ende Gefahr laufen knne, von dem Minotaur, der

    dort haust, erwrgt zu werden; er mge hier das kri

    tische Messer nur zur Selbstverteidigung gebrauchen.Und in der Tat, ist es jedenfalls eine miliche Sache,

    den Shakespeare zu kritisieren, ihn, aus dessen Wortenuns bestndig die schrfste Kritik unserer eignen Ge

    danken und Handlungen entgegenlacht: so ist es fastunmglich, ihn in dieser Tragdiezu beurteilen, wosein Genius bis zur schwindlichsten Hhe sich empor

    schwang.Ich wage mich nur bis an die Pforte dieses Wunder

    baus, nur bis zur Exposition, die schon gleich unser

    Erstaunen erregt. Die Expositionen sind berhauptin Shakespeares Tragdien bewunderungswrdig.

    Durch diese ersten Eingangsszenen werden wir schon

    gleich aus unseren Werkeltagsgefhlen und Zunftgedanken herausgerissen, und in die Mitte jener ungeheuern Begebenheiten versetzt, womit der Dichter un

    sere Seelen erschttern und reinigen will. So erffnetsich die Tragdie des Macbeth mit der Begegnung

    der Hexen, und der weissagende Spruch derselben unterjocht nicht blo das Herz des schottischen Feldherrn, den wir siegestrunken auftreten sehen, sondern

    auch unser eignes Zuschauerherz, das jetzt nicht mehrlos kann, bis alles erfllt und beendigt ist. Wie in

  • 147

    Macbeth das wste, sinnebetubende Grauen der

    blutigen Zauberwelt schon im Beginn-uns erfat, so

    berfrstelt uns der Schauer des bleichen Geister

    reichs bereits in den ersten Szenen des Hamlet, und

    wir knnen uns hier nicht loswinden von den gespen

    stischen Nachtgefhlen, von dem Alpdrcken der un

    h-eimlichsten ngste, bis alles vollbracht, bis Dne

    marks Luft, die von Menschenfulnis geschwngert

    war, wieder ganz gereinigt ist.

    In den ersten Szenen des ,Lear Werden wir auf

    gleiche Weise unmittelbar hineingezogen in die fremden Schicksale, die sich vor unseren Augen ankndi

    gen, entfalten und abschlieen. Der Dichter gewhrtuns hier ein Schauspiel, das noch entsetzlicher ist als

    alle Schrecknisse der Zauberwelt und des Geister

    reichs: er zeigt uns nmlich die menschliche Leiden

    schaft, die alle Vernunftdmme durchbricht, und in.

    der furchtbaren Majestt eines kniglichen Wahnsinnshinaustobt, wetteifernd mit der_ emprten Natur in

    ihrem wildesten Aufruhr. Aber ich glaube, hier endetdie auerordentliche Obmacht, die spielende :Willkr,womit Shakespeare seinen Stoff immer bewltigen

    konnte; hier beherrscht ihn sein Genius weit mehr alsin den erwhnten Tragdien, in Macbeth undHam

    let, wo er, mit knstlerischer Gelassenheit, neben den

    dunkelsten Schatten der Gemtsnacht, die rosigstenLichter des Witzes, neben den wildesten Handlungen,

    das heiterste_ Stilleben, hinmalen konnte. Ja, in der

    Tragdie Macbeth lchelt uns eine:sanfte befriedete

    Natur entgegen: an den Fensterfliesen des Schlosses,

    wo die blutigste Untat verbt wird, kleben stilleSchwalbennester; ein freundlicher schottischer Som

  • 148

    mer, nicht zu warm, nicht zu khl, weht durch das

    ganze Stck; berall schne Bume und grnes Laub

    werk, und am Ende gar kommt ein ganzer Wald einhermarschiert, Birnam-Wald kommt nach Dunsinane.Auch in Hamlet kontrastiert die liebliche Natur mit

    der Schwle der Handlung; bleibt es auch Nacht in derBrust des Helden, so geht doch die Sonne darum nicht

    minder morgenrtlich auf, und Polonius ist ein amsanter Narr, und es wird ruhig Komdie gespielt, undunter grnen Bumen sitzt die arme Ophelia, und mitbunten, blhenden Blumen windetsie ihre Krnze.

    Aber in Lear herrschen keine solche Kontraste zwi

    schen der Handlung und der Natur, und die entzgel

    ten Elemente heulen und strmemum die Wette mitdem wahnsinnigen Knig. Wirkt ein sittliches Er

    eignis ganz auerordentlicher Art auch auf die soge

    nannte leblose Natur? Befindet sich zwischen dieser

    und dem Menschengemt ein uerlich sichtbares

    Wahlverhltnis? Hat unser Dichter dergleichen erkannt und darstellen wollen?

    Mit der ersten Szene dieser Tragdie werden wir,wie gesagt, schon in die Mitte der Ereignisse ge

    fhrt, und wie klar auch der Himmel ist, ein scharfes

    Auge kann das knftige Gewitter schon voraussehen.Da ist ein Wlkchen im Verstande Lears, welches sich

    spter zur schwrzesten Geistesnacht verdichten wird.Wer in dieser Weise alles verschenkt, der ist schon

    verrckt. Wie das Gemt des Helden, so lernen wir

    auch den Charakter der Tchter schon in der Expo

    sitionsszene kennen, und namentlich rhrtuns schongleich die schweigsame Zrtlichkeit Cordelias, der

    modernen Antigone, die an Innigkeit die antike Schwe

  • 149

    ster noch bertrifft. Ja, sie ist ein reiner Geist, wie es

    der Knig erst im Wahnsinn -.einsieht. Ganz rein? Ich

    glaube, sie ist ein bichen eigensinnig, und diesesFleckchen ist ein Vatermal. Aber wahre Liebe ist sehr

    verschmt und hat allen Wortkram; sie kann nurweinen und verbluten. Die wehmtige Bitterkeit, wo

    mit Cordelia auf die Heuchelei der Schwestern anspielt, ist von der zartesten Art, und trgt ganz den

    Charakter jener Ironie, deren sich der Meister aller

    Liebe, der Held des Evangeliums, zuweilen bediente.

