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Mouhanad Khorchide Klaus von Stosch Der andere Prophet Jesus im Koran

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Mouhanad KhorchideKlaus von Stosch

Der andere ProphetJesus im Koran

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Zur Lage der Christologie im siebten Jahrhundert . . . 192.1 Streitfall Chalcedon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.2 Ein dogmenpolitischer Kompromiss? . . . . . . . . . . 262.3 Die neuchalcedonische Enhypostasielehre . . . . . . . 302.4 Christologische Debatten bei den Antichalcedoniern . 362.5 Die arabische Halbinsel als Sammelbecken der

Häresien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462.6 Zur Situation auf der arabischen Halbinsel im

siebten Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

3 Neuaufbrüche in der Christologie der Gegenwart . . . 673.1 Der Ansatzpunkt der Bewusstseinschristologie . . . . . 693.2 Der neuzeitliche Paradigmenwechsel zur relationalen

Ontologie und seine Auswirkungen auf die Christologie 763.3 Bewährung im Blick auf den historischen Jesus . . . . . 833.4 Mehrfache Inkarnation? . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

4 Surenholistische Lektüre der Suren 19, 3 und 5im Kontext einer diachronen Lektüre der Jesusversedes Korans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

4.1 Jesus in der Sure Maryam . . . . . . . . . . . . . . . . 984.1.1 Zacharias und Johannes . . . . . . . . . . . . . . 1004.1.2 Maria und ihr Kind . . . . . . . . . . . . . . . . 1024.1.3 Selbstvorstellung Jesu . . . . . . . . . . . . . . . 107

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4.1.4 Antichristliche Interventionen in Q 19:34–40? . . 1134.1.5 Weitere Themen der Sure Maryam . . . . . . . . 1204.1.6 Verdichtung der Prophetologie in spät-

mekkanischer und frühmedinensischer Zeit . . . 1244.2 Sure Āl ʿImrān . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

4.2.1 Prolog (Verse 1–32) . . . . . . . . . . . . . . . . 1294.2.2 Narrativer Kern (Verse 33–62) . . . . . . . . . . 1324.2.3 Religionspolitische Auseinandersetzungen

(Verse 63–99) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1434.2.4 Selbstvergewisserung der muslimischen

Gemeinde (Verse 100–200) . . . . . . . . . . . . 1464.2.5 Kreuzestod Jesu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

4.3 Sure al-Māʾida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1564.3.1 Struktur und Themen der Sure . . . . . . . . . . 1574.3.2 Kritik an jeder Vergöttlichung von Menschen . . 1624.3.3 Bruch mit dem Christentum? . . . . . . . . . . . 169

5 Einordnung in die koranische Prophetologie(Zishan Ghaffar) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

5.1 Frühmekkanische Suren: Eschatologische Prophetie . . 1795.1.1 Eschatologische Naherwartung? . . . . . . . . . . 185

5.2 Mittelmekkanische Suren: Prophetologie zwischenErrettung, Erwählung und Barmherzigkeit . . . . . . . 1895.2.1 Die neuen Rahmenbedingungen der

Verkündigung in Mittelmekka und ihrezentralen Topoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

5.2.2 Die koranische Apostellehre in Mittelmekka . . . 1945.2.3 Die Geburt der Prophetie aus der Barmherzigkeit

Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2035.2.4 Muhammad als Moses redivivus –

Die Verdichtung der koranischen Prophetologiein Mittelmekka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

5.3 Spätmekkanische Prophetologie:Die Apologie des Gesandten . . . . . . . . . . . . . . . 209

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5.4 Die koranische Prophetologie in Medina . . . . . . . . 2145.4.1 Von der existentiellen zur textuellen Typologie . 2145.4.2 Von der Schicksalsgemeinschaft zur universalen

Bundesgemeinschaft. Die koranische Propheto-logie zwischen Universalität und Exklusivität . . 216

5.4.3 Der Gesandte Muhammad als Gesetzgeber undseine besondere Dignität als prophetischerWürdenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

5.4.4 Prophetologie als Gegendiskurs zur Christologie? 221

6 Das Werk Jesu Christi und der Koran: Spurensuche aufder Ebene funktionaler Äquivalente . . . . . . . . . . . 227

6.1 Selbstoffenbarung Gottes in der islamischen Tradition?(unter Beteiligung von Darius Asghar-Zadeh) . . . . 229

6.2 Das Gott-Mensch-Verhältnis als Freiheitsverhältnis . . 2416.3 Zur soteriologischen Relevanz des Korans (unter

Beteiligung von Darius Asghar-Zadeh) . . . . . . . . 2546.4 Kann Gott leiden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2656.5 Koranische Impulse, um Emotionen in Gott zu denken 275

7 Neue Perspektiven auf den Koran . . . . . . . . . . . . 2897.1 Systematische Schlussfolgerungen aus christlicher Sicht 2897.2 Systematische Schlussfolgerungen aus muslimischer

Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

8 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Textnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

