Geert Mak DIEBRÜCKEVONISTANBUL · PDF fileDer Boreas, aus Nordost, treibt im Winter den...

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  • Geert Mak

    DIE BRCKE VON ISTANBUL

    Eine Reise zwischen Orient und Okzident

    Aus dem Niederlndischen

    von Andreas Ecke

    Pantheon

  • Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-100

    Das fr dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier Pamo House liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.

    .

    Dritte AuflagePantheon-Ausgabe Oktober 2007

    De brug 2007 by Geert MakCopyright der deutschsprachigen Ausgabe 2007

    by Pantheon Verlag, Mnchen, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

    Umschlaggestaltung: Jorge Schmidt, MnchenSatz: Ditta Ahmadi, Berlin

    Druck und Bindung: GGP Media GmbH, PneckPrinted in Germany

    ISBN: 978-3-570-55040-3

    www.pantheon-verlag.de

    Die niederlndische Originalausgabe wurde im Mrz 2007 unter dem Titel De brug von der Stiftung CPNB im Rahmen der niederlndischen Buchwoche

    verffentlicht. Die niederlndische Buchhandelsausgabe wird bei Uitgeverij Atlas, Amsterdam/Antwerpen, erscheinen.

  • Auf der Brcke schliet man keine Freundschaften;

    Von der Brcke aus schaut man zu.

    Sait Faik

  • I

    S C H W A R Z E R W I N D

    Auf der Brcke rechnet man nur in Millionen. Gestern hab ich fr zwanzig Millionen gefangen, lauter Sardinen.Drei Millionen fr das schnste Foto Ihres Lebens! Zwei Tee,

    das macht dann eine halbe Million, vielen Dank. Ich steh hier

    schon seit dem frhen Morgen; vier Millionen, wann kommt

    endlich mal wieder Geld ber die Brcke? Echtes Chanel, fnf

    Millionen!

    Die hohe Stimme der Losverkuferin schallt durch die La-

    denpassage: Wer spielt mit um hundert Milliarden? Wer spielt

    mit? In dem Schaufenster hinter ihr warten Zeus-, Super-, Kral-

    2000-Magnum- und Blue-Compact-Pistolen auf Kufer, nicht

    zu vergessen die kleineren Damenpistolen, die elegante Geax

    und die Class-mini. Schon fr zehn Raten zu je fnfundzwanzig

    Millionen hat man die Macht ber Leben und Tod in der Tasche.

    Die Brcke bietet alles, was der Mensch so braucht: Kmme,

    Gesundheitssandalen, Zigaretten, tanzende Mdchenpuppen,

    Gucci-Tassen und Rolex-Uhren fr lcherliche zwanzig Millio-

    nen, Nokia-Handys von fragwrdiger Herkunft, Regenschirme,

    mit ppigen Blumenwiesen bedruckt, Rasierpinsel, Kondome

    und endlos vorwrtsrobbende Infanteristen aus graugrnem

    Plastik, die alle zehn Sekunden eine Salve herunterrattern. Eine

    Million ist ungefhr einen halben Euro wert. Eigentlich ist es

    altes Geld aus der Zeit vor der groen Whrungsreform, aber die

    Brcke hat ihre eigene Whrung. Und den Fisch gibt es als Zu-

    gabe, als Geschenk der Brcke. Immer hngen Angeln ber dem

    Gelnder.

    7

  • Heute ist der Tag der dicken Sardinen. Es ist ein Rtsel, wo-

    her sie so pltzlich kommen, aber unter der Brcke mssen sich

    gerade gewaltige Schwrme aufhalten nchste Woche beien

    dann wieder nur ein paar magere Fischlein an. Eine resolute

    Dame zieht Fisch um Fisch aus dem Wasser, whrend Ausflugs-

    boote und rostige Schlepper unter der Brcke herbrummen und

    Straenbahnen die Gehwege erzittern lassen. Frher war sie

    Krankenschwester, ist dann in Rente gegangen, arbeitet jetzt im

    Computerhandel. Seit zehn Jahren angelt sie hier schon, inner-

    halb weniger Stunden fischt sie das Abendessen fr ihre Familie

    zusammen. Fr mich ist das eine Form von Meditation. Sie

    zndet sich eine Zigarette an und reicht mir ihre riesige Angel.