    Ihre Seele entladet sich des gerechtesten Unwill-ensund offenbart zugleich ihren ganzen-Adel in den Wor

    ten:

    Frwahr, nie heurat ich, wie meine Schwestern, umblo meinen Vater zu lieben.

  • Julie- (Romeo und Julie)

    In der Tat, jedes Shakespearesche Stck hat sein besonderes Klima, Seine bestimmte Jahreszeit und seine

    lokalen Eigentmlichkeiten. Wie die Personen in jedem dieser Dramen, so hat auch der Boden und der

    Himmel, der darin sichtbar wird, eine besondere Physiognomie. Hier, in Romeo und Julie, sind wir ber

    die Alpen gestiegen und befinden uns pltzlich in demschnen Garten, welcher Italien heit

    Kennst du das Land, wo die Zitronen blhn,Im dunkeln Laub die Goldorangen glhn? .

    Es ist das sonnige Verona, welches Shakespearezum Schauplatz gewhlt hat fr die Grotaten der

    Liebe, die er in Romeo .und Julie verherrlichen

    wollte. Ja, nicht das benannte Menschenpaar, sonderndie Liebe selbst ist der Held in diesem Drama. Wir

    sehen hier die Liebe jugendlich bermtig auftreten,allen feindlichen Verhltnissen Trotz bietend, und alles

    besiegend Denn sie frchtet-sich nicht, in demgroen Kampfe zu dem schrecklichsten, aber sichersten Bundesgenossen, dem Tode, ihre Zuflucht zu neh

    men. Liebe im Bndnisse mit dem Tode ist unberwindlich. Liebe! Sie ist die hchste und siegreichstealler Leidenschaften. Ihre weltbezwingende Strke besteht aber in ihrer schrankenlosen Gromut, in ihrer

    fast bersinnlichen Uneigenntzigkeit, in ihrer aufopferungsschtigen Lebensverachtung. Fr sie gibt

    es kein Gestern, und sie denkt an kein Morgen . . . Siebegehrt nur des heutigen Tages, aber diesen verlangt

  • 151

    sie ganz, unverkrzt, unverkmmert .. . Sie will nichtsdavon aufsparen fr die Zukunft und verschmht die

    aufgewrmten Reste der Vergangenheit .. . Vor mir

    Nacht, hinter mir Nacht Sie ist eine wandelnde

    Flamme zwischen zwei Finsternissen .. . 'Woher ent

    steht sie? Aus unbegreiflich winzigen Fnkchen!... Wie endet sie? . . . Sie erlscht spurlos, eben so un

    begreiflich Je wilder sie brennt, desto frher erlscht sie Aber das hindert sie nicht, sich ihren

    lodernden Trieben ganz hinzugeben, als dauerte ewig

    dieses Feuer

    Ach, wenn man zum zweitenmal im Leben von der

    groen Glut erfat wird, so fehlt leider dieser Glaube

    an ihrer Unsterblichkeit, und die schmerzlichste Erinnerung sagt uns, da sie sich am Ende selber aufzehrt . . . Daher die Verschiedenheit der Melancholie

    bei der ersten Liebe und bei der zweiten .. . Bei der

    ersten denken wir, da unsere Leidenschaft nur mit

    tragischem Tode endigen msse, und in der Tat, wennnicht anders die entgegendrohenden Schwierigkeiten

    zu berwinden sind, entschlieen wiruns leicht, mit

    der Geliebten ins Grab zu steigen Hingegen beider zweiten Liebe liegt uns der Gedanke im Sinne,

    da unsere wildesten und herrlichsten Gefhle sich

    mit der Zeit in eine zahme Lauheit verwandeln, da

    wir die Augen, die Lippen, die Hften, die uns jetzt so

    schauerlich begeistern, einst mit Gleichgltigkeit betrachten werden Ach! dieser Gedanke ist melan

    cholischer als jede Todesahnung! . .. Das ist ein trostloses Gefhl, wenn wir im heiesten Rausche an knf

    tige Nchternheit und Khle denken, und aus Erfah

    rung wissen, da die hochpoetischen heroischen Lei

  • 152

    denschaften ein so klglich prosaisches Ende nehmen!

    Diese hochpoetischen heroischen Leidenschaften!Wie die Theaterprinzessinnen gebrden sie sich, undsind hochrot geschminkt, prachtvoll kostmiert, mitfunkelndem Geschmeide beladen, und wandelnstolz

    einher und deklamieren in gemessenen Jamben .Wenn aber der Vorhang fllt, zieht die arme Prinzessin ihre Werkeltagskleider wieder an, wischt sich die

    Schminke von den Wangen, sie mu den Schmuck demGarderobemeister berliefern, und schlotternd hngt

    sie sich an den Arm des ersten besten Stadtgerichtsreferendarii, spricht schlechtes Berliner Deutsch, steigt

    mit ihm in eine Mansarde, und ghnt und legt sichschnarchend aufs Ohr, und hrt nicht mehr die sen

    Beteurungen: Sie spielten jettlich, auf Ehre . ..

