Frühkinderziehung in Krisengebieten

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Mediendienst 6 2. Mai 2014 Frühkinderziehung in Krisengebieten Traumatisierten Kindern eine Last von der Seele nehmen Peter Staudacher Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

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Frühkinderziehung in Krisengebieten Traumatisierten Kindern eine Last von der Seele nehmen (Peter Staudacher) Mediendienst 6/2014 vom 2. Mai 2014 http://www.caritas.ch/de/was-wir-sagen/mediendienst/

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Mediendienst 6 2. Mai 2014

Frühkinderziehung in Krisengebieten

Traumatisierten Kindern eine Last von der Seele nehmen Peter Staudacher

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.

Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

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Caritas Schweiz, Mediendienst 6, 2. Mai 2014

Frühkinderziehung in Krisengebieten

Traumatisierten Kindern eine Last von der Seele nehmen

Im syrischen Bürgerkrieg, in den Flüchtlingslagern des Libanon und Jordaniens oder nach der

Taifunkatastrophe auf den Philippinen: Mitten in den dunkelsten Szenarien der Weltgeschehens

leben Kinder. Meist völlig alleingelassen mit ihren Traumata und Ängsten, bewältigen sie das

Erlebte still, die Seele verletzt und aufgrund des Erlebten kaum mehr in der Lage je wieder ein

normales Leben zu führen. Die ersten Hilfsmassnahmen nach einer humanitären Katastrophe

sind meist auf materielle Wiederherstellung ausgerichtet, seltener wird dabei an das seelische

Wohl, vor allem an das der Kinder, gedacht. Caritas Schweiz hat diesen Mangel erkannt und

setzt sich seit 2002 für die Bildung und Entwicklung von Kindern in Krisengebieten ein.

Frühkinderziehung in Krisengebieten nimmt den Kindern eine Last von der Seele. Ursprünglich im

Kosovo gestartet, hat der Ansatz der Caritas mittlerweile auch in Tschetschenien und in der Republik

Moldau bei Kindern mit traumatischen Erlebnissen durch Krieg und Gewalt, Erfolge gezeitigt. So

wird ein Grundstein für eine friedlichere Gesellschaft gelegt.

Kosovo

Im kleinen Kosovo-Dorf Terdevc liegt direkt neben dem Schulhaus ein Friedhof. Dort liegen die sterb-

lichen Überreste meist junger Männer, an denen im Frühling 1999 ein Massaker verübt wurde. Für die

Schülerinnen und Schüler der Terdevcer Primarschule, die 2009 von Caritas Schweiz und Caritas Lu-

xembourg neu errichtet wurde, sind die Ereignisse von damals Teil einer schmerzvollen, wenn auch

nicht selbst erlebten Geschichte. Hingegen liegen auf dem Friedhof viele ihrer Väter, Grossväter und

Onkel. Die Kinder von heute erleben das Trauma nicht direkt, aber durch die verwundeten Seelen

ihrer Eltern und Verwandten. Den Stress, die Gereiztheit der Kriegsgeneration, ihre Ängste und dun-

kelsten Sorgen haben sie, selbst Opfer der Gewalt, in die Kindererziehung eingebracht. Ebenso die

Lehrer, die den Krieg miterlebt hatten, versteckt in den Wäldern des Kosovos oder als Flüchtlinge im

Ausland. Caritas hat ab 2003 im Kosovo rund 40 Kindergärten auf der Grundlage von reformpädago-

gisch orientierter Frühkind-Förderung zu einer guten Entwicklung verholfen. Viel Bewegung, kreati-

ves Gestalten, Musik und Tanz brauchten die Kinder der Kriegsgeneration. Ihnen war alles zur Bedro-

hung geworden und sie hockten in den zwar sicheren aber geistig verödeten Wohnstuben vor dem

Fernseher. Caritas und ihre Kindergärten haben sie da herausgeholt.

Mittlerweile sind nach mehr als zehn Jahren schon hunderte Kinder durch die Caritas-Kindergärten

gegangen, unter anderem auch einige Dutzend Roma-Kinder, die dank Caritas eine erfolgreiche Integ-

ration in der Mehrheitsgesellschaft hinter sich gebracht haben. Der Caritas-Ansatz in der Frühkindför-

derung ist vor allem auch kultursensibel und überträgt nicht die Normen eines schweizerischen Kin-

dergartens auf andere Gesellschaften. Stets wird der lokale Normen- und Werteansatz respektiert.

Tschetschenien

In Tschetschenien begann Caritas bereits während des letzten Krieges in Containern der Flüchtlingsla-

ger, Kindergärten einzurichten, um die kriegswunden Kinderseelen wieder zu heilen. Unbeschwertes

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Spiel, motorische, sensorische und psychische Wohlentwicklung wurde durch die friedlichen Kinder-

stätten, die wie Oasen inmitten der Gewalt wirkten, möglich. 2006 wurden dann vier zerstörte Kinder-

gärten mit schweizerischen Mitteln wieder aufgebaut und seither als gemeinsames Projekt von Caritas

Schweiz und einer lokalen Partnerorganisation betrieben. Hunderte kleine Kinder haben in diesen

Kindergärten eine friedensorientierte, ganzheitliche Förderung erhalten und wurden optimal auf die

Einschulung vorbereitet. Zum ersten Mal in Tschetschenien wurden die Eltern in den Kindergartenbe-

trieb miteinbezogen, durften bei der Gestaltung des Unterrichts mitmachen und konnten ihre Sorgen

und Nöte mit dem Lehrpersonal diskutieren. Dadurch verlor das Schulsystem zumindest in diesem

kleinen Bereich ein Stück staatlicher Allmacht und die Menschen konnten sich erstmals als Teil der

Gesellschaft begreifen und die Wirkung ihrer Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen erfahren.

Auch die Qualität des Unterrichts hat sich herumgesprochen und mittlerweile schicken die tschetsche-

nischen Behörden ihre Pädagoginnen zur Weiterbildung in die Caritas-Kindergärten.

Moldau

In der Republik Moldau, einer früheren Sowjetrepublik, sind es nicht kriegstraumatisierte Kinder, die

von Caritas in ihrer Entwicklung begleitet werden, sondern Kinder, die sich einer längerfristigen Spi-

talbehandlung unterziehen müssen. Dabei erhielten sie vor Einsetzen des Caritas-Projekts ausser me-

dizinischer Behandlung keinerlei soziale Aufmerksamkeit, vegetierten ohne Lektüre, Spiel oder Be-

schäftigung in ihren Spitalbetten dahin. Caritas hat diesen Kindern eine Tagesstruktur gegeben, bietet

freies und angeleitetes Spiel in den Spitälern und hat an zwei Standorten Erlebnisspielplätze eingerich-

tet, in denen die Kinder sich senso-motorisch entwickeln können.

Caritas-Studie zur Frühkindlichen Entwicklung in Krisengebieten

Hinter den drei Ansätzen steht das Konzept der „Notfallpädagogik“ (engl. „Emergency Education“),

das die Basler Erziehungswissenschafterin und Caritas-Mitarbeiterin Beatrice Rutishauser, in mehrjäh-

riger Arbeit mit und für Caritas Schweiz, entwickelt hat. Beatrice Rutishauser hat im März 2014 eine

Studie zur „Frühkindlichen Entwicklung“ in Krisengebieten erarbeitet, die sowohl die methodischen

als auch die entwicklungspsychologischen Grundlagen dieses Ansatzes in der Internationalen Zusam-

menarbeit beschreibt.

Die Studie ist bei Caritas Schweiz (Luzern) erschienen und kann sowohl elektronisch als in gedruckter

kostenfrei bezogen werden.

Peter Staudacher, Projektverantwortlicher Osteuropa, Caritas Schweiz,

E-Mail [email protected], Tel. 041 419 22 13