gegen gegenworte - fb03.uni-frankfurt.de · Michael Zürn erläutert das Konzept ›Governance‹....

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gegen worte hefte für den disput über wissen E 9,– rat und tat Politikberatung im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft 18. Heft | Herbst 2007 Strategien zur wissenschaftlichen Politikberatung diskutieren Günter Stock , Peter Weingart , Justus Lentsch und Carl Friedrich Gethmann . Risikosteuerung untersucht Ortwin Renn , und Jens Reich blickt zurück auf den Nationalen Ethikrat. Renate Künast sagt, was sie von den Experten erwartet. Der Sicherheitsberatung widmet sich Gunther Hellmann . Reinhard F. Hüttl plädiert für eine Nationale Akademie der Wissenschaften. Astrid Epp nimmt Alltagsrisiken unter die Lupe. Stefan Böschen rät zur gesell- schaftlichen Selbstberatung. Stephan Johannes Seidlmayer erinnert an die Beratungsresistenz der Pharaonen. Zur Instrumentalisierung von Hartz und Experten äußert sich Katja Patzwaldt . Felix Wassermann entwirft das Porträt des politischen Beraters. Jürg Beeler würdigt Blaise Pascal und Kleopatras Nase. Michael Zürn erläutert das Konzept ›Governance‹. Als Macht ohne Verantwortung werden die Beratungsfirmen von Thomas Leif gesehen. Alexander Bogner und Wolfgang Menz entdecken Expertendissens und Bastelkonsens. Janina V. Curbach beschäftigt sich mit den Nicht- regierenden. Hans Richard Brittnacher interessiert sich für Seni als Berater Wallensteins, und Tim B. Müller analysiert die Politikberatung in den USA. Mit Einführung und Dokumentation.

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g e g e nworteh e f t e f ü r d e n d i s p u t ü b e r w i s s e n

E 9,–

rat und tatPoli t i kberatung im Spannungsfe ld von W issenschaft , Po li t i k und Gese l l schaft

18 . Hef t | Herbs t 2007

Strateg ien zur w issenschaft li chen Po li t i kberatung d iskut ieren GünterStock , Peter Weingart , Justus Lentsch und Car l Fr iedr ich Gethmann.R isi kosteuerung untersucht Ortw in Renn, und Jens Reich b li ck t zurück aufden Nat iona len Eth ikrat . Renate Künast sagt , was sie von den Expertenerwartet . Der S icherhei tsberatung w idmet si ch Gunther He l lmann. ReinhardF. Hüt t l p läd iert für eine Nat iona le Akademie der W issenschaften . As tr idEpp nimmt A l ltagsr isi ken unter d ie Lupe. Stefan Böschen rät zur gese l l -schaf t li chen Se lbstberatung. Stephan Johannes Seid lmayer er innert an d ieBeratungsresis tenz der Pharaonen. Zur Instrumenta li sierung von Hartzund Experten äußert si ch Kat ja Patzwa ldt . Fe li x Wassermann entw irf t dasPorträt des po li t i schen Beraters . Jürg Bee ler würd igt B la ise Pasca l undKleopatras Nase . M ichae l Zürn er läutert das Konzept ›Governance ‹ . A l sMacht ohne Verantwortung werden d ie Beratungsf irmen von Thomas Lei fgesehen. A lexander Bogner und Wo lfgang Menz entdecken Expertendissensund Baste lkonsens . Jan ina V. Curbach beschäft igt si ch m i t den N icht -reg ierenden. Hans R ichard Br i t tnacher interessiert si ch für Sen i a lsBerater Wa l lensteins , und T im B . Mü l ler analysiert d ie Po li t i kberatungin den USA . M i t E inführung und Dokumentat ion .

