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GENERALDIREKTION INTERNE POLITIKBEREICHE

FACHABTEILUNG B: STRUKTUR- UND KOHÄSIONSPOLITIK

VERKEHR UND FREMDENVERKEHR

INDUSTRIEERBE- UND AGRO-/LANDTOURISMUS IN EUROPA

STUDIE

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Dieses Dokument wurde vom Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments in Auftrag gegeben.

AUTOREN Bernard Lane Institut für Verkehr und Fremdenverkehr, Vereinigtes Königreich – Richard Weston, Nick Davies Elisabeth Kastenholz Joana Lima Janusz Majewsjki

VERANTWORTLICHE BEAMTER Piero Soave Europäisches Parlament Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik B-1047 Brüssel E-Mail: [email protected]

EDITIONSASSISTENZ Nóra Révész

SPRACHFASSUNGEN Original: EN. Übersetzung: DE, FR. ÜBER DEN HERAUSGEBER Kontakt zur Fachabteilung oder Bestellung des monatlichen Newsletters: [email protected] Redaktionsschluss: Januar 2013. © Europäische Union, 2013. Dieses Dokument ist im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.europarl.europa.eu/studies

HAFTUNGSAUSSCHLUSS Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung des Verfassers wieder und entsprechen nicht unbedingt dem Standpunkt des Europäischen Parlaments. Nachdruck und Übersetzung der Veröffentlichung – außer zu kommerziellen Zwecken – mit Quellenangabe gestattet, sofern der Herausgeber vorab unterrichtet und ihm ein Exemplar übermittelt wird.

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GENERALDIREKTION INTERNE POLITIKBEREICHE

FACHABTEILUNG B: STRUKTUR- UND KOHÄSIONSPOLITIK

VERKEHR UND FREMDENVERKEHR

INDUSTRIEERBE- UND AGRO-/LANDTOURISMUS IN EUROPA

Ein Überblick über die Entwicklungen, die sozioökonomischen Systeme und künftige

politische Themen in diesen Bereichen

STUDIE

Kurzfassung

Der vorliegende Bericht bietet eine Beschreibung und Analyse der Frage, wie, warum und wann sich der Industrieerbe-Tourismus und der Landtourismus in Europa entwickelt haben. Es werden aktuelle Fragen in diesen Bereichen diskutiert und Möglichkeiten vorgeschlagen, wie beide Aktivitäten erweitert werden und lebensfähiger und nachhaltiger gestaltet werden könnten, um so einen größeren wirtschaftlichen, ökologischen und soziokulturellen Nutzen für die beteiligten lokalen Gemeinden sowie für Europa insgesamt zu schaffen.

IP/B/TRAN/FWC/2010-006/Lot5/C1/SC2 2013 PE 495.840 DE

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

INHALT

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN 5

VERZEICHNIS DER TABELLEN 7

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN 7

ZUSAMMENFASSUNG 9

VORBEMERKUNG 13

1. TOURISMUS FÜR BESTIMMTE INTERESSENGRUPPEN: EINE EINFÜHRUNG 15

1.1. Das Wachstum im Bereich Tourismus in der Nachkriegszeit 15

2. WAS SIND DIE WICHTIGSTEN EIGENSCHAFTEN DES ANSTIEGS, DER DIVERSIFIZIERUNG UND DES WANDELS DES TOURISMUS? 19

2.1. Der Lebenszyklus einer Tourismusregion (Tourism Area Life Cycle – TALC) 20

2.2. Die Anerkennung der Erlebniswirtschaft 20

2.3. Ortsverbundenheit 21

2.4. Nachhaltiger Tourismus 21

2.5. Der „Triple Bottom Line“-Ansatz 22

2.6. Ökotourismus 22

2.7. Tourismus als Instrument zur Wiederbelebung 22

2.8. Langsamer Tourismus 23

2.9. Klimawandel 23

3. INDUSTRIEERBE-TOURISMUS UND LANDTOURISMUS: EINE BESTANDSAUFNAHME 25

3.1. Was ist Industrieerbe-Tourismus? 25

3.2. Was ist Landtourismus und was ist Agrotourismus? 29

3.3. Der Niedergang des Begriffs Agrotourismus? 31

3.4. Was waren die Ursprünge des Industrieerbe-Tourismus und des Landtourismus?32

4. DER NUTZEN DES INDUSTRIEERBE-TOURISMUS UND DES LANDTOURISMUS: EINE WIRTSCHAFTLICHE, ÖKOLOGISCHE UND SOZIOKULTURELLE ANALYSE 35

4.1. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des europäischen Industrieerbes 35

4.2. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Landtourismus 41

4.3. Sonstige Vorteile des Industrieerbe-Tourismus’ und des Landtourismus 42

4.4. Nachteile 46

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

5. FALLSTUDIEN 49

5.1. Fallstudien zum Industrietourimus 49

5.2. Fallstudien zum Landtourismus 70

5.3. Eine Fallstudie über eine Mischung aus Land- und Industrieerbe-Tourismus: Haslach, Österreich 87

5.4. Europaweite Organisationen 89

6. EINIGE WICHTIGE INSTRUMENTE FÜR DIE ENTWICKLUNG 97

6.1. Die Interpretation des Erbes 97

6.2. Markenbildung 98

6.3. Trails 99

6.4. Kulturerbe-Routen und -Regionen 100

6.5. Besucherzentren 102

6.6. Die Rolle der Museen 103

6.7. Das Management saisonabhängiger Besucherzahlen 103

6.8. Festivals 104

6.9. Lokale Entwicklungsgruppen 104

6.10. LEADER 105

7. PROBLEMBEWERTUNG: INNOVATIVE LÖSUNGEN 107

7.1. Probleme und Möglichkeiten 107

7.2. Empfehlungen 109

7.3. Probleme und Kosten 114

LITERATURVERZEICHNIS 115

ANHANG A: GEGENÜBERSTELLUNG DER MERKMALE DES STADT-/RESSORTTOURISMUS UND DES LANDTOURISMUS 123

ANHANG B: ARTEN DES TOURISMUS: LÄNDLICH UND STÄDTISCH 125

ANHANG C: TOURISMUSPARTNERSCHAFTEN: VORTEILE, PROBLEME UND AUSBLICKE 127

ANHANG D: VÍAS VERDES: LISTE „GRÜNER WEGE“ 131

ANHANG E: FEDECRAIL – ÜBERSICHT DER NATIONALEN MITGLIEDER 133

ANHANG F: HAUPTGRÜNDE FÜR URLAUB – KULTUR/RELIGION 135

ANLAGE G: WEITERE FALLSTUDIEN 137

ANHANG H: EINIGE HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN 149

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN

ACORP The Association of Community Rail Partnerships (Verband der

Partnerschaften zwischen Gemeinden und dem Schienenverkehr, Vereinigtes Königreich)

ADXTUR Agência para o Desenvolvimento Turístico das Aldeias do Xisto (Agentur zur Entwicklung des Fremdenverkehrs in den Schieferdörfern, Portugal)

CADW Historischer Umweltdienst der walisischen Regierung

CCDR-C Koordinierungsausschuss zur Entwicklung der Zentralregion (Portugal)

GD AGRI Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung

GD ENTR Generaldirektor Unternehmen und Industrie

EFRE Europäischer Fonds für regionale Entwicklung

ERIH Europäische Routen der Industriekultur

ETN Europäisches Textil-Netzwerk

FEDECRAIL Europäische Föderation der Museums- und Touristikbahnen

GHG Treibhausgasemissionen

HVPN Netzwerk der historischen Dörfer Portugals (Portugal)

ICOMOS Charta von Venedig zur Erhaltung und Restaurierung von Denkmälern und Stätten

IPPAR Portugiesisches Institut für architektonisches Erbe

LEADER Gemeinschaftsinitiative für die Entwicklung des ländlichen Raums

OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

SVN Schieferdörfer-Netzwerkprogramm (Portugal)

TALC Lebenszyklus einer Tourismusregion

TICCIH Internationaler Ausschuss für die Erhaltung des industriellen Erbes

TSG Gruppe „Nachhaltigkeit im Tourismus“

UNESCO Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur

UNTWO Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

VERZEICHNIS DER TABELLEN Tabelle 1 Industriekulturstätten in Europa auf der UNESCO-Welterbeliste 27 Tabelle 2 Wesentliche gegensätzliche Charakteristika des Land- und des Industrieerbe-Tourismus 34 Tabelle 3 Der Tourismussektor im Zusammenhang mit Kulturerbe im Vereinigten Königreich 37 Tabelle 4 Nachfrage im Bereich Industrieerbe-Tourismus 38 Tabelle 5 Geschätzte Ausgaben von Touristen im Bereich Industrieerbe-Tourismus 39 Tabelle 6 Gegenüberstellung der Merkmale des Stadt-/Resorttourismus und des Landtourismus 123 Tabelle 7 Potenzielle Vorteile von Zusammenarbeit und Partnerschaften bei der Tourismusplanung 127 Tabelle 8 Potenzielle Probleme von Zusammenarbeit und Partnerschaften bei der Tourismusplanung 128 Tabelle 9 Vías Verdes: Liste „Grüner Wege“ 131 Tabelle 10 FEDECRAIL – Mitgliedschaften einzelstaatlicher Dachorganisationen 133

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN Abbildung 1 Karte der Vias Verdes (Grünen Wege) – grün = Nutzung als Grüne Wege, orange = passierbar, jedoch noch nicht als Grüner Weg eingerichtet 60

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ZUSAMMENFASSUNG Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht die Entwicklung der Industriekultur und des Landtourismus in Europa und definiert diese Begriffe. Sie skizziert den Wert dieser Fremdenverkehrsbereiche in wirtschaftlicher, ökologischer und soziokultureller Hinsicht. Sie stellt eine Reihe von Fallstudien von Organisationen, Unternehmen, Gemeinden und Regionen in einigen europäischen Ländern vor, die in diesen Bereichen Erfahrungen gesammelt haben. Nach einer Betrachtung der aktuellen Themen sowie der künftigen Möglichkeiten schlägt sie Wege zur Erweiterung, Sicherung der Lebensfähigkeit und nachhaltigen Gestaltung des Industrieerbe- und Landtourismus vor. So soll ein größerer Nutzen für die lokalen Gemeinden sowie für die europäische Wirtschaft und das Natur- und Kulturerbe insgesamt geschaffen werden. Beides sind Formen von Tourismus für bestimmte Interessengruppen, die seit 1970 als Reaktion auf neue Märkte, neue Lebensstile und neue Möglichkeiten zur Produktentwicklung rapide gewachsen sind. Diese Bereiche sind zwar in gewisser Hinsicht sehr unterschiedlich, haben jedoch auch viel gemeinsam. Industrieerbe-Tourismus

Wenngleich Beispiele für Industrieerbe-Tourismus in ganz Europa zu finden sind, so konzentriert er sich im Wesentlichen doch auf Nordwesteuropa, also dort, wo die industrielle Revolution ihren Anfang nahm. Es sind jedoch zunehmende Aktivitäten in Süd-, Mittel- und Osteuropa zu verzeichnen. Weltweit gesehen ist Europa im Bereich Industrieerbe-Tourismus mit Abstand führend. Es ist eine europäische Spezialität, und zwar sowohl in den ländlichen als auch in den städtischen Gebieten. Die Branche ist jedoch fragmentiert und umfasst hauptsächlich kleine Attraktionen, die selten miteinander kooperieren. Es gibt viele verschiedene Arten von industriellem Erbe: Einige sind attraktiver für Besucher als andere. Der Industrieerbe-Tourismus liegt hauptsächlich in der Hand des öffentlichen Sektors und gemeinnütziger Gruppen. Er hängt oftmals von Freiwilligen ab, von denen viele sich leidenschaftlich um die Erhaltung des industriellen Erbes kümmern. Er bietet keinen Ersatz für die in ehemaligen Industriezweigen verloren gegangenen Arbeitsplätze. Wenn er erfolgreich betrieben wird, liefert er jedoch ein bemerkenswertes direktes und indirektes Einkommen und kann zur Verbesserung des Ansehens und der Reputation ehemaliger Industriegebiete beitragen. Oftmals gibt es jedoch trotz der Notwendigkeit der Generierung eines touristischen Einkommens, um Erhaltungsmaßnahmen zu unterstützen, zu wenige effektive Verbindungen zu den Fremdenverkehrsbüros und anderen Unternehmen im Bereich Tourismus. Die Qualifikationen im Bereich Tourismus sind oft mangelhaft. Erfolg und Ausgereiftheit der touristischen Programme variieren lokal, regional und national gesehen stark.

Landtourismus

Der Landtourismus ist in ganz Europa vergleichsweise weit verbreitet und hinsichtlich Umsatz und Beschäftigung wesentlich aktiver. Er umfasst eine sehr große Zahl von Kleinstunternehmen. Wie der Industrieerbe-Tourismus, so leidet auch er unter Fragmentierung, einer schlechten Zusammenarbeit bzw. Koordinierung sowie unter dem steigenden internen und externen Wettbewerb. Anders als der Industrieerbe-Tourismus liegt er im Wesentlichen in der Hand des privaten Sektors und wird hauptsächlich von wirtschaftlichen Zielen und dem Streben nach der Schaffung von Arbeitsplätzen

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angetrieben, wobei in diesem Bereich oftmals Teilzeitstellen bzw. Stellen mit Mehrfachaktivitäten geschaffen werden. Er ist ein wichtiger Faktor für das ländliche Einkommen und die ländliche Beschäftigung, da er üblicherweise zwischen 10 und 20 % des ländlichen Einkommens und der ländlichen Beschäftigung ausmacht. Das entspricht dem doppelten Niveau des durchschnittlichen Einkommens und der durchschnittlichen Beschäftigung im Bereich Tourismus von ganz Europa. Während der Industrieerbe-Tourismus hauptsächlich Touristenattraktionen bietet, bietet der Landtourismus eine umfassende Tourismuserfahrung, die sowohl Unterkünfte als auch Attraktionen umfasst. Der Landtourismus fördert die Ortsverbundenheit, die Besuchertreue und führt somit zu wiederholten Besuchen. Der Landtourismus verzeichnet gute Ergebnisse in den Bereichen Produktentwicklung und Innovation sowie hinsichtlich der Anziehung von neuem Kapital und neuen Investoren aus Städten, anderen Regionen und Ländern. Antriebsfaktor hierfür ist oftmals die Wahl eines bestimmten Lebensstils. Die Standards der Dienstleistungsqualität, des Marketings, der Produktentwicklung und der wirtschaftliche Erfolg variieren jedoch lokal, regional und national gesehen erheblich. Gemeinsame Fragen, Ziele und Auswirkungen

Sowohl im Bereich des ländlichen als auch des Industrieerbe-Tourismus wurde eine Reihe von Mitgliedergruppen auf nationaler und gesamteuropäischer Ebene gegründet, die bei der Vermarktung helfen und/oder als Lobby-Organisationen tätig sind. Im Allgemeinen haben sie lediglich Zugang zu begrenzten finanziellen Mitteln, und oftmals wird ihr potenzieller Wert nicht realisiert. Die touristischen Qualifikationen variieren, und der Bereich Marketing als traditionelle Einkommensquelle wird von internetbasierten Niedrigpreisanbietern von Marketingdiensten auf eine harte Probe gestellt. Beide Sektoren verfügen üblicherweise über ein geringes Marktwissen und schwache Vermarktungstechniken, wenngleich es auch Beispiele für ausgesprochen gute Leistungen bestimmter Unternehmen und Einrichtungen gibt. Sowohl der ländliche als auch der Industrieerbe-Tourismus sind oftmals in ärmeren Regionen oder in Regionen angesiedelt, die strukturelle Veränderungen durchleben. Die Verbindungen beider Sektoren zu Maßnahmen zur regionalen Entwicklung bzw. Umstrukturierungsmaßnahmen sind nicht so gut ausgeprägt wie sie sein könnten. Sowohl der ländliche als auch der Industrieerbe-Tourismus sind für die Erhaltung des kulturellen Erbes wichtig. Beide helfen dabei, schützenswerte Landschaften zu erhalten – entweder direkt durch die Erhaltung oder eine neue Nutzung von Gebäuden und Strukturen zu touristischen Zwecken oder indirekt durch eine Aufwertung der Arbeit von Agenturen zur Erhaltung dieser Stätten in monetärer Hinsicht, indem sie Besuchereinnahmen bringen. Beide haben Auswirkungen auf die berufliche Ausbildung und Umschulung und bergen ein entsprechendes Expansionspotenzial. Auf nationaler Ebene bergen sie aufgrund ihrer Verbindungen zu den Bereichen Kunst, kulturelle Aktivitäten sowie Förderung und Verbreitung von Wissen ein großes Potenzial, Teil des neuen europäischen Wachstums in den kreativen Branchen zu werden. Beide Branchen bringen Vorteile für die lokalen Gemeinden mit sich, in denen entsprechende Dienste angeboten werden. Der Wert des Industrieerbe-Tourismus für die Wirtschaft der Europäischen Union lässt sich nicht definitiv feststellen. Die vorliegende Studie hat die wirtschaftlichen Auswirkungen auf der Grundlage der Anteile der aktuellen Touristenströme geschätzt und kommt zu einem geschätzten Wert von 18 Millionen Übernachtungsreisen sowie 146 Millionen Tagesausflügen mit einem direkten Wert von fast 9 Mrd. EUR pro Jahr. Die Auswirkungen sind insgesamt wahrscheinlich sogar noch größer, wenn die indirekten und induzierten Auswirkungen berücksichtigt werden, da viele Industriestandorte lokal verwurzelt sind und

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eine dementsprechend starke Verbindung zu den lokalen Gemeinden besteht, was die Auswirkungen auf die Wirtschaft vor Ort verstärkt. EuroGites, der europäische Dachverband für den Landtourismus, hat im Jahr 2008 Finanzdaten seiner Mitgliedsorganisationen erfasst und diese Informationen auf der Grundlage bekannter Bettenzahlen von Organisationen hochgerechnet, die nicht Mitglied des Dachverbandes sind. Diese Berechnungen deuten darauf hin, dass der Landtourismus in Europa 900 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt unterstützt und ein jährliches Bruttoeinkommen von 150 Mio. EUR generiert. Schlussfolgerungen

Der Landtourismus liegt im Wesentlichen in der Hand des privaten Sektors und wird von der Schaffung von Wohlstand und Arbeitsplätzen sowie oftmals von einer Diversifizierung von landwirtschaftlichen Betrieben angetrieben. Die Branche ist von der Erhaltung der Landschaften sowie des kulturellen Erbes und der Infrastruktur abhängig, die oftmals vom öffentlichen Sektor finanziert wird. Der Industrieerbe-Tourismus umfasst im Wesentlichen Erhaltungsmaßnahmen gemeinnütziger Organisationen oder des öffentlichen Sektors. Seine wirtschaftliche Lebensfähigkeit ist größtenteils vom Tourismus sowie von finanziellen Mitteln des öffentlichen Sektors und Freiwilligen abhängig. Beide Branchen können expandieren, besser organisiert werden und stärker auf bewährte Verfahrensweisen zurückgreifen. In beiden Branchen gibt es Probleme, aber auch ein großes Potenzial zur Schaffung von Wohlstand auf lokaler und nationaler Ebene und zur Unterstützung der Erhaltung des industriellen und kulturellen Erbes Europas. Zudem kann hier gezeigt werden, wie ein gesamteuropäischer Ansatz zur Lösung von Problemen und zur Nutzung von Potenzialen zur Schaffung international wettbewerbsfähiger Unternehmen effektiv angewendet werden kann. Die Förderung der Marktkenntnisse, bessere Qualifikationen, eine verbesserte Verwaltung, Partnerschaften und Vernetzungsmöglichkeiten sowie die Schaffung innovativer Maßnahmen für die Zukunft werden ebenso als wesentliche Erfolgsfaktoren angesehen wie die Entwicklung eines nachhaltigeren Fremdenverkehrs, der unter anderem auch die Umsetzung von kohlenstoffarmen Konzepten umfasst. Mithilfe von Empfehlungen soll auf die im Rahmen der Studie festgestellten Probleme eingegangen werden. Ferner werden Informationen zur Steuerung künftiger Investitionsstrategien im Bereich Industrieerbe- und Landtourismus, zur Entwicklung von Mitteln zur Steuerung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten KMU, zur Bereitstellung eines effektiven Verwaltungssystems für die Unterstützung von Partnerschaften und Vernetzungsmöglichkeiten bereitgestellt. Zudem sollen Möglichkeiten zur Entwicklung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Leistung der beteiligten Branchen geschaffen werden. Es werden sieben spezifische Empfehlungen ausgesprochen:

ein virtuelles Zentrum für Forschung und Entwicklung zur Analyse, Bewertung und Verbreitung bewährter Verfahrensweisen;

ein Prototyp eines Demonstrationsvorhabens im Bereich der Industriekultur-Regionen;

ein Prototyp einer Landtourismusregion der zweiten Generation;

ein Demonstrationsvorhaben im Zeichen des langsamem Tourismus;

ein Fortbildungsprogramm über Kulturerbe-Gerätschaften zur Entwicklung von Kompetenzen in den Bereichen Reparatur und Erhaltung von Gebäuden und Ausrüstung;

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Seminare zur Verbreitung innovativer Verfahrensweisen;

eine Initiative betreffend Produktentwicklung und Marketing in Nischenbranchen mit der Zielgruppe Asien und die BRIC-Staaten.

Die wichtigste Empfehlung ist die Einrichtung einer virtuellen Forschungsgruppe auf der Grundlage eines vorhandenen und in 18 europäischen Ländern erfolgreich umgesetzten Wissenschaftsprojekts1. Alle Empfehlungen sind relativ kostengünstig angelegt und sollen letztendlich selbsttragend sein. Einige der Empfehlungen könnten bei der Neuschaffung der gesamteuropäischen Entwicklungs- und Fördergruppen sowie einiger nationaler Gruppen helfen. Es gibt eine Reihe von Anhängen, die zusätzliche Fallstudien, ergänzendes Material und Belege enthalten. Anhang H beantwortet ein breites Spektrum an häufig gestellten Fragen, unter anderem die Frage, warum diese Nischenbereiche des Tourismus so speziell für Europa sind, ob es in Zukunft eine ausreichende Marktnachfrage gibt, ob diese Bereiche nach den Grundsätzen des nachhaltigen Tourismus arbeiten und ob die Meinungen der Menschen vor Ort in den beteiligten Regionen berücksichtigt werden.

1 Österreich, Belgien, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Ungarn,

Italien, Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, Slowakei, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich.

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VORBEMERKUNG Im ersten Initiativbericht im Rahmen des Vertrags von Lissabon (Bericht A7-0265/2011) Europa – wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus, der von Carlo Fidanza vorgelegt und am 27. September 2011 angenommen wurde (P7-TA(2011)0407), „betont [das Europäische Parlament], dass die Entwicklung des europäischen Industrieerbes auch sekundären Reisezielen nutzen und dazu beitragen könnte, durch die Erhaltung, Umgestaltung und Sanierung von Industrieanlagen einen nachhaltigeren Tourismussektor in Europa zu schaffen“2. Im folgenden Punkt3 betont das Europäische Parlament, dass „der Landtourismus und der Agrotourismus die Lebensqualität verbessern, das Wirtschaftsleben und die Einkommensgrundlagen der ländlichen Gebiete diversifizieren, in diesen Regionen Arbeitsplätze schaffen, die Bevölkerung an das Gebiet binden, dessen Entvölkerung vorbeugen und eine direkte Verbindung zu traditionellen, ökologischen und natürlichen Lebensmitteln herstellen sollten.“ Die Vorgaben dieses Berichts lauten wie folgt: „Die Wahl des auf Landwirtschaft und das industrielle Erbe ausgerichteten Tourismus als typische Formen eines thematischen und diversifizierten Tourismus scheint die Zielvorgabe einer nachhaltigen Fremdenverkehrspolitik zu erfüllen, die auf die Erhaltung der Vielfalt und des Multikulturalismus in Europa sowie die Vermeidung von Verzerrungen und der negativen Folgen eines undifferenzierten Massentourismus ausgerichtet ist.“ Der Bericht des Europäischen Parlaments basiert auf der Mitteilung der EU-Kommission an das Parlament4 (COM (2010) 352 endgültig), die den Wert des Tourismus für die Wirtschaft der EU betonte – mit seinen 1,8 Millionen Tourismusunternehmen, hauptsächlich KMU, die 9,7 Millionen Arbeitsplätze, hauptsächlich für junge Menschen, bieten und direkt und indirekt mehr als 10 % des BIP der EU generieren. Er definierte das Ziel der Aufrechterhaltung der Position der EU als wichtigstes Reiseziel der Welt und betonte, „dass die EU nun „über die Zuständigkeit [verfügt], die Maßnahmen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich zu unterstützen, zu koordinieren und zu ergänzen.“ (S.4). Die vorliegende Studie bietet eine Beschreibung und Analyse der Frage, wie, warum und wann sich der Industrieerbe-Tourismus und der Landtourismus in Europa entwickelt haben. Sie untersucht eine Reihe von Fallstudien aus einigen europäischen Ländern sowie außerdem – wo dies hilfreich ist – Ideen aus anderen Ländern der Welt. Sie basiert auf veröffentlichten Untersuchungen, auf Beratungsberichten, auf den insgesamt fast 100 Personenjahren an persönlicher Erfahrung sowie auf den Untersuchungen der Mitglieder des Prüfungsteams und auf einer Reihe neuer, eigens für die vorliegende Studie vorgenommenen Recherchen. Sie skizziert aktuelle Fragen in diesen Branchen und schlägt innovative und kostengünstige Möglichkeiten zur Förderung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Vorteile, die diese beiden Branchen für die lokalen Gemeinden, die Regionen sowie für ganz Europa mit sich bringen.

2 Punkt 44 der Entschließung P7_TA(2011)0407 des EP. 3 Punkt 45 der Entschließung P7_TA(2011)0407 des EP. 4 Das Europäische Parlament wurde vor der Annahme der Mitteilung hierzu konsultiert, und es wurden

Stellungnahmen von einer Reihe parlamentarischer Ausschüsse eingeholt, unter anderem von: IMCO, ITRE, REGI, AGRI und CULT.

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Die Studie soll informativ und lehrreich sein und Ideen liefern, die das Fundament zur Entwicklung der zukünftigen Diskussionen und Strategien des Ausschusses des Europäischen Parlaments für Verkehr und Fremdenverkehr in diesem Bereich bilden sollen. Die vorliegende Studie musste eine Reihe technischer Probleme bewältigen. Der Agrotourismus, der Landtourismus und der Industrieerbe-Tourismus stellen zwar Nischenprodukte dar, sind jedoch extrem komplexe Produktbereiche mit nur geringer Vernetzung der verschiedenen Anbieter untereinander sowie der Anbieter und der politischen Entscheidungsträger. Selbst die Definition jedes dieser drei Bereiche ist schwierig und umstritten. Was die statistischen Informationen betrifft, so werden die Bereiche Agrotourismus, Landtourismus und Industrieerbe-Tourismus in den meisten Tourismusstatistiken nicht als eigenständige Bereiche anerkannt. Zudem gibt es nur wenige objektive, begutachtete Untersuchungen zum sozioökonomischen Nutzen der drei Themenbereiche, insbesondere für den Bereich des Industrieerbe-Tourismus. Die Existenz, das Wachstum und das Potenzial aller drei Themenbereiche sind jedoch unstrittig.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

1. TOURISMUS FÜR BESTIMMTE INTERESSENGRUPPEN: EINE EINFÜHRUNG

Agrotourismus, Landtourismus und Industrieerbe-Tourismus sind Nischenmärkte innerhalb der Tourismusbranche und Teil einer globalen Expansion des Tourismus für bestimmte Interessengruppen, die in Weiler und Halls klassischem Text von 1992 zu diesem Thema definiert und erläutert sind. Diese drei Bereiche sind als eine Reihe faszinierender Entwicklungen der Entwicklungen im Bereich Tourismus in der Nachkriegszeit zu sehen. Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) fasst dies 1985 folgendermaßen zusammen:

Die 1980er Jahre zeichnen sich durch neue Lebensstile und eine neue Erkenntnis der Bedeutung von Beziehungen zwischen Menschen untereinander sowie zwischen Menschen und der Natur aus. Die Teilnahme an Outdoor-Aktivitäten, ästhetische Urteile und eine Verbesserung des Selbst und der Gesellschaft gewinnen an Bedeutung. Die Suche nach diesen Werten über den Tourismus spiegelt sich in der organisierten Erholung und den neuen Produkten wie zum Beispiel Aktivurlauben und touristischen Angeboten für bestimmte Interessengruppen wider, die neu entstanden sind. (UNWTO, 1985, 3)

Zehn Jahre später erkannte die Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das Wachstum und den Wert der Ausgaben bestimmter Verbrauchergruppen im Allgemeinen sowie insbesondere im Bereich Tourismus sowie die Notwendigkeit eines besseren Verständnisses und einer besseren Nutzung des Potenzials zur sozioökonomischen Entwicklung durch den privaten und den öffentlichen Sektor im Rahmen ihrer Arbeit zum Wachstum von Nischenmärkten im Allgemeinen und Nischenmärkten innerhalb der Tourismusbranche an (OECD, 1995; Clemenson & Lane, 1997). Zuvor hatte die OECD Leitlinien für den Landtourismus veröffentlicht (OECD, 1994a). Der Tourismus für bestimmte Interessengruppen wächst weiter, angetrieben von der schnellen Expansion der Massenmedien in Nischenmärkte, vom Informationspotenzial des Internets, von neuen Transportmöglichkeiten sowie vom zunehmenden Individualismus und der intellektuellen Neugier, die in der Gesellschaft zu beobachten sind.

1.1. Das Wachstum im Bereich Tourismus in der Nachkriegszeit Um den Hintergrund des Tourismus für bestimmte Interessengruppen im Allgemeinen sowie des ländlichen und des Industrieerbe-Tourismus im Besonderen zu verstehen, muss man sich kurz die Geschichte der Expansion des Tourismus der Nachkriegszeit sowie die dieser Expansion zugrunde liegenden Antriebsfaktoren betrachten. Die globalen Standardstatistiken stammen aus jährlichen Erhebungen der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen. Sie zeigen einen globalen Anstieg der internationalen Touristenzahlen von 25 Millionen im Jahr 1950 auf 982 Millionen im Jahr 2011. Dies entspricht einem Wert von 740 Mrd. EUR. Über diesen gesamten Zeitraum hinweg lag die durchschnittliche jährliche Wachstumsquote bei 6 %. Die UNWTO erwartet bis zum Jahr 2020 Touristenzahlen in Höhe von 1,4 Milliarden (UNWTO, 2012a). Die inländischen Touristenzahlen sind natürlich größer, und es ist sehr viel schwieriger, diese genau zu quantifizieren. Sie können bis zu acht Mal so groß sein. In finanzieller Hinsicht hat

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der Tourismus nicht nur eine gewaltige Finanzkraft, sondern fungiert auch als Umverteiler von Einkommen innerhalb der Länder, und zwar üblicherweise von Großstädten und Industrieregionen in Urlaubsgebiete und in zunehmendem Maße auch in ländliche Gebiete. Zudem wird auch das Einkommen innerhalb der entwickelten Welt sowie von der entwickelten Welt in Entwicklungsländer umverteilt. Diese Umverteilung bringt Arbeitsplätze und zusätzliche Kapitalflüsse für Investitionen mit sich. Europa ist mit 504 Millionen Ankünften von weltweit insgesamt 982 Millionen (45 %), was einem Wert von 333 Mrd. EEUR entspricht, der Kontinent, der die meisten internationalen Touristen empfängt. Auf Platz 2 rangiert die Region Asien-Pazifik mit 28 % der weltweiten Ankünfte (UNWTO, 2012b). Innerhalb dieses allgemeinen Wachstumsbildes gibt es jedoch eine Reihe wichtiger interner Geschichten. Im 19. Jahrhundert wuchs der Tourismussektor als Branche heran, die hauptsächlich auf Urlaubsorte (Resorts) konzentriert war, mit entsprechender Grundstückserschließung. Vorhandene Urlaubsorte, die üblicherweise am Meer und in der Nähe von Stränden zu finden sind, sowie Kurorte sehen sich nun einem Wettbewerb gegenüber, und zwar

1. von neueren Urlaubsorten – oftmals in anderen Ländern und/oder auf anderen Kontinenten, insbesondere in Asien, Ozeanien und Australien;

2. von Kreuzfahrtangeboten – die Touristenzahlen für Kreuzfahrten sind von 3,8 Millionen im Jahr 1990 auf 12,8 Millionen im Jahr 2008 gestiegen; die weltweiten Übernachtungszahlen lagen im Jahr 2008 bei insgesamt 79,4 Millionen (CLIA, 2008). Derzeit werden zahlreiche neue Kreuzfahrtschiffe gebaut, und Untersuchungen deuten darauf hin, dass immer mehr junge Menschen Kreuzfahrten buchen (Petrick, 2010).

3. vom Stadttourismus (auch als urbaner Tourismus bekannt) – bis vor Kurzem war der Stadttourismus auf die bekanntesten Weltstädte begrenzt: Paris, Rom, Sydney und New York und viele mehr. Städte- und Regionalplaner nutzen den Tourismus jedoch zunehmend als Instrument zur Wiederbelebung Dutzender mittlerer/großer Industriestädte auf der ganzen Welt und versuchen, die Wirtschaften dieser Städte zu diversifizieren, ihr Image zu verändern und Arbeitsplätze zu schaffen (Lagroup & Interarts, 2005). Beginnend mit dem Umbau des Hafenviertels in Baltimore in den 1980er Jahren (de Jong, 1991) blühte der städtische Tourismus auf und bot eine starke Mischung aus spezialisierten Einzelhändlern, neuen Hotels, kulturellen Attraktionen, Entwicklung von Kulturerbestätten aus der industriellen bis hin zur postmodernen Zeit sowie sich ständige ausweitenden Möglichkeiten zum Feiern, Essen und Trinken. Rotterdam, Dublin, Bradford, Glasgow, Turin, Posen, Riga und viele andere Städte sind Beispiele für den Aufstieg des städtischen/urbanen Tourismus in Europa. Wesentliche Antriebsfaktoren für diese Entwicklung sind die Anbindung an Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken und Billigflieger. Um diese Veränderung zu betonen, wurden die durch Kohle und Stahl geprägten Industriestädte des Ruhrgebiets im Jahr 2010 zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt5. Viele ehemals rein industriell geprägte Städte entwickeln sich nunmehr zu einer neuen Art eines eigenständigen, professionell verwalteten und „authentischen“ Full-Service-Urlaubsortes auf der Grundlage des vorhandenen Kulturerbes. Sie stehen insbesondere in der Wintersaison im direkten Wettbewerb zu bestehenden

5 Siehe http://www.essen-fuer-das-ruhrgebiet.ruhr2010.de/de/home.html.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Urlaubsorten. Aus dieser Entwicklung ergeben sich für die Leser der vorliegenden Studie zwei Punkte von besonderer Bedeutung:

a. Der Industrieerbe-Tourismus ist Teil des Anstiegs des Stadttourismus und könnte sogar noch ein größerer Teil hiervon sein – allerdings ist eine entsprechende Abstimmung nicht immer erreichbar oder möglich.

b. Es ist schwierig, zuverlässige allgemeine Statistiken für den Stadttourismus – sowie auch für den Industrieerbe-Tourismus – in Europa zu finden.

4. vom Landtourismus – dieser existiert zwar in vielen Teilen der europäischen

Alpenregion bereits seit über einem Jahrhundert, konnte jedoch in ganz Europa (und auch weltweit) ein schnelles und einzigartiges Wachstum verzeichnen. Einzigartig ist dies deshalb, weil er die erste Art des Tourismus ist, der – noch nicht – vorwiegend im Umfeld von Urlaubsorten ausgeübt wird (Resorttourismus). Laut EuroGites (2009a) gibt es derzeit 400 000 ländliche Wohneinheiten in Europa mit 3,6 Millionen Betten (doppelt so viele wie in Spanien, dem zweitwichtigsten Urlaubsland in Europa). Auch die meisten anderen entwickelten Länder verzeichnen Wachstumszahlen: Es hat sich zu einem weltweiten Phänomen entwickelt. Der Landtourismus – wie im weiteren Verlauf noch erläutert werden wird – ist inhaltlich extrem breit angelegt und umfasst Naturtourismus, Umwelttourismus, Agrotourismus, Abenteuertourismus, Gastro-Tourismus sowie viele andere neue Entwicklungen. Jedoch ist es ein Bereich, für den nur schwer zuverlässige Statistiken erstellt werden können.

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2. WAS SIND DIE WICHTIGSTEN EIGENSCHAFTEN DES ANSTIEGS, DER DIVERSIFIZIERUNG UND DES WANDELS DES TOURISMUS?

Das ist eine komplexe Frage. Die Tourismusbranche ist im Prinzip eine Art Modebranche: Menschen reisen an Orte, die ihrer Meinung nach „in“ sind, und lassen sich dabei im Wesentlichen von einer machtvollen Medienbranche leiten. Es ist nicht mehr „in“, seinen Urlaub in traditionellen europäischen Urlaubsorten am Meer zu verbringen. Der Trend geht zunehmend hin zu Kurzreisen in Städte und aufs Land, oftmals als Zweit- oder Dritturlaub. Das Konzept Urlaub, früher ausschließlich als Zeit der Erholung gedacht, hat sich deutlich diversifiziert. Der Tourismusanalyst Stanley Plog (1974) stellte das schnelle Wachstum einer neuen Art von Reisenden fest, nämlich den Allozentriker, für den bei seinen Reisen die Aktivität im Vordergrund steht und der außergewöhnliche und neuartige, vielfältige Reisen bevorzugt. Auch der Bereich Bildung ist, sowohl formell auch informell gesehen, eine zunehmende Motivation (Crompton, 1979). Es muss jedoch erwähnt werden, dass der Tourismus trotz seiner Verbindungen zum Bildungsbereich auch weiterhin eine Freizeitaktivität ist, die angenehm und erfrischend sein muss. Bemerkenswert ist die Einführung des Begriffs „Infotainment“ – eine Kombination aus Lernen und Vergnügen. Ein Urlaub ist immer noch eine Zeit zum Träumen, eine Zeit, sich Träume zu erfüllen, und eine Zeit, neue Erfahrungen zu machen. Zusätzlich zu den oben genannten Aspekten sind zahlreiche gewichtige technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren zu nennen, unter anderem:

eine zunehmende Motorisierung;

die Verbreitung von Schnellstraßen in ganz Europa – einschließlich Autobahnen, Land- und Fernstraßen;

Billigfluggesellschaften;

spezialisierte Reiseveranstalter – im Verband des Vereinigten Königreiches für unabhängige Reiseveranstalter (www.aito.co.uk) sind beispielsweise mehr als 140 kleine spezialisierte Reiseveranstalter registriert;

ein steigendes Bildungsniveau;

die Einführung von Kreditkarten, Internetbanking und der gemeinsamen europäischen Währung – Faktoren, die das Reisen einfacher und stressfreier machen;

das Internet, eine bessere Festnetz- und Mobilfunktelefonie sowie die Möglichkeit, Urlaub, Verkehrsmittel und Unterkünfte rund um die Uhr online zu buchen;

SOWIE – bis vor Kurzem – als wesentlicher Antriebsfaktor – ein steigendes Niveau an verfügbarem Einkommen;

der Anstieg im Ruhestand befindlicher und aktiver älterer Reisender, woraus sich neue Märkte ergeben.

Durch eine Reihe neuer Paradigmen und Kenntnisse der Tourismusbranche, die das Hintergrundbild vervollständigen, gestaltet sich das Gesamtbild noch komplexer.

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2.1. Der Lebenszyklus einer Tourismusregion (Tourism Area Life Cycle – TALC)

Dieses von Richard Butler in den 1980er Jahren eingeführte Konzept ist ein gewichtiger und legitimer Einflussfaktor für die Tourismusplanung. Es besagt, dass touristische Ziele, ebenso wie alle anderen Verbrauchsgüter, zunächst entdeckt werden, dann wachsen, reifen und schließlich dem Ende ihres Lebenszyklus entgegengehen (sofern keine Maßnahmen zur Wiederbelebung ergriffen werden). Jedes Ziel muss nach etwa 25/30 Jahren (manchmal auch früher) aufgefrischt werden, um einen Rückgang der Besucherzahlen zu vermeiden. Das TALC-Konzept hilft dabei, den Rückgang der Besucherzahlen in vielen spanischen Urlaubsorten der 1960er Jahre, in einigen Urlaubsorten Süditaliens sowie einigen Urlaubsorten an der Nordsee zu erklären. Es sendet zudem eine starke Warnung für potenzielle Probleme an alle Touristenziele – konventioneller, ländlicher und industrieller Natur –, die nicht professionell verwaltet werden, die nicht in Marktforschung investieren und die ihre Produkte nicht auffrischen (Butler, 2006).

2.2. Die Anerkennung der Erlebniswirtschaft Viele Jahre lang wurde Tourismus als Ware im Sinne eines herkömmlichen Sachgegenstandes behandelt. Mit der Weiterentwicklung der Gesellschaft und der Vermarktung wurde festgestellt, dass Tourismus sowohl als Dienstleistung als auch als Sachgegenstand zu behandeln war. Das Dienstleistungselement war für die Verbraucher ein wesentlicher Entscheidungsfaktor. Dies galt insbesondere, als sich in der Tourismusbranche ein Angebotsüberschuss entwickelte und sich der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Teilen der Branche und den verschiedenen Urlaubszielen verschärfte. Seit etwa 1990 lässt sich in der Marketing-Literatur beobachten, dass viele Unternehmen, auch in der Tourismusbranche, als Unternehmen eingestuft werden, die neben Dienstleistungen auch Erlebnisse anbieten. Eine Reihe wegweisender Veröffentlichungen erläuterte das Aufkommen dieser „Erlebniswirtschaft“. Hierzu gehören das Buch „Erlebnisgesellschaft“ von Gerhard Schulze (1992), das später auch in englischer Sprache unter dem Titel „The Experience Society“ veröffentlicht wurde (1996); das Buch von Rolf Jensen mit dem Titel „The Dream Society“ (Die Traumgesellschaft, 1999 und 2009) sowie das Buch von Pine & Gilmore mit dem Titel „The Experience Economy“ (Die Erlebniswirtschaft, 1999). All diese Autoren stellten fest, dass immer mehr Menschen in der Lage und auch eher bereit sind, Geld für schöne/befriedigende, oftmals emotionale Erlebnisse auszugeben als für herkömmliche Verbrauchsgüter. Die zur Erschließung der Erlebniswirtschaft erforderlichen Marketingtechniken sind neu und anspruchsvoll. Tourismusunternehmen haben diese insbesondere für die Bereiche Land- und Industrieerbe-Tourismus wichtigen Entwicklungen nur langsam erkannt (Hjalager, 2002; Sundbo et al, 2007). Beide sind extrem erlebnisorientiert: Es handelt sich hier nicht um herkömmliche passive Freizeitaktivitäten. Eine schlecht informierte Vermarktung ist jedoch in beiden Branchen ein Problem. Um die Rolle der Vermarktung von Erlebnissen in der Tourismusbranche besser zu verstehen, wurden Ende der 1990er Jahre von der Verwaltung der US-Nationalparks erstmals Erlebniskonzepte für Besucher („Visitor Experience Plans“) eingeführt. Wenngleich die Erlebniskonzepte ursprünglich als Instrument zur Erhaltung gedacht waren, so können sie, zusammen mit einer auf die angebotenen Erlebnisse abgestimmten Vermarktung, zur Steigerung der Besucherzahlen beitragen, und zwar insbesondere dann, wenn sie mit auf

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den Markt abgestimmten, gut durchdachten Plänen zur Interpretation der jeweiligen Kulturerbestätte verknüpft sind (Hof & Lime, 1997; US National Park Service, 1997; Red Kite Environment, 2007). In Europa sind Erlebniskonzepte für Besucher selten.

2.3. Ortsverbundenheit Einer der Wachstumsbereiche in Bezug auf das Verständnis der Vorlieben von Touristen ist das Konzept der „Studien der Ortsverbundenheit“ (Kyle et al, 2004; Ramkissoon, 2013). Die Ortsverbundenheit ist die psychologische Verbundenheit, die Menschen aufgrund von angenehmen Erfahrungen oder der Bewunderung von Landschaften und Stadtbildern, des Umfelds sowie aufgrund von Erinnerungen an Erlebnisse und Beziehungen mit einem bestimmten Ort empfinden. Die Ortsverbundenheit hilft bei der Erklärung wiederholter Besuche sowie der Funktionsweise der sogenannten „Mundpropaganda“. Kurz gesagt können sowohl Ziele auf dem Land als auch in der Stadt eine starke Ortsverbundenheit auslösen; beim Industrieerbe-Tourismus ist die Ortsverbundenheit jedoch nur schwach ausgeprägt. Ein Hauptgrund hierfür scheint die schlechte Vermarktung der betreffenden Standorte im Vergleich zur Vermarktung von Orten/Regionen zu sein. Zudem können Regionen, die über ein gutes Angebot an Einrichtungen für Besucher (Unterkünfte, Gastronomie und Attraktionen) verfügen, offenbar eine stärkere Ortsverbundenheit schaffen als andere Standorte. Folglich muss sich der Industrieerbe-Tourismus mit diesem Problem befassen.

2.4. Nachhaltiger Tourismus Der relativ ungeregelte Anstieg des Massentourismus in den 1970er Jahren gab Anlass zu Bedenken hinsichtlich seiner Auswirkungen auf Gesellschaft, Kultur und Umwelt, insbesondere in empfindlichen Naturlandschaften. Aus diesen Bedenken ergab sich das Konzept der Schaffung nachhaltigerer Tourismusformen. Der Schwerpunkt der Kritik lag anfänglich auf dem Massentourismus. Heute wissen wir, dass sich der Massentourismus in vielerlei Hinsicht einfacher verwalten lässt als die Verbreitung weniger intensiver Tourismusformen – unter anderem des Landtourismus. Dem Massentourismus haftete jedoch noch immer das alte Stigma an. Systeme für nachhaltigen Tourismus ergeben sich aus dem gestiegenen allgemeineren Interesses an einer nachhaltigen Entwicklung sowie aus der wegweisenden Arbeit der Brundtland-Kommission (1987). Es gibt zahlreiche Definitionen des Begriffs „nachhaltiger Tourismus“. Die folgende ist eine der vielen, die üblicherweise angeführt werden:

Nachhaltiger Tourismus ist ein positiver Ansatz zur Reduzierung der sich aus den komplexen Interaktionen zwischen der Tourismusbranche, den Besuchern, der Umwelt und den Urlaubsgemeinden ergebenden Spannungen und Reibungspunkte. Er umfasst das Streben nach einer langfristigen Lebensfähigkeit und Qualität sowohl der natürlichen als auch der menschlichen Ressourcen. Er ist nicht gegen das Wachstum, besagt jedoch, dass es Grenzen für das Wachstum gibt. (Bramwell & Lane, 1993)

Das zunehmende Interesse an der sozialen Verantwortung von Unternehmen in der Reise- und Tourismusbranche steht in Zusammenhang mit dem Konzept des nachhaltigen Tourismus. Ein direkter Zusammenhang der Ergebnisse der vorliegenden Studie lässt sich dadurch herstellen, dass Forscher und Fachleute nachhaltigen Tourismus üblicherweise mit

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ländlichem Tourismus als Instrument für die Erhaltung der ländlichen Gesellschaft sowie der Landschaft und der Ökosysteme in Verbindung setzen. Ebenso gibt es eine direkte Verbindung zwischen dem Konzept des nachhaltigen Tourismus und der Erhaltung des industriellen Erbes.

2.5. Der „Triple Bottom Line“-Ansatz Beim nachhaltigen Tourismus wird der Ansatz der Triple-Bottom-Line-Bilanzierung, also einer dreifachen Bilanzierung angewendet. Die diesem Ansatz zugrunde liegende Idee besagt, dass Unternehmen, Gemeinden sowie Regionen und Länder als Indikatoren für nachhaltigen Tourismus nicht nur – positive oder negative – wirtschaftliche Ergebnisse, sondern auch – positive oder negative – ökologische, gesellschaftliche und kulturelle Ergebnisse erfassen sollten (Elkington, 1997). Die Triple-Bottom-Line-Bilanzierung ist mittlerweile Pflichtvorgabe bei der Entwicklung von Strategien und Plänen in der Tourismusbranche.

2.6. Ökotourismus Der Begriff Ökotourismus wird in den USA häufig als alternativer Begriff für nachhaltigen sowie für Landtourismus verwendet. Viele Kommentatoren in den USA befürchten einen politischen Beigeschmack des Begriffs „nachhaltig“. Streng genommen wird der Begriff Ökotourismus nach Ceballos-Lascurain (1996) folgendermaßen definiert und auch vom Rest der Welt so ausgelegt:

Umweltbewusstes Reisen zu Naturschauplätzen, um die Natur zu schützen und zu genießen (und ebenso kulturelle Besonderheiten der Vergangenheit und Gegenwart). Es handelt sich um eine Art des Reisens, die den Umweltschutz unterstützt, geringe Auswirkungen durch Besucher zeigt und die Einheimischen auf gewinnbringende Weise sozio-ökonomisch mit einbezieht.

Diese Definition wird von der Internationalen Gesellschaft für Ökotourismus verwendet, die diese Tourismusform als spezielle Unterkategorie des breiteren Konzepts des nachhaltigen Tourismus einstuft, und ist auf ländliche Gebiete anwendbar. Der Begriff Ökotourismus ist von Wert, wird jedoch in Europa nur selten verwendet.

2.7. Tourismus als Instrument zur Wiederbelebung Viele Autoren, die sich mit nachhaltigem Tourismus befassen, erkennen an, dass der Tourismus nicht nur Selbstzweck, sondern auch ein Instrument zur Erhaltung und zur Wiederbelebung städtischer und ländlicher Gebiete sein sollte. Die vorliegende Studie veranschaulicht dies an einer Reihe von Fällen, in denen der Tourismus als Instrument zur Wiederbelebung fungiert hat. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Tourismus hierbei nicht immer erfolgreich sein kann, (a) wenn der Standort und die jeweilige Situation sich nicht zu touristischen Zwecken eignen, (b) wenn die am Projekt beteiligten Stakeholder nicht zur Zusammenarbeit bereit sind und (c) wenn die finanziellen Mittel unzureichend sind oder der Zeitrahmen zu knapp gesteckt ist.

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2.8. Langsamer Tourismus Das Konzept des langsamen Essens („Slow Food“) kam 1986 in Italien als Protest gegen die Industrialisierung von Lebensmitteln auf, richtete sich gegen „Großunternehmen“ in der Lebensmittelbranche und befürwortete traditionelle Lebensmittel und Zubereitungsmethoden, die traditionelle Landwirtschaft sowie die lokale Produktion in kleinem Maßstab (Andrews, 2008). Diese Bewegung wurde größer und erweiterte sich im Laufe der Zeit um ein breites Spektrum anderer „langsamer“ Bewegungen, unter anderem auch um den sogenannten langsamen Tourismus. Sowohl das langsame Essen als auch der langsame Tourismus stehen in Zusammenhang mit dem Land- und dem Agrotourismus; auch der Gastro-Tourismus ist eine schnell wachsende Branche. Der langsame Tourismus kann wie folgt definiert werden:

Ein neu entstehendes Rahmenkonzept, das eine Alternative zu Reisen mit Flugzeug und Auto bietet und bei dem Menschen auf dem Landweg langsamer zu ihren Zielen reisen, dort länger bleiben und weniger reisen. (Dickinson, Robbins & Lumsdon, 2010)

Der langsame Tourismus betont die Bedeutung des Reiseerlebnisses, das Vergnügen und das Verständnis für Zielorte, Kulturen und Landschaften sowie für langsames Essen und Trinken und steht im engen Zusammenhang mit den nachfolgend skizzierten Fragen des Klimawandels (Dickinson & Lumsdon, 2010). Dies ist ein wichtiges Element der zukünftigen Überlegungen zum Landtourismus. Es stellt Verbindungen zu einer Reihe von Verkehrselementen des Industrieerbe-Tourismus her, insbesondere zu alten Kanal- und Schienennetzen. Bisher ist es schwer, konkrete Beispiele hierfür zu finden, allerdings verzeichnet der Reiseveranstalter Inntravel 6 ein schnelles Wachstum im Bereich des langsamen Tourismus; derzeit wird in Österreich darüber diskutiert, die 107 km lange Schienenstrecke zwischen Stainach Irdning und Attnang-Pucheim als Korridor für den langsamen Tourismus auszubauen.

2.9. Klimawandel Der Klimawandel ist ein zunehmendes Problem für die Tourismusbranche weltweit. Wenngleich regelmäßig erwähnt wird, dass der Anteil des Tourismus an den gesamten Treibhausgasemissionen lediglich bei 5 % liegt, so ist diese Zahl lediglich eine Mindestangabe: Viele Forscher sind der Ansicht, dass der Anteil des Tourismus an den Treibhausgasemissionen zwischen 5,2 % und 12,5 % liegt (Scott et al, 2010). Die wirkliche Angst betrifft jedoch die Zukunft. Aufgrund der hohen Wachstumsraten im Tourismus sowie der höheren Zahl der Flug- und Fernreisen könnten die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2035 verglichen mit 2005 um 130 % ansteigen. Angesichts des steigenden Meeresspiegels und der Veränderungen des Klimas, die die Lebensmittelproduktion beeinträchtigen, könnte sich die Tourismusbranche einem starken Druck gegenübersehen, ihre Konzepte abzuändern. Ebenso könnten Touristen einem ebenso starken – finanziellen und gesellschaftlichen – Druck ausgesetzt sein, ihr Reiseverhalten und ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten als Touristen zu ändern. Es gibt zwar Anzeichen dafür, dass Reisen süchtig machen kann (Cohen, Higham & Cavaliere, 2011), allerdings kann so manche Sucht auch besiegt werden.

6 www.inntravel.co.uk.

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Der Klimawandel ist zwar eine Bedrohung, bietet jedoch auch Möglichkeiten für den Landtourismus sowie in geringerem Umfang für den Industrieerbe-Tourismus. Einige Aspekte des Landtourismus könnten von Klimawandel bedroht sein: Landschaften in Südeuropa könnten sich verändern und an Attraktivität verlieren. Außerdem könnten Wildtiere aussterben. Letzteres ist bereits ein Thema im Rahmen der Walbeobachtungen in Nordeuropa (Lambert et al, 2010). Auch der Wintersporttourismus als spezialisierter Zweig des Landtourismus ist vom Klimawandel betroffen. Zu den wichtigsten Gebieten gehören Wintersportregionen in relativ tief gelegenen Teilen Deutschland und Schwedens (Soboll & Dingledey, 2012; Brouder & Lundmark, 2011). Der steigende Meeresspiegel könnte ein Problem für einige Industriekulturstätten und viele Küstenstädte werden. Ein weiterer negativer Einfluss auf den Landtourismus könnte sich aus den (sich aus der Besteuerung und/oder der weltweiten Knappheit ergebenden) steigenden Kraftstoffpreisen ergeben, die sowohl Auswirkungen auf Reisen mit dem Auto als auch mit dem Flugzeug zu Zielen auf dem Land mit sich bringen. Das Auto ist derzeit ein wichtiges Element der Marketing-Strategie für den Landtourismus. Es gibt jedoch in Bezug auf den Klimawandel und seine Auswirkungen auch positive Aspekte. Der langsame Tourismus scheint eine romantische Qualität zu haben, und so sind bereits jetzt das Wandern und Radfahren auf dem Land starke „langsame“ Märkte. Steigende Preise für Fernreisen könnten Reisen innerhalb des eigenen Landes und innerhalb Europas fördern. Der Industrieerbe-Tourismus könnte von sogenannten „Staycations“, also dem Urlaub daheim, profitieren. Das Reisen auf alten Schienennetzen könnte an Attraktivität gewinnen. Eine Änderung unserer Verhaltensmuster ist wichtig, wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen: Kurzreisen aufs Land, bei denen das Auto vor Ort fast nicht benötigt wird, könnten ein guter Ansatz zur Bekämpfung des Klimawandels sein. Der ländliche Urlaubsort Werfenweng in Österreich verfügt über umfassende Erfahrungen mit solchen Konzepten7. Ein aktueller, detaillierter und verständlicher Bericht zum Klimawandel wurde von der Weltbank (2012) verfasst; ein Überblick über die Anpassungen der Tourismusbranche an den Klimawandel findet sich bei Scott und Becken (2010). Zusätzlich zu den zuvor aufgeführten und erläuterten Punkten enthält Anhang H eine Liste häufig gestellter Fragen zum Tourismus im Allgemeinen sowie zum Tourismus für bestimmte Interessengruppen im Besonderen.

7 www.werfenweng.at

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3. INDUSTRIEERBE-TOURISMUS UND LANDTOURISMUS: EINE BESTANDSAUFNAHME

Zusammenfassend kann der Landtourismus im Wesentlichen als touristische Aktivität beschrieben werden, die von Landschaften und dem damit verbundenen Erbe abhängig ist, für deren Erhaltung üblicherweise der öffentliche Sektor aufkommt. Das industrielle Erbe erfordert hauptsächlich Erhaltungsmaßnahmen, die größtenteils vom Tourismus sowie von der Finanzierung durch den öffentlichen Sektor und durch Freiwillige abhängig sind. Beide Branchen können expandieren, besser organisiert werden und stärker auf bewährte Verfahrensweisen zurückgreifen. In beiden Branchen gibt es nur wenige international wettbewerbsfähige Unternehmen, dafür jedoch eine große Zahl weniger effektiver Unternehmen. In beiden Branchen gibt es zahlreiche organisatorische und technische Probleme, die mithilfe starker gesamteuropäischer Netzwerke gelöst werden könnten. Diese könnten Grundlagenforschung betreiben und Beratungs-/Lobby-Funktionen übernehmen. Sie haben vielleicht den gleichen Ursprung und auch sicherlich einiges gemeinsam – in anderer Hinsicht können sie jedoch sehr unterschiedlich sein. Eine detaillierte Liste der Gemeinsamkeiten und Unterschiede ist in Tabelle 2 am Ende dieses Kapitels zu finden.

3.1. Was ist Industrieerbe-Tourismus? Hierbei handelt es sich um Tourismus, dessen Ziel vor allem Industriekulturstätten oder Museen mit Schwerpunkt auf dem industriellen Erbe ist. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Besuche von Industrieanlagen oder Fabrikbesichtigungen nicht als Industrieerbe-Tourismus angesehen werden: Normalerweise sind Stätten des industriellen Erbes nicht mehr in Betrieb außer zu Demonstrations- oder Produktionszwecken in geringem Umfang. Die Definition des Begriffs Industrieerbe-Tourismus wird in der akademischen Literatur nur selten diskutiert. Außerdem gibt es nur wenige begutachtete touristische Untersuchungen zu diesem Thema (siehe jedoch Edwards & Llurdés i Coit, 1996; Cole, 2004). Es handelt sich hierbei um einen Bereich, der zwischen die Studienbereiche fällt – er passt nicht wirklich in die Tourismusforschung, noch in die Forschung zum kulturellen/industriellen Erb oder in regionale Studien. Im Jahr 2001 veröffentlichte der bei der UNESCO beschäftigte österreichische Architekt und Kunsthistoriker Michael Falser eine globale Analyse der Industriekulturstätten mit dem Titel „Is Industrial Heritage under represented on the World Heritage List“ (Ist das industrielle Erbe auf der Liste der Weltkulturerbestätten unterrepräsentiert?) 8 . Seine Definition ist langatmig und etwas vage, jedoch schlägt er eine 10-Punkte-Klassifizierung von Industriekultur vor:

1. Rohstoffindustrie (z. B. Abbau von Kohle, Erz oder Gold)

2. Massenproduktionsindustrie (z. B. die primäre Metallindustrie)

3. Verarbeitende Industrie (z. B. maschinelle Produktion von Textilien)

4. Versorgungsunternehmen (z. B. Wasser, Strom)

5. Stromquellen und Zugmaschinen (z. B. Wasserräder, Dampfturbinen)

6. Verkehr (z. B. Schienen, Kanäle, Häfen)

8 Abrufbar unter http://whc.unesco.org/archive/ind-study01.pdf.

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7. Kommunikation (z. B. Radio, Telefon)

8. Brücken, Gerüste, Aquädukte

9. Bautechnik (z. B. Dachsysteme, Fensterbau)

10. Spezialstrukturen/-gebäude (z. B. Dämme, Tunnel, hydraulische Anlagen) Von diesen zehn sind die Kategorien 1, 2, 3, 5, 6, 8 und 10 diejenigen, aus denen sich am ehesten Industriekulturstätten entwickeln. Von diesen sieben ziehen die Kategorien 1, 2, 3 und 6 (Bergwerke, Metallverarbeitungsstätten, Fabriken und Verkehrssysteme) die meisten Besucher an. Es gibt außer den zuvor aufgelisteten noch drei weitere Kategorien, die ebenfalls sehr wichtig sind. Es gibt eine Reihe von Komplexen des industriellen Erbes, die eine oder mehrere Fabriken mit Arbeiterwohnungen und zugehörigen Gebäuden und zugehöriger Infrastruktur umfassen. Beispiele hierfür finden sich in Saltaire in England, New Lanark in Schottland und La Chaux de Fonds/Le Locle in der Schweiz: Sie alle sind Stätten des Weltkulturerbes. Die zweite zusätzliche Kategorie umfasst die zahlreichen Industriemuseen wie beispielsweise das katalanische Museum für Wissenschaft und Industrie in Spanien, das Industriemuseum in Chemnitz in Deutschland sowie das Technikmuseum in Hengelo in den Niederlanden. Schließlich gibt es noch die besondere Kategorie von Industriemuseen, die versuchen, in denen, anders als in herkömmlichen Museen versucht wird, Komplexe des industriellen Erbes nachzubauen. Das weltweit größte Beispiel hierfür befindet sich im Vereinigten Königreich und heißt „Beamish – The Living Museum of the North“9. Beamish ist ein Freiluftmuseum im Nordosten Englands, das auf seiner 120 Hektar großen Fläche ein funktionierendes Abbild des Alltags auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts bietet, und zwar einschließlich funktionierender Straßenbahnen, eines begehbaren Kohlebergwerksstollens, kostümierter Darsteller, Einzelhandelsgeschäften aus dieser Zeit usw. Es wirft besondere Fragen hinsichtlich Verwaltung und Konzeption auf und ist Gegenstand einer im Rahmen der vorliegenden Studie vorgestellten Fallstudie. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die aufgeführten Kategorien in etwa mit denen der Gruppe „Europäische Routen der Industriekultur“ übereinstimmen – siehe Kapitel 5 der vorliegenden Studie. Im Jahr 2003 präsentierte der TICCIH (internationaler Ausschuss für die Erhaltung des industriellen Erbes) die Charta von Nizhny Tagil über das Industrielle Erbe10. Es ist das Äquivalent im Bereich des industriellen Erbes zur bekannten ICOMOS „Charta von Venedig zur Erhaltung und Restaurierung von Denkmälern und Stätten“ aus dem Jahr 1964. Die Charta von Nizhny Tagil definiert den Begriff industrielles Erbe, legt Leitlinien zur Erhaltung dieses Erbes und seiner Nutzung fest, nimmt jedoch mit Ausnahme der Feststellung, dass öffentliche Behörden den Tourismus für Industriegegenden fördern sollten keine Stellung zum Thema Tourismus. Der Begriff Industrieerbe-Tourismus wird nicht definiert. Üblicherweise ist der Industrieerbe-Tourismus größtenteils standort-, gebäude-, maschinen- und technologieabhängig. Er ist selten regional ausgeprägt, wenngleich es einige bedeutende Ausnahmen zu dieser Regel gibt, insbesondere das Ruhrgebiet in Deutschland. Zudem ist der Industrieerbe-Tourismus, was das gesellschaftliche und kulturelle Erbe der Industriellen Revolution anbelangt, tendenziell relativ schwach ausgeprägt. Jones und Munday (2001: 586) fordern, dass der Industrieerbe-Tourismus

9 www.beamish.org.uk. 10 Siehe www.ticcih.org.

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nicht nur die physischen Überreste der industriellen Vergangenheit, sondern auch Soziofakte – „Aspekte der gesellschaftlichen und institutionellen Organisation“ – sowie Mentefakte – „Einstellungsmerkmale und Wertesysteme einschließlich Religion und Sprache“ – umfassen sollte. Dieses Thema wird später behandelt. Die Mehrheit der Industriekulturstätten stammen zwangsläufig aus dem 18. und 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industriellen Revolution. Orientiert man sich an der UNESCO-Liste der 962 Industriekulturstätten, so hat Europa hierauf fast ein Monopol. Von den 33 aufgeführten Industriekulturstätten befinden sich 28 in Europa (Tabelle 1). Die UNESCO-Liste der Industriekulturstätten bietet keinen kurzen Überblick über die häufigsten Arten, ihre Merkmale und ihre Verbreitung: Tabelle 1: Industriekulturstätten in Europa auf der UNESCO-Welterbeliste

Land Stätte

Österreich Die Semmeringbahn von Wien nach Graz

Belgien Die vier Schiffshebewerke des Canal du Centre

Belgien Bedeutende Orte des wallonischen Bergbaus

Finnland Historische Kartonfabrik von Verla in Südfinnland

Frankreich Königliche Salinen von Arc-et-Senans in Ostfrankreich

Frankreich Bergbaugebiet Nord-Pas du Calais

Frankreich Canal du Midi in Südostfrankreich

Deutschland Bergwerke des Oberharzer Bergbaus

Deutschland Völklinger Hütte, Saarland

Deutschland Zeche Zollverein, Essen

Deutschland Fagus-Werk, Alfeld. Niedersachsen

Italien Rhätische Bahn (verläuft auch durch die Schweiz)

Niederlande Mühlenanlagen in Kinderdijk-Elshout, Rotterdam

Niederlande Dampfpumpwerk von Wouda, Friesland

Norwegen Bergbaustadt Røros und Umgebung, östlich von Trondheim

Polen Salzbergwerk Wieliczka, Krakau

Spanien Biscaya-Brücke, Bilbao

Schweden Eisenhütte Engelberg, westlich von Stockholm

Schweden Historische Industrielandschaft „Großer Kupferberg“, Falun

Schweden Radiostation Grimeton, Südschweden

Schweiz Rhätische Bahn (verläuft auch durch Italien)

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Land Stätte

Schweiz Stadtlandschaft der Uhrenindustrie: La Chaux-de-Fonds und Le Locle

Vereinigtes Königreich Tal von Ironbridge, Shropshire

Vereinigtes Königreich Industrielandschaft Blaenavon, Südwales

Vereinigtes Königreich Mühlen des Derwent Valley, Derbyshire

Vereinigtes Königreich New Lanark, Südschottland

Vereinigtes Königreich Industriedorf Saltaire, Yorkshire

Vereinigtes Königreich Pontcysyllte-Aquädukt und Llangollen-Kanal, Nord-Wales

Es ist nicht überraschend, dass sich die meisten Stätten in Nordeuropa befinden, dem Zentrum der frühen Industriellen Revolution. Große Teile Osteuropas wurden erst im 20. Jahrhundert industrialisiert; viele Teile Südeuropas wurden überhaupt nicht industrialisiert. In Nordeuropa verfügen Deutschland und das Vereinigte Königreich, die führenden Länder der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, je über erheblich mehr industrielles Erbe als jedes andere Land. Diese beiden Länder haben in vielerlei Hinsicht die Erhaltung des industriellen Erbes und die Entwicklung des Tourismus angeführt. Es gibt im Bereich Industrieerbe-Tourismus vier weitere wichtige Themen, die erörtert werden müssen. Üblicherweise handelt es sich hierbei um ein standortgebundenes Phänomen. Anders als der Landtourismus umfasst er nur selten Unterkünfte. Wichtig ist Folgendes: Bis zu 50 % des Bruttoeinkommens, das aus dem Tourismus in eine Region fließt, ergibt sich aus den Übernachtungen. Das Angebot von Übernachtungsmöglichkeiten erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von Einkünften aus lokalen Speisen und Getränken, was bis zu 30 % des touristischen Einkommens ausmachen kann (WTO, 1998). In vielen ehemaligen Industriegebieten gibt es keine Übernachtungsmöglichkeiten. Zudem gibt es dort nur wenige Gebäude, die groß genug wären, um dort Pensionen einzurichten: Beide Mängel ergeben sich aus der industriellen Vergangenheit dieser Stätten. Anders als beim Landtourismus haben sich bisher nur wenige Industrieregionen auch nur annähernd zu einer Art Urlaubsort entwickelt, der in der Lage wäre, ein breites Spektrum an Attraktionen und Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten, und über ein entsprechendes Markenimage verfügt. Aufgrund der mangelhaften Ausrichtung vieler Industriekulturstätten/Museen an den Interessen von Touristen und der mangelnden Verbindung zu Tourismusagenturen ist es schwer, diese Stätten zu einem echten Reiseziel zu machen. Für Industriestandorte ist es schwer – wenn auch nicht unmöglich – eine Ortsverbundenheit zu entwickeln. Im Weiteren werden Möglichkeiten genannt, wie diese Dinge angegangen werden können, insbesondere im Rahmen der Erläuterung des Beamish-Museums im Vereinigten Königreich und des Ruhrgebiets in Deutschland in den Punkten 5.1.4 und 5.1.5. Zweitens sind die Antriebsfaktoren der Erhaltung von Industriekulturstätten üblicherweise andere als die des Landtourismus. Wie Tabelle 2 zeigt, werden die meisten Industriekulturstätten von gemeinnützigen Agenturen, den lokalen Regierungen oder von staatlichen Agenturen und oftmals auch von Freiwilligen anstatt von bezahlten Arbeitskräften verwaltet. Finanziert werden sie im Wesentlichen vom öffentlichen Sektor.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Ziel ist üblicherweise die Erhaltung und nicht die Erwirtschaftung von Gewinnen. Chhabra (2009) liefert einen interessanten Kommentar hierzu, wenn auch von der Perspektive der USA aus betrachtet. Tourismus wird von Menschen, die Kulturerbestätten verwalten, oftmals als etwas angesehen, das außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches liegt. Oft fehlt es an Partnerschaften zwischen Tourismusagenturen und Kulturerbestätten (Datzer, Seidel & Baum, 2010). Drittens hat der Industrieerbe-Tourismus mit schweren psychologischen und ästhetischen Problemen zu kämpfen. Die Verbindung zwischen der Industrie, harter Arbeit und den oftmals schwierigen Lebensbedingungen der Vergangenheit ist tief in der Psyche eines großen Teils der Bevölkerung verwurzelt. Sowohl Cole (2004) als auch Jansen Verbeke (1999) verweisen auf den Wunsch vieler, Monumente und Relikte der industriellen Vergangenheit abzureißen – von Besuchen dieser Stätten ganz zu schweigen. Die Anerkennung der industriellen Landschaft ist etwas, das einigen offenbar schwerfällt. Während die meisten Menschen sich am Anblick und Klang einer Dampflok erfreuen, die einen steilen Berg emporklimmt und dabei Funken, schwarzen Rauch und Dampf gen Himmel schießt, schätzt kaum jemand verfallene Industriestandorte und die Überreste des industriellen Abfalls. Es überrascht nicht, dass der Tourismus im Bereich des Eisenbahnerbes beliebt ist: Es ist ein leicht aufzunehmendes Besuchererlebnis. Schließlich ist es die landläufige Meinung, dass sich Aspekte im Bereich Gesundheit und Sicherheit sowie der gesellschaftliche Trend zur Eröffnung von Gerichtsverfahren insbesondere für das industrielle Erbe zu einem Problem entwickeln. Als Teil der Untersuchungen für die vorliegende Studie haben die Verfasser alle nationalen Landtourismusorganisationen, die Mitglied von EuroGites sind, sowie alle nationalen Organisationen für das Eisenbahnerbe, die Mitglied von Fedecrail (siehe 5.4) sind, angeschrieben und zu rechtlichen und anderen Beschränkungen ihrer Aktivitäten sowie der Aktivitäten ihrer Mitglieder befragt. Sie berichteten über nur wenige Probleme mit Vorschriften im Bereich Gesundheit und Sicherheit bzw. Touristen, die rechtliche Schritte ergreifen. Ein Großteil sieht dies nicht als Problembereich, da die meisten Vorschriften im Bereich Gesundheit und Sicherheit nicht nur für den Tourismus, sondern für alle Unternehmen gelten. Die meisten hatten auch eine Rechtsschutzversicherung. Die Auswirkungen der Sicherheitsnormen wurden größtenteils als für das 21. Jahrhundert angemessen angesehen, und die Lobbyarbeit gegen inakzeptable Auflagen scheint erfolgreich gewesen zu sein. Als wesentlich dringlicher wurden Probleme beim Gewinnen von Marktanteilen, beim Zugang zu öffentlichen und privaten Geldern, bei der Einstellung qualifizierter Arbeitskräfte sowie hinsichtlich eines rentablen Betriebs angesehen.

3.2. Was ist Landtourismus und was ist Agrotourismus? Landtourismus ist Tourismus auf dem Land. Agrotourismus ist Landtourismus auf Bauernhöfen. Eine solch einfache Definition des Landtourismus ist jedoch für viele Zwecke ungeeignet (Keller, 1990; Greffe, 1992). Es ergeben sich folgende Probleme:

1. Stadttourismus oder Resorttourismus ist nicht auf städtische Gebiete beschränkt, sondern greift durch Ausflüge, Beschäftigung und Einkäufe auch in ländliche Gebiete über.

2. Ländliche Gebiete sind schwer zu definieren. Zudem unterscheiden sich die von den einzelnen Ländern verwendeten Kriterien erheblich.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

3. Nicht jede Form des Tourismus in ländlichen Gebieten ist streng genommen Landtourismus – es kann auch eine Form des Stadttourismus sein, der lediglich in einem ländlichen Gebiet stattfindet. Dies gilt für viele sogenannte Urlaubsdörfer: In den letzten Jahren wurden zahlreiche groß angelegte Urlaubskomplexe auf dem Land fertiggestellt. Das Ausmaß ihrer „Ländlichkeit“ kann sowohl emotional als auch technisch begründet sein. Ihre Gestaltung sowie ihr architektonischer Stil und der Umfang können städtisch geprägt sein. Auch hinsichtlich der Eigentums- und Verwaltungsstrukturen können sie städtischer Natur sein. Sie können hinsichtlich der Einkaufspolitik für Speisen und Getränke städtisch (bzw. nicht lokal) sein. Zudem können sie hinsichtlich ihrer Funktion komplett eigenständig sein – es kann sein, dass die Besucher den Komplex nie oder nur selten verlassen und die „echte“ ländliche Umgebung gar nicht kennenlernen. (Siehe Murdoch, 1993; CPRE, 1994;11;12).

In ihrem Überblick „The Business of Rural Tourism“ (Das Geschäft mit dem Landtourismus, 1997) kommen Getz und Page zu dem Schluss, dass eine Definition des Landtourismus für die politischen Entscheidungsträger und Planer des öffentlichen Sektors nützlich sein kann. Sie müssen das Thema definieren, um die Förderfähigkeit für Zuschüsse und andere Begünstigungen zu ermitteln. Zudem müssen sie auf Definitionen zurückgreifen können, die sicherstellen, dass Genehmigungen zur Entwicklung an ländliche Initiativen vergeben werden, die dabei helfen können, die Landschaft zu erhalten, anstatt sie zu urbanisieren. Getz und Page sind sich jedoch nicht so sicher, was den Wert einer Definition des Landtourismus für andere betrifft. So sei die Frage, was ländlich bedeutet, für Betreiber von ländlichen Tourismusunternehmen nicht relevant und für Besucher auch nicht wirklich von Bedeutung. (Getz & Page, 1997, S.192) Dies ist keine informierte Meinung. Unternehmen müssen sich sehr sorgfältig überlegen, wie sie ihre Geschäftstätigkeit ausrichten, um die Marketingmöglichkeiten in vollem Umfang auszuschöpfen, die ihnen ein ländliches Image bietet. Zudem müssen sie das Konzept des „empfundenen ländlichen Charakters“ verstehen, damit ihre Aktivitäten weder die Realität noch das Image des ländlichen Umfeldes zerstören. Der ländliche Charakter ist für viele Besucher sehr wichtig: Tourismus ist letztendlich eine Form des Entkommens vom alltäglichen Leben in den Städten und Vorstädten: Es ist daher von größter Bedeutung, zu verstehen, wie der Markt den Begriff „ländlich“ definiert. Außerdem umfasst die Suche nach einer Definition auch ökologische und ethische Aspekte. Die Suche nach einer Definition des Landtourismus bringt eine Suche nach Werturteilen mit sich, die der Entwicklung des Landtourismus und den Verwaltungsprozessen zugrunde liegen sollten. Anfang der 1990er Jahre befasste sich das Programm der OECD zur Entwicklung des ländlichen Raumes mit der Frage der Definition. Man kam zu dem Schluss, dass sich der Landtourismus in seiner „reinsten“ Form wie folgt definiert:

1. In ländlichen Gebieten angesiedelt

2. Ländliche Funktion – basierend auf den besonderen Merkmalen kleiner Unternehmen des ländlichen Raumes, freie Flächen, Kontakt zur Natur und der natürlichen Welt, Erbe, „traditionelle“ Gesellschaften und „traditionelle“ Verfahren.

3. Ländlicher Maßstab – sowohl in Bezug auf Gebäude als auch auf Siedlungen – was somit üblicherweise – jedoch nicht immer – einen kleinen Maßstab bedeutet.

11 http://www.centerparcs.com/. 12 www.landal.com.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

4. Traditioneller Charakter, langsames und organisches Wachstum sowie Verbundenheit mit lokalen Familien. Oftmals lokal gesteuert und zum langfristigen Wohl der gesamten Region entwickelt.

5. Vielschichtig, das komplexe Muster der Entwicklung des ländlichen Raumes, der Wirtschaft, der Geschichte und des Standortes widerspiegelnd.

(OECD, 1994a). Tabelle 7 in Anhang A zeigt detailliert, wie sich der Landtourismus vom städtischen Resorttourismus unterscheidet. Zudem bietet der Landtourismus ganz andere Möglichkeiten, Urlaub zu machen – siehe Tabelle 8 in Anhang B. Im Rahmen des Programms der OECD zur Entwicklung des ländlichen Raumes wurden auf die zuvor genannte Definition die dreifachen geografischen Kriterien angewendet und dadurch Unterschiede zwischen den Tourismusformen festgestellt, die von ihrem Standort abhängig sind:

1. Periphere oder entlegene Regionen, die sich durch eine geringe Bevölkerungsdichte, kleine und oftmals traditionelle Unternehmen, hohe Servicekosten und wirtschaftliche Armut auszeichnen.

2. Zwischenregionen, die den Großteil der ländlichen Raumes ausmachen und zwischen den Extremen der peripheren Regionen und der wirtschaftlich integrierten ländlichen Regionen liegen.

3. In wirtschaftlich integrierten Regionen, die oftmals in der Nähe großer städtischer Komplexe liegen, findet man tendenziell große Bauernhöfe, eine diversifizierte Wirtschaft, gute Dienstleistungen und relativ großen Wohlstand.

(OECD, 1992). Wie bereits erläutert, bietet der Landtourismus im Gegensatz zum Industrieerbe-Tourismus normalerweise ein „komplettes“, wenn auch ungeplantes, Paket an touristischen Einrichtungen. Hierzu gehören eine Reihe von Übernachtungs- und Bewirtungsmöglichkeiten, sowohl natürliche als auch von Menschen geschaffene Attraktionen, Einkaufsmöglichkeiten und oftmals koordinierte und von einer lokalen Partnerschaft, einem lokalen Rat oder einer Gemeinde bereitgestellte Informationseinrichtungen. Fast alle Übernachtungseinrichtungen befinden sich, ebenso wie viele der Attraktionen, in privatem Besitz. Aus diesem Grund kann der Landtourismus besser auf die Marktnachfrage eingehen und muss dies oftmals auch tun. Gleichermaßen profitiert der Landtourismus jedoch enorm von der Arbeit der romantischen Dichter, Maler und Komponisten der Vergangenheit, die uns eine Wertschätzung für die Natur, den ländlichen Raum und die Erholung im Freien übermittelt haben. Der Landtourismus steht tief in der Schuld Beethovens 6. Symphonie, der Naturgedichte von William Wordsworth und der Gemälde des deutschen Malers Caspar David Friedrich sowie des Spaniers Carlos de Haes.

3.3. Der Niedergang des Begriffs Agrotourismus? Die Landwirtschaft steht traditionell im Mittelpunkt des ländlichen Lebens. Sie war der wichtigste Arbeitgeber, die wichtigste Einkommensquelle in den meisten ländlichen Wirtschaften, und indirekt hatten die landwirtschaftlichen Prozesse einen starken Einfluss

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auf Traditionen, Machtstrukturen und Lebensstile. Die Entscheidungen der Landwirte bestimmten die Landnutzung und das Aussehen der Landschaften. Es überrascht nicht, dass frühe Formen des Landtourismus eng mit Übernachtungen auf Bauernhöfen verbunden waren. Diese Verbindung wurde mit der offiziellen Förderung der Diversifizierung der Bauernhöfe in den 1960er und 1970er Jahren noch enger. Der Begriff Agrotourismus wurde immer häufiger verwendet, und einige europäische Landwirtschaftsministerien unterstützten die Entwicklung des Agrotourismus. Schritt für Schritt wurde jedoch immer öfter der Begriff Landtourismus verwendet, während der Begriff Agrotourismus lediglich eine Unterkategorie eines ganzheitlichen Landtourismus bezeichnete. Hierfür gibt es vielerlei Gründe. Als sich der Tourismus in ländlichen Gebieten entwickelte, wurde klar, dass Besucher zwar eventuell auf Bauernhöfen übernachten, den Großteil ihrer Zeit jedoch nicht auf dem Bauernhof verbringen, sondern die Landschaft im Allgemeinen sowie die Dörfer und Städte auf dem Land im Besonderen erkunden würden. Die Landwirtschaft spielt also eine immer weniger zentrale Rolle in ländlichen Gebieten. Bis zum Anfang der 1990er Jahre waren nur in fünf OECD-Staaten 13 mehr als 15 % der Arbeitskräfte in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei beschäftigt; in acht OECD-Staaten lag dieser Anteil unter 5 %. Auch die Rolle der Landwirte als Schützer der traditionellen Landschaften hat an Bedeutung verloren: Landwirte müssen mittlerweile oftmals Planer und Naturschutzorganisationen um Beratung und finanzielle Unterstützung bitten, damit sie ihre Arbeiten zur Erhaltung von Landschaft und Natur durchführen können. Zudem entscheiden sich viele kleinere Bauernhöfe dazu, den landwirtschaftlichen Betrieb einzustellen und sich voll auf den Tourismus zu konzentrieren. Die großen Bauernhöfe, die auch weiterhin bestehen bleiben, benötigen in der Regel kein touristisches Einkommen. In der Zwischenzeit ist die Zahl der Unterkünfte und Attraktionen in Dörfern und kleinen Städten angestiegen. Außerdem befindet sich, wie G4 in Anhang G veranschaulicht, eine neue Art des Unternehmers im Bereich des Landtourismus in den ländlichen Gebieten auf dem Vormarsch – er zieht von der Stadt aufs Land, entwickelt dort ein kleines touristisches Unternehmen, das sich um einen bestimmten Lebensstil dreht, und lebt dort. Aus all diesen Gründen ist es heutzutage normal, statt des Begriffes „Agrotourismus“ den Begriff „Landtourismus“ zu verwenden, wovon der Agrotourismus wiederum ein Teil ist.

3.4. Was waren die Ursprünge des Industrieerbe-Tourismus und des Landtourismus?

Das Wachstum beider Branchen kann bis in die späten 1960er und die frühen 1970er Jahre zurückverfolgt werden. Beide sind Produkte wirtschaftlicher und technischer Veränderungen, die den Status quo der Gesellschaft, der Lebensstile und lange bestehender Wirtschaftsstrukturen bedrohten. Veränderungen in der Landwirtschaft bedrohten traditionelle Landwirtschaftsmuster und -techniken im Großteil der entwickelten Welt. Im Jahr 1968, behauptete Sicco Mansholt, der damalige EU-Kommissar für Landwirtschaft, kleine Bauernhöfe hätten keine Zukunft in der Landwirtschaft. Der Mansholt-Plan sah vor, dass fünf Millionen Landwirte ihren Beruf aufgeben (Europäische Kommission, 1968). Mansholt wies außerdem darauf hin, dass in der Schwerindustrie – Kohle, Eisen und Stahl, Textilien sowie der Schiffsbau –

13 Griechenland, Island, Republik Irland, Portugal und Türkei (OECD,1994b).

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schnell Unternehmen und Arbeitskräfte abgebaut würden. Diese Entwicklungstrends trugen zur Entwicklung des Industrieerbe- und des Landtourismus bei. Bauernhöfe diversifizierten ihr Angebot, um ihr Einkommen aufrechtzuerhalten: Der Tourismus bot eine Möglichkeit, die Abhängigkeit von der Landwirtschaft zu durchbrechen. Zudem half er dabei, den Wert der ländlichen Gebiete sowie der Lebensstile und der Kulturen zu erhöhen und zu ihrer Erhaltung beizutragen. In den Industrieregionen entstand aufgrund nicht mehr benötigter Anlagen und Infrastrukturen der Schwerindustrie das industrielle Erbe. Der Tourismus half dabei, den Wert der Aspekte eines verschwindenden Erbes sowie der zugehörigen Lebensstile und Kulturen zu fördern und diese zu erhalten. Der Begriff „Erhaltung“ wurde zum Schlüsselbegriff. An dieser Stelle ist es angebracht, Robert Shannon Peckham aus dem Jahr 2003 zu zitieren. Er ist der Auffassung, dass die Aussicht auf den Verlust das Erbe verfolge. 14 Diese Aussicht wurde zu einem starken Antriebsfaktor für die Branchen, die sich mit dem Kulturerbe befassen, sowie für den Industrieerbe-Tourismus. Der Begriff Nostalgie – für verlorene Industrie- und Agrarlandschaften – wurde zu einem machtvollen Begriff für Erhalter und den Kulturerbe-Tourismus. In touristischer Hinsicht ist die Verlustangst noch immer von Bedeutung. Sie ist zum Teil für den Aufstieg des Gastro-Tourismus verantwortlich. Dies manifestiert sich auch in der Politik. Das Buch von José Bové und François Dufour mit dem Titel „Le monde n’est pas une merchandise“ (Die Welt ist nicht zu verkaufen, 2000) ist gleichzeitig ein Manifest für nachhaltige Landwirtschaft nach dem Vorbild traditioneller Konzepte, ein politisches Dokument und eine romantische Marketing-Präsentation für den Landtourismus. Sowohl der Industrieerbe- als auch der Landtourismus verfolgen einen Zweck, der über simple Wirtschaftlichkeit hinaus geht. Beide können die physischen Hinterlassenschaften der Vergangenheit schützen und als Rechtfertigung für die Erhaltung dieser Vergangenheit dienen. Im Jahr 1990 schrieb Peter Keller in seinem Bericht zur „Tourismuspolitik und zur Entwicklung des ländlichen Raumes“15 für den Tourismus-Ausschuss der OECD, dass der ländliche Raum als Gegengewicht zum hyper-zivilisierten städtischen Zentrum keine Illusion sei. Er schreibt, dass Landwirte in Bergregionen auf dem Land gehalten werden müssten und hoch entwickelte Wirtschaften sich den Luxus des Schutzes typischer ländlicher Gebiete leisten sollten.16 Peter Keller war weder Soziologe für den ländlichen Raum noch Vertreter der Landwirtschaftsgemeinde: Er war seit über 30 Jahren für die Tourismuspolitik der schweizerischen Bundesverwaltung verantwortlich. Konkret spiegelt das Wachstum der Märkte des Industrieerbe-Tourismus und des Landtourismus ein höheres Bildungsniveau sowie das Interesse und die Förderung beider Aktivitäten durch die Massenmedien wider. In vielen Ländern haben beide Bereiche von Änderungen der Lehrpläne in den Schulen profitiert, nach denen nun Wissen zur jüngeren Vergangenheit, der Geografie und zu umweltbezogenen Fragen sowie in vielen Fällen auch Wissen zum ländlichen Raum vermittelt wird. Der Markt für den Landtourismus zeichnet sich durch zwei weitere Charakteristika aus. Die meisten Untersuchungen zeigen, dass „die Ruhe und der Frieden“ sowie der direkte Zugang zur Natur die wichtigsten Attraktionen sind. Außerdem haben Sportmöglichkeiten – hauptsächlich Wandern, in zunehmendem Maße jedoch auch Radfahren und teilweise auch extremere Sportarten wie Klettern, Orientierungswanderungen und ähnliche Aktivitäten – stark an Beliebtheit gewonnen. In bestimmten Ländern hängt jedoch viel von Zugangsrechten zum ländlichen Raum ab. In Großbritannien, Deutschland, Österreich, der 14 Shannon Peckham, R. (Hrsg.). Rethinking Heritage: Cultures and Politics in Europe. New York: I. B. Tauris.

2003, S.3. 15 OECD (1990) Tourism policy and sustainable development of rural areas, OECD, Paris. 16 OECD (1990) Tourism policy and sustainable development of rural areas, OECD, Paris.

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Schweiz und in Frankreich gibt es beispielsweise ein dichtes Netz an Wanderwegen und anderen Strecken, die üblicherweise gut kartografiert und beschildert sind und deren Nutzungsrechte relativ klar sind. Die nachstehende Tabelle 2 fasst die wesentlichen Charakteristika des Landtourismus und des Industrieerbe-Tourismus zusammen. Tabelle 2: Wesentliche gegensätzliche Charakteristika des Land- und des

Industrieerbe-Tourismus

Landtourismus Industrieerbe-Tourismus

Verbreitung Weit verbreitet Auf ehemalige Industriegebiete beschränkt

Umfang der individuellen Vermögenswerte

Klein Klein bis groß

Eigentumsverhältnisse Vornehmlich privat Überwiegend gemeinnützige Organisationen und öffentlicher Sektor

Anzahl der Stätten Sehr viele: fragmentierte Aktivität

Gering – aber fragmentierte Aktivität

Marketing Standortspezifisch und über Partnerschaftsmodelle

Üblicherweise standortspezifisch

Markt Allgemein und Nische Allgemein und Nische

Attraktionen Ja Ja

Übernachtungsmöglichkeiten Ja Nein

Rolle für die Erhaltung Indirekt Direkt

Unternehmensneugründungen Ja Selten

Entwicklung neuer Produkte Oft Potenziell

Direkte Beschäftigung Groß Klein

Indirekte Beschäftigung Groß Mittel

Freiwilligendienst Selten Sehr wichtig

Mehrfachaktivitäten Üblich Selten

Lokale Entwicklungsgruppen In manchen Fällen Nein

Nationale Entwicklungsgruppen Üblicherweise In manchen Fällen

Europäische Gruppen Ja Ja

Neue Konzepte Ja In manchen Fällen

Rechtliche Beschränkungen Gesundheit / Sicherheit Gesundheit / Sicherheit

Planung Planung

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4. DER NUTZEN DES INDUSTRIEERBE-TOURISMUS UND DES LANDTOURISMUS: EINE WIRTSCHAFTLICHE, ÖKOLOGISCHE UND SOZIOKULTURELLE ANALYSE

Sowohl der Industrieerbe- als auch der Landtourismus wollen der Wirtschaft einen Nutzen im Hinblick auf den Schutz des Kulturerbes bieten und Vorteile für die lokalen Gemeinden, in denen diese Tourismusformen betrieben werden, und die breitere Gesellschaft mit sich bringen. Es gibt zwar nur wenige Belege dafür, dass dem nicht so wäre – außer in sehr spezifischen Fällen –, jedoch gibt es ebenso wenige Belege dafür, wie effektiv ihre Aktivitäten hinsichtlich ihres Gesamtnutzens sind. Das Fehlen der Belege hat folgende Ursachen:

Schlechte, widersprüchliche und zahlreiche Definitionen der Begriffe industrielles Erbe, ländliche Gebiete, Tourismus (im Vergleich zum Begriff Erholung), Tourismus im Allgemeinen, Kulturerbetourismus und Landtourismus.

Fehlende statistische Daten und ernste Probleme bei der Erfassung dieser Daten.

Fehlende finanzielle Mittel für individuelle Stätten sowie insbesondere für regionale Forschung.

Die Art des Tourismus und der Besuche. Eine große Zahl von Touristen übt im Rahmen einer Reise sowie oftmals auch an einem einzigen Tag mehr als eine Form des Tourismus aus. So besucht eine Familie beispielsweise morgens eine Kathedrale, isst in einer kleinen Stadt zu Mittag, fährt am Nachmittag mit einer historischen Eisenbahn, besucht unterwegs eine Spinnerei aus dem 19. Jahrhundert und übernachtet dann auf einem Bauernhof. Auch innerhalb dieser Familie wird es sehr unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse geben – dies wird in der klassischen Studie zum Landtourismus von Palacio und McCool (1997) veranschaulicht.

Trotz der zuvor genannten Punkte beschreibt, bewertet und diskutiert dieser Abschnitt den bestehenden und den potenziellen Nutzen des Industrieerbe- und des Landtourismus anhand der wirtschaftlichen, ökologischen und soziokulturellen Auswirkungen.

4.1. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des europäischen Industrieerbes

Wie bei vielen anderen Touristenattraktionen aller Arten wird auch das Einkommen der Industriekulturstätten mit Besuchern erzielt. Das Haupteinkommen stammt aus Eintrittsgeldern. Es gibt jedoch zahlreiche sekundäre Einkommensquellen. Die Mehrheit der Besucher solcher Stätten besichtigt diese im Rahmen eines Tagesausflugs: Eine sekundäre, indirekte Einkommensquelle stellen somit Speisen, Getränke und der Einzelhandel sowie reisebezogene Ausgaben in der besuchten Region dar. In vielen Fällen ergänzen sie jedoch das touristische „Angebot“ einer Region und ziehen Übernachtungsgäste an. Diese Übernachtungsgäste bringen zusätzliche sekundäre Einnahmen für lokale Gebiete in den Bereichen Unterkunft sowie Speisen und Getränke; diese Einnahmen sind normalerweise um ein Vielfaches höher als die Ausgaben für den Besuch der Stätte an sich und liegen weit über den Ausgaben eines Besuchers, der einen Tagesausflug unternimmt.

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Zusätzlich stimulieren die direkten Ausgaben von Touristen an Stätten des industriellen Erbes weitere Ausgaben dieser Organisationen und deren Angestellten in den lokalen Wirtschaften. Diese indirekten und induzierten Ausgaben können den gesamten wirtschaftlichen Effekt des Tourismus deutlich erhöhen. So wurde beispielsweise im Rahmen einer Untersuchung der Eisenbahnlinie in West Somerset, einer historischen Eisenbahnlinie im Südwesten Englands, der Wert des Multiplikators auf 1,9 geschätzt (Internationales Zentrum für Forschung und Beratung, 2004). Jeder Euro, der für die Eisenbahn ausgegeben wird, generiert weitere 0,90 Euro in der lokalen Wirtschaft, wodurch sich der Wert der ursprünglichen Ausgabe fast verdoppelt. Diese Schlussfolgerungen wurden durch eine Untersuchung der Auswirkungen der Eisenbahnlinien in Ffestiniog und im walisischen Hochland in Nordwales verifiziert (Williams, 2008). Beide Eisenbahnlinien sind ausschließlich touristische Linien mit einem kombinierten Schienennetz von 60 Kilometern Länge: Die Eisenbahnlinie im walisischen Hochland wurde vor Kurzem – 70 Jahre nach ihrer Stilllegung als konventionelle Bahnlinie – saniert und neu eröffnet. Die primären Einnahmen der 128 000 Fahrgäste, von denen 95 % Touristen sind, beläuft sich auf etwa 6 Mio. EUR; die sekundären indirekten und induzierten Einnahmen bringen der lokalen Wirtschaft weitere geschätzte 5 Mio. EUR. Man schätzt, dass 12 000 Fahrgäste die Region hauptsächlich wegen der historischen Eisenbahnlinie besuchen. Die zukünftigen Spitzen-Bruttoeinnahmen der Eisenbahnlinie werden auf 14 Mio. EUR geschätzt, da sich das Markenimage der Linie verbessert und die Marketingarbeiten ausgeweitet werden. Ein Unternehmen im ländlichen Umfeld der Eisenbahnlinie beschäftigt durchschnittlich 6,6 Personen: Die Zahl der Vollzeitbeschäftigen der Bahnlinie beträgt 60 Personen. Derzeit gibt es keine einzelne oder umfassende Datenquelle zu den Auswirkungen des Industrieerbesektors. Der Sektor ist in Bezug auf Größe, Verwaltung und die beteiligten Industrien sehr vielschichtig. Einige Stätten sind klein, dienen lediglich der Erhaltung eines bestimmten industriellen Erbes und sind vollständig von der Unterstützung unbezahlter Freiwilliger abhängig; andere sind deutlich größer, haben einen ausgeprägteren Geschäftsethos und kombinieren oftmals eine professionelle Verwaltung und professionelle Angestellte mit der Arbeit von Freiwilligen. Einige haben sich zusammengetan und nationale oder internationale Dachverbände gegründet, andere wiederum sind weiterhin „unentdeckt“, insofern ist die Mitgliedschaft in den nationalen oder internationalen Dachverbänden keineswegs allumfassend. Angesichts der Vielschichtigkeit des industriellen Erbes und der Tatsache, dass viele Stätten klein und nicht erfasst sind, gibt es keine oder nur wenige Daten zur Nachfrage bzw. den Ausgaben innerhalb dieses Sektors. Zudem gibt es Überschneidungen mit ähnlichen Bereichen wie z. B. Kulturerbe, Archäologie, Wissenschaft und Technik, Baudenkmäler und Museen. Es gibt jedoch einige Untersuchungen, die Hinweise die potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen von Industriekulturstätten sowie die damit in Zusammenhang stehenden Auswirkungen auf den Tourismus geben. In einem Bericht des Heritage Lottery Fund und von VisitBritain (2010) mit dem Titel „Heritage and the UK tourism economy“ (Kulturerbe und die Tourismusbranche im Vereinigten Königreich) wurde geschätzt, dass der Sektor Kulturerbe für die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs einen Wert von insgesamt mehr als 24 Mrd. EUR hat und mehr als 250 000 Vollzeitarbeitsplätze bringt (siehe Tabelle 3 nachstehend). Wenngleich der Industrieerbe-Tourismus auch nur ein kleiner Teil der gesamten Kulturerbeindustrie ist, so führt er gemäß der im weiteren Verlauf erläuterten Formel aller Wahrscheinlichkeit nach doch zu einem direkten und indirekten Einkommen von etwa 2,5 Mrd. EUR.

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Tabelle 3: Der Tourismussektor im Zusammenhang mit Kulturerbe im Vereinigten Königreich

Jährliche Ausgaben

Internationaler Tourismus 3,1 Mrd. EUR

Übernachtungen im Inland 0,6 Mrd. EUR

Tagesausflüge im Inland 5,0 Mrd. EUR

Gesamtbetrag der Ausgaben 8,7 Mrd. EUR

Gesamtbetrag der Ausgaben inkl. Multiplikatoreffekte 24,3 Mrd. EUR

Beschäftigung

Beschäftigung (Arbeitsplätze) 113 000

Beschäftigung (Arbeitsplätze) inkl. Multiplikatoreffekte 270 000

Quelle: Angepasst von „Heritage and the UK tourism economy” (2010). Im Jahr 2010 wurde das Potenzial des Industrieerbe-Tourismus in Brandenburg (Deutschland) im Rahmen einer detaillierten Untersuchung für die Region auf 50 Mio. EUR pro Jahr geschätzt (Datzer, Seidel & Baum, 2010). Es wurde zudem auf die Schwierigkeit bei der Schätzung der geschaffenen Arbeitsplätze hingewiesen, die sich zum Teil daraus ergibt, dass viele Aufgaben von Freiwilligen übernommen werden. Die Schätzung beläuft sich jedoch auf unter 500 (siehe Punkt 5.1.5). Das größte Eisenbahnmuseum der Welt, das UK National Railway Museum in York, zieht jedes Jahr mehr als 770 000 Besucher an (NMSI, 2011). Eine aktuelle Untersuchung des Tourismusbüros von Yorkshire (2008) schätzt, dass das Museum Ausgaben in Höhe von fast 29 Mio. EUR innerhalb der Grafschaft (Yorkshire) generiert hat. Über die Hälfte davon entfiel auf Übernachtungsgäste aus dem In- und Ausland. Es gibt EU-weit eine Reihe von Ansätzen zur Schätzung der Nachfrage nach sowie der wirtschaftlichen Auswirkungen von Industrieerbe-Tourismus. Im Allgemeinen lassen sich diese in zwei Kategorien aufgliedern, „Bottom-up“ („von unten nach oben“) oder „Top-down“ („von oben nach unten“). Ein Bottom-up-Ansatz erfordert eine umfassende Erfassung von Daten, normalerweise für jede Stätte separat. Selbst wenn solche Daten zur Verfügung stehen, so umfassen sie normalerweise zwar die Eintrittspreise und die Ausgaben vor Ort, aller Wahrscheinlichkeit jedoch keine Informationen zu Ausgaben für Übernachtungen, Einkäufe im Einzelhandel, Verkehr sowie Speisen und Getränke außerhalb der besuchten Stätte. Ein Top-down-Ansatz basiert auf allgemeinen Tourismusdaten, die auch Ausgaben außerhalb der besuchten Stätte umfassen, jedoch von der Vermutung ausgehen, dass die Eigenschaften der eines durchschnittlichen Touristen ähnlich sind, was der Fall sein kann, aber nicht muss. In diesem Bereich fehlen einheitliche europäische Daten; daher wurde eine Top-down-Methodik angewandt. Diese umfasst die Erfassung allgemeiner Tourismusdaten in Europa und eine Präzisierung dieser Daten auf der Grundlage einer Reihe von Annahmen. Anhand einer Reihe von Schritten ermöglicht dies eine Schätzung der Nachfrage sowie der wirtschaftlichen Auswirkungen. Anhang F zeigt den Anteil der Befragten, die den Bereich Kultur/Religion im Rahmen einer aktuellen Umfrage als Grund für einen Urlaub angegeben haben (TNS Political & Social,

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

2012). Es wurde angenommen, dass die Kategorie Kultur/Religion 17 von allen Antwortmöglichkeiten der Umfrage am ehesten die Motivation zum Besuch von Industriekulturstätten umfassen dürfte. Man geht davon aus, dass diese Kategorie eine Reihe anderer Motivationen enthält und dass auch die anderen Kategorien ein Element des Industrieerbes beinhalten könnten. Zudem sollte darauf hingewiesen werden, dass die Befragten nur eine Kategorie auswählen durften (Mehrfachnennungen waren nicht erlaubt). Es ist bekannt, dass viele Touristen mehrere Gründe für den Besuch einer bestimmten Region haben und dass sie oftmals unterschiedliche Arten von Attraktionen besuchen. Beide Faktoren können zu einer Unterschätzung der Nachfrage im Bereich des Industrieerbe-Tourismus führen. Um die Breite der Kategorie Kultur/Religion widerzuspiegeln, wurden die Zahlen in Anhang F vor der Anwendung der allgemeinen Nachfragezahlen für Übernachtungstourismus und Tagesausflüge angepasst. Tabelle 4 enthält die Schätzungen für jedes Land; insgesamt wird geschätzt, dass der Industrieerbe-Tourismus für mehr als 18 Millionen touristische Reisen sowie 146 Millionen Tagesausflüge verantwortlich ist. Tabelle 4: Nachfrage im Bereich Industrieerbe-Tourismus

Land Übernachtungsgäste (Millionen)

Tagesausflüge (Millionen)

Österreich 1,21 4,81

Belgien 0,60 7,10

Bulgarien 0,02 0,11

Zypern 0,01 0,04

Tschechische Republik 0,29 1,68

Dänemark 0,11 0,23

Estland 0,05 0,12

Finnland 0,19 0,22

Frankreich 2,14 15,73

Deutschland 5,95 65,85

Griechenland 0,08 0,30

Ungarn 0,07 1,76

Irland 0,04 0,66

Italien 1,67 14,22

Lettland 0,02 0,11

Litauen 0,02 0,17

Luxemburg 0,03 0,24

17 Die anderen Kategorien lauteten: Erholung, Zeit mit der Familie verbringen, Sonne/Strand, Freunde und

Verwandte besuchen, Natur, Städtereisen sowie Sport.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Tagesausflüge (Millionen) Übernachtungsgäste Land (Millionen)

Malta 0,02 0,05

Niederlande 1,01 8,06

Polen 0,24 1,36

Portugal 0,22 2,32

Rumänien 0,04 0,38

Slowakei 0,04 0,07

Slowenien 0,02 0,02

Spanien 2,63 6,18

Schweden 0,46 0,41

Vereinigtes Königreich 1,09 14,18

Gesamt 18,28 146,36

Wie zuvor erwähnt, besteht einer der Vorteile des Top-down-Ansatzes darin, dass die breiteren Auswirkungen der touristischen Aktivitäten anstatt lediglich der direkten Ausgaben vor Ort erfasst werden können. Für die vorliegende Untersuchung wurden Durchschnittswerte von Demunter & Dimitrakopoulou (2012) für die Ausgaben verwendet; 349 EUR für Touristen aus dem Ausland, 220 EUR für Touristen aus dem Inland und 28 EUR für Tagesausflügler. Man schätzt, dass die von industriellen Erbe motivierte Nachfrage für die lokalen Wirtschaften 4,8 Mrd. EUR im Bereich Übernachtungstourismus und 4,1 Mrd. EUR im Bereich Tagesausflüge generiert (siehe Tabelle 5 nachstehend). Tabelle 5: Geschätzte Ausgaben von Touristen im Bereich Industrieerbe-

Tourismus

Land Übernachtungsgäste (Millionen €)

Tagesausflüge (Millionen €)

Österreich 366,7 134,5

Belgien 174,4 198,7

Bulgarien 7,0 3,0

Zypern 4,8 1,2

Tschechische Republik 83,3 47,2

Dänemark 29,4 6,3

Estland 15,0 3,3

Finnland 48,6 6,1

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Übernachtungsgäste Tagesausflüge Land (Millionen €) (Millionen €)

Frankreich 550,8 440,6

Deutschland 1462,8 1843,8

Griechenland 23,4 8,3

Ungarn 19,3 49,2

Irland 8,6 18,4

Italien 465,7 398,2

Lettland 6,3 3,2

Litauen 4,7 4,8

Luxemburg 9,9 6,7

Malta 7,2 1,5

Niederlande 270,7 225,6

Polen 59,0 38,1

Portugal 63,1 65,1

Rumänien 10,5 10,6

Slowakei 9,6 1,9

Slowenien 4,6 0,1

Spanien 735,1 173,2

Schweden 114,8 11,6

Vereinigtes Königreich 279,2 397,0

Gesamt 4834,4 4098,1

Der Wert des Industrieerbe-Tourismus für die Wirtschaft der Europäischen Union lässt sich nicht definitiv feststellen. Für die vorliegende Studie wurden seine wirtschaftlichen Auswirkungen auf der Grundlage von Anteilen an den vorhandenen Touristenströme geschätzt. Die Gesamtzahl der in der EU vom industriellen Erbe motivierten touristischen Reisen und Tagesausflüge wird auf etwa 157 Millionen geschätzt, die direkten Ausgaben auf fast 9 Mrd. EUR jährlich. Berücksichtigt man die indirekten und induzierten Effekte, so sind die Auswirkungen insgesamt gesehen wahrscheinlich sogar noch deutlich größer. Dies gilt insbesondere für viele Industriekulturstätten, die eher lokal verwurzelt sind und über starke Verbindungen zu den Gemeinden vor Ort verfügen, was die wirtschaftlichen Auswirkungen verstärkt18. 18 Siehe hierzu z. B. eine von der Countryside Agency und der New Economics Foundation in Auftrag gegebene

Studie, Sacks, Justin (2002) „The Money Trail“, London, New Economics Foundation.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

4.2. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Landtourismus Die zuvor erwähnten Probleme hinsichtlich der Datenerfassung sind im Bereich des ländlichen und des Agrotourismus ebenso groß. Als Folge dessen wird oftmals nicht in vollem Umfang erkannt, wie stark der Sektor des Landtourismus heutzutage ist. Teilweise liegt dies an der Integration vieler Teile dieses Sektors in andere Sektoren. Viele Unternehmen, die Übernachtungen auf Bauernhöfen anbieten, sind finanziell in die landwirtschaftlichen Tätigkeiten des Betriebes integriert: Gewinne aus dem Übernachtungsbetrieb werden genutzt, um Verluste aus dem landwirtschaftlichen Betrieb auszugleichen. Einkäufe von Besuchern in den Geschäften von Dörfern und kleinen Städten werden nicht von den Einkäufen der Bewohner vor Ort getrennt. Besucherzahlen werden von den öffentlichen Verkehrsunternehmen nur selten separat erfasst, und das obwohl sie oft von großer Bedeutung für den wirtschaftlichen Fortbestand sind; dies ist ein sehr reales Problem bei der Bewertung der Rentabilität ländlicher Eisenbahnnetze, nämlich dann, wenn der Großteil der Fahrkarten nicht auf dem Land, sondern in Bahnhöfen der Großstädte gekauft wird. Im Hinblick auf Arbeitsplätze erschwert die Verbreitung von Mehrfachaktivitäten im Bereich des Landtourismus (eine Person, die in mehr als einem Job und oftmals in einem Job in mehr als einem Bereich tätig ist) eine genaue Bewertung der Beschäftigungszahlen. Die Bedeutung des Landtourismus im Vereinigten Königreich wurde erst im Jahr 2001 in vollem Umfang erkannt, als sich die Maul- und Klauenseuche in den ländlichen Gebieten ausbreitete und der Landtourismus aufgrund von Reiseeinschränkungen unterschiedlicher Art größtenteils lahmgelegt wurde. Bei der Berechnung der Entschädigungsmaßnahmen stellte die Regierung fest, dass die Erträge des Landtourismus im Jahr 2000 auf etwa 14 Mrd. EUR geschätzt wurden. Im Vergleich hierzu generierte der Bereich Landwirtschaft 18 Mrd. EUR. Im Vereinigten Königreich arbeiten mehr als 380 000 Menschen in 25 000 Unternehmen im Bereich des ländlichen und des Agrotourismus (Sharpley & Craven 2001). In vielen ländlichen Regionen des Vereinigten Königreichs ist der Tourismus in finanzieller und beschäftigungspolitischer Hinsicht wichtiger als die Landwirtschaft. EuroGites, der europäische Dachverband für den Landtourismus, hat im Jahr 2008 Finanzdaten seiner Mitgliedsorganisationen erfasst und diese Informationen auf der Grundlage bekannter Bettenzahlen von Organisationen hochgerechnet, die nicht Mitglied des Dachverbandes sind. Diese Berechnungen deuten darauf hin, dass der Landtourismus in Europa 900 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt unterstützt und ein jährliches Bruttoeinkommen von 150 Mio. EUR generiert (EuroGites, 2009a). Diese Zahlen sind Schätzungen, allerdings gibt es derzeit auch keine Möglichkeit, genauere Statistiken einzuholen. Es scheint unwahrscheinlich, dass diese Zahlen absolut falsch sein sollen – tatsächlich liegen die Schätzungen wahrscheinlich sogar noch zu niedrig –, wenn man sich die wenigen nationalen Statistiken betrachtet, die für den Bereich des Landtourismus existieren. Die Regierung des Vereinigten Königreichs stellte fest, dass die Erträge aus dem nationalen ländlichen Tourismus im Jahr 2000 auf 14 Milliarden Euro geschätzt wurden (CMSC, 2001; Sharpley & Craven, 2001). Allein die Zahlen der Regierung für 2009/2010 für England zeigen, dass der Landtourismus einen Wert von mehr als 34 Mrd. EUR hat und für 12 % der Beschäftigung in ländlichen Regionen verantwortlich ist 19 ; 10 % der ländlichen Unternehmen stehen in Zusammenhang mit dem Bereich Tourismus.

19 http://www.defra.gov.uk/statistics/rural/the-rural-economy/rural-tourism/.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Die potenzielle Nachfrage nach Landtourismus zeigt sich in den Auswirkungen der Besucherzahlen und touristischen Ausgaben in den Naturschutzgebieten Europas, von denen viele Nationalparks sind. Statistiken des Vereinigten Königreichs zeigen, dass der Anteil an tourismusbezogenen Unternehmen und Beschäftigungsmöglichkeiten in Nationalparks doppelt so hoch ist wie im gesamten restlichen ländlichen Raum Englands: 27,5 % der Unternehmen und 21,2 % der Arbeitsplätze im ländlichen Raum entfallen auf Nationalparks20. Ähnliche Zahlen wurden auch für andere Teile Europas berichtet (Getzner et al, 2010; Getzner, 2010a). Nationalparks haben ein starkes Markenimage, das ihnen Vorteile für die Vermarktung verschafft: Marketingprofis könnten ein ähnliches Markenimage auch für andere – wenn auch nicht für alle – ländliche Gebiete schaffen. Aus diesem Grund ist der Landtourismus auf der Grundlage der verfügbaren Statistiken hinsichtlich der Einnahmen etwa 10 Mal so viel wert wie der Industrieerbe-Tourismus.

4.3. Sonstige Vorteile des Industrieerbe-Tourismus’ und des Landtourismus

Es gibt außer den Faktoren Einkommen und Arbeitsplätze eine Reihe anderer Vorteile der beiden Tourismusbereiche für bestimmte Interessengruppen. Einige davon werden nachstehend erläutert: Neue Kompetenzen und Schulungen Beide Tourismusformen ermutigen Menschen dazu, an Schulungen teilzunehmen und neue Kompetenzen zu erwerben, insbesondere in den Bereichen Kundenbetreuung, Gastronomie, IT und Marketing. In der Vergangenheit waren diese Bereiche in industriellen und ländlichen Regionen, die sich im Niedergang befanden, relativ unbekannt. Es gibt zahlreiche Anekdoten darüber, dass Menschen mit Kompetenzen im Bereich Tourismus ihre neuen Kompetenzen in anderen Jobs nutzen, oftmals in der Dienstleistungsbranche oder im verarbeitenden Gewerbe, das in diese Region umgesiedelt ist. In ehemaligen Kohle- und Stahlregionen kann dies ein wichtiger Teil der Deindustrialisierung sein, wobei der Tourismus bei der Ausbildung einer neuen Art von Dienstleistungskompetenz bei den Arbeitern hilft. So beginnt der langsame Prozess des Umdenkens (Cole, 2004). Zur walisischen industriehistorischen Stadt Blaenavon führen Jones und Munday (2001) an, dass dieser Prozess bei der Blaenavon-Partnerschaft auch nach 15 Jahren noch immer andauert. Er hilft dabei, ehemalige Kohle- und Stahlstädte für neue Branchen attraktiver zu machen. Innerhalb einiger Zweige des Industrieerbe-Tourismus werden mittlerweile Schulungen zu besondere Kompetenzen im Bereich der Metall- und Holzbearbeitung angeboten. Gespräche mit FEDECRAIL und historischen Eisenbahn- und Schifffahrtsbetrieben offenbaren ein breites Spektrum an Schulungen für besondere Kompetenzen in Österreich, Belgien, Deutschland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich. Einige haben sich weiterentwickelt. Viele stießen auf Probleme bei der Anerkennung durch Bildungsbehörden, bei der Zusammenarbeit mit Bildungsorganisationen und bei der Suche von Ansprechpartnern auf nationaler und europäischer Ebene zur Diskussion und zum gemeinsamen Lernen. Es wurden bereits umfassende Ausbildungsprogramme zur Erhaltung 20 http://www.defra.gov.uk/statistics/rural/the-rural-economy/rural-tourism/.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

des kulturellen Erbes, die Menschen Kompetenzen im Bereich der Holz- und Metallverarbeitung sowohl für historische Gebäude als auch Maschinen und Ausrüstungsgegenstände vermitteln, in Betracht gezogen, allerdings scheint bisher noch keiner dieser ganzheitlichen Programme erfolgreich gewesen zu sein. Im Vereinigten Königreich beschäftigt die privat finanzierte und bekannte Stiftung „Waterman Railway Heritage Trust“ derzeit 30 Auszubildende im Rahmen eines Beschäftigungsfonds der Regierung für 18- bis 24-Jährige, die mindestens 6 Monate lang arbeitslos waren (www.lnwrheritagecompanyltd.com/group-news/group-news.html). In Deutschland ist das Dampflokwerk Meiningen in Thüringen ein gutes Beispiel für eine eng mit dem Industrieerbe-Tourismus verbundene Ausbildung von Kompetenzen und den Transfer dieser Kompetenzen (http://www.dampflokwerk.de). Das ursprünglich im Jahr 1863 eröffnete Werk ist mittlerweile das wichtigste Zentrum zur Teileproduktion für die mehr als 3000 historischen Dampflokomotiven in Europa 21 sowie auch für historische Elektro- und Diesellokomotiven und Schienenfahrzeuge. Von Zeit zu Zeit werden dort auch neue Dampfloks oder Repliken gebaut. Das Werk ist zu einer großen, eigenständigen Touristenattraktion geworden. Dort sind über 100 Maschinenbauspezialisten sowie Unterstützungspersonal beschäftigt. Reaktion auf die Entvölkerung Die Entvölkerung ist seit dem 19. Jahrhundert ein Problem in den ländlichen Gebieten Europas. Sie steht überwiegend mit dem Rückgang der Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten sowie mit der Tendenz in Zusammenhang, dass sich das verarbeitende Gewerbe und die Dienstleistungsbranche auf die Städte konzentrieren. Wenngleich eine Entvölkerung im Hinblick auf einen Ausgleich der Bevölkerungsverteilung nicht „falsch“ ist, so führt sie doch zu einer Überfüllung in den städtischen Gebieten, bringt deprimierende Aussichten für ländliche Gebiete mit sich und schafft Probleme bei der Aufrechterhaltung von Dienstleistungen auf dem Land. Auch Industriegebiete, die sich im Niedergang befinden, haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen (siehe Anhänge G, G1 & G2). Der Landtourismus sowie in gewissem Umfang auch der Industrieerbe-Tourismus haben sowohl direkt durch die Steigerung der lokalen Einkommen und die Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten, aber auch auf andere Art und Weise eine Umkehr dieses Trends gestartet: Aufrechterhaltung von Dienstleistungen Wie bereits erwähnt, ist eines der Probleme von ländlichen und städtischen Gebieten, die sich im Niedergang befinden, die Aufrechterhaltung grundlegender Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Einzelhandel, Bildung, Verkehr und sonstigen Dienstleistungen für immer weiter sinkende Bevölkerungszahlen. Der Tourismus stärkt den lokalen Markt für Dienstleistungen und schafft statt eines Teufelskreises positive Impulse für die Aufrechterhaltung von Dienstleistungen in diesen Gebieten. Förderung der Zuwanderung Während sich Abwanderungs- und Entvölkerungstendenzen fortsetzen, wurde in vielen Teilen des Ländlichen Raums in Europa sowie in einigen ehemals im Niedergang befindlichen Industrieregionen auch ein umgekehrter und oftmals gleich großer Strom von Zuwanderern festgestellt. Verantwortlich für diesen Prozess, insbesondere in den ländlichen

21 Davon befinden sich jedes Jahr in der Regel rund 500 in Betrieb.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Gebieten, war der Tourismus. Dieser als Entstädterung bezeichnete Prozess hängt im Wesentlichen von der Umorientierung von Lifestyle-Unternehmern von den Städten auf das Land ab. Sie bringen Kapital, Marktkenntnisse, unternehmerische Fähigkeiten und Kontaktnetzwerke mit. Dieser Prozess verdankt zwar viel dem Tourismus, steht jedoch auch in Zusammenhang mit der Verbreitung der Kommunikation über E-Mail und Internet, was in vielen Branchen Telearbeit ermöglicht. Beispiele für Lifestyle-Unternehmer im Bereich des Landtourismus finden sich in Anhang G, G4. Wohnungswesen Als Folge des Wachstums im Bereich des Industrieerbe-Tourismus sowie insbesondere des Landtourismus hat der Wohnungssektor zugenommen. Beide Bereiche haben Sanierungen, Erweiterungen sowie den Neubau von Gebäuden gefördert. Dies wiederum birgt das Risiko steigender Immobilienwerte. Der Tourismus hat eine Nachfrage für die Wiederverwendung stillgelegter landwirtschaftlicher und industrieller Immobilien entweder als Übernachtungsmöglichkeit oder für den tourismusorientierten Einzelhandel/als Werkstatt oder zu gastronomischen Zwecken geschaffen. In manchen Fällen wurden stillgelegte Gebäude durch künstlerische Aktivitäten oder durch die Nutzung als historisches Zentrum/Museum einer neuen Verwendung zugeführt. Steigende Immobilienwerte helfen dabei, das Vertrauen in die Region wiederherzustellen, wenngleich dies, wie im Weiteren erläutert, in manchen Fällen auch zu einem Problem werden kann. Chancen für Frauen Sowohl in ländlichen als auch in industriell geprägten Gebieten hat die Entwicklung des Tourismus Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen in Bereichen mit sich gebracht, in denen zuvor überwiegend Männer beschäftigt waren. Dies hat zu einer höheren Erwerbsquoten geführt, die Abwanderung von Frauen gestoppt, die Einkommen erhöht und zur Einführung neuer Initiativen in den Gemeinden geführt – zu den klassischen Beispielen gehören die zahlreichen Genossenschaften von Frauen auf Santorin und Kreta (z. B. Avalona22), die Teestuben der Gemeinde Clatt im Nordosten Schottlands23 sowie viele andere. Imagebildung und Schaffung von Synergien Synergien zwischen der landwirtschaftlichen Produktion und dem Tourismus haben sich positiv auf die Vermarktung und das Image beider Sektoren ausgewirkt. Diese Entwicklung wird auch in den Pionierstudien der OECD zur Entwicklung von Nischenmärkten (OECD, 1995) sowie insbesondere im Hinblick auf das Aufkommen des Weintourismus (Hall and Mitchell, 2000) erwähnt. Ausrichtung auf regionale Initiativen zur Planung und Sanierung Die Entwicklungen im Bereich Tourismus sind mittlerweile wichtige Faktoren bei Initiativen zur regionalen Planung und Sanierung. Man stützt sich auf diese Faktoren aufgrund ihres Potenzials, das Image einer Region zu ändern, mögliche Lifestyle-Unternehmer anzulocken, die Werte des kulturellen Erbes besser zu nutzen, die Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbessern, das Einkommen zu erhöhen und neues Kapital anzuziehen. Am besten zeigt sich das Potenzial des Industrieerbe-Tourismus im industriell geprägten Ruhrgebiet in Deutschland – siehe 5.1.6 – jedoch bringen auch Initiativen in kleinerem Maßstab wie z. B.

22 http://members.virtualtourist.com/m/p/m/202e02/. 23 www.grampiancaredata.gov.uk/index.php?option=com.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Blaenavon in Wales (Anhang G, G1) und Haslach in Österreich (siehe 5.3) den ländlichen und den Industrieerbe-Tourismus enger zusammen. Vorteile für die Umwelt Sowohl der Industrieerbe- als auch der Landtourismus können Vorteile für die Umwelt mit sich bringen. Dies liegt hauptsächlich darin begründet, dass diese Formen des Tourismus den Wert der Erhaltung und Aufwertung der Umwelt fördern. Die Entwicklung des Industrieerbe-Tourismus hat Investitionen des öffentlichen Sektors sowie in einigen Fällen auch der EU im Bereich der städtischen Entwicklung sowie der Säuberung kontaminierter Böden und der Verschönerung wenig attraktiver Landstriche in ehemaligen Industrieregionen angezogen. Ohne den Beitrag und die Rechtfertigung durch den Landtourismus wäre die Erhaltung der ländlichen Gebiete Europas, der Ökosysteme, der bebauten Umwelt, der Gemeinden und Kulturen schwer zu rechtfertigen. Immer mehr Landwirte erkennen den Wert der Erhaltung der Landschaften und der Tierwelt und werden sich der Tatsache bewusst, dass ländliche Regionen auch durch Tourismus anstatt allein durch die Herstellung von Lebensmitteln Wohlstand schaffen kann. Der Landtourismus fördert den Wert der Erhaltung. Die Gemeinschaften im weiteren Sinne, städtische wie ländliche, brauchen die traditionelle ländliche Umgebung für den Sport, die körperliche und geistige Gesundheit sowie zu Bildungszwecken. Mittlerweile gibt es in Europa über 10 000 Gebiete, die aufgrund ihrer Landschaft oder ihrer biologischen Vielfalt geschützt sind (siehe Shipp, 1993), und jedes dieser Gebiete ist hinsichtlich seiner Erhaltung auf finanzielle und politische Unterstützung des öffentlichen Sektors angewiesen. Diese Unterstützung kann durch den wirtschaftlichen Nutzen gerechtfertigt werden, der sich aus dem Tourismus ergibt. Die Notwendigkeit einer starken Verbindung zwischen den Geldern zur Verwaltung von Schutzgebieten und dem nachhaltigen Tourismus wurde von Shipp (1993) erkannt und erörtert. Eagles (2002) erweiterte diese Erörterungen. Merkl (2003), Emerton (2006) und Drumm (2007) untersuchten und beschrieben, wie diese Verbindungen genutzt werden können. Soziokulturelle Vorteile In soziokultureller Hinsicht hat der Tourismus für bestimmte Interessengruppen das gesellschaftliche Leben sowie die traditionellen Lebensweisen in vielen Regionen aufrechterhalten. Der vielleicht typischste soziokulturelle Vorteil sowohl in ländlichen als auch in im Niedergang befindlichen Industrieregionen ist die Anerkennung und Wertschätzung früherer Lebensweisen, da hierdurch das Leben und die Erinnerungen älterer Einwohner an Bedeutung gewinnen und sie mit der Gegenwart und der Zukunft verbinden (Taksa, 2003). Lokalpatriotismus fördert die Ortsverbundenheit und die Ortsidentität sowohl für Einwohner als auch für Besucher. Zweitens haben viele Gemeinden einen erheblichen Nutzen aus der Teilnahme an der Entwicklung und Verwaltung des lokalen Tourismus gezogen und sind hieraus gestärkt hervorgegangen24. Ein dritter Vorteil ergibt sich aus der Erhaltung der „traditionellen“ landwirtschaftlichen, architektonischen oder industriellen Kompetenzen. Ein Verlust von Kompetenzen führt zum

24 Ein hilfreicher Leitfaden für die betreffenden Prozesse ist zu finden unter:

http://www.sustainabletourismonline.com/41/culture-heritage/assisting-communities-to-develop-heritage-tourism-opportunities.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Verlust der generationenübergreifenden Verbindungen und leitet einen Prozess des Authentizitätsverlustes ein (Xie und Lane, 2006) und kann letztendlich das Ende des Erhaltungsprozesses bedeuten. John Gardner, der mittlerweile verstorbene Gründer des Zentrums für traditionelles historisches Handwerk in Mystic Seaport (USA), einem wichtigen frühen Zentrum des Industrieerbe-Tourismus, fasste die Notwendigkeit für eine praktische Erhaltung der soziokulturellen Aspekte in Verbindung mit dem Tourismus folgendermaßen zusammen: Museen sind meist sehr kurzsichtig … das Interesse an alten Booten und Schiffen wird abnehmen, da die Generationen, die hiermit verbunden waren, aussterben …25 Für Europa sind drei praktische Beispiele der Philosophie von John Gardner anzuführen. Das Wikingerschiffsmuseum Roskilde in Dänemark 2 6 hat verlorene Fertigkeiten des traditionellen Schiffsbaus durch eine sinnvolle kommerzielle Nutzung wieder aufleben lassen, indem neue „Wikinger“-Langboote gebaut werden. „The Big Pit“ in Blaenavon (Wales) dient mittlerweile der beruflich anerkannten Ausbildung von Bergleuten (siehe 5.1.1). In Italien werden Menschen am Europäischen Zentrum zur Schulung von Handwerkern zur Erhaltung des architektonischen Erbes in Isola San Servolo, Venedig, in der Arbeit mit einer Reihe historischer Materialien ausgebildet. In diesem Tätigkeitsbereich gibt es jedoch nur wenige Koordinierungsmaßnahmen, und er wird nicht vernünftig ausgeweitet. Zudem könnte ein europäischer Ansatz wesentliche Kostenersparnisse und Möglichkeiten zur Vernetzung mit sich bringen. Schulungseinrichtungen, in denen historische Techniken gelehrt werden, können selbst auch Touristenattraktionen werden. Schließlich muss auch ein Vorteil für die Gemeinschaft im weiteren Sinne erwähnt werden. Ohne den Tourismus wäre ein Großteil des von Menschen geschaffenen Erbes verloren gegangen. Der Tourismus ist zu einem wesentlichen Faktor für die Erhaltung geworden, sofern er ordentlich verwaltet wird. Gleichzeitig hat er Arbeitsplätze geschaffen, Kapital und Einkommen in Regionen gebracht, die sich im Niedergang befinden, und die Erhaltung gefördert. Er hat das Leben einer Vielzahl von Menschen dadurch bereichert, dass er ihnen Einblicke in die Vergangenheit gegeben und ihnen vermittelt hat, wie die Menschen in der Vergangenheit gelebt und ihre Gemeinschaften verwaltet haben. Der Industrieerbe- und der Landtourismus haben den Tourismus von den Aspekten Erholung, Entspannung und manchmal auch Vergnügungssucht zu einem Tourismus entwickelt, der zum Nachdenken und Hinterfragen anregt und das Verständnis fördert. Hierdurch hat er bei der Entwicklung neuer Kunstformen geholfen – eine besondere Ausprägung der angewandten Künste. Diese Kunstform braucht den Tourismus, um ihren Wert zu entfalten – Nationalparks, Kanäle aus dem 18. Jahrhundert sowie historische Gebäude können nicht transportiert oder wie bedeutende Gemälde und Skulpturen versteigert werden.

4.4. Nachteile Besonders in sensiblen Regionen kann die Entwicklung sowohl des Industrieerbe-Tourismus als auch in wesentlich größerem Ausmaß des Landtourismus Nachteile mit sich bringen. Die meisten lassen sich durch eine informierte Verwaltung minimieren. Dazu gehören:

25 John Gardner, Schiffsbauer, Autor, Denker, Ausbilder und Pädagoge. Geboren 1905, gestorben 1995, zitiert

in The Guardian, 20.1.1996, Nachruf von Christopher Dodd. 26 http://www.vikingeskibsmuseet.dk/de/boatyard/.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Zu viele unkontrollierte Besuche in anfälligen Ökosystemen können diese schädigen. Vor fast 20 Jahren erstellte Krippendorf (1984 und 1986) eine Liste der wichtigsten Aspekte: Verlust des Baumbestands an Berghängen aufgrund des Ausbaus von Skipisten, Erdrutsche und damit verbundene Erosion durch den Bau von Straßen und Parkplätzen, Zertrampelung der Vegetation durch große Zahlen von Wanderern, zunehmende Urbanisierung landschaftlich schöner Gebiete, Lärm und Störung der Tierwelt durch Müll. Shipp (1993) erweitert diese Liste um Probleme in den Naturschutzgebieten Europas – unter anderem die Verschmutzung von Wasserläufen, die Luftverschmutzung sowie andere Arten von Schädigungen durch Mountainbikes, Bergsteiger, Orientierungsläufer und andere technologische Entwicklungen.

Die Ankunft von Zuzüglern, die Immobilien zur Nutzung als Zweitwohnungen kaufen, kann insbesondere in Schutzgebieten ein Problem darstellen, in denen der Neubau strengen Beschränkungen unterliegt. Der Wettbewerb um eine begrenzte Anzahl von Häusern kann dazu führen, dass die Immobilienpreise derart ansteigen, dass sich lokale Bewohner diese nicht mehr leisten können. Entsprechende Planungs- und Verwaltungsmaßnahmen können diesem Problem zwar entgegenwirken, können jedoch auch politisch umstritten sein.

Verlust des ländlichen Charakters: Der Tourismus kann die Urbanisierung des ländlichen Raumes fördern, kulturelle und wirtschaftliche Veränderungen mit sich bringen und den Neubau von Gebäuden nach sich ziehen.

Die wirtschaftliche Stabilität der ländlichen Welt kann durch neue (oftmals große) Tourismusunternehmen bedroht werden, die kurzfristige Gewinne erzielen möchten, die Arbeitsmärkte und Grundstückswerte verzerren und eine starke Position in der Verwaltung der Region einnehmen.

Außenstehende und starke externe Kulturen können eine Bedrohung für das kulturelle Erbe des ländlichen Raumes darstellen.

Besucher können mittlerweile in alle beliebigen ländlichen Regionen vordringen, ganz gleich, wie abgelegen sie sind. Langstreckenflüge, Mietwagen, allradgetriebene Fahrzeuge, GPS sowie die Macht der Reisesendungen im Fernsehen, in denen immer wieder nach noch unentdeckten Regionen gesucht wird – all dies stellt eine Herausforderung für das Überleben des traditionellen ländlichen Charakters sowie der wilden Natur als seltenes und kostbares Gut in Europa dar.

Eine zu große Abhängigkeit von Tourismus kann angesichts schwankender Wechselkurse, eines zunehmenden Wettbewerbs aus anderen touristischen Bereichen und Konjunkturabschwüngen Wirtschaftskrisen auslösen.

Vielen dieser Nachteile kann zwar durch entsprechende Verwaltungsmethoden entgegengewirkt werden (und Shipp, 1993, liefert trotz des Alters der Veröffentlichung hierzu eine hilfreiche Zusammenfassung der entsprechenden Methoden), es muss jedoch der politische Wille vorhanden sein, diese Methoden zu entwickeln und anzuwenden. Unter bestimmten Umständen ist es nicht immer einfach, diesen Willen auch tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Schließlich soll kurz auf die landläufige Meinung eingegangen werden, ein professionellerer Ansatz für diese Formen des Nischentourismus würde zu einem Verlust des lokalen Charakters und der regionalen Vielfalt führen. Es gibt keine Belege, die diese Meinung

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stützen. Teilweise liegt dies daran, dass der Landtourismus im Wesentlichen eine Aktivität von Kleinstunternehmen ist, deren Charakter sich durch die vielen Tausend individuellen Unternehmer auszeichnet. Multinationale Marken und standardisierte Hotelketten spielen in diesem Bereich nur eine sehr geringe Rolle. Zum Teil bremsen die großen geografischen, klimatischen und historischen Unterschiede in ganz Europa den Trend hin zur Vereinheitlichung. Viele neu auftretende Nischenprodukte bauen auf Vielfalt und Lokalität auf – ein klassisches Beispiel hierfür ist der Gastro-Tourismus. Experten im Bereich der Tourismusmanagement bemühen sich sehr, die lokale Authentizität zu finden und diese zu erhalten – Xie und Lane (2006) bieten hierzu eine Einführung. Es ist gut möglich, dass ein professionelles Management die regionale Einheitlichkeit eher verhindert als fördert.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

5. FALLSTUDIEN Dieser Abschnitt bietet Fallstudien, anhand derer die facettenreiche Komplexität der Themen in den Bereichen des Industrie und des Landtourismus veranschaulicht werden soll. Dies ist wichtig: Dieser komplexe Hintergrund muss in sämtlichen europäischen Politikbereichen und/oder Initiative berücksichtigt werden.

Die Studien folgen nicht in allen Fällen einem identischen Muster. Teilweise liegt dies daran, dass sie sich mit vielen sehr unterschiedlichen Organisationen und Themen befassen. Teilweise liegt es daran, dass sie sich aus sehr vielen Quellen sowie einer Reihe von Ländern zusammensetzen: „Offizielle“ Quellen erstatten selbst innerhalb eines Landes nur selten in einer einheitlichen Forma Bericht. Bei denen, die im Rahmen einer Peer Review untersucht wurden, gibt es ähnliche Probleme. Das Thema Tourismus wird von Agrarforschern, Wirtschaftsexperten, Ökonomen, Ökologen, Geografen, Landnutzungs- und Regionalplanern, Marketingexperten und Soziologen untersucht sowie in mehr als 140 tourismusbezogenen Fachmagazinen behandelt. Jedes ist auf unterschiedliche Aktivitäten spezialisiert und hat unterschiedliche kulturelle und technische Vorgaben.

5.1. Fallstudien zum Industrietourimus Der Industrieerbe-Tourismus will nach Möglichkeit:

1. das lokale Erbe und vorzugsweise im Rahmen einer angemessenen ländlichen oder städtischen Umgebung erhalten, anstatt es in einem Museum unterzubringen;

2. ein „arbeitendes“ Erbe präsentieren – der Aspekt der Arbeit ist für Besucher von großem Interesse und auch insofern angemessen, als es bei industriellem Erbe auch um Arbeit geht;

3. eine Verbindung zum schnell verschwindenden gesellschaftlichen und kulturellen Erbe bieten – er erhält die Stätten, an denen das historische Drama bewahrt und wiedererzählt wird – (Samuel, 1994, S.6).

Es gibt eine komplexe und faszinierende Geschichte mit bemerkenswerten Charakteren zu erzählen. Der Industrieerbe-Tourismus wurde nicht von Liebhabern gestartet, die den Tourismus entwickeln wollten, sondern von Liebhabern, die das industrielle Erbe bewahren wollten. Der Tourismus war eine Möglichkeit, die Maßnahmen zur Erhaltung durch Eintrittsgelder oder Nutzungsgebühren zu finanzieren und wirkte sich positiv bei der Suche nach öffentlichen Mitteln zur Erhaltung des Erbes aus. Der Tourismus hat die Erhaltung des industriellen Erbes in immer stärkerem Maße finanziert und könnte dies auch weiterhin tun. Die Fallstudien veranschaulichen die Probleme, die der Industrieerbe-Tourismus bewältigen muss, sowie einige der größten Erfolge. Die Auswahl der Fallstudien hat sich schwierig gestaltet. Es wurden wichtige Themenbereiche ausgewählt, innerhalb derer Studien herangezogen wurden, die sowohl typische Probleme als auch bewährte Verfahrensweisen veranschaulichen. Der Tourismus im Bereich des Kohlebergbaus (5.1.1) wurde aufgrund der zentralen Rolle der Kohleindustrie während der Industriellen Revolution in Europa sowie des großen Umfangs

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

und des finanziell aufwendigen Charakters der Industriekulturstätten des Kohlebergbaus ausgewählt. Der Tourismus im Bereich der Textilindustrie (5.1.2) veranschaulicht einen weiteren wichtigen Industriezweig des europäischen Erbes, der sich deutlich vom Bergbautourismus unterscheidet und eine Verbindung zu den Bereichen Kunst und Design sowie Spezialmaschinen herstellt. Trotz der Bedeutung von Textilien in unserem Alltag erfordert der Textiltourismus eine sehr geschickte Vermarktung, Produktentwicklung und praktische Interpretationshilfen. Eine zusätzliche Studie zum Bereich Textilien ist unter 5.3 zu finden, eine Studie von Haslach in Österreich, einer Region, die Industrieerbe- und Landtourismus zusammenbringt. Der Tourismus im Bereich der Eisenbahnen (5.1.3) wurde aufgrund seines allgegenwärtigen Charakters, seiner starken Präsenz und der oftmals praktischen Attraktivität für viele Touristen ausgewählt. Es handelt sich hierbei um eine Aktivität, die viele Freiwillige anzieht. Eisenbahntourismus kann auch nach der Stilllegung einer Eisenbahnlinie betrieben werden. Eisenbahnlinien können ebenso wie Wander-; Rad- oder Reitwege weiterexistieren. Zudem wird der Betrieb eines Freiluftmuseums für industrielles Erbe vorgestellt (5.1.4). Eine Fallstudie der wichtigsten Tourismusregion im Bereich des industriellen Erbes, des Ruhrgebietes, veranschaulicht die Nutzung des industriellen Erbes als starkes Instrument zur regionalen Planung und Erneuerung (5.1.5). Dieser Studie folgt eine Analyse einer weitaus weniger präsenten, jedoch typischeren von industriellem Erbe geprägten Region in Deutschland – der Region Brandenburg. Die Analyse erläutert die wichtigsten Fragen und mögliche Lösungen. Weitere Beispiele für Erneuerung mithilfe des industriellen Erbes sind in Anhang G der vorliegenden Studie zu finden (G1 und G2).

Einige wichtige Studienfelder, unter anderem der Tourismus im Bereich der historischen Kanäle und des maritimen Erbes, wurden aus Platzgründen ausgelassen.

5.1.1. Tourismus im Bereich Kohlebergbau Der Bergbau steht im Zentrum des industriellen Erbes. Der Kohlebergbau half dabei, die Industrielle Revolution in Gang zu bringen. Die größten Industriekomplexe Europas basierten auf Kohle. Auf Platz 2 hinter dem Kohlebergbau rangierte die Eisengewinnung als weitere wichtige Produktionsaktivität. Industrieerbe-Tourismus ist im Bereich Bergbau jedoch nicht weit verbreitet. Die interessantesten Bergwerke für Touristen sind für die Öffentlichkeit zugänglich und liegen tief unter Tage. Alle sind potenziell gefährlich. Sie erfordern strenge und teure Sicherheitsvorkehrungen, kostspielige Pumpsysteme zur Vermeidung von Überflutungen, Drucklustsysteme zur Ableitung von Gasen und zur Verbesserung der Luftqualität sowie hoch qualifiziertes Personal. Üblicherweise befinden sie sich in verschiedenen Formen in öffentlicher Hand. Die nachstehende Fallstudie veranschaulicht diese Punkte. Zusätzlich zu den vielen kleinen oberirdischen Museen gibt es einige große unterirdische Kohle-, Eisen- und andere historische Bergwerke, die Besuchern offenstehen. Einige Beispiele:

Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum (Nordrhein-Westfalen), eines der mit etwa 400 000 Besuchern pro Jahr bestbesuchten Museen in Deutschland, befindet sich in öffentlicher Hand und umfasst ein unterirdisches Demonstrationsbergwerk, das eigens für Besucher gebaut wurde.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Das Eisenerzbergwerk in Eisenerz in der Steiermark (Österreich)27 bietet lediglich im Sommer Zugang zum mittlerweile nicht mehr genutzten unterirdischen Bergwerk – an der Oberfläche wird noch immer abgebaut. Es wurde 1986 eröffnet und befindet sich im Besitz einer Stiftung des Bundeslandes Steiermark und wird von einem lokalen Unternehmen betrieben. Die Besucherzahlen liegen mit 80 000 pro Jahr während des Öffnungszeitraums von Mai bis Oktober recht hoch. Es werden Führungen unter Tage, Ausflüge in angepassten Mega-Transportern sowie Beobachtungen von Erzsprengungen angeboten.

Die Talk- und Graphitmine in Scopriminiera (Italien), 70 km von Turin entfernt, beherbergt ein Museum mit einem 3,5 km langen unterirdischen Tunnelnetz, in dem Führungen angeboten werden28..

„The Big Pit“, Blaenavon, Süd-Wales The Big Pit in Blaenavon in Süd-Wales liegt etwa 50 km oder eine Autostunde nordöstlich von Cardiff entfernt. Er ist Teil des Industriekomplexes der Weltkulturerbestätte Blaenavon. Er ist eines der seltenen Beispiele eines tiefen (90 Meter), der Öffentlichkeit zugänglichen Kohlebergwerks mit Führungen unter Tage, die während des gesamten Jahres angeboten werden. Er ist eine der größten nationalen Attraktionen und der meist besuchte Teil der Weltkulturerbestätte. Das Bergwerk wurde 1860 eröffnet und förderte Kohle für die lokalen Eisenhütten sowie für den Vertrieb im gesamten Vereinigten Königreich und darüber hinaus. Im Jahr 1910 beschäftigte es 1300 Arbeiter. Die Anzahl der Arbeiter ging langsam auf 400 zurück, bis im Jahr 1980 der Betrieb als Bergwerk eingestellt wurde. Im Jahr 1983 wurde es als Besucherattraktion neu eröffnet und von einer lokalen wohltätigen Stiftung betrieben. Es wurde schnell beliebt, hatte jedoch aufgrund der Notwendigkeit von Kapitalinvestitionen in die Besuchereinrichtungen sowie aufgrund des Wettbewerbs anderer regionaler Attraktionen mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Im Jahr 2001 wurde es Teil des Nationalmuseums von Wales, das im Besitz der öffentlichen Hand ist und dem ein Schieferbergwerk, ein kleines Textilmuseum sowie fünf weitere eher konventionelle Museen in Wales angehören. Die vorliegende Studie zeigt, dass eine relativ abgelegene Stätte hohe Besucherzahlen erreichen kann, wenn sie solide finanziert ist, gut vermarktet wird und den Menschen gut erklärt wird. Die Einrichtung hat über das Nationale Museum Zugang zu qualifiziertem Personal, das die zuvor genannte Besucherforschung durchführen und entsprechend darauf reagieren kann. Außerdem zahlen Besucher keinen Eintritt zu Big Pit. Es gibt ein großes Publikum, das an einem Besuch eines authentischen Kohlebergwerks interessiert ist. Solche Attraktionen benötigen jedoch anscheinend eine konstante Unterstützung durch den öffentlichen Sektor. Die in Anhang G zu findende zusätzliche Fallstudie zur Weltkulturerbestätte Blaenavon zeigt, dass die Besucher gedanklich nur selten eine Verbindung der anderen Attraktionen der Weltkulturerbestätte und Big Pit herstellen. Trotz langjähriger Verwaltung der Weltkulturerbestätte ist Blaenavon noch kein Ort mit umfassendem Dienstleistungsangebot. Es gibt dort weder Übernachtungsmöglichkeiten, noch wurde bisher eine Ortsverbundenheit entwickelt.

27 www.abenteuer-erzberg.at/. 28 www.scopriminiera.it.

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Die Eingliederung in das Nationalmuseum ermöglichte für Big Pit Zugang zu Kapitalinvestitionen, einer professionellen Vermarktung und Interpretation sowie zur nationalen Politik des freien Zugangs für alle Besucher. Die von ausgebildeten und erfahrenen ehemaligen Bergleuten geleiteten Führungen unter Tage wurden durch ein neues Geschäft, ein Restaurant, eine virtuelle Multimedia-Galerie, eine Schmiede und ein modernes Informationszentrum ergänzt. Big Pit wurde zu einem Pflichtteil des Lehrplans der meisten Schüler in Wales sowie in den umliegenden Gebieten Englands. Der Besucherrekord liegt bei 158 000 in einem Jahr, derzeit werden jährlich etwa 150 000 Besucher registriert. Der Gesamtbetrag der Verkäufe und Zuschüsse beläuft sich mittlerweile auf 2,4 Mio. EUR pro Jahr, die Zahl der Angestellten liegt bei 65. Eine Erhebung aus dem Jahr 2008 legt nahe, dass der Beitrag von Big Pit zur nationalen Wirtschaft bei etwa 4,8 Mio. EUR pro Jahr liegt. Big Pit ist ein wichtiger und überaus interessanter Teil der Europäischen Route der Industriekultur. Im Rahmen einer Besucherbefragung im Jahr 2007 wurde Folgendes festgestellt:

Alle Besucher reisten mit dem Auto an: 85 % kamen aus einem Umkreis von weniger als einer Autostunde

32 % waren im Urlaub; 68 % waren Tagesausflügler aus der Region Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 2 Stunden und 30 Minuten 39 % waren wiederkehrende Besucher – eine bemerkenswert hohe Zahl

Die Hauptgründe für den Besuch waren:

Von Freunden empfohlen usw., gute Reputation 28 % Die Geschichte erleben wollen usw. 20 % Wollte einem Besucher Wales und sein Erbe näherbringen 18 % Freier Eintritt 20 % Kinder 9 % Tagesausflug 14 % Wollte einmal unter Tage gehen 8 % Ich/ein Mitglied meiner Familie war selbst Bergarbeiter 8 % War schon mal hier, und es hat mir gefallen 10 %

Von den Besuchern am positivsten aufgenommen:

Die Führer 65 % Es war kostenlos, und es wurde viel geboten 32 % Das Erlebnis unter Tage 28 % Einfach alles 25 % Die Galerien 24 % Die Dunkelheit ohne Licht 14 % Die Bäder/Interpretation 8 %

Zu beiden zuvor genannten Punkten konnten die Befragten mehr als eine Antwort auswählen – aus diesem Grund ergeben die Zahlen addiert mehr als 100 %. Interessanterweise wurde der Großteil der Besucher – über 80 % – nicht vom Status der Stätten als Weltkulturerbe beeinflusst.

Quelle: Red Kite Environment, 2007.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

5.1.2. Tourismus im Bereich Textilindustrie Der Textiltourismus ist in Europa weit verbreitet. Sie wird von einer aktiven Gruppe künstlerischer Textilproduzenten und Textilfans unterstützt. Es ist schwer, die Öffentlichkeit vom Wert dieses Bereichs als touristische Attraktionen zu überzeugen, jedoch weist einiges darauf hin, dass die Situation durch bessere Marktkenntnisse und eine bessere Vermarktung, eine bessere Verwaltung und eine bessere Interpretation noch verbessert werden könnte. Das Audax-Textilmuseum in Tilburg (Niederlande) Die Herstellung von Textilien war eine traditionelle Industrie in den östlichen Niederlanden; bis zum 17. Jahrhundert hatte sich das Weben per Handwebstuhl in Tilburg gut etabliert. Im Jahr 1881 gab es in der Stadt 145 Mühlen. Mühlen und Mühlengebäude haben das Leben und die Stadtlandschaften der Region sowie insbesondere in Tilburg stark beeinflusst. Es wurden Tausende oftmals hochqualifizierter Arbeiter beschäftigt. In den 1960er Jahren verzeichnete die Industrie dann wie in anderen Textilregionen Europas einen rapiden Rückgang, da sowohl die Inlands- als auch die Exportmärkte unter dem preislichen Wettbewerb günstiger Produzenten außerhalb Europas zu leiden hatten. Die meisten Mühlen sind stillgelegt, viele wurden abgerissen. Das Audax-Textilmuseum in Tilburg ehrt dieses fast komplett verloren gegangene historische Erbe. Es hat einen besonderen Ort und möglicherweise auch eine ideale Ressource für den Industrieerbe-Tourismus geschaffen. Mehr als jede andere Stätte des Textilerbes hat es eine Brücke über die großen Lücken der Herstellung von Textilien in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft geschlagen. Es wird von Textilexperten aus der ganzen Welt hoch geschätzt. Es veranstaltet Ausstellungen und Meisterkurse, bietet gemeinsam mit Partnerinstitutionen in ganz Europa hervorragende Bildungskontakte und -maßnahmen sowie ein Austauschprogramm mit dem renommierten Amerikanischen Textilmuseum in Washington DC. Es ist ein Arbeitsmuseum: Es produziert avantgardistische Textilien vor den Augen der Besucher. Es ist ein ästhetisches Fest der Farben und Texturen. Und trotzdem wird es nur von wenigen Touristen besucht. Diese Fallstudie untersucht die Frage, warum diese lebendige und wertvolle Ressource einem Musterstandort so nahekommt und dennoch den Heiligen Gral der Verbindung der Vergangenheit mit der Zukunft für Touristen, die keine Experten in diesem Bereich sind, und der Anregung der Phantasie Zehntausender potenzieller Besucher nicht ganz erreichen kann. Prosaischer ausgedrückt ist es weit davon entfernt, sich finanziell gesehen selbst zu tragen. Es ist jedoch wichtig, bereits am Anfang dieser Fallstudie zu erwähnen, dass sich die Verwaltung des Museums dieser Probleme in vollem Umfang bewusst ist und bereits daran arbeitet. Diese Fallstudie untersucht und betont drei wesentliche Fragen. Erstens sind finanzielle Ressourcen kein großes Problem, fehlende Kenntnisse über die Märkte für den Industrieerbe-Tourismus allerdings schon. Zweitens gibt es nur unzureichende Kenntnisse darüber, wie den Märkten die von ihnen geforderten Produkte bereitgestellt werden können. Das dritte und wichtigste Problem für das Museum liegt jedoch außerhalb dessen unmittelbarer Kontrolle. Tilburg versucht trotz der zuvor erwähnten gestiegenen Touristenzahlen nicht, Besucher anzuziehen. Die Website der Stadt ist nicht attraktiv, langweilig und nicht hilfreich. Es gibt keine Kampagne zur Entwicklung des Tourismus. Ohne eine aktive Tourismus-Marketingkampagne für die Stadt/Region haben es Industriekulturstätten schwer, Besucher von außerhalb des lokalen Gebiets anzuziehen. Verbindungen zwischen dem Tourismus und den Interessen der Kulturerbestätten sind von größter Bedeutung.

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Die Vergangenheit des Museums Das Museum wurde 1958 gegründet und zog 1982 in größere Räume, die ehemalige Mommers-Textilmühle um. Es wuchs weiter, und im Jahr 2008 wurde ein atemberaubendes, ultramodernes Gebäude mit einem verglasten Eingangsbereich, einer Rezeption, einem Café/Restaurant, einem erweiterten Shop sowie einer Reihe von Konferenz- und Ausstellungsräumen angebaut. Das Museum war immer stolz darauf, ein arbeitendes Museum zu sein. Es beherbergt nicht nur eine wichtige Sammlung an Textilien, Maschinen und Dokumenten, sondern ist auch ein Ort, an dem die Besucher Künstler und Techniker bei der Arbeit an spannenden neuen Werken beobachten können. Es pulsiert, wenn auch leise, vor Aktivität. Das Museum wurde ursprünglich vom Stadtrat von Tilburg gegründet. Im Jahr 2002 wurde es in eine gemeinnützige Stiftung umgewandelt, der drei weitere Museen in Tilburg angegliedert wurden – das Stadtmuseum Tilburg, das De Pont-Museum der zeitgenössischen Kunst und das Scryption-Museum für schriftliche Kommunikation. Der Stadtrat finanziert auch weiterhin 70 % der Ausgaben des Textilmuseums. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 5 Mio. EUR. Besucher und Zukunft Im Jahr 2011 zählte das Museum 50 000 Besucher. Diese Zahl liegt unter dem Besucherrekord. Sie liegt deutlich unter dem, was man in Anbetracht der Größe und des Standortes des Museums erwarten würde: Mindestens 100 000 Besucher sollten möglich sein. Es beschäftigt 40 bezahlte Angestellte (einige davon arbeiten in der Textilproduktion) sowie etwa 50 Freiwillige. Warum zieht das Museum so wenige Besucher an? Dieses Museum ist eine Fallstudie eines lebendigen Museums, das eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft herstellt und in dem vieles richtig gemacht wird. Es ist jedoch auch eine Fallstudie der Probleme, die den Industrieerbe-Tourismus daran hindern, sein volles Potenzial zu entfalten. Es ist ein wunderbarer Ort für alle, die sich mit Textilien auskennen. Die Angestellten kennen sich mit Textilien aus; im Bereich Tourismus kennen sie sich jedoch anscheinend nicht aus. Die wichtigsten Probleme sind nachstehend erläutert:

Es scheint nur wenige Ausstellungen/Aktivitäten für Familien mit Kindern zu geben, was normalerweise ein starker Markt für alle Arten von Museen ist.

Nicht alle industriellen Aktivitäten eignen sich für den Tourismus. Es ist nicht leicht, mit dem Thema Textilien Besucher anzuziehen. Nur wenige Menschen kennen sich mit der Herstellung von Textilien aus. In den Niederlanden wurden die letzten Mühlen vor mehr als 40 Jahren stillgelegt – der lokale Nostalgiemarkt ist nicht sehr stark ausgeprägt. Aus diesem Grund müssen besondere Anstrengungen unternommen werden, um Besucher anzuziehen, eine Ortsverbundenheit aufzubauen und zu Wiederholungsbesuchen anzuregen.

Für Textilexperten ist das Museum ein Muss. Das Museum geht davon aus, dass es für den Durchschnittsbürger von Bedeutung ist: Es bietet kein „abgestuftes“ Informationsprogramm an, das für unterschiedliche Besuchertypen interessant wäre.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Es scheint nur wenige Ausstellungen/Aktivitäten für Familien mit Kindern zu geben, was normalerweise ein starker Markt für alle Arten von Museen ist.

Man kann sich die Herstellung von Textilien zwar ansehen, sie wird jedoch nicht auf eine Art und Weise erklärt, die für Laien leicht verständlich wäre. Die Techniker sind – zurecht – zu beschäftigt, um mit den Besuchern zu sprechen. Es gäbe jedoch viele Alternativen zur Herstellung eines sinnvollen Kontakts.

Die Begrüßung ist schlecht. Dies ist ein häufiges Problem und könnte leicht durch gut geschulte Freiwillige gelöst werden.

Die Anzahl der Freiwilligen ist nicht groß: Die könnte viel größer sein. Ein Beispiel für ein sehr erfolgreiches technisches Museum mit einem sehr erfolgreichen Freiwilligenprogramm findet sich auf der Website des Power House-Museums in Sydney29.

In Museums- und Galeriekreisen ist allgemein bekannt, dass Café und Shop besonders wichtig sind, um Besucher anzuziehen und Einnahmen auch durch Menschen zu erzielen, die das Museum nicht besuchen. Die Gestaltung des Eingangsbereichs ermöglicht dies nicht. Zudem ist die Atmosphäre des Cafés und des Shops nicht anregend.

Das Museum enthält hauptsächlich Erläuterungen für niederländische Muttersprachler. Tilburg liegt jedoch in der Nähe einer großen Zahl deutscher und französischer Muttersprachler. Zudem wird in vielen Ländern auch Englisch gesprochen.

Das Museum ist schwer zu finden. Es ist zwar auf der wichtigsten Ringstraße ausgeschildert, jedoch nur mit einigen wenigen kleinen Schildern mit einer dünnen blauen Schrift auf weißem Hintergrund, die für Fahrer, die sich auf den Verkehr konzentrieren, kaum lesbar ist. In vielen europäischen Ländern werden braune Hinweisschilder für touristische Ziele verwendet. Diese sind deutlich besser lesbar.

Auch wenn man in der Nähe des Museums ist, ist es schwer zu finden, da von der Straße abgesetzt liegt. Überraschenderweise gibt es keine großen Textilbanner, die erhältlich sind und beispielsweise für das sehr erfolgreiche kanadische Textilmuseum in Toronto verwendet werden.

Es gibt keine offensichtlichen Verbindungen zwischen den vier Museen, die der Stiftung angehören – und das trotz der Tatsache, dass sich eines in der Nähe des Textilmuseums befindet. Sie könnten sich die Vermarktung teilen, Synergiemarketing betreiben und das Museumsquartett von Tilburg bilden.

Das Museum befindet sich weniger als 130 km von der deutschen Grenze. Deutsche Museen wurden in den vergangenen Jahren revolutioniert, nicht zuletzt durch das Konzept der „Langen Nacht der Museen“. Für Ideen nach dem deutschen Vorbild gibt es hier nur wenige Anzeichen30.

Es scheint keine Besucherpläne, keine Interpretationspläne und keine Marketingstrategie zu geben. Dies ist für Museen nicht unüblich und spiegelt oftmals die Ausbildung von Museumsdirektoren wider, bei der der Bereich Verwaltung von zentraler Bedeutung ist (Chhabra, 2009).

29 http://www.powerhousemuseum.com/volunteers/index.php. 30 http://de.wikipedia.org/wiki/Lange_Nacht_der_Museen

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

5.1.3. Tourismus im Bereich des Eisenbahnerbes Der Tourismus im Bereich des Eisenbahnerbes ist weitverbreitet und wird oftmals als Juwel in der Krone des Industrieerbe-Tourismus angesehen. Dieses Kapitel untersucht eine erfolgreiche historische Eisenbahnlinie, ein Schienennetz, das in einen Rad- und Wanderweg umgewandelt wurde, dabei aber seine historische Infrastruktur beibehalten hat. Außerdem enthält das Kapitel eine Diskussion zur Nutzung konventioneller Schienennetze als historische Routen. Die Eisenbahnlinie in West Somerset (Vereinigtes Königreich) Die 33 km lange Eisenbahnlinie in West Somerset im Südwesten Englands wurde im Jahr 1874 fertiggestellt und verband die Küstenstadt Minehead über die ländlichen Gemeinden mit der Bezirksstadt Taunton sowie mit Anbindungen nach London. Sie wurde im Jahr 1971 stillgelegt, jedoch 1976 von einer Gruppe Einheimischer und Liebhabern wiedereröffnet. Die Gruppe wurde von der Bezirksverwaltung von Somerset unterstützt, die die Strecke und das Land der Eisenbahnlinie als strategische Investition aufkaufte und diese nun an die Eisenbahnlinie von West Somerset verpachtet. Diese Studie zeigt, dass ein Eisenbahntourismus, der professionell auf Marktnischen reagiert und eng mit Tourismusbüros und anderen Anbietern zusammenarbeitet, sehr erfolgreich sein kann. Sie zeigt auch den Wert der Vernetzung der lokalen Gemeinden sowie den enormen Wert eines hoch entwickelten und ausgefeilten Freiwilligenprogramms auf.

Die Eisenbahnlinie ist eine Aktiengesellschaft; diese Rechtsform ermöglicht dem Unternehmen, eine Lizenz für den Eisenbahnbetrieb zu erwerben und ans nationale Schienennetz angebunden zu bleiben. Wenngleich die Züge aus technischen Gründen nicht das nationale Schienennetz befahren, besteht die Anbindung weiterhin, was ermöglicht, dass Charterzüge in der Sommersaison die Bahnlinie befahren31. Die Bahnlinie ist von Februar bis November in Betrieb. Im Dezember und zwischen Weihnachten und Neujahr fahren Sonderzüge und generieren zusätzliche Einnahmen. In der Nebensaison fahren vier Züge pro Tag, in der Hauptsaison sieben. Viele, jedoch nicht alle, Züge werden von historischen Dampflokomotiven gezogen. Pro Jahr werden etwa 200 000 Fahrgäste befördert, die meisten davon (etwa 42 000) im August. Die Bahnlinie rangiert unter den Top 10 der historischen Bahnlinien des Vereinigten Königreichs und ist als Beispiel für bewährte Verwaltungsverfahren anerkannt. Auch der Standort der Eisenbahnlinie von West Somerset in der Nähe von Wohn- und Urlaubsorten ist von großer Bedeutung für ihren Erfolg. Als „alleinstehende“ Attraktion würde sie mit Ausnahme von Liebhabern und Pauschaltouristen von weiter weg wahrscheinlich nicht viele Besucher anziehen. Sie arbeitet sehr eng mit anderen touristischen Anbietern und Agenturen zusammen. Das Engagement von Freiwilligen ist – wie so oft beim industriellen Erbe – sehr wichtig. Die Eisenbahnlinie wäre ohne die Arbeitskraft der Freiwilligen, die sowohl Arbeiten, für die ein hohes Maß an Qualifikationen erforderlich ist, als auch weniger anspruchsvolle Arbeiten übernehmen, finanziell nicht lebensfähig.

31 Der Charterzugmarkt umfasst Reiseanbieter, die die Kernelemente (Zielort, Lokomotive und Waggons) in

einem Paket anbieten und ihren Kunden Sitzplätze in Zügen und Bewirtungsmöglichkeiten anbieten. Charterzüge fahren von London sowie aus dem Norden. Dies ist bei vielen historischen Eisenbahnlinien im Vereinigten Königreich übliche Praxis.

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Die Bahnlinie nutzt ein komplexes System zur Mittelbeschaffung sowie hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse, das sich als sehr erfolgreich erwiesen hat. Das Unternehmen ist lebensfähig und benötigt keine direkte öffentliche Unterstützung für seine Geschäftstätigkeit. Es verfügt über soliden Rückstellungsfonds und hat diesem Fonds im Jahr 2011 weitere 190.000 € zukommen lassen. Weitere Einzelheiten sind erhältlich unter www.west-somerset-railway.co.uk. Marketing Die Bahnlinie erstellt einen jährlichen Marketingplan für die besonderen Veranstaltungen im Laufe des Jahres sowie für den Linienverkehr. Es werden sowohl traditionelles Marketing auf Papier als auch Online-Marketing genutzt, um die Informationen/Fahrpläne an alle lokalen Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten zu verteilen. Auf der Website der Bahnlinie sind alle Einzelheiten zum Linienverkehr sowie zu den besonderen Veranstaltungen abrufbar; zusätzlich ist sie auch bei Facebook und Twitter vertreten. Man nimmt auch an Handelsmessen teil, bei denen der Tourismus in der Region West Somerset sowie das Unternehmen selbst repräsentiert werden. Sie ist in der Leitung des Tourismusverbandes von Somerset und im Vorsitz der Marketing-Untergruppe der Tourismuspartnerschaft Exmoor (einer Unterregion) vertreten; sie arbeitet mit Tourismusinformationen und Tourismusbeauftragten in der Großregion zusammen. Sie nimmt an Kampagnen und Untersuchungen im Rahmen des Programms „Visit England“ teil. Der Standort der Bahnlinie ist für ihren Erfolg von zentraler Bedeutung. Die Region ist mit über 20 Millionen Übernachtungsgästen und 141 Millionen Tagesausflügen pro Jahr eines der beliebtesten Urlaubsziele im Vereinigten Königreich. Sie liegt weniger als zwei Stunden von der Region Bristol (etwa 900 000 Einwohner) und Exeter (etwa 140 000 Einwohner) entfernt. Die Bahnlinie bietet eine lebendige Erfahrung im Bereich des kulturellen Erbes für den wichtigen Markt der Tagesausflüge. Sie arbeitet eng mit anderen touristischen Anbietern zusammen, bietet Kombipakete an, die Fahrkarten für die Eisenbahn sowie den Eintritt zu anderen lokalen Attraktionen beinhalten, und erweitert so nicht nur ihren Markt, sondern unterstützt auch andere touristische Attraktionen vor Ort. Angestellte und Freiwillige Bei der Bahnlinie sind 45 Voll- und Teilzeitangestellte tätig, die von über 1000 Freiwilligen unterstützt werden. Ohne die Arbeit der Freiwilligen wäre die Bahnlinie finanziell nicht lebensfähig. Freiwillige werden in allen Bereichen des Unternehmens eingesetzt; bei allen Lokführern handelt es sich beispielsweise nicht um Angestellte, sondern um entsprechend geschulte Freiwillige. Vorteile für die Gesellschaft Die Bahnlinie unterhält gute Beziehungen zu den lokalen Gemeinden. Einige Bahnhöfe in den Ortschaften wurden von den Gemeinden übernommen; dies fördert nicht nur den Stolz innerhalb der Gemeinde auf diese Einrichtungen, sondern trägt auch durch Geschäfte/Cafés in den Bahnhöfen zur Beschaffung von Geldern für die Wartung der Bahnhöfe bei. Wenngleich die Bahnlinie im vergangenen Jahr etwa 18 000 EUR für externe Schulungen ausgegeben hat, so findet der Großteil der Schulungen doch „intern“ statt. Viele Freiwillige erwerben nicht nur Sozialkompetenzen (z. B. im Bereich Kundendienst durch Schulungen zum „Welcome Host“), sondern in den Werkstätten der Bahnlinie auch Kompetenzen im

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Bereich Maschinenbau, unter anderem im Schweißen und dem Betrieb von Werkzeugmaschinen. Dies fördert das lokale Sozial- und Kompetenzkapital, ein Faktor, der bei der Beurteilung des Werts des Kulturerbetourismus oftmals übersehen wird. Einnahmen, Finanzierung und wirtschaftlicher Effekt Der Jahresumsatz der Bahnlinie liegt bei mehr als 3 Mio. EUR. Wenngleich das Unternehmen die Rechtsform einer Aktiengesellschaft hat, gibt es keine Gewinnausschüttung; sämtliche Überschüsse werden für zukünftige Investitionen einbehalten. Der gesamte Effekt der Bahnlinie auf die lokale Wirtschaft beläuft sich unter Berücksichtigung des direkten, des indirekten sowie des Multiplikatoreffekts auf 5,7 Mio. EUR (siehe Punkt 4.1 der vorliegenden Studie). Zusätzliche Einnahmen generiert die Bahnlinie über die Mitgliedsbeiträge (23 EUR pro Jahr) ihrer etwa 4700 Unterstützer sowie durch die Ausgabe von Aktien. Während die Mitgliederzahlen rückläufig sind, steigt die Zahl der ausgegebenen Aktien (Mindestwert ca. 120 EUR) und der Schenkungen. Die beiden letztgenannten Punkte dienen ausschließlich der Durchführung von Großprojekten (z. B. der Sanierung von Brücken), die Mitgliedsbeiträge werden als Gewinne behandelt. Beide Formen der Unterstützung werden durch ein ausgefeiltes System gefördert, das kostenlose oder preisreduzierte Fahrkarten umfasst. Ebenso wie bei anderen historischen Eisenbahnlinien im Vereinigten Königreich, befinden sich auch hier einige Lokomotiven in privatem Besitz entweder einzelner oder Gruppen von Liebhabern, was die Kosten und Wartungsrisiken der Bahnlinie reduziert. Wo immer dies möglich ist, unterstützt die Bahnlinie lokale Lieferanten. So stehen beispielsweise lokale Biersorten auf den Speisekarten. Dies verstärkt den indirekten wirtschaftlichen Effekt der Bahnlinie auf die lokale Wirtschaft. Im Rahmen einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Vereinbarung bewirbt die Bahnlinie lokale Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten auf ihrer Website, die sich über den Verkauf von Fahrkarten eine kleine Provision verdienen können. Externe Aspekte Neue Vorschriften der Bahnregulierungsbehörde32 und der Abteilung für die Untersuchung von Eisenbahnunfällen33 haben die Verwaltungslast für die Bahnlinie erhöht. Dies hat nicht nur die Bedeutung der Erstellung detaillierterer Aufzeichnungen und Prüfprotokolle erhöht, sondern auch die Art der Arbeiten begrenzt, die von Freiwilligen durchgeführt werden können, sofern diese nicht über die erforderliche sicherheitsbezogene Ausbildung und entsprechende Kompetenzen nachweisen können. Vias Verdes: die Grünen Wege in Spanien Eine bemerkenswerte Eigenschaft historischer Eisenbahnen ist die, dass sie auch nach der Stilllegung der Strecken noch einen Wert für den Tourismus haben können. Durch den Abbau des Schienennetzes nach den 1960er Jahren wurden viele eisenbahnbezogene Industriekulturstätten stillgelegt, was umfangreiche ungenutzte Verkehrsrechte zur Folge hatte. Es begann ein zufälliger Prozess, bei dem das Erbe entweder verloren ging und die Verkehrsrechte sowie die Grundstücke veräußert wurden oder im Rahmen dessen die

32 www.rail-reg.gov.uk. 33 www.raib.gov.uk.

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stillgelegten Strecken als sogenannte „Grüne Wege“ für Radfahrer/Fußgänger/Reiter sowie den Tourismus genutzt wurden. Diese Option birgt ein enormes touristisches Potenzial. In den USA wurde das Problem seit 1986 durch die Schaffung einer gemeinnützigen Organisation, der Rails to Trails Conservancy (Verband zur Umwandlung von Schienenstrecken in anderweitig genutzte Wege)34, die durch Steuervorteile sowie Gesetze zum Kauf und Verkauf von Grundstücken gefördert und von über 150 000 Mitgliedern unterstützt wird. Sie hat an 1400 Standorten 20 000 Meilen verkehrsfreier Wege geschaffen. Dieses Konzept hat sich in Europa nur zum Teil und in sehr geringem Umfang durchgesetzt. Diese Fallstudie befasst sich mit einer Initiative des spanischen Staates, die diese große Möglichkeit ergriffen hat, bevor das historische Erbe und die entsprechenden Routen verloren gehen konnten. Das Programm „Vias Verdes“ in Spanien wurde 1993 gestartet, um die Nutzung stillgelegter Eisenbahnstrecken für den nicht-motorisierten Verkehr zu bewerten und zu planen. Der Minister für öffentliche Arbeiten, Verkehr und Umwelt beauftragte gemeinsam mit den beiden staatlichen Eisenbahnunternehmen RENFE 35 und FEVE, 3 die spanische

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Eisenbahnstiftung (FFE 37 ) mit der Prüfung der infrage kommenden Eisenbahnstrecken. Insgesamt wurden 98 Strecken mit einer Länge von 5700 km und 900 Bahnhöfen ermittelt. Zusätzlich wurden 89 in Privatbesitz befindliche ehemalige Bergwerks- und Industriestrecken ermittelt. Dadurch erhöhte sich die Länge der stillgelegten Strecken in ganz Spanien auf etwa 7600 km (siehe Abbildung 1 nachstehend). Die Fallstudie veranschaulicht, wie viel man von den Erkenntnissen von Ansätzen außerhalb Europas im Bereich des industriellen Erbes lernen kann, dass Werte des industriellen Erbes mit einem großen Effekt „wiederverwendet“ werden können und dass der Tourismus als Katalysator für eine Aufwertung dieses Wiederverwendungsprozesses fungiert. Zudem werden die Vorteile einer effektiven Zusammenarbeit mit nationaler Unterstützung deutlich aufgezeigt. Die Verantwortung für die Umwandlung der stillgelegten Strecken in Vias Verdes (Grüne Wege) wurde der FFE übertragen. In Zusammenarbeit mit lokalen und/oder regionalen Behörden wurde ein detaillierter Rentabilitätsplan erstellt, der die aktuellen Besitzverhältnisse, die Gestaltungsanforderungen im Hinblick auf eine Nutzung durch Besucher sowie Vereinbarungen für die zukünftige Verwaltung und Pflege der Strecken enthält. Letzteres kann viele Formen annehmen; über Lokal-, Provinz- oder Regionalbehörden, Gemeinden oder durch eigens für diese Funktion gegründete Konsortien, Unternehmen oder Stiftungen. Bisher wurden über 90 Grüne Wege mit einer Länge von 1900 km eingerichtet (siehe Tabelle 10 in Anhang D). Sie bieten gute Wege und sanfte Steigungen, die gut für Radfahrer, Wanderer sowie für Menschen mit Behinderungen geeignet sind. Die Vias Verdes wurden nicht durchgehend überwacht, jedoch schätzt das Konsortium Girona Greenways, dass der Grüne Weg „Carrilet“, der vom Fuß der Pyrenäen bis zur Costa Brava verläuft, pro Jahr etwa 1 Million Besucher anzieht, davon etwa 23 000 Touristen von außerhalb der Region. Dies mag nach einer kleinen Zahl aussehen, jedoch seien 23 000 touristische Ausflüge angesichts der Tatsache, dass die Region, durch die der Grüne Weg führt, touristisch kaum erschlossen ist, eine bedeutende Zahl, insbesondere wenn man die Größe der lokalen Tourismusbranche berücksichtigt (Mundet & Coenders, 2010, S.671).

34 www.railstotrails.org. 35 Red Nacional de los Ferrocarriles Españoles. 36 Ferrocarriles de Vía Estrecha. 37 Fundación de los Ferrocarriles Españoles.

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Abbildung 1: Karte der Vias Verdes (Grünen Wege) – grün = Nutzung als Grüne Wege, orange = passierbar, jedoch noch nicht als Grüner Weg eingerichtet

Quelle: http://www.viasverdes.com/ViasVerdes/Varios/Mapa%20de%20Localizaci%f3n.

Erhaltung des Erbes Zusätzlich zur Arbeit im Bereich der Vias Verdes hat die FFE noch weitere Funktionen hinsichtlich der Ermittlung, Sanierung und Erhaltung des spanischen Eisenbahnerbes, einschließlich kultureller Elemente. Sie unterstützt die Arbeit des Museo del Ferrocarril de Madrid – Delicias38 und des Museo del Ferrocarril de Cataluña-Vilanova i la Geltrú39 bei der Erhaltung des dokumentarischen Eisenbahnerbes. Die Entwicklung der Vias Verdes hat die Zukunft eines großen Teils der Eisenbahninfrastruktur gesichert, darunter über 500 Tunnel und 1100 Viadukte. Etwa 60 ehemalige Bahnhöfe wurden renoviert und in Hotels, Informationszentren, Museen, Restaurants und Fahrradverleihe umgewandelt. Marketing Der Großteil des Marketings der einzelnen Wege erfolgt, ähnlich wie bei den meisten touristischen Marketingaktionen in Spanien, durch die regionalen Behörden. Im Jahr 2000 startete die FFE die Website der Vias Verdes40. Sie bietet Online-Karten, Hintergrundinformationen, Kontaktangaben und Routenführer. Drei detaillierte Routenführer wurden veröffentlicht. Diese umfassen eine Wegstrecke von mehr als 2000 km. Sie sind derzeit nur auf Spanisch erhältlich: Die Nachfrage besteht hauptsächlich im Inland. Im Jahr 1999 wurde ein landesweiter Tag der Grünen Wege ins Leben gerufen, der üblicherweise jeden zweiten Sonntag im Mai stattfindet. Oftmals organisieren verschiedene Konsortien Veranstaltungen für jeden Weg, um die Menschen vor Ort dazu zu ermutigen, auf den Wegen zu wandern und Rad zu fahren; diese Veranstaltungen werden 38 Eisenbahnmuseum Madrid. 39 Eisenbahnmuseum von Katalonien.

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oft von lokalen Würdenträgern und Profi-Radfahrern unterstützt. Auf allen Wegen gibt es eine einheitliche Beschilderung; Lumsdon et al (2009) führten dies als wichtigen Punkt im Hinblick auf die touristische Nutzung von Radwegen an. Die Wegmarkierungen enthalten das Vias Verdes-Logo und Informationen zum Weg. Oftmals wird altes Eisenbahninventar wie z. B. Schwellen als Wegmarkierung verwendet, um die Verbindung zum kulturellen Erbe zu betonen. Vorteile für die Gesellschaft Zusätzlich zur Förderung der aktiven Beteiligung der lokalen Gemeinden an der Entwicklung der Wege sowie zur Bereitstellung einer gesunden Alternative zur Erholung für die Einwohner vor Ort verbessert die Sanierung stillgelegter Industrieanlagen und -flächen das lokale Umfeld. Dies wird von allen geschätzt, ganz gleich, ob sie die Wege nutzen oder nicht (Brown, 1997). Im Rahmen einer Studie zum Vergleich der Kosten traditioneller Erholungseinrichtungen wie beispielsweise Sportzentren und Schwimmbädern kamen Palau et al (2012, S.23) zu dem Schluss, dass Investitionen in die Sanierung und Pflege der Vias Verdes den öffentlichen Behörden, die für die Verwaltung von Sporteinrichtungen zuständig sind, eine deutlich höhere Rendite pro Nutzer böten. Im Rahmen einer Umfrage zu Wegen in der Nähe von Girona in Katalonien wurde festgestellt, dass durchschnittlich etwa 50 % der Nutzer der Wege Frauen sind, die traditionell eher seltener die Option der aktiven Erholung wählen als Männer, auf diesen Wegen jedoch bis zu einer Stunde lang spazierengehen oder Rad fahren (Mundet & Coenders, 2010). Touristische Aspekte Die Vias Verdes sind ein gutes Beispiel für die Erhaltung des Eisenbahnerbes und bieten lokalen Gemeinden eine wertvolle Ressource, die in vielen anderen Ländern verlorengegangen ist. Der Zuständigkeitsbereich der FFE ist jedoch beschränkt, sodass lediglich Arbeiten zur Erhaltung der Schieneninfrastruktur möglich sind, was wiederum eine Anbindung an andere längere Wege bzw. an lokale Netze von Wander-/Radwegen verhindert. Der Donau-Radweg in Deutschland und Österreich, der Teil der EuroVelo-Route EV641 ist, ist der beliebteste Radweg Europas. Jedes Jahr nutzen ihn eine Million Menschen, davon zahlreiche Touristen aus ganz Europa und außerhalb Europas. Es steht Informationsmaterial in vielen Sprachen zur Verfügung. Da die Website der Vias Verdes nur teilweise in anderen Sprachen als Spanisch geschaltet ist und da die Informationen lediglich in spanischer Sprache erhältlich sind, sind diese Wege noch nicht in vollem Umfang touristisch erschlossen. Besonders im Frühjahr und im Herbst könnten sie ein enormes Potenzial aufweisen, da das spanische Klima in dieser Zeit sehr angenehm ist. Nutzung von aktiven Schienennetzen für den Eisenbahntourismus Wenn man vom historischen Eisenbahntourismus spricht, sind meistens Eisenbahnstrecken jenseits des konventionellen Fahrgastbetriebs gemeint, also üblicherweise Eisenbahnlinien, die von Gruppen zur Erhaltung des historischen Erbes betrieben werden. Mit etwas Phantasie und entsprechenden Initiativen kann Eisenbahntourismus jedoch auch auf „normalen“, aktiven Strecken betrieben werden. Dies fördert sowohl die Schienennutzung als auch den Industrieerbe-Tourismus. Hier zeigt sich der Wert einer breiteren

40 www.viasverdes.com. 41 http://www.eurovelo.org/routes/.

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Betrachtungsweise der Entwicklung des Industrieerbe-Tourismus – also über die Grenzen des Museumskonzepts hinaus – gepaart mit der Kenntnis internationaler Ideen und der wichtigen Rolle der Marktkenntnisse als Orientierung für die Produktentwicklung. Die USA sind weltweit führend in der Nutzung noch in Betrieb befindlicher Eisenbahnstrecken. Trails & Rails ist eine innovative Partnerschaft zwischen der Verwaltung der Nationalparks und Amtrak, die Fahrgästen Bildungsangebote bereitstellt, die die Wertschätzung des natürlichen und kulturellen Erbes einer bestimmten Region fördern sollen. Das Programm verbindet Städte mit Nationalparks und bietet eine Audioinformationen über das kulturelle Erbe in ausgewählten Zügen. Die entsprechenden Texte wurden von Angestellten der Texas A&M University erstellt. Im Jahr 2011 nahmen 371 865 Fahrgäste von Amtrak in 1580 Zügen am Programm Trails and Rails teil. Im Vereinigten Königreich versuchten einige Eisenbahnlinien, ähnliche Programme einzuführen. Diese Programme scheiterten jedoch am Desinteresse der Betreibergesellschaft der Züge, am Widerstand der Gewerkschaften sowie an fehlenden finanziellen Mitteln. Die Association of Community Rail Partnerships (Vereinigung der kommunalen Eisenbahnpartnerschaften – ACORP)42 – ein Verband, dem im Vereinigten Königreich über 50 kommunale Eisenbahnpartnerschaften angegliedert sind – hat eine Reihe von Ideen zur Überwindung entsprechender Probleme erarbeitet. Sie hat erfolgreich eine stärkere Nutzung der Eisenbahn für den Landtourismus gefördert und lokale Gruppen dazu ermutigt, historische Bahnhöfe zu „adoptieren“ und sich darum zu kümmern. Außerdem wurden im Umfeld des Schienennetzes Wander- und Radwege angelegt, Bahnhofsgebäude wiederbelebt sowie Kunst- und Bildungsprojekte gefördert. Ein deutsches Äquivalent zu ACORP wird derzeit diskutiert. Im Rahmen von Untersuchungen zur Nutzung ländlicher Eisenbahnlinien für den Landtourismus im Vereinigten Königreich stellte Dallen (2007) fest, dass bis zu 60 % der Nutzer ländlicher Eisenbahnlinien Touristen waren und dass 37 % der Nutzer aufgrund des historischen Erbes eine besondere Verbundenheit zur Nutzung der Eisenbahn haben. Schließlich ist auch bemerkenswert, dass sich der Betrieb historischer Eisenbahnlinien unter Mithilfe von Freiwilligen in mindestens einem Fall in Europa erfolgreich in den modern geplanten Eisenbahnbetrieb integrieren lässt. In Stockholm wird ein von einem modernen Unternehmen betriebenes Straßenbahnsystem mit 30 Meter langen Waggons – Linie 7, die das Stadtzentrum mit dem Museumsviertel Djurgården verbindet – von einem von Freiwilligen betriebenen historischen Straßenbahnsystem mit Waggons, die bis zu 100 Jahre alt sind, mitbetrieben. Seit 1991 haben bereits mehr als 2 Millionen Fahrgäste die historischen Straßenbahnen ohne Probleme genutzt.

5.1.4. Das Industriemuseum Beamish – Das lebendige Museum des Nordens Wenngleich man Industrieerbe-Tourismus typischerweise an ehemaligen Industriestandorten findet, so gibt es doch einige Beispiele für die erfolgreiche Entwicklung eines Museums. Diese Fallstudie befasst sich mit einem sehr besonderen Museum zum Thema industrielles Erbe, das als weltweit führend gilt: das Freilichtmuseum mit nachgebauten Repliken. Sie untersucht das Beamish-Museum im Nordosten Englands, das

42 www.acorp.uk.com.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

zwischen den Städten Newcastle und Durham liegt. Zweck dieser Fallstudie ist weder die detaillierte Beschreibung des Museums noch eine Untersuchung der ethischen sowie der vielen anderen Fragen hinsichtlich der Wiederherstellung einer „lebendigen“ Vergangenheit, sondern die Betrachtung der verwaltungstechnischen und finanzpolitischen Aspekte dieser Form des industriellen Erbes sowie der Möglichkeiten, diese als Quelle für Ideen zur Förderung der Erhaltung des industriellen Erbes sowie des Tourismus zu nutzen. Die Erfahrungen des Beamish-Museums zeigen, dass Industriekulturstätten – wenn sie gut angelegt sind und gut verwaltet werden – wirtschaftlich nachhaltig sein und einen positiven Beitrag zum regionalen Einkommen leisten können. Beamish verfügt über starke Marktkenntnisse und arbeitet eng mit Stakeholdern der regionalen Tourismusbranche zusammen. Aufgrund seiner Größe und des Fachwissens handelt es sich bei Beamish um einen Sonderfall. Jedoch könnten auch Zusammenschlüsse kleinerer Standorte im Rahmen von Partnerschaften ähnliche Ergebnisse erreichen. (Beamish erwägt die Gründung eines Beratungsunternehmens, um andere Standorte entsprechend zu beraten.) Der Nordosten war eine wichtige und stolze Industrieregion, die sich auf Kohlegewinnung, Stahlerzeugung, Schiffsbau und damit in Zusammenhang stehende Ingenieursarbeiten spezialisiert hatte. Bereits im Jahr 1958 wurde die Idee eines Museums zur Erinnerung an die industrielle Vergangenheit der Region diskutiert: Im Jahr 1970 wurde es von den vier wichtigsten lokalen Regierungsabteilungen der Region gegründet. Das 120 Hektar große Museum wurde 1972 eröffnet. In seinem Besitz befinden sich mehr als 300 000 Objekte. Der Schwerpunkt liegt auf dem industriellen Erbe der Region, das größtenteils aus dem Zeitraum zwischen 1800 und 1940 stammt. Das Museum umfasst einige wenige Gebäude, die sich auch ursprünglich bereits an diesem Standort befanden: Bei der Mehrheit der Gebäude handelt es sich jedoch entweder um Gebäude, die aus der Region an den Museumsstandort umgesiedelt wurden, oder um neu gebaute Repliken. Man findet dort eine Reihe von Straßen, kostümierte Darsteller, lebendige Ausstellungen sowie historische Busse und Straßenbahnen, mit denen die Besucher den Standort erkunden können. Puristen waren und sind noch immer schockiert. In seiner Streitschrift gegen den Kulturerbetourismus beschrieb Hewison (1987) es als realer, als man sich in der Realität daran erinnern möchte … eine liebevoll nachgebaute Fälschung. Es ist jedoch ein kommerzieller Erfolg. Das Museum wird zwar noch immer von der lokalen Regierung kontrolliert, ist jedoch als wohltätige Stiftung tätig, deren Einkommen im Hinblick auf steuerliche Effizienz aus einem separaten Handelsunternehmen stammt. Nach seiner Eröffnung im Jahr 1972 stiegen die Besucherzahlen bis zum Jahr 1989 auf etwa 500 000 pro Jahr an, danach gingen sie langsam auf 300. 000 zurück. Hier zeigt sich der Lebenszyklus einer Tourismusregion – siehe Punkt 2.1. Bis zum Jahr 2008 beliefen sich die Kosten für den Betrieb des Museums auf fast 5,4 Mio. EUR pro Jahr. Es stand kurz davor, Verluste zu erwirtschaften. Das Museum beschäftigt 240 bezahlte Angestellte und etwa 150 Freiwillige und sah sich einem Problem gegenüber, dem sich alle Formen des Industrieerbe-Tourismus gegenübersehen, nämlich dem, dass Reparaturen an funktionierenden historischen Maschinen und historischen Gebäuden sehr teuer sein können. Gleichzeitig machten es Ausgabenkürzungen im öffentlichen Sektor für das Museum unabdingbar, seine Betriebskosten selbst zu tragen sowie Überschüsse für Reparaturen und Sanierungsmaßnahmen zu erwirtschaften. Zur Lösung dieser Probleme wurde ein spezielles Programm auf der Grundlage von Prinzipien eingeführt, die andere Industriekulturstätten unter Umständen in Erwägung ziehen könnten. Dazu gehörten:

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Überprüfung der Schwächen und Nutzung dieser Schwächen als Chancen. Erarbeitung eines detaillierten Sanierungsplans, der die Besucher in den Mittelpunkt

des Geschäftsbetriebs stellte, auf dessen Grundlage Marktforschung betrieben wurde, der die Besucherzahlen anheben sollte und der einen besseren Wert schaffen und sich mit den saisonalen Schwankungen – insbesondere mit der besucherschwachen Wintersaison – befassen sollte. Die detaillierte Vorgehensweise ist wichtig – keine einzelne Maßnahme hätte das Museum aus seiner ernsten Situation befreien können.

Im Detail erreichte das Beamish-Museum Folgendes:

(1) Einführung vieler neuer Veranstaltungen und Sonderausstellungen, um Wiederholungsbesucher anzuziehen.

(2) Konzentration dieser Veranstaltungen in der „schwachen“ Wintersaison. (3) Änderung der Preispolitik und Angebot von Eintrittskarten zu einem leicht

höheren Preis, die dafür jedoch unbegrenzten Eintritt für ein Jahr ermöglichen. Dies war ein starker Anreiz für Wiederholungsbesuche. Umfragen zeigen, dass Wiederholungsbesuche zusätzlichen Ausgaben für Speisen sowie im Einzelhandel generieren.

(4) Angebot günstiger „Tageskarten“ für die Wintersaison, um neue Besucher anzulocken.

(5) Zusammenarbeit mit lokalen/regionalen Hotels, um Anreize für Kurzaufenthalte beim Beamish während der Nebensaison zu schaffen und Touristen von außerhalb der Region anzulocken.

(6) Entwicklung historischer Bewirtungsmöglichkeiten, unter anderem eines kohlebefeuerten, traditionellen Fish & Chips-Standes.

(7) Entwicklung der Einzelhandelsaktivitäten. (8) Entwicklung neuer Programme für Schulen und andere Gruppen, die besonders

für Besuche in der Nebensaison wichtig sind. (9) Verbesserung der Schulung des Personals. (10) Anziehung und Schulung einer größeren Zahl an Freiwilligen. (11) Beantragung und Erhalt von Kapitalfonds aus dem Heritage Lottery Fund sowie

vom Kunstrat zur Entwicklung neuer Ausstellungen. (12) Einführung von Nachtöffnungszeiten für Sonderveranstaltungen. (13) Entwicklung von Kontaktveranstaltungen in einer Reihe regionaler Zentren. (14) Herstellung einer besseren Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel sowie

Einführung von Shuttlebussen: Dies ist im Vereinigten Königreich besonders wichtig, da Personen, die älter als 65 Jahre sind, lokale Busse kostenlos nutzen können – was die Tür zu einem möglicherweise großen Markt in dieser Altersklasse öffnen könnte.

(15) Erwägung der Entwicklung eigener Übernachtungsmöglichkeiten. (16) Verbesserung des eigenen Profils und der Marketingarbeiten.

Trotz der Rezession erholten sich die Besucherzahlen bis zum Jahr 2012 auf 498 000. Das Erwerbseinkommen stieg im Jahr 2011 wieder auf 7,2 Mio. EUR, wodurch 720 000 Euro den Rücklagen zugeführt werden konnten. Die nachstehende Tabelle 6 zeigt die Einkommensquellen für das Jahr vom 1.2.2011 bis 31.1.2012.

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Tabelle 6: Einnahmequellen des Industriemuseums Beamish

Quelle Wert,

Einnahmen aus Eintrittsgeldern 4.250.000 €

Einnahmen aus der Gastronomie 1.193.000 €

Einnahmen des Fish & Chips-Standes 160.000 €

Einnahmen aus dem Einzelhandel 661.000 €

Gesamteinnahmen ohne Umsatzsteuer, Spenden und Zuschüsse 6.264.000 €

Wichtig und bemerkenswert sind die Zahlen für die Gastronomie, den Fish & Chips-Stand und den Einzelhandel. Es reicht nicht mehr aus, einfach nur industrielles Erbe zu präsentieren. Der gesamte Standort muss als Besuchererlebnis ausgelegt sein – und ein solches ganzheitliches Erlebnis umfasst auch Essen und Einkaufen. Tourismus Beamish war aufgrund seines auf den Nordosten beschränkten Einzugsbereichs als regionales Museum geplant. Mittlerweile ist es zu einer überregionalen Touristenattraktion geworden. Im Jahr 2010/11 kamen 68 % der Besucher von außerhalb der Nordost-Region. Hiervon reisten 55 % eigens für den Besuch des Beamish an; 87 % von ihnen – das entspricht 215. 000 Personen – übernachteten in betreuten Unterkünften oder auf Campingplätzen, 60 % in Hotels. Allein mit den Einnahmen der mehr als 120 000 Personen, die in Hotels übernachteten, hätte man die gesamten Betriebskosten des Beamish abdecken können. Dies zeigt deutlich das Potenzial des industriellen Erbes zur Ankurbelung der lokalen Wirtschaften.

5.1.5. Erneuerung von Gemeinden und Regionen durch den Industrieerbe-Tourismus

Das Ruhrgebiet als Tourismusregion Das Ruhrgebiet in Deutschland stellt wahrscheinlich die größte Sammlung im Bereich des industriellen Erbes in ganz Europa dar. Es war mit 300 Kohlebergwerken, die sich bis zum Jahr 1850 in Betrieb befanden, Europas größte Industrieregion. Die abgebaute Kohle wurde in andere Teile Europas sowie weltweit exportiert und vor Ort zur Entwicklung einer großen Eisen- und Stahlindustrie sowie zur Lieferung von Strom für zahlreiche Fabriken verwendet. Im Ballungsraum Ruhrgebiet leben mehr als 5 Millionen Menschen in 53 Städten: Nur noch vier Bergwerke befinden sich in Betrieb. Es ist eine der 6 wichtigsten städtischen Regionen Europas. Die Region musste eine erhebliche Abwanderung von Einwohnern und industriellen Produktionsstätten in andere Teile Deutschlands verzeichnen, die als attraktiver gelten. Allerdings hat sie sich auch zu Europas größtem städtischen Erholungsgebiet entwickelt. Dieser Prozess ist bereits seit über 20 Jahren im Gange und begann mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park im Jahr 1989 (siehe ERIH-Fallstudie unter Punkt 5.4). Der Industrieerbe-Tourismus ist zu einem wichtigen Teil des Erneuerungsprozesses geworden und ändert die Denkweisen der Menschen, das Image des Ruhrgebietes und schafft zudem Arbeitsplätze und finanzielle Zuflüsse.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Innerhalb des Konzepts des Ruhrgebietes als Region, die Touristen anlocken kann, gibt es eine Reihe wichtiger Ideen:

Die Veränderung des Images einer Region kann dabei helfen, Menschen in der Region zu halten und neue Einwohner, Unternehmen und Besucher anzuziehen.

Die industrielle Vergangenheit sollte als lebendige Geschichte und als Reihe von Kunstformen verstanden und gefeiert werden.

Die Erhaltung und Wiederverwendung von Industriegebäuden zu touristischen und anderen Zwecken kann eine „umweltfreundliche“ Lösung zur Wiederherstellung und Wahrung des lokalen Charakters sein und gleichzeitig ein Markenimage sowie Ortsverbundenheit schaffen.

Die mit der Industrie in Zusammenhang stehende Kultur der Region sollte anerkannt und genutzt werden.

Investitionen in Kunst und Kultur können sich im Hinblick auf die Veränderung des Images, die Sanierung der Region sowie auf den Tourismus auszahlen. Zudem können ehemalige Industriegebäude Kunst und Kultur eine einzigartige Bühne bieten.

Die Erneuerung der Region und der Tourismus sollten auf der Grundlage einer aktiven regionalen Partnerschaft angegangen werden, anstatt die Standorte separat zu behandeln.

Der Traum spiegelt sich in einer abgeänderten Beschreibung des Projekts Emscher Park im Ruhrgebiet wider43. „Die massiven und starken Industriestrukturen der Region füllen sich nunmehr mit Kunst, Kultur, Wohnungen, Handel und Büros. In den alternden Stahlrahmen ehemaliger Fabriken werden Konzerte gespielt. In den alten Hügeln der Kohleberge sind Erholungsgebiete mit Grünflächen, Wanderwegen und Kletterwänden entstanden. Rad- und Wanderwege durch Waldlichtungen, die die vielen verschiedenen Elemente des Parks miteinander verbinden, folgen den ehemaligen Industriestraßen- und –schienennetzen. Das Ruhrgebiet blickt auf eine lange Geschichte der regionalen Planung zurück, beginnend mit dem SVR (Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk) von 1920, der Wohnungen und Freiflächen in der gesamten Region plante, bis hin zum Regionalverband Ruhr (RVR) von 2004, der den regionalen Bezug auf die Entwicklung des regionalen Images und die regionale Planung der gebauten und natürlichen Umwelt erweiterte. All diese großartigen Partnerschaften zielen darauf ab, die Kaufkraft der vielen kleinen Gemeinden innerhalb des Ruhrgebietes zu bündeln, verfallene Landschaften aufzuwerten und die Folgen des Strukturwandels der Region zu überwinden (Hall, 1967; Knapp, et al. 2006). Die Entwicklung des Tourismus auf der Grundlage seines industriellen Erbes wird als Vermittlung eines authentischen und attraktiven Bildes des Ruhrgebietes angesehen. Der Tourismus soll etwas Besonderes schaffen, die Abwanderung aus der Region reduzieren und somit die lokale Wirtschaft fördern und gleichzeitig Einnahmen von Besuchern aus Deutschland und dem Ausland erzielen. Die sich hieraus ergebenden Strategien zur Entwicklung von Kultur, Erholung und Tourismus führten zwischen 1982 und 1999 zu Investitionen in Höhe von 2,5 Mrd. EUR – 80 % davon aus dem öffentlichen Sektor – sowie letztendlich zur Gründung der Ruhr Tourismus GmbH. Dieser Prozess begann im Jahr 1998 mit der Gründung der Ruhrgebiet 43 Aus: http://sustainablecities.dk/en/city-projects/cases/emscher-park-from-dereliction-to-scenic-landscapes

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Tourismus GmbH und mündete 2009 in der Gründung der Ruhr Tourismus GmbH, die sich in Besitz des RVR befindet und im Rahmen von Partnerschaften touristisches Marketing, Produktentwicklung und Veranstaltungsplanung für die gesamte Region anbietet – sie ersetzt nicht die Arbeit von Tourismusorganisationen in den 53 lokalen Behörden der Region, sondern fungiert eher als Dachverband. Zudem fungiert sie als Reiseveranstalter, Ticketagentur und Veranstaltungsplaner. Sie beschäftigt 36 Angestellte. Ruhr Tourismus nutzt das Konzept Die Metropole Ruhr als Markenname, um die Bedeutung der Region sowie den neuen Ansatz hinsichtlich der Vergangenheit und der Zukunft der Region zu betonen. Die ersten Worte auf der Website44 lauten wie folgt: „Eine Städtereise in die Metropole Ruhr bietet 3.500 Industriedenkmäler, 250 Festivals und Feste, 200 Museen, 120 Theater, 100 Kulturzentren, 100 Konzertsäle und 2 große Musicaltheater - im Ruhrgebiet finden Sie eine aufregende Mischung aus Kultur und Entertainment!“ Bemerkenswert ist, dass Industriedenkmäler als Erstes genannt werden. Industriekulturstätten allein machen jedoch noch keinen touristischen Ort aus, wie am Beispiel des Textilmuseums in Tilburg erläutert wurde (5.1.2). Das Konzept von Ruhr Tourismus war erfolgreich. Ein Großteil dieses Erfolgs resultiert aus einer intensiven und andauernden Marktforschung, aus einer marktbezogenen Markenpolitik, hervorragend gestalteten Websites und einer starken „Wir schaffen das“-Mentalität. Die Arbeit der Organisation lässt sich anhand ihres nützlichen und detaillierten Bilanz- und Strategiedokuments für den Zeitraum 2012-2016 bewerten (Ruhr Tourismus, 2011). In den vergangenen Jahren konnte ein Anstieg der Übernachtungszahlen um 10 % verzeichnet werden. Im Zeitraum von 2000 bis 2010 lag das jährliche Wachstum mit 49 % deutlich über dem Durchschnittswert von 29 % für Gesamtdeutschland im gleichen Zeitraum. Im Jahr 2011 wurden insgesamt 6,8 Millionen Übernachtungen gebucht. Industriekulturstätten und die damit in Zusammenhang stehenden Erlebnisse schnitten in zahlreichen Besucherumfragen gut ab – ebenso wie Einkaufsmöglichkeiten, Veranstaltungen, Sport, Parks und das Theater, was wiederum das Argument bestärkt, dass der Industrieerbe-Tourismus am besten funktioniert, wenn er durch andere Aktivitäten ergänzt wird. Dies ist keine Besonderheit des Industrieerbe-Tourismus – dies gilt auch für den Naturtourismus (Palacio & McCool, 1997) sowie andere Bereiche. Eine der größten Errungenschaften des Ruhrgebiets ist die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2010 zusammen mit Istanbul und Pecs (Ungarn). Weniger glamourös, jedoch von enormer praktischer Bedeutung, war die Einführung der Ruhr TopCard im Jahr 2011, einer Prepaid-Chipkarte (47-90 EUR für Erwachsene; 32-90 EUR für Kinder), mit der man freien Eintritt zu mehr als 90 Attraktionen erhält und bei vielen anderen Attraktionen lediglich den halben Preis zahlt. Dies fördert längere Aufenthalte und kann durch die Bindung der lokalen Bevölkerung an die Region zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen beitragen. Könnte das Konzept von Ruhr Tourismus auch anderswo in kleinerem Maßstab umgesetzt werden? Es scheint keinen Grund zu geben, der dagegen spricht. Vor einigen Jahren gründeten zahlreiche lokale Regierungen im Vereinigten Königreich ein Unternehmen ähnlicher Größe im Bereich des römischen Hadrianswalls. Ziel der Hadrian’s Wall Heritage Ltd (HWHL), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist die bestmögliche Nutzung des

44 www.ruhr-tourismus.de.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Walls für die umliegenden Gemeinden und die Region bei gleichzeitiger Erhaltung des Hadrianswalls45. Konkrete Beispiele Nachstehend sollen zwei von vielen konkreten Beispiele für eine bemerkenswerte Wiederverwendung von Industriekulturstätten genannt werden. Der Gasometer Oberhausen Der größte Scheibengasometer Europas, ein riesiger Zylinder mit einer Höhe von 118 Metern und einem Durchmesser von 68 Metern, wurde im Jahr 1929 als Teil des Gaskontroll- und -speichersystems für die lokalen Eisenhütten fertiggestellt. Er wurde im Jahr 1988 stillgelegt und ist seitdem nicht nur industrielles Erbe, sondern auch ein lokales und regionales Wahrzeichen. Bis zum Jahr 1994 wurde er in zwei große Ausstellungsräume umgewandelt, die pro Jahr jeweils 500 000 Besucher zählen46. Der Industriekomplex Zeche Zollverein Die Zeche Zollverein wurde 1847 erstmals eröffnet und 1932 fertiggestellt. Die effektive Arbeitstiefe lag bei 1200 Metern. 1983 wurde der Beitrieb dort eingestellt. Der riesige Standort mit seinem berühmten Förderturm im Bauhaus-Stil aus dem Jahr 1932 sollte bereits abgerissen werden, wurde jedoch 1986 von der regionalen Regierung aufgekauft, zum Industriedenkmal ernannt und wird mittlerweile von einer Stiftung kontrolliert. Im Jahr 2001 wurde die Zeche zum Weltkulturerbe ernannt. Sie fungiert nunmehr als Kulturerbestätte, Museum, Galerie, Shop und Restaurant. Im Jahr 2010, als sie Teil der Europäischen Kulturhauptstadt war, zählte sie insgesamt 2,2 Millionen Besucher. Das Jahr 2011 war mit 1,5 Millionen Besuchern ein etwas „normaleres“ Jahr47. Industrieerbe-Tourismus in Brandenburg (Deutschland) Dieser Bericht, der im Wesentlichen auf einer beratenden Studie basiert, soll als Kontrast zur Fallstudie des Ruhrgebietes dienen. Die Region Brandenburg liegt zwar in unmittelbarer Nähe von Berlin, ist jedoch aufgrund der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik noch immer benachteiligt. Eine beratende Studie untersuchte, wie das industrielle Erbe zur Verbesserung der Situation der Region genutzt werden könnte (Datzer, Seidel & Baum, 2010). Die beobachtete Situation ist für viele Regionen typisch. Ebenso sind die Lösungsansätze für die Probleme typisch für einen effektiven Ansatz zur Entwicklung deiner informierten Partnerschaft, der aller Wahrscheinlichkeit in den meisten Teilen Europas funktioniert und die Notwendigkeit des Ausbaus von Kompetenzen in den Bereichen Tourismus und Erhaltung an den meisten Standorten widerspiegelt. Vor dem Hintergrund der vielen weniger professionell verwalteten Standorte ist es durchaus üblich, eine kleine Zahl sehr gut betriebener Standorte in Brandenburg zu finden. Zudem besteht die Notwendigkeit, die Anzahl der Standorte zu begrenzen, um ein Überangebot und ein Marktversagen zu verhindern. Eine thematische, abgestufte und relevante Interpretation wurde als überaus wichtig eingestuft – dies wiederum erfordert Grundkenntnisse des betreffenden Marktsegments sowie Verbindungen zu Marketingstrategien.

45 www.hadrians-wall.org. 46 www.gasometer.de. 47 www.zollverein.de.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Brandenburg ist eines der 16 Bundesländer Deutschlands mit teilweiser Selbstverwaltung; es umgibt die Hauptstadt Berlin, die jedoch nicht zum Bundesland Brandenburg gehört. Auf 25 000 Quadratkilometern leben dort 2,5 Millionen Menschen. Trotz der Tatsache, dass die Region nie in großem Umfang industrialisiert wurde, gibt es dort 3 große Industriekulturstätten sowie mindestens 88 weitere anerkannte Stätten. Die Ergebnisse der hier erläuterten Erhebung (Datzer et al, 2010) basierten auf einem per Post an 79 Standorte verschickten Fragebogen (der von 58 Befragten, also 73 %, beantwortet wurde), dem 10 halbstrukturierte Befragungen wichtiger Akteure in der Region folgten. Zu den wichtigsten Ergebnissen der Erhebung zählten folgende Punkte:

Das industrielle Erbe ist weitverbreitet und sehr unterschiedlich: Der Schwerpunkt liegt auf der Tagebauförderung von Braunkohle sowie der Herstellung von Textilien und Ziegelsteinen.

60 % der Antworten kamen von Museen. Die Hälfte aller Standworte wurde erst in den letzten 10 Jahren für Besucher

geöffnet. Die meisten Standorte sind nicht jeden Tag geöffnet. 75 % der Standorte verlangen einen Eintrittspreis, der meist bei 5 EUR oder

weniger liegt. Die meisten Standorte bieten Ausstellungen und/oder Veranstaltungen an. Die 58 Standorte zählen insgesamt 900 000 Besucher pro Jahr, wobei auf

8 Standorte mehr als die Hälfte dieser 900 000 Besucher entfiel; 61 % der Standorte zählen weniger als 10 000 Besucher pro Jahr.

Moderne Interpretationsmethoden (Audioführer, gedruckte Materialien in einer Reihe von Sprachen usw.) waren nicht weit verbreitet, jedoch wurden an den meisten Standorten Führungen angeboten.

Die Verkehrssituation zwischen den einzelnen Standorten ist nicht einfach. Es gibt nur wenige Marketing-Kontakte zwischen den Standorten.

Die Beschilderung war schlecht. Hauptzielgruppen sind Schulklassen, Familien mit Kindern und Menschen über 50. Die meisten Standorte betrieben ihr Marketing über ihre Website und gedruckte

Materialien. Die Marketingaktivitäten sind sehr begrenzt, da 75 % der Standorte über ein Jahresbudget von weniger als 5000 EUR verfügen.

Die durchschnittliche Anzahl der Angestellten liegt bei 6, dazu kamen Freiwillige.

Die wichtigsten in den Befragungen erwähnten Punkte lauteten:

Ziel vieler Standorte ist vielmehr die Bildung und Information der lokalen Bevölkerung hinsichtlich ihrer lokalen Geschichte als die Entwicklung des Tourismus.

Man hat den Eindruck, dass die Region ein größeres Potenzial für eine Erweiterung des Bereichs Tourismus hätte, wenn die Vermarktung verbessert würde.

Die Lausitz ist aufgrund der dortigen Konzentration der Standorte und der guten Verkehrsanbindung an Berlin (etwa 1 Stunde) der einzige Teil der Region mit großem Potenzial.

Die Tourismusagenturen und -behörden wussten wenig über industrielles Erbe und behandelten dieses Thema eher nachrangig. Die Industriekulturstätten verfügen nur über schwache Kontakte zu Tourismusagenturen.

Es gibt weder eine Organisation noch ein Netzwerk, das für die Förderung oder Entwicklung des Industrieerbe-Tourismus verantwortlich ist.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Die Tourismusinfrastruktur ist schwach ausgeprägt. Es gibt nur unzureichende Bewirtungs- und Übernachtungsmöglichkeiten sowie Informationen und Interpretationshilfen.

Es fehlt an ausgebildetem Personal sowie an jüngeren Reiseführern.

Nachstehend einige mögliche Lösungsansätze für diese Probleme:

Einrichtung eines Forums, um die Idee eines Netzwerks zur Entwicklung des Tourismus voranzubringen und Innovationen einzuführen.

Besseres Marketing und kombiniertes Marketing zwischen den einzelnen Standorten.

Schulung des Personals in den Bereichen Tourismus und Arbeit mit Touristen. Bessere Verbindungen zwischen den einzelnen Standorten und der

Tourismusbranche sowie umgekehrt. Konzentration auf die Sanierung vorhandener Standorte anstelle der Schaffung

weiterer Standorte. Entwicklung von Themen und Geschichten. Konzentration auf bestimmte Märkte, insbesondere die Schulen. Stärkere Nutzung der Standorte für Veranstaltungen.

Insbesondere die Schulung des Personals ist wichtig, da es Teil der Vermittlung neuer Kompetenzen für die industrielle Gesellschaft ist und ein Umdenken bewirken soll. Erläuterungen hierzu finden sich unter Punkt 4.3. Dieser Punkt wird von einer Reihe von Forschern gestützt (Jones and Munday, 2001; Cole, 2004). Wenngleich eine Schulung des Personals für den Bereich Tourismus erforderlich ist, so kann sie auch wichtige Kompetenzen enthalten, die auch auf andere Branchen übertragbar sind.

5.2. Fallstudien zum Landtourismus Der Landtourismus unterscheidet sich insofern vom Industrieerbe-Tourismus, als er nicht nur Standorte wie beispielsweise Touristenattraktionen, sondern die gesamte Bandbreite des Phänomens Tourismus umfasst – von Übernachtungsmöglichkeiten über Essen und Trinken bis hin zu Orten und der Kultur einer historischen Region im weiteren Sinne. Dennoch ist es gut möglich, dass für den Landtourismus im Vergleich zum Industrieerbe-Tourismus nur geringe Kapitalinvestitionen erforderlich sind. Manchmal gibt es Hybridformen des ländlichen und des Industrieerbe-Tourismus – dieses Thema wurde in der vorliegenden Studie bereits im Rahmen der Eisenbahnstudien erläutert und wird auch in der Studie zu Haslach in Österreich (5.3) am Ende dieses Kapitels behandelt. Der Landtourismus hat eine Reihe innovativer Ideen hervorgebracht. Der Begriff der Tragfähigkeit einer ländlichen Region für den Tourismus wurde durch den Begriff der Grenzen vertretbarer Veränderungen ersetzt. Es wurde an den Ideen lokaler Gruppen betreffend die Entwicklung des Tourismus, lokale und regionale Strategien für einen nachhaltigen Tourismus, Wanderwege, Landfeste, Natur und Ökotourismus sowie andere Themen und Techniken gearbeitet. Außerdem ist man zum Konzept des Landtourismus der zweiten Generation übergegangen, um so dem Wettbewerb anderer Urlaubsziele entgegenzutreten. In diesem Themenbereich gibt es viele Ideen. Ein Nachteil ist jedoch die Fragmentierung aufgrund einer Aufsplitterung in Tausende von Kleinstunternehmen. Innerhalb des Landtourismus spielt der Agrotourismus eine bedeutende Rolle im Hinblick

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

auf die Diversifizierung von Bauernhöfen und die Erhaltung der Kulturlandschaften. Der Bauernhoftourismus steht in engem Zusammenhang mit einem neuen, schnell wachsenden Tourismusbereich – dem Gastro-Tourismus. Eine Fallstudie aus Dänemark findet sich in Anhang G, G5. Aus dem Landtourismus haben sich ein breites Spektrum an lokalen Gruppen zur Tourismusförderung sowie eine Reihe von Organisationen zur Vermarktung des nationalen Agro-/Landtourismus entwickelt. Eine dieser Organisationen, der österreichische Verband „Urlaub am Bauernhof“ wird hier erwähnt (5.2.4). Weitere Beispiele aus Lettland und Slowenien finden sich in Anhang G, G6. Übernachtungsmöglichkeiten (5.2.1) sind ein zentrales Thema des Landtourismus – sie bieten enorme Möglichkeiten zur Generierung wirtschaftlicher Gewinne, zur Erhaltung historischer Gebäude sowie für umweltfreundliche Neubauten. Im Bereich Übernachtungsmöglichkeiten gibt es mehr Unternehmen als in jedem anderen Teilbereich des Landtourismus: Übernachtungsmöglichkeiten sind Teil des Produkts Landtourismus, da die Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Land sich deutlich von denen in Ferienanlagen unterscheiden. Dies zieht eine besondere Art von Unternehmer im Bereich des Landtourismus an – den Lifestyle-Unternehmer. Informationen zu diesen beiden Aktivitäten sowie ein Beispiel für die Entwicklung des Gastro-Tourismus im Rahmen des Landtourismus finden sich in Anhang G der vorliegenden Studie. Der Landtourismus umfasst nicht nur eine Aktivität, sondern ist eher ein ganzer Bereich. Dieses Thema wird in der Studie zu Portugal (5.2.2) aufgegriffen, die Aspekte des Dorf-, Kleinstadt- und Gemeindetourismus untersucht. Zum besseren Verständnis werden Schutzgebiete erörtert, da diese die intensiven Aktivitäten des Landtourismus, mögliche Governance- und Verwaltungssysteme, besondere Chancen und Dilemmas anhand einer Reihe umstrittener Themen veranschaulicht. Schließlich (5.3) zeigt eine kurze Studie, dass der ländliche und der Industrieerbe-Tourismus in einigen Fällen zusammenarbeiten und einen gegenseitigen Nutzen schaffen können.

5.2.1. Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Land Übernachtungsmöglichkeiten sind der vielleicht wichtigste Faktor in der Formel des Landtourismus. Übernachtungsgäste sind wertvoll. Untersuchungen zeigen, dass Übernachtungsgäste mehr Geld ausgeben als Tagesausflügler, üblicherweise bis zu 300 % mehr. Ebenfalls hat sich gezeigt, dass ein Großteil der Ausgaben für Übernachtungen in ländlichen Gebieten im Gegensatz zu Ausgaben in anderen touristischen Bereichen auch in der lokalen Wirtschaft verbleibt. Bis zu 70 % der Ausgaben für Übernachtungen verbleiben in der Gemeinde. Dem gegenüber stehen nur 20 % der Ausgaben im Einzelhandel. Darüber hinaus schaffen Ausgaben von Touristen für Übernachtungen mehr Arbeitsplätze pro Investition als der Einzelhandel, Restaurants oder die Entwicklung von Attraktionen (PA Cambridge Economic Consultants, 1990). Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Land sind fast immer in privatem Besitz. Hotelketten mit externen Besitzern sind relativ selten. Übernachtungsmöglichkeiten helfen dabei, ein anerkanntes Reiseziel zu schaffen. Sie können den Weg für die Gründung lokaler Tourismusverbände, für Schulungsmaßnahmen, eine bessere Vermarktung usw. ebnen. Eine Reihe von Forschern hat gezeigt, dass kleine und sehr individuelle Übernachtungsmöglichkeiten für viele Besucher ein Alleinstellungsmerkmal sind, die das Produkt Landtourismus von anderen abheben. Häufig wird berichtet, dass der persönliche Kontakt ein wichtiger Gründ dafür ist, dass Gäste sich für einen Urlaub auf dem Land entscheiden (Englischer Tourismusverband, 1987). Die

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Bedeutung der Bereitstellung von Übernachtungsmöglichkeiten erklärt, warum der Landtourismus einen wesentlich größeren wirtschaftlichen Effekt hat als der Industrieerbe-Tourismus. Übernachtungsstatistiken zeigen das volle Ausmaß der saisonalen Schwankungen im Bereich des Landtourismus sowie die enormen ungenutzten Kapazitäten der Branche. In vielen weniger modernen oder abgelegenen Unternehmen liegt die Bettenauslastung teilweise bei nur 30 %. Andere übertreffen jedoch die übliche durchschnittliche städtische und ländliche Bettenauslastung von etwa 65 %. Einige Anbieter von servicefreien Unterkünften erreichen eine Auslastung von über 80 %. Die Gründe für diese Schwankungen sind vielfältig. Saisonale Schwankungen sind ein Grund, und auch wenn es sich hierbei um ein komplexes Problem handelt, so kann man oftmals durch Marktkenntnisse, Preispolitik, Produktentwicklung und geschicktes Marketing Verbesserungen erzielen. Das vollständige und komplexe Bild der Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Land findet sich in Anhang G, G3: Ein Überblick über die Vielfältigkeit findet sich nachstehend. Für diesen Überblick wird eine einfache Aufteilung in zwei Kategorien vorgenommen: ohne Serviceangebot (reine Bereitstellung von Übernachtungsmöglichkeiten) und mit Serviceangebot (Bereitstellung von Übernachtungsmöglichkeiten sowie von Mahlzeiten, persönlicher Betreuung und Dienstleistungen). Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass auf dem Land mehr servicefreie Unterkünfte angeboten werden als in Städten oder Ferienanlagen. Bereitstellung von Unterkünften ohne Serviceangebot

Campingplätze– einschließlich des sogenannten „Glampings“ (Luxus-Camping) und der Bereitstellung anderer gehobener Dienste

Standorte für Wohnwagen/Wohnmobile Camping-Scheunen/Steinzelte Heu-/Strohscheunen/„Schlafen im Heu“ Unterkünfte für Selbstversorger – Neubauten Unterkünfte für Selbstversorger – Umbauten Spezialgebäude mit Selbstversorgung: üblicherweise in qualitativ hochwertigen,

historischen Gebäuden Teilzeitnutzung

Bereitstellung von Unterkünften mit Serviceangebot

Bed & Breakfast (Übernachtung mit Frühstück, „Zimmer frei“) Bed & Breakfast auf dem Bauernhof Hostels/Gruppenübernachtungen Pensionen Hotels

Nachhaltigkeit sollte ein Teil aller Aktivitäten im Bereich des Landtourismus sein: Auch der Bereich Übernachtungsmöglichkeiten stellt hierbei keine Ausnahme dar. Eine erhöhte Recyclingquote sowie umweltfreundliche Bau- und Geschäftstechniken sollten in alle Arten von ländlichen Unterkünften integriert werden. In diesem Bereich sind die großen Hotelketten bereits weit voraus 48 . Das klassische Beispiel für die Bereitstellung umweltfreundlicher Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Land ist das Hotel Ucliva in Waltensburg, Graubünden (Schweiz). Dieses aus dem Jahr 1983 stammende (und später 48 Siehe Bohdanowicz, 2011.

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erweiterte) Hotel mit 70 Betten wurde mit energieeffizienten, umweltfreundlichen Materialien gebaut, ist auf lokal gekauftes, biologisches/semi-biologisches hausgemachtes Essen spezialisiert, bietet seinen Gästen eine Reihe von Aktivitäten mit geringer Umweltbelastung und verfügt über eine vorbildliche Beschäftigungspolitik und Strategie zur Beteiligung lokaler Akteure49.

5.2.2. Das Konzept einer ländlichen Region Die Schieferdörfer in Portugal Die Vorteile, die Partnerschaften verschiedenster Art für den Landtourismus bieten, sind heute weit bekannt, werden jedoch selten voll ausgeschöpft. Landtourismus bietet ein vollwertiges Tourismuserlebnis, einschließlich Unterkunft, Attraktionen, Aktivitäten und Gastronomie. Partnerschaften können all diese Anbieter vereinen und Größenvorteile bieten, um das Konzept der ländlichen Region zu fördern, zu vermarkten und bei der Entwicklung zu helfen. Es ist jedoch nicht einfach, diese Partnerschaften einzugehen, sie anzutreiben, zu pflegen oder zu nutzen. Diese Untersuchung zweier Netzwerke in Portugal ist recht umfassend. Der Umfang ist berechtigt, da viel mit der lokalen Bevölkerung in ländlichen Gebieten gearbeitet werden muss, doch die Komplexität, solche Vereinbarungen umzusetzen, ist beträchtlich und muss näher erläutert werden. Die Studie zeigt Stärken und Schwächen von Partnerschaften für eine nachhaltige Entwicklung des Landtourismus. In Anhang C werden diese Stärken und Schwächen in den Tabellen 8 und 9 aufgeführt. Die Studie zeigt auch die Probleme auf, die sich durch bürokratische Zwänge der ländlichen Entwicklung in Portugal ergeben. Sie zeigt die Gefahren von konkurrierenden Projekten. Wie bei vielen dieser Projekte könnten jedoch deren Entwicklung und ausführliche Berichterstattung verbessert werden. Das Material dieses Abschnitts stammt größtenteils aus einem dreijährigen Forschungsprojekt über Landtourismus, das von der Universität Aveiro in Zusammenarbeit mit UTAD (Universität Tras-os-Montes und Alto Douro) durchgeführt wurde. Das ORTE-Projekt, „Overall Rural Tourism Experience and sustainable local community development“ (Allgemeine Landtourismuserfahrung und nachhaltige lokale Gemeindeentwicklung), startete 2010 und wird bis 2013 durchgeführt. Dieses innovative und umfassende Forschungsprojekt wird von der portugiesischen Fundação para a Ciência e Tecnologia finanziert und von COMPETE, NSRP und EFRE unterstützt. Weitere Informationen sind zu finden unter: http://cms.ua.pt/orte/?q=node/20. Das Schieferdörfer-Netzwerkprogramm (SVN, Schist Villages Network Program) wurde 2000 in der Region Centro in Portugal gegründet, im Rahmen des gemeinschaftlichen Förderkonzepts 2000-2006 der EU50. Das Netzwerk hat seinen Namen von der örtlichen Geologie: Schiefer ist ein metamorphes Gestein mit Mineralien wie Glimmer, Quarz und Hornblende. Es wird im traditionellen Bau in den Schieferdörfern verwendet, was den Dörfern ein einzigartiges Aussehen verleiht. SVN ist ein nachhaltiges regionales Entwicklungsprojekt, das sich aus einem Zusammenschluss von ursprünglich 16 Ortschaften entwickelte. Es umfasst heute 27 Dörfer, 19 Gemeinden und über 100 Betreiber im Tourismussektor in diesem Gebiet. 2011 lebten in den 19 Gemeinden 281 448 Menschen auf 6555 Quadratkilometern. Das Programm wurde ursprünglich durch die Erarbeitung von „Dorfplänen“ entwickelt, mit Unterstützung eines spezialisierten und fachübergreifenden Teams, das mit den Gemeinden

49 Siehe www.ucliva.ch. 50 http://www.qca.pt/english/home/index.asp.

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arbeitet. Der Dorfplan ist ein Arbeitsdokument, das auf einer gründlichen Untersuchung jedes einzelnen Dorfes, seiner Umgebung und seiner Bevölkerung basiert. Mit dieser Studie wurden wesentliche Aktionen zur Förderung der Entwicklung der Gebiete definiert. Während sich diese Fallstudie auf den Landtourismus konzentriert, war und ist der übergeordnete Zweck des Programms, der Region bei ihrer gesamten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu helfen. In den Plänen bildete die Entwicklung der materiellen und immateriellen kulturellen Dorfbestände den Schlüssel zur Entwicklung von Ideen für mögliche Tourismuserlebnisse und dafür, wie das Kulturerbe in Tourismusprodukte umgewandelt werden kann. Das Programm gründete ADXTUR - Agência para o Desenvolvimento Turístico das Aldeias do Xisto (Agentur für Tourismusentwicklung in den Schieferdörfern), die die im Rahmen des Programms entwickelten Aktionen fördern und vermarkten soll. ADXTUR ist ein privater gemeinnütziger Verein, der sowohl öffentliche als auch private Kräfte vereint, um zu fördern, Wohlstand durch Tourismus zu schaffen und das Erbe der ländlichen Gemeinden zu bewahren und deren Entwicklung zu fördern51. ADXTUR hat fünf Angestellte und sieben Vertragspartner für Beratung und andere Dienstleistungen. Das Gesamtprogramm zielt darauf ab, neben der Entwicklung des Tourismus, die vielen gemeinsamen Entwicklungsprobleme der im Land liegenden Dörfer in Portugal, u. a. die alternde Bevölkerung, die Entvölkerung, die Isolation, die spärliche/geringe Produktivität, die fehlenden Informationen und schlechte Zugänglichkeit, zu reduzieren. Außerdem soll das Vertrauen der lokalen Bevölkerung durch gemeinsame Treffen gewonnen und ein Gemeindenetzwerk geschaffen werden. Jedes Dorf organisierte Gemeindetreffen, die Mitarbeiter von ADXTUR erklärten das Projekt, arbeiteten eng mit den Gemeindemitarbeitern und Spezialisten der regionalen Koordinationskommission CCDR-C zusammen, der Koordinationskommission für die Entwicklung der Region Centro, die sich regelmäßig mit den Besitzern der historischen Gebäude trafen, um zu erklären, wie diese restauriert werden und was im gesamten Dorf passieren könnte. ADXTUR unterstützte nicht nur Besuche von Experten in den Dörfern, sondern auch gegenseitige Besuche der Bewohner der Dörfer, um auf das Netzwerk aufmerksam zu machen und Gemeinsamkeiten, gemeinsame Probleme und mögliche Lösungen zu verstehen. Ein spezielles Magazin wurde entwickelt, das sich an die Projektteilnehmer richtet, die Botschaft übermittelt und die Stärken und Errungenschaften der Schieferdörfer präsentiert. Das Programm ist ganzheitlich und umfasst nicht nur das Marketing und die Entwicklung des Tourismus: Es konzentriert sich auf den Erhalt der lokalen Architektur und Bautechniken, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Förderung des Lokalpatriotismus, die Bewahrung des Kulturerbes und der Authentizität. Zur Unterstützung wurde ein internationales Projekt geschaffen, das das SVN mit dem Røros-Museum und der UNESCO-Weltkulturerbestätte in Røros in Norwegen verbindet. Durch dieses Projekt - vom Europäischen Wirtschaftsraum, den Norwegen-Fonds, finanziert – konnten 80 traditionelle Häuser in einigen Dörfern mühsam erhalten und wieder genutzt und neue Handwerker für die Reparatur des Kulturerbes mit authentischen Methoden und Materialien geschult werden. Ein wesentliches Ergebnis war die Gründung der Schieferdörfer-Geschäfte, die lokale Produkte verkaufen und Touristeninformationen anbieten, um eines der größten Probleme der Region zu mindern, nämlich die Beschränkung der Produzenten auf Mikroebene und der fehlende Zugang zu größeren Vertriebsnetzen. Die Dörfer verfügen über eine reiche

51 http://www.aldeiasdoxisto.pt – in Englisch und Portugiesisch).

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Handwerkstradition, Fachkenntnisse in diesen Handwerken, die die Kultur und Tradition der Region widerspiegeln, sie konnten diese Tradition aber bisher nicht ausdrücken oder wirtschaftlich umsetzen. ADXTUR half dabei, dieses Problem durch die Gründung eines eigenen Geschäftenetzes zu beseitigen, das den Verkauf lokaler Handwerksprodukte ermöglicht, den Kunsthandwerkern einen Ertrag bietet und hilft, die Tradition zu bewahren und den erwerbstätigen Menschen einen Grund liefert, in den Dörfern zu bleiben. Die zwölf Geschäfte des Schieferdörfer-Netzwerks verkaufen Lebensmittel, Veröffentlichungen und Handwerksprodukte und verbinden manchmal traditionelle Kunst mit modernem Design; sie sind in den Dörfern und auch in Lissabon, Barcelona und Coimbra ansässig, wobei die Letzteren drei eine greifbare Form des Synergie-Marketings zwischen Tourismus und städtischen Handwerksunternehmen bilden. ADXTUR förderte auch die Entwicklung verschiedener anderer Initiativen, z. B.: ein Magazin, das an Touristen und die allgemeine Bevölkerung verkauft wird; ein Buch mit traditionellen Kochrezepten (Carta Gastronómica), mit schönen Illustrationen und Verbindungen zu besonderen Menschen vor Ort; einen Veranstaltungskalender; die Förderung von Produkten/Dienstleistungen, die mit dem Kulturerbe der Region in Verbindung stehen, z. B. Routen – Schieferwander- und Mountainbike-Wege – und eine Reihe von Themenhäusern, die mit dem traditionellen Handwerk verbunden sind (das Haus der Weberinnen, das Pilzhaus, das Trommelhaus und das Honighaus), die heute von einem anderen lokalen Entwicklungsverein gefördert werden – Pinus Verde (ein Verein, der sich auf die Forstverwaltung konzentriert und mit dem Konzept multipler Nutzung und integrierter Entwicklung des Waldes arbeitet). Darüber hinaus wird das gesamte Marketing des SVN (z. B. die Marketingstrategie, die Internetseite, Broschüren, ein Magazin, die Teilnahme an nationalen und internationalen Messen) von ADXTUR entwickelt und gefördert. Die drei Mountainbike-Zentren der Schieferdörfer sind feste Einrichtungen, jede mit einem Netz aus ausgeschilderten Mountainbike-Strecken, die voll ausgestattete Knotenpunkte mit Informationen, Parkplätzen, Duschen und einer Fahrrad-Selbstreparaturwerkstatt, mit einer Waschanlage, Luft und einer Werkstatt für kleinere Fahrradreparaturen bilden. Jedes Zentrum bietet Cross Country, Downhill- und Freeride-Strecken in vier Schwierigkeitsstufen, die daher für jeden Fahrer, vom Anfänger bis zum Profibiker geeignet sind. Das Marketing erfolgt über das Internet und über den engen Kontakt mit Reiseveranstaltern und die Teilnahme an Tourismusmessen, einschließlich der ITB in Berlin. Die Internetseite vereint 70 Anbieter von Unterkünften und sechs Campingplätze. Die Marktforschung ist derzeit in der Startphase: Die Partner (Geschäfte, Unterkünfte, Restaurants) werden in Zukunft Umfragen nutzen können, um sozioökonomische Kundenprofile und Touristenmotive zu identifizieren. Es wurde ein neues Qualitätsbewertungsprogramm für das Gebiet entwickelt. Das Budget von ADXTUR ergibt sich zum Teil aus einem jährlichen Mitgliedsbeitrag der lokalen Unternehmen und Organisationen, der von 10 EUR bis 500 EUR reicht, je nach Art der Aktivität. ADXTUR erhielt außerdem 11 956 561 EUR vom gemeinschaftlichen Förderkonzept III der EU (durch den EFRE) zur Investition in öffentliche Plätze und Infrastrukturen (öffentliche Infrastrukturen und Fassaden von Privathäusern). Derzeit unterstützt der nationale strategische Rahmenplan (im Zusammenhang mit PROVERE, EFRE und PRODER) Aktivitäten in erheblichem Maße; so hat das Gebiet seit 2009 mehr als 9 884 027 EUR an europäischen Finanzhilfen erhalten. Die Finanzierung ist aufgrund der kurzfristigen und schwankenden Natur einiger Geldquellen ein Problem, was die Umsetzung

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von Aktionsprogrammen erschwert. ADXTUR wird jedoch als eine dauerhafte Organisation betrachtet und nicht als kurzfristiges Projekt. Bei ADXTUR gilt die demokratische Entscheidungsfindung und ein Bottom-Up-Ansatz, an dem alle aktiven Partner (öffentlich, privat und gemeinnützig) teilnehmen, in den sie einbezogen werden und ihre Interessen ausdrücken, Verpflichtungen eingehen und ihre Differenzen durch Beteiligung, Transparenz und Verantwortung verhandeln. Um dieses Ziel zu erreichen, ist das Management des Vereins in den Dörferrat integriert – ein Gremium aus Vertretern aller Dörfer, mit einer eigenen Verwaltung, unabhängig vom Verein und anderen Institutionen der Schieferdörfer. Der Rat, mit Vertretern aus jedem Dorf, trifft sich regelmäßig, unabhängig von der ADXTUR-Agenda. Die ADXTUR-Strategie ist, obwohl sie sich auf den Tourismus konzentriert, aufgrund folgender Aspekte ein Instrument für regionale und lokale Entwicklung zur Verbesserung der lokalen Wirtschaft und der sozialen Entwicklung:

eine starke soziale Komponente, die die wahren Lebensbedingungen des Gebiets widerspiegelt;

das Naturerbe, seine Verwaltung, Klassifizierung und Schutz, die Anerkennung des Naturerbes als komparativen Vorteil dieses Gebiets;

das bauliche Kulturerbe, insbesondere die Architektur der Schiefergebäude, die charakteristisch sind für diese Gegend und den Kern der Marke Schieferdörfer bildet;

lokale Produkte, Handwerks- oder Agrar- und Lebensmittelprodukte, die als authentisch und mit dem täglichen Leben verbunden gelten, die traditionelle Kenntnisse beinhalten, die als eine wertvolle und einzigartige Kultur im Angesicht der Anforderungen des modernen Lebens betrachtet werden.

ADXTUR legt besonderen Wert auf die Integration der Kreativwirtschaft und Innovation, sowohl aus wirtschaftlichen Gründen (insbesondere in den Geschäften), aber auch im Hinblick auf Forschung und ländliche Entwicklung, mit dem Ziel, die Region zum Versuchslabor für ländliche Entwicklung auf Basis des Tourismus zu machen. Konnte ADXTUR die Probleme der Region lösen? Es wurden den Forschern des ORTE-Projekts zahlreiche Probleme berichtet:

Nicht alle Dörfer haben ein erfolgreich integriertes und ansprechendes Tourismusprodukt.

Die Entvölkerung der Dörfer bleibt ein Problem. Es kann schwierig sein, die kritische Masse an Akteuren in jedem Dorf zu

erreichen. Vor allem berichten einige Unternehmen von übermäßiger Bürokratie und

Schwierigkeiten bei der Beschaffung von klaren und einfachen Informationen über die Anforderungen für Investitionen im Tourismusbereich und von großen Problemen bei der Beschaffung der vielen erforderlichen Genehmigungen, um ein Tourismusunternehmen zu gründen und zu führen, mit Verzögerungen durch Behörden von – in einigen Fällen sogar – Jahren, nicht Wochen.

Das Netzwerk der „Historischen Dörfer in Portugal“ (HVPN) wurde 1991 im Rahmen des zweiten gemeinschaftlichen Förderkonzepts der EU gegründet und im dritten

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gemeinschaftlichen Förderkonzept der EU erweitert. Es handelte sich um ein öffentlich gefördertes Programm zur Neuklassifizierung von zwölf Dörfern in der Region Centro in Portugal. Es nahmen einige Organisationen teil, einschließlich der IPPAR (Portugiesisches Institut des architektonischen Erbes), die Koordinationskommission für die Entwicklung der Region Centro (CCDR-C), lokale Behörden und einige private Einrichtungen. Dieses Programm sollte die Probleme mildern, die durch die Abgelegenheit/Randlage entstehen, wie Alterung der Bevölkerung, Verödung, schwache Produktivität und fehlendes Unternehmertum in der Region; Faktoren, die die Entwicklung der lokalen und regionalen Wirtschaft gefährden. Es sollte außerdem das historische Baukulturerbe der Dörfer aufwerten und wiederherstellen. Eingriffe, die vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) unterstützt wurden, beliefen sich zwischen 1994–1999 und 2000–2008 auf 44,6 Mio. EUR. Es scheint, dass im Vergleich zum SVN und basierend auf lokalen Gesprächen, dieses Programm nicht ganz erfolgreich war. Die Marke zieht Touristen an, doch die Dörfer haben nicht genügend Angebote für Touristen entwickelt, sodass das Einkommen aus dem Tourismus niedrig bleibt. Der praktische Effekt des HVPN bestand hauptsächlich in der Restaurierung von Fassaden und Gebäuden und der Bildung der Marke „Historische Dörfer in Portugal“. Die Gruppe wird auf einer englischen und portugiesischen Internetseite präsentiert52. Auch wenn es Gemeinden gibt, die sowohl das HVPN als auch das SVN nutzen (Netzwerk der Schieferdörfer), so gibt es doch keine formale Kooperation zwischen den beiden Netzwerken. Diese Doppelung erscheint merkwürdig und könnte eine verlorene Gelegenheit sein. SVN scheint die erfolgreichere Organisation zu sein, wahrscheinlich aufgrund seiner ganzheitlichen Aktivitäten und der stärkeren Verbindungen zu Tourismus, Arbeitsplatzschaffung und Marketing.

5.2.3. Landtourismus und Schutzgebiete / Nationalparks Dieser Abschnitt wurde aufgrund der wichtigen Rolle aufgenommen, die Schutzgebiete im Allgemeinen und Nationalparks im Besonderen für die Verteilung und das Wachstum sowie die potenzielle zukünftige Governance des Landtourismus spielen. Etwa 21 % des Gebiets der 32 Mitgliedstaaten der Europäischen Umweltagentur liegen in ländlichen Schutzgebieten. Viele dieser Gebiete sind Nationalparks. Es gibt sechs grundlegende Kategorien (I-VI), in die die Schutzgebiete weltweit von der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur eingeteilt werden53. Von diesen Kategorien werden die Kategorien IA und IB sehr streng verwaltet und sind effektiv nicht zugänglich für Touristen. Kategorie II der Schutzgebiete, die Nationalparks, sind die Hauptschutzgebiete, die für den Tourismus interessant und zugänglich sind. Kategorie II der Schutzgebiete sind große Natur- oder naturnahe Gebiete, die abgegrenzt werden, um umfangreiche ökologische Prozesse zusammen mit den Arten und Ökosystemen zu schützen, die für dieses Gebiet charakteristisch sind, und die auch eine Grundlage für umwelt- und kulturell verträgliche, spirituelle, wissenschaftliche, lehrreiche, erholsame Besuchsmöglichkeiten bieten. 54 Nationalparks sind aufgrund der Landschaft und des Markennamens Gebiete von großem Interesse für Touristen und vielen Landtourismusaktivitäten. Statistiken aus dem

52 http://www.aldeiashistoricasdeportugal.com/ und http://www.visitcentro.com/en/destinations/historical-

villages/accommodation/. 53 www.iucn.org. 54 Dudley, N. (ed.) (2008) Guidelines for Appling Protected Areas Management Categories. Gland, IUCN, S.8.

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Vereinigten Königreich belegen, dass der Anteil von Geschäften und Arbeitsplätzen im Tourismusbereich in Nationalparks doppelt so hoch ist wie im gesamten ländlichen Gebiet von England: In Nationalparks sind 27,5 % der Unternehmen und 21,2 % der ländlichen Arbeitsplätze im Tourismusbereich angesiedelt55. Ähnliche Zahlen wurden in anderen Teilen Europas festgestellt, obwohl es Unterschiede zwischen den Parks gibt und die Statistiken in den Studien unterschiedlich dargestellt werden (Getzner et al, 2010; Getzner, 2010a; Mayer et al, 2010). Mayer et al, die Besucherausgaben in sechs deutschen Nationalparks vergleichen, haben herausgefunden, dass die Ausgaben der Übernachtungsgäste der Parks zwischen 37 EUR und 57 EUR pro Person liegen, während der bundesweite Durchschnitt der Ausgaben von Übernachtungsgästen in Deutschland 120 EUR betrug. Zweitens haben Nationalparks fortschrittlichere Verwaltungs- und Planungssysteme als andere ländliche Gebiete. Da Verwaltungssysteme wichtig sind für eine verbesserte Leistung des Landtourismus, können Tourismusverwaltungssysteme von Nationalparks wichtige Aspekte für zukünftigen Fortschritt darstellen. Drittens gab es in den letzten 20 Jahren andauernde und radikale Veränderungen in der Beziehung zwischen den Nationalparks und dem Landtourismus. Der Tourismus wurde als Gefahr für den Status der Nationalparks als Schutzgebiete gesehen, der zu bedenklichen sozialen und kulturellen Veränderungen führt und die Umwelt gefährdet. Neue nachhaltige Tourismusmanagement- und –marketingtechniken haben die Umweltgefährdung reduziert. Ein gut geführter Tourismus wird heute als wertvolle Hilfe für den Erhalt von ländlichen Gesellschaften betrachtet, die ansonsten ihre wirtschaftliche Lebensfähigkeit verlieren würden. Viele Nationalpark-Umgebungen sind abhängig von einer lebensfähigen Tourismusindustrie zur Unterstützung und Erhaltung von landwirtschaftlichen Systemen, die wiederum dabei helfen, die Ökosysteme und Landschaften zu erhalten. Und auch die Verwaltungen der Nationalparks finden finanzielle Beiträge aus dem Tourismus, zusätzlich zur politischen Unterstützung, immer wichtiger für die Erhaltung ihrer Planungssysteme (Eagles, 2002). Die Nationalparks werden zudem häufig untersucht und bieten ein hohes Potenzial an Forschungsdaten, auf denen Entwicklungs- und Managemententscheidungen basieren können. Dieser Abschnitt untersucht daher zwei westeuropäische Nationalparks und deren Verwaltungssysteme und zwei mittel-/osteuropäische Nationalparks, um das Zusammenspiel von Nationalparks und Landtourismus besser zu verstehen. Er beginnt mit einem von der EU und dem norwegischen Forschungsrat gemeinsam finanzierten Vergleich des Jostedalsbreen Nationalpark in Norwegen und dem Nationalpark Hohe Tauern in Österreich (siehe Getzner et al, im Druck). Dann wird ein neues Konzept eines Nationalparks, der derzeit in Transsylvanien, Rumänien, gegründet wird, beschrieben, und schließlich folgt ein Bericht über den polnischen Teil des Białowieża Nationalparks, der an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland liegt. Es werden geringe Belastungen, hohe Belastungen, experimentelle und Übergangsmanagement-Ansätze dargestellt. Jostedalsbreen Nationalpark, Norwegen Der Jostedalsbreen Nationalpark wurde 1991 gegründet und erstreckt sich über eine Fläche von 1310 km2. Einen großen Teil des Gebiets macht der Jostedalsbreen-Gletscher aus, der größte des europäischen Festlands. Das Hauptziel der Verwaltung ist die Erhaltung der Natur, obwohl der Park einer von mehreren in Norwegen ist, der für den Tourismus geöffnet ist. Die Touristenzahlen steigen langsam und belaufen sich derzeit auf etwa

55 http://www.defra.gov.uk/statistics/rural/the-rural-economy/rural-tourism/.

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500 000 pro Jahr. Es gibt aktuell nur wenige andere ernste Probleme bei der Verwaltung. 2009 boten elf Kleinunternehmen Aktivitäten wie Wandern, Bergsteigen und Skitouren für etwa 20 000 Touristen an. Die meisten Besucher waren Tagesgäste von außerhalb des Gebiets, viele kamen von internationalen Kreuzfahrtschiffen auf dem Sogne Fjord. Die Verwaltung des Jostedalsbreen Nationalparks ist ein „traditionelles“ norwegisches Modell. Die nationalen Behörden tragen die Verantwortung für die Verwaltung, während die Bezirksregierung das ausführende Organ ist. Die Bezirksregierung ist eine dezentrale Behörde der nationalen Behörden; ein Nationalpark-Verwalter ist Angestellter des Bezirksumweltamtes. Er ist der Direktor für mehrere Schutzgebiete und im Durchschnitt widmet er 30 % seiner Zeit dem Jostedalsbreen Nationalpark. Darüber hinaus ist ein Naturaufseher für den Park beim Direktorat für Naturverwaltung angestellt: Der Aufseher arbeitet vor Ort und ist außerdem für einige kleinere Schutzgebiete zuständig. Etwa 90% seiner Zeit befasst sich der Aufseher mit dem Jostedalsbreen Nationalpark. Drei Informationszentren des Nationalparks werden teilweise von den nationalen Behörden finanziert. Im Vergleich mit internationalen Standards kann das Verwaltungsmodell des Jostedalsbreen Nationalpark als Ansatz mit niedrigen Kosten, geringem Input und geringem Output beschrieben werden, mit nur 1,2 festen Stellen, die für die direkte Verwaltung des Gebiets zuständig sind. Eine weitere zentrale Eigenschaft des norwegischen Verwaltungsmodells ist seine Dezentralisierung (und Fragmentierung) mit einigen separaten Einheiten, die für spezielle Verwaltungsaufgaben zuständig sind. Die Gesamtzahl der Beschäftigten, einschließlich derer in den Besucherzentren und der Verwaltung der nationalen Behörden, beläuft sich auf acht Ganzjahresstellen und 25-30 Saisonarbeiter. Die Nationalpark-Verwaltung ist verantwortlich für den Naturschutz und Informationen. Aufgaben wie das Destinationsmarketing und regionale Touristenmanagement liegen außerhalb des Aufgabenbereichs des Nationalparks. Die Beteiligung und die Einbeziehung der verschiedenen Interessenträger (Stakeholder) erfolgen informell, auf Basis persönlicher Kontakte und lokaler Gespräche mit gewählten Vertretern, Mitarbeitern und Interessenten. Das System funktioniert, da es wenige Konflikte gibt und relativ wenig Bedarf an Änderungen besteht. Das Vorsorgeprinzip wird erhalten: Es gibt wenig Engagement für die Entwicklung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Region. Hohe Tauern Nationalpark, Österreich Der Nationalpark Hohe Tauern wurde 1983 gegründet und erstreckt sich über 1834 km2 alpine Wälder, Graslandschaften, Gletscher und Felsformationen. Er ist der größte Nationalpark in den Alpen und seit dem 19. Jahrhundert als Reiseziel bekannt. Die Besucherzahlen werden auf jährlich 2 Mio. geschätzt. Der Park ist in drei Bundesländern gesetzlich geregelt (Kärnten, Salzburg und Tirol); politische Vertreter aus jedem Bundesland und der Österreichische Umweltminister bilden den „Nationalparkrat“, ein allgemeiner Lenkungsausschuss für den Park, mit lokalen Politikern, NROs und Landbesitzern in verschiedenen Parkausschüssen. Der Park verfügt über 80 Festangestellte und etwa 20-40 Saisonarbeiter und Freiwillige. Sie sind verantwortlich für den Naturschutz, Umweltschutzerziehung, Interpretation, Forschung und Kommunikation und zum Teil für das regionale Management. Im Kärntner Teil des Parks ist die Parkverwaltung gleichzeitig die Organisation für Tourismus und Reisezielmanagement, einschließlich Marketing. Das neue Besucherzentrum Tauernwelt – eines von 30 Zentren unterschiedlicher Größe – zieht jährlich über 100 000 Gäste an. Die Beteiligung und Einbeziehung der Interessenträger erfolgt über eine Reihe formeller Stakeholder-Ausschüsse, meist mit einer Reihe untergeordneter Ausschüsse. Der Park ist eng mit verschiedenen Räten auf kommunaler und regionaler Ebene und deren gewählten

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Vertreter verbunden und nutzt intensiv die Medien, unter anderen über einen eigenen Newsletter und eine Internetseite. Das System ist komplex und aufwendig, denn es gibt einen starken Entwicklungsdruck. Der Park engagiert sich aktiv im Tourismus und vertritt den Standpunkt, dass ein positives, aber auf Erhaltung basierendes Engagement wichtig ist, um die „Triple Bottom Line“ der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen. Es gibt zahlreiche Partnerschaften zwischen Unternehmen, Gemeinden und dem Park. Sein Verwaltungsmodell kann als kostenintensiver Ansatz mit hohem Input und hohem Output beschrieben werden. Das Vorsorgeprinzip wird gewahrt, jedoch in einer sich stark entwickelnden und innovativen Art: Der Park ist ein wichtiger Akteur zur Erhaltung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Region (Getzner, 2010b). Transsylvanien, Rumänien Rumänien hat 13 Nationalparks, die größtenteils von der staatlichen Forstbehörde kontrolliert werden. Viele gehen auf die 1930er Jahre zurück. Sie haben ernste Probleme aufgrund von Entwicklungsdruck, Unterfinanzierung und der sich relativ langsam ändernden Haltung gegenüber umweltschutzbasierter, nachhaltiger Entwicklung in vielen – aber nicht allen - Schichten der rumänischen Gesellschaft. Das Problem der Landrückgabe und die Rückabwicklung der Verstaatlichung von Land während des Kommunismus verstärken diese Probleme. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2007 von einer Gruppe rumänischer und internationaler Biologen, Umweltschützer und Philanthropen eine radikale neue Idee zur Gründung eines Nationalparks, zum Umweltschutz und Landtourismus ins Leben gerufen, um einen privaten Nationalpark mit einer Fläche von insgesamt 50 000 Hektar zu gründen. Die Umweltschutzstiftung Karpaten schöpft aus der Erfahrung mit ähnlichen Projekten in Nord- und Südamerika und in Afrika. Sie besitzt derzeit 12 000 Hektar Wald- und Grasland und über 10 000 weitere Hektar wird verhandelt. Die Gesamtkosten für den Kauf des Landes könnten sich auf 130 Mio. EUR belaufen. Der Park hat das Ziel, die natürlichen Ökosysteme der Karpaten zum Erhalt der Biodiversität und der lokalen Gemeinden wiederherzustellen; er soll groß genug sein, um Europas letzte größere Gruppe von Großraubtieren zu erhalten – ein Prozess, der mit dem Großraubtierprojekt des World Wildlife Fund im Jahr 1992 begonnen wurde. Die Grundbesitze, die den Kern dieses entstehenden Parks bilden, liegen in unmittelbarer Nähe des Piatra Craiului Nationalpark in der Region Brasov. Die treibende Kraft hinter diesem Projekt ist der Erhalt der Wildnis und seiner Tier- und Pflanzenwelt. Besitztum gilt hierbei als der einzig sichere Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Dieser Besitz soll jedoch der eines aufgeklärten Despoten sein: Der Plan der Förderer schließt die in der Nähe gelegenen Gemeinden durch Beschäftigungsmöglichkeiten mit ein und entwickelt einen neuen Stil von Wildnis-Tourismus, der von der Forschung von Higham (1998) über Wildnis-Erfahrungen profitiert, und neue Ideen untersucht, z. B. die Nutzung von GPS anstelle von Schildern und festen Wegen, um die Besucher in den Park zu führen. Es werden lokale Verbindungen zwischen Tourismus und Gemeinden erweitert, die sich auf die Erfahrungen aus dem Großraubtierprojekt 1992-2002 stützen. Dieses System setzt vor allem auf das Vorsorgeprinzip, hat aber auch das Ziel, eine nachhaltige ländliche Wirtschaft zu schaffen, wobei es sich auf bewährte Praktiken aus aller Welt stützt. Das Konzept eines Parks in Privatbesitz ist neu in Europa. Es hat historische Verbindungen mit den Großgrundbesitztümern im Europa vor dem 20. Jahrhundert. Es hat auch mögliche Verbindungen zu den Privatisierungsbewegungen in vielen europäischen Volkswirtschaften.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Der Białowieza Nationalpark, Polen Diese Fallstudie verdeutlicht, wie in den neueren EU-Mitgliedstaaten, die Verwaltungen von Schutzgebieten ihre Ansätze ändern und mehr auf den Tourismus ausrichten und neue politische, soziale und wirtschaftliche Erfordernisse und Möglichkeiten mit einbeziehen56. Der Białowieża Nationalpark ist ein Beispiel für einen sich langsam entwickelnden und modernisierenden Park, mit geringer Umweltbelastung und einigen Verbindungen zur regionalen Wirtschaftsentwicklung. Das Verwaltungsmodell kann als Ansatz mit mittleren Kosten, mittlerem Input und mittlerem Output beschrieben werden. Der Białowieza Wald liegt ca. 230 km östlich von Warschau, eine dreistündige Fahrt. Er umfasst eine Fläche von 150 000 Hektar und erstreckt sich entlang der Grenze zwischen Polen und Weißrussland. Der westliche Teil (in Polen) umfasst 62 500 Hektar, von denen 10 500 zum polnischen Białowieza Nationalpark gehören. Weitere 8000 Hektar sind in anderer Form geschützt, und es gibt 21 Sonderreservate. Bäume, die über 100 Jahre alt sind, werden nicht gefällt. Der polnische Teil des Białowieza Waldes wird von der Podlaskie Woiwodschaft und dem Bezirk Hajnówka verwaltet. Die Bevölkerungsdichte des polnischen Teils des Białowieza Waldes beträgt etwa 7 Menschen pro Quadratkilometer, eine der niedrigsten Dichten in Polen. Bialowieza ist der älteste polnische Nationalpark. 1932 wurde aus einem bestehenden Waldreservat der „Nationalpark in Białowieza“. 1977 wurde der Białowieza Nationalpark zum UNESCO-Biosphärenreservat und 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Stätte, die mit Weißrussland geteilt wird, schützt einen Teil der größten existierenden Fläche von europäischem Tiefland-Mischurwald bestehend aus Pinien, Buchen, Eichen, Erlen und Fichten. Die reiche Faune umfasst 50 Arten von Säugetieren, 120 Arten von Nistvögeln und etwa 10 000 Arten von wirbellosen Tieren. Zu den interessantesten Arten gehören Tarpan (polnisches Wildpferd), Elch, Hirsch, Reh, Wildschwein, Luchs, Wolf, Fuchs, Marder, Dachs, Otter, Hermelin und Biber. Der europäische Wisent wurde 1929 wieder im Park angesiedelt. 1997 erhielt der Park das europäische Diplom. Das am meisten gefährdete Gebiet ist ein strenges Naturreservat, das nur mit einem zugelassenen Führer betreten werden darf. In anderen Teilen des Waldes gibt es ausgewiesene Wege und Naturpfade, die ohne Führer betreten werden können. Das Wisent-Besichtigungs- und -Aufzuchtzentrum zeigt den Wisent, das Tarpan-Pferd (Konik) und eine Kreuzung aus Wisent und Hausrind mit dem Namen Zhubron. Es gibt ein Informationszentrum zum Umweltschutz, ein modernes Forst -und Naturmuseum und einige wenige Touristeninformationspunkte57. Die lokale Wirtschaft Vor 1989 basierte die Wirtschaft auf der Holzindustrie, der Forst- und Landwirtschaft und der Lebensmittelherstellung. Seit 1989 sind der Maschinenbausektor sowie der Dienstleistungssektor und der Landtourismus gewachsen. Heute gibt es 72 registrierte Tourismusunternehmen, plus einiger Unterkünfte mit weniger als 6 Räumen. Der Tourismus im Bialowieza Wald bestand vor 1989 hauptsächlich aus Bildungstourismus für organisierte Schulgruppen und für Erwachsene, die in Reisebussen anreisten. Der

56 Dieser Abschnitt basiert auf dem Werk von Dr. Janusz Majewski von der Universität für Biowissenschaften in

Poznan, der viele Jahre an der Entwicklung des Landtourismus mit den Gemeinden und beteiligten Akteuren in dem Gebiet zusammengearbeitet hat und früher Brand-Manager für Landtourismus in Polen war. Darüber hinaus stützt er sich auf umfassende Gespräche, die mit lokalen Akteuren geführt wurden.

57 Weitere Information sind erhältlich unter www.bpn.com.pl (in Polnisch und Englisch).

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einzige Reiseveranstalter war der staatliche PTTK (Polnischer Tourismusverband). Nach 1989 wuchs der private Sektor; einige kleine lokale Reiseveranstalter und ortsfremde Reiseveranstalter starteten ihr Angebot. Der Tourismus für bestimmte Interessengruppen, wie Vogelbeobachtung und Naturtourismus, hat eine bedeutende Stellung eingenommen. Die Rolle des Nationalparks für den Tourismus Die Nationalpark-Behörde ist verantwortlich für die Fremdenverkehrsinfrastruktur in ihrem Gebiet; die Forstbehörde ist für ihr eigenes Gebiet verantwortlich. Die Bezirksverwaltung von Hajnowka ist verantwortlich für den Rest des Gebiets und koordiniert Projekte im gesamten Waldgebiet, einschließlich der Zusammenarbeit mit den NROs. 2011 startete der Bezirk Hajnowka eine Ausschreibung für ein gemeinsames Projekt zur Verbesserung der Fremdenverkehrsinfrastruktur für das gesamte Gebiet (Park, Wald und das restliche Gebiet). Es umfasst die Modernisierung der Wege, den Aufbau eines neuen Informationssystems, Aussichtstürme und einen Wildpark mit Wisenten; 99 % der Wisente in diesem Gebiet sind freilebend. Der Nationalpark gründete 2011 eine Abteilung für Tourismusverwaltung. Sie erteilt Genehmigungen für rund 100 lokale Führer, die als Einzige Touristen in den Nationalpark führen dürfen. Sie unterhält Touristenwege für Wanderer und Radfahrer durch den Wald, einschließlich Lehrpfaden und fünf Aussichtstürmen. Die Besucherzahlen im Hauptbesucherzentrum sind von 67 220 im Jahr 2002 auf 84 277 im Jahr 2011 gestiegen. Der Park unterhält Verbindungen zu einer Reihe von relevanten Akteuren, einschließlich des Bialowieza Verbands für ländlichen Tourismus „Zubr“, des Verbands für Landtourismus „Bialowieza Wald“ in Narew, eines Verbands aus lokalen Erzeugern und der Leader+ Aktionsgruppe. Tourismuspolitik Der Bezirk Hajnowka erstellte 1999 eine Strategie zur Tourismusentwicklung, gefolgt von einer Strategie für nachhaltige Entwicklung mit einem speziellen Kapitel über den Tourismus. Es gibt einige lokale Durchführungspläne. Es gibt eine lokale Strategie für die lokale Leader+ Aktionsgruppe 2009-2015. Die ersten Schritte hin zu einer Destinationsmanagement-Organisation wurden 2001 unternommen; 2013 soll das Ziel erreicht werden. Der informelle Strategiebereich hat sich am meisten geändert: Der Nationalpark hat immer mehr den Wert des Tourismus erkannt und lernt allmählich, diesen zu verwalten und nicht einfach einzuschränken. Das Personal des Nationalparks, die Wirtschaft und die Bezirksverwaltung beginnen, enger zusammenzuarbeiten. Der Nationalpark hat versucht, seine Grenzen zu erweitern, doch dies traf auf lokalen Widerstand. Übernachtungsmöglichkeiten Es gibt ein wachsendes Angebot an Touristenunterkünften im Wald, vor allem direkt außerhalb der Parkgrenzen im Dorf Bialowieza, dem Haupttourismuszentrum. 2002 gab es 28 registrierte Einrichtungen für Landtourismus mit 270 Betten: 2011 waren es 1200 Betten in 71 Einheiten. Einschließlich Hotels sind heute 3000 Betten im gesamten Bezirk Hajnowka verfügbar, die von Campingplätzen, Hostels und Zimmer/Appartments bis zu Pensionen und Hotels reichen, einschließlich eines Viersternehotels mit 250 Betten und Konferenzausstattung.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Externe öffentliche Gelder sind sehr wichtig für die Finanzierung des Ausbaus von Übernachtungsmöglichkeiten geworden. Das dänische DANCEE—Programm für geringe Zuschüsse vergab 1999-2003 rund 1 Mio. EUR an das Gebiet, von denen 20 % für den Tourismus bestimmt waren, die Unterkunftseinheiten für den Landtourismus stiegen von 29 auf 71,die Bettenzahl von 280 auf 536. Für die allgemeine ländliche Entwicklung umfassten die EU-Finanzierungen: LEADER+ (seit 2007) € 500 000; INTERREG - (2006-2008) € 407 000; Cross-Border – (2006) € 76 000; Open Forest – (2003) € 14 000. Was benötigt das Gebiet, um den Landtourismus weiter auszubauen?

Bessere Zusammenarbeit und Koordination zwischen Interessenträgern und wichtigen Akteuren: Die Grundlage für eine integrierte Destinationsmanagement-Organisation wurde 2001 geschaffen, sie wurde jedoch noch nicht umgesetzt.

Größeres Bewusstsein der Reiseveranstalter für Natur und kulturelle Ressourcen und die Werkzeuge für Produktentwicklung und Interpretation, obwohl es einige Schulungen und Bildungstouren gab.

Anerkennung der Bedeutung des kulturellen Erbes der Holzarchitektur, die derzeit nicht ausreichend geschützt wird, Interpretation oder Marketing.

Finanzierung zur Entwicklung der Fremdenverkehrsinfrastruktur und Werbung (der Bezirk Hajnowka ist das beliebteste Reiseziel in der Region Podlasie, ist jedoch auf regionaler Ebene weniger bekannt).

Marktforschung und eine darauf basierende Marketing-Strategie.

Ein modernes Touristen-Informationssystem.

Maßnahmen zur Reduzierung der Abwanderung junger Leute; das Durchschnittsalter in den Dörfern liegt bei 55 Jahren.

Maßnahmen zum Erhalt der traditionellen Architektur und des besonderen ländlichen Flairs von Bialowieza.

Die Gestaltung einiger integrierter Tourismusprodukte mit professioneller Vermarktung und Verteilung. Markenbildung in Verbindung mit den Tourismusprodukten.

Eine bessere Verteilung der Touristen durch Öffnung eines zweiten Eingangs zum Nationalpark, was den Druck auf das Dorf Bialowieza senken würde.

Stärkere Einbeziehung der lokalen Behörden in den Tourismus.

Eine eigenständige Struktur für die Tourismusverwaltung, die sich stärker auf die Wirtschaft als auf den öffentlichen Sektor stützt und den Tourismus mit lokalen Produkten verknüpft.

5.2.4. Nationale Agro- und Landtourismusgruppen Dieser Abschnitt beschreibt nationale Agro- und Landtourismusgruppen. Solche Gruppen wurden in den letzten 20 Jahren in den meisten europäischen Ländern gegründet und bieten Marketing, Entwicklung und Lobby-Netzwerke an; sie sind wichtig und

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charakteristisch für den Sektor. Sie haben eine Reihe gemeinsamer Eigenschaften. Wo Landwirtschaftsministerien finanziell beteiligt sind, verfügen sie in der Regel über mehr Finanzmittel, doch die Mitgliedschaft ist auf aktive Bauernhöfe beschränkt. Sie wollen die Marketing-Probleme von Kleinunternehmen überwinden. Sie haben Internetseiten – einige sind jedoch besser als andere. Sie haben noch gedruckte Werbung, obwohl dies weniger wird. Die meisten bieten irgendeine Art von Weiterbildung und Beratung an und sehen ihre Aufgabe als Teil eines größeren Ziels zur Erhaltung und Unterstützung einer traditionellen Landschaft. Alle sehen sich rasch wachsenden Konkurrenten gegenüber, von internationalen Marketing-Internetseiten für Unterkünfte, die keine Beratung, Weiterbildung oder Entwicklung bieten, aber billig sind. Alle haben ein gewisses Maß an Mitgliederfluktuation jedes Jahr, da einige in Rente gehen, die Beherbergung von Gästen aufgeben oder sparen wollen, indem sie die Mitgliedschaft beenden: Die meisten erhalten jedes Jahr neue Mitglieder, da neue Unternehmen gegründet werden. Aufgrund der Konkurrenz von lokalen und internationalen Internetseiten ist die Zukunft für schwächere Gruppen sehr unsicher. Die österreichische Gruppe Urlaub am Bauernhof wird hier vorgestellt, da sie die führende Gruppe ihrer Art weltweit ist. Weitere Fallstudien sind in Anhang G, G6, am Ende dieses Berichts, aufgeführt. Lettland und Slowenien sind dort beschrieben, da diese zu den besten Gruppen in den neuen EU-Ländern zählen. Urlaub am Bauernhof in Österreich Urlaub am Bauernhof ist zweifellos die effizienteste, innovativste und bestfinanzierte Marketing- und Entwicklungsgruppe für Bauernhofurlaub/Agrotourismus in Europa, vielleicht sogar weltweit. Sie wurde 1991 gegründet, um eine Reihe von regionalen Gruppen, von denen eine auf das Jahr 1971 zurückgeht, zusammenzufassen. Der Zusammenschluss schaffte eine professionellere und mächtigere nationale Organisation. Sie wurde und wird auch heute noch teilweise vom Landwirtschaftsministerium und dem Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend gefördert: Letzteres ist in Österreich verantwortlich für den Tourismus. Die Gruppe hat das Ziel, im Bauernhoftourismus tätige Unternehmen zu unterstützen, Agrargebiete zu fördern und attraktive Urlaubserlebnisse zu schaffen. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass es einen starken Rückgang von Agrarunternehmen in Österreich gibt; täglich schließen 13 Höfe. Urlaub am Bauernhof ist eine hochprofessionelle, gut finanzierte und sehr effektive Marketing- und Entwicklungsorganisation. Die meisten anderen nationalen Organisationen für Landtourismus sind weniger effektiv, teilweise aufgrund finanzieller Probleme. Auch wenn das österreichische Modell nicht überall kopiert werden kann, so können doch viele Aspekte des Ansatzes und der Systeme in anderen Ländern genutzt werden, dazu bedarf es jedoch finanzieller Unterstützung und hochqualifizierten Personals. Urlaub am Bauernhof ist ein privater gemeinnütziger Verband. Er beschäftigt 22 Vollzeitkräfte. Geleitet wird der Verband von einem Präsidenten und vier Vorstandsmitgliedern, die von Vertretern der regionalen Gruppen und wichtigen Interessenträgern gewählt werden. Die Organisation wird zum Teil von den beiden Ministerien (50 %) und zum Teil (50 %) von den 2750 Mitgliedern finanziert, die einen Grundbeitrag und zusätzliche Gebühren für spezielle Marketingdienste zahlen. Der Grundbeitrag liegt derzeit bei 35 EUR jährlich pro Bett (zzgl. MwSt.), plus Zusatzgebühren je nachdem, in welcher Broschüre die Mitglieder

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

aufgeführt werden möchten. Die Gesamteinnahmen betragen 1,25 Mio. EUR; davon werden 842 000 EUR für Marketing und ähnliche Projekte verwendet. Die Mitglieder von Urlaub am Bauernhof haben rund 36 000 Betten, etwa jedes siebte aller Gästebetten in Österreich. Urlaub auf dem Bauernhof hat 2 Mio. Nutzer jährlich, mit Bruttoausgaben von insgesamt 1–1,2 Mrd. EUR. Ca. 50 % der Buchungen sind Wiederholungsbesuche. Urlaub am Bauernhof bietet eine breite Palette an Dienstleistungen, u. a.:

zwei Internetseiten58, plus einige soziale Medien- und Web2-Aktivitäten;

ein regionales Beratungs- und Diskussionssystem sowie eine nationale Organisation;

vierteljährliche Newsletter und Statistiken über individuelle Mitgliederleistungen;

Vertretung auf Handels- und Tourismusmessen in Österreich, Tschechien, Ungarn, den Niederlanden und Deutschland;

Marktforschung;

Medienarbeit, einschließlich Presse und TV, einschließlich redaktioneller und bezahlter Spots zu Hauptsendezeiten und 2012 zwei Schnellzugbeschriftungen zwischen Wien und Bregenz und zwischen Salzburg und Klagenfurt;

gemeinsames Marketing mit anderen Organisationen und Eventsponsoring;

Fortbildungskurse in Zusammenarbeit mit den Landwirtschaftskammern;

Lobbyarbeit gegenüber der Regierung;

eine Reihe von besonderen Urlaubsangeboten und Broschüren, einschließlich Angeboten für Ferien am Bauernhof für Babys und Kinder, für Reiter, auf Bio-Bauernhöfen und für Menschen mit Behinderungen.

Ferien am Bauernhof ist einzigartig unter den Organisationen dieser Art, da Leistungszahlen veröffentlicht werden, die zeigen, wie sich die Belegung der Betten der Mitglieder ändert - durchschnittlicher Anstieg von 20 % in den letzten 20 Jahren -, und den Preis angeben, den die Mitglieder pro Bett erhalten: Dieser stieg im gleichen Zeitraum um 120 %, was dem Doppelten der Inflationsrate entspricht. Und obwohl sich die Organisation auf das Marketing konzentriert, muss das Engagement im Bereich Produktentwicklung, Personal-/Eigentümerschulungen, Qualitätsverbesserung und die Hintergrundrolle bei der Erhaltung des ländlichen Gemeindelebens und der Unternehmen betont werden. 2011 veröffentlichte Urlaub am Bauernhof seine Strategie 2011-2020, ein Produkt intensiver Marktforschung und Beratungsprozesse mit den Mitgliedern. Die Strategie zeigt den Mitgliedern eine Reihe neuer Wege zur Verbesserung ihrer eigenen Unternehmen, stellt eine Reihe von Themen und Trends in der Tourismusbranche vor und erklärt, wie sich der Verband verändert, um effektiv zu bleiben.59.

5.2.5. Bio-Bauernhöfe und deren Verbindung zum Landtourismus In einigen europäischen Ländern wurden Anstrengungen unternommen, biologische Landwirtschaft mit einer speziellen Art von umweltverträglichem Landtourismus zu

58 www.urlaubambauernhof.com / www.farmholidays.com. 59 Siehe für weitere Informationen: Urlaub am Bauernhof (2011a), Urlaub am Bauernhof (2011b).

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verbinden. Auf europäischer Ebene führt das ECEAT – das Europäische Zentrum für Ökologischen und Landwirtschaftlichen Tourismus 60 – ein Verzeichnis einer Reihe biologischer Bauernhöfe, die biologische Unterkünfte und Essen anbieten, und macht diese publik. Auf nationaler Ebene hat Urlaub am Bauernhof in Österreich schon seit Langem spezielles Marketingmaterial für Bio-Bauernhofmitglieder herausgegeben. Eine einzelne wesentliche Verbindung fehlt jedoch in Europa – es scheint keine Organisation zu geben, die Ferien auf dem Bio-Bauernhof den Käufern von Biolebensmitteln anbietet. Diese möglicherweise wechselseitige Marketing-Synergie könnte ertragreich sein; sie wird insbesondere in Korea (Choo & Jamal, 2009) und zum Teil in Japan besonders erfolgreich eingesetzt.

5.2.6. Landtourismus der zweiten Generation: eine Fallstudie über Konzepte

In Westeuropa war der Landtourismus ein Phänomen der 1980er und 1990er Jahre; Mittel- und Osteuropa folgten in ähnlicher Weise in den 1990er Jahren bis heute (Lane, 2009). Die Entwicklung ging in beiden Fällen vom Markt aus, nämlich durch Kundennachfrage und durch Änderungen auf der Anbieterseite aufgrund von landwirtschaftlicher Diversifizierung. Ein Teil der Entwicklung wurde von kurzfristigen ländlichen Entwicklungsprojekten vorangetrieben. Die einzige effektive Koordination und Steuerung dieses komplexen Prozesses kam von Bauernverbänden und Verbänden für Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten im Landtourismus, mit Beiträgen von einigen Schutzgebietsverwaltungen. Keiner übernimmt einen ganzheitlichen Ansatz, obwohl einige dieses Ideal suchen. Die meisten der Verbände für Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten leiden heute aus verschiedenen Gründen unter Einkommensproblemen. Der marktbasierte Ansatz hat Probleme. Aufgrund der geringen und bruchstückhaften Entwicklung verstehen nur wenige betroffene Akteure die langfristigen Anforderungen des Tourismus. Sie sind nicht in der Lage oder nicht gewillt, Fremdenverkehrsinfrastruktur zu entwickeln und haben nur wenig Zugang zu Marktinformationen. Es gibt Ideen für Produktentwicklungen, die aber nur von wenigen Gebieten/Unternehmen umgesetzt werden. Verbindungen zum Naturschutz, zu ländlicher Erneuerung und zu Synergien mit der Landwirtschaft sind möglich, jedoch schwach entwickelt. Möglichkeiten für Netzwerke, Partnerschaften und eine übergeordnete Verwaltung werden häufig nicht genutzt. Vordringlicher ist, dass der Agro- und Landtourismussektor sich derzeit in einer Situation mit wachsender Konkurrenz befindet – teilweise von neuen Landtourismusanbietern in Niedriglohnländern, teilweise von städtischem Tourismus und Billighotelketten und teilweise vom Kreuzfahrttourismus. Und viele Landtourismusanbieter der ersten Generation ziehen sich heute aus dem Bereich zurück. Antworten sind notwendig, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile des Tourismus für die ländlichen Gebiete nicht verlorengehen sollen und der Umweltschutz maximiert werden soll. Das Konzept der zweiten Generation des Landtourismus soll eine Reihe von Entwürfen zur Verbesserung der oben beschriebenen Situation anbieten, durch Markenbildung für Landtourismusregionen, die als Partnerschaft zwischen Anbietern und Stakeholdern entwickelt werden, durch die Verbesserung der Kenntnisse der Stakeholder, ein effizienteres Marketing und die Umsetzung der Ideen des langsamen Tourismus, des Gastro-Tourismus, der Synergien mit margenstarker Landwirtschaftsproduktion und der

60 www.eceat.org, www.eceat.de

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Nutzung des Tourismus als Werkzeug für ländliche Erneuerung, und nicht als Selbstzweck. Eine Gruppe akademischer Forscher prüft die Gründung einer „virtuellen“ internationalen Forschungsgruppe des Landtourismus (Lane, 2012) in einem Angebot zur Professionalisierung des Sektors. Sie würde die Erfahrung des ALTER-Modells nutzen, einem Netzwerk aus 26 Partnerinstituten in 18 europäischen Ländern, die an Themen der Biodiversitätspolitik arbeiten61,62, siehe Abschnitt 7.2.

5.3. Eine Fallstudie über eine Mischung aus Land- und Industrieerbe-Tourismus: Haslach, Österreich

Die Kleinstadt Haslach in Österreich, 60 km nördlich der Stadt Linz, liegt in einer ruhigen ländlichen Region Österreichs, in der Nähe der tschechischen Grenze, weit entfernt von den stark besuchten Touristenzentren der Alpen. Einst eine florierende Leinentextil-Region aufgrund schnell fließender Flüsse, hochwertigen Wassers und der lokalen Flachsproduktion ging es den vielen ländlichen und städtischen Kleinunternehmen in der Nachkriegszeit gut, geschützt durch protektionistische Zollpolitik. Die Konkurrenz durch tschechische Hersteller über die Grenze ging zurück, als die tschechische Industrie sich unter der kommunistischen Regierung verlor, doch in den 1960er Jahren ergaben sich schwerwiegende Probleme. Der Markt für Leinenprodukte ging zurück, als alternative billige, pflegeleichte Textilien den Markt überschwemmten. Viele Hersteller mussten ihr Geschäft aufgeben. In der ländlichen Region um Haslach gingen die Einwohnerzahlen zurück, da Arbeitsplätze auf Bauernhöfen wegfielen und die jungen Menschen in die Städte zogen. Die Öffnung der Grenze zur Tschechischen Republik 1990 förderte den Import von billigerer Kleidung. Diese Fallstudie zeigt, wie Industriekultur und Landtourismus in manchen Fällen zusammenkommen können, um zwei positive Trends zu erzeugen. Zwei lokale Fabriken wandelten sich selbst in erstklassige Nischenproduzenten für Qualitätstextilien, die eine Mischung aus zeitgenössischem und historischem Design verwenden. Ein weiterer kleiner Hersteller hat sich auf historische Kulturprodukte spezialisiert. Zweitens entschied sich 1990 eine Gruppe Ortsansässiger, das textile Erbe zu erhalten und eine textile Zukunft aufzubauen, indem sie eine Selbsthilfegruppe gründeten. Ein Textilmuseum wurde geschaffen und, was besonders wichtig ist, ein jährliches Textilfestival wurde ins Leben gerufen, welches internationalen Ruhm erlangte, teilweise durch die Hilfe des Europäischen Textil-Netzwerks (ETN). Bis zu 20 000 Besucher werden jährlich zu den Festivals in die Region gelockt, viele bleiben über Nacht und steigern das Einkommen einer Reihe von Anbietern von Unterkünften des Landtourismus. Wichtige praktische Verbindungen wurden zu Textilexperten an der Universität von Linz hergestellt. Und einige der Landtourismusattraktionen der Region wurden entwickelt. Haslach und seine ländlichen Gebiete haben eine Chance für die Zukunft.

1. Das Projekt wurde vom Gemeinde- und Stadtrat sowie von der EU finanziell unterstützt. Sie sehen die Aufgabe der Gruppe darin, eine neue Rolle für eine verlorene Stadt und deren Hinterland zu finden. Die Unterstützung war finanzieller Natur, aber auch politisch, und erzeugte mehr Selbstvertrauen und eine aktive Kultur- und Tourismuspolitik.

61 Die Institute sind: Alterra (NL), BC-CAS (CZ), CNRS (FR), CFS-CONECOFOR (IT), CSIC (ES), DCE (DK), DSE-

UNIBUC (RO), ECNC (NL), ERCE (PL), IAES (EE), IEB-CER-HAS (HU), IFF (AT), IGB (DE), ILE-SAS (SK), INBO (BE), Irstea (FR), JHI (UK), NERC-CEH (UK), NINA (NO), PBL (NL), PIK (DE), SLU (SE), SYKE (FI), UBA (AT), UFZ (DE), VU-IVM (NL).

62 Siehe: http://www.alter-net.info/.

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2. Das Projekt stellt die Region als einen Ort heraus, der wegen seiner greifbaren Kultur einen Besuch wert ist. Dies unterscheidet Haslach von den vielen anderen historischen Kleinstädten Österreichs. Es hat einen hohen medialen Wert: Die jährlichen Konferenzveranstaltungen werden regional und landesweit übertragen. Das Festival bringt Einkünfte und findet in der Zwischensaison statt. Andere Aktivitäten – insbesondere Lehrgänge – sind ebenfalls erfolgreich. Das Tourismuspotenzial des Projekts wird von hervorragenden Grafiken und hochwertigem Marketing unterstützt. Das Textilkonzept wurde auf die subregionale Tourismusmarke ausgeweitet: Weberland. Der Weberland-Pfad führt Wanderer und Radfahrer durch die Stätten der Region. Der Tourismusbeauftragte des Stadtrates ist ein führendes Mitglied der Selbsthilfegruppe.

3. Die Gruppe zog kürzlich in ein ehemaliges Mühlengebäude in Haslach, das mit der Unterstützung der regionalen Regierung und regionalen Fonds der EU restauriert und ausgestattet wurde. Es wird für eine Reihe von Aktivitäten genutzt, darunter von Bildungsgruppen, als Hauptsitz eines Unternehmens, das Schulungen und Praktika für Menschen mit Lernbehinderungen organisiert, und als erfolgreiches Restaurants/Bar. Es grenzt an die Mühle an, die sich auf historische Kulturprodukte konzentriert. Die Kapitalkosten des textilen Zentrums werden von einer Partnerschaft aus Stadt- und Regionalrat getragen. Sie bleiben Eigentümer und profitieren für die Gemeinde vom physischen, wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau des Gebiets.

4. Die historische Mühle konzentriert sich auf Filzprodukte (Filzpantoffeln sind für die Region und Österreich typisch) und auf traditionelle Kleidung und Decken. Sie hat einen Laden und Online-Bestellmöglichkeiten und ist für die Öffentlichkeit geöffnet. Sie bietet Schulungen für Menschen mit Lernbehinderungen: Diese Art traditioneller Handarbeit scheint hierfür gut geeignet zu sein.

5. Die Mühle hat ein von der EU finanziertes Programm entwickelt, um spezielle regionale Schafzuchten in dem Gebiet zu erhalten; die Wolle der regionalen Schafe wird angekauft, auf den einzelnen Höfen sortiert, gereinigt und gesponnen und dann zum Ursprungshof zur Weiterverarbeitung zurückgebracht oder an Handwerker weiterverkauft oder zur eigenen Verwendung in Kulturprodukten verwendet. Die Nachfrage nach dieser Dienstleistung und den Produkten ist hoch. Indessen ist Folgendes hervorzuheben:

a. Das Haslach-Experiment bleibt stark abhängig von öffentlicher Finanzierung.

b. Wie viele Industriekulturzentren fehlen der Stadt die Unterkünfte, was ein Wachstum des Tourismus und Aktivitäten im Zusammenhang mit dem textilen Erbe verhindert.

c. Das lokale Tourismusbüro ist hervorragend, hat aber nur begrenzte Kapazitäten für Innovationen.

Haslach ist immer noch an eine eingleisige Bahnstrecke angeschlossen, die eine langsame, aber landschaftlich schöne Verbindung mit der Stadt Linz herstellt, doch die Anbindung an den Fernverkehr erfordert einen Straßenbahnanschluss. Der Landtourismus könnte mit dem Industrieerbe-Tourismus verknüpft werden, um ein Reiseziel für langsamen Tourismus zu schaffen, das neue Entwicklungen im Eisenbahnverkehr der Gemeinde, bei der Kulturinterpretation, im Gastro-Tourismus sowie Rad- und Wandertourismus proaktiver mit den Industriekulturinteressen des Gebiets verbindet. Dies überstiege die Kapazität des

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

lokalen Tourismusbüros, könnte jedoch im Rahmen eines experimentellen Projekts für langsamen Tourismus (siehe 2.8) durchgeführt werden, vielleicht mit Einbeziehung akademischer und anderer Interessenten, die in Österreich auf diesem Gebiet arbeiten, und es könnten grenzüberschreitende Verbindungen zu sehr ähnlichen Gebieten und Gemeinden in der benachbarten Tschechischen Republik hergestellt werden63.

5.4. Europaweite Organisationen Dieser Abschnitt beschreibt eine Reihe europaweiter Einrichtungen, die sich besonders mit dem Industrieerbe- sowie dem Land- und Agrotourismus beschäftigen. Jede hat eine Hauptorganisation, die europaweit agiert; darüber hinaus hat die Industriekultur eine Reihe branchenspezifischer Gruppen, zwei davon werden weiter unten beschrieben, nämlich das Europäische Textil-Netzwerk und die Europäische Föderation der Museums- und Touristikbahnen. Die starke Zersplitterung sowohl des Industrieerbe- als auch des Landtourismus machen nationale und europäische Partnerschaftsverbände sehr wertvoll. Da der Markt für beide Tourismusarten immer mehr länderübergreifend ist, werden europäische Kooperationen immer wichtiger, sowohl für das Marketing als auch für die Produktentwicklung. Alle europaweiten Organisationen haben wenig Geld zur Verfügung und können für die Mitgliedschaft keinen finanziellen Beitrag verlangen, da sie den Mitgliedern nicht viele Dienstleistungen bieten können – eben da ihnen das Geld fehlt: ein Teufelskreis, der letztendlich zum Versagen führt. Beide größeren Organisationen, ERIH und EuroGites, überleben nur aufgrund des Engagements und des Interesses der Vorstände. Alle europaweiten Organisationen haben jedoch Potenziale; einige haben ganz besonderes Potenzial. Einige Kernfragen zur Rolle und zum besten Vorgehen müssen gestellt und beantwortet werden. Um effizient zu arbeiten, sind zusätzliches Fachpersonal, zusätzliche Ressourcen und ein effektives Netzwerk notwendig. Der Ertrag in Form von wirtschaftlichen, soziokulturellen Vorteilen und Umweltschutz könnte groß sein - doch nur, wenn Investitionen getätigt werden und Änderungen stattfinden. Die Europäische Route der Industriekultur (ERIH) Diese Organisation ist die einzige Gruppe, die europaweit den Erhalt der Industriekultur fördert und an der öffentlichen Darstellung arbeitet. Sie vereint 77 wichtige Industriekulturstätten, sogenannte „Ankerpunkte“, in Nordeuropa, die durch 12 internationale industrielle Themenrouten und 16 regionale Routen miteinander verbunden sind. Sie führt 3000 einzelne Industriekulturstätten. Der Name stammt von der Route der Industriekultur, die 1999 im Ruhrgebiet in Deutschland gegründet wurde. Die sogenannte „Tour de Ruhr“ von etwa 400 km Länge umfasst bedeutende Industriekulturstätten im „weltweit größten Open-Air-Museum“. Die Geschichte begann jedoch bereits 10 Jahre früher. 1989 erstellte das Bundesland Nordrhein-Westfalen einen neuartigen regionalen Entwicklungsplan mit dem Titel „Internationale Bauausstellung (IBA) im Emscher Park“. Er förderte, in Vorbildfunktion, die ökologische, wirtschaftliche und städtische Wiederbelebung des industriellen Ruhrgebiets mit einer Reihe von Kooperationspartnerschaften: siehe die weiter oben aufgeführte Fallstudie. 1999 entstand der Folgeplan der IBA – das Ruhr-Projekt –, und auf europäischer Ebene wurde die ERIH gegründet. ERIH wurde ursprünglich (2003-2008) von einem Interreg-IIIB-Projekt der EU finanziert. Heute wird es von mehr als 150 Mitgliedern in 17 Ländern finanziert. Der jährliche 63 Siehe: www.textile-kultur-haslach.at; www.textiles-zentrum-haslach.at/textile-kultur-haslach/language/de.

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Mitgliedsbeitrag variiert von 100 EUR für Einzelstandorte und Beiträgen für Firmen und Organisationen von 500 EUR für Ankerpunkte, was zu Einkünften zwischen 60 000 und 80 000 EUR jährlich führt.

Die ERIH ist bekannt dafür, Einstellungen gegenüber dem Erhalt der Industriekultur und dem Industrietourismus in ganz Europa zu ändern, indem es wichtige Personen – Akademiker, Planer, Architekten und Politiker – zusammenbringt, um zu diskutieren, lernen und neue Ideen zu entwickeln. ERIH hat einen regelmäßigen Newsletter, bietet Konferenzen an, macht Lobbyarbeit für Industrieerbe-Tourismus, organisiert Expertentreffen und führt Projekte durch, wenn es Finanzierungen erhält.

Die Internetseite64 verzeichnet zwischen 60 000 und 100 000 Klicks pro Monat.

Besondere Aufmerksamkeit wird den neuen EU-Mitgliedern und insbesondere dem Aufbau neuer Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gewidmet. Am 30. Juni 2012 fand z. B. eine Nacht der Industriekultur gleichzeitig in Oberschlesien, Polen, Donbass in der Ukraine und dem Ruhrgebiet in Deutschland von 18 bis 2 Uhr statt.

Die ERIH hat mehrere Probleme:

Finanzierung: Wie viele europaweite Organisationen hat die ERIH sehr wenig Geld zur Verfügung. Obwohl Projekte von der EU finanziert werden können, dauert der Antragsprozess sehr lange und erfordert viel Arbeit, und es besteht ein hohes Risiko zu scheitern. Die Mitgliedsbeiträge bringen nur wenig Geld ein: Nur wenige Mitglieder können sich höhere Beiträge leisten.

Zeit: Die europaweite Arbeit ist teuer und zeitaufwendig. Die derzeitige Mittelausstattung ermöglicht nur eine Personalstelle.

Fehlende Kenntnisse über und Interesse an Tourismus: Die Mitgliedschaft wird bestimmt von Interessen an der Erhaltung des Kulturerbes, mit wenig Kenntnissen über Tourismus. Die ERIH würde dies gerne ändern, hat aber nicht genügend Mittel zur Verfügung.

Es besteht Bedarf, wichtige nicht besprochene Problembereiche anzugehen: Dazu gehört der Zugang zu Industriekulturstätten für Menschen mit Behinderungen, die Entwicklung einer Reihe von Unterrichtsprogrammen sowie die Harmonisierung von baulichen und anderen Vorschriften.

Das Europäische Textil-Netzwerk Das Europäische Textil-Netzwerk (ETN) wurde 1989 in Deutschland informell gegründet. Seit 1993 ist es als gemeinnützige Organisation in Straßburg eingetragen. Es entstand infolge des europaweiten Wachstums der Produktion des textilen Kunsthandwerks nach den 1960er Jahren, einer steigenden Anerkennung Europas als Textilkulturregion und der Schließung vieler großer Produktionsstätten. Die ursprüngliche Finanzierung kam vom Europarat.

64 www.erih.net.

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Zu den Mitgliedern zählen Textilhandwerker und Künstler, Textilverbände, Museen und Sammlungen, Designer, Ausbilder, Schulen, Institutionen und Interessenten an zeitgenössischen und kulturellen Textilien. Es umfasst 400-450 Mitglieder aus 40 europäischen Ländern. Obwohl es „europäisch“ ist, hat das ETN auch Mitglieder und Partner im Rest der Welt, darunter Australien, Argentinien, Kanada und den USA. Das ETN unternimmt besondere Anstrengungen, um mit den „neuen“ EU-Mitgliedstaaten zu arbeiten. Es veröffentlicht vierteljährlich ein sehr stilvolles und nützliches Magazin („ETN Textilforum“), organisiert Konferenzen und Arbeitsgruppen, darunter eine zum Thema Kulturerbe und Museen. Es hat das Ziel, eine europäische Kooperation zu entwickeln, die regionale Identität und die europäische Idee zu stärken 65 . Es ist eine lebendige Organisation; die Konferenzen begeistern mit lebhaften Diskussionen und faszinierenden Präsentationen. Der Mitgliedsbeitrag beträgt jährlich ab 55 EUR. Der Gesamtumsatz liegt bei 30 000 EUR pro Jahr. Zu den Ideen des ETN gehören:

Textiles Industrieerbe ist über ganz Europa verteilt. Das ETN möchte dieses Erbe bewahren und dafür sorgen, dass es genutzt wird. Textilforum 3/94 beschreibt die wichtigsten Ideen.

„Im Interesse der lokalen Hersteller muss die Erhaltung des kulturellen Textilerbes dringend modernisiert werden“ (S.24) … Das ETN schlägt regionale Textilbesucherzentren, Schulungen und Sommerschulen vor. Textilmuseen und -zentren sind häufig Mitglieder im ETN.

Das ETN hat in Zusammenarbeit mit ERIH zwei europäische Textilrouten fertiggestellt. Es ist daran interessiert, mit Bauernhöfen, die Fasern herstellen, zusammenzuarbeiten: Es gibt potenzielle Verbindungen zum Landtourismus (siehe Fallstudie Haslach in 5.3).

Daraus folgt, dass das ETN ein Interesse am Kulturerbe-Tourismus haben sollte. Bessere Kenntnisse im Bereich Tourismus könnten zu höheren Besucherzahlen von Museen und Zentren führen. Es könnten lokale Kunsthandwerkerpfade erstellt werden, um den Verkauf zu fördern. Es könnten sich Synergien zwischen Nischentourismus und Nischenmarktherstellung ergeben. Doch das ETN zeigt kein besonderes Interesse am Tourismus. Es betrachtet ihn nicht als seine Angelegenheit. Dies ist in gewisser Hinsicht verständlich. Doch ist es auch ein Beispiel für einen der Gründe, warum manche Teile des industriellen und kulturellen Erbes dem Untergang geweiht sind. Aufgrund der wahrscheinlich fehlenden zukünftigen Finanzierung des Textilkulturerbes durch den öffentlichen Sektor könnte eine wirksame Verknüpfung zum Tourismus bedeutend für das Überleben sein. Textilmuseen, -zentren und -hersteller, die den Markt verstehen und wissen, wie man mit ihm umgeht, könnten die einzigen Überlebenden sein.

65 Siehe www.ETN-net.org

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FEDECRAIL – die Europäische Föderation der Museums- und Touristikbahnen Die Idee einer Europäischen Föderation von historischen Eisenbahnen entstand 1989 während der Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Niederländischen Eisenbahn. FEDECRAIL wurde 1994 in Brüssel gegründet zur Überwachung der europäischen Gesetzgebung und zur Erstellung von Änderungsanträgen, wenn negative Auswirkungen auf die Industrie und die Föderationsmitglieder zu befürchten sind. Daraus haben sich bis heute fünf Kernziele entwickelt:

Förderung der Rettung, der Wiederherstellung und des Betriebs des europäischen Bahnerbes.

Vertretung der Mitgliederinteressen bei internationalen Institutionen, insbesondere der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament.

Anregung des Austauschs von Ideen über Ländergrenzen und Kulturgrenzen hinweg und Förderung der Kooperation zwischen Museums- und Touristikbahnen, die Teil des Bahnerbes sind.

Beratung und Unterstützung für Museums- und Touristikbahnen, die Teil des Bahnerbes sind.

Untersuchung und Verbreitung von Lösungen für Probleme bei der Wiederherstellung und dem Betrieb von historischen Bahnstrecken.

Die Mitgliedschaft ist offen für alle europäischen nationalen Organisationen, deren Mitglieder sich für den Erhalt und den Betrieb von historischen Bahnen einsetzen. Einzelpersonen oder nicht europäische Landesorganisationen können der Föderation als „Freunde des FEDECRAIL“ beitreten, haben jedoch kein Stimmrecht. FEDECRAIL hat derzeit 16 nationale Dachverbände als Vollmitglieder und 33 „Freunde“, die 27 europäische Länder umfassen. FEDECRAIL vertritt 640 historische Bahnen und Bahnmuseen in ganz Europa 66 . Die Mitglieder stammen vorwiegend aus dem „alten“ Europa; die Mitgliedschaft von staatlichen Organisationen ist generell höher in Nordeuropa und in skandinavischen Ländern, was möglicherweise ein Zeichen dafür ist, dass industrielles Erbe in diesen Ländern häufiger erhalten wird. Die Mitgliedschaft der meisten nationalen Unterorganisationen blieb in den letzten fünf Jahren stabil, einige wenige hatten einen leichten Anstieg. Finanzierung Die Föderation wird fast vollständig aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, die einen Umsatz von nur 25 000 EUR jährlich bringen. Die einzige andere Finanzquelle war ein kleiner Überschuss, der durch das jährliche Konferenz- und Besuchsprogramm erwirtschaftet wurde. Der Föderationsrat, der Verwaltungsausschuss und die technischen Vertreter sind ehrenamtliche Posten und bestehen aus Mitgliedern der nationalen Verbände. Ein Vollzeitbeamter wäre hilfreich für die Förderung der Branche, doch die meisten Bahnen und

66 In Anhang E ist die Verteilung der Mitglieder nach Ländern aufgeführt.

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Museen verlassen sich hauptsächlich auf Freiwillige und sehen sich nicht in der Lage, eine solche Position zu finanzieren. Eine Finanzierung durch gewöhnliche Banken ist problematisch; es gibt eine Teilunterstützung durch den öffentlichen Sektor. Andere Finanzierungsmöglichkeiten sind ebenfalls beschränkt, obwohl im Vereinigten Königreich historische Bahnen begrenzt Zugang zum Heritage Lottery Fund haben. Bis vor Kurzem war es möglich, Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung zu erhalten. Der Europäische Kulturfonds hat bis heute Kulturerbe-Projekte eher ignoriert und eher die darstellenden Künste gefördert. Tourismus FEDECRAIL hat keine besondere Tourismuspolitik, doch der Verband ist sich der Bedeutung des Tourismus für viele seiner Mitglieder bewusst und versucht, das Bewusstsein für die Bedeutung der Bahnen ihrer Mitglieder für die lokalen Wirtschaften zu steigern. Einige Bahnen sind das ganze Jahr geöffnet, doch keine täglich, mit Winteröffnungszeiten, die sich meist auf das Wochenende und die Schulferien beschränken, was die allgemeinen Spitzen- und Flautezeiten für die meisten Tourismusunternehmen widerspiegelt (auch wenn sich dies allmählich ändert). Es gibt beträchtliche Unterschiede darin, in welchem Umfang mit Tourismusverbänden zusammengearbeitet wird, was teilweise die nationale Struktur dieser Organisationen widerspiegelt, aber auch die Größe und Verfügbarkeit von Mitteln der nationalen Dachverbände. FEDECRAIL und einige seiner Mitglieder sind sehr an der Weiterentwicklung von Kompetenzen interessiert, aber die Finanzierung ist nicht ausreichend, um eine Zahl erfolgversprechender Vorschläge zu entwickeln. Lobbyarbeit Seit 1994 hat sich FEDECRAIL erfolgreich für Änderungen an 15 Richtlinien eingesetzt, von zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen bis hin zu Beschränkungen von spezifischen Arbeitsweisen. Die Gruppe hofft auf eine engere Verbindung mit dem Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments auf diesem Gebiet. Einige nationale Organisationen engagieren sich ebenfalls aktiv zur Förderung der Industrie auf nationaler Ebene. In Frankreich wurde eine Studie in Auftrag gegeben, um einen besseren Einblick in die Bedeutung der Industrie für die lokalen und nationalen Wirtschaften zu erhalten. Externe Probleme Historische Bahnen haben zahlreiche ähnliche Probleme wie Unternehmen in anderen Bereichen. Es ist jedoch die Einführung von Beschränkungen, die nachteilige Auswirkungen auf die traditionellen Betriebsmethoden und insbesondere die Erhaltung hat und so die Branche beeinflusst. Im Allgemeinen werden die meisten Gesetze und Vorschriften akzeptiert, da diese größtenteils von den meisten der Branchen angenommen werden. Mitgliederdienste FEDECRAIL veröffentlicht vierteljährlich ein Mitgliedsblatt und organisiert Jahreskonferenzen für die Mitglieder, bei denen aktuelle Probleme der Branche besprochen werden. Einige der nationalen Dachverbände bieten ihren Mitgliedern einige wenige

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Dienstleistungen an, z. B. veranstaltet die Heritage Railway Association im Vereinigten Königreich zweimal jährlich Seminare, um ihre Mitglieder über neue Sicherheitsvorschriften zu informieren. Wichtige Punkte für die Zukunft

Untersuchungen sind notwendig, um herauszufinden, wie die Saison verlängert werden kann;

Untersuchungen zum wirtschaftlichen Einfluss sollen den Wert für lokale Wirtschaften aufzeigen;

Finanzierung eines Vollzeitangestellten;

Bessere Finanzierungsmöglichkeiten, einschließlich für die Entwicklung von Kompetenzen.

EuroGites: Europäischer Verband für Bauernhof- und Landtourismus Während des Europäischen Jahrs des Tourismus 1990 trafen sich nationale Organisationen für Bauerhof- und Landtourismus, u. a. aus Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien, Portugal und Island, um über die Gründung eines europäischen Dachverbands zu sprechen. Dieser Dachverband sollte für die Lobbyarbeit auf europäischer Ebene zuständig sein, eine europaweite Marketingplattform bieten und ein Forum für Diskussionen, bewährte Praktiken und neue Ideen sein. EuroGites wurde 1991 offiziell in Straßburg eingetragen. Der Verband ist eine gemeinnützige Organisation, die effektiv im Besitz ihrer Mitglieder ist und von diesen unterstützt wird, wobei die meisten von ihnen ebenfalls gemeinnützig sind. Der Hauptförderer war Gites in Frankreich, damals wie heute Europas größte Landtourismusorganisation; Gites stellte die Büroräume und zeitweilig das Personal zur Verfügung. Das Sekretariat von EuroGites war in Straßburg ansässig, und der erste Präsident kam aus Frankreich. Seit einer Neuorganisation der Satzung im Jahr 2002 sitzt der Präsident (der jetzt Generalsekretär heißt) in Spanien. EuroGites hat derzeit 35 nationale Mitglieder in 28 Ländern. Der Verband erreichte durch seine kontinuierliche Arbeit seit 2002 Folgendes:

Eine Internetseite in Englisch/Französisch/Deutsch/Spanisch67, die Links zu allen Internetseiten der Mitglieder und einer Reihe von Publikationen und Nachrichtenmeldungen bietet. Diese Internetseite konnte bereits über 520 000 Klicks verzeichnen und hat einen Link zur Internetseite 68 der Europäischen Reisekommission.

Vertretung der Mitglieder in politischen Diskussionen auf europäischer Ebene, bei Forschungsprojekten, in Foren für Politikgestaltung und in formellen Beratungsstrukturen für die Kommission, wie die Beratungsgruppe für Ländliche Entwicklung (BG AGRI) oder die GNT-Gruppe für Nachhaltigkeit im Tourismus (BG ENTR).

67 www.Eurogites.org 68 www.visitEurope.com

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Ein starkes und proaktives Engagement bei der Vorbereitung und Einführung der 21 Aktionen der europäischen Tourismuspolitik (COM(2010) 352) – Teilnahme an verschiedenen Ad-hoc-Arbeits- und Schwerpunktgruppen.

Fünf große europäische Konferenzen („Europäischer Kongress für Landtourismus“69), die für gewöhnlich mehr als 100 internationale und 200 lokale Vertreter zusammenbringen.

Eine große Qualitätsstudie zum Landtourismus 2003-2004 in einer Reihe europäischer Länder, aus der sich die allgemeinen Europäischen Bewertungskriterien für Landtourismus entwickelten, die formell im Jahr 2005 genehmigt wurden.

Diese Kriterien und Parameter wurden 2009-2010 im Rahmen einer europaweiten Online-Qualitätsstudie und eines Fortbildungssystems für Landtourismus erweitert und aktualisiert70.

Die Eintragung des Logos als europäische Marke.

Eine vierteljährliche Markt- und Unternehmensbefragung über die Entwicklung des Landtourismus in Europa, parallel zum UNWTO-Tourismusbarometer.

Zusammenarbeit zwischen Fachleuten des Landtourismusbereichs und Diskussionen über Problemlösungen und Innovation sowohl in EuroGites Meetings als auch direkt zwischen den EuroGites-Mitgliedern.

Kooperation mit anderen europäischen länderübergreifenden Organisationen, entweder als Mitglieder (ETAG, MER) oder im Rahmen spezieller Projekte (HOTREC, ECTAA).

Finanzierung und Mittelausstattung EuroGites ist vollständig abhängig von Beiträgen – und manchmal auch Sachleistungen – seiner Mitglieder. Ein jährlicher Grundbeitrag von 400 EUR wird ergänzt durch weitere 40 Eurocent entsprechend den Mitgliederzahlen der jeweiligen nationalen Organisation, wobei eine Beitragsobergrenze von 4000 EUR festgelegt ist. Die Gesamteinkünfte betragen so jährlich nur 19 000 EUR (2011). Diese minimale Finanzierung ermöglicht nur wenige neue Aktivitäten. EuroGites ist zum Überleben auf die Hilfe und das Wohlwollen seiner Mitglieder angewiesen und auf die größtenteils ehrenamtliche Arbeit seines Generalsekretärs Klaus Ehrlich. Eine Projektfinanzierung war in der Vergangenheit praktisch unmöglich aufgrund der fehlenden speziellen EU-Förderungen für Tourismus. Die Finanzierung ist begrenzt, da nationale Mitglieder oft ihre Ausgaben auf ihre inländischen Aktivitäten konzentrieren und jede Beitragserhöhung von EuroGites ablehnen. Der Wert der Präsenz und Teilnahme in EU-Strukturen wird nicht verstanden, ebenso wenig die Chancen für neue Produktideen oder Märkte. EuroGites war nicht in der Lage, Geldmittel für Forschung oder die Prüfung innovativer neuer Produkte bereitzustellen, die der ländlichen Wirtschaft in Europa helfen könnten. Die Mitglieder unterliegen alle einem finanziellen Druck, da viele ihrer Einnahmen aus dem Marketing stammen – und die Marketingaufgabe geht mehr und mehr an eine Reihe internationaler Online-Buchungsagenturen verloren. 69 www.europeanrtcongress.org

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Mitgliederprobleme Nach den politischen Veränderungen in Europa nach 1990 erhielt EuroGites neue Mitglieder aus Bulgarien, der Tschechischen Republik, Ungarn, Lettland, Polen, Rumänien, der Slowakei und Slowenien und kürzlich auch aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Estland, Georgien, Israel und Serbien. Die Vorgespräche über eine zukünftige Zusammenarbeit mit russischen Interessengruppen schreiten voran, auch auf Regierungsebene. Einige Länder sind ausgetreten – u. a. Deutschland und Italien. Die ausgetretenen Organisationen fühlten sich stark genug, alleine zu überleben oder hatten finanzielle Probleme und/oder waren der Meinung, dass die EU nicht auf die Lobbyarbeit von EuroGites reagiert. In einem Fall, nämlich Deutschland, erlaubt es eine regionale Organisation den anderen, als Trittbrettfahrer zu profitieren (nur eines der 16 Bundesländer ist Mitglied). Insgesamt ist die Entwicklung der letzten zehn Jahre aber positiv: 2002 17 Mitglieder aus 16 Ländern 2002-2012 7 Mitglieder gingen (vier wurden ausgeschlossen wegen nicht

bezahlter Beiträge), 26 kamen hinzu 2012 36 Mitglieder aus 28 Ländern Entwicklung europaweiter Landtourismus-Fortbildungskurse, um Kapazitäten zu schaffen, Fähigkeiten zu verbessern, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern und wettbewerbsfähiger zu werden. Es gab Versuche, solche Programme zu entwickeln71, doch bisher sind diese gescheitert. Dies scheint an der großen Zahl kostenloser nationaler Programme zu liegen, an fehlenden konkreten Anreizen oder Vorteilen der Teilnahme an den Schulungen und auch an den Kosten für die Übersetzung und Anpassung der vorhandenen Schulungsmaterialien (es ist häufig günstiger, eigenes Material in den Ländern direkt zu drucken) sowie übermäßiger Regulierung. Einzelne EuroGites-Mitglieder kooperieren jedoch erfolgreich in EU-Programmen wie dem Programm für lebenslanges Lernen und bieten den anderen Mitgliedern Zugang zu den Ergebnissen (z. B. das Online-Tool 72 oder ein vor kurzem genehmigtes Projekt zu Schutz und Sicherheit bei Landtourismusdiensten, „Safetour“). Es gibt einen Verband für Schulungsleiter im Bereich Landtourismus, das internationale Landtourismus-Fortbildungsnetzwerk (RTI-TN), das eine Reihe von Ausbildern im Landtourismusbereich, vor allem aus Europa, miteinander vernetzt73. Es ist nicht klar, wie aktiv diese Gruppe ist.

70 http://quality.eurogites.org 71 www.ruraltourisminternational.org 72 http://quality.eurogites.org 73 Weitere Details unter www.ruraltourisminternational.org

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6. EINIGE WICHTIGE INSTRUMENTE FÜR DIE ENTWICKLUNG

Dieser Abschnitt bietet eine kritische Übersicht einer Reihe von Entwicklungsinstrumente, die sowohl im Land- als auch im Industrieerbe-Tourismus genutzt werden. Es ist wichtig, die Rolle der Entwicklungsinstrumente zu kennen, um effektive Strategien für die Entwicklung dieser Form von Tourismus für bestimmte Interessengruppen zu entwickeln. Besondere Beachtung wird auf die Interpretation des Natur- und Kulturerbes gelegt, die jedoch, da sie häufig missverstanden wird, falsch eingesetzt wird, jedoch für beide Tourismusformen im Kontext eines erfahrungsbasierten Marketings sehr wichtig ist.

6.1. Die Interpretation des Erbes Eine hochwertige Kulturinterpretation ist eine wichtige Produktentwicklung, die die Zukunft sowohl des Industrieerbe-Tourismus als auch des Landtourismus in Europa wesentlich verbessern könnte. Touristenattraktionen und –gebiete sowohl im Land- als auch im Industrieerbe-Tourismus benötigen eine Interpretationsstrategie und ein Programm, um ihr einzigartiges Verkaufsargument – nämlich ihr Erbe – zu erklären, es zu entwickeln und Besucher dafür zu begeistern. Interpretation ist ein Konzept, das auf die 1950er Jahre zurückgeht. Es wurde von Freeman Tilden im Zusammenhang mit dem US National Park Service entwickelt – die dritte Ausgabe des Klassikers befindet sich noch im Druck (Tilden, 1977). Die Kernprinzipien können folgendermaßen zusammengefasst werden:

Interpretation, die das, was beschrieben wird, nicht in Beziehung setzt zur Persönlichkeit oder Erfahrung des Besuchers, ist fruchtlos.

Information ist nicht gleich Interpretation. Interpretation ist eine Enthüllung, die auf Informationen basiert.

Interpretation ist eine Kunst – jede Kunst kann zu einem gewissen Grad vermittelt werden.

Interpretation will nicht belehren, sondern herausfordern.

Interpretation für Kinder erfordert ein eigenes Programm.

Kein Instrument ist so erstrebenswert wie Interpretation durch direkten Kontakt mit einer Person.

Seit Freeman Tilden wurde das Konzept der Interpretation erweitert. Heute wird es als Tourismusmanagement-Instrument verwendet, um das Besucherverhalten zu beeinflussen (Bramwell & Lane, 1993b). Die Positionierung von Besucherzentren, die oft Interpretationsmaterial bieten, hilft, die Bewegungsmuster der Besucher zu steuern. Die Aussage des Interpreten wird als politisch aufgeladen betrachtet. Und das Interpretationssystem kann selbst eine eigenständige Attraktion werden. Marketing (und Demarketing) kann und sollte mit dem Interpretationssystem verbunden sein.

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Wir wissen heute auch mehr über die vielen Arten der Interpretation, über die Verwendung von Themen und Geschichten, über die Verknüpfung mit dem wahren Leben und technische Einzelheiten wie die 3-und-5-Regel (nicht weniger als drei Informationen, aber auch nicht mehr als fünf in einer Geschichte - siehe Ham, 1992). Alle Arten von Technologien werden mittlerweile verwendet, von interaktiven Anzeigen bis zu QR-Codes und Apps für Mobiltelefone. Gebildete und sogar „ältere“ Menschen sind jedoch immer noch bemerkenswert gut und haben niedrigere Kapitalkosten. Sowohl Technologie und Menschen brauchen ein fähiges Management, Unterstützung, Fortbildung und Aktualisierung. Es gibt einen wachsenden Fundus an Forschungsarbeiten, wie und warum Interpretation funktioniert und wie es hilft, „Ortsbindung“ aufzubauen, die zu wiederholten Besuchen anregt. Es wird deutlich, dass Interpretation die Interessen und Werte des Marktes sowie der Stätte eng verbinden sollte, an die Planung von Besuchererlebnissen anknüpfen und ein Instrument zur Aufwertung des kulturellen Erbes sein sollte. Interpretation sollte die folgenden Stimmungen ausdrücken:

Der Erfolg eines Tourismusprodukts hängt davon ab, was der Hersteller als Bedürfnis des Konsumenten ansieht. Viele Touristen- (und Kulturerbe-)-Organisationen kennen nicht die Motive der Menschen, die ihre Produkte kaufen. Zuerst entwickeln sie Produkte und dann versuchen sie, Käufer zu finden, anstatt ihre Produkte zu entwickeln, um die Bedürfnisse des Marktes zu erfüllen.74

Das Problem dabei ist jedoch, das Konzept der Authentizität während des gesamten Prozesses zu wahren (Xie & Lane, 2006). Dies ist ein laufendes und faszinierendes Dilemma bei allen Partnerschaften zwischen Tourismusentwicklung und Kulturmanagement. Und schließlich muss erwähnt werden, dass ein Landtourismusunternehmen nie alleine für ein größeres Gebiet oder ein Reiseziel eine effektive Kulturinterpretationsstrategie entwickeln kann. Es müssen Untersuchungen stattfinden, um mehr über das Erbe zu erfahren, um zu verstehen, was der Markt wünscht, und es bedarf breit angelegter Koordination, um gemeinsame Themen und Geschichten abzusprechen und um für die notwendige Infrastruktur zu sorgen (siehe Phillips & Tubridy, 1994). Partnerschaft ist dabei entscheidend. Einige größere Industriekulturstätten können selbständig arbeiten, doch gewöhnlich sind Partnerschaften in der Lage, stärkere Produkte und Marken zu schaffen.

6.2. Markenbildung Markenbildung gehört zum modernen Leben. Es hilft den Konsumenten, Entscheidungen darüber zu treffen, welches von Hunderten Produkten sie wählen sollen. Marken sind nicht nur Namen, sondern Gütesiegel, die für gewünschte Qualitäten und Eigenschaften stehen. Viele Reiseziele sind zu Marken geworden. Im Landtourismus sind einige Marken entstanden - üblicherweise sind es geografische Gebiete wie der englische Lake District, der irische Ring of Kerry und das Salzkammergut in Österreich. Österreichs Urlaub am Bauernhof erreichte Markenstatus wegen seiner Konzentration auf Qualität und gezieltes Marketing. Markenbildung kann auch für andere ländliche Gebiete und den Industrieerbe-Tourismus relevant (Clarke, 2000) und ein wertvolles Werkzeug sein. Doch es ist keine leichte oder schnelle Lösung für Probleme, denn es geht dabei nicht nur um einen Namen - es erfordert Marktkenntnisse; Markenbildung ist eng verbunden mit dem Selbstbild und der Identität vieler Kunden. Sie muss sich auch am Erreichen von Qualitätsstandards und hochwertigen Leistungen ausrichten. 74 McKercher & Du Cros, 2002 (103).

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6.3. Trails Das Trail-Konzept ist in den letzten 20 Jahren immer beliebter geworden. In vielen Teilen der entwickelten Welt ist das Angebot an Rad- und Wandertouren gestiegen. Und die Einrichtung von Trails, manchmal auf unbenutzten oder wenig genutzten Wegen, manchmal auf verlassenen Schienen- oder Kanalstrecken, ist zu einer Leidenschaft für Trail-Liebhaber geworden. Neben den motorfreien Routen gibt es einige Autostrecken – das landschaftlich schöne Byways-Programm in den USA 75 ist das größte Beispiel hierfür, bei dem wenig befahrene Landstraßen genutzt werden, um Touristen zu vergessenen Gebieten oder Gemeinden zu führen. Das Trail-Konzept kann vor allem als Marketing-Instrument genutzt werden – die Europäischen Routen der Industriekultur sind Beispiele dafür. Es gibt außerdem eine breitere Version des Trail-Konzepts, das „Korridor-Konzept“ mit bedeutenden Aktivitäten, bei dem ein breiter Aktivitätenkorridor zusammengestellt wird, der manchmal über eine Kernstrecke, die von einer Schienenstrecke, einer Straße oder einem Radweg gebildet wird, verfügt. Aktivitätenkorridore werden immer mehr mit dem Konzept des langsamen Reisens verknüpft. Die erfolgreichsten Routen können selbst zu Kultstätten werden. Beispiele hierfür sind der Donauradweg, die C2C-Radroute von der West- zur Ostküste Nordenglands und der 780 km lange Caminio Frances Wander- und Radweg nach Santiago de Compostela in Nordspanien. Viele Pfade sind weniger erfolgreich: Es gibt oft nur wenig gegenseitigen Nutzen zwischen Tourismus und Trails. Trails werden oft von gemeinnützigen Agenturen und dem öffentlichen Sektor unterstützt. Tourismus gehört üblicherweise zum privaten Sektor. Erstere richten sich an lokale Nutzer; Letzterer richtet sich an ortsfremde Nutzer. Und Trails werden selten so ausgerichtet oder geplant und gebaut, um einen Markt zu bedienen. Es gibt einen natürlichen Synergieeffekt zwischen Trails und nachhaltigem Tourismus, nicht zuletzt, weil die meisten Trails zu langsamen Reisen ohne motorisierte Mittel einladen. Doch Trails benötigen professionelles und fachlich kompetentes Management, um die Infrastruktur zu erhalten, das Produkt zu vermarkten und die linearen Partnerschaften, die dazugehören, zu fördern und zu koordinieren. Trails sind einfach einzurichten, aber schwer zu erhalten. Weltweit führend in der Entwicklung von Trails ist die Rails to Trails Conservancy in den USA 76 , die 1986 gegründet wurde. Es handelt sich dabei um eine gut verwaltete gemeinnützige Organisation mit mehr als 150 000 Mitgliedern, die an einer Strecke von mehr als 32 000 Kilometern in den USA arbeiten. Im Laufe der letzten 25 Jahre hat sie sich zu einer sehr professionellen Gruppe entwickelt, die mit lokalem und regionalem Erholungsurlaub anfing sich langsam dem Trail-Tourismus widmete. Die Conservancy hat eine breite Palette an Publikationen und bietet eine Fakten- und Ideengrundlage für viele europäische Planer von Trails. Trails sind nicht genau das gleiche Konzept wie „Routen“ - siehe weiter unten. Trails sind üblicherweise ein Werkzeug des Landtourismus, können jedoch in einigen Fällen für Zwecke des Industrieerbe-Tourismus genutzt werden.

75 www.byways.org. 76 www.railtotrails.org.

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6.4. Kulturerbe-Routen und -Regionen Das Konzept der Kulturerbe-Regionen entstand in den 1980er Jahren in Kanada und wurde von der Heritage Canada Foundation 77 als Mittel zur Gründung von Tourismus- und Naturschutzgruppen aus dem Zusammenschluss von normalerweise zersplitterten ländlichen Gemeinden genutzt. Das Konzept ermöglicht es kleinen Gemeinden, Ideen, Marketing und Lobbyarbeit zu bündeln (siehe Brown, 1996). Im Tourismusbereich ermöglicht es eine effektive Markenbildung, erhöht die Rentabilität von Reisezielen und hilft bei der Förderung einer Lernkultur und von Innovationen.  In Europa gab es ein besonders großes Interesse am Konzept der Kulturerbe-Routen, mehr als an den Regionen. Teilweise stammt dieses Interesse aus einer Erweiterung des Trail-Konzepts (siehe weiter oben unter Ziffer 6.3), ein Konzept, das auf religiösen Pilgerreisen basiert und die Komponente der Fortbewegung bei touristischen Aktivitäten als eigenes Produkt anbietet. Teilweise ist es ein Versuch, Stätten von besonderem Interesse in einer sinnvollen Art und Weise zu verbinden. Und teilweise ist es in Europa ein politisches und bildungspolitisches Statement, eine Methode, um die Zusammenarbeit zwischen benachbarten Regionen und Ländern auf europäischer Ebene zu fördern. Europäische länderübergreifende Routen wurden erstmals vom Europarat aufgegriffen und werden häufig von der EU finanziert und gefördert. Der Ausdruck des Kulturroutenkonzepts wird deutlich bei den Routen, die von der Europäischen Route der Industriekultur entwickelt wurden. Diese Organisation hilft nicht nur, Routen zu entwickeln, sowohl länderübergreifend als auch regional, der Name betont auch das Routenkonzept im Industrieerbe-Tourismus. Die große Frage, die Fachleute stellen, ist jedoch: Funktionieren Kulturerbe-Routen überhaupt? Werden die Routen gut genutzt? Fördern sie den Tourismus entlang der Routen? Der Europarat hat diese Fragen eingehend untersucht und seine 261 Seiten umfassende vorläufige Studie „Impact of European Cultural Routes on SMEs’ innovation and competitiveness” (Einfluss europäischer Kulturerbe-Routen auf die Innovation und Wettbewerbsfähigkeit von KMU) 2010 veröffentlicht. Das Kulturrouten-Programm des Europarats wurde 1987 angenommen. Seitdem wurden 29 Routen in 70 Ländern geschaffen. Acht Punkte und Zitate aus dieser Studie sind unten aufgeführt. Sie zeigen deutlich die vielen Probleme dieses Konzepts, insbesondere in Verbindung mit der Steigerung von Touristenzahlen und der Unterstützung von Unternehmen und Einrichtungen:

1. „Die wirtschaftliche Dimension der Kulturerbe-Routen war niemals einer der Hauptaspekte. ... