Gadamer - Die Aktualität des Schönen

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HANS-GEORG GADAMER

Die Aktualitat des Schoncn

KUNST ALS SPIEL, SYMBOL UND FEST

PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART

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Universal-Bibliothek Nr. 9844

Aile Rechre vorbehalten

© 1977 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart

Gesarnthersrel lung: Rcclam, Ditzingen. Prin ted in Germany 2000

RECLA.. \ - 1 unci UNIVERSAL-BIBLlOTHEK sind eingetragenc Marken

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart

ISBN 3-15-009844-0

Es seheint mir sehr bedeutungsvoll, daB es sich bei der Frage

der Rechtfertigung der Kunst nicht nur urn ein aktuelles,

sondern urn ein sehr altes Thema handelt. Ieh habe meine

eigenen Anfange als Gelehrter dieser Frage gewidmet, in-

dem ich eine Schrift Plato und die Dichter (1934) ver-

offentlichre.! In der Tat war es die neue philosophische Ge-

sinnung und der neue Anspruch auf Wissen, den die Sokra-

rik erhob, unter dem zum erst enmal in der Geschichte des

Abendlandes, soweit wir wissen, Kunst vor ihre Legitima-

tionsforderung gestellt wurde. Zum erstenmal wurde hier

sichtbar, daB es sich nicht von selbst versteht, daB die

Weitergabe traditioneller Inhalte in bildnerischer oder er-

zahlerischer Form, die auf eine vage Weise Aufnahme und

Ausdeutung erfahren, das Recht auf Wahrlieit besitzt, das

sie beansprucht. So ist es in der Tat ein ernstes altes Thema,

das immer dann aufgeworfen wird, wenn ein neuer An-

sprueh auf Wahrheit sich der Traditionsform entgegenstellt,

die sich in der Gestalt dichterischer Erfindung oder kiinst-

Ierischer Formensprache fortsprieht. Man denke an die spat-antike Kultur mit ihrer oft beklagten Biiderfeindlichkeit.

Damals, als die Wan de durch Inkrustation und Mosaik und

Dekorarion bedeckr wurden, klagten die bildenden Kiinst-

ler der Zeit, daB ihre Zeit voriiber sei. AhnIiches gilt fiir die

Beschrankung und Beendung der Rede- und dichterischen

Gestaltungsfreiheit, die mit dem romischen Imperium iiber

die spatantike Welt gekommen ist und die Tacitus in seinem

beriihmten Dialog iiber den Verfall der Redekunst, dem

Dialogus de oratoribus, beklagte, Man denke aber vor

allern - und damit nahern wir uns bereits unserem Heute

mehr, als uns im ersten Augenbliek vielleicht bewufit ist -an die Stellung, di e das Christentum zur Tradition der

Kunst einnahm, die es vorfand. Es ist eine Entscheidung

sakularer Art gewesen, als der Bildersturm abgewehrt

wurde, der in der spateren Entwicklung der christlichen

Kirche des ersten Jahrtausends, im 6. und 7. Jahrhundert

vor allem, einsetzte. Damals fand die Kirche eine neue

Sinngebung fiir die Formensprache der bildenden Kiinstler

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und sparer auch fiir die Redeformen der Poesie und der

Erzahlkunst, die der Kunst eine neue Legitimation brachte.

Das war insoweit eine begriindece Entscheidung, als es ja

nur der neue Inhalt der christlichen Verkiindigung war, in

dem sich die tradierte Formensprache neu legitimieren

konnte. Die »Biblia pauperum«, die Bibel fiir die Armen,

die nicht Iesen oder kein Latein konnen und deswegen die

Sprache der Verkiindigung nicht mit vollem Verstandnis

aufnehmen, war - als Bild-Erzahlung - eines der maBgeben-

den Leitrnotive fiir die Rechtfertigung der Kunst im Abend-land.

Wir leben in unserem BildungsbewuBtsein weitgehend von

den Friichten dieser Entscheidung, d. h. von der groBen Ge-

schichte der abendlandischen Kunst, die iiber die christliche

Kunst des Mittelalters und die humanistische Erneuerung

der griechischen und rornischen Kunst und Literatur eine

gemeinsame Formensprache flir die gemeinsamen Inhalte

unseres Selbstverstandnisses entwickelt hat - bis in die Tage

des ausgehenden 18. Jahrhunderts, bis zu der groflen gesell-schaftlichen Umschichtung und politischen und religiosenVeranderung, mit der das 19. Jahrhundert einsetzte,

Im Osterreichischen und im Siiddeutschcn braucht man die

Synthese antik-christlicher Inhalte, die in den gewaltigen

Brandungswellen barocken Kunstschaffens so lebendig vor

uns aufschaurnt, nicht mit Worten vor Augen zu stellen.

Freilich hatte auch dieses Weltalter der christlichen Kunst

und der christlich-antiken, christlich-humanistischen Tradi-

tion seine Anfechtungen und erfuhr Umwandlungen, zu

denen nicht zuletzt der EinfluB der Reformation gehorre,

Sie srellte ihrerseits eine neue Kunstart in besonderer Weisein den Mittelpunkt: die durch den Gemeindegesang getra-

gene Form einer Musik, die vom Wort her die Formen-

sprache der Musik neu beseelte - man denke an Heinrich

Schlitz und Johann Sebastian Bach - und damit die ganze

grofse Tradition christlicher Musik in ein Neues hinein fort-

setzre, eine Tradition ohne Bruch, die mit dem Choral, d. h.

letzten Endes mit der Einheit der lateinischen Hymnen-

sprache und der gregorianischen Melodie, anhob, die dem

groBen Papst als Gabe gegeben war.

Das Problem, d. h. die Frage nach der Rechtfertigung der

Kunst, gewinnt auf diesem Hintergrund eine bestimmte erste

Orientierung. Wir konnen uns fiir diese Fragestellung der

Hilfe derer bedienen, die iiber die gleiche Frage ehedem

nachgedacht haben. Dabei sei nicht geleugnet, daB die neue

Situation der Kunst, die wir in unserem Jahrhundert er-

leben, nun wirklich als Bruch einer einheitlichen Tradition

zu gelten hat, deren letzte grofse Nachwelle das 19. jahr-

hundert dargestellt hat. Ais Hegel, der grofse Lehrer des

spekulativen Idealismus, in Heidelberg zum erstenmal und

dann in Berlin seine Ksthetikvorlesungen hielt, war eines

seiner einleitenden Motive die Lehre von dem »Vergangen-

heitscharakter der Kunst-s.s Wenn man die Hegelsche Frage-

stellung rekonstruiert und neu durchdenkt, entdeckt man

mit Erstaunen, wie sehr sie unsere eigenen Fragen an die

Kunst vorformuliert. Ich mochte das in einer einleitenden

Betrachtung in aIler Kiirze vorfuhren, damit wir die Moti-vation einsehen, warum wir im Fortgang unserer Uber-

legungen hinter die Selbstverstandlichkeit des herrschenden

Kunstbegriffs zurlickfragen miissen und die anthropologi-

schen Fundamente aufzudecken haben, auf denen das Pha-

nomen der Kunst aufruht und von denen her wir seine neue

Legitimation erarbeiten miissen,

»Der Vergangenheitscharakrer der Kunst«, das ist eine For-

mulierung Hegels, mit der er in radikaler Zuspitzung den

Anspruch der Philosophie formulierte, der dahin geht, unser

Erkennen der Wahrheit seIber noch zum Gegenstand unse-

res Erkennens zu machen, unser Wissen des Wahren selberzu wissen. Diese Aufgabe und dieser Anspruch, den Philo-

sophie von jeher erhob, ist in Hegels Augen nur dann voll-

endet, wenn sie die Wahrheit, wie sie in der Zeit in ge-

schichtlicher Entfaltung zutage getreten ist, in einer groBen

Summe und Ernte in sich begreift, Daher war es der An-

spruch der Hegelschen Philosophie, gerade auch und vor

allem die Wahrheit der christlichen Verkiindigung in den

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Begriff zu erheben. Das gilt selbst fur das riefste Geheimnis

der christlichen Lehre, das Geheimnis der Trinitat, von dem

ich personlich glaube, daB es als Herausforderung fUr das

Denken wie als VerheiBung, die die Grenzen menschlichen

Begreifens standig iiberschreitet, den Gang des menschlichen

Nachdenkens im Abendland bestandig belebt hat.

Es war in der Tat der verwegene Anspruch Hegels, daB seine

Philosophie selbst dieses auBerste Geheimnis christlicherLehre, an dem sich das Denken der Theologen wie der Philo-

sophen seit vielen Jahrhunderten abarbeitete, zuscharf te,

verfeinerte und vertiefte, umfaflr und die volle Wahrheit die-

ser christlichen Lehre in der Form des Begriffes versammelt

habe, Ohne diese dialektische Synthese einer sozusagen philo-

sophischen Trinitat, einer standigen Auferstehung des Gei-

stes, in der Weise, wie Hegel das versucht hat, hier vorzu-

fUhren, mulite ich dieselbe doch erwahnen, damit Hegels

Stellung zur Kunst und seine Aussage iiber den Vergangen-

heitscharakter der Kunst iiberhaupt versrandlich wird. Was

Hegel meint, ist namlich in erster Linie nicht das Ende derabendlandisch-christlichen Bildtradition, das damals in der

Tat erreicht war - wie wir heute meinen. Was er als Zeit-

genosse empfand, war erst recht nicht ein Sturz in Verfrem-

dung und Herausforderung, wie wir sie heute als Zeirgenossen

am Schaffen der abstrakten und gegenstandslosen bildenden

Kunst erleben. Es war auch sicherlich nicht Hege1s eigene

Reaktion, die jedem Besucher des Louvre heute widerfahrt,

wenn er in diese grofsartige Sammlung der hohen und reifen

Malkunst des Abendlandes eintritt und als erstes mit den

Revolutions- und Kronungsbildern der Revolutionskunst des

spaten 18. und Fruhen 19. Jahrhunderts iiberfallen wird.Hegel meinte sicher nicht - wie sollte er auch? -, daB mit

dem Barock und seinen spaten Rokokoformen der letzte

abendlandische Sril iiber die Biihne der Menschheitsgeschichte

geschritten war. Er wuflte nicht, was wir in Riickschau wis-

sen, daB nun das historisierende Jahrhundert einsetzte, und

ahnre nicht, daB im 20. Jahrhundert die kiihne Selbstbefrei-

ung aus den historischen Banden des 19. Jahrhunderts es in

einem anderen, gewagten Sinne wahr machen wiirde, daB

aIle bisherige Kunst als etwas Vergangenes erscheint. Er

meinte vielmehr, wenn er Yom Vergangenheitscharakter der

Kunst sprach, daf sich die Kunst nicht mehr in der Weise

von seiber verstehe, wie sie sich in der griechischen Welt und

ihrer Darstellung des Gottlichen mit Selbstversrandlichkeit

verstanden harte. In der griechischen Welt war es die Er-

scheinung des Gottlichen in der Skulptur und im Tempel, derim siidlichen Licht offen in die Landschaft hineinstand, sich

gegen die ewigen Machte der Natur niemals verschlieflend; es

war die grofse Skulptur, in der das Gottliche sich in der Ge-

staltung durch Menschen und in der Gestalt von Menschen

anschaulich darstellte. Die eigentliehe These Hegels ist , daB

der Gott und das Gortliche fur die grieehische Kultur in der

Form ihres eigenen bildnerischen und gestalterischen Sagens

eigens und eigentlich offen bar wurde und daf bereits mit dem

Christentum und seiner neuen und vertieften Einsicht in die

jenseitigkeit Gottes ein adaquater Ausdruck ihrer eigenen

Wahrheit in der Formensprache der Kunst und in der Bil-dersprache dichrerischer Rede nieht mehr moglich war. Das

Werk der Kunst ist nicht mehr das Gottliche selbst, das wir

verehren. Der Vergangenheitseharakter der Kunst stellt eine

These dar, welche einschliefit, daB mit dem Ende der Antike

Kunst rechtfertigungsbedurfrig erscheinen rnufl. Ieh deutete

bereits an, daf die Leistung dieser Rechtfertigung durch die

christliche Kirche und die humanistische Verschmelzung

mit antiker Tradition im Laufe der Jahrhunderte auf die

grofsarrige Weise erbracht worden ist, die wir die chrisrliche

Kunst des Abendlandes nennen.

Es ist iiberzeugend, daB Kunst damals, als sie in einem gro-Ben Rechtfertigungszusammenhang mit der Welt urn sich

stand, eine selbstverscandliche Integration zwischen Ge-

meinschaft, GeseIlschaft, Kirche und dem Selbstverstandnis

des schaffenden Kiinstlers vollbrachte. Unser Problem ist

aber gerade, daB diese Selbstverstandlichkeit und damit die

Gemeinsamkeit cines umfassenden Selbstverstandnisses nicht

weiterbesteht - und zwar schon im 19: Jahrhundert nicht

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mehr. Das driickt sich in Hegels These aus. Schon damals

begann es, daB sich die grofsen Kiinstler mehr oder minder

ortlos in einer sich industrialisierenden und kommerzialisie-

renden Gesellschaft wullren, so daB der Kiinstler den alten

Ruch und Ruf der fahrenden Leute sozusagen am eigenen

Bohemeschicksal bestatigt fand. Es war bereits im 19. Jahr-

hundert so, daB jeder Kiinstler in dem Bewufstsein lebte,

daB die Selbsrverstandlichkeir der Kommunikation zwischen

ihrn und den Menschen, unter denen er lebt und fUr die er

schafft, nicht mehr fortbestand. Der Kiinstler des 19. jahr-

hunderrs steht nicht in einer Gemeinde, sondern er schafft

sich eine Gemeinde, mit all der Pluralirat, die dieser Si-

tuation angemessen ist, und mit all der iibersteigerten Er-

wartung, die damit notwendig verkniipft ist, wenn einge-

standene Pluralitar sich mit dem Anspruch verkniipfen mull,

daB allein die eigene Schaffensform und Schaffensbotschaft

die wahre sei. Das ist in der Tat das messianische Bewufsr-

sein des Kiinstlers im 19. Jahrhundert; wie cine Art »neuer

Heiland- (Immermann) fiihlt er sich in seinem Anspruch an

die Menschen: er bringt eine neue Botschaft der Versoh-

nung, und wie ein Aufsenseiter der Gesellschaft bezahlt er

diesen Anspruch, indern er mit seinem Kiinstlertum nur nochKiinstler fiir die Kunst ist.

Aber was ist das alles gegen die Befremdung und den StoB,

den das neuere Kunstschaffen unseres Jahrhunderts unseremoffenrlichen Selbstverstandnis zumutet?

Ich mochte taktvoll davon schweigen, wie prekar es etwa

fiir den reproduzierenden Kiinstler ist, moderne Musik im

Konzertsaal zu Gehor zu bringen. Er kann das ja meist nur

als Mittelstiick eines Programms tun - sonst kommen die Zu-horer entweder niche rechtzeitig oder gehen zu frilhzeitig :

Ausdruck einer Situation, die es friiher nicht geben konnte

und iiber deren Bedeutung wir nachdenken miissen. Was dar-

in zum Ausdruck kommt, ist der Zwiespalt zwischen Kunst

als Bildungsreligion auf der einen Scire und Kunst als

Provokarion durch den modernen Kiinstler auf der anderen

Seite. Ansatze dessen und die allrnahliche Zuspitzung die-

s

ses Konfliktes lassen sich etwa an der Geschichte der Ma-

lerei des 19. Jahrhunderts leicht verfolgen. Es war schon

eine Vorbereitung der neuen Provokation, als in der zwei-

ten Halfte des 19. Jahrhunderts cine der Grundvorausset-

zungen des Selbstverstandnisses der bildenden Kunst in

den letzten Jahrhunderten briichig wurde: die Geltung der

Zentralperspektive."

Das ist zuerst in Bildern von Hans von Marees zu beobach-

ten, und sparer kniipfte sich daran die grofse revolutionare

Bewegung, die vor allern in der Meisterschaft von Paul C e -zanne Weltgeltung erworben hat. GewiB ist die Zentralper-

spekrive nicht eine selbstversrandliche Gegebenheit bild-

nerischen Sehens und bildnerischen Schaffens. Es gab sie

im christlichen Mittelalrer iiberhaupt nicht. Es war in

der Renaissance, in diesem Zeit a lter des starken neuen

Auflebens naturwissenschaftlicher und mathemarischer Kon-

struktionsfreude, daf die Zentralperspektive als eines

der grofsen Wunder des menschlichen Fortschritts in

Kunst und Wissenschaft fiir das Malen verbindlich wurde.

Das lang same Ende der Selbstverstandlichkeit dieser Erwar-

tung der Zentralperspektive hat uns iiberhaupt erst so ganz

die Augen fiir die groiie Kunst des hohen Mittelalrers geoff-

net, fiir die Zeit, in der das Bild noch nicht wie ein Auslug

durch ein Fenster Yom nahen Vordergrund bis in den fernen

Horizont hinein verdamrnert, sondern klar lesbar wie eine

Zeichenschrift, eine Schrift aus Bildzeichen, unsere geistige

Belehrung in eins mit unserer geistlichen Erhebung leistete,

So war die Zentralperspektive nur eine historisch gewor-

dene und voriibergehende Gestaltungsform unseres bildne-

rischen Schaffens. Aber ihre Durchbrechung war der Vor-Iaufer viel weitergehender und unsere Forrntradition weir-

gehend verfremdender Entwicklungen modernen Schaffens.

Ich erinnere an die kubistische Formzertriimmerung, an der

sich urn 1910 herum fast aile grofsen Maler der Zeit minde-

stens eine Zeitlang versuchten, und an die Umwandlung

dieses kubistischen Traditionsbruches in die vollstandige

Aufhebung des Gegenstandsbezuges bildnerischer Formung

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iiberhaupt. Ob diese Aufhebung unserer gegenstandlichen

Erwartungen wirklich total ist, mag dahingestellt sein. Doch

eines ist sicher: Die naive Selbstverstandlichkeit, daf das

Bild ein Anblick ist - so wie der Anblick, den uns un sere

tagliche Lebenserfahrung von der Natur oder der von Men-

schen gestalteten Natur verschafft -, ist offenkundig griind-

lich zerstort, Man kann ein kubistisches Bild oder ein Bild

der Gegenstandslosen nicht mehr uno intuitu, mit einem

lediglieh aufnehmenden Blick, sehen. Man hat dazu eine

besondere Leistung des Tatigseins zu vollbringen: Man hat

die verschiedenen Facetten, deren Risse auf der Leinwand

erscheinen, in eigener Arbeit zu synthetisieren, und dann

mag man am Ende von der tiefen Stirnrnigkeit und Richtig-

keit einer Schopfung genauso ergriffen und erhoben wer-

den, wie das in friiheren Zeiten auf der Basis einer gernein-

samen Bildinhaltlichkeit fraglos geschah. Was das fiir unser

Nachdenken bedeutet, wird zu fragen sein. Oder ich er-

innere an die moderne Musik, an das vollig neue Vokabular

von Harmonie und Dissonanz, das da benutzt wird, an dieeigentiimliche Verdiehtung, die durch den Bruch mit den

alten Kompositionsregeln und der Satzarchitektur der gro-

Ben musikalischen Klassik erreieht wird. Man kann sieh

dem so wenig entziehen, wie man sich der Tatsache ent-

ziehen kann, daB man, wenn man durch ein Museum geht

und in die Sale der neuesten kiinstlerischen Entwicklung

eintritt, etwas wahrhaft hinter sich laBt. Wenn man sich

auf das Neue einlafst, dann bemerkt man bei der Riickkehr

zu dem Jl.lteren ein eigentiimliches Verblassen unserer Auf-

nahmebereitschaft. Das ist gewif; nur eine Kontrastrcaktion

und durchaus nicht die bleibende Erfahrung eines bleiben-den Verlustes, aber gerade die Scharfe des Kontrastes zwi-

schen diesen neuen Formen von Kunst und den alten wird

daran deutlich.

Ich erinnere an die hermetische Poesie, der seit jeher das

besondere Interesse der Philosophen gilt. Denn wo kein

anderer versteht, scheint der Philosoph berufen. Die Poesie

unserer Zeit ist in der Tat an die Grenze des bcdeutungs-

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Verstandlichen vorgedrungen, und vielleicht sind ge-

rade die groBten Leistungen der GroBten unter diesen

Kiinstlern des Wortes von dem tragischen Verstummen im

Unsagbaren gezeichnet." Ich erinnere an das neue Drama,

fiir das die klassische Lehre von der Einheit von Zeit und

Handlung langst wie ein vergessenes Marchen klingt und in

dem selbst die Einheit des Charakters bewuBt und betont

verletzt wird, ja wo die Verletzung dessen zum Formprin-

zip neuer dramatischer Gestaltung wird, wie etwa bei Ber-

tolt Brecht. Und ich erinnere an die moderne Architektur:

Was fur eine Befreiung - oder Versuchung? - ist es gewor-

den, den hergebrachten Gesetzen der Statik mit Hilfe der

neuen Materialien etwas entgegensetzen zu konnen, was mit

Bauen, mit dem Schichten von Stein auf Stein, keine Ahn-

lichkeit mehr hat, vielmehr eine vollig neue Schopfung dar-

stellt - diese Gebaude, die sozusagen auf der Spitze stehen

oder auf diinnen, schwa chen Saulen und wo die Mauer, die

Wan de, das schiitzende Gehause dureh Offnung zu zelt-

gleiehen Bedachungen und Bedeckungen ersetzr sind. Dieser

kurze Oberblick sollte nur bewufstmachcn, was eigentlieh

gesehehen ist und warum Kunst heute cine neue Frage stellt,

Ieh meine: warum zu verstehen, was Kunst heute ist, eine

Aufgabe [iir das Denken stellt.

Ich mochte diese Aufgabe auf verschiedenen Ebenen entfal-

ten. Zunachst ist ein oberster Grundsatz, von dem ieh aus-

gehe, daB man im Denken iiber diese Frage die MaBe so zu

nehmen hat, daB sie beides umfassen: die grofle Kunst der

Vergangenheit und der Tradition und die Kunst der Mo-

derne, die sich ihr ja nicht nur entgegenstellt, sondern auch

ihre eigenen Krafte und Impulse aus ihr gezogen hat.Eine erste Voraussetzung ist, daB beides als Kunst ver-

standen werden muf und daB be ides zusammengehort.