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1 Einleitung

Der christliche Glaube ist wesentlich Glaube an Jesus als denChristus. Von daher ist es für Christinnen und Christen im inter-religiösen Gespräch von schwer zu überschätzender Wichtigkeit,zu erfahren, was die Gesprächspartner aus der anderen Religionvon Jesus Christus halten. Auf der anderen Seite ist es aus musli-misch theologischer Perspektive eine große Bereicherung, sich mitJesus fernab einer innerislamischen Perspektive auseinanderzuset-zen. Denn diese führte in der Vergangenheit oft zu einer apologe-tischen Haltung dem Christentum gegenüber, insofern der Koranals pauschale Kritik am Christentum verstanden wurde. Es wurdein der innerislamischen Diskussion bislang versäumt, die unter-schiedlichen christlichen Perspektiven auf Jesus im Verlauf derchristlichen Geschichte, besonders zur Entstehungszeit des Ko-rans, genauer zur Kenntnis zu nehmen. Dabei lädt gerade der Ko-ran die Muslime dazu ein, sich auf christliche Perspektiven ein-zulassen und diese auf der Basis des gemeinsamen Glaubens anden einen Gott ins Gespräch zu bringen. So heißt es im Koranausdrücklich: „Sprecht: ‚Wir glauben an das, was auf uns herab-gesandt und was auf euch herabgesandt wurde. Unser Gott undeuer Gott sind einer. Ihm sind wir ergeben.‘“ (Q 29:46)1 Der Ko-ran distanziert sich keineswegs von Christen. Im Gegenteil ver-spricht er ihnen sogar die ewige Glückseligkeit (Q 2:62; Q 5:69).

Wie können Muslime allerdings diese Zusage an Christen imLichte der mitunter kritischen Auseinandersetzung des Koransmit christlichen Vorstellungen verstehen? Wie trägt eine theo-logisch intensive Beschäftigung mit Jesus im Koran dazu bei, dassMuslime ein besseres Verständnis von dem im Koran angespro-

1 Wir folgen in diesem Buch immer, wenn wir es nicht ausdrücklich andersvermerken, der Koranübersetzung von Hartmut Bobzin.

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chenen gemeinsamen Gott der Muslime und Christen erhaltenund wie trägt diese Beschäftigung letztendlich zu einem besserenVerständnis koranischer Aussagen über Jesus bei? An dieser Stelleist gerade das Gespräch von Christen und Muslimen brisant, weiles die entscheidende Offenbarungsurkunde des Islams selbst ist,die sich ausführlich mit dem Messias Jesus, dem Sohn der Maria,auseinandersetzt. In insgesamt 108 Versen in 15 verschiedenenSuren des Korans wird Jesus direkt erwähnt, an vielen anderenStellen wird auf ihn angespielt. Wie wir noch sehen werden, istdie Christologie ein zentrales Thema des Korans, mit dem sichder Verkünder des Korans2 und die frühe muslimische Gemeindeebenso gründlich wie kritisch auseinandersetzt.

Bedenkt man, dass der Koran für Muslime das Ergebnis einerKommunikation zwischen Gott und den Erstadressaten der Ver-kündigung Muhammads darstellt und somit einen göttlichen Ur-sprung besitzt, ergibt sich aus diesem Befund eine explosive Mi-schung für das Miteinander von Christen und Muslimen. Denn esist offensichtlich, dass der Koran stark von der üblichen christ-lichen Sicht auf Jesus abweicht und ihr zumindest auf den erstenBlick an zentralen Stellen widerspricht. An diesem Punkt gewinntman den Eindruck, dass folgende Alternative unausweichlich ist:Entweder man verteidigt die Christologie gegen die koranischeKritik und scheint dadurch den islamischen Glauben anzugreifen.Oder aber man gibt der koranischen Kritik an der ChristologieRecht und wertet dadurch möglicherweise den christlichen Glau-ben ab. Denn wenn der Koran auf Gott zurückgeht, dann kannGottes kritischer Einspruch nur Anlass für die Revision des eige-nen Glaubens sein, nicht aber für eine apologetische Erwiderung.Der Streit um Jesus scheint deshalb geradezu eine Sollbruchstellefür das muslimisch-christliche Miteinander zu sein, und seine Be-arbeitung ist eine der vordringlichsten Aufgaben für eine Theo-logie, die sich ein friedliches Miteinander der Religionen zum Zielgesetzt hat.

Einleitung

2 Wenn wir von dem Verkünder des Korans sprechen, ist bewusst offen gelas-sen, ob es sich um Gott oder Muhammad oder beide handelt, sodass unter-schiedliche Lesarten des Buches möglich sind.

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Doch die Auseinandersetzung mit der Jesusdarstellung im Ko-ran ist nicht nur für den Dialog beider Religionen bedeutsam.Auch innerchristlich und innermuslimisch stellt sie vor wichtigeHerausforderungen. Aus muslimischer Sicht ist es ausgesprochenirritierend, dass der Koran eine Reihe von Aussagen macht, die dieBesonderheit Jesu in – für die islamische Schultheologie – heraus-fordernder Weise würdigen. Offenkundig gibt es im Koran zu-gleich eine bemerkenswerte Würdigung der Bedeutung JesuChristi und eine kritische Auseinandersetzung mit der christ-lichen Rezeption dieser Bedeutung. Will man die koranische Pro-phetologie und die koranische Selbstreflexion richtig verstehen,hängt viel davon ab, wie man seine diskursive Auseinanderset-zung mit der Christologie auswertet. Von daher ist die Art derWürdigung Jesu im Koran für ein adäquates Verstehen des Koransviel bedeutsamer, als das bisher gemeinhin erkannt wird.

Umgekehrt steckt in der Darstellung Jesu Christi im Koranauch ein wichtiges Lernpotenzial für die christliche Theologie. Zu-mindest ist es eines der wichtigen Anliegen dieses Buches, genaudies zu zeigen. Christen können ihren Zugang zu Jesus Christusund ihr Verstehen der eigenen Geschichte vertiefen, wenn sie diekoranischen Aussagen über Jesus lesen. Der Koran hat Christenbleibend Bedeutsames über Jesus Christus mitzuteilen, sodass sichdas genaue Hinhören auf den Koran auch aus rein innerchrist-lichen Gründen lohnt. Diese Aussage ist alles andere als selbstver-ständlich und kann hier nicht in Kürze begründet werden. Sie sollaber gewissermaßen als Versprechen diesem Buch vorangestelltwerden und der Leser bzw. die Leserin mag am Ende prüfen, obes den Autoren gelungen ist, es einzulösen.

Kurz gefasst hat unser Buch also drei Ziele. Es will erstens denStreit um Jesus im Koran historisch nachzeichnen und überlegen,wie seine präzise Aufarbeitung zu einem produktiven Miteinandervon Christen und Muslimen heute beitragen kann. Es will zwei-tens zeigen, welche große hermeneutische Bedeutung die Aus-einandersetzung mit der Christologie für ein adäquates Verstehendes Korans hat. Und es will drittens Perspektiven aufzeigen, wieChristen ihren Glauben an Jesus als den Christus durch eine Aus-einandersetzung mit dem Koran vertiefen und reinigen können.

Einleitung

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Um diese Ziele zu erreichen, verwenden wir im Wesentlichenvier innovative methodische Schritte, die in dieser Form alle nochnicht auf das Thema der Darstellung Jesu im Koran angewendetwurden. Diese Tatsache ist besonders deshalb bemerkenswert, weiles mittlerweile unzählige Bücher zu diesem Thema gibt, sodassman denken könnte, dass bereits alles Wissenswerte über die unshier beschäftigenden Fragen gesagt wurde. Doch keines der unsbekannten Bücher verwendet auch nur eine der vier Besonder-heiten, die in methodischer Hinsicht unser Buch kennzeichnen.

Zunächst einmal ist unser Buch das bisher einzige Buch überJesus im Koran, das von einem christlichen und einem musli-mischen Autor gemeinsam verantwortet wird. Diese gemeinsameAutorenschaft ist nicht etwa so zu verstehen, als ob der musli-mische Autor bestimmte Kapitel geschrieben hätte und der christ-liche Autor andere. Vielmehr sind fast alle Kapitel in einem ins-gesamt sechsjährigen gemeinsamen Schaffensprozess entstanden,sodass sie alle von beiden gemeinsam verantwortet werden. Beidewurden dabei von einem Team von Forscherinnen und Forschernaus Islam und Christentum unterstützt, und wir werden gleich inder Danksagung noch ausführlicher darauf eingehen, wie wertvolluns die dabei zuteilgewordene Unterstützung ist. An dieser Stelleist es uns nur wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir durch dieseUnterstützung nicht nur exegetische Kompetenzen in Anspruchnehmen konnten, die wir alleine nie besessen hätten. Vielmehrwurde es uns so auch möglich, Perspektiven anderer Konfessionenaus unserer je eigenen Religion in den Blick zu nehmen. So habenwir nicht nur sunnitische und katholische, sondern auch schiiti-sche, evangelische und syrisch-orthodoxe Perspektiven in unserNachdenken einfließen lassen können. Natürlich beanspruchenwir nicht, alle diese Perspektiven in angemessener Weise berück-sichtigt und ihre Anliegen aufgenommen zu haben. Aber wirhaben zumindest gänzlich versucht, auf konfessionelle Zuspitzun-gen zu verzichten und ein interreligiöses Miteinander zu ent-wickeln, das in unsere beiden Religionen in ihrer ganzen Breitehineinwirken kann.

Bei aller inklusiven Bemühung bleibt unser Text natürlich ersteinmal nur die Verständigung der beiden Autoren, die am Ende

Einleitung

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des Buches jeweils in getrennten Kapiteln offenlegen, was sie ausdiesem gemeinsamen Prozess für ihr eigenes konfessionellesNachdenken mitnehmen. Aber von diesen Abschlussreflexionenim Schlussteil und der knappen Vorstellung moderner Christo-logie im dritten Kapitel abgesehen, handelt es sich um einen ge-meinsamen Text, den wir gemeinsam verantworten. Entsprechendgab es für uns beide noch nie einen Text, bei dem wir so intensivum jede einzelne Formulierung gerungen haben. Gerade imkoranexegetischen Teil gibt es mittlerweile so viele Überarbeitun-gen, dass wir selbst staunen, wie sehr sich unsere Positionen durchden Dialog fortentwickelt und wie sehr wir voneinander und mit-einander gelernt haben.

Die zweite methodische Besonderheit unseres Buches bestehtdarin, dass wir in der gesamten koranexegetischen Darstellungkonsequent diachron arbeiten und uns um eine präzise histori-sche Einbettung der Entwicklungsgeschichte der koranischenAussagen über Jesus bemühen. Gerade solche historischen Ein-ordnungen gibt es natürlich bereits vielfach. Aber selten werdendiese Einordnungen mit einer diachronen Entwicklungsgeschich-te der koranischen Aussagen verbunden. Vor allem geschieht diessonst an keiner Stelle in einer Weise, die auf revisionistische Neu-konzeptionen des Korans verzichtet. D.h., das vorliegende Buchoperiert ähnlichwie dasCorpus-Coranicum-ProjektAngelika Neu-wirths3 ausgehend von der heuristischen Annahme, dass derKoran tatsächlich im Wesentlichen zu Lebzeiten des ProphetenMuhammad entstanden ist. Zugleich wird die Entwicklungs-geschichte der koranischen Aussagen über Jesus, den Sohn derMaria, entsprechend der auch im Corpus Coranicum zugrundegelegten Chronologie zurückverfolgt.

Diese methodische Grundannahme kann exegetisch sicherhinterfragt werden und ist nicht alternativlos. Aber sie erscheintuns erstens historisch plausibler als die gegenwärtigen revisionis-tischen Modelle.4 Und sie hat zweitens den Vorzug, dass sie keinen

Einleitung

3 Vgl. zur Einführung Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spät-antike. Ein europäischer Zugang, Berlin 2010.4 Vgl. als Überblick und Kritik zu diesen Modellen ebd., 91–104.

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muslimischen Glaubensüberzeugungen widerspricht, sodass diein diesem Buch vorgelegten Erkenntnisse auch von muslimischerSeite rezipiert werden können. Zumindest enthält unser metho-disches Vorgehen keine hermeneutischen Prämissen, die in Span-nung zu muslimischen Glaubensannahmen stehen.

Die dritte methodische Besonderheit unseres Zugangs zu Jesusim Koran besteht darin, dass wir zumindest die wichtigsten Surenüber Jesus holistisch lesen. Wir bemühen uns also, die sonst gän-gige Atomisierung des Korans zu überwinden und die jeweiligenSuren als literarische Einheiten in den Blick zu bekommen. Natür-lich kann das angesichts des begrenzten Raums dieser Unter-suchung nicht für alle Suren geleistet werden, in denen Verse überJesus vorkommen. Aber zumindest die Hauptsuren, die sich mitJesus auseinandersetzen, werdenwir jeweils in ihrer Gesamtheit inden Blick nehmen und so den literarischen Zusammenhang derjeweiligen Überlegungen in unserer Deutung zu berücksichtigensuchen.

Schließlich besteht die vierte methodische Besonderheit unse-res Buches darin, dass es sich an den Prinzipien KomparativerTheologie orientiert.5 Das bedeutet für uns beide, dass wir unswechselseitig in unsere Glaubensperspektiven einzufühlen ver-suchen und uns gegenseitig darin stützen wollen, den eigenenGlauben möglichst überzeugend zu formulieren. Am Ende stehtschließlich eine ausdrückliche Reflexion auf den je eigenen theo-logischen Standpunkt. Auf diese Weise bleibt das konfessionelleMoment des jeweiligen theologischen Nachdenkens erhalten.

Zugleich wollen wir einer agonalen Verhältnisbestimmung un-serer Religionen entgegentreten. Es geht uns nicht darum, ineinem Wettstreit zu klären, wer die bessere Perspektive auf Jesusvon Nazaret hat, sondern darum, unsere Perspektiven weiter-zuentwickeln und dabei der Wahrheit treu zu bleiben, der wiruns jeweils verpflichtet wissen. Dafür bearbeiten wir historischund exegetisch die anstehenden Herausforderungen gemeinsam

Einleitung

5 Vgl. zu unserem Verständnis der Methodik Komparativer Theologie Klausvon Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religio-nen (Beiträge zur Komparativen Theologie; 6), Paderborn u. a. 2012, 193–215.

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und versuchen auch funktionale Äquivalente für die Christologieim Koran ausfindig zu machen. Auf diese Weise stellen wir unsgemeinsam den großen Herausforderungen, die unser Themaphilologisch, historisch und systematisch stellt. Wir beziehen zu-dem – im Sinne der für komparatives Arbeiten so wichtigen In-stanz des Dritten – möglichst viele weitere Perspektiven mit ein,um die jeweils gefundenen Einsichten immer neu zu hinterfragen.Aber wir streben keine allumfassende synthetische Einsicht an,sondern getrennte und doch dialogisch aufeinander verweisendetheologische Schlussfolgerungen.

Im Einzelnen gehen wir so vor, dass wir nach einer gründlichenhistorischen Einführung zur Lage der Christologie im siebtenJahrhundert und zur mutmaßlichen Situation auf der arabischenHalbinsel (Kapitel 2) zu einer Rekonstruktion exemplarischer ge-genwärtiger Denkfiguren in der Christologie kommen (Kapitel 3).Auf diese Weise soll einerseits klar werden, in welcher histori-schen Gemengelage sich der Verkünder des Korans in die Diskur-se um Jesus einschaltet. Zugleich soll zumindest angerissen wer-den, wie sich diese Diskurse bis heute weiterentwickelt haben, umvor Augen zu haben, wie sich der Koran auch auf diese geänderteDiskurssituation beziehen lassen könnte. Die systematische Re-konstruktion des dritten Kapitels ist allein aus christlicher Sichtgeschrieben, weil sie lediglich das Ziel einer Bestandsaufnahmemoderner Zugänge zur Christologie verfolgt und dabei offenlegensoll, aus welcher christologischen Perspektive heraus der christ-liche Autor dieses Buches schreibt.

Danach folgt das eigentliche Herzstück unseres Buches: dieexegetische Auseinandersetzung mit den Jesusversen im Koran(Kapitel 4). Diese erfolgt, wie bereits gesagt, surenholistisch unddiachron und liefert somit einen exegetisch neuartigen Befund,der sich in sehr interessanter Weise auf die vorher erarbeitete his-torische Situation im siebten Jahrhundert beziehen lässt und neueGesprächsmöglichkeiten mit zeitgenössischen christologischenModellen ermöglicht. Eine der wichtigsten Erkenntnisse unsererexegetischen und historischen Bemühungen wird sein, dass sichder Verkünder des Korans dadurch von den christologischen Dis-kursen seiner Zeit abgrenzt, dass er eine eigene Prophetologie

Einleitung

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konzipiert. Diese im Koran grundgelegte Prophetologie ist als sol-che ein eigener Forschungsgegenstand, dessen umfassende Wür-digung mindestens ein weiteres Buch verlangte. Um hier wenigs-tens erste Eckpunkte unserer Überlegungen in dieses Buch zuintegrieren, haben wir unseren muslimischen ProjektmitarbeiterZishan Ghaffar gebeten, einen ersten Entwurf einer solchenProphetologie vorzulegen, der in diesem fünften Kapitel Eingangin unser Buch gefunden hat. Das Kapitel ermöglicht es uns, dieAussagen über Jesus präziser koranisch zu kontextualisieren.