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Gegenworte 18 Umschlag 31.10.2007 15:16 Uhr Seite 1

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3 Rat und TatEinführung und Dokumentation

13 Günter StockPolitikberatung – aber wie?

15 Ortwin RennRisikosteuerung im Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Politik

21 Peter Weingart und Justus LentschForm follows Function

25 Carl Friedrich GethmannWissenschaftliche Politikberatung in Deutschland – was erwarten die Adressaten?

28 Michael ZürnWas heißt ›Governance‹?

33 Jens ReichInnenansicht. Vom Nationalen Ethikrat zum DeutschenEthikrat

36 Gunther HellmannBedrohung und Ungewissheit. Sicherheitsberatung in der Demokratie

39 Reinhard F. HüttlBrauchen wir eine Nationale Akademie der Wissenschaften?

42 Astrid EppIm Schatten des Medienspektakels: Kaum beachteteAlltagsrisiken

45 Thomas LeifMacht ohne Verantwortung

49 Katja PatzwaldtPolitik mit Kommission. Zur Instrumentalisierung von Hartz und Experten

53 Renate Künast»Die Kuh umzingeln«. Gespräch mit Wolfert von Rahden und Christoph Mielzarek

59 Stephan Johannes Seidlmayer»Euer Rat ist töricht«.Beratungsresistenz im alten Ägypten

61 Hans Richard BrittnacherSternenglanz und Staatskunst. Seni als Berater Wallensteins

65 Felix WassermannDer politische Berater. Ein politiktheoretisches Porträt

69 Jürg BeelerBlaise Pascal und die Nase der Kleopatra. Über Eigenliebe und Beratungsresistenz

Inha lt

Dokumentation

Dossier

Ansichten und Einsichten

Im Gespräch

Rücksichten

Gegenworte 18 Satz Neu 31.10.2007 15:14 Uhr Seite 1

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Gegenworte

, 18.

Heft

Herbst

2007

73 Tim B. MüllerDer Intellektuelle als politischer Akteur. Zur Politikberatung in den USA

76 Stefan BöschenGesellschaftliche Selbstberatung

78 Alexander Bogner und Wolfgang MenzZwischen Expertendissens und Bastelkonsens. Zur politischen Verwertung von Ethikexpertise

82 Janina V. CurbachWenn die Nichtregierenden mitregieren ...

Blick nach draußen:

Aussichten

»Es ist das Gegenwort, es ist das Wort,das den ›Draht‹ zerreißt, das Wort,das sich nicht mehr vor den ›Eckstehern und Paradegäulen der Geschichte‹ bückt,es ist ein Akt der Freiheit. Es ist ein Schritt.«Paul Celan

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Wenn man Probleme der ›äußeren Sicherheit‹ und mo-derne Anforderungen an Politikberatung aufeinander be-zieht, dann dominiert nach wie vor ein Verständnis vonBeratung, in dem sich Ratsuchende und Ratgebende ineiner asymmetrischen Beziehung begegnen – oder besser:gegenüberstehen. In dieser stilisierten Beratungssituationgibt ein wissender Ratgeber einem (relativ) unwissendenRatsuchenden sein Wissen weiter, damit dieser angemes-sener handeln kann. Die Bedeutung, die ursprünglich imaltgermanischen ›Rat(en)‹ aufgehoben war, ist hier na-hezu vollständig verschwunden. Im Wörterbuch der Brü-der Grimm hieß es: »das verbum [raten, GH] begriff alsgesamtbezeichnung alles das, was ein geschlechtsober-haupt dem von ihm abhängigen gegenüber zu leistenschuldig war an fürsorge jeder art und schutz«. Und Teildieser Bedeutung von ›raten‹ war auch »die erwägungdessen, was zu einer fürsorge nötig ist, mit den dazu beru-fenen«.

Über Fragen ›nationaler‹ oder ›äußerer‹ Sicherheitwird in diesem Sinne selbst in den reifsten westlichenDemokratien selten beraten. Wer nämlich zu den ›Berufe-nen‹ zählen sollte, ist angesichts beträchtlicher struktu-reller Wissensasymmetrien und prekärer Handlungszu-sammenhänge völlig unklar. In einer ›demokratisierten‹Politikberatung in modernen Wissensgesellschaften wäregrundsätzlich zu erwarten, dass neben den politisch Ver-antwortlichen einschlägig ausgewiesene (wissenschaft-liche und nicht-wissenschaftliche) Experten, aber auchdie breite Öffentlichkeit – vertreten beispielsweise durchLaien mit »interaktionsfähiger Expertise« (Collins/Evans, S. 254) – beteiligt wären. In diesem Dreieckherrscht jedoch eine – aufgrund des Problemgegenstands›Sicherheit‹ wohl unüberbrückbare – strukturelle Wis-sensasymmetrie zulasten der beiden Letzteren. Die Wis-sensproduzenten in staatlichen Einrichtungen (zum Bei-spiel Nachrichtendienste, Streitkräfte und Diplomaten)haben hier einen eindeutigen Vorsprung. Sie üben hoch