Nicht nur, daB kein Kiinstler von heute ohne die Vertraut-

heir mit der Sprache der Tradition seine eigenen Kiihnheiren

iiberhaupt harte entwickeln konnen, und nicht nur, daB

auch der Aufnehmende von der Gleichzeitigkeit von Ver-

gangenheit und Gegenwart stan dig umgeben ist. Er ist es ja

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nicht nur, wenn er in Museen geht und von einem Saal in

den andern tritt oder wenn er - vielleicht gegen seine Nei-

gung - in einem Konzertprogramm oder in einem Theater-

stiick mit moderner Kunst oder auch nur mit modernisti-

scher Reproduktion von klassischer Kunst konfrontiert

wird. Er ist es irnrner. Unser tagliches Leben ist ein bestan-

diges Schreiten durch die Gleichzeitigkeit von Vergangen-

heit und Zukunft. So gehen zu konnen, mit diesem Hori-

~Ont offener Zukunft und unwiederholbarer Vergangenheit,IS.tdas Wesen dessen, was wir »Geist- nennen. Mnemosyne,

die Muse des Gedachtnisses, die Muse der erinnernden An-

eignung, die darin walter, ist zugleich die Muse der geisri-

g~n Freiheit. Das Gedachtnis und die Erinnerung, welche

die vergangene Kunst und die Tradition unserer Kunst in

sich aufnimmt, und die Kiihnheit des neuen Experimentie-

rens mit unerhorren formwidrigen Formen sind die gleiche

Betatigung des Geistes. Wir werden uns fragen rniissen, was

aus dieser Einheit von Gewesenem und Heutigem folgr.

Diese Einheit ist aber nicht nur eine Frage unserer astheri-

schen Selbstverstandigung. Es ist nicht nur die Aufgabe, unsbewuBtzumachen, wie eine tiefere Konrinuirar vergangene

Formsprachen mit dem Formbruch der Gegenwart ver-

bindet. Es ist ein neues gesellschaftliches Agens in dem

Anspruch des modernen Kiinstlers. Es isr eine Art Frontsrel-

lung gegen die biirgerliche Bildungsreligion und ihr Zere-

moniell des Genusses, die den Kiinstler von heute in man-

nigfaltiger Weise auf den Weg gelockt hat, unsere Aktivitat

in seine eigenen Anspriiche einzubeziehen, so wie es bei

jenem Aufbau cines kubistischen oder ungegenstandlichen

Bildes geschieht, in dem die Facetten der wechselnden An-

blicke Yom Beschauer schrittweise synrherisien werden 501-

len. Es liege im Anspruch des Kiinstlers, die neue Kunst-

gesinnung, aus der er schafft, zugleich als eine neue Solid a-

risierung, als eine neue Form der Kommunikation aller mit

allen, ins Werk zu setzen. Ich meine damit nichr nur daB

die grolien schopferischen Leistungen der Kunst aut' tau-

send Wegen in die Gebrauchswelt und die dekorative Ge-

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unserer Urnwelt absinken - oder sagen wir: nicht

sondern diffundieren, sich ausbreiten und so eine

Stileinheit unserer menschlich erarbeiteten Welt be-

Das ist immer so gewesen, und es ist kein Zweifel,

die konstruktive Gesinnung, die wir in der bild-

Kunst von heute und in der Architektur finden,

in die Gerarschafren hinein wirkt, mit denen wir

in Kiiche, Haus, Verkehr und offentlichem Leben

haben. Es ist durchaus nicht von ungefahr, daB

in dem, was er schafft, eine Spannung zwi-

den Yom Herkommen gehegten Erwartungen und den

Gewohnheiten iiberwindet, die er mitbestimmend ein-

Die Situation unserer zugespitzten Moderne, wie ja

auch die Art des Konfliktes und der Spannung zeigt, ist

hervorstechend. Sie stellt das Nachdenken vor sein Pro-

blem.

Zwei Dinge scheinen hier einander entgegen~ukon:men:

unser historisches Bewutlrsein und die Reflektiertheit des

modernen Menschen und Kiinstlers. Die historische Be-wuBtheit, das historische Bewufstsein ist nichts, wornit m.an

allzu gelehrre oder weltanschauliche Vorstellungen verbin-

den sollte, Man hat einfach an das zu denken, was alle.n

selbsrverstandlich ist, wenn sie mit irgendeiner kiinstleri-

schen Schopfung der ':'ergangen?ei: konfrontie.rt w~rden.

Es ist so selbstverstandlich, daB sre sich dessen nicht einmal

bewuilt sind, daB sie mit historischem Bewufltsein dara.n

herantreten. Sie erkennen das Kostiim einer Vergangenhe:t

als historisches Kostiim, akzeptieren Bildinhalte der Tradi-

tion in wechselnden Kostiimen, und kein Mensch wundert

sich, wenn Altdorfer in der »Alexanderschlacht- selbstver-standlich mittelalterliche Recken und »moderne« Truppen-

formationen aufmarschieren laBt, als ob Alexande: d.er

Grolle die Perser in diesem Gewand besiegt hatte." DIeS isr

eine soIehe Selbstverstandlichkeit [iir unsere historische Ge-

stirnmtheit, daB ich geradezu zu sagen. wa_ge: ?hne soIe~e

historische Gestimmrheir wiirde die Richtigkeit, d. h. die

Meisterschaft in der Gestaltung fruherer Kunst, vielleicht gar

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nicht wahrnehmbar sein. Wer sich noch von dem anderen

als anderem befremden lieBe, wie das der historisch Un-

erzogene (den es kaum noch gibt) tun wiirde oder getan

harte, der wiirde eben jene Einheir von Inhalt und Form-

gestaltung, die offen bar zum Wesen alles wahren kiinstle-

rischen Gestaltens gehorr, niche in ihrer Selbstverstandlich-keit erfahren konnen.

Das historische Bewufltsein ist also nicht eine besondere ge-

lehrte ode~ weltanschaulich bedingte methodische Haltung,sondern erne Art Instrumentation der Geistigkeit unserer

Sinne, die unser Sehen und unser Erfahren von Kunst schon

irn vorhinein bestimmt, Damit geht offenbar zusammen

- auch dies eine Form der Reflektiertheit - daB wir keine

naive Wied:rerkennung verlangen, die un~ unsere eigene

Welt noch einmal vor Augen stellt in einer zur Dauer ver-

f~s:igten Gtilcigkeit, sondern daB wir die ganze grofie Tra-

dition unserer eigenen Geschichte, ja die Traditionen und

F?rmungen ganz anderer Welten und Kulturen, die nicht

die aben~lan.dis~he Geschichte bestimmt haben, in der glei-chen Weise in ihrer Andersheit reflektieren und eben da-

durch uns zu eigen machen konnen. Es ist eine hohe Re-

flektiertheir, die wir aile mitbringen und die den Kiinstler

v~~ h.eute ~u seiner eigenen produktiven Gestaltung er-

machtigr, Wle das auf so revolution are Weise gelingen kann

und warum sich das historische Bewufitsein und seine neue

Re~lektiertheit mit dem niemals aufgebbaren Anspruch ver-

knupfen, daB all das, was wir sehen, da ist und unsun-

~ittelbar anspricht, als waren wir es selbst, das zu erorrern

~st offen?ar die Aufgabe des Philosophen. Und so bestimme

I:h alsoemen ~rsten Schrirr unserer Besinnung die Aufgabe,

sich die Begnffe fiir die Fragestellung zu erarbeiten. Ich

werde zunachsr an der Situation der philosophischen Asthe-

tik di~ begrifflichen Mittel darstellen, durch die wir das

expornerre Thema bewaltigen wollen, und werde dann zei-

g~n, ~~B dabei die im Thema angekiindigten drei Begriffe

elll.e fu~rende Rol!e spielen werden: der Riickgang auf das

Spiel, die Ausarbeitung des Begriffes des Symbols, d. h. der

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der Wiedererkennung unserer selbst, und

das Fest als der Inbegriff wiedergewonnener

aller mit allen.die Aufgabe der Philosoph ie, das Gemeinsame auch

dem Differenten zu finden. OUyoQi iY flS; E Y £ la os ;

»auf eines hin zusammensehen lernen« - das ist nach

die Aufgabe des philosophischen Dial<:ktikers: Welc?e

stellt uns nun die Tradition der Philosophie bereit,

die Aufgabe zu losen oder auch. nu: einen: klarerenentgegenzufiihren, die wir uns hier gestel~t

namlich die Aufgabe, den ungeheuren Bruch ZWI-

der formalen und inhaltlichen Tradition abendlan-

bildender Kunst und den Idealen der heute Schaf-

zu iiberbriicken? Die erste Orientierung wird uns

vom Wort »Kunst- gegeben. Wir diirfen nie unterschatzen,

was ein Wort uns sagen kann. Das Wort ist ja ~ie Vorl~istu~g

des Denkens die vor uns vollbracht worden ist. So ist hier

das Wort »Kunst- der Punkt, an dem wir mit unserer

Orientierung zu beginnen haben. Von diesem Wort »Kunst«

weiB jeder ein wenig historisch Erzogene. sofort, daB es erst

seit noch nicht 200 Jahren den ausschheBenden und aus-

zeichnenden Sinn tragt, den wir heute damit verbinden.

Noch im 18. Jahrhundert war es selbstverstandlich, daB

man wenn man die Kunst meinte, »die schiine Kunst- sagen

muflte. Denn ihr zur Seite standen, als der selbstverstand-

lich weitaus groBere Bereich menschlicher Kunstfertigkeit,

die mechanischen Kiinste, die Kiinste im Sinne der Technik,

der handwerklichen und industriellen Arbeitsproduktion.

Einen Begriff von Kunst in unserem Sinn werden wir dah:f

in der Tradition der Philosophie nicht antreffen. Was wir

bei den Vatern des abendlandischen Denkens, bei den Grie-

chen zu lernen haben, ist gerade dies, daB Kunst in den

Ges;mtbegriff dessen gehort, was Aristoteles nOLl l ' tLxl}

Emo'Y!!-l l l nannte, d. h. das Wissen und Konnen des Herstel-

lens." Was zwischen dem Hersrellen des Handwerkers und

dem Schaffen des Kunstlers gemeinsam ist und solches Wis-

sen von dem der Theorie oder des praktisch-politischen

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Wissens und Ents~heidens unterscheidet, ist die Ablosung

des Werkes vom eigenen Tun. Das gehorr zum Wesen des

Herstellens, und man wird es wohl im Sinne behalten miis-

sen, .wenn man die Kritik am Werkbegriff, die von den

heutigen Modernen gegen die Kunst der Tradition und

gegen den biirgerlichen BildungsgenuB, der mit ihr ver-

kniipft ist, gerichter wird, verstehen und in seinen Grenzen

ermessen will. Es kommt ein Werk dabei heraus. Das ist

offenkundig ein gemeinsamer Zug. Das Werk, als der inten-tionale Zielpunkt einer geregelten Arbeitsanstrengung, wird

als das, was es ist, freigesetzt, aus dem Verband des her-

stellenden Tuns entlassen. Denn das Werk ist per definitio-

nem fiir de.n Gebrauch bestimmr, Plato pflegre zu betonen,

daB das Wlssen und Konnen des Herstellers dem Gebrauch

untergeordnet ist und vom Wissen dessen abhangr, der den

Gebrauch iibemimmr," Der Schiffer gibr an, was der Schiffs-

bauer zu. bauen hat. Das ist das alte Platonische Beispiel.

De~ Begnff des Werkes weist also auf eine Sphare des ge-

memsamen Gebrauches und damit auf gemeinsames Ver-

stehen, auf Kommunikarion in Verstandlichkeir, Nun ist es

aber die eigentliche Frage, wie sich denn innerhalb dieses

Gesamtbegriffes herstellenden Wissens die »Kunst- von den

mechanischen Kiinsten unterscheidet. Die antike Antwort

d~rauf, d~euns noch zu denken geben wird, ist, daB es sich

hier urn .Imitativ~s Tun handelt, urn Nachahmung. Nach-

ahmung ist dabei auf den Gesamthorizonr der Physis, der

Natur, bezogen. Weil die Natur in ihrem bildnerischen Tun

noch etwas zu gestalten iibriglaiit, einen Leerraum von Ge-

staltung dem menschlichen Geist auszufiilIen uberlatlr, ist

Kunst »moglich«, Da nun aber die Kunst, die wir »Kunst«

nennen, dieser allgemeinen bildenden Tatigkeir des Hersrel-

lens gegeniiber mit allerhand Ratselhaftem belastet ist, so-

fern das »Werk« ja nicht »wirklich- das ist, was es darstellt

sondern nur imirativ fungiert, verkniipft sich damit eine

ganze Menge hochsr subtiler philosophischer Probleme und

vor allen Dingen das Problem des seienden Scheins. Was

bedeutet es, daB hier niches Wirkliches hergestellt wird, son-

16

etwas, dessen »Gebrauch- kein wirkliches Gebrauchen

sondern sich im betrachtenden Verweilen beim Schein

erfiillt? Wir werden dariiber noch etwas zu

haben. Aber zunachst ist es klar, daf keine unmittel-

Hilfe von den Griechen erwartet werden kann, wenn

im best en Falle das, was wir »Kunst- nennen, als eine

Nachahmung der Natur verstehen. SoIche Nachahmung

Freilich nichts von der naturalistischen oder realisti-

Kurzschliissigkeit moderner Kunsttheorie. Das mogeberiihmtes Zitat aus der Poetik des Aristoteles bestati-

wo Aristoteles sagt: »Die Poesie ist philosophischer als

Geschichtskunde.e" Wahrend namlich die Geschichts-

kunde nur erzahlt, wie es zugegangen ist, erzahlt uns die

Poesie, wie es immer zugehen kann. Sie lehrt uns, das All-

gemeine im menschlichen Tun und Leiden zu sehen. Nun

ist aber das Allgemeine offenbar die Aufgabe der Philoso-

phie, und so ist Kunst, weil sie das Allgemeine meint, philo-

sophischer als die Historie. Das ist immerhin ein erster

Wink, den uns das antike Erbe gibt.

Einen Wink von noch weit groBerer Tragweite, der auch

iiber die Grenzen unserer zeitgenossischen Ksthetik hinaus-

weist, gibt uns der zweite Teil unserer Verstandigung iiber

das Wort »Kunst«. Kunst meint »schone Kunst«. Was aber

ist das Schone?Der Begriff des Scbonen begegnet uns auch heute noch in

mannigfaltigen Verwendungen, in denen etwas von dem

alten und letzten Endes griechischen Sinn des Wortes xuA6v

weiterlebt. Auch wir verbinden mit dem Begriff des »Scho-

nen« noch unter Umstanden, daB etwas in der Offentlich-

keit anerkannt ist durch Brauch und Sitte oder was immer

sonst ; daB es - wie wir sagen - sich sehen lassen k~nn und

auf das Ansehen hin determiniert ist. Es lebr noch IIIunse-

rem Sprachgedachtnis die Wendung von der. »schon~n Si~t-

lichkeit« fort, durch die der deutsche Idealismus die grie-

chische Staaten- und Sittenwelt gegeniiber dem seelenlosen

Mechanismus der modernen Staatsmaschine charakterisiert

hat (Schiller, Hegel). Da meint »schone Sittlichkeit- nicht,

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daf es eine Sittlichkeit voll Schonheit ist, d. h. voll von

Pomp und dekorativer Pracht, sondern daB sie sich in allen

Formen des gemeinsamen Lebens darstellt und darlebt das

Ganze durchordnet und auf diese Weise den Menschen'sich

in seiner eigenen Welt bestandig selbst begegnen laBt. Es ist

auch fur uns noch eine iiberzeugende Bestimmung des

»Schonen«, daB es so von -derAnerkennung und Zustimmung

aller getragen wird. Daher gehort auch flir unser natiirlich-stes Empfinden zum Begriff des »Schonen«, daB man niche

frage~ kann, warum es gefallt. Ohne jede Zweckbeziehung,

ohne jeden zu erwartenden Nutzen erfiillt sich das Schone

in einer Art von Selbstbestimmung und atrnet die Freude

an der Selbstdarstellung. Soviel uber das Wort.

Wo begegnet nun das Schone so, daB sich dieses sein Wesen

iiberzeugend erfiillt? Urn von vornherein den ganzen wirk-

lichen Horizonr des Problems des Schonen und vielleicht

auch dessen, was »Kunst- ist, zu gewinnen, ist es notig,

daran zu erinnern, daB flir die Griechen der Kosmos, die

Ordnung des Himmels, die eigentliche Anschaulichkeit desSchonen darstellt. Es isr ein pythagoreisches Element im

griechischen Gedanken des Schonen. In der regelmafsigen

Ordnung des Himmels haben wir eine der groBten Anschau-

lichkeiten von Ordnung, die es iiberhaupt gibt, Die Perio-

den des Jahreslaufes, des Monatslaufes und des Tag- und

Nachtwechsels bilden die zuverlassigen Konsranten von

Ordnungserfahrung in unserem Leben - gerade im Kontrast

zu der Zweideutigkeit und Wechselhaftigkeit unseres eige-

nen menschlichen Tuns und Treibens.

In dieser Orientierung gewinnt der Begriff des Schonen

insbesondere im Denken Plates, eine weit in unsere Proble-matik hineinleuchtende Funktion. 1m Dialog Phaidros be-

schreibt Plato in Gestalt eines grofsen Mythos die Bestirn-

mung des Menschen, seine Begrenztheit gegenuber dem

Gorrlichen und seine Verfallenheit an die Erdenschwere

unseres leiblichen triebhaften Daseins. Er beschreibt den

grofsartigen Aufzug aller Seelen, in dem sich der nachrliche

Aufzug der Gestirne spiegelt. Das ist eine Art Wagenfahrt

18

die Spitze des Firmaments, angefiihrt von den olympi-

Gottern. Die menschlichen See1en flihren ebenfalls

mit einem Gespann und folgen den Gottern, die die-

Aufzug raglich fahren. Oben an der Spitze des Firma-

tut sich dann der Blick auf die wahre Welt auf. Was

dort sehen kann, ist nicht mehr dieses wechselvoll ord-

Treiben unserer irdischcn sogenannten Welterfah-

sondern die wahren Konstanten und bleibenden Kon-

'ITLraLUIIt:ll des Seins. Wahrend nun die Gorter bei dieser

Begegnung mit der wahren Welt sich ihre~ ~nblick voll

hingeben, sind die menschlichen Seelen,. da sre el!~unorden~-

liches Seelengespann sind, gestort. Wd das Tnebhafte mder menschlichen Seele den ,Blick verwirrt, konnen sie nur

einen augenblickshaften, fluchtigen Bli<:k auf iene ewi~enOrdnungen werfen. Dann aber stiirzen sie auf. dl~ Erde h~n-

ab und sind von der Wahrheit getrennt, an die sie nur erne

ganz vage Erinnerung behalten. Und nun kommt, was ic~

zu erzahlen habe. Es gibt fiir die in die Schwere des Irdi-

schen gebannte Seele, die sozusagen ihr Gefieder verlo~en

hat so daB sie nicht mehr zu der Hohe des Wahren sich

aufschwingen kann, eine Erfahrung, bei der das Gefie~er

wieder zu wachsen beginnt und die Erhebung wieder em-

tritt. Das ist die Erfahrung der Liebe und des Schonen, der

Liebe zum Schonen. In wunderbaren hochbarocken Schilde-

rungen denkt Plato dieses Erlebnis der erwachenden Liebe

mit der geistigen Gewahrung des Schon en und der wa~ren

Ordnungen der Welt zusammen. Dank dem .Schonen ~elmgt

es auf die Dauer , sich an die wahre Welt wlederzuennnern.

Das ist der Weg der Philosophie. Er nennt das Schone das

am meisten Hervorscheinende und Anziehende, sozusagen

die Sichtbarkeit des Idealen. Das, was derart vor allem

anderen hervorleuchtet, ein solches Licht der iiberzeugen-

den Wahrheit und Richtigkeit an sich hat, ist es, was wir

alle als das Schone in Natur und Kunst gewahren und das

uns die Zustimmung: »Das ist das Wahre« abnotigt.

Was wir aus dieser Geschichte als wichtigen Hinweis ent-

nehmen, ist, daB das Wesen des Schonen gerade nicht darin

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besteht, der Wirklichkeit nur gegeniiber und entgegengesetzt

zu sein, sondern daB Schonheit, wie unverhofft sie auch

begegnen mag, wie eine Biirgschaft ist, daB in aIIer Unord-

nung .des Wirklichen, in all ihren UnvoIIkommenheiten,

Bosheiten, Schiefheiten, Einseitigkeiten, verhangnisvollen

Verwirrungen dennoch das Wahre nicht unerreichbar in der

Ferne liegt, sondern uns begegnet. Es ist die ontologische

Funktion des Schonen, den Ahgrund zwischen dem Idealenund dem Wirklichen zu schlieBen. So gibt uns das Beiwort

zur Kunst, »schone Kunst- zu sein, einen zweiten wesent-

lichen Wink fiir unsere Besinnung.

Ein dritter Schritt fiihrt uns unmitrelbar an das heran, was

wir in der Geschichre der Philosophie Asthetik nennen. Die

Asthetik ist eine ganz spate Erfindung und fallt - bedeu-

tungsvoll genug - etwa mit der Entlassung des erninenten

Si~nes von Kunst aus dem Zusammenhang der Kunst fertig-

kelt en zusammen und mit ihrer Freisetzung zu der fast reli-

giosen Funktion, die Begriff und Sache der Kunst fur uns

haben,Die Asthetik ist als philosophische Disziplin erst im

18. Jahrhundert, d. h. im Zeitalter des Rationalismus, ent-

standen, offenbar herausgefordert durch den neuzeitlichen

Rationalismus selbst, der sich auf der Basis der konsrrukti-

yen Naturwissenschaften erhebt, wie sie im 17. Jahrhundert

entwickelt wurden und his heute das Gesicht unserer Welt

bestimrnen, indem sie sich in einem immer atemberaubende-

ren Tempo in Technik umsetzen.