    Ich wage es nicht Shakespeare im mindesten zu tadeln, und nur meine Verwunderung mchte ich dar

    ber aussprechen, da er den Romeo erst eine Leiden

    schaft fr Rosalinde empfinden lt, ehe er ihn Julienzufhrt. Trotzdem, da er sich der zweiten Liebe ganzhingibt, nistet doch in seiner Seele eine gewisse Skep

    sis, die sich in ironischen Redensarten kundgibt, und

    nicht selten an Hamlet erinnert. Oder ist die zweiteLiebe bei dem Manne die strkere, eben weil sie als

    dann mit klarem Selbstbewutsein gepaart ist? Beidem Weihe gibt es keine zweite Liebe, seine Natur ist

    zu zart, als da sie zweimal das furchtbarste Erdbeben

    des Gemtes berstehen knnte. Betrachte-t 'Julie.Wre sie im Stande zum zweiten Male die ber

    schwenglichen Seligkeiten und Schrecknisse zu ertra

    gen, zum zweiten Male, aller Angst Trotz bietend, den

  • 153

    schauderhaften Kelch zu' leeren? Ich glaube, sie hatgenug am ersten Male, diese arme Glckliche, dieses

    reine Opfer der groen Passion.Julie liebt zum ersten Male, und liebt mit voller Ge

    sundheit des Leibes und der Seele. Sie ist vierzehn

    Jahre alt, was in Italien so viel gilt, wie siebzehn Jahre

    nordischer Whrung. Sie ist eine Rosenknospe, dieeben, vor unseren Augen, von Romeos Lippen auf

    gekt ward, und sich in jugendlicher Pracht entfaltet. Sie hat weder aus weltlichen noch aus geistlichen

    Bchern gelernt was Liebe ist; die Sonne hat es ihr

    gesagt und der Mond hat es ihr wiederholt, und wie

    ein Echo hat es ihr Herz nachgesprochen, als sie sich

    nchtlich unbelauscht glaubte. Aber Romeo stand un

    ter dem Balkone und hat ihre Reden gehrt, undnimmt sie beim Wort. Der Charakter ihrer Liebe ist

    Wahrheit und Gesundheit. Das Mdchen atmet Ge

    sundheit und Wahrheit, und es ist rhrend anzuhren,

    wenn sie sagt:

    Du weit, die Nacht verschleiert mein Gesicht,Sonst frbte Mdchenrte meine Wangen

    Um das, was du vorhin mich sagen hrtest.Gern hielt ich streng auf Sitte, mchte gern

    Verleugnen, was ich sprach: doch weg mit Frmlichkeit!Sag, liebst du mich? Ich wei, du wirsts b-ejahn,

    Und will dem Worte traun; doch wenn du schwrst,So kannst du treulos werden; wie sie sagen,

    Lacht Jupiter des Meineids der Verliebten.0 holder Romeo! Wenn du mich liebst,

    Sags ohne Falsch! Doch dchtest du, ich seiZu schnell besiegt, so will ich finster blicken,Will widerspenstig sein, und nein dir sagen,

    So du dann werben willst: sonst nicht um alles.Gewi, mein Montague, ich bin zu herzlich;

  • 154

    Du knntest denken, ich sei leichten Sinns.Doch glaube, Mann, ich werde treuer sein

    Als sie, die fremd zu tun geschickter sind.Auch ich, bekenn ich, htte fremd getan,Wr ich von dir, eh ichs gewahrte, nichtBelauscht in Liebesklagen. Drum vergib!Schilt diese Hingebung nicht Flatterliebe,

    Die so die stille Nacht verraten hat.

  • Desdemona

    (Othelio)

    Ich habe oben beilufig angedeutet, da der Charakter des Romeo etwas Hamletisches enthalte. In

    der Tat, ein nordischer Ernst wirft seine Streif

    schatten ber dieses glhende Gemt. Vergleicht man

    Julie mit Desdemona, so wird ebenfalls in jener ein

    nordisches Element bemerkbar; bei aller Gewalt ihrer

    Leidenschaft bleibt sie doch immer ihrer selbst be

    wut und im klarsten Selbstbewutsein Herrin ihrerTat. Julie liebt und denkt und handelt. Desdemonaliebt und fhlt und gehorcht, nicht dem eignen Willen, sondern dem strkern Antrieb. Ihre Vortrefflich

    keit besteht darin, da das Schlechte auf ihre edle Na

    tur keine solche Zwangsmacht ausben kann wie das

    Gute. Sie wre gewi immer im Palazzo ihres Vaters

    geblieben, ein schchternes Kind, den huslichen Ge

    schften obliegend; aber die Stimme des Mohren

    drang in ihr Ohr, und obgleich sie die Augen nieder

    schlug, sah sie doch sein Antlitz in seinen Worten, in

    seinen Erzhlungen, oder wie sie sagt: in seiner Seele .. . und dieses leidende, gromtige, schne, weie

    Seelenantlitz bte auf ihr Herz den unwiderstehlichhinreienden Zauber. Ja er hat recht, ihr Vater, Seine

    Wohlweisheit der Herr Senator Brabantio, eine mch

    tige Magie war schuld daran, da sich das bange zarte

    Kind zu dem Mohren hingezogen.fhlte und jene h

    lich schwarze Larve nicht frchtete, welche der groe

    Haufe fr das wirkliche Gesicht Othellos hielt...Julias Liebe ist ttig, Desdemonas Liebe ist leidend.

    Sie ist die Sonnenblume, die selber nicht wei, da sie

  • 156

    immer dem hohen Tagesgestirn ihr Haupt zuwendet.Sie ist die wahre Tochter des Sdens, zart, empfindsam, geduldig, wie jene schlanken, grougigen Frau

    enlichter, die aus sanskritischen Dichtungen so lieb

    lich, so sanft, so trumerisch hervorstrahlen. Sie mahnt

    mich immer an die Sakontala des Kalidasa, des indi

    schen Shakespeares.

