Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Eine vorläufige Liste der Confounder

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Gefahrden Magnetfelder die Gesundheit? 33 unternommen, wei! die Diagnose so klar sei, was ubrigens keineswegs stimmt, weil Dunkelziffern des Selbstmords in Unfallziffern - insbesondere bei Verkehrsun- fallen - versteckt sein konnen (HAENDEL 1982; HUTCHERSON u. a. 1980). (DaB diese These nieht allzu sieher fundiert ist, muB freilich zugegeben werden: JEN- KINS u. a. 1980; SOUETREC 1988.) Dennoch mag es ein leidlich vernunftiges Mo- dell dieser Hypothese geben: wie spater gezeigt wird (Kapitel 11.3), konnten Mag- netfelder das Pinealorgan erregen, und uber dieses Organ konnten Depressionen erzeugt werden (WILSON 1988). Die Wirkungen auf das Pinealorgan sind zwar an der Ratte gepruft worden (WILSON u. a. 1981), aber in starken Feldern, die nieht als Modellfall fUr unser Problem dienen konnen. Auch hier ist also Skepsis angebracht. 6 Eine vorlaufige Liste der Confounder Confounder konnen auf grundsatzlich zweierlei Weisen epidemiologische Resul- tate verzerren. Der Confounder als ein krankheitsauslosender EinfluB muB zunachst hinsieht- lich seines Vorkommens mit dem Vorliegen einer Noxe so gekoppelt sein, daB der Confounder mit der Noxe zwar korreliert, aber eben nieht nur mit dieser Noxe zusammen vorkommt. Nennen wir die Zahl der Faile N, die Noxe X, den Con- founder Y, so ist zwar N= a·f(X, Y) (1) zugleieh aber ist X= b·f(Y) . (2) Diese beiden Gleiehungen geben die Grundbedingungen an, unter denen eine fremde Einwirkung fUr die zu messende Einwirkung ein Confounder ist. Diese konkurrierende Einwirkung kann zweierlei Charakteristika aufweisen: Der Con- founder kann die zu erklarende Krankheit unabhangig von der Noxe auslosen, das heiBt: die Gleiehung (2) druckt nieht eine gemeinsame Wirkung aus, sondern nur die Tatsache, daB der Confounder und die eigentliche Noxe, deren Wirkung wir feststellen wollen, aus unbekannten Grunden gemeinsam auftreten, aber Con- founder und Noxe - je fur sieh allein - durchaus kanzerogen sind. So konnte ein starkes Magnetfeld in den Wohnungen wohlhabender Menschen - durch ho- heren Stromverbrauch - starker sein. Zugleieh aber konnte (was der Fall ist) Ar- mut mit hoheren Krebshaufigkeiten einhergehen, Reiehtum also Krebs verhin- dern, und beide Effekte konnten sieh (was nicht der Fall zu sein scheint) kompen- sieren. In den obigen Gleichungen ist dann die Konstante b sehr viel kleiner als die Konstante a. Gilt aber X * f (Y), das heiBt: hiingen X und Yin keiner Weise - 245 - H. Schaefer, Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1991

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Gefahrden Magnetfelder die Gesundheit? 33

unternommen, wei! die Diagnose so klar sei, was ubrigens keineswegs stimmt, weil Dunkelziffern des Selbstmords in Unfallziffern - insbesondere bei Verkehrsun­fallen - versteckt sein konnen (HAENDEL 1982; HUTCHERSON u. a. 1980). (DaB diese These nieht allzu sieher fundiert ist, muB freilich zugegeben werden: JEN­KINS u. a. 1980; SOUETREC 1988.) Dennoch mag es ein leidlich vernunftiges Mo­dell dieser Hypothese geben: wie spater gezeigt wird (Kapitel 11.3), konnten Mag­netfelder das Pinealorgan erregen, und uber dieses Organ konnten Depressionen erzeugt werden (WILSON 1988). Die Wirkungen auf das Pinealorgan sind zwar an der Ratte gepruft worden (WILSON u. a. 1981), aber in starken Feldern, die nieht als Modellfall fUr unser Problem dienen konnen. Auch hier ist also Skepsis angebracht.

6 Eine vorlaufige Liste der Confounder

Confounder konnen auf grundsatzlich zweierlei Weisen epidemiologische Resul­tate verzerren.