Was veranlaBte die Philosophie, sich auf das Schone zu

hesinnen? Angesichts der rationalist ischen Gesamrorientie-

rung an der rnathemarischen Gesetzmaliigkeit der Naturund ihrer Bedeutung fur die Meisterung der Naturkrafte

scheint die Erfahrung des Schonen und der Kunst ein Be-

reich der auBersten subjektiven Beliebigkeit. Das war der

grofse Aufhruch des 17. Jahrhunderts. Was kann das Pha-

nomen des Schonen hier iiberhaupr beanspruchen? Die an-

tike Erinnerung vermag uns immerhin klarzumachen, daB

im Schon en und in der Kunst eine iiber alles Begreifliche

20

Bedeutsamkeit begegnet: Wie wird ihre

Alexander Baumgarten, der Begrlinder

Ksthetik, sprach von einer cognitio

einer sinnlichen Erkenntnis. »Sinnliche Erkennt-

ist fur die groBe Tradition von Erkenntnis, die wir

den Griechen pflegen, zunachst ein Paradox. Erkennt-

ist etwas immer erst, wenn es die subjektive sinnliche

Bedingtheit hinter sich gelassen hat und die. Vernunft, ~as

Allgemeine und das Gesetzhafte. in ~en Dingen begrel~t.

Das Sinnliche in seiner Einzelhelt trrtt dann nur als em

hloBer Fall einer allgemeinen Gesetzlichkeit auf. Es ist nun

sicherlich nicht die Erfahrung des Schonen, weder in Natur

noch in Kunst daB wir das uns Begegnende nur als das Er-

wartete verrechnen und als einen Fall von etwas Allgernei-

nem verhuchen. Ein Sonnenuntergang, der uns bezaubert,

ist nicht ein Fall von Sonnenuntergangen, sondern ist dieser

einmalige Sonnenuntergang, der uns »der Himmel Trauer-

spiel- vorfUhrt. Im Bereich der Kunst ist es erst recht selbst-

verstandlich, daB das Kunstwerk nicht als solches erfahren

ist wenn es nur in andere Zusammenhange eingeordnet

wird. Seine» Wahrheit«, die es fUr uns hat, besteht nicht in

einer an ihm zur DarsteIIung kommenden allgemeinen Ge-

setzlichkeit. Vielmehr meint cognitio sensitiva, daB auch in

dern was scheinbar nur das Partikulare der sinnlichen Er-

[ahrung ist und das wir immer auf ein Allgemeines hin zu

beziehen pflegen, plotzlich angesichts des Schone?, uns etwas

Festhalt und norigt, bei dem individuell Erschemenden zu

verweilen.Was geht uns darin an? Was ist es, das darin erkannt wird?

Was ist wichtig und bedeutsam an diesem Vereinzelten, daB

es den Gegenanspruch erhehen kann, auch Wahrheit zu

sein und daB nicht nur das »Allgemeine«, wie die mathe-

matisch formulierharen Naturgesetze, wahr ist? Auf diese

Frage eine Antwort zu finden ist die Aufga~e d~r phi.loso-

phischen Ksthetik.9 Flir die B~sinnun~ auf .dIese.ihre eigene

Problemstellung scheint es mir nutzlich, sich die Frage zu

stellen: Welche der Kiinste verspricht uns auf diese Frage

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die angemessenste Antwort zu geben? Wir wissen, wie ver-

sehiedenartig das Spektrum der mensehliehen Kunsrschop-

fungen ist, wie versehieden etwa die redenden Kiinste oder

die Musik als transitorisehe von den statuarisehen Kiinsten,

d. h. den bildenden Kiinsten und der Architektur, sind. Die

Medien, in denen hier menschliche Gestaltung tatig wird,

lassen dieselbe in sehr versehiedenem Lichte erscheinen.

Eine Antwort deutet sich YOmHistorischen her an. Baum-

garten definierte die Asthetik auch einmal als die »arspulchre cogitandi«, die Kunst, schon zu denken. Wer ein

Ohr hat, spiirt in diesem Fall sofort, daB diese Formulie-

rung eine Analogiebildung ist, und zwar zur Definition der

Rhetorik als der »ars bene dicendi«, der Kunst, gut zu

reden. Das ist nichr zufallig, Rhetorik und Poetik gehoren

seit alters zusammen, und in gewisser Weise hat die Rheto-

rik dabei den Vorrang. Sie ist die Universalform mensch-

lieher Kommunikation, die selbst heute noeh unser gesell-

sehaftliehes Leben unvergleiehlieh vieItiefer bestimmt als

die Wissensehaft. Fiir die Rhetorik ist ihre klassisehe Defi-

nition als ars bene dicendi, als die Kunst, gut zu reden, so-

fort iiberzeugend. An diese Definition der Rhetorik hat

Baumgarten offenbar die Definition der Asthetik angelehnt

und sie als die Kunst, schon zu »denken«, definiert. Darin

liegt ein wichtiger Hinweis darauf, daB die sprachlichen

Kiinste vielleicht fiir die Losung unserer Aufgaben, die wir

uns gestellr haben, eine besondere Funktion besitzen, Das

ist urn so wichriger, als die leitenden Begriffe, unter denen

wir astherische Betrachtungen anstellen, in der Regel umge-

kehrt orientiert sind. Es ist fast immer die bildende Kunst,

an der sieh unser Nachdenken orientiert und auf die wir

unsere asthetische Begrifflichkeit am leichtesten anwenden.

Das hat seine guten Griinde, nicht nur wegen der einfachen

Hinzeigbarkeit auf das statuarische Werk, im Unterschied

zu dem transitorischen Vorgang eines Theaterstiicks, einer

Musik oder eines dichterischen Werkes, das nur im Voriiber-

rauschen da ist, sondern vor all em doch wohl, weil fUr

unser Denken iiber das Schone das platonisehe Erbe immer

22

ist. Von Plato wird das wahre Sein als das

alle Erscheinungswirklichkeit als Abbild soIcher

hildlichkei gedacht. Das hat fiir die Kunst etwa~ Uber-

:U~,,,uU""wenn man jeden Trivialsinn fernhalt. So IS.tm~nurn die Erfahrung der Kunst zu fassen, m die

des mystischen Sprachschatzes zuriick~utauc~en und

Worte zu wagen, wie etwa »das Anbild«, em .Aus-

in den sich der Anblick des Bildes zusammenziehen

Denn es ist ja so - und es ist ein und derselbe Vor-

_ daf wir aus den Dingen das Bild gleichsam heraus-

und daB wir in die Dinge das Bild einbilden. So ist

es die Einbildungskraft, die Kraft des Menschen, sieh ein

Bild einzubilden, an der sich das asthetische Nachdenken

vor allen Dingen orientiert. .Hier liegt nun die groBe Leistun? Ka~lt~, durch die er d.en

Begriinder der Asthetik, den ratlonahstlschen Vor-Kantia-

ner Alexander Baumgarten, weit hinter sich lieB. Er hat .als

erster in der Erfahrung des Schon en und der Kunst erne

eigene Fragestellung der Philosophie er~annt.lo Er suchte

eine Antwort auf die Frage, was cigentlich an der Er~ah-

rung des Schonen, wenn wir »etwas sch.on ~inden«, verbind-

lich sein solI und niche eine blof subjektive Geschmacks-

reaktion zum Ausdruek bringt. Da gibt es doch keine All-

gemeinheit wie die der Naturgesetzlichkeit, d~~die Einzel-

he it des sinnlich Begegnenden als Fall erklarbar mac~t.

Welehe Wahrheit, die kommunikabel wird, b:gegnet uns .Im

Schonen? Nun, sicher keine Wahrheit und keine Allgemem-

heir, fiir die wir die Allgemeinheit des Begriffes oder d:s

Verstandes einzusetzen vermochten. Trotzdem erhebt die

Art Wahrheit, die uns in der Erfahrung des Schonen be~eg-net, auf eindeutige Weise den Anspruch, niche bl?B s.ubJe~-

tiv giiltig zu sein. Das hiefse ja, ohne..alle. Verbmd.hehkelt

und Riehtigkeit zu sein. Wer etwas schon finder, ~emt a~ernieht nur daB es ihm gefallt, so wie ihm etwa erne Speise

naeh seinern Geschmack ist. Wenn ich etwas schon finde,

dann meine ich, daf es schon ist. Urn mich mit Kant. auszu-

driicken: ich »sinne jedermann Zustimmung an«. Dies An-

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sinnen, daB jedermann zustirnrnen soli, heiBt nichr etwa,

daB ich ihn iiberzeugen kann, indem ich ihm Reden halte,

Das ist nicht die Form, in der selbst ein guter Geschmack

allgemein zu werden vermag. Vielmehr muB der Sinn eines

jed en einzelnen fur das Schone kultiviert werden, so daB

fur ihn das Schone und das weniger Schone unterscheidbar

wird. Das geschieht nicht so, daB man gure Grunde fur den

eigenen Geschmack zu erbringen verrnochte oder gar zwin-

gende Beweise. Das Feld der Kunstkritik, die solches unter-

nimmt, schillert zwischen »wissenschaftlicher- Feststellung

und einem durch keine Verwissenschaftlichung ersetzbaren

Qualitarssinn, der das Urteil bestirnmt. »Kritik«, d. h.

Unterscheiden des Schonen vom weniger Schonen, ist nicht

eigentlich ein nachkommendes Urteil, weder eines der wis-

senschaftlichen Unterordnung des »Schonen« unter Begriffe

noch eines der vergleichenden Qualirarseinschatzung: es ist

die Erfahrung des Schonen selbst. Es ist bedeutungsvoll,

daf das »Geschmacksurteil«, d. h. das aus der Erscheinung

herausgesehene und einem jeden angesonnene Schonfinden,von Kant in erster Linie am Naturschonen illustriert wird

und nicht am Kunstwerk. Es ist diese »bedeurungslose

Schonheit«, die uns warnt, das Schone der Kunst auf Be-

griffe zu bringen.

Die philosophische Tradition der Ksthetik ziehen wir hier

nur als Hilfe fur die Fragestellung heran, die wir uns aus-

gearbeiret haben: In welchem Sinn kann man das, was

Kunst gewesen ist und was sie heute ist, auf einen gemein-

samen, beides umfassenden Begriff bringen? Das Problem

liegt darin, daB man weder von einer groBen Kunst spre-

chen kann, die ganz der Vergangenheit angehort, noch voneiner modernen Kunst, die erstmals nach Absrofsung alles

Bedeutungsmafligen »reine- Kunst sei. Das ist ein merk-

wiirdiger Sachverhalt. Wenn wir uns einen Augenblick in

die Reflexionshaltung versetzen, dariiber nachzudenken,

was wir mit Kunst meinen und wovon wir als von »Kunst-

reden, dann ergibt sich das Paradox: Sofern wir die so-

genannte klassische Kunst im Auge haben, so war das eine

24

Produktion von Werken, die selber nicht in erster Linie als

Kunst verstanden wurden, sondern als in jeweils religiosen

oder auch weltlichen Lebensbereichen begegnende Gestal-

tungen, als eine Ausschmiickung der eigenen Lebenswelt

und ihrer herausgehobenen Akte: des Kultes, der Reprasen-

ration der Herrscher und dergleichen. In dem Augenblick

aber, in dem der Begriff »Kunst- die uns eigene Klangfarbe

annahm und das Kunstwerk begann, ganz auf sich selbst zustehen, herausgelost aus allen Lebensbezugen, und Kunst

zur Kunst, d. h. zur »rnusee imaginaire« im Sinne Mal-

raux' wurde, als Kunst nichts als Kunst sein wollte, setzte

die grofse Revolution in der Kunst ein, die sich in der Mo-

derne bis zur Ablosung von allen Bildinhaltstraditionen

und verstandlichen Aussagen gesteigert hat und nach beiden

Seiten Fragwurdig wurde: Ist das noch Kunst? Und: Will

das iiberhaupt noch Kunst sein? Was steckt hinter dieser

paradoxen Sachlage? Ist Kunst je Kunst, nichts als Kunst?

Urn auf diesem Wege weiterzukommen, hatten wir eine ge-

wisse Orientierung erreicht, sofern Kant als ersrer die Selb-standigkeit des Astherischen gegeniiber dem praktischen

Zweck und dem theoretischen Begriff verteidigt hat. Er

tat dies in der beriihrnten Wendung von dem »interesselosen

Wohlgefallen«, das die Freude am Schonen sei. »Iriteresse-

loses Wohlgefallen« meint hier selbsrverstandlich: an dem

»Dargestellren- oder Erscheinenden nicht praktisch interes-

siert zu sein. Inrercsselos meint also nur die Auszeichnung

des astherischen Verhaltens, daB niemand mit Sinn die

Frage nach dem Wozu der Dienlichkeit stellen kann: »Wo-

zu dient es, daf man Freude an dem hat, woran man Freude

hat?«Das bleibt Freilich die Beschreibung eines relativ auBerlichen

Zugangs zur Kunst, namlich der Erfahrung des asthetis chen

Geschmacks. Jedermann weiB, daB der Geschmack in der

asthetischen Erfahrung das nivellierende Moment darstellt.

Als nivellierendes Moment ist er jedoch auch ausgezeichnet

als der »Gerneinsinn«, wie Kant mit Recht sagr.'! Der Ge-

schmack ist kommunikativ - er srellt das dar, was uns aile

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mehr oder minder pragt. Ein nur individuell-subjektiver

Geschmack ist auf dem Gebiet des Ksthetischen offenkun-

dig etwas Sinnloses. Insofern verdanken wir Kant einerstes

Verstandnis des asthetischen Anspruchs, zu gelten und doch

nicht unter Zweckbegriffe subsumiert zu werden. Aber frei-

lich, welche Erfahrungen sind es, an denen sich dieses Ideal

eines »freien- und interesselosen Wohigefallens am meisten

erfiillt? Kant denkt an »das Naturschone«, etwa die schoneZeichnung einer Blume, oder auch an etwas von der Art

einer dekorativen Tapete, deren Linienspiel uns eine gewisse

Erhohung des Lebensgefuhls verleiht. Darin besteht die

Aufgabe dekorativer Kunst, so beiher zu spielen. Schon

und nichts als schon heifsen also Dinge der Natur, in die

iiberhaupt kein Sinn von Menschen gelegt wird, oder Dinge

der eigenen menschlichen Gestaltung, die sich bewulit jeder

Sinneintragung entziehen und lediglich ein Spiel von For-

men und Farben sind. Hier solI nichts erkannt oder wieder-

erkannt werden. Es gibt ja nichts Schrecklicheres als eine

aufdringliche Tapete, deren einzelne Bildinhalte als bild-liche Darstellung wirklich die Beachtung auf sich ziehen.

Die Fiebertraume unserer Kindheit wissen davon etwas zu

erzahlen. Worauf es in dieser Beschreibung ankommt, ist,

daB hier nur die astherische Bewegung des Gefallens ohne

ein Begreifen ins Spiel kommt, d. h. ohne daB etwas als

etuias gesehen oder verstanden wird. Das ist aber doch nur

die korrekte Beschreibung eines extremen Falles. An ihm

wird deutlich, daB etwas mit asthcrischer Befriedigung auf-

genommen wird, ohne daB es auf irgend etwas Bedeut-

sames, letzten Endes begrifflich Kommunizierbares bezogen

wiirde.Das ist jedoch nicht die Frage, die uns bewegt. Denn unsere

Frage lautet, was Kunst ist - und gewiB denken wir dabei

nicht in erster Linie an die Trivialform des dekorativen

Handwerks. Designer konnen selbsrversrandlich bedeutende

Kiinstler sein, aber sie haben ihrer eigenen Funktion nach

eine dienende Aufgabe. Nun hat Kant genau dies als die

eigentliche Schonheit oder, wie er sie genannt hat, als »die

26

freie Schonheir- ausgezeichnet. »Freie Schonheit« meint also

begriffsfreie und bedeutungsfreie Schonheit. Auch Kant hat

selbstverstandlich nicht sagen wollen, es ware das Ideal der

Kunst, soIehe bedeutungsfreie Schonheir zu schaffen. Im

Falle der Kunst befinden wir uns in Wahrheit immer schon

in einer Spannung zwischen der reinen Aspekrhaftigkeit des

Anblicks und Anbilds - wie ich es nannte - und der Be-

deutung, die wir im Kunstwerk ahnend verstehen und diewir an dem Gewicht erkennen, die jede soIehe Begegnung

mit der Kunst fiir uns hat. Worauf beruht diese Bedeutung?

Was ist das Mehr, das hinzukommt, wodurch offenkundig

Kunst erst zu dem wird, was sie ist? Kant hat dieses Mehr

nicht inhaltlich bestimmen wollen; das ist aus Griinden, die

wir noch einsehen werden, wirklich unmoglich. Sein groBes

Verdienst war aber, daB er nicht bei dem blofsen Formalis-

mus des »reinen Geschmacksurteils« stehengeblieben isr, son-

dern den »Standpunkt des Geschmacks« zugunsten des

»Standpunkrs des Genies- ilberwand.P Mit Genie bezeich-

nete das 18. Jahrhundert aus eigener lebendiger Anschau-ung den geschmackswidrigen Einbruch Shakespeares in den

durch den franzosischen Klassizismus gepragren Geschmack

der Zeit. Da war Lessing, der gegen die klassizistische

Regelastherik der franzosischen Tragodie - iibrigens auf

sehr einseitige Weise - Shakespeare als die Stimme der

Natur feierte, deren Schaffensgeist als Genie und im Genie

inkorporiert seiP In der Tat wird auch von Kant das Genie

als Naturkraft verstanden - er nennt das Genie »den Giinst-

ling der Natur«, d. h. den von der Natur so Begunstigren,

daB er wie die Natur, nicht in der bewufsten Anpassung an

Regeln, etwas schafft, das so ist, als ob es nach Regeln ge-macht ware, ja mehr noch: als ob es als ein noch nie Ge-

sehenes nach noch nie erfaBten Regeln geschaffen ware; das

ist Kunst: daB sie Musterhaftes schaffr, ohne blof Regel-

gerechtes herzustellen. Dabei ist offenbar die Bestimmung

der Kunst als das Schaffen des Genies von der Kongeniali-

tat des Aufnehmenden niemals wirklich zu trennen. Beides

ist ein freies Spiel.

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Ein derartiges freies Spiel von Einbildungskraft und Ver-

stand war auch der Geschmack; es ist das gleiche freie

Spiel, das im Schaffen des Kunstwerks nur anders gewich-

tet ist, sofern hinter den Schopfungen der Einbildungskraft

bedeutsame Inhalte sich artikulieren, die dem Verstehen

aufgehen, oder, wie Kant es ausdriickt, die »unnennbar Vie-

les hinzuzudenken- gestatten. Selbstversrandlich soIl das

nicht heiflen, daf es vorgefafste Begriffe sind, die wir ein-fach nur an die Darstellung der Kunst anlegen. Das wiirde

ja heifsen, daB wir das anschaulich Gegebene als einen Fall

des Allgemeinen unter das Allgemeine subsumieren. Das

aber ist nicht die asthetische Erfahrung. Es ist vielmehr so,

daB die Begriffe iiberhaupt erst im Anblick des besonderen,

des individuellen Werkes, wie Kant sich ausdriickt, »in An-

schlag gebracht werden« - ein schones Wort, das aus der

Musiksprache des 18. Jahrhunderts stammt und insbeson-

dere auf die eigentiimliche, nachhallende Schwebewirkung

des Lieblingsinstrumentes des 18. Jahrhunderts, des Klavi-

chords, anspielt, dessen besonderer Effekt darin besreht,daB der Ton weir langer nachhallt, als die Saite iiberhaupt

beriihrt ist. Kant meint offenbar, daB es die Funktion des

Begriffes sei, cine Art von Resonanzboden zu bilden, der

das Spiel der Einbildungskraft zu artikulieren vermag. So

weit, so gut. Auch der deutsche Idealismus im ganzen hat

die Bedeutung oder die Idee - oder wie man es sonst nen-

nen will - in der Erscheinung erkannt, ohne deswegen den

Begriff zum eigentlichen Bezugspunkt der asthetischen Er-

fahrung zu machen. Aber kann man darn ir unser Problem

losen, das Problem der Einheit zwischen der klassischen

Kunsttradition und der modernen Kunst? Wie will man dieFormbriiche des modernen Kunstschaffens verstehen, das

Spiel mit allen Inhalten, das so weir getrieben wird, daB

unsere Erwartungen stan dig gebrochen werden? Wie will

man das verstehen, was die heutigen Kiinstler oder gewisse

Richtungen der heutigen Kunst geradezu als Antikunst be-

zeichnen - das Happening? Wie will man von da verstehen,

daB Duchamps einen Gebrauchsgegenstand plotzlich isolie-

28

rend darbieret und damit eine Art asthetischen Schockreiz

ausiibt? Man kann nicht einfach sagen: »Was fur ein grober

Unfug l- Duchamps hat damit etwas von den Bedingungen

asthetischer Erfahrung aufgedeckt. Aber wie will man an-

gesichts dieses experimentierenden Kunstgebrauchs unserer

Tage sich mit den Mitteln der klassischen Asthetik helfen

wollen? Dafiir bedarf es offen bar eines Riickgangs auf mehr

grundlegende menschliche Erfahrungen. Was ist die anthro-pologische Basis unserer Erfahrung von Kunst? An den

Begriffen »Spiel, Symbol und Fest- soli diese Frage ent-

wickelt werden.

Insbesondere gehr es um den Begriff Spiel . Die erste Evi-

denz, die wir uns da verschaffen miissen, ist, daB Spiel eine

elementare Funktion des menschlichen Lebens ist, so daB

menschliche Kultur ohne ein Spielelement iiberhaupt nicht

denkbar ist. DaB menschliche Religionsiibung im Kult einSpielelement einschliefst, ist seit langem von Denkern wie

Huizinga, Guardini und anderen betont worden. Es ist loh-

nend, sich die elementare Gegebenheit des menschlichen

Spielens in ihren Strukturen zu vergcgenwartigen, darnit

das Spielelement der Kunst nicht nur negativ, als Freiheit

von Zweckbindungen, sondern als freier Impuls sichtbar

wird. Wann reden wir von Spiel, und was ist darin irnpli-

ziert? Sicherlich als erstes das Hin und Her einer Bewegung,

die sich standig wiederholt - man denke einfach an gewisse

Redeweisen, wie etwa »das Spiel der Lichter- oder »das

Spiel der Wellen«, wo ein solches standiges Kommen undGehen, ein Hin und Her vorliegt, d. h. eine Bewegung, die

nicht an ein Bewegungsziel gebunden ist. Das ist es offen-

bar, was das Hin und Her so auszeichnet, daf weder .das

eine noch das andere Ende das Ziel der Bewegung ist, in

der sie zur Ruhe kommt. Es ist Ferner klar, daB zu einer

solchen Bewegung Spielraum gehort. Das wird uns fiir die

Frage der Kunst besonders zu denken geben. Die Freiheit

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der Bewegung, die hier gemeint ist, schlieflt Ferner ein, daf

diese Bewegung die Form der Selbstbewegung haben muB.

Selbstbewegung ist der Grundcharakter des Lebendigen

iiberhaupt. Das hat schon Aristoteles, das Denken aller

Griechen formulierend, beschrieben. Was lebendig ist, hat

den Antrieb der Bewegung in sich selber, ist Selbstbewegung.

Das Spiel erscheint nun als eine Selbstbewegung, die durch

ihre Bewegung nicht Zwecke und Ziele anstrebt, sonderndie Bewegung als Bewegung, die sozusagen ein Phanomen

des Uberschusses, der Selbstdarstellung des Lebendigseins,

meint. Das ist es in der Tat, was wir in der Natur sehen -

das Spiel der Miicken etwa oder all die bewegenden Schau-

spiele des Spiels, die wir in der Tierwelt, insbesondere bei

jungtieren, beobachten konnen, All das entstamrnt offen-

kundig dem elementaren Uberschulscharakter, der in der

Lebendigkeit als solcher nach Darstellung drangt. Nun ist

es das Besondere des menschlichen Spieles, daB das Spiel

auch die Vernunft, diese eigenste Auszeichnung des Men-

schen, sich Zwecke set zen und sie bewuBt anstreben zukonnen, in sich einzubeziehen und die Auszeichnung der

zwecksetzenden Vernunft zu iiberspielen vermag. Das nam-

lich ist die Menschlichkeit des menschlichen Spiels, daB es

in dem Bewegungsspiel sich seine Spielbewegungen sozu-

sagen selbst diszipliniert und ordnet, als ob da Zwecke

waren, z. B. wenn ein Kind zahlt, wie oft der Ball auf den

Boden schlagen kann, bevor er ihm entgleitet.

Was sich hier in Form des zweckfreien Tuns selber Regeln

setzt, das ist Vernunft. Das Kind ist ungliicklich, wenn der

Ball schon beim zehnten Male wegrutscht, und stolz wie ein

Konig, wenn es dreifligmal geht, Diese zweckfreie Verniinf-tigkeir im menschlichen Spielen bedeuter einen Zug im Pha-

nomen, der uns weiterhelfen wird. Es zeigt sich namlich

hier , insbesondere am Phanomen der Wiederholung als sol-

cher, daB Identitat, Selbigkeit gemeint ist. Das Ziel, auf das

es hier herauskornmt, ist zwar ein zweckloses Verhalten,

aber dieses Verhalten ist als solches seIber gemein t. Es ist

das, was das Spiel meinr. Mit Anstrengung und Ehrgeiz und

30

ernstester Hingabe wird in dieser Weise etwas gerneint. Dies

isr ein erster Schritt auf dem Weg zur menschlichen Kom-

munikation ; wenn hier etwas dargestellt wird - und sei es

nur die Spielbewegung selber -, so gilt auch fiir den Zu-

schauer, daB er es »rneint« - so wie ich rnir selbst im Spielen

wie ein Zuschauer gegeniibertrete. Es ist die Funktion der

Spieldarstellung, daB nicht irgend etwas Beliebiges, sondern

die so und so bestirnmte Spielbewegung am Ende steht.Spiel ist also letzten Endes Selbstdarstellung der Spiel-

bewegung.

Ich darf sofort hinzufiigen: Solche Bestimmung der Spiel-

bewegung bedeutet zugleich, daB Spielen immer Mitspielen

verlangt. Selbst der Zuschauer, der etwa einern Kind zu-

schaut, das da mit dem Ball hin und her spielt, kann gar

niche anders. Wenn er wirklich »rnitgeht«, isr das nichts

anderes als die participatio, die innere Teilnahme an dieser

sich wiederholenden Bewegung. Bei hoheren Formen des

Spieles wird das oft sehr anschaulich: Man braucht sich

nur einmal, im Fernsehen z. B., das Publikum bei einemTennisturnier anzusehen! Es ist eine reine Halsverrenkung.

Keiner kann es unterlassen, mitzuspielen. - Es scheint mir

also ein weiteres wichtiges Moment, daB Spiel auch in dem

Sinne ein kommunikatives Tun ist, daB es nicht eigentlich

den Abstand kennt zwischen dem, der da spielt, und dern,

der sich dem Spiel gegeniibersieht. Der Zuschauer ist offen-

kundig mehr als nur ein blofser Beobachter, der sieht, was

vor sich geht, sondern ist als einer, der am Spiel »teil-

nimmr«, ein Teil von ihm. Natiirlich sind wir bei solchen

einfachen Spielformen noch nicht bei dem Spiel der Kunst.

Aber ich hoffe gezeigt zu haben, daB das kaum noch einSchritt ist, was da vom kultischen Tanz zu der als Darstel-

lung gemeinten Begehung des Kultes fiihrt. Und daB es

kaum ein Schritt ist, der von da zu der Freisetzung der

Darstellung fiihrt, etwa zum Theater, das aus diesem Kult-

zusammenhang als seine Darstellung herauswuchs. Oder zur

bildenden Kunst, deren Schmuck- und Ausdrucksfunktion

im Ganzen eines religiosen Lebenszusammenhanges er-

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wachst, Das geht ineinander iiber. Aber daB es ineinander

iibergeht, bestarigr ein Gemeinsames in dem, was wir als

Spiel erorterten, namlich daB da etwas als etwas gemeint

ist, auch wenn es nichts Begriffliches, SinnvoIles, Zweck-

hafres ist, sondern etwa die reine selbstgesetzte Bewegungs-

vorschrift.

Das scheint mir [iir die heutige Diskussion der modernen

Kunst auBerordentlich bedeutsam. Es geht am Ende urn die

Frage des Werkes. Es ist einer der Grundantriebe der mo-

dernen Kunst, daB sie den Abstand durchbrechen mochte,

in dem sich eine Zuschauerschaft, eine Konsumentenschaft,

ein Publikum, gegeniiber dem Werk der Kunst halt. Es ist

kein Zweifel, daB die bedeutenden unter den schaffenden

Kiinstlern der letzten 50 Jahre ihre Anstrengung gerade

darauf richteten, dies en Abstand zu durchbrechen. Man

denke etwa an die Theorie des epischen Theaters bei Bert

Brecht, der ausdrlicklich das Versinken in den Biihnentraum

als einen schwachlichen Ersatz fiir das menschliche und ge-

sellschaftliche Sclidaritatsbewuiirsein bekampfte, indem erden Szenenrealismus, die Charakrererwartung, kurz die

Identitat dessen, was man in einem Schauspiel erwartete,

bewuilt zerstorte. Aber man konnte in jeder Form rnoder-

nen Experirnentierens mit Kunst das Motiv erkennen, den

Abstand des Beschauers in das Betroffensein als Mitspieler

zu verwandeln.

Heifit das nun, daB es das Werk nicht mehr gibt? So ver-

stehen sich in der Tat viele Kiinstler von heute - und auch

die Asthetiker, die ihnen folgen -, als ob es darum ginge,

die Einheit des Werkes aufzugeben. Aber wenn wir an

unsere Fesrstellungen iiber das menschliche Spiel zuriick-denken, so fanden wir selbst da eine erste Erfahrung von

Vernlinftigkeit, etwa im Befolgen selbstgesetzter Regeln, in

der Identitat dessen, was man zu wiederholen sucht. So war

schon hier so etwas wie die herrneneutische Identitat im

Spiele - und diese bleibt erst recht fiir die Spiele der Kunst

unantastbar, Es ist ein Irrtum zu meinen, daB die Werk-

einheit Abgeschlossenheit gegeniiber dem, der sich dem

32

Werk zuwendet und von ihm erreichr wird, bedeutet. Die

hermeneutische Identitat des Werkes liegt weit tiefer begriin-

det, Selbst das Fliichtigste und Einmaligste ist, wenn es als

asrherische Erfahrung erscheint oder gewertet wird, in Sel-

bigkeic gemeint. Nehmen wir den Fall einer Improvisation

auf der Orgel. Nie wieder wird man diese einmalige Impro-

visation horen. Der Organist selbst weiB nachher kaum

noch, wie er spielte, und niemand hat es aufgezeichnet.

Trotzdem sagen aIle: »Das war eine geniale Interpretation

oder Improvisation«, oder in einern anderen FaIle: »Das

war heute etwas leer«. Was meinen wir damit? Offenbar

beziehen wir uns auf diese Improvisation zuriick. Es »steht«

etwas fur uns da, es ist wie ein Werk, es ist keine blofse

Pingeriibung des Organisten. Andernfalls wiirde man nicht

iiber die Qualitat oder den Qualitatsmangel urteilen. So ist

es die hermeneutische Identitat, die die Werkeinheit stifrer.

Als der Verstehende muB ich idenrifizieren. Denn da war

etwas, was ich beurteilte, das ich »verstand«, Ich identifi-

ziere etwas als das, was es war oder was es ist, und dieseIdentitat allein macht den Werksinn aus.

Wenn das richtig ist - und ich meine, es hat die Evidenz

des Wahren an sich -, dann kann es gar keine rnogliche

Kunstproduktion geben, die nicht in der gleichen Weise im-

mer das meint, was sie produziert, als das, was es ist. Selbst

dieses Extrem-Beispiel irgendeines Gerares - es war wohl

ein Flaschensrander -, das da plotz.lich mit einem so groflen

Effekr als ein Werk angeboten wurde, besrarigt das. In sei-

ner Wirkung und als diese Wirkung, die es einmal war, hat

es seine Bestimmtheit, Wahrscheinlich wird es nicht ein blei-

bendes Werk im Sinne klassischer Dauerhaftigkeit sein, aberim Sinne der hermeneutischen Identitat isres sehr wohl ein

>,Werk«.

Der Werkbegriff ist eben ganz und gar nicht an klassizisti-

sche Harmonie-Jdeale gebunden. Wenn es auch ganzlich

andere Formen gibt, in denen sich Identifizieren in Zustim-

mung ereigner, werden wir uns weiter zu fragen haben, wo-

durch dieses Angesprochenwerden eigentlich zustande

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kommt. Aber noeh ein weiteres Moment liege darin. Wenn

das die Identitat des Werkes ist, so hat es immer nur fiir

den ein wirkliehes Aufnehmen, eine wirkliehe Erfahrung

eines Kunstwerks gegeben, der »mitspielt«, d. h. der eine

eigene Leistung aufbringt, indem er tatig ist. Wodureh

kommt das eigentlieh zustande? Doch nicht durch blofses

Festhalten von etwas im Gedachtnis. Auch dann ist Identi-

fikation gegeben, aber nicht die besondere Zustimmung,

durch die das »Werk« etwas fiir uns bedeutet, Was ist es,

wodurch ein »Werk« als Werk seine Idenrirat hat? Was

macht seine Identitat, wie wir auch sagen konnen, zu einer

hermeneutischen? Diese andere Formulierung meint offen-

kundig, daB seine Identitat eben darin besteht, daB etwas

daran »zu verstehen« ist, daB es als das, was es »rneint-

oder »sagt«, verstanden werden will. Das ist eine von dem

»Werk« ergehende Forderung, die auf ihre Einlosung war-

tet. Sie verlangt eine Antwort, die nur von dem gegeben

werden kann, der die Forderung annahm. Und diese Ant-

wort muf seine eigene Antwort sein, die er selber tatig er-bringt. Der Mitspieler gehort zum Spiel.

Wir wissen aile aus eigenster Erfahrung, daf etwa der Be-

such eines Museums oder das Zuhoren bei einem Konzert

eine Aufgabe hochster geistiger Aktivitat ist. Was tut man

denn da? Gewif liegen hier Unterschiede vor: Das eine ist

eine reproduktive Kunst, im anderen Faile handelt es sieh

nicht einmal urn Reproduktion, sondern man tritt unmittel-

bar vor die Originale, die da an den Wanden hangen; und

wenn man dureh ein Museum gegangen ist, tritt man nicht

mit demselben Lebensgefuhl, mit dem man in es eingetreten

ist, aus ihm wieder heraus; wenn man wirklich eine Erfah-rung von Kunst erfuhr, ist die Welt lichter und ist die Welt

leichter geworden.Die Bestimmung des Werkes als des Identitatspunktes der

Wiedererkenntnis, des Verstehens, schliefst ferner mit ein,

daB solche Identitat mit Variation und mit Differenz ver-

kniipft ist. Jedes Werk laBt gleichsam fiir jeden, der es auf-

nimmt, einen Spielraum, den er ausfiillen muli. Ich kann es

34

selbst an klassizistisehen theoretischen Ideen zeigen. Kant

z, B. hat eine hochst merkwiirdige Lehre. Er vertritt die

These, an der Malerei sei der eigentliche Trager des Schonen

die Form. Die Farbe dagegen sei blofser Reiz, d. h. eine

sinnliche Angeruhrtheit, die subjektiv bleibe und insofern

nicht die eigentliche kiinstlerisehe oder asthetische Gestal-

tung betreffe. '! Wer etwas von klassizistischer Kunst weiE

- man denke etwa an Thorwaldsen -, wird fiir diese mar-

morbleiche, klassizistisehe Kunst zugestehen, daB dort inder Tat die Linie, die Zeichnung, die Form im Vordergrund

srehr, Kants These ist zweifellos ein historisch bedingtes

Urteil. Wir wiirden niemals untersehreiben, daB Farben

bl?Be Reizwirkungen sind. Denn wir wissen, daB man auch

mit Farben bauen kann und daB Komposition nicht not-

wendig auf die Linie und die Umrifsforrn der Zeichnung

beschrankt ist. Aber das Einseitige dieses historiseh beding-

ten Geschmacks interessiert hier nicht. Was interessiert, ist

nur, was Kant dabei offenkundig im Auge hat. Warum ist

denn die Form so ausgezeichnet? Die Antwort ist: weil man

sie zeichnen mull, wenn man sie sieht, weil man sie aktivau.fbaue~ mull, wie jede Kornposirion das verlangt, diezeichnerische Komposition so gut wie die musikalische so

gut wie das Sehauspiel, so gut wie die Lektiire. Es is t ein

standiges Mit-tatig-Sein, Und offenkundig ist es gerade die

Identitat des Werkes, das zu dieser Tatigkeit einladt die

kei~.e beliebi~e i~t, son?ern angeleitet und fiir aile mogl{chen

Erfullungen in em gewisses Schema gedrangt wird.

Man den~e etwa an Literatur. Es ist ein Verdienst des gro-

Ben polnischen Phanornenologen Roman 1ngarden gewesen,

das zuerst herausgearbeitet zu haben.P Wie sieht etwa die

evokative Funktion einer Erzahlung aus? Ich nehme einberiihmtes Beispiel: Die Bruder Karamasow. Da ist die

Treppe, die Smerdjakow hinunterstiirzt. Das wird bei

Dostojewskij auf irgendeine Weise beschrieben. Ich weif l

dadurch ganz genau, wie diese Treppe aussieht. Ich weiB

wie si,: anfangt, es wird dann dunkel, und dann geht e~

naeh links. Das ist fiir mich handgreiflich klar, und doch

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kommt. Aber noch ein weiteres Moment liegt darin. Wenn

das die Identitat des Werkes ist, so hat es immer nur fur

d.en ein wirkliches Aufnehmen, eine wirkliche Erfahrung

ernes Kunstwerks gegeben, der »mitspielt«, d. h. der eine

eigene Leistung aufbringt, indem er tarig ist. Wodurch

kommt das eigentlich zustande? Doch nicht durch blofses

Fesrhalten von etwas im Gedachtnis, Auch dann ist Identi-

fikation gegeben, aber nicht die besondere Zustimmung,

durch die das »Werk« etwas fur uns bedeutet, Was ist es,

wodurch ein »Werk« als Werk seine Idenritat hat? Was

macht seine Identitat, wie wir auch sagen konnen, zu einer

hermeneutischen? Diese andere Formulierung meint offen-

kundig, dag seine Identitat eben darin besteht, daB etwas

daran »zu verstehen« ist, daf es als das, was es »rneint-

oder »sagt«, verstanden werden will. Das ist eine von dem

»Werk« ergehende Forderung, die auf ihre Einlosung war-

tet. Sie verlangt eine Antworr, die nur von dem gegeben

werden kann, der die Forderung annahm. Und diese Ant-

wort mug seine eigene Antwort sein, die er selber tatig er-bringt. Der Mitspieler gehort zum Spiel.

Wir wissen aile aus eigenster Erfahrung, daB etwa der Be-

such eines Museums oder das Zuhoren bei einem Konzert

eine Aufgabe hochster geistiger Aktivirar ist. Was tut man

denn da? Gewif liegen hier Unterschiede vor: Das eine ist

eine reproduktive Kunst, im anderen Faile handelr es sich

nicht einmal urn Reproduktion, sondern man tritt unrnittel-

bar vor die Originale, die da an den Wanden hangen: und

wenn man durch ein Museum gegangen ist, tritt man nicht

mit demselben Lebensgefiihl, mit dem man in es eingetreten

ist, aus ihm wieder heraus; wenn man wirklich eine Erfah-rung von Kunst erfuhr, ist die Welt lichter und ist die Welt

leichter geworden.

Die Bestimrnung des Werkes als des Identicatspunkres der

Wiedererkenntnis, des Verstehens, schliefst Ferner mit ein,

dag solche Identitat mit Variation und mit Differenz ver-

kniipft ist. Jedes Werk lagt gleichsam fur jeden, der es auf-

nimmt, einen Spielraum, den er ausfullen mug. Ich kann es

34

selbst an k~assizistischen theorerischen Ideen zeigen. Kantz. B. hat erne hochst merkwiirdige Lehre. Er vertritt die

These, an der Malerei sei der eigentliche Trager des Schonen

die Form. Die Farbe dagegen sei bloBer Reiz, d. h. cine

sinnliche Angeruhrtheit, die subjektiv bleibe und insofern

nicht die eigentliche kiinstlerische oder asthetische Gestal-

tung betreffe.'! Wer etwas von klassizistischer Kunst weiB

- man denke etwa an Thorwaldsen -, wird fur diese mar-

morbleiche, klassizistische Kunst zugestehen, dag dort inder Tat die Linie, die Zeichnung, die Form im Vordergrund

steht. Kants These ist zweifellos ein historisch bedingtes

Urteil. Wir wiirden niemals unterschreiben, daB Farben

bl?Be Reizwirkungen sind. Denn wir wissen, daB man auch

mit Farben bauen kann und daB Komposirion nicht not-

wendig auf die Linie und die Umrifsform der Zeichnung

beschrankt ist. Aber das Einseitige dieses historisch beding-

ten Geschmacks interessiert hier nicht, Was interessiert, ist

nur, was Kant dabei offenkundig im Auge hat. Warum ist

denn die Form so ausgezeichnet? Die Antwort ist: weil man

sie zeichnen mug, wenn man sie sieht, weil man sie aktivau.fbaue~ muli, wie jede Kornposition das verlangt, diezeichnerische Komposition so gut wie die musikalisehe so

gut wie das Schauspiel, so gut wie die Lektiire, Es is t ein

standiges Mir-tatig-Sein. Und offenkundig ist es gerade die

Identitat des Werkes, das zu dieser Tatigkeit einladt die

keine beliebige ist, sondern angeleitet und fur aile moglichen

Erfiillungen in ein gewisses Schema gedrangt wird.

Man den~e etwa an Literatur. Es ist ein Verdienst des gro-

Ben polnischen Phanornenologen Roman Ingarden gewesen,

das zuerst herausgearbeitet zu haben.P Wie sieht etwa die

evokative Funkrion einer Erzahlung aus? Ich nehme emberuhmtes Beispiel: Die Bruder Karamasow. Da ist die

Treppe, die Smerdjakow hinunterstiirzt. Das wird bei

Dostojewskij auf irgendeine Weise besehrieben. Ieh weiG

dadurch ganz genau, wie diese Treppe aussieht. Ich weiB,

wie sie anfangt, es wird dann dunkel, und dann geht es

nach links. Das ist fur mich handgreiflich klar, und doch

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weiB ich, daB niemand anderer die Treppe so »sieht« wie

ich. Und doch wird jeder, der diese meisterhafte Erzah-

lungskunst auf sich wirken laBt, seinerseits die Treppe ganz

genau »sehen« und iiberzeugt scin, daB er sie siehr, wie sic

ist. Das ist der Freiraum, den das dichterische Wort in die-

sem Fall laBt und den wir ausfiillen, indem wir der sprach-

lichen Evokation des Erzahlers folgen. Khnlich ist es in der

bildenden Kunst. Es ist ein synthetischer Akt. Wir miissen

vereinigen, vieles zusammenbringen. Ein Bild »Iiest- man,wie man zu sagen pflcgt, so wie man Schrift liest. Man be-

ginnt ein Bild zu »entziffern« wie einen Text. Es ist nicht

erst das kubistische Bild, das diese Aufgabe - nun allerdings

mit drastischer Radikalitat - stellt, indem es verlangt, ver-

schiedene Facetten des Gleichen, verschiedene Anblicke, so-

zusagen nacheinander aufzublattern, so daB am Ende das

Dargestellre in seiner Multiplizitat von Facetten und damit

in einer neuen Buntheit und Plastik auf der Leinwand er-

scheint. Es ist aber nicht nur bei Picasso oder Bracque und

all den anderen Kubisten von damals so, daf wir das Bild

»lesen«. Es ist immer so. Wer z. B. einen beriihmten Tizianoder Velasquez, irgendeinen Habsburger zu pferde, bewun-

dert und dabei nur denkt: Ah, das ist Karl V., der hat gar

nichts von dem Bild gesehen. Es gilt, es aufzubauen, so daB

es sozusagen Wort fur Wort als Bild gelesen wird und am

Ende dieses zwingenden Aufbaus zu dem Bild zusammen-

geht, in dem die mit ihm anklingende Bedeutung gegenwar-

tig ist, die Bedeutung eines Weltherrsehers, in dessen Reich

die Sonne niemals unterging.