Konzentrierten sich unsere Überlegungen bis zum fünften Ka-pitel immer auf die Person Jesu Christi, soll es im sechsten Kapitelwenigstens ansatzweise um das Werk Jesu Christi gehen. Genau-erhin wollen wir in diesem Kapitel auf die offenbarungstheologi-sche und soteriologische Funktion Christi zu sprechen kommen.In diesem Zusammenhang ist offenkundig, dass der Koran denchristlichen Ausführungen nicht folgt, weil in der Mitte seinerOffenbarungsvorstellung nicht Jesus Christus, sondern der Koranselbst steht. An dieser Stelle gilt es nun zu klären, ob sich entspre-chend der koranische Diskurs selbst auch als funktionales Äqui-valent des Erlösungswerks Jesu Christi verstehen lässt. Abge-schlossen wird unser Buch dann wie bereits angekündigt durch jeeigene Schlussreflexionen der beiden Autoren dieses Buches, indenen sie die geleistete historische und exegetische Arbeit zueigenen systematischen Schlussfolgerungen verdichten.

Bevor wir inhaltlich in unser Buch einsteigen, wollen wir dieseEinleitung noch nutzen, um denen zu danken, die dieses Projektermöglicht haben. An erster Stelle ist hier die Deutsche For-schungsgemeinschaft (DFG) zu nennen, die uns insgesamt vierJahre lang mehrere Stellen finanziert hat, damit wir unsere For-schungen vorantreiben können. Außerdem hat sie drei Tagungenfinanziert – zwei in Deutschland und eine in den USA –, die uns,ebenso wie eine Forschungsreise in die USA, geholfen haben, un-sere Ideen dem wissenschaftlichen Diskurs zu stellen und sie aufdiese Weise weiterzuentwickeln. Ohne diese Unterstützung undErmutigung wäre dieses Buch nie Wirklichkeit geworden.

Wir wollen aber auch unseren Projektmitarbeiterinnen undProjektmitarbeitern danken, die nicht nur intensiv an diesem

Einleitung

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Buch mitgearbeitet, sondern uns auch durch ihre exegetischen,historischen und systematischen Kenntnisse unterstützt haben.Auf muslimischer Seite sind hier insbesondere Hamideh Mohag-heghi und Dr. Zishan Ghaffar zu nennen, die uns jeweils un-ermüdlich zu genauer philologischer Arbeit ermutigt und uns inwirkungsvoller Weise zugearbeitet haben. Dr. Zishan Ghaffarstellte zudem ein unverzichtbares Bindeglied zur Arbeit des Cor-pus-Coranicum-Projektes und zu Prof. Dr. Angelika Neuwirth dar,die uns durch vielfältige Interventionen in unserer Arbeit voran-gebracht und immer wieder neu beflügelt hat. Ohne diese Zusam-menarbeit hätten wir nicht einmal im Ansatz die exegetische undphilologische Genauigkeit erreichen können, die wir jetzt vorzu-legen hoffen. Ein ganz besonderer Dank gilt auch unserer christ-lichen Projektmitarbeiterin Cornelia Dockter, die während dergesamten Laufzeit unseres Projekts immer alle Fäden in der Handbehielt und uns bei unzähligen Arbeitsschritten, Recherchen undSuchbewegungen unschätzbare Dienste erwiesen hat. Auch ohnesie und ihre tatkräftige Hilfe wäre das Buch nicht möglich ge-wesen. Schließlich ist unser Projektmitarbeiter Dr. Darius Asghar-Zadeh zu nennen, der sich insbesondere umwichtige Passagen dessechsten Kapitels verdient gemacht hat.

Neben diesen dank der DFG in unserem Projekt fest angestell-ten Personen gibt es eine Reihe von weiteren Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern, die für den Erfolg unseres Projektes einen wich-tigen Beitrag geleistet haben. Dr. Dina El Omari hat uns immerwieder durch ihre exegetischen Kompetenzen zugearbeitet, Mar-tina Aras hat darauf geachtet, dass die syrisch-orthodoxe Perspek-tive im Projekt präsent blieb, Jun.-Prof. Dr. Muna Tatari undTolou Khademalsharieh haben vor allem in der Anfangsphasedes Projekts wertvolle Hilfestellungen geliefert und ChristineSchlichtig hat über den gesamten Projektzeitraum unsere Arbei-ten mitgetragen. Als studentische Mitarbeiterinnen haben Eva-Maria Leifeld und Lena Steindl lange in dem Projekt mitgeholfen.Am Ende war es dann vor allem Katharina Holtmann, die denDrucklegungsprozess des Buches begleitet und vorangebracht hat.Ein besonderer Dank gilt schließlich allen Kolleginnen und Kolle-gen, die unser Projekt mit Rat und Tat begleitet haben und die uns