spezialisierte Tätigkeiten aus, mit für Außenstehendeteilweise schwer nachvollziehbaren, je spezifischen Me-thoden und eigenem Vokabular. Hinzu kommt ein res-triktives, staatliche Stellen bevorzugendes Regelwerk zurVerwertung erworbenen Wissens (»Geheimhaltung«),das umso rigider gehandhabt wird, je mehr Vorteile dieVerbreitung dieses Wissens anderen Staaten verschaffenkönnte. Ohne Zugang zu diesen exklusiven Informatio-nen werden die Experten außerhalb der Ministerialbüro-kratie und die Laien-Öffentlichkeit aber zum Spielballeiner privilegierten politischen Elite.

Diese strukturelle Wissensasymmetrie ist besondersprekär, weil vor allem die Gewährleistung der »äußerenSicherheit« in einem grundsätzlichen Spannungsverhält-nis zur Demokratie steht. Gängige allgemeine Definitio-nen von Sicherheit verfehlen dieses Spannungsverhältniszumeist: Wer Sicherheit als »Abwesenheit von Gefähr-dung« oder, positiv gewendet, als »Bestand von Werthaf-tem in der Zeit« (Frei/Gaupp, S. 5) bestimmt, umschreibtden Begriff zwar entsprechend dem üblichen Gebrauch,er lässt allerdings drei wichtige Anschlussfragen offen:

1) Von welchen Akteuren geht für welche Gruppe(n)eine Bedrohung aus?

2) Welche Werte gelten als schützenswert?3) Mit welchen Mitteln kann den identifizierten Be-

drohungen begegnet werden?Diese Fragen stellen sich in jeder Beratungssituation

über konkrete Sicherheitsprobleme, und sie so zu formu-lieren deutet bereits an, in welch heikler Situation sichhäufig jene finden, die sie beantworten müssen. In einemstrengen Sinne können wir nämlich nicht wissen, von wel-chen Akteuren Bedrohungen ausgehen oder welcheWerte schützenswert sind. Dies hängt natürlich zusam-men mit den zuvor genannten Rahmenbedingungen derGeheimhaltung und des manipulativen (oder doch zu-mindest ›strategischen‹) Umgangs mit Informationen.Wenn absichtliche Täuschung ein charakteristisches

Gegenworte

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G un ther He l lmann Bedrohung und Ungew isshei t

Sicherheitsberatung in der Demokratie

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Merkmal zwischenstaatlicher Kommunikation ist, dannist es grundsätzlich schwierig, verlässliches Wissen zu er-langen. Die staatlichen Analysten in den Botschaften undGeheimdienstzentralen haben es sich daher seit Langemzur Regel gemacht, nicht (so sehr) auf die (vermeint-lichen) Absichten anderer Staaten zu achten, sondern ihreFähigkeiten in den Mittelpunkt zu rücken – messbareGrößen wie Streitkräftestärken, technologisches Know-how und Ähnliches.

Noch wichtiger aber als diese strukturelle Ungewiss-heit scheint mir, dass (Un-)Sicherheit nie vorgefunden,sondern immer gemacht wird. Die sogenannte Kopenha-gener Schule der Internationalen Beziehungen hat dafürdie Formel von der »Versicherheitlichung als Sprechakt«vorgeschlagen. (Un-)Sicherheit wird dieser Denkweisezufolge dadurch hergestellt, dass es einem Sprecher durcheinen Akt der Versicherheitlichung gelingt, ein bestimm-tes Publikum (zum Beispiel die deutsche Öffentlichkeit)davon zu überzeugen, dass X (zum Beispiel ›Irak‹ oder›der islamistische Terrorismus‹) eine Bedrohung darstellt.Die Entsendung von Streitkräften, die Dislozierungneuer Waffensysteme oder die Ausarbeitung einer verän-derten Sicherheitsdoktrin sind lediglich die Folge derÜberzeugung, dass es a) gesicherte Werte gibt (zum Bei-spiel eine stabile und erhaltenswerte Demokratie inDeutschland) und b) dass diese Werte zugleich (zumindestin Teilen) unsicher (das heißt bedroht) sind. Sicherheitund Unsicherheit werden in diesem Sinne nie vorgefun-den. Vielmehr müssen sie durch passende Beschreibun-gen erst geschaffen werden. Diese Beschreibungen sind