Ich mochte also grundsatzlich sagen: Es ist immer eine Re-

flexionsleistung, eine geisrige Leistung, ob ich mich mit tra-

dierten Gestalten herkomrnlichen Kunstsehaffens beschaf-

tige oder Yom modernen Schaffen gefordert werde. Die

Aufbauleistung des Reflexionsspieles liegt als Forderung im

Werk als solchem.

Aus diesem Grunde scheint es mir ein falscher Gegensatz,

zu meinen, es gebe eine Kunst der Vergangenheit, die man

geniefsen kann, und es gebe eine Kunst der Gegenwart, bei

36

man durch raffinierte Mittel der kiinstlerischen Gestal-

zum Mitmachen gezwungen werden soil. Die Einfiih-

des Begriffes des Spieles hatte gerade die Pointe, zu

daB jeder bei einem Spiel Mitspieler ist. Das solI

fur das Spiel der Kunst gelten, daB es hier prinzipiell

Trennung zwischen dem eigentlichen Werkgebilde der

und dem, von dem dieses Werkgebilde erfahren wird,

Was das bedeutet, habe ieh in der ausdrticklichen

zusammengefafst, daB man auch die uns ver-trauteren und dureh inhaltliche Traditionen bedeutungsge-

Werke der klassischen Kunst lesen lernen mull.

ist aber niche nur buchstabieren und ein Wort nach

anderen ablesen, sondern heiBt vor allern, die bestan-

hermeneutisehe Bewegung vollziehen, die von der

omnerwartung des Ganzen gesteuert wird und sieh Yom

her im SinnvoUzug des Ganzen schliefslich er-

. Man denke daran, wie es ist, wenn jemand einen Text

vorliest, den er nichr verst and en hat. Dann kann kein ande-

wirklich verstehen, was er da vorliest.

Die Identitat des Werkes ist nicht durch irgendwelche klas-sizistisehen oder formalistischen Bestimmungen garantiert,

sondern wird durch die Weise, in der wir den Aufbau des

Werkes selbst als cine Aufgabe auf uns nehmen, eingelost,

Wenn dies die Pointe der kiinstlerischen Erfahrung ist,

dann diirfen wir uns der Leistung Kants erinnern, der be-

wies, daB es sieh hier nicht urn ein Beziehen oder Unterstel-

len eines in seiner Besonderheit erscheinenden, sinnfalligen

Gebildes unter einen Begriff handelt. Der Kunsthistoriker

und Asthetiker Richard Hamann hat das einmal so formu-

liert: es geht urn »die Eigenbedeutsamkeit der Wahrneh-

mungv.-" Das soIl heilien, daf die Wahrnehmung nicht mehr

in pragmatische Lebensbeziige eingestellt und in Ihnen zur

Funktion gebracht wird, sondern sieh in ihrer eigenen Be-

deutung hergibt und darstellt. Urn die Formulierung mit

vollgultigern Sinn zu erfiillen, muf man sich freilich dar-

tiber klar sein, was Wahrnehmung bedeutet. Wahrnehmung

darf nicht, wie das etwa fur Hamann in der Zeit des aus-

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gehenden Impressionismus noch nahelag, so verstanden wer-

den, als sei sozusagen die »sinnliche Haut der Dinge« das,

worauf es asthetisch allein ankomme. Wahrnehmen ist

nicht, daB man lauter verschiedene Sinneseindrlicke sam-

melt, sondern wahrnehmen heiiit, wie das schone Wort ja

seIber sagt, etwas »fiir wahr nehmen«. Das heiBt aber: Was

sich den Sinnen bietet, wird als etwas gesehen und genom-

men. So habe ich von der Dberlegung her, daB es ein ver-

kiirzter dogmatischer Begriff von Sinneswahrnehmung ist,den wir im allgemeinen als den asrherischen MaBstab an-

legen, in meinen eigenen Untersuchungen die etwas barocke

Formulierung gewahlt, die die Tiefendimension der Wahr-

nehmung zum Ausdruck bringen sollte: »die astherische

Nichtunterscheidung e.!? Ich meine damit, daB es eine sekun-

dare Verhaltensweise ist, wenn man von dem abstrahieren

sollte, was einen durch ein kiinsrlerisches Gebilde bedeut-

sam anspricht, und man sich ganzlich darauf beschranken

wollte, es »rein asthetisch« zu wlirdigen.

Das ware so, wie wenn der Kririker einer Theateraufflih-

rung sich ausschlieBlich mit dem Wie der Regieleistung, mitder Qualitar der einzelnen Rollenbesetzungen und derglei-

chen auseinandersetzte. Es ist ganz gut und richtig, daB er

das rut - aber das ist nicht die Weise, wie das Werk selber

und die Bedeutung, die es fiir einen in der Aufflihrung ge-

wann, sichtbar werden. Gerade die Nichtunterscheidung

zwischen der besonderen Art, wie ein Werk zur Reproduk-

tion gebracht wird, und der Identitar des Werkes dahinter

macht die kiinstlerische Erfahrung aus. Und das gilt nicht

nur flir die reproduktiven Kiinste und die Vermittlung, die

sie enthalten. DaB das Werk in dem, was es ist, auf eine je

besondere Weise dennoch als dasselbe spricht, gilt immer,

selbst bei wiederholter und variierter Begegnung mit dem

gleichen Werk. Im FaIle der reproduktiven Kiinste muB

sich Freilich die Identitat in der Variation auf eine doppelte

Weise erfiillen, sofern die Reproduktion wie das Original

je flir sich der Identitat und Variation ausgesetzt sind. Was

ich so als die asthctische Nichrunterscheidung beschrieb,

38

offenbar den eigentlichen Sinn des Zusammenspiels

Einbildungskraft und Verst and aus, das Kant im »Ge-

:na.UI..'U.LLCll« entdeckte. DaB man sich bei dem, was man

urn auch nur etwas zu sehen, etwas denken mufs, ist

wahr. Aber hier ist es ein freies, nicht auf Begriff

Spiel. Dieses Zusammenspiel zwingt uns vor die

das eigentlich ist, was sich auf diesem Wege des

zwischen dem bilderschaffenden und dem

'«:IlCIlUIt:ll Verrnogen aufbaut. Was ist die Be-ueu rsaruo.eu., in der uns da etwas als bedeutsam erfahrbar

und erfahren wird? Jede pure Imitationstheorie oder Ab-

bildtheorie, jede naturalistische Kopiertheorie geht offenbar

an der Sache ganz vorbei. Es ist sicherlich niemals das We-

sen eines groBen Kunstwerkes gewesen, daB es der »Natur«

voll und getreu zum Abbild, zum Konterfei verhalf. Es war

ganz gewiB immer so - wie ich das etwa in der Erinnerung

an Velasquez' Karl V. zeigte -, daB sich im Aufbau eines

Bildes eine eigenriimliche Stilisierungsleistung vollbringt. Da

sind die Velasquezschen Pferde, die so etwas Besonderes an

sich haben, daB man immer erst an das Schaukelpferd dereigenen Kindheit denkt - aber dann dieser leuchtende Hori-

zont und der spahende Feldherrn- und Imperatorenblick

des Kaisers dieses groBen Reiches: wie das zusammenspielt,

wie hier die Eigenbedeutsarnkeit der Wahrnehmung gerade

aus diesem Zusammenspiel ersteht, sofern zweifellos jeder

an dem eigentlichen Kunstwerk vorbeisahe, der etwa fragen

wlirde: Ist das pferd gut getroffen? Oder gar: Ist Karl V.,

dieser Herrscher, in seiner individuellen Physiognomie ge-

troffen? Dieses Beispiel mag bewuBtmachen, daB das Pro-

blem auBerordentlich kompliziert ist. Was verstehen wir

eigentlich? Wieso spricht es, und was sagt uns das Werk?

Urn hier eine erste Schurzwehr gegen aIle Nachahmungs-

theorie aufzurichten, tun wir gut, uns zu erinnern, daB wir

ja nicht nur angesichts von Kunst diese asthetische Erfah-

rung haben, sondern auch vor der Natur, Es ist das Pro-

blem des »Naturschonen«.

Kant, der deutlich die Autonomie des Ksthetischen hera us-

39

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gearbeitet hat, war sogar in erster Linie am Narurschdnen

orientiert, Es ist gewif nicht ohne Bedeutsamkeit, daB wir

:t:Jat~r schon finden. Es ist eine ans Wunderbare grenzende

sirtliche Erfahrung des Menschen, daB in der generativen

P?tenz der Natur uns Schonheir entgegenbliiht, so, als ob

die Natur fiir uns ihre Schonheiren zeigte. Bei Kant hat

diese Auszeichnung des Menschen, daB ihm die Schonheit

de.r Natur entgeg~nkommt, einen schopfungstheologischen

Hmtergrund und ist auch die selbsrverstandliche Basis, vonder aus Kant das Schaffen des Genies, das Schaffen des

Kiinstlers,. wie eine hochste Steigerung der Potenz, die die

Natur, die gottliche Schopfung besitzt, darstellt, Aber

offenkundig ist das Naturschone von einer eigentiimlichen

Unbestimrntheit seiner Aussage. ImUnrerschied zu jedem

Kunstwerk, in dem wir doch immer etwas als etwas zu er-

kennen oder zu deuten suchen - wenn auch vielleicht, urn

zur Aufgabe dessen genotigt zu werden -, ist es eine Art

unbestimmter Seelenmacht der Einsamkeit, die uns aus der

N atur bedeutsam anspricht, Erst eine tiefere Analyse dieser

asthetischen Erfahrung des Schonfindens der Natur belehrtuns, daB dies in gewissem Sinn ein falscher Schein ist und

daf wir in Wahrheit die Natur nicht mit anderen Augen

ansehen konncn denn als kiinstlerisch erfahrenc und er-

zogene Menschen. Man erinnere sich daran wie etwa noch

iJ_TI8. Jahrhundert Reiseberichte die Alpen'schildern: grau-

sige Berge, deren graBliche und erschreckende Wildheit wie

eine Ausstofsung aus der Schonheir, Humanitat, Heimlich-

keit des Daseins empfunden wurde. Heute dagegen ist die

ganze Welt der Dberzeugung, daB sich in den Grofsforma-

tionen unserer Hochgebirge nicht nur die Erhabenheit der

Natur, sondern ihre eigentliche Schonheir darstellt.Es ist klar, was sich hier ereignet hat. Wir sahen im 18. jahr-

hundert mit den Augen einer durch rationale Ordnung ge-

schulten Einbildungskraft. Die Garten des 18. Jahrhunderts,

bevor der englische Garrenstil eine Art neuer Naturahnlich-

keit .oder Naturhafrigkeit vorspiegelte, waren immer geo-

metnsch konstruierr wie eine Fortserzung der Konstruktion

40

wohnlichen Hauses in die Natur hinaus. So sehen wir

in Wahrheit Natur, wie das Beispiel lehrt, mit durch

Kunst erzogenen Augen. Hegel hat richtig begriffen,

das Naturschone ein Reflex des Kunstschonen ist 18 so

wir das Schone in der Natur, geleitet durch das Auge

das Schaffen des Kiinstlers, gewahren lernen. Die

bleibt freilich, was uns das heute in der kritischen

der modernen Kunst hilft. Von ihr geleitet, wiir-

wir schwerlich angesichts einer Landschaft zu erfolg-

Wiedererkennung des Schonen in der Landschaft ge-

Es ist in der Tat so, daB wir heute die Erfahrung

Naturschonen fast als ein Korrektiv gegeniiber den

Anspriichen eines durch Kunst erzogenen Sehens empfinden

miifsten. Wir werden durch das Naturschone erneut daran

erinnert, daB das, was wir in einem Kunstwerk erkennen,

das gar nicht ist, worin die Sprache der Kunst spricht. Es

ist gerade die Unbesrimmrheit des Verweisens, durch die wir

von moderner Kunst angesprochen werden und die uns mit

dem Bewulstsein der Bedeutsamkeir, der ausgezeichnetenBedeutung dessen, was wir vor Augen haben, erfiillt.!" Was

ist es mit diesern Verwiesenwerden ins Unbestimmte? Wir

nennen mit einem insbesondere durch die deutschen Klassi-

ker, durch Schiller und Goethe, gepragten Wortsinn diese

Funktion das Symbolische.

II

Was heiBt Symbol? Es ist zunachst ein technisches Wort der

griechischen Sprache und meint die Erinnerungsscherbe. EinGastfreund gibt seinem Gast die sogenannte »ressera hospi-

talis«, d. h., er bricht eine Scherbe durch, behalr die eine

Halfre selber und gibt die andere Halfte dem Gastfreund,

damit, wenn in dreif ig oder fiinfzig Jahren ein Nachkomme

dieses Gastfreundes einmal wieder ins Haus kommt, man

einander im Zusammenfiigen der Scherben zu einem Gan-

zen erkennt. Antikes Pafiwesen: das ist der urspriingliche

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technische Sinn von Symbol. Es ist etwas, woran man je-

manden als Altbekannten erkennt.

Es gibt da eine sehr schone Geschichte in Plates Gesprach

Das Gastmahl, die, wie ich meine, noch tiefer auf die Art

von Bedeutsamkeit weist, die die Kunst fur uns darstellt.

Da erzahlt Aristophanes eine bis heute faszinierende Ge-

schichte iiber das Wesen der Liebe. Er sagt, daB die Men-

schen urspriinglich Kugelwesen waren; dann haben sie sich

schlecht benommen, und die Gorter haben sie entzweige-

schnitten. Nun sucht jede dieser Half ten einer vollen Le-

bens- und Seinskuge1 ihre Erganzung. Das ist das (),Uft~o/..ov

'wii aV{}Qomou,daB jeder Mensch gleichsam ein Bruchstuck

ist; und das ist die Liebe, daB sich die Erwarrung, etwas

sei das zum Heilen erganzende Bruchstiick, in der Begeg-

nung erfiillt. Dieses tiefsinnige Gleichnis fur Seelenfindung

und Wahlverwandtschaft laBt sich auf die Erfahrung des

Schonen im Sinne der Kunst umdenken. Es ist offenkundig

auch hier so, daB die Bedeutsamkeit, die dem Schonen der

Kunst, dem Kunstwerk anhaftet, auf etwas verweist, wasnicht unmittelbar in dem sichtbaren und verstandlichen

Anblick als solchem liegt. - Aber was ist das fiir ein Ver-

weisen? Die eigentliche Funktion von Verweisen geht auf

etwas anderes, auf etwas, das man auch auf unmittelbare

Weise haben oder erfahren kann. Ware es so, dann ware

Symbol das, was wir mindestens seit dem klassischen

Sprachgebrauch Allegorie nennen: daf etwas anderes gesagt

wird, als gemeint ist, daf man aber das, was gemeint ist,

auch unmittelbar sagen kann. Die Folge des klassizistischen

Symbolbegriffs, der nicht in dieser Weise auf etwas anderes

verweist, ist, daB wir bei Allegorie die an sich ganz unge-rechte Konnotation des Frostigen, des Unkiinstlerischen

haben. Es spricht ein Bedeutungsbezug, der vorgewufit sein

muB. Das Symbol dagegen, das Erfahren des Symbolischen

meint, daB sich dies Einzelne, Besondere wie ein Seinsbruch-

stuck darstellt, das ein ihm Entsprechendes zum Heilen und

Ganzen zu erganzen verheifst, oder auch, daB es das zum

Ganzen erganzende, immer gesuchte andere Bruchstiick zu

42

unserern Lebensfragment ist. Diese »Bedeutung« der Kunst

mir nicht, wie die der spatburgerlichen Bildungs-

an gesellschaftliche Sonderbedingungen gebunden,

die Erfahrung des Schonen, und insbesondere des

im Sinne der Kunst, ist die Beschworung einer

IIHJ!,;llClJLt:" heilen Ordnung, wo immer es sei.

wir das einen Augenblick weiterdenken, so wird ge-

die Multiplizitat dieser Erfahrung bedeutsam, die wir

ebensosehr als eine geschichtliche Wirklichkeit wie als eine

Simultaneitat kennen. In ihr spricht uns im-

immer wieder und in den verschiedensten Beson-

derungen, die wir Werke der Kunst nennen, die gleiche

Botschaft des Heilen an. Das scheint mir in der Tat die

prazisere Auskunft auf die Frage: »Was macht die Bedeut-

samkeit des Schonen und der Kunst aus?« Sie besagt, daB

im Besonderen der Begegnung nicht das Besondere, sondern

die Toralitat der erfahrbaren Welt und der Seinsstellung

des Menschen in der Welt,gerade auch seine Endlichkeit

gegenuber der Transzendenz, zur Erfahrung wird. In die-sem Sinn konnen wir nun einen wichtigen Schritt weiter-

gehen und sagen: Das heiBt nicht, daB die unbestimmte

Sinnerwanung, die uns ein Werk bedeutsam macht, je eine

volle Erfiillung finden kann, so daB wir das volle Sinn-

ganze uns verstehend und erkennend zu eigen machten. Das

war es, was Hegel lehrte, wenn er von »dern sinnlichen

Schein en der Idee- als der Definition des Kunstschonen

sprach. Ein tiefsinniges Wort, demzufolge in der sinnlichen

Erscheinung des Schonen in Wahrheit die Idee, zu der man

nur hinausblicken kann, gegenwartig wird. Trotzdem scheint

mir das eine idealistische Verfiihrung. Sie wird nicht demeigentlichen Tatbestand gerecht, daB das Werk als Werk

und nicht als der Ubermittler einer Borschaft zu uns spricht,

Die Erwartung, daB man den Sinngehalt, der uns aus Kunst

anspricht, im Begriff einholen kann, hat Kunst immer schon

auf gefahrliche Weise iiberholt. Eben das war aber Hegels

leitende Oberzeugung, die ihn zu dem Thema von dem

Vergangenheitscharakter der Kunst fiihrte. Wir haben SIC

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als eine prinzipielle Aussage Hegels interpretiert, sofern in

der Gestalt des Begriffes und der Philosophie alles einge-

holt werden konne und einzuholen sei, was uns in der par-

tikularen sinn l ichen Sprache der Kunst dunkel und unbe-

grifflich ansprichr,

Das ist jedoch eine idealistische Verfiihrung, die von jeder

kiinstlerischen Erfahrung widerlegt wird, insbesondere aber

von der Kunst der Gegenwart, die es ausdriicklich ablehnt,Sinnorientierung solcher Art, die man in der Form des Be-

griffes fassen konnte, vom Kunstschaffen unserer Zeit zu

erwarten. Ich setze dem entgegen, daB das Symbolhafte,

und insbesondere das Symbolische der Kunst, auf einem

unaufloslichen Widerspiel von Verweisung und Verbergung

beruht. Das Werk der Kunst, in seiner Unersetzlichkeit, ist

nicht ein blofscr Sinntrager - so daB der Sinn auch anderen

Tragern aufgeladen werden konnte. Der Sinn eines Kunst-

werks beruht vielmehr darauf, daB es da ist, Urn jede fal-

sche Konnotation zu vermeiden, sollten wir daher das Wort

"Werk« durch ein anderes Wort ersetzen, narnlich durchdas Wort »Gebilde«. Das bedeutet etwa, daB der transito-

rische Vorgang des davoneilenden Redestromes im Gedicht

auf eine ratselhafte Weise zum Stehen kommt, ein Gebilde

wird, so wie wir von der Formation eines Gebirges spre-

chen. Das »Gebildc- ist vor allen Dingen nichts, von dem

man meincn kann, daB es jemand mit Absicht gemacht hat

(wie das mit dem Begriff des Werkes noch immer ver-

kniipft ist). Wer ein Kunstwerk geschaffen hat, steht in

Wahrheit vor dern Gebilde seiner Hande nicht anders als

jeder andere. Es ist ein Sprung zwischen Planen und

Machen einerseits und dem Gelingen. Nun »steht« es, und

darnir ist es ein fiir allemal »da«, antreffbar fiir den, der

ihm begegnet, und einsehbar in seiner »Qualitat«, Es ist ein

Sprung, durch den sich das Kunstwerk in seiner Einzigkeit

und Unersetzbarkeit auszeichnet. Es ist das, was Walter

Benjamin die Aura des Kunstwerkes genannt hat20 und was

wir aIle kennen, etwa in der Ernporung iiber das, was man

44

nennt. Die Zerstorung eines Kunstwerkes hat

uns noch immer etwas von religiosem Frevel.

Oberlegung soIl uns vorbereiten, uns iiber die Trag-

dessen klarzuwerden, daB es nicht blofse Offenlegung

von Sinn ist, die durch die Kunst vollbracht wird. Eher

schon ware zu sagen, daB es die Bergung von Sinn ins Feste

ist, so daB er nicht verfliefst oder versickert, sondern in der

Gefugtheit des Gebildes festgemacht und geborgen ist. Wir

verdanken am Ende die Moglichkeit, uns dem idealistischen

Sinnbegriff zu entziehen und sozusagen die Seinsfiille oder

Wahrheit, die uns aus der Kunst anspricht, in der Doppel-

wendung von Aufdecken, Entbergen, Offenlegen und von

Verborgenheit und Geborgensein zu vernehmen, dem Denk-

schritt, den Heidegger in unserem Jahrhundert getan hat.

Er zeigte, daB der griechische Begriff von Entborgenheit,

& J . l J { tE W , nur die eine Seite der Grunderfahrung des Men-

schen in der Welt ist, Neben der Entbergung und untrenn-

bar von ihr steht gerade die Verhiillung und die Verber-

gung, die Teil der Endlichkeit des Menschen ist. Diesephilosophische Einsichr, die dem Idealisrnus einer reinen

Sinnintegration ihre Schranken setzt, schlieflt ein, daB im

Werk der Kunst noch mehr ist als nur eine auf unbestimmte

Weise als Sinn erfahrbare Bedeutung. Es ist das Faktum

dieses einen Besonderen, das dies »Mehr« ausmachr: daB es

so etwas gibt; urn mit Rilke zu sprechen: »So etwas stand

unter den Menschen.« Dieses, daB es das gibt, die Faktizi-

tat, ist zugleich ein uniiberwindlicher Widerstand gegen aIle

sich iiberlegen glaubende Sinnerwartung. Das anzuerken-

nen, zwingt uns das Kunstwerk. »Da ist keine Stelle, die

Dich nicht sieht. Du mulit Dein Leben andern.« Es ist einSrofs, ein UmgestoBen-Werden, was durch die Besonderheit

geschieht, in der uns jede kiinstlerische Erfahrung entgegen-

tritt.21

Das erst fiihrt zu einer angemessenen begrifflichen Selbst-

verstandigung iiber die Frage, was eigentlich die Bedeut-

samkeit der Kunst ist. Ich mochte den Begriff des Symbo-

lischen, wie er durch Goethe und Schiller gewahlt worden

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ist, in der Richtung vertiefen bzw. in der ihm eigenen Tiefe

entfalten, daB ich sage: Das Symbolische verweist nicht nur

auf Bedeutung, sondern laBt sie gegenwartig sein: es repra-

sentiert Bedeutung. Bei dem Begriff »reprasentieren- hat

man an den kirchenrechtlichen und staatsrechtlichen Begriff

der Reprasentation zu denken. Reprasentation meint dort

nicht, daB etwas stellvert retend oder uneigentlich und in-

direkt da ist, als ob es ein Substitut, ein Ersatz ware. Das

Reprasentierte ist vielmehr selber da und so, wie es iiber-

haupt da sein kann. In der Anwendung auf Kunst wird

etwas von diesem Dasein in Reprasentation festgehalten.

So, wenn etwa eine bekannte Personlichkeit, die eine be-

stimmte Publizitar bereits besitzt, im Port rat reprasentativ

dargestellt ist. Das Bild, das in der Halle des Rathauses

oder ~m kirchlichen Palast oder wo immer aufgehangt ist,

5011 em Stuck ihrer Gegenwart sein. Sie ist selbst in der re-

prasentativen Rolle, die sie hat, in dem reprasentativen

Portrat da. Wir rneinen, daB das Bild selbst reprasentativ

ist. Natiirlich bedeutet das nicht eine Bilder- und Gotzen-verehrung, wohl aber, daB es nicht ein bloBes Erinnerungs-

zeichen, Verweis auf und Ersatz fur ein Dasein ist, wenn es

sieh urn ein Werk der Kunst handelt.

Mir ist - als Protestant - der in der protestantischen Kirche

ausgefochtene Abendmahlsstreit immer sehr bedeutsam ge-

wesen, insbesondere zwischen Zwingli und Luther. Mit

Luther bin ich der Uberzeugung, daB die Worte Jesu: "Dies

ist mein Fleisch, und dies ist mein Blur- nichr meinen, daB

Brot und Wein dies »bedeuten«. Luther hat, glaube ich, das

ga~z recht gesehen und hat in diesem Punkt, soviel ich

welB, durchaus an der alten romisch-katholischen Traditionfestgehalten, daB Brot und Wein des Sakramentes das

Fleisch und das Blut Christi sind. - Ieh nehme dieses dog-

matische Problem nur zum AnlaB, urn zu sagen, so etwas

konnen wir den ken und miissen wir sogar denken, wenn

wir die Erfahrung der Kunst denken wollen; daf im Kunst-

werk nicht nur auf etwas verwiesen ist, sondern daB in ihm

eigentlicher da ist, worauf verwiesen ist. Mit anderen Wor-

46

Das Kunstwerk bedeutet einen Zuwachs an Sein. Das

cheidet es von all den produktiven Leistungen der

JVJl~nISC[ln~ltn Handwerk und Technik, in denen die Gerate

Einrichtungen unseres praktisch-wirtschaftlichen Le-

entwickelt wurden. Zu ihnen gehort es offenkundig,

daB jedes Stuck, das wir machen, lediglich als Mittel und

Werkzeug dient. Wir sagen 'nicht, daB es ein "Werk<, ist,

wenn wir einen praktischen Haushaltsgegenstand erwerben.

Es ist ein Stuck. Es gehort zu ihm die Wiederholbarkeit derHerstellung desselben und damit die grundsatzliche Ersetz-

barkeit eines jeden solchen Gerates oder Geratestdckes fur

den bestimmten Funktionszusammenhang, fur den es ge-

dacht ist,

Umgekehrt ist das Werk der Kunst unersetzlich. Selbst im

Zeitalter der Reproduzierbarkeit, in dem wir stehen, in dem

Kunstwerke hochster Art in auBerordentlich guter Qualitar

der Abbildung uns begegnen, bleibt das wahr. Die Fotogra-

fie oder die Schallplatte sind Reproduktion, aber nicht Re-

prasentarion. In der Reproduktion als solcher ist nichts

mehr von dem einmaligen Ereignis, das ein Kunstwerk aus-

zeichnet (selbst noch, wenn es sich bei der Schallplatte urn

das einmalige Ereignis einer »Interpretation«, d. h. selber

einer Reproduktion, handelt), Wenn ich eine bessere Re-

produktion finde, werde ich die altere durch sie ersetzen;

wenn sie mir abhanden kommt, erwerbe ich eine neue. Was

ist dies andere, das im Kunstwerk noch gegenwartig ist,

anders als in einem beliebig oft herstellbaren Werkstuck?

Es gibt eine antike Antwort auf die Frage, die man nur

wieder richtig verstehen muB: In jedem Kunstwerk ist so

etwas wie [tL[tl1(H;, wie imiratio. Mimesis heiBt hier freilich

nicht, etwas schon Vorbekanntes nachahmen, sondern etwas

zur Darstellung bringen, so daB es auf diese Weise in sinn-

licher Fiille gegenwartig ist. Der antike Gebrauch dieses

Wortes ist von dem Sternentanz her gewahlt.P Die Sterne

sind die Darstellung der reinen mathernatischen Gesetz lich-

keiten und Proportionen, die die Ordnung des Himmels

ausmachen. In diesem Sinne hat die Tradition, glaube ich,

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recht, wenn sie sagr: "Kunst ist immer Mimesis«, d. h., sie

bringt etwas zur Darstellung. Wobei wir uns nur vor dem

Miflverstandnis hiiten miissen, zu meinen, dieses Etwas, das

da zur Darstellung kommt, ware noch auf andere Weise

erfafsbar und »da« als dadurch, daB es sich in so sprechen-

der Weise darstellt. Auf dieser Basis halte ich die Frage, ob

gegenstandslose Malerei oder gegenstandliche Malerei, Fi i r

eine kurzschliissige kultur- und kunstpolitische Mache. Viel-

mehr gibt es sehr viele Formen des Gestaltens, in denen »es«sich darstellt, jeweils in der Verdichtung eines nur so und

einmalig Gestalt gewordenen Gebildes und bedeutsam als

ein Unterpfand von Ordnung, so verschieden von unserer

taglichen Erfahrung das auch sein mag, was sich so dar-

bietet. Die symbolische Reprasentation, die Kunst leistet,

bedarf keiner bestimmten Abhangigkeit von vorgegebenen

Dingen. Gerade darin liegt vielmehr die Auszeichnung der

Kunst, daB das, was in ihr zur Darstellung kommt, ob reich

oder arm an Konnotationen oder ein reines Nichts der-

selben, uns zum Verweilen und zur Zustimmung bewegt

wie ein Wiedererkennen. Es wird zu zeigen sein, wie sich

gerade von dieser Charakteristik her die Aufgabe ausnimmt,

die die Kunst aller Zeiten und die Kunst von heute fur

jeden von uns stellt. Es ist die Aufgabe, das, was da spre-

chen will, horen zu lernen, und wir werden uns eingestehen

miissen, daB Horenlernen vor allem rneint, sich aus dem

alles einebnenden Uberhoren und Ubersehen zu erheben,

das eine immer reizmachtigere Zivilisation zu verbreiten

am Werk ist.

Wir haben uns die Frage gestcllt, was eigentlich durch die

Erfahrung des Schonen und insbesondere die Erfahrung

der Kunst iibermittclt wird. Die entscheidende Einsicht, die

man dabei gewinnen mufs, war, daB man nicht von einer

einfachen Obertragung oder Vermittlung von Sinn sprechen

kann. Mit dieser Erwartung wiirde man das, was da erfah-

ren wird, von vornherein in die allgemeine Sinnerwartung

der theoretischen Vernunft einbeziehen. Solange man mit

den Idealisten, etwa mit Hegel, das Kunstschone alsodas

48

Scheinen der Idee definiert - an sich eine geniale

platonischer Winke iiber die Einheit des

und des Schonen -, setzt man notwendigerweise vor-

daB man iiber diese Art des Erscheinens des Wahren

U<LU""'1J'<=ll kann und daB eben der philosophische Gedanke,

die Idee denkt, die hochste und angemessenste Form

Erfassung dieser Wahrheiten sei, Es schien uns der Irr-

oder die Schwache einer idealistischen Asthetik zu sein,

sie nicht sieht, daB es gerade die Begegnung mit demund der Erscheinung des Wahren nur in der

ist, worin sich die Auszeichnung der Kunst

uns als eine nie zu iiberbierende ergibt. Das war der

Sinn von Symbol und symbolisch, daB hier eine paradoxe

Art von Verweisung erfolgt, die die Bedeutung, auf die es

verweist, zugleich in sich selber verkorpert und sogar ver-

biirgt. Nur in dieser gegen das pure Begreifen widerstandi-

gen Form begegnet Kunst - es ist ein StoB, den das Grofse

in der Kunst uns erteilt -, weil wir immer unvorbereitet,

immer wehrlos gegen das Ubermachtige eines iiberzeugen-

den Werkes ihm ausgesetzt werden. Daher besteht das We-

sen des Symbolischen oder des Symbolhaften gerade darin,

daB es nicht auf ein intellektuell einzuholendes Bedeutungs-

ziel bezogen ist, sondern seine Bedeutung in sich einbe-

halt.

So schlieflt sich die Darlegung tiber den Symbolcharakter

von Kunst mit unseren Eingangsubcrlcgungen iiber das Spiel

zusammen. Auch dort entwickelte sich die Perspektive unse-

rer Fragestellung von da aus, daB das Spiel immer schon

eine Art Selbstdarstellung ist. Das fand bei der Kunst sei-

nen Ausdruck in dem spezifischen Charakter des Seins-

zuwachses, der repraesentatio, des Gewinnes an Sein, den

ein Seiendes dadurch erfahrt, daB es sich darstellt, In die-

sem Punkte scheint mir die idealistische Asthecik revisions-

bedurftig, da es darum geht, diesen Charakter der Erfah-

rung der Kunst angemessener zu fassen. Die allgemeine

Folgerung, die daraus zu ziehen sein wird, ist Iangst vor-

bereitet, namlich daB Kunst, in welcher Form immer, ob in

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der Form gegenstandlicher und vertrauter Traditionen oder

der Traditionslosigkeit des »Unvertrauten« von heute, in

jedem FaIle cine eigene Aufbauarbeit von uns verlangt.

Ich mochte daraus eine Folgerung ziehen, die uns einen

wirklich zusammenfassenden und Gemeinsamkeit bildenden

Strukturcharakter der Kunst vermitteln solI. DaE es sich

bei der Darstellung, die ein Kunstwerk ist, nicht darum

handelt, daE das Kunstwerk etwas darstellt, das es nicht

ist, daE es also in keinem Sinn Allegorie ist, d. h. etwassagt, damit man etwas anderes dabei denkt, sondern daE

man gerade in ihm selbst das, was es zu sagen hat, allein

finden kann, sollre als eine allgemeine Forderung und nicht

nur als eine notwendige Bedingung fur die sogenannte Mo-

derne verstanden werden. Es ist eine erstaunlich naive Form

gegenstandlicher Verbegrifflichung, wenn man vor einem

Bild in erster Linie nach dem fragr, was da dargestellt ist,

Natiirlich verstehen wir das mit. Es ist immer in unserem

Wahrnehmen einbehalten, sofern wir es erkennen konnen;

aber es ist sicherlich niche so, daE wir das als den eigent-

lichen Zielpunkt unserer Aufnahme des Werkes im Auge

haben. Urn dessen gewif zu sein, braucht man nur an die

sogenannte absolute Musik zu denken. Das ist gegenstands-

lose Kunst. Da ist es sinnlos, feste, bestimmte Verstehens-

und Einheitshinsichten vorauszusetzen - auch wenn das ge-

legentlich versucht wird. Auch kennen wir die Sekundar-

und Zwitterformen der Programmusik oder auch der Oper

und des Musikdramas, die eben als Sekundarformen auf die

Tatsache der absoluten Musik zuruckweisen, diese grofle

Abstraktionsleistung der Musik des Abendlandes, und ihren

Hohepunkt, die auf dem Kulturboden Alt-Osrerreichs er-

wachsene Wiener Klassik. Gerade an der absoluten Musik

laEt sich der Sinn unserer Frage illustr ieren, die uns standig

in Atem halt: Warum ist ein Musikstuck so, daE wir von

ihm sagen konnen: »Es ist etwas flach«, oder: »Das ist

wirklich grofle oder tiefe Musik«, etwa ein spates Beet-

hovensches Streichquartett? Worauf beruht das? Was tragt

hier diese Qualitat? Sicherlich nicht irgendein bestimmter

50

von etwas, das wir als Sinn namhaft machen konnen.

nicht eine quantitativ bestimmbare Masse an In-

""""J"';;", wie die Informationsasrhetik uns weismachen

Als ob es nicht gerade auf die Varietar im Qualitati-

ankame. Warum kann ein Tanzlied zum Passionschoral

. . . . . .1><""". , , , werden? Ist da immer eine geheime Zuordnung

Wort im Spiel? Mag sein, daE so etwas im Spiel ist,

die Interpreten der Musik sind immer wieder versucht,

Anhaltspunkte zu find en, sozusagen letzte Rest-von Begrifflichkeit. Auch beim Sehen der un-

Kunst werden wir ja niemals ganz aus-

schalten konnen, daE wir in unserer raglichen WeItorientie-

rung auf Gegenstande hin sehen. So horen wir auch in der

Konzentration, in der Musik fiir uns Erscheinung wird, mit

demselben Ohr, mit dem wir sonst das WOrt zu verstehen

suchen. Es bleibt ein unaufhebbarer Zusammenhang zwi-

schen der wortlosen Sprache der Musik, wie man zu sagen

liebt, und der Wortsprache unserer eigenen Rede- und

Kommunikationserfahrungen. Genauso bleibr vielleicht ein

Zusammenhang zwischen dem gegenstandlichen Sehen undSich-Orientieren in der WeIt und der kiinsrlerischen Forde-

rung, plotzlich aus den Elementen einer solchen gegenstand-

lich sichtbaren Welt neue Kompositionen aufzubauen und

an deren Spannungstiefe teilzugewinnen.

An diese Grenzfragen noch einmal erinnert zu haben ist

eine gute Vorbereitung, den kornmunikativen Zug sichrbar

zu machen, den Kunst von uns verlangt und in dem wir

uns vereinigen. Ich sprach am Anfang davon, wie sich die

sogenannte Moderne mindestens seit dem Beginn des

19. Jahrhunderts in einem Herausfallen aus der selbstver-

stand lichen Gemeinsamkeit der humanistisch-christlichen

Tradition befindet; wie nicht mehr die ganz selbstverstand-

lich verbindenden Inhalte vorliegen, die in der Form der

kiinsclerischen Gestaltung einzubehaIten sind, so daE ein

sie als selbstversrandliches Vokabular der neuen Aus-

kennt. Das ist in der Tat das andere, wie ich es formu-

daE namlich der Kilnstler seitdern nicht die Gemeinde

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ausspricht, sondern durch sein eigenstes Sich-Aussprechen

sich seine Gemeinde bildet. Trotzdem bildet er eben seine

Gemeinde, und der Intention nach ist diese Gemeinde die

Oikumene, das Ganze der bewohnren Welt, ist wahrhaft

universal. Eigentlich sollte sich jeder - das ist die Forde-

rung aIler kiinstlerisch Schaffenden - der Sprache oHnen,

die in einem Kunstwerk gesprochen wird, und sie sich als

seine eigene aneignen. Ob eine vorbereitende selbstverstand-

liche Gemeinsamkeit unserer Weltsicht die Formung undGestaltung des Kunstwerkes tragt oder ob wir uns erst an

dem Gebilde, mit dem wir konfrontiert werden, sozusagen

»einbuchstabieren- miissen, das Alphabet und die Sprache

dessen lernen miissen, der uns hier etwas sagt, es bleibt da-

bei, daf) es in jedem Falle eine gemeinsame Leistung, die

Leistung einer potentieIlen Gemeinsamkeit ist.

III

Das ist der Punkt, an dem ich als dritren den Titel Fest ein-fiihren mochte. Wenn etwas mit aIler Erfahrung des Festes

verkniipfr ist, dann ist es dies, daf) es jede Isolierung des

einen gegenuber dem anderen verweigert. Das Fest ist Ge-

meinsamkeit und ist die DarsteIlung der Gemeinsamkeit

selbst in ihrer vollendeten Form. Fest ist immer fUr alle. So

sagen wir »jernand schliefst sich aus«, wenn er am Fest nicht

teilnimmr. Es ist nicht leicht, sich uber diesen Charakter des

Festes und die mit ihm verkniipfce Struktur von Zeiterfah-

rung klare Gedanken zu machen. Man fiihlt sich da nicht

getragen und gestutzt durch die bisherigen Wege der For-

schung; doch gibt es einige bedeutende Forscher, die ihrAuge in diese Richtung gelenkt haben. Ich erinnere an Wal-

ter F. Otto'", den klassischen Philologen, oder an Karl

Kerenyi'", den deutsch-ungarischen klassischen Philologen,

und selbstverstandlich ist es von jeher ein theologisches

Thema, was eigentlich das Fest und die Zeit des Festesist,

52

Vielleicht durfte ich von folgender erster Beobachtung aus-

gehen. Man sagt: »Feste werden gefeiert; Festtag ist Feier-

tag.« Aber was heif)t das? Was heif)t »Feiern eines Fesres«?

»Feiern« nur etwas Negatives: nicht arbeiten? Und

wenn - warum? Die Antwort muf doch wohl sein: weil

offenbar die Arbeit uns trennt und teilt. In der Richtung

auf unsere tatigen Zwecke vereinzeln wir uns, bei aller Zu-

sammenfassung, die die gemeinsame Jagd oder die arbeits-

reilige Produktion seit jeher notig machte, Dagegen ist dasFest und das Feiern offenbar dadurch bestimmt, daf) hier

nicht erst vereinzelt wird, sondern alles versammelt ist.

Diese Sonderauszeichnung des Feierns ist Freilich eine Lei-

stung, die wir nicht mehr gut konnen. Es ist cine Kunst, zu

feiern, Darin waren uns altere Zeiten und prirnitivere Kul-

turen weir uberlegen. Man fragt sich: Worin besteht diese

Kunst eigentlich? OHenbar in einer nicht recht bestimm-

baren Gemeinsamkeit, einem Sich-Versammeln auf etwas,

wovon niemand sagen kann, worauf man sich eigenrlich

dabei sammelt und versammelt. Das sind Aussagen, die

wohl nicht zufallig der Erfahrung des Kunstwerkes ahnlichsind. Das Feiern hat bestimrnte Darstellungsweisen. Es gibt

dafiir feste Formen, die wir Brauche nennen, alte Brauche,

und keiner davon ist ein Brauch, der nicht alt, d. h. zu einer

festen Ordnungsgewohnheit geworden ist. Es gibt da auch

eine Form des Redens, die der Feier und dem Fest ent-

sprieht und zugeordnet isr. Man spricht von Festreden.

Aber vie! mehr noch als die Form der festliehen Rede ge-

hort das Schweigen zur Feierlichkeit des Festes. Wir reden

von einem feierlichen Sehweigen. Wir konnen vom Schwei-

gen sagen, daf) es sich sozusagen ausbreitet, und so geht es

jedem, der unversehens vor ein Monument kunstlerischeroder religioser Gestaltung gestellt wird, das ihn »crschlagt«.

Ieh erinnere mich an das Nationalmuseum in Athen, wo so

aIle zehn Jahre einmal ein neues Wunder aus Bronze aus

den Tiefen der Agais gerettet und neu aufgestellt wird -

wenn man zum erstenmal in einen solchen Raum eintritt,

befallt einen ein absolutes feierliches Sehwcigcn. Man spurt,

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wie aile gemeinsam auf das hin versammelt sind, das einem

da begegnet. DaB das Fest gefeiert wird, besagt also, daB

dieses Feiern abermals eine Tatigkeit ist. Mit einem Kunst-

ausdruck kann man es eine intention ale Tatigkeit nennen.

Wir feiern - und das wird dort besonders deutlich, wo es

sich urn die Erfahrung der Kunst handelt -, indem wir uns

auf etwas versammeln. Es ist nicht einfach das Beisammen-

sein als solches, sondern die Intention, die aile eint und die

sie hindert, in Einzelgesprache zu zerfallen oder sich inEinzelerlebnisse zu zersplittern.

Fragen wir nach der Zeitstruktur des Festes und ob wir von

ihr aus an die Festlichkeit der Kunst und die Zeitstruktur

des Kunstwerks herankommen. Ich darf wieder den Weg

iiber eine sprachliche Beobachtung gehen. Es scheint mir die

einzig gewissenhafte Art, philosophische Gedanken kom-

munikabel zu machen, daf man sich dem unterordnet, was

die Sprache schon weiB, die uns aile verbindet. So erinnere

ich daran, daB wir von einem Fest sagen, man begehc es.

Die Begehung des Festes ist offenbar eine ganz spezifische

Vollzugsweise in unserem Verhalten. »Begehung« - manmuB sein Ohr fur Worte scharfen, wenn man denken will.

Begehung ist offenbar ein Wort, das die Vorstellung eines

Zieles, auf das hingegangen wird, ausdriicklich aufhebt. Die

Begehung ist so, daB man nicht erst gehen muf], urn dann

dort anzukommen. Indem man ein Fest begeht, ist das Fest

immer und die ganze Zeit da. Das ist der Zeitcharakter des

Festes, daB es »begangen- wird und nicht in die Dauer ein-

ander ablosender Momente zerfallt. Gewif macht man ein

Festprogramm, oder man ordnet einen festlichen Gottes-

dienst in artikulierter Weise und stellt sogar einen Zeitplan

auf. Das geschieht aber alles nur, wei! das Fest begangen

wird. Man kann dann auch die Formen seines Begehens

noch disponibel gestalten. Aber die Zeitstruktur von Be-

gehung isr gewif nicht die des Disponierens von Zeit.

Zum Fest gehort - ich will nicht sagen unbedingt (oder viel-

leicht doch in einem tieferen Sinne?) - eine Art Wieder-

kehr. Wir reden zwar von wiederkehrenden Festen im

54

zu einmaligen Festen. Die Frage ist, ob das

Fest nicht eigendich selbst immer nach seiner

verlangt. Wiederkehrende Feste werden nicht

benannt, wei! sie in eine Zeitanordnung eingetragen wer-

sondern umgekehrt, die Zeitanordnung entsteht durch

Wiederkehr der Feste: Das Kirchenjahr, das Geistliche

aber auch die Formen, in denen wir selbst in unserer

Zeitrechnung nicht einfach von der Zahl der

und dergleichen reden, sondern eben von Weih-und Ostern und was es sein mag - das alles repra-

in Wahrheit den Prim at des sen, was zu seiner Zeit

was seine Zeit hat, und unrerliegt nicht einer ab-

Berechnung oder Ausfiillung von Zeit.

scheint zwei Grunderfahrungen von Zeit zu geben, urn

es sich hier handelt." Die normale pragmatische Erfah-

von Zeit ist »Zeit fur etwas«, d. h. die Zeit, iiber die

disponiert, die man sich einteilt, die man hat oder niche

oder nicht zu haben meint, Es ist ihrer Srruktur nach

Zeit, etwas, was man haben muB, urn etwas hineinzu-

Extremes Beispiel der Erfahrung dieser Leere derist die Langeweile. Da wird Zeit gewissermaBen in

gesichtslosen Wiederholungsrhythmus als eine qua-

Prasenz erfahren. Gegeniiber der Leere der Lange-

steht die andere Leere der Oeschaftigkeir, d. h. nie

zu haben und immerfort etwas vorzuhaben. Etwas

ben erscheint hier als die Weise, in der Zeit erfahren

als die, die dazu notwendig ist oder fur die man den

Augenblick erwarten muli. Die Extreme der Lange-

und der Betriebsamkeit visieren Zeit in der gleichen

an: als etwas, das mit nichts oder mit etwas »ausge-

ist. Zeit ist hier als das erfahren, was »vertrieben«muf] oder vertrieben ist. Zeit ist hier nicht als Zeit

_ Daneben gibt es eine ganz andere Erfahrung von

und sie scheint mir sowohl mit der des Festes wie mit

der Kunst aufs tiefste verwandt. Ich mochte sie, im

zu der auszufullenden, leeren Zeit, die erf iillte

oder auch die Eigenzeit nennen. Jeder weiB, daB, wenn

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das Fest da ist, dieser Augenblick oder diese Weile vom

Fest erfiillt ist. Das ist nicht durch jemanden geschehen, der

cine leere Zeit auszufiillen hatte, sondern umgekehrt, die

Zeit ist festlich geworden, wenn die Zeit des Festes gekom-

men ist, und damit hangt unmittelbar der Charakter der

Begehung des Festes zusammen. Das ist das, was man

Eigenzeit nennen kann und was uns allen aus eigener Le-

benserfahrung bekannt ist. Grundformen der Eigenzeit sind

Kindheit, Jugend, Reife, Alter und Tod. Hier wird nichtgerechnet, und es wird nicht eine langsame Folge von leeren

Momenten zur ganzen Zeit zusammengestiickt. Die Konti-

nuitat des gleichmafsigen Flusses der Zeit, den wir mit der

Uhr beobachten und berechnen, sagt uns nichts iiber ju-

gend und Alter. Die Zeit, die jemanden jung oder alt sein

laBt, ist nicht die der Uhrzeit, Es ist offenkundig eine Dis-

kontinuitat darin, Plotz.lich ist jemand alt geworden, oder

plotzlich sieht man an jemandem: »das ist kein Kind mehr«;

wessen man da gewahr wird, ist seine Zeit, die Eigenzeit.

Das scheint mir nun auch fur das Fest charakteristisch, daB

es durch seine eigene Festlichkeit Zeit vorgibt und damitZeit anhalt und zum Verweilen bringt - das ist das Feiern.

Der berechnende, disponierende Charakter, in dem man

sonst iiber seine Zeit verfugt, wird im Feiern sozusagen

zum Stillstand gebracht,

Der Obergang von solchen Zeiterfahrungen des gelebren

Lebens zum Kunstwerk ist einfach. Die Erscheinung der

Kunst hat in unserem Denken immer eine grofse Nahe zur

Grundbestimmung des Lebens, welches die Srruktur des

»organischen- Wesens hat. So ist es fiir jeden verstandlich,

daB wir sagen: »ein Kunstwerk ist irgendwie eine orga-

nische Einheit«. Was darnit gemeinr ist, laBt sich schnell er-

klaren. Man meint damit, daB man spurt, wie hier jede

Einzelheit, jedes Moment an dem Anblick oder an dem

Text oder was es sonst ist, mit dem Ganzen geeint ist, so

daB es nicht wie etwas Angestiicktes wirkt oder herausfallt

wie ein Stiick Totes, in dem Strom des Geschehens Mit-

geschlepptes. Es ist vielmehr zentriert auf eine Art Mitre

56

Wir verstehen ja auch unter einem lebendigen Organis-

daB er solche Zentrierung in sich hat, so daB aIle seine

nicht einem bestimmten dritten Zweck untergeordnet

sondern der eigenen Selbsterhaltung und Lebendigkeit

. Kant hat das sehr schon bezeichnet als die »Zweck-

ohne Zweck«, die dem Organismus ebenso eigen

wie offenkundig dem Kunstwerk." Es entspricht dem

der altesten Bestimmungen, die es iiber das Kunst-

gibt: Etwas ist schon, »wenn nichts zu ihm hinzu-und nichts von ihm weggenommen werden kann«

·lSUJ<CICS J 27 Selbstverstandlich ist das nicht buchstablich,

cum grano salis zu verstehen. Man kann diese De-

sogar umdrehen und sagen: Daran gerade erweist

die Spannungsdichte dessen, was wir schiin nennen,

es einen Variabilitatsbereich moglicher Veranderungen,

Hinzufiigungen, Hinweglassungen zulalit,

von einer Kemstruktur aus, die nicht angetastet wer-

darf, wenn das Gebilde seine lebendige Einheit nicht

solI. Insofern ist ein Kunstwerk in der Tat ahnlich

ein lebendiger Organismus: eine in sich strukturierte• J.:.1111.1<=". Das aber heiBt: es hat auch seine Eigenzeit.

Naturlich meint das nicht, daB es seine Jugend und seine

Reife und sein Alter hat wie der wirkliche, lebendige Orga-

nismus. Wohl aber heifst cs, daB das Kunstwerk ebenfalls

nicht durch kalkulierbare Dauer seiner zeitlichen Er-

streckung, sondern durch seine eigene Zeitstruktur bestimmt

ist. Man denke an die Musik. Jeder kennt die vagen

Tempoangaben, die der Komponist zur Bezeichnung der

einzelnen Satze eines Musikstiickes verwendet; damit ist

etwas sehr Unbestimrntes angegeben, und doch ist es nichr

etwa eine technische Anweisung des Komponisten, von des-

sen Belieben es abhinge, daf etwas schneller oder lang-

samer »genommen« wird. Man muf die Zeit richtig neh-

men, d. h. so, wie es von dem Werk verlangt wird. Die

Tempoangaben sind nur Winke, um das »richtige- Tempo

einzuhalten oder sich auf das Ganze des Stiickes richtig

einzustellen. Das richtige Tempo ist niemals mefsbar, kalku-

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lierbar. Es ist eine der groEen Verirrungen, die durch die

Maschinenkunst unseres Zeit alters moglich geworden ist

und die in gewissen Landern besonders zentralistischer

Biirokratie auch auf den Kunstbetrieb iibergegriffen hat,

daE man hier normt, z. B. die authentische Aufnahme durch

den Komponisten oder eine vom Komponisten autorisierte,

authentische Aufnahme mit all ihren Tempi und Rhythmi-sierungen kanonisch macht. Die Durchfiihrung dessen ware

der Tod der reproduktiven Kunst und ihre volle Ersetzungdurch eine mechanische Apparatur. Wenn in der Repro-

duktion nur noch nachgeahmt wird, wie ein anderer die

authentische Wiedergabe ehedem gemacht hat, dann ist

man in ein unschopferisches Tun herabgemindert, und der

andere, der Zuhorer, merkt es - wenn er iiberhaupt noch

etwas merkt.

Hier geht es wiederum urn die uns schon lange bekannte

Differenzierung des Spielraums zwischen Identitat und

Differenz. Es ist die Eigenzeit des Musikstiickes, es ist der

Eigenton eines dichterischen Textes, was man finden muE,

und das kann nur im inneren Ohr geschehen. Jede Repro-duktion, jedes laute Aufsagen oder Hersagen eines Gedich-

res, jede Theaterauffiihrung, in der noch so groEe Meister

der mimischen und Sprechkunst oder Gesangskunst auf-

treten, verrnittelt eine wirkliche kiinstlerische Erfahrung des

Werkes selber nur dann, wenn wir mit unserem inneren

Ohr noch etwas ganz anderes horen als das, was wirklich

vor unseren Sinnen geschieht. Erst das in die Idealitat die-

ses inneren Ohres Erhobene, nicht die Reproduktionen,

Darstellungen oder mimischen Leistungen als solche, liefert

die Bausteine fiir den Aufbau des Werkes. Das ist eine Er-

fahrung, die jeder von uns macht, z. B. wenn man ein Ge-

dicht besonders im Ohr hat. Keiner kann einem das Ge-

dicht auf eine befriedigende Weise laut sagen, auch man

seiber nicht, Warum ist das so? Nun, offenbar treffen wir

wiederum auf die Reflexionsarbeit, die eigentlich geistige

Arbeit, die in dem sogenannten Genuf steckt. Nur weil wir

in dem Transzendieren der kontingenten Momente tatig

58

das ideale Gebildc. Urn ein Gedicht in reiner

angemessen zu horen, diirfte der Vor-

keine Stimmfarbe haben. Eine solehe steht

im Text. Aber jeder hat eine individuelle Stimmfarbe.

Srimme der Welt kann die Idealitat eines dichte-

Textes erreichen. Eine jede muE in gewissem Sinn

ihre Kontingenz beleidigen. Sich von dieser Kontin-befreien macht die Kooperation aus, die wir als

in diesem Spiel zu leisten haben.Thema der Eigenzeit des Kunstwerkes lliEt sich beson-

schon an der Erfahrung des Rhythmus beschreiben.

ist das fiir eine merkwiirdige Sache, der Rhythmus? Es

psychologische Forschungen, die uns zeigen, daE. dieeine Form unseres Horens und Begreifens

Wenn wir eine Folge von gleichmaliig sich wie-

Gerauschen oder Teneri ablaufen lassen, so

kein Horer unterlassen, diese Folge zu rhythrnisieren.

ist nun eigentlich der Rhythmus? Ist er in den objekti-

physikalischen Zeitverhaltnissen und den objektiven

Wellenvorgangen oder Tonwellen und der-

_ oder ist er im Kopf des Horenden? Nun, sicher-

ist das eine Alternative, die man als solche in ihrer

Roheit sofort erfassen kann. Es ist ja so,

daE man den Rhythmus heraushort und daB man ihn hin-

einhort. Dieses Beispiel des Rhythmus einer monotonen

Folge ist natiirlich kein Beispiel von Kunst .- aber es zeigt

an daf wir auch einen in der Gestaltung selbst gelegenen

Rhyrhmus nur horen, wenn wir von uns aus rhythmisieren,

d. h. wirklich seiber tatig sind, urn ihn herauszuhoren.

Jedes Kunstwerk hat also so etwas wie eine Eigenzeit, die

es uns sozusagen auferlegt. Das gilt nicht nur von den

trausitorischen Kiinsten, von Musik und Tanz und Sprache.

Wenn wir auf die statuarischen Kiinste hiniiberblicken, er-

innern wir uns, daf wir ja auch Bilder aufbauen und lesen

oder daB wir eine Architektur »ergehen«, »erwandern«.

Das sind auch Zeit-Gauge. Ein Bild wird nicht genauso

(schnell oder langsam) zuganglich wie das andere. Und gar

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erst Architektur. Es ist eine der groBen Falschungen, die

durch die Reproduktionskunst unserer Zeit aufgekommen

ist, daB wir die grofsen Bauwerke der menschlichen Kultur

dann, wenn wir sie erstmals im Original sehen, oft mit einer

gewissen Enttauschung aufnehmen. So male r isch, wie sie

aus den fotografischen Reproduktionen uns vertraut sind,

sind sie dann gar nicht. In Wahrheit bedeutet diese Ent-

taus chung, daB man iiberhaupt noch nicht iiber die bloBe

malerische Anblicksqualirar des Bauwerks hinaus zu ihm

als Architektur, als Kunst hingelangt ist. Da muB man hin-

gehen und hineingehen, da muf man heraustreten, da muB

man herumgehen, muf sich allmahlich erwandern und er-

werben, was das Gebilde einem fur das eigene Lebensgefuhl

und seine Erhohung verheifit. So mochte ich in der Tat die

Konsequenz dieser kurzen Dberlegung zusammenfassen: Es

geht in der Erfahrung der Kunst darum, daB wir am Kunst-

werk eine spezifische Art des Verweilens lernen. Es ist ein

Verweilen, das sich offenbar dadurch auszeichnet, daB es

nicht langweilig wird. Je mehr wir verweilend uns darauf

einlassen, desto sprechender, desto vielfalriger, desto reicher

erscheint es. Das Wesen der Zeiterfahrung der Kunst ist,

daB wir zu weilen lernen. Das ist vielleicht die uns zuge-

messene endliche Entsprechung zu dem, was man Ewigkeitnennt.

Fassen wir nun den Gang unserer Dberlegungen zusammen.

Wie bei jedem Riickblick gilt es, sich bewufstzumachen,

welchen Schrirt wir im Ganzen unserer Uberlegungen vor-

warts get an haben. Die Frage, vor die uns Kunst heute

stellt, enthalr von vornherein die Aufgabe, Auseinanderfal-

lendes und in Spannung Gegeneinanderstehendes zusarn-

menzubringen: auf der einen Seite den historischen Schein

und auf der anderen Seite den progressiven Schein. Der

historische Schein liill t sich als die Verblendung der Bildung

bezeichnen, derzufolge nur das aus der Tradition der Bil-

dung Vertraute bedeutungsvoll ist. Der progressive Schein

lebt umgekehrt in einer Art ideologiekritischer Verblendung,

60

der Kritiker glaubr, die Zeit sollte mit Heute und

neu anfangen, und damit den Anspruch erhebt, die

in der man steht, durch und durch zu kennen

hinter sich zu lassen. Das eigentliche Ratsel, das das

der Kunst uns aufgibt, ist gerade die Gleichzeitig-

von Vergangenem und Gegenwartigem. Niches ist blofse

fe und nichrs blofse Entartung, vielmehr miissen wir

fragen, was derartige Kunst als Kunst mit sich selbst

und auf welche Weise Kunst eine Dberwindung

Zeit ist. Wir haben das in drei Schritten versucht. Der

Schrier suchte eine anthropologische Grundlegung im

des Spieliiberschusses. Es ist eine menschliches

zutiefst bestimmende Auszeichnung, daB der Mensch

seiner eigenen Instinktarmut, in seinem eigenen Mangel

Fesrgelegtheit durch triebhafte Funktionen, sich in Frei-

versteht und zugleich in der Gefahrdung der Freiheit

die eben das Menschliche ausmacht. Ich folge darin

Einsichten der von Nietzsche inspirierten philosophischen

Anthropologie, die von Scheler, Plessner und Gehlen ent-

wickelt worden ist, Ich habe zu zeigen versucht, daB hier

die eigentlich menschliche Qualitat des Daseins erwachst,

die Vereinigung von Vergangenheit una Gegenwart, die

Gleichzeitigkeit der Zeiten, der Stile, der Rassen, der Klas-

sen. Das alles ist menschlich. Es ist - wie ich es eingangs

nannte - der strahlende Blick der Mnemosyne, der Muse

des Behaltens und Festhaltens, der uns auszeichnet. Es war

eines der Grundmotive meiner Darlegungen, bewubtzu-

machen, dall es eine Leistung des Haltens des Enrganglichen

ist, was wir in unserem Verhalten zur Welt und in unserer

gestalterischen Anstrengung - formend oder im Formen-

spiel mitspielend - meinen.

Insofern ist es nichr zufallig, sondern das geistige Siegel auf

die Innentranszendenz des Spiels, diesen Uberschuf in das

Beliebige, in das Gewahlte, in das Freigewahlte, dall sich in

dieser Tatigkeit in besonderer Weise die Erfahrung der End-

lichkeit des menschlichen Daseins niederschlagt. Was fur

den Menschen der Tod ist, ist ja Hinausdenken iiber die

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eigene Weile. Die Bestattung der Toren, der Kult der Toten

und der ganze ungeheure Aufwand an Totenkunst, an

Weihegaben, ist ein Pesthalten des Verganglichen und Ent-

ganglichen in einer eigenen neuen Dauer. Das scheint mir

nun der Schritt vorwarts, den wir Yom Ganzen unserer

Dberlegungen aus tun, wenn wir nicht nur den Uberschufs-

charakter des Spielens als die eigentliche Basis fiir unsere

schopferisch gestalten de Erhebung zur Kunst bezeichnen,

sondern als das tiefere anthropologische Motiv dahinter daserkennen, was das Spiel des Menschen und insbesondere

das Kunstspiel von allen Spielformen der Natur abhebt

und ihnen gegeniiber auszeichnet: Dauer zu verleihen.

Das war der erste Schritt, den wir getan hatten. Und an

ihn schlofl sich dann die Frage, was es eigentlich ist, was

uns in diesem Formenspiel und seiner Gestaltwerdung und

»Feststellung« zu einem Gebilde bedeutsam anspricht. Da

war es der alte Begriff des Symbolischen, an den wir an-

kniipften, Auch hier wieder mochte ich jetzt einen Schritt

we iter tun. Wir sagten: Symbol ist dasjenige, woran man

etwas wiedererkennt - so, wie der Gastfreund den Gast-

Freund an der tessera hospitalis wiedererkennt. Aber was ist

Wiedererkennen? Wiedererkennen ist nicht: etwas noch ein-

mal sehen. Wiedererkennungen sind nicht eine Serie von

Begegnungen, sondern Wiedererkennen heiBt: etwas als das,

als was man es schon kennt, erkennen. Es macht den eigent-

lichen Prozefs menschlicher »Einhausung- aus - ein Wort

Hegels, das ich in diesem Falle gebrauche -, daB jede Wie-

dererkenntnis von der Kontingenz der ersten Kenntnis-

nahme bereits gelost und in das Ideelle erhoben worden ist.

Wir kennen das alle. In Wiedererkenntnis liegt immer, daB

man jetzt eigentlicher erkennt, als man in der Augenblicks-

befangenheit der Erstbegegnung vermochte. Wiedererken-

nen sieht das Bleibende aus dem Fliichtigen heraus. Das ist

nun die eigentliche Funktion des Symbols und des Symbol-

gehalts aller kiinstlerischen Sprachen, diesen Prozefs zu voll-

enden. Nun war es Freilich gerade die Frage, urn die wir

uns miihen: Was erkennen wir denn eigentlich noch wieder,

62

wenn es sich urn Kunst handelt, deren Sprache, deren Vo-

kabular und Syntax und Stil so eigentiimlich leer sind und

die uns so fremd oder von den groBen klassischen Tradi-

tionen unserer Bildung fern erscheinen? Ist es nicht gerade

das Kennzeichen der Moderne, daB sie in so tiefer Symbol-

not steckt, daB uns in all dem atemlosen Progressismus

technischer, okonomischer und sozialer Fortschricrsglaubig-

keit die Moglichkeiten der Wiedererkennung geradezu ver-

weigert werden?Ich habe versucht zu zeigen, daB es nicht so ist, als konnten

wir hier einfach von reichen Zeit en der allgemeinen Sym-

bolvertrautheit und von armen Zeiten der Symbolentlee-

rung sprechen, als ob Gunst der Zeiten und Ungunst der

Gegenwart einfache Gegebenheiten waren, In Wahrheit ist

das Symbol eine Aufgabe des Aufbaus. Es gilt die Wieder-

erkennungsmoglichkeiten zu leisten, und das in einem

sicherlich sehr wei ten Umkreis von Aufgaben und gegen-

iiber sehr verschiedenen Angeboten der Begegnung. So ist es

gewif ein Unterschied, ob wir aufgrund unserer historischen

Bildung und in der Gewohnung an den biirgerlichen Kul-

turbetrieb ein Vokabular, das friiheren Zeiten das selbst-

verstandliche Vokabular ihres Sprechens war, nun in histo-

rischer Aneignung uns vertraut machen, so daB das gelernte

Vokabular historischer Bildung bei der Begegnung mit

Kunst mitspricht, oder ob auf der anderen Seite das neue

Buchstabieren unbekannter Vokabulare steht, das es bis zum

Lesenkonnen zu steigern gilt.Wir wissen doch, was Lesenkonnen heiBt. Lesenkonnen

heifst, daB die Buchstaben ins Unmerkliche verschwinden

und es der Sinn der Rede allein ist, der sich aufbaut. In

jedem Falle ist es erst die Sinnkonstitution in Srimmigkeit,

die uns sagen laih: »Ich habe verstanden, was hier gesagt

wird.« Das allererst bringt eine Begegnung mit der Sprache

der Formen, mit der Sprache der Kunst zu ihrer Voll-

endung. Ich hoffe, es ist nun klar, daB es sich urn ein

Wechselverhaltnis handelt. Der ist verblender, der glaubt,

daB er das eine ha as andere abstofsen kann. Man

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kann es sich nicht entschieden genug klarmachen: Wer

glaubt, moderne Kunst sei entartet, wird grofle Kunst frii-

herer Zeiten nicht wirklich erfassen. Es gilt zu lernen, daB

man jedes Kunstwerk erst buchstabieren, dann lesen lernen

muli, und dann erst beginnt es zu sprechen. Die moderne

Kunst ist eine gute Warnung zu glauben, man konnte, ohne

zu buchstabieren, ohne lesen zu lernen, die Sprache auch

der alten Kunst horen.