Einleitung

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wertvolle Anregungen zur Überarbeitung unseres Manuskriptsgegeben haben. Namentlich genannt seien Prof. Dr. ReinholdBernhardt, Prof. Dr. Lejla Demiri, Prof. Dr. Georg Essen, Prof. Dr.Hans-Peter Großhans, Dirk Hartwig, Narjes Javandel, Prof. Dr.Milad Karimi, Prof. Dr. Elisa Klapheck, Prof. Dr. Wolf Krötke,Prof. Dr. Leo Lefebure, Prof. Dr. Hajj Muhammad Legenhausen,Prof. DDr. Bernhard Nitsche, Prof. Dr. Ömer Özsoy, Prof. Dr.Ahmad Pakatchi, Prof. Dr. Peter C. Phan, Prof. Dr. Aho Shemun-kasho, Prof. Dr. Angelika Strotmann, Prof. Dr. Georges Tamer so-wie Prof. Dr. Holger Zellentin. Besonders hervorheben möchtenwir Prof. Dr. Sidney Griffith und Prof. Dr. Jürgen Werbick. SidneyGriffith hat dem christlichen Autor dieses Buches während seinesForschungsfreisemesters in Georgetown in wöchentlichen Ge-sprächen Gelegenheit gegeben, eine erste Version des Buches Satzfür Satz durchzudiskutieren und dabei unzählige Anregungenzum Thema gegeben. Auch war er der amerikanische Gastgebereiner gemeinsamen Tagung zum Thema des Buches an der Catho-lic University of America, die beiden Autoren sehr weitergeholfenhat. Jürgen Werbick war es, der den Gesprächszusammenhangzwischen den beiden Autoren des Buches im Rahmen des Müns-teraner Exzellenzclusters zum Thema Religion und Politik zu ver-tiefen geholfen hat und der den Entstehungsprozess des Buchesvon Anfang an intensiv begleitet hat. Seine Impulse waren undsind beiden Autoren eine ganz besondere Inspiration.

Paderborn/Münster am Fest der Geburt Jesu 2017.

Klaus von Stosch und Mouhanad Khorchide

Einleitung

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2 Zur Lage der Christologieim siebten Jahrhundert

Um einschätzen zu können, welche Christologien zur Entste-hungszeit des Korans im Umlauf waren, ist es erforderlich, sichdie Entwicklung der Christologie nach dem Konzil von Chalcedon(451) zu vergegenwärtigen, da der Streit um die Entscheidungendieses Konzils gerade das östliche Christentum bis ins siebte Jahr-hundert hinein maßgeblich beeinflusste. Wir können deshalb da-von ausgehen, dass diese Streitigkeiten auch auf die Formen desChristentums Auswirkungen hatten, die im siebten Jahrhundertauf der arabischen Halbinsel präsent waren.

Die Christologie im Vorfeld des Konzils war von einem weit-reichenden Streit von zwei theologischen Schulen geprägt, die ent-sprechend der Herkunft ihrer maßgeblichen Protagonisten alsSchule von Antiochien und Schule von Alexandrien bezeichnetwerden. Die Schule von Antiochien bestimmte die Einheit vonGöttlichem und Menschlichem in Jesus Christus als eine reinfunktionale Einheit im Wollen bzw. im Handeln. Auf diese Weisewahrte sie die Integrität des Menschseins Jesu Christi ebenso wiesein Gottsein, ohne die Einheit beider Elemente zureichendbestimmen zu können. Sie stand so in der Gefahr, ein bloß äußer-liches Beieinander der beiden Naturen in Jesus Christus anzu-nehmen, ohne seine Personeinheit begrifflich angemessen ein-holen zu können. Ihr wurde vorgeworfen, letztlich von zweiSöhnen Gottes auszugehen, einem göttlichen Christus und einemmenschlichen Jesus, ohne erklären zu können, wie beide einePerson sein können.

Dem gegenüber stand die Schule von Alexandrien, die die Per-soneinheit Jesu Christi so stark betonte, dass sie nicht von zweiNaturen in Jesus Christus sprechenwollte. Sie gab sich nicht damitzufrieden, nur von einer funktionalen Einheit von Göttlichem

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und Menschlichem in Jesus zu sprechen, sondern wollte diewesenhafte Verbindung beider Seiten betonen. Sie stand so in derGefahr, nicht recht erklären zu können, wie die menschliche Na-tur in Jesus intakt bleiben konnte, wenn sie von der göttlichenNatur umfangen wurde.

431 hatte das Konzil von Ephesus diesen Streit zugunsten deralexandrinischen Seite entschieden, indem es den führenden Ver-treter der antiochenischen Seite und damaligen Patriarchen vonKonstantinopel Nestorius (386–451) in seiner Auseinanderset-zung mit dem Schuloberhaupt seiner alexandrinischen Gegen-spieler, dem Patriarchen von Alexandrien Kyrill (um 375/380–412), zwang, die Bezeichnung Mariens nicht nur als Christus-,sondern auch als Gottesgebärerin zu akzeptieren.1

Der Hauptgrund, warum diese Entscheidung nicht gleich zurKirchenspaltung führte, besteht darin, dass Nestorius selbst dieEntscheidung akzeptierte und seine Anhänger sich erst einmalinnerhalb der Kirche für eine stärkere Berücksichtigung ihrerTheologie stark machten. Und in der Tat merkt man dem nächs-ten Konzil an, dass es sichtbar um eine Vermittlung der Interessenund Ideen beider Schulen bemüht war.

2.1 Streitfall Chalcedon

In den katholischen, evangelischen und byzantinisch-orthodoxenKirchen gilt das Konzil von Chalcedon (451) als maßgeblicher, bisheute gültiger „dogmenpolitischer“ Kompromiss, der die Extrem-positionen der verschiedenen, im Widerstreit liegenden theologi-schen Schulen ausschloss und Eckpunkte für jede Christologiefestsetzte. Dagegen ist das Konzil von Chalcedon für die orienta-lisch-orthodoxen Kirchen der entscheidende Grund für die Tren-nung von der byzantinisch-römischen Kirche gewesen2, sodass

Zur Lage der Christologie im siebten Jahrhundert

1 Vgl. Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. Bd. 1:Von der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon, Freiburg – Basel –Wien 1979, 646–691.2 Aus orthodoxer Sicht ist es natürlich nicht so, dass sich die orientalischenKirchen von der Großkirche abgespalten haben, sondern dass die Neuerun-

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der hier erreichte Kompromiss zugleich Grund der ersten größe-ren Kirchenspaltung der Christentumsgeschichte war – eine Spal-tung, die insbesondere im Raum des entstehenden Islams vonkaum zu überschätzender Bedeutung war.3 Aber auch sonst er-scheint es uns als angemessen, von einer traumatischen Wirkungdieser Kirchenspaltung für das damalige Christentum zu spre-chen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass weite Teile Europasin der Spätantike noch nicht christianisiert waren und an eineChristianisierung Amerikas sowieso noch nicht zu denken war,wird schnell klar, dass diese Spaltung die Christenheit bis insMark erschütterte und im Kern traf. Betrachtet man sich die be-troffenen Gebiete auf der Landkarte, kann man davon ausgehen,dass die Christenheit durch diese Kirchenspaltung in zwei etwagleich große Teile zerbrach.

Dieses Zerbrechen vollzog sich aber natürlich nicht von einemTag auf den anderen. Vielmehr kam es zu einem Ringen um dieRezeption des Konzils von Chalcedon, das bis weit ins sechste

Streitfall Chalcedon

gen des Konzils von Chalcedon die Einheit der Kirche zerstört haben. Vgl.Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. Bd. 2/3: DieKirchen von Jerusalem und Antiochien nach 451 bis 600. Hg. v. TheresiaHainthaler, Freiburg – Basel – Wien 2002, 193: „Die Gegner Chalcedons,allen voran die alexandrinischen Patriarchen Dioscorus und Timotheus Aelu-rus, im 6. Jahrhundert endlich Severus von Antiochien und seine Anhänger,waren nicht der Überzeugung, selbst die Neuerer und Spalter der Einheit zusein. Sie betrachteten sich als den originären Stamm der Christenheit, als dieTräger der genuinen Tradition. Die zerstörerische Funktion einer Revolutiondes Glaubens schrieben sie – und schreiben ihre Nachfolger bis heute – demKonzil von Chalcedon und seinen Anhängern zu.“3 Wegen der Beschlüsse Chalcedons haben sich im Laufe des fünften undsechsten Jahrhunderts das Patriarchat von Antiochien, das Patriarchat vonAlexandrien, die armenische und die äthiopische Kirche von der Großkirchegetrennt. Vgl. Wilhelm de Vries, Die Gründe der Ablehnung des Konzilsvon Chalzedon durch die altorientalischen Kirchen. In: Rudolf Kirch-schläger / Alfred Stirnemann (Hg.), Chalzedon und die Folgen. 1. Wie-ner Konsultationmit der OrientalischenOrthodoxie. Dokumentation des Dia-logs zwischen der armenisch-apostolischen und der römisch-katholischenKirche sowie des Dialogs zwischen chalzedonensischer und nicht chalzedo-nensischer Orthodoxie. FS 60. Geburtstag v. BischofMesrob K. Krikorian (ProOriente; 14), Wien 1992, 124–131, hier 124.

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Jahrhundert hinein anhielt. Zunächst wurde das Konzil von Chal-cedon regional sehr unterschiedlich rezipiert, und es gab im Reichdirekt nebeneinander Bischöfe, die das Konzil ablehnten, undsolche, die es verteidigten. Auch die Kaiser bezogen hier in unter-schiedlicher Weise Stellung. So war etwa Kaiser Zenon und seinemPatriarchen Akakios von Konstantinopel so sehr daran gelegen,auch die alexandrinisch geprägten Christen in das Reich zu inte-grieren, dass er faktisch das Konzil von Chalcedon außer Kraftsetzte. Dies führte allerdings zu einer vorübergehenden Kirchen-spaltung mit Rom, dem sog. Akakianischen Schisma (484–519),das erst dadurch beendet werden konnte, dass Kaiser Justin I. dierömische Vorstellung akzeptierte und sich aktiv für die RezeptionChalcedons im Reich einsetzte.

Sein Nachfolger Justinian (527–565) gilt vielen als der ersteKaiser, der Chalcedon wirklich durchsetzen wollte und das Be-kenntnis auch mit Polizeigewalt zur allgemeinen Leitlinie mach-te.4 Und in der Tat versuchte sich Justinian selbst als großer undbesonders orthodoxer Theologe zu inszenieren, verfasste eigenetheologische Traktate und versuchte in Disputen am Hof die Geg-ner von Chalcedon von dem Konzil zu überzeugen. Er galt deshalbals sehr frommer und überzeugter Anhänger der einen Kirche, derasketisch lebte und als Glaubensvorbild verstanden werden wollte.Eifrig war er um Christianisierung des ganzen Reiches bemühtund schloss schon 529 die neuplatonische Philosophenschule inAthen. Doch trotz all seiner Bemühungen (oder vielleicht geradeihretwegen) entwickelte sich schon früh in seiner Amtszeit eineeigene nichtchalcedonische Hierarchie, insbesondere durch denEinfluss von Johannes von Ephesus und Severus von Antiochien,sodass er Anfang der 530er Jahre seine Politik änderte und nacheiner Wiederannäherung der verfeindeten Parteien suchte.5

Schon vor seinem Amtsantritt war Justinian als starker Mannhinter Justin I. in den Theopaschitenstreit verwickelt und ver-

Zur Lage der Christologie im siebten Jahrhundert

4 Vgl. W. H. C. Frend, The rise of the monophysite movement. Chapters inthe history of the church in the fifth and sixth centuries, Cambridge 1972,255–295.5 Vgl. Volker Menzel, Justinian and the Making of the Syrian OrthodoxChurch, Oxford 2008, 186–191.

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suchte die Position skythischer Mönche, die darauf bestanden,dass einer aus der Trinität am Kreuz gelitten habe, mit der rö-mischen Interpretation von Chalcedon zu vermitteln.6 Er folgtehier offenbar Johannes Maxentius, dem Führer der skythischenMönche, der darauf bestand, dass man nicht nur sagen könne,dass Jesus der Gott-Logos sei, sondern auch umgekehrt, dass derGott-Logos Jesus sei7 – eine sehr ungewöhnliche Formulierung,die uns noch im Kontext unserer Koranexegese beschäftigen wird.533 machte er die Rede von dem einen aus der Trinität – ebenfallsein im Koran diskutierter Christustitel –, der gekreuzigt wurde, ineinem Edikt für das ganze Reich verbindlich und gewann 534 Romdafür, sich dieser Formulierung anzuschließen.8

Insgesamt bemühte er sich also, das Anliegen alexandrinischerTheologie mit Chalcedon zu vereinbaren und so eine Kirchenspal-tung zu vermeiden. Als diese Annäherungspolitik durch PapstAgapetus gestoppt wurde – Hintergrund war sein Versuch, übereinen von ihm eingesetzten Patriarchen in Konstantinopel eineindirekte Kritik an Chalcedon zu üben –, übernahm seine FrauTheodora (um 500–548) die Rolle, Hoffnungsschimmer für dieAntichalcedonier am Hof zu sein, indem sie sich ab 535/536 öf-fentlich als nichtchalcedonisch bekannte.9 In der Forschung istumstritten, ob ihre Opposition nur taktischer Natur war oder sietatsächlich im theologischen Streit mit ihrem Mann lag.10 Auchwenn sie in den Quellen immer wieder als leidenschaftliche Geg-nerin Chalcedons gesehen wird, vermuten die meisten Forscherheute eher, dass ihre Politik mit ihrem Mann abgesprochen warund das Kaiserpaar so auch die Gegner Chalcedons ins Reichintegrieren wollten.11 542 setzte Justinian dadurch ein Versöh-nungszeichen, dass er zwei Antichalcedonier offiziell als Bischöfeeinsetzte: Jakob Baradäus und Theodore – ein Zeichen, das aller-

Streitfall Chalcedon

6 Vgl. Karl-Heinz Uthemann, Kaiser Justinian als Kirchenpolitiker undTheologe. In: Augustinianum 33 (1999) 5–83, hier 21–23.7 Vgl. ebd., 20.8 Vgl. ebd., 34 f.9 Vgl.Menzel, Justinian, 208.10 Vgl. ebd., 209.11 Vgl. etwa ebd., 227 f.

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dings zugleich die Spaltung weiter institutionalisierte.12 DieseSpaltung wird freilich von der syrisch-orthodoxen Seite bis heuteals unabdingbarer Schritt zur Verteidigung des syrischen Denkensgegen die imperiale und intolerante Politik des byzantinischenHofes gesehen.

Angesichts der sich abzeichnenden, nun auch institutionellgreifbaren Kirchenspaltung wurde die Aufgabe der Versöhnungder einander entgegengesetzten theologischen Parteien für dasKaiserpaar eine immer dringlichere Aufgabe. Auch das zweiteKonzil von Konstantinopel 553 war vom Kaiser deshalb offenbarals Unionsbemühung geplant. Und tatsächlich erreichte er eineteilweise Revision von Chalcedon, indem er einige der Schriftenantiochenisch gesinnter Theologen, die Chalcedon entscheidendmitgeprägt haben, verurteilen ließ, nämlich den Brief von Ibasvon Edessa an den Perser Mari und einige der dogmatischenSchriften von Theodor von Mopsuestia und Schriften von demKirchenhistoriker Theodoret von Kyros.13 Sogar den Papst zwanger diese Verurteilungen mitzutragen. Doch den Antichalcedo-niern reichte das alles nicht.14 Zwar war es dem Kaiser gelungen,viele von ihnen nach Konstantinopel zu holen. Aber sie weigertensich, am Konzil teilzunehmen und nach einem Ausgleich zu su-chen, weil sie einfach schon zu viele Opfer für ihren Widerstandgegen Chalcedon gebracht hatten15; es reichte ihnen nicht mehr,eine innere Aushöhlung des Konzils zu erreichen, sondern siewollten die formale Rücknahme. Zugleich gaben ihnen die eige-nen Missionserfolge im Osten genügend Selbstvertrauen, sichnicht einhegen zu lassen.16

Zur Lage der Christologie im siebten Jahrhundert

12 Vgl. Richard Bell, The origin of Islam in its Christian environment. TheGunning lectures, Edinburgh University 1925, London 21968, 21.13 Vgl.Menzel, Justinian, 265 mit Verweis auf Uthemann, Kaiser Justinian,48–76.14 Vgl.Menzel, Justinian, 266.15 Vgl. ebd., 269.16 Justinian hielt es für taktisch klug, bei diesen vor allem von Johannes vonEphesus ausgehenden Missionsbemühungen als Schirmherr zu fungieren, umauch direkt selbst diese Gruppen an sich zu binden. Zugleich konnten ihm die

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