    Fhlen Sie mal, es entspannt. In der Ferne schieben sich Tan-

    ker vorbei, rote Schttgutfrachter auf dem Weg von der Krim

    nach Europa, weie amerikanische Kreuzfahrtschiffe.

    So wie manche Regionen ein gutes Dutzend Wrter fr Regen,

    Schnee oder Nebel kennen, so unterscheidet diese Stadt fast

    zwanzig Arten von Wind, und die Fischer haben jeder dieser

    Arten ihren eigenen Namen gegeben. Wenn der Angenehme

    Sturm, der Sturm der Amseln oder der Sturm der Kuckucke von

    Westen kommt, wird das Frhjahr mild und trocken. stliche

    Winde wie der Fischsturm bringen mit ihrem Morgennebel in

    der Hitze des Sommers Abkhlung und zu allen Jahreszeiten

    Regen. Der Boreas, aus Nordost, treibt im Winter den Schnee in

    die Stadt.

    Jetzt warten alle auf die Frhjahrsstrme, die Strme der

    Schwalben und der Schwne. Die Stadt hat schon eine Touris-

    muskampagne gestartet. Drei Millionen Tulpen sind gepflanzt

    worden: Wo man hinschaut Tulpen, sogar oben auf den Hub-

    trmen der Brcke wiegen sie sich in der kalten Luft, dicke Bla-

    sen aus rotem und gelbem Kunststoff.

    Aber vorerst kommt das Wetter noch vom Schwarzen Meer,

    8

  • der Schwarze Wind weht und bringt mit schner Regelmig-

    keit heftige Schauer. Die Angler haben sich in Plastik, Segeltuch

    und alte Kunstdngerscke gehllt. Fhren pendeln durchs

    Grau, Mwen fliegen vorbei, glnzend schwarze Schirme schau-

    keln ber die Brcke, das andere Ufer versteckt sich in wei-

    em Nebel. Am Nordkai werden die schweren Motoren der Prof.

    Dr. Aykut Barka und der Mehmet Akif Ersoy angelassen, ihre Schorn-

    steine spucken fettigen, schwarzen Qualm, eine rasante Dre-

    hung, und die beiden Fhrschiffe brausen davon. Auf den Fern-

    sehschirmen der Cafs unter der Brcke schwimmen den lieben

    langen Tag Korallenfische hin und her, und sie bleiben heute

    auch die Einzigen, die den Kellnern Gesellschaft leisten.

    Alle haben in den Unterfhrungen vor und hinter der Br-

    cke Schutz gesucht. Auf der Altstadtseite riecht es wie immer

    nach Bratfisch, aber kein Kunde lsst sich blicken. Die jungen

    Zigarettenverkufer, bellaunig vom Nichtstun, spielen an die-

    sem Vormittag verrckt. Jeder Auslnder, jeder Hinkende, der

    vorbeikommt, wird zur Zielscheibe ihrer Scherze. Der Parfm-

    verkufer hat sich im Windschutz eines vorstehenden Abfluss-

    rohrs an eine alte Mauer gedrckt: ein Mann in einem zu groen

    Jackett, die Taschen vollgestopft mit billigen Imitationen; eine

    von den Gestalten, um die man am liebsten einen Bogen macht,

    wenn man ber die Brcke geht, mit denen man aber zufllig

    ins Gesprch kommt, weil es regnet und man ohnehin nichts

    anderes tun kann.