Freilich ist es eine Aufgabe des Leistens, die eine kommuni-kativ gemeinsame Welt nicht einfach voraussetzt oder

dankbar wie ein Geschenk annimmt, sondern eben diese

kommunikative Gemeinsamkeit aufzubauen hat. Das »irna-

ginare Museum«, diese beruhmte Formulierung von Andre

Malraux [iir die Gleichzeirigkeit aller Epochen der Kunst

und ihrer Leistungen in unserem Bewulstsein, ist - wenn-

gleich in einer vertrackten Form - cine sozusagen unfrei-

willige Anerkennung dieser Aufgabe. Es ist eben un sere

Leistung, diese »Sarnmlung« in unserer Imagination zu-

sammenzubringen, und die Pointe ist, daB wir sie nie be-

sitzen und nicht vorfinden, wie man etwa in ein Museumgehr, urn zu besichtigen, was andere gesammelt haben. Oder

anders gesprochen: Wir stehen als endliche Wesen in Tradi-

tionen, ob wir diese Traditionen kennen oder nicht, ob wir

uns ihrer bewufir sind oder verblendet genug sind zu mei-

nen, wir fingen neu an - das andert an der Macht der Tra-

ditionen iiber uns gar nichts, Wohl aber andert es etwas fiir

unsere Einsicht, ob wir den Traditionen, in denen wir

stehen, und den Moglichkeiten, die sie uns fiir die Zukunft

gewahren, ins Gesicht sehen oder ob man sich einbildet,

man konne sich von der Zukunft, in die wir hineinleben,

abwenden und uns neu programmieren und konstruieren.

Tradition heiBt Freilich nicht blofse Konservierung, sondern

Obertragung. Obertragung aber schliefst ein, daB man nichts

unverandert und bloB konservierend belafsr, sondern daB

man ein Alteres neu sagen und erfassen lernt, So gebrau-

chen wir auch das Wort »Ubertragung« [iir Uberset-zung.

64

Das Phanomen Obersetzung ist in der Tat ein Modell flir

das, was Tradition wirklich ist. Es mug zur eigenen Sprache

was die erstarrte Sprache von Literatur war. Dann

erst ist Literatur Kunst. Das gilt genauso von der bildenden

Kunst und genauso von der Architektur. Man denke daran,

was es fiir eine Aufgabe ist, groBe Bauwerke der Vergangen-

heit mit dem modernen Leben und seinen Verkehrsformen,

Sehgewohnheiten, Beleuchtungsmoglichkeiten und derglei-

chen fruchtbar und sachangemessen zu vereinigen. Ich darfals Beispiel erzahlen, wie es mich beriihrt hat, als ich auf

einer Reise auf der Iberischen Halbinsel endlich einmal in

einen Dom kam, in dem noch kein elektrisches Licht die

eigentliche Sprache der alten Dome Spaniens und Portugais

durch Erhellung verdunkelte. Die Fensterluken, in die man

wie in die Helle hinausblickt, und das geoffnete Portal,

durch das hinein das Licht in das Gotteshaus flutet, das

war offenkundig die eigentlich angemessene Form der Zu-

ganglichkeit dieser gewaltigen Gottesburgen. Das soil nun

nicht heiBen, wir konnten unsere Sehgewohnheiten einfach

ausschalten. Wir konnen das so wenig, wie wir un sereLebensgewohnheiten, Verkehrsgewohnheiten und all das

ausschalten konncn, Aber die Aufgabe, das Heute und jenes

steinerne Verbliebene von Vergangcnheit zusammenzubrin-

gen, ist cine gute Veranschaulichung fiir das, was Tradition

immer ist. Sie ist nicht Denkmalpflege im Sinne der Bewah-

rung, sie ist cine srandige Wechselwirkung zwischen unserer

Gegenwart und ihren Zielen und den Vergangenheiten, die

wir auch sind.Darauf kommt es also an: das, was ist, sein zu lassen. Aber

Seinlassen heiBt nicht : das, was man schon weif], nur wie-

derholen. Nicht in der Form eines Wiederholungserlebnisses,sondern durch die Begegnung selber bestimrnt, laBt man

das, was war, sein fiir den, der man ist.Endlich der dritte Punkt, das Fest. Ich mochte nicht mehr

wiederholen, wie sich die Zeit und die Eigenzeit der Kunst

zu der Eigenzeit des Festes verhalt, sondern mich auf den

einen Einzelpunkt konzentrieren, daB das Fest das aile Ver-

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einigende ist, Es scheint mir die Kennzeiehnung des Feierns,

daB es fUr keinen etwas ist als nur fur den, der daran teil-

nimmt, Das seheint mir eine besondere und mit aller Be-

wufstheit zu voIlziehende Anwesenheit. Daran erinnern

schlieflt ein, daB darnit unser Kulturleben mit seinen Statten

des Kunstgenusses und seinen Episoden der Entlastung Yom

taglichen Daseinsdruek in der Form der Bildungserfahrung

kritiseh befragt wird. Zum Begriff des Schonen gehorte ja,

wie ich erinnere, daB es Offentlichkeit meint, Stehen imAnsehen. Das aber schlielst ein, daB da eine Lebensordnung

isr, die u. a. auch die Formen kiinstlerischer Gestaltung, die

Dekoration, die architektonische Formung unseres Lebens-

raumes, die Ausschmiickung dieses Lebensraumes mit allen

moglichen Formen von Kunst umfailt. Wenn Kunst in

Wahrheit etwas mit Fest zu tun hat, dann heiBt das, daB

sie die Grenze einer solchen Bestimmung, wie ich sie be-

schreibe, und damit auch die Grenzen des Bildungsprivilegs

iibersteigen mull, ebenso, wie sie gegen die kommerziellen

Strukturen unseres gesellschaftlichen Lebens immun bleiben

muB. Darnit sei nicht bestritten, daB man mit Kunst Ge-

schafte machen kann und daB Kiinstlcr vielleicht auch der

Kommerzialisierung ihres Schaffens erliegen konnen. Aber

das ist eben nicht die eigentliche Funktion der Kunst, heute

und von jeher. Ieh darf an einige Tatsachen erinnern. Da

ist etwa die groBe griechische Tragodie - noch heute fiir die

bestgeschulten und scharfsinnigsten Leser eine Aufgabe. Ge-

wisse Chorlieder des Sophokles oder des Aischylos wirken

in der Gedrungenheit und Pointiertheit ihrer hymnischen

Aussagen fast hcrmetisch verschliisselr. Und dennoch war

das attische Theater die Vereinigung aller. Und der Erfolg,

die ungeheure Popularitat, die die kultische Integration der

Spiele im attischen Theater gewann, bezeugt, daB das nicht

die Reprasentation einer Oberschicht war oder zur Befrie-

digung cines Fcstkomitees diente, welches dann die Preise

fur die besren Stiicke verlieh.

Eine ahnliche Kunst war und ist sicherlich die aus der gre-

gorianischen Kirchenmusik sich herleitende grofse Geschichte

6 6

der abendlandischen Polyphonie. Eine dritte Erfahrung ist

cine, die wir aIle heute noch machen konnen, genau wie die

Griechen, und am selben Gegenstand: an der antiken Tra-

godie, Der erste Leiter des Moskauer Kiinstlertheaters (1918

oder 1919 nach der Revolution) wurde gefragt, mit wel-

chern revolutionaren Stuck er das revolutionare Theater er-

offnen wolle - und er hat mit ungeheurem Erfolg Konig

Odipus gespielt. Die antike Tragodie in jeder Zeit und filr

jede Gesellschaft! Der gregorianische Choral und seinekunstvolle Entfaltung, aber auch die Passionsmusiken Bachs

sind das christliche Gegenstiick dazu. Niemand kann sich

da tauschen: Hier geht es nicht mehr urn einen blofsen Kon-

zertbesuch; hier geht etwas anderes vor. Als Besucher eines

Konzertes wird einem deutlich, daB es sich da urn eine

andere Form von Gemeinde handelt, als sie sich anlafslich

der Auffiihrung einer Passionsmusik in groBen Kirchenrau-

men versammelt. Da ist es wie bei einer antiken Tragodie.

Solches reicht von dem hochsten Anspruch kiinstlerischer,

musikalischer, historischer Bildung bis zu der einfachsten

Bediirftigkeit und Empfanglichkeit des mensch lichen Her-

zens.Nun behaupte ich in allem Ernst: Die Dreigroschenoper

oder Schallplatten, von denen moderne Songs erschallen,

die von der Jugend heute so sehr geliebt werden, sind ge-

nauso legitim. Sie haben ebenfalls eine aile Klassen und aIle

Bildungsvoraussetzungen iiberspielende Moglichkeit der

Aussage und der Kommunikationsstiftung. Ich meine da-

mit nicht den Rausch der massenpsychologischen An-

steckung, die es auch gibt und die gewiB immer ein Beglei-

ter echrer Gemeinschaftserfahrung war. In unserer Welt

der starken Reize und oft unverantwortlich kommerziell

gesteuerten Experimentiersucht ist ohne Frage vieles von

der Art, daB wir nicht sagen konnen, daB es wirklich Kom-munikation stifret. Rausch als solcher ist keine bleibende

Kommunikation. Aber es hat etwas zu sagen, daB unsere

Kinder sich auf selbsrverstandlichsce Weise in einem gewis-

sen Bespieltwerden durch Musik, wie man es nennen muE,

67

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oder in oft sehr kahl wirkenden Formen abstrakter Kunst

leicht und unmittelbar ausgedriickt fuhlen.

Wir sollten uns klar sein, daB das, was wir hier als harm-

los en Kampf urn das zu horende Programm oder die auf-

zulegende Platte im Generationenzwiespalt, oder sagen wir

besser: in der Kontinuirat zwischen den Generationen er-

fahren - denn wir Alteren lernen ja -, auch im Grolien

unserer Gesellschaft vor sich geht. Wer meint, unsere Kunst

sei eine blofse Kunst der Oberschicht, irrt sich gewaltig.Wer so denkt, vergifst, daB es Sportstadien, Maschinenhal-

len, Autobahnen, Volksbibliotheken, Berufsschulen gibt, die

mit gutem Recht oft viel luxurioser ausgestattet sind als

unsere trefflichen alten humanistischen Gymnasien, in denen

der Schulstaub fast ein Bildungselement war - und denen

ich personlich aufrichtig nachtrauere. Schliefslich vergillc er

auch noch die Massenmedien mit ihrer Diffusionswirkung

iiber das Ganze unserer Gesellschaft. Wir soli ten nicht ver-

kennen, daB es immer auch einen verniinfrigen Gebrauch

solcher Dinge gibt. Gewifs liegt eine ungeheure Gefahr fiir

die menschliche Zivilisation in der Passivitat, die durchBenutzung allzu bequemer Multiplikatoren der Bildung ein-

tritt. Das gilt vor allem fiir die Massenmedien. Aber gerade

da stellt sich an jeden die humane Forderung, an den Klte-

ren, der anzieht und erzieht, wie an die Jiingeren, die an-

gezogen und erzogen werden, zu lehren und zu lernen durch

das eigene Tun. Was von uns verlangt wird, ist ebendies:

die Aktivitat unseres eigenen Wissenwollens und Wahlen-

konnens angesichts von Kunst, wie von allem, was auf dem

Wege der Massenmedien verbreitet wird, einzusetzen. Dann

erst erfahren wir Kunst. Die Untrennbarkeir von Form und

I?halt wird als die Nichtunterscheidung wirklich, durch

die uns Kunst als das, was uns etwas sagt und uns aussagt,

begegnet.

Wir brauchen uns nur die Gegenbegriffe klarzumachen, an

denen sich diese Erfahrung sozusagen niederschlagt. Ich

mochte zwei Extreme beschreiben. Das eine ist die Form

des Genusses einer Bekanntheitsqualitat. Hier Iiegt, wie ich

6 8

glaube, die Geburt von Kitsch, von Unkunst. Man hort her-

aus, was man schon weiB. Man will gar nichts anderes

horen, und man genieilt diese Begegnung als cine, die einen

nicht umstofst, sondern auf eine welke Weise bestatigt. Das

ist gleichbedeutend damit, daB der fur die Sprache der

Kunst Bereite gerade die Gewolltheit dieser Wirkung spiirt.

Man merkt, hier wird etwas mit einem gewollt. Aller

Kitsch hat etwas von dieser oft sehr gut gemeinten, sehr

gutwilligen und gutgesinnten Angestrengtheit an sich - unddoch zerstort das gerade die Kunst. Denn Kunst ist etwas

nur, wenn es des eigenen Aufbauens des Gebildes im Lernen

des Vokabulars, der Formen und der Inhalte bedarf, damit

sich Kommunikation wirklich vollbringt.

Die zweite Form ist das andere Extrem zum Kitsch: das

asrherische Geschmacklertum, Man kennt es im besonderen

im Verhalten zu den reproduktiven Kiinstlern. Man geht in

die Oper, wei! die Callas singt, nicht wei! diese bestirnmte

Oper aufgefiihrt wird. Ich verstehe, daB das so ist. Aber ich

behaupte, daB das nicht eine Erfahrung von Kunst zu ver-

mitteln verspricht. Offenkundig isr es eine Sekundarrefle-xion, sich den Schauspieler oder den Sanger und iiberhaupt

den Kiinstler in seiner Mittlerfunktion bewuBtzumachen:

Die vollendete Erfahrung eines Kunstwerkes ist so, daB

man gerade vor der Diskretion der Akteure mit Bewunde-

rung steht: daB sie sich nicht selbst zeigen, sondern das

Werk, seine Komposition und seine innere Koharenz bis

zur ungewollten Selbsrverstandlichkeit evozieren. Hier han-

dele es sich urn zwei Extreme: das »Kunstwollen« zu be-

stimmten manipulierbaren Zwecken, das sich im Kitsch dar-

stellt, und die vollige Ignorierung der eigentlichen Anrede,

die ein Werk der Kunst an uns richter, zugunsten einerasthetischen Sekundarschicht von Geschmacksfreuden.

Zwischen diesen Extremen scheint mir die eigentliche Auf-

gabe zu liegen. Sie besteht darin, anzunehmen und einzu-

behalten, was sich uns dank der Formkraft und Gestal-

tungshohe echter Kunst iibermittelt. Am Ende ist es erne

Art Schwundproblem odereine sekundare Frage, wieviel

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durch historische Bildung vermitteltes Wissen dabei ilber-

haupt in Anschlag gebracht wird. Die Kunst der alteren

Zeiten erreicht uns nur im Durchgang durch den Filter der

Zeit und der lebendig erhaltenden, lebendig verwandelnden

Oberlieferung. Die gegenstandslose Kunst der Moderne

kann - sicherlich nur in ihren besten, von uns heure kaum

von den Irnitationen unterscheidbaren Prod uk ten - genau

die gleiche Dichtigkeit ihrer Fiigung und die gleiche Mog-

lichkeit unmirtelbaren Ansprechens haben. Im Werk derKunst wird das, was noch nicht in der geschlossenen Ko-

harenz eines Gebildes, sondern im Voriiberfluten da ist, in

ein bleibendes, dauerndes Gebilde verwandelt, so da£ in es

hineinwachsen zugleich auch hei£t: iiber uns hinauswachsen.

Da£ "in der zogernden Weile einiges Haltbare sei« - das ist

Kunst heute, Kunst gestern und von jeher.

[Der vorliegende Text ist eine iiberarbeitete Fassung der Vor-

lesungen, die der Verfasser unter dem Titel »Kunst als Spiel,

Symbol und Fest« wah rend der Salzburger Hochschulwochen vom

29. Juli bis 10. August 1974 gehalten hat. Die urspriingliche Fas-

sung erschien in dem von Ansgar Paus herausgegebenen Sammel-

band sarntlicher Vorlesungen der Salzburger Hochschulwochen1974: Kunst beute, Graz: Styria, 1975, S. 25-84.J

70

Anmerkungen

1 Jetzt in: Gadamer, Platos dialektische Ethik, Hamburg 21968,

S. 181-204.2 Vgl. etwa meine Schrift Hegels Dialektik, Tiibingen 1~71,

S. 80 f. und vor all em den Aufsatz »Kunst und Kunstphilo-

sophie 'der Gegenwart. Oberlegungen mit . . Riicksicht. auf

Hegel« von Dieter Henrich, in: Immanente Asthetzk - Astbe-

tische Rejlexion. Lyrik als Paradigma ~er Modern:, h;sg. vo~Wolfgang Iser, Miinchen 1966, und rneme Rezension 1Il: Phi-

losophische Rundschau 15 (1968) S. 291 ff. . . .. . .

3 Vg!. Gottfried Boehm, Studien zur Perspektiuitat. Pbilosopbie

und Kunst in der Friihen Neuzeit, Heidelberg 1969.

4 Vgl. meinen Aufsatz »Verstummen die Dichter?«,. in: Zeit-

wende. Die neue Furche 5 (1970) S. 364 H.; auch 1Il: Kleine

Schri/ten IV, Tiibingen 1977. ., . . .5 Vg!. Reinhart Koselleck, »H'istorra magistra vitae«, m : Natur

und Gescbichte. Karl Linoith zum 70. Geburtstag, Red. Her-

mann Braun und Manfred Riedel, Stuttgart 1967.

6 Aristoteles, Metaphysika 6, Kap. 1.

7 Plato, Politeia 601 d, e.8 Aristoteles, De arte poetica 1451 b 5.9 Vg!. Alfred Baeumler, Kanis Kritik der Urte_ilskra/t, ihre

Geschichte und Systematik, Bd. 1, Halle 1923, Einl,

10 Kant, Kritik der Urteilskra/t, Berlin 1790.

11 Kant, Kritik der Urteilskra/t, §§ 22, 40.12 Vg!. meine Analyse in: Wahrheit und Methode, Tiibingen

'1975, S. 39 ff.

13 Vgl. Max Kommerell, Lessing und Aristoteles. Untersucbung

iiber die Theorie der Tragodie, Frankfurt a. M. '1970.

14 Kant, Kritik der Urteilskra/t, § 13.15 Ingarden, Das literariscbe Kunstwerk, Tiibingen 41972.

16 Hamann, Asthetik, Leipzig 1911.17 Gadamer, Wahrbeit und Methode, S. 111 H.18 Hegel, Vorlesungen iiber die Astbetik, hrsg. von Heinrich

Gustav Hotho, Berlin 1835, Ein!. 1,1.19 Das hat Theodor W. Adorno in seiner Astbetischen Tbeorie,

Frankfurt a. M. 1973 (zuerst erschienen in: Gesammelte

Scbrijten, Bd. 7, Frankfurt a. M. 1970), ausfiihrlich beschrie-

ben.

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20 Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner tecbniscben Re-

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produzierbarkcit, Frankfurt a. M. 1969 (edition suhrkamp28).

21 Vgl. Martin Heidegger, De': Ursprung des Kunstwerkes, Stutt-

gart 1960 u. ii. (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8446 [2]).

22 Vgl. Hermann Koller, Die Mimesis in der Antike. Nacb-

ahmung, Darstel lung, Ausdruck, Bern 1954 (DissertationesBernenses 1,5).

23 Otto, Dionysos. Mythos und Kultus, Frankfurt a. M. 1933.

24 Kerenyi, »Vom Wesen des Festes«, in: Gesammelte Werke,Bd. 7: Antike Religion, Miinchen 1971.

25 Vgl, vom Verfasser: »Leere und erfiillte Zeit« in : KleineSchrijten III, Tiibingen 1972. '

26 Kant, Kritik der Urteilskrajt, Einl.

27 Aristoteles, Ethika Nikomacheia B 5, 1106 b 9.

28 Vgl. Richard Honigswald, »Vom Wesen des Rhythmus«, in:

Die Grundlagen der Denkpsychologie. Studien und AnalysenLeipzig, Berlin 21925. '

72

Biographische Notiz

Hans-Georg Gadamer, geboren am 11. Februar 1900 in

Marburg, aufgewachsen in Breslau, Reifepriifung am Gym-

nasium zum Heiligen Geist in Breslau, Ostern 1918 Stu-

dium der Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und

Philosophie in Breslau, Marburg und Miinchen.

1922

1924-27

1929

1933

1937

1939

1946/47

1947-49

1949

1940

1950

1951

1968-72

1970

1971

1971

1971

Mai: Promotion zum Dr. phil. bei Paul Natorp.

Studium der Klassischen Philologie in Marburg.

Staatspriifung fiir das hohere Lehramt.

Habilitation in Marburg bei Martin Heidegger.

Lehrauftrag fUr Erhik und Asthetik.

Ernennung zum n.b. a.o. Professor.

1. Januar: o. Professor der Philosophie an der

Universitat Leipzig ..

Rektor der Universitat Leipzig.

o. Professor in Frankfurt am Main.

Ab Oktober: o. Professor in Heidelberg als

Nachfolger von Karl Jaspers.

Mitglied der Sachsischen Akademie der Wissen-

schaften zu Leipzig.

Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissen-

schaften.

Mirglied der Darmstadter Akademie fUr Sprache

und Dichtung.

Prasidenr der Heidelberger Akademie der Wis-

senschaften.Mirglied der Akademie der Wissenschaften In

Athen.

Ritter des Ordens "Pour le rnerite«.

Trager des GroBen Bundesverdienstkreuzes mit

Stern.Trager des Reuchlin-Preises der Stadt Pforzheim.

73