Der Confounder als ein krankheitsauslosender EinfluB muB zunachst hinsieht­lich seines Vorkommens mit dem Vorliegen einer Noxe so gekoppelt sein, daB der Confounder mit der Noxe zwar korreliert, aber eben nieht nur mit dieser Noxe zusammen vorkommt. Nennen wir die Zahl der Faile N, die Noxe X, den Con­founder Y, so ist zwar

N= a·f(X, Y) (1)

zugleieh aber ist

X= b·f(Y) . (2)

Diese beiden Gleiehungen geben die Grundbedingungen an, unter denen eine fremde Einwirkung fUr die zu messende Einwirkung ein Confounder ist. Diese konkurrierende Einwirkung kann zweierlei Charakteristika aufweisen: Der Con­founder kann die zu erklarende Krankheit unabhangig von der Noxe auslosen, das heiBt: die Gleiehung (2) druckt nieht eine gemeinsame Wirkung aus, sondern nur die Tatsache, daB der Confounder und die eigentliche Noxe, deren Wirkung wir feststellen wollen, aus unbekannten Grunden gemeinsam auftreten, aber Con­founder und Noxe - je fur sieh allein - durchaus kanzerogen sind. So konnte ein starkes Magnetfeld in den Wohnungen wohlhabender Menschen - durch ho­heren Stromverbrauch - starker sein. Zugleieh aber konnte (was der Fall ist) Ar­mut mit hoheren Krebshaufigkeiten einhergehen, Reiehtum also Krebs verhin­dern, und beide Effekte konnten sieh (was nicht der Fall zu sein scheint) kompen­sieren. In den obigen Gleichungen ist dann die Konstante b sehr viel kleiner als die Konstante a. Gilt aber X * f (Y), das heiBt: hiingen X und Yin keiner Weise

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H. Schaefer, Gefährden Magnetfelder die Gesundheit?© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1991

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- direkt oder indirekt - zusammen, so haben wir keinerlei EinfluB von Y auf die durch X bedingte Haufigkeit der Hille, was bei den krebsauslosenden Noxen der Fall ist, welche offenbar die Mehrzahl der Fiille in allen Magnetfeld-Studien bewirkt haben.

Es ist natiirlich auch der Fall denkbar, daB sich Confounder und Magnetfeld wechselseitig in ihrer Wirkung verstiirken, wobei viele Arten dieser Wirkungsab­hangigkeit denkbar sind. Der Confounder konnte zum Beispiel eine "conditio sine qua non" darstellen, das heiBt: zur Wirkung der Noxe unerliiBlich sein. Er konnte femer die Wirkung der Noxe nur verstarken, ohne fUr sie unentbehrlich zu sein. Diese Verstarkung kann additiv oder potenzierend sein.

Fur die Frage, ob Magnetfelder kanzerogen sind, ergeben sich aus der bislang besten Studie von SAVITZ (1988) folgende Confounder:

1. der soziale Status des Vaters (Einkommen, Bildung); 2. die Rauchgewohnheiten der Mutter in der Schwangerschaft; 3. die Verkehrsdichte bei der Wohnung; 4. ein Wohnungswechsel in letzter Zeit; 5. das Alter der Mutter.

Diese Liste von Confoundem ist natfirlich von hochstem allgemeinen Interesse, weit uber die Frage der Magnetfeldwirkungen hinaus. Denn die erwahnten Con­founder werden in der Onkologie so gut wie nicht beachtet, erweisen aber anschei­nend im Zusammenhang mit Magnetfeldem eine deutlich kanzerogene Potenz.

Dank der guten Dokumentation der Daten bei SAVITZ ist es moglich, die Frage dieser Confounder leidlich zu klaren, obgleich die Zahl der zur Berechnung ver­fUgbaren Fiille oft sehr klein ist. Fur die LOsung unseres Problems sind folgende Fragen wesentlich:

1. Gibt es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Confounder und Krebs? 2. Wie groB ist die Sicherheit dieser Korrelation, insbesondere hinsichtlich ande­

rer Studien der Weltliteratur? 3. Wie weit wird die scheinbare Magnetfeldwirkung durch die verschiedenen

Confounder verzerrt? 4. Gibt es eine Moglichkeit, die scheinbare Wirkung der Magnetfelder nur aus

der Einwirkung von Confoundem zu erklaren?

Von diesen vier Fragestellungen scheint die erste, der Nachweis einer Dosis-Wir­kungs-Abhiingigkeit, zur Sicherung der GUltigkeit (Validitat) einer epidemiologi­schen Korrelation und ihrer kausalen Interpretation besonders wichtig und auch methodisch relativ einfach prufbar. Fur die angebliche Wirkung der Magnetfelder fand sie sich nur angedeutet (Kapitel 4.3). Findet sie sich bei Confoundem in kla­rerer Weise? (Vgl. Kapitel 7.2 und labelleD 9 und 10.)

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