    Der englisch-e Kupferstecher, dem wir das vorstehende Bildnis der Desdemona verdanken, hat ihren

    groen Augen vielleicht einen zu starken Ausdruckvon Leidenschaft verliehen. Aber, ich glaube bereitsangedeutet zu haben, da der.Kontrast des Gesichtes

    und des Charakters immer einen interessanten Reizausbt. Jedenfalls aber ist dieses Gesicht sehr schn,

    und namentlich dem Schreiber dieser Bltter mu es

    sehr gefallen, da es ihn an jene hohe Schne erinnert,

    die gottlob an seinem eignen Antlitz nie sonderlichgemkelt hat und dasselbe bis jetzt nur in seiner Seele

    sah . . .

    Ihr Vater liebte mich, lud oft mich ein.Er fragte die Geschichte meines LebensVon Jahr zu Jahr; Belagerungen, Schlachten

    Und jedes Schicksal, das ich berstand.Ich lief sie durch, von meinem Knabenalter

    Bis zu dem Augenblick, wo er gebot,Sie zu erzhlen. Sprechen mut ich da

    Von hchst unglcklichen Ereignissen,Von rhrendem Geschick zu See und Land,

    Wie in der Bresche ich gewissem TodKaum um die Breite eines Haars entwischte;

    Wie mich ein trotzger Feind gefangen nahm,Der Sklaverei verkaufte; wie ich mich

    Daraus gelst, und die Geschichte dessen,Wie ich auf meinen Reisen mich benahm.

  • 157

    Von den Hhlen, unfruchtbaren Wsten,Von rauben Gruben, Felsen, Hgeln, die

    Mit ihren Huptern an den Himmel rhren,Hatt ich sodann zu sprechen Anla, auchVon Kannibalen, die einander fressen,

    Anthropophagen, und dem Volke, demDie Kpfe wachsen unter ihren Schultern.Von solchen Dingen zu vernehmen, zeigte

    Bei Desdemona sich sehr groe Neigung;Doch riefen Hausgeschfte stets sie ab,

    Die sie beseitigte mit schnellster Hast;Kam sie zurck, mit giergem Ohr verschlang sie,Was ich erzhlte. Dies bemerkend, nahm Ich eine weiche Stunde wahr, und fand

    Gelegne Mittel, ihr aus ernster BrustDie Bitte zu entwinden: da ausfhrlichIch schildre ihr die ganze Pilgerschaft,

    Von der sie stckweis etwas wohl gehrt,Doch nicht zusammenhngend. Ich gewhrt es,Und oft hab ich um Trnen sie gebracht,Wenn ich von harten, traurgen Schlgen sprach,- Die meine Jugend trafen! Auserzhlt,

    Lohnt eine Welt voll Seufzer meine Mh.Sie schwor: In Wahrheit! seltsam, mehr als seltsam!

    Und klglich sei es, klglich wundersam!Sie wnschte, da sie nichts davon gehrt,

    Und wnschte doch, da sie der Himmel auchZu solchem Mann gemacht. Sie dankte mir,

    Und bat, wofem ein Freund von mir sie liebe,Ihn nur zu lehren, wie er die GeschichteVon meinem Leben mss erzhlen.Dann werb er sie. Ich sprach auf diesen Wink:Sie liebe mich, weil ich Gefahr bestand,

    Und weil sie mich bedaure, lieb ich sie.

    Dieses Trauerspiel soll eine der letzten ArbeitenShakespeares gewesen sein, wie Titus Andronicus

    fr sein Erstlingswerk erklrt wird. Dort wie hier ist

  • 158

    die Leidenschaft einer schnen Frau zu einem h

    lichen Mohren mit Vorliebe behandelt. Der reife Mann

    kehrte wieder zurck zu einem Problem, das einst

    seine Jugend beschftigte. Hat er jetzt wirklich dieLsung gefunden? Ist diese Lsung eben so wahr alsschn? Eine dstre Trauer erfat mich manchmal,

    wenn ich dem Gedanken Raum gebe, da vielleichtder ehrliche Jago, mit seinen bsen Glossen ber die

    Liebe Desdemonas zu dem Mohren, nicht ganz unrecht haben mag. Am allerwiderwrtigsten aber berhren mich Othellos Bemerkungen berdie feuchtenHnde seiner Gattin.

    Ein eben so abenteuerliches und bedeutsames Bei

    spiel der Liebe zu einem Mohren, wie wir in Titus

    Andronicus und Othello sehen, findet man in

    Tausend und eine Nacht, wo eine schne Frstin,

    die zugleich eine Zauberin istihren Gemahl in einer

    statuenhnlichen Starrheit gefesselt hlt, und ihn tg

    lich mit Ruten schlgt, weil er ihren Geliebten, einen

    hlichen Neger, gettet hat. Herzzerreiend sind dieKlagetne der Frstin am Lager der schwarzen Leiche, die sie durch ihre.Zauberkunst in einer Art von

    Scheinleben zu erhalten wei, und mit verzweiflungs

    vollen Kssen bedeckt, und durch einen noch grernZauber, durch die Liebe, ausdem dmmernd-en Halb

    tode zu voller Lebenswahrheit erwecken mchte.

    Schon als Knabe frappierte mich in den arabischen

    Mrchen dieses Bild leidenschaftlicher und unbegreiflicher Liebe.

  • jessika(Kaufmann von Venedig)

    Als ich dieses Stck in ,Drurylane auffhren sah,

    stand hinter mir, in der Loge, eine schne blasse Bri

    tin, welche am Ende des vierten Aktes heftig weinte

    und mehrmals ausrief: The poor man is wronged!

    (dem armen Mann geschieht unrecht l). Es war ein Ge

    sicht vom edelsten griechischen Schnitt, und die Au

    gen waren gro und schwarz. Ich habe sie nie ver

    gessen knnen, diese groen und schwarzen Augen,

    welche um Shylock geweint haben!Wenn ich aber an jene Trnen denke, so mu ich

    den Kaufmann von Venedig zu den Tragdien rech

    nen, obgleich der Rahmen des Stckes von den heitersten Masken, Satyrbildern und Amoretten verziert

    ist, und auch der Dichter eigentlich ein Lustspiel ge

    ben wollte. Shakespeare hegte vielleicht_die Absicht,

    zur Ergtzung des groen Haufens einen gedrilltenWerwolf darzustellen, ein verhates Fabelgeschpf,

    das nach Blut lechzt, und dabei seine Tochter undseine Dukaten einbt und obendrein verspottet wird.

    Aber der Genius des Dichters, der Weltgeist, der in

    ihm waltet, steht immer hher als sein Privatwille,

    und so geschah es, da er in Shylock, trotz der grel

    len Fratzenhaftigkeit, die Justifikation einer unglcklichen Sekte aussprach, welche von der Vorsehung,

    aus geheimnisvollen Grnden, mit dem Ha des niedern und vornehmen Pbels belastet worden, und die

    sen Ha nicht immer mit Liebe vergelten wollte.Aber was sag ich? der Genius des Shakespeare er

    hebt sich noch ber den Kleinhader zweier Glaubens

    8 Heine, Sh. M. u. F.

  • 160

    parteien, und sein Drama zeigt uns eigentlich wederJuden noch Christen, sondern Unterdrcker und Un

    terdrckte, und das wahnsinnig schmerzliche Aufjauchzen dieser letztem, wenn sie ihren bermtigen

    Qulern die zugefgten Krnkungen mit Zinsen zurckzahlen knnen. Von Religionsverschiedenheit istin diesem Stcke nicht die geringste Spur, und Shake

    speare zeigt in Shylock nur einen Menschen, dem die

    Natur gebietet seinen Feind zu hassen, wie er in An

    tonio und dessen Freunden keineswegs die Jnger jener gttlichen Lehre schildert, die uns befiehlt unsere Feinde zu lieben. Wenn Shylock dem Manne, dervon ihm Geld borgen will, folgende Worte sagt:

    Signor Antonio, viel und oftennalsHabt Ihr auf dem Rialto mich geschmhtUm meine Gelder, und um meine Zinsen;Stets trug ichs mit geduldgem Achselzucken,

    Denn dulden ist das Erbteil unsers Stamms.Ihr scheltet mich abtrnnig, einen Bluthund

    Und speit auf meinen jdischen Rocklor,Und alles, weil ich nutz, was mir gehrt.Gut denn, nun zeigt sichs, Ihr braucht meine Hlfe:

    Ei freilich ja, Ihr kommt zu mir, Ihr sprecht:Shylock, wir wnschten Gelder. So sprecht Ihr,

    Der mir den Auswurf auf den Bart geleert,Und mich getreten, wie Ihr von der Schwelle

    Den fremden Hund stot; Geld ist Eur Begehren.Wie sollt ich sprechen nun ? Sollt ich nicht sprechen:Hat ein Hund Geld? Ists mglich, da ein Spitz

    Dreitausend Dukaten leihn kann? Oder soll ichMich bcken, und in eines Schuldners Ton,

    Demtig wispernd, mit verhaltnem Odem,So sprechen: Schner Herr, am letzten Mittwoch

    Spiet Ihr mich an; Ihr tratet mich den Tag;Ein andermal hiet Ihr mich einen Hund:

  • 161

    Fr diese Hflichkeiten will ich EuchDie und die Gelder leihn.

    Da antwortet Antonio:

    Ich knnte leichtlich wieder dich so nennen,Dich wieder anspein, ja mit Fen treten.

    Wo steckt da die christliche Liebe! Wahrlich, Sha

    kespeare wrde eine Satire auf das Christentum ge

    macht haben, wenn er es von jenen Personen reprsentieren liee, die dem Shylock feindlich gegenber

    stehen, aber dennoch kaum wert sind, demselben die

    _Schuhriemen zu lsen. Der bankrotte Antonio ist ein

    weichliches Gemt ohne Energie, ohne Strke des

    Hasses und also auch ohne Strke der Liebe, ein trbes Wurmherz, dessen Fleisch wirklich zu nichts Bes

    serm taugt, als Fische damit zu angeln. Die abge

    borgten dreitausend Dukaten stattet er brigens dem

    geprellten Juden keineswegs zurck. Auch Bassaniogibt ihm das Geld nicht wieder, und dieser ist ein

    echter fortune-hunter, nach dem Ausdruck eines eng

    lischen Kritikers; er borgt Geld, um sich etwas prchtig herauszustaffieren und eine reiche Heirat, einen

    fetten Brautschatz, zu erbeuten; denn, sagt er zu sei

    nem Freunde:

    Euch ist nicht unbekannt, Antonio,Wie sehr ich meinen Glcksstand hab erschpft,

    Indem ich glnzender mich eingerichtet,Als meine schwachen Mittel tragen konnten.Auch jammr ich jetzt nicht, da die groe ArtMir untersagt ist; meine Sorg ist blo,Mit Ehren von den Schulden loszukommen,Worin mein Leben, etwas zu verschwendrisch,Mich hat verstrickt. 8e

  • 162

    .Was gar den Lorenzo betrifft, so ist er der Mitschuldige eines der infamsten Hausdiebstahle, und

    nach dem preuischen Landrecht wrde er zu fnfzehn jahren Zuchthaus verurteilt und gebrandmarkt

    und an den Pranger gestellt werden; obgleich er nicht

    blo fr gestohlene Dukaten und Juwelen, sondernauch fr Naturschnheiten, Landschaften im Mond

    licht und fr Musik, sehr empfnglich ist. Was dieandern edlen Venezianer betrifft, die wir als Gefhr

    ten des Antonio auftreten sehen, so scheinen sie eben

    falls das Geld nicht sehr zu hassen, und fr ihren ar

    men Freund, wenn er ins Unglck geraten, haben sie

    nichts als Worte, gemnzte Luft. Unser guter PietistFranz Horn macht hierber folgende sehr wssrige,aber ganz richtige Bemerkung: Hier ist nun billig

    die Frage aufzuwerfen: wie war es mglich, da esmit Antonios Unglck so weit kam? Ganz Venedigkannte und schtzte ihn, seine guten Bekannten wuten genau um die furchtbare Verschreibung, und dader Jude auch nicht einen Punkt derselben wrde aus

    lschen lassen. Dennoch lassen sie einen Tag nach

    dem andern verstreichen, bis endlich die drei Monate

    vorber sind, und mit denselben jede Hoffnung auf

    Rettung. Es wrde jenen guten Freunden, deren der

    knigliche Kaufmann ja ganz-e Scharen um sich zu

    haben scheint, doch wohl ziemlich leicht gewordensein, die Summe von dreitausend Dukaten zusammen

    zubringen, um ein Menschenleben und welch eines! zu retten; aber dergleichen ist denn doch immer

    ein wenig unbequem, und so tun die lieben guten

    Freunde, eben weil es nur sogenannte Freunde oder,wenn man will, halbe oder dreiviertel Freunde sind,

  • 163

    nichts und wieder nichts und gar nichts. Sie bedauern

    den vortrefflichen Kaufmann, der ihnen frher so

    schne Feste veranstaltet hat, ungemein, aber mit ge

    hriger Bequemlichkeit, schelten, was nur das Herzund die Zunge vermag, auf Shylock, was gleichfallsohne alle Gefahr geschehen kann, und meinen dann

    vermutlich alle, ihre Freundschaftspflicht erfllt zu ha

    ben. So sehr wir Shylock hassen mssen, so wrden

    wir doch selbst ihm nicht verdenken knnen, wenn er

    diese Leute ein wenig verachtete, was er denn auch

    wohl tun mag. Ja er scheint zuletzt auch den Graziano,

    den Abwesenheit entschuldiget, mit jenen zu verwech

    seln und in Eine Klasse zu werfen, wenn er die frhere

    Tatlosigkeit und jetzige Wortflle mit der schneidenden Antwort abfertigt:

    Bis du von meinem Schein das Siegel wegschiltst,Tust du mit Schrein nur deiner Lunge weh.Stell deinen Witz her, guter junger Mensch,Sonst fllt er rettungslos in Trmmern dir.Ich stehe hier um Recht.

    Oder sollte etwa gar Lanzelot Gobbo als Reprsentant des Christentums gelten? Sonderbar genug, hat

    sich Shakespeare ber letzteres nirgends so bestimmt

    geuert wie in einem Gesprche, das dieser Schalkmit seiner Gebieterin fhrt. Auf Jessikas uerung:

    Ich werde durch meinen Mann selig werden, er hatmich zu einer Christin gemacht

    antwortet Lanzelot Gobbo:

    Wahrhaftig, da ist er sehr zu tadeln. Es gab unservorher schon Christen genug, grade so viele als nebeneinander gut bestehen konnten. Dies Christenmachenwird den Preis der Schweine steigern; wenn wir alle

  • 164

    -Schweinefleischesser werden, so ist in kurzem keinSchnittchen Speck in der Pfanne fr Geld mehr zuhaben.

    Wahrlich, mit Ausnahme Portias, ist Shylock dierespektabelste Person im ganzen Stck. Er liebt dasGeld, er verschweigt nicht diese Liebe, er schreit sie

    aus, auf ffentlichem Markte . .. Aber es gibt etwas,was er dennoch hher schtzt als Geld, nmlich die

    Genugtuung fr sein beleidigtes Herz, die gerechteWiedervergeltung unsglicher Schmhungen; und ob

    gleich man ihm die erborgte Summe zehnfach anbietet, er schlgt sie aus, und die dreitausend, die zehn

    mal dreitausend Dukaten, gereuen ihn nicht, wenn erein Pfund Herzfleisch seines Feindes damit erkaufen

    kann. Was willst du mit diesem Fleische, fragt ihn

    Salario. Und er antwortet:

    Fisch mit zu angeln. Sttigt es sonst niemanden, sosttigt es doch meine Rache. Er hat mich beschimpft,mir eine halbe Million gehindert, meinen Verlust belacht,

    meinen Gewinn bespottet, mein Volk geschmht, meinenHandel gekreuzt, meine Freunde verleitet, _meine Feindegehetzt. Und was hat er fr Grund? Ich bin ein Jude.

    Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hnde,Gliedmaen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leiden

    schaften? Mit derselben Speise genhrt, mit denselbenWaffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mitdenselben Mitteln geheilt, gewrmt und gekltet voneben dem Winter und Sommer, als ein Christ? Wenn

    ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt,lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wirnicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nichtrchen ? Sind wir euch in allen Dingen hnlich, so wollen

    wirs euch auch darin gleich tun. Wenn ein Jude einenChristen beleidigt, was ist seine Demut? Rache. Wennein Christ einen Juden beleidigt, was mu seine Geduld

  • 165

    sein nach christlichem Vorbild? Nu, Rache. Die Bosheit, die ihr mich lehrt, die will ich ausben, und es mu

    schlimm hergehn, oder ich will es meinen Meistern zuvortun. -

    Nein, Shylock liebt zwar das Geld, aber es gibt

    Dinge, die er noch weit mehr liebt, unter andern auchseine Tochter, Jessika, mein Kind. Obgleich er in

    der hchsten Leidenschaft des Zorns sie verwnscht

    und tot zu seinen Fen liegen sehen mchte, mit den

    JuWelen in den Ohren, mit den Dukaten im Sarg: so

    liebt er sie doch mehr als alle Dukaten und Juwelen.

    Aus dem ffentlichen Leben, aus der christlichen So

    ziett, zurckgedrngt in die enge Umfriedung huslichen Glckes, blieben ja dem armen Juden nur die

    Familiengefhle, und diese treten bei ihm hervor mit

    der rhrendsten Innigkeit. Den Trkis, den Ring, den

    ihm einst seine Gattin, seine Lea, geschenkt, er htte

    ihn nicht fr einen Wald von Affen hingegeben.Wenn in der Gerichtsszene Bassanio folgende Worte

    zum Antonio spricht:

    Ich hab ein Weib zur Ehe, und sie istSo lieb mir als mein Leben selbst, doch giltSie hher als dein Leben nicht bei mir.ich gbe alles hin, ja opfert alles,Das Leben selbst, mein Weib und alle Welt,Dem Teufelda, um dich nur zu befrein.

    Wenn Graziano ebenfalls hinzusetzt:

    Ich hab ein Weib, die ich, auf Ehre, liebe;Doch wnscht ich sie im Himmel, knnt sie MchteDort flehn, den hndschen Juden zu erweichen.

    Dann regt sich in Shylock die Angst ob dem Schicksalseiner Tochter, die unter Menschen, welche ihre Wei

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    ber aufopfern knnten fr ihre Freunde, sich verheu

    ratet hat, und nicht laut, sondern bei Seite sagt er

    zu sich selber:

    So sind die Christenmnner: Ich hab ne Tochter,Wr irgend wer vom Stamm des Barnabas

    Ihr Mann geworden, lieber als ein Christ!

    Diese Stelle, dieses leise Wort, begrndet das Verdammungsurteil, welches wir ber die schne Jessikaaussprechen mssen. Es war kein liebloser Vater, den

    sie verlie, den sie beraubte, den, siejverriet . . . Schnd

    licher Verrat! Sie macht sogar gemeinschaftlicheSache mit den Feinden Shylocks, und wenn diese zu

    Belmont allerlei Mireden ber ihn fhren, schlgtJessika nicht die Augen nieder, erbleichen nicht die

    Lippen Jessikas, sondern Jessika spricht von ihrem

    Vater das Schlimmste .. . Entsetzlicher Frevel! Sie hatkein Gemt, sondern abenteuerlichen Sinn. Sie lang

    weilte sich in dem streng verschlossenen, ehrbaren

    Hause des bittermtigen Juden, das ihr endlich eine

    Hlle dnkte. Das leichtfertige Herz ward allzusehrangezogen von den heiteren Tnen der Trommel und

    der quergehalsten Pfeife. Hat Shakespeare hier eineJdin schildern wollen? Wahrlich nein; er schildert

    nur eine Tochter Evas, einen jener schnen Vgel, die,wenn sie flgge geworden, aus dem vterlichen Neste

    fortflattern zu den geliebten Mnnchen. So folgteDesdemona dem Mohren, so Imogen dem Posthumus.

    Das ist weibliche Sitte. Bei Jessika ist besonders be

    merkbar eine gewisse zagende Scham, die sie nicht

    berwinden kann, wenn sie Knabentracht anlegen soll.

    Vielleicht in diesem Zuge mchte man jene sonderbareKeuschheit erkennen, die ihrem Stamme eigen ist, und

  • 167

    den Tchtern desselben einen so wunderbaren Lieb

    reiz verleiht. Die Keuschheit der Juden ist vielleicht

    die Folge einer Opposition, die sie von jeher gegen

    jenen orientalischen Sinnen- und Sinnlichkeitsdienst

    bildeten, der einst bei ihren Nachbaren, den gyptern,

    Phniziern, Assyrern und Babyloniern, in ppigster

    Blte stand, und sich, in bestndiger Transformation,

    bis auf heutigen Tag erhalten hat. Die Juden sind ein

    keusches, enthaltsames, ich mchte fast sagen, ab

    straktes Volk, und in der Sittenreinheit stehen sie am

    nchsten den germanischen Stmmen. Die Zchtigkeit

    der Frauen bei Juden und Germanen ist vielleicht von

    keinem absoluten Werte, aber in ihr-er Erscheinung

    macht sie den lieblichsten, anmutigsten und rhrend

    sten Eindruck. Rhrend bis zum Weinen ist es, wenn

    z. B. nach der Niederlage der Cimbernund Teutonen,

    die Frauen derselben den Marius anflehen, sie nichtseinen Soldaten, sondern den Priesterinnen der Vesta

    als Sklavinnen zu bergeben.

    Es ist in der Tat auffallend, welcheinnige Wahlver

    wandtschaft zwischen den beiden Vlkern der Sittlichkeit, den Juden und Germanen, herrscht. Diese

    Wahlverwandtschaft entstand nicht auf historischem

    Wege, weil etwa die groe Familienchronik der Ju

    den, die Bibel, der ganzen germanischen Welt als Er

    ziehungsbuch diente, auch nicht weil Juden und Germanen von frh an die unerbittlichsten Feinde der

    Rmer, und also natrliche Bundesgenossen waren:sie hat einen tiefem Grund, und beide Vlker sind sich

    ursprnglich so hnlich, da man das ehemalige Palstina fr ein orientalisches Deutschland ansehen

    knnte, wie man das heutige Deutschland fr die Hei

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    mat des heiligen Wortes, fr den Mutterboden desProphetentums, fr die Burg der reinen Geistheit

    halten sollte.Aber nicht blo Deutschland trgt die Physiogno

    mie Palstinas, sondern auch das brige Europa erhebt sich zu den Juden. Ich sage erhebt sich, denn die

    Juden trugen schon im Beginne das moderne Prinzipin sich, welches sich heute erst bei den europischen

    Vlkern sichtbar entfaltet.Griechen und Rmer hingen begeistert an dem Boden, an dem Vaterlande. Die sptem nordischen Ein

    wanderer in die Rmer- und Griechenwelt hingen ander Person ihrer Huptlinge, und an die Stelle desantiken Patriotismus trat im Mittelalter die Vasallen

    treue, die Anhnglichkeit an die Frsten. Die Judenaber, von jeher, hingen nur an dem Gesetz, an dem

    abstrakten Gedanken, wie unsere neueren kosmopolitischen Republikaner, die weder das Geburtsland nochdie Person des Frsten, sondern die Gesetze als das

    Hchste achten. Ja, der Kosmopolitismus ist ganz eigentlich dem Boden Judas entsprossen, und Christus,der, trotz dem Mimute des frher erwhnten Ham

    burger Spezereihndlers, ein wirklicher Jude war, hat

    ganz eigentlich eine Propaganda des Weltbrgertumsgestiftet. Was den Republikanismus der Juden be

    trifft, so erinnere ich mich im Josephus gelesen zuhaben, da es zu Jerusalem Republikaner gab, die sich

    den kniglich gesinnten Herodianern entgegensetzten,

    am mutigsten fechten, niemanden den Namen Herr

    gaben, und den rmischen Absolutismus aufs ingrimmigste haten; Freiheit und Gleichheit war ihre Re

    ligion. Welcher Wahn!

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    Was ist aber der letzte Grund jenes Hasses, denwir in Europa zwischen den Anhngern der mosaischen Gesetze und der Lehre Christi bis auf heutigen

    Tag gewahren, und wovon uns der Dichter, indem er '

    das Allgemeine im Besondern veranschaulichte, imKaufmann von Venedig ein schauerliches Bild geliefert hat? Ist es der ursprngliche Bruderha, denwir schon gleich nach Erschaffung der Welt, ob der

    Verschiedenheit des Gottesdienstes, zwischen Kain

    und Abel entlodern sehen? Oder ist die Religion berhaupt nur Vorwand, und die Menschen hassen sich,

    um sich zu hassen, wie sie sich lieben, um sich zu

    lieben? Auf welcher Seite ist die Schuld bei diesem

    Groll? Ich kann nicht umhin zur Beantwortung die

    ser Frage eine Stelle aus einem Privatbriefe mitzu

    teilen, die auch die Gegner Shylocks justifiz-iert:

    Ich verdamme nicht den Ha, womit das gemeine

    Volk die Juden verfolgt; ich verdamme nur die un

    glckseligen Irrtmer, die jenen Ha erzeugten. Das

    Volk hat immer recht in der Sache, seinem Hasse wie

    seiner Liebe liegt immer ein ganz richtiger Instinktzu Grund-e, nur wei es nicht, sein-e Empfindungen

    richtig zu formulieren, und statt der Sache, trifft sein

    Groll gewhnlich die Person, den unschuldigen Sndenbock zeitlich-er oder rtlich-er Miverhltnisse. Das

    Volk leidet Mangel, es fehlen ihm die Mittel zum Le

    bensgenu, und obgleich ihm die Priester der Staatsreligion versichern, da man auf Erden sei, um zu

    entbehren und trotz Hunger und Durst der Obrigkeit

    zu gehorchen so hat doch das Volk eine geheimeSehnsucht nach den Mitteln des Genusses, und es hat

    diejenigen, in deren Kisten und Kasten dergleichen

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    aufgespeichert liegt; es hat die Reichen und ist frohwenn ihm die Religion erlaubt, sich diesem Hasse mitvollem Gemte hinzugeben. Das gemeine Volk hate

    in den Juden immer nur die Geldbesitzer, es war immer das aufgehufte Metall, welches die Blitze seines

    Zornes auf die Juden herabzog. Der jedesweilige Zeitgeist lieh nun immer jenem Hasse_seine- Parole. ImMittelalter trug diese Parole die dstre Farbe der ka

    tholischen Kirche, und man schlug die Juden tot undplnderte ihre Huser: weil sie Christus gekreuzigt ganz mit derselben Logik, wie auf St. Domingo einige schwarze Christen, zur Zeit der Massacre, mit

    einem Bilde des gekreuzigten Heilands herumliefenund fanatisch schrieen: Les blancs lont tue, tuons

    tous les blancs.

    Mein Freund, Sie lachen ber die armen Neger;

    ich versichere Sie, die westindischen Pflanzer lachten

    damals nicht, und wurden ni-edergemetzelt, zur Shne

    Christi, wie einige Jahrhunderte frher die europischen Juden. Aber die schwarzen Christen auf St.

    Domingo hatten in der Sache ebenfalls recht! die Wei

    en lebten mig in der Flle aller Gensse, whrend

    der Neger im Schweie seines schwarzen Angesichtsfr sie arbeiten mute, und zum Lohne nur ein bichen

    Reismehl und sehr viele Peitschenhiebe erhielt; die

    Schwarzen waren das gemeine Volk. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, auch das ge

    meine Volk wird aufgeklrter, schlgt die Juden nichtmehr auf einmal tot, und beschnigt seinen Ha nichtmehr mit der Religion; unsere Zeit ist nicht mehr so

    naiv glaubensh-ei, der traditionelle Groll kleidet sichin modernen Redensarten, und der Pbel in den Bier

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    stuben wie in den Deputiertenkammern deklamiert

    wider die Juden mit merkantilischen, industriellen, wis

    senschaftlichen oder gar philosophischen Argumen