    Er erzhlt von seinem Dorf, er erzhlt wahrscheinlich im-

    mer von seinem Dorf. Es lag in den Bergen, es klebte am Hang,

    zwlf Huser, Ziegen, Schafe, ein paar kleine Kartoffelcker,

    Bohnen fr die Armee, manchmal Tomaten fr die Stadt, wir ka-

    men gerade so ber die Runden. Schon mit sieben musste er ar-

    beiten, im Sommer Schafe hten, dann Brennholz sammeln, bis

    der erste Schnee fiel. Spielzeug kannten wir nicht. Wir haben

    mit Steinen gespielt.

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  • Heute gibt es sein Dorf nicht mehr, die Familien, die es be-

    wohnten, sind alle fortgezogen, sogar aus den offiziellen Statis-

    tiken hat man es gestrichen. Zu gro waren die Familien ge-

    worden, manchmal kamen auf jedes Haus zehn, fnfzehn Men-

    schen, und so viele hungrige Muler konnte das Dorf nicht

    stopfen. Ich werde nie vergessen, wie wir in einer Winternacht

    von einem Wolfsrudel berfallen worden sind, bestimmt zwan-

    zig Schafe haben sie gerissen. Danach sind alle weggegangen,

    was htten wir sonst machen sollen?

    Was aus den zwlf Familien geworden ist, wei der Parfm-

    verkufer auch nicht so genau, ja, die meisten sind nach Europa

    gegangen, einer in die Niederlande. Er selbst fand Gelegen-

    heitsjobs in der Stadt: in einem Schiestand, einem Restaurant,

    einem Frisrladen. Er verkaufte Wasser, Obst, Fisch, Socken und

    Armbanduhren. Er heiratete, wurde geschieden; er wohnt in

    einem Gasthaus und lebt fr die seltenen Sonntagnachmittage,

    an denen er mit seinem kleinen Sohn ein paar Stunden durch

    die Stadt spazieren darf. Die Brcke ist sein Los, daran ist nichts

    zu ndern. Schule oder Studium, das htte meine Familie nicht

    bezahlen knnen, sie war arm, so einfach war das. Ich kann mei-

    nen Verpflichtungen nachkommen, ich kann gerade eben fr

    mich selbst sorgen, ich bin allein, deshalb.

    Nachts lebt er nun wieder fter in dem Dorf mit den zwlf

    Husern, dann hrt er die Stimmen des Morgens Vgel, Schafe,

    den Wind, den Fluss; das Gras raschelt unter seinen Schritten, er

    spielt mit den Steinen. Jetzt wartet er wie eine nasse Katze da-

    rauf, dass der Regen aufhrt: Morgen, sagt der Wetterbericht,

    denn dann kommt Schnee.

    Die Brcke ist kaum zu bersehen. Man fliegt auf die Stadt zu,

    auf diese zehn Millionen Seelen; auf ihre Villen und Wohn-

    trme, die wie Wellen die Hgel berziehen; auf die Meerengen

    und Buchten, die diese Stadt durchschneiden; auf die Hnge-

    10

  • brcken zwischen Europa und Asien, ber die sich die Kon-

    vois der Fernlaster schieben, Stostange an Stostange; auf die

    Schiffe, die zu Dutzenden vor den Hafeneinfahrten liegen und

    schon seit Ewigkeiten vor sich hin zu rosten scheinen; auf die

    verfallenen Bastionen und Stadtmauern des versunkenen Impe-

    riums; auf die Blaue Moschee, ber der immer weie Vgel se-

    geln, scharf abgehoben vom Abendhimmel. Und dann fllt der

    Blick unweigerlich auf die Brcke.

    Oder man stt unerwartet auf die Brcke. Man geht die

    schmalen Straen am Basar hinunter, vorbei an den Stnden mit

    Kselaiben und Oliven, an den Ladentischen, die berquellen

    von Glsern mit Honig und eingemachten Frchten; an den

    Eisenwarenhandlungen, an den Lden mit Sgen, fen und Tee-

    kannen; an den Mnnern, die sich mit wrdiger Miene hinter

    Kartons voller Kugelschreiber und Papiertaschentcher postiert

    haben; an den Metzgereien mit Wrsten, Mgen und Zie-

    genkpfen in der Auslage; an