weitreichende und hochpolitische Handlungen, denn siebilden die unabdingbare Voraussetzung für die Bereit-schaft zur Mobilisierung jener außergewöhnlichen Maß-nahmen, die unter dem Begriff des Ausnahmezustandesauch in nahezu allen demokratischen Rechtssystemen festverankert sind. Sicherheitspolitik bezeichnet in diesemSinne also all jene Maßnahmen, die von den außenpoliti-schen Repräsentanten eines Staates ergriffen werden, umGüter, die zugleich sichernswert, sicherungsfähig und be-droht sind, zu bewahren. Wichtig ist dabei, dass solcheGüter nur dann zu einem Gegenstand von Sicherheitspo-litik werden, wenn alle drei Bedingungen zugleich gege-ben sind. Wenn sie bereits gesichert (also: nicht bedroht)

erscheinen, sind sicherheitspolitische Vorkehrungenüberflüssig; wenn sie demgegenüber in einem Maße be-droht sind, dass keinerlei Handlung zu ihrer Sicherungführen würde, ist Sicherheitspolitik aussichtslos. Sicher-heitspolitik ist daher immer eine Gratwanderung. Siemuss in glaubwürdiger Weise vermitteln, dass Unsicher-heit besteht, aber durch eine bestimmte VorgehensweiseSicherheit hergestellt werden kann.

Diese beiden Dimensionen von Sicherheitspolitik– die Implikationen, die sich für unser Wissen aus derGrundkonstellation strategischer zwischenstaatlicherKommunikation ergeben, und die Notwendigkeit, (Un-)Sicherheit immer erst diskursiv erzeugen zu müssen –machen das Feld der äußeren Sicherheit für jeden Beraterzu einem Minenfeld. Jeder Sprechakt der Versicherheitli-chung (»X stellt [k]eine Bedrohung dar«) ist schon des-halb hochpolitisch, weil die Searle’sche sprechakttheore-tische Unterscheidung in ›Assertive‹ (Behauptungen überDinge in der Welt) und ›Direktive‹ (Wünsche, Forderun-gen und Empfehlungen) durch die Situationsbeschrei-bung selbst unterminiert wird. Auf die Frage, ob ›X‹ (sa-gen wir: ›Russland‹, ›die USA‹ oder ›Al Qaida‹) für ›Y‹(zum Beispiel ›Deutschland‹ oder ›die EU‹) eine Bedro-hung darstellt, erzwingt das Sprachspiel entweder ein ›Ja‹,ein ›Nein‹ oder eine ausweichende Stellungnahme. Jededieser Antworten ist allerdings nicht lediglich eine (Tat-sachen-)Feststellung von der Art »X ist eine Demokra-tie«. Vielmehr handelt es sich um eine weitreichende po-litische Handlung, weil sich daraus zwingend bestimmtepolitische Folgerungen ergeben. Wenn X (k)eine Bedro-

hung für Y ist, dann ergibt sich aus dem Sprachspiel be-reits die Richtung dessen, was sinnvollerweise zu tun ist.

Für die politischen Entscheidungsträger ist es zwin-gend, nicht nur diese Frage zu stellen, sondern auch zuAntworten (und damit politischen Schlussfolgerungen)zu kommen. Dies gilt selbst dann, wenn der Grad derGewissheit, der mit den jeweiligen Schlussfolgerungeneinhergeht, geringer ist als das, was wir normalerweise fürgesichertes Wissen halten. Für die Wissenschaft, die sichihrem ganzen Selbstverständnis nach auf die Prüfung derRichtigkeit und Angemessenheit einer Behauptung kon-zentrieren soll, sind solche Aussagen aber höchst proble-matisch, denn ob X für Y (k)eine Bedrohung darstellt, ist

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Sicherheit und Unsicherheit werden in diesem Sinne nie vorgefunden. Viel-mehr müssen sie durch passende Beschreibungen erst geschaffen werden.

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(nach allem, was wir wissen) nicht nur von bestimmtenmilitärischen Fähigkeiten und (aggressiven oder fried-lichen) Absichten, sondern auch davon abhängig, wie Y Xbeschreibt und wie sich dies wiederum auf die Beziehungzwischen beiden auswirkt. Mit anderen Worten: In derAußen- und Sicherheitspolitik sind im Verhältnis zwi-schen Politik und Wissenschaft gerade jene Felder ver-mintes Gelände, bei denen auf staatlicher Seite eine hoheNachfrage nach verlässlichem Wissen und ein beträcht-licher – wenn auch häufig innerhalb der Ministerialbüro-kratie regulierter – Beratungsbedarf besteht, zu dem dieWissenschaft ihrem Selbstverständnis nach aber schonaus ethischen Gründen jene klaren Antworten verweigernmuss, welche die Politik manchmal einfordert.

Wenn man sich dieser Argumentation anschließenkann, wird man auch die Gratwanderung erkennen, diesich insbesondere für die Gesellschaftswissenschaft alsFolge der von der Bundesregierung vor Kurzem ausgeru-fenen »nationalen Strategie zur Sicherheitsforschung«ergibt. Zwar wird das Gros der mehr als 100 MillionenEuro, die in den nächsten drei Jahren bereitgestellt wer-den, vor allem für die Natur- und Ingenieurwissenschaf-ten ausgegeben werden, um neue Instrumente, Verfahrenoder Geräte zu entwickeln, die vor dem Hintergrund ei-ner terroristischen Bedrohung helfen sollen, die Sicher-heit zu verbessern. In geringem Umfang sollen allerdingsauch die Gesellschaftswissenschaften beteiligt werden.Einerseits ist es natürlich ausgesprochen verlockend, aneinem umfangreichen Pool neuer Forschungsgelder zupartizipieren. Gleichzeitig bedarf es aber einer sorgsamenAbwägung, in welcher Weise sie sich hier ohne Kompro-mittierung wissenschaftlicher Standards engagieren kön-nen. Dies ist nicht prinzipiell unmöglich. Und es gibtauch gute Argumente, warum sie sich nicht entziehendürfen. So lässt sich etwa schwerlich leugnen, dass dieWahrnehmung einer terroristischen Bedrohung sehr realist. Wie einer EMNID-Umfrage von Anfang September2007 zu entnehmen ist, halten mittlerweile drei Viertelder Deutschen den ›islamistischen Terrorismus‹ für ge-fährlicher als die RAF in den 1970er Jahren. Jeder Viertefürchtet, selbst Opfer eines Terroranschlages zu werden,und jeder Zweite ist bereit, vorübergehend Einschrän-kungen persönlicher Freiheitsrechte hinzunehmen. Fürdie Gesellschaftswissenschaften wird es umso leichtersein, diese Gratwanderung zwischen politischer Legiti-mationsbeschaffung für den Staat und distanziert-enga-gierter kritischer Reflexion aufgrund frei verfügbarer In-

formationen im Blick auf die Öffentlichkeit zu bestehen,wenn drei Rahmenbedingungen als konstitutiv für dasVerhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in der mo-dernen Wissensgesellschaft akzeptiert werden können:a) dass es weiterhin gute Gründe gibt, systematisch zwi-schen ›Wissen‹ und ›Entscheiden‹ zu unterscheiden;b) dass wir notgedrungen mit strukturellen Wissens-asymmetrien wie auch mit konkurrierenden Wissens-angeboten leben müssen; und dass es daher c) in einerDemokratie wesentlich darauf ankommt, sowohl unsere»Wissensordnungen« (Weingart) so zu organisieren, dassmöglichst viele einschlägig ausgewiesene Wissensprodu-zenten an der Regulierung der Wissensbestände beteiligtwerden, wie auch institutionell dafür Sorge zu tragen,dass Forschung und Beratung als fortlaufender Prozess or-ganisiert werden. Das käme der alten Grimm’schen »er-wägung dessen, was zu einer fürsorge nötig ist, mit dendazu berufenen« schon wieder ziemlich nahe.

LiteraturH. Collins und R. Evans: The Third Wave of Science Studies: Studiesof Expertise and Experience, in: Social Studies of Science, Band 32,Nr. 2/2002, S. 235–296Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 16 Bände[in 32 Teilbänden]. Leipzig 1854–1960, elektronische Ausgabe derErstbearbeitung Frankfurt am Main 2004D. Frei und P. Gaupp: Das Konzept »Sicherheit« – TheoretischeAspekte, in: K.-D. Schwarz (Hg.): Sicherheitspolitik. Analysen zurpolitischen und militärischen Sicherheit. Bad Honnef-Erpel 31978,S. 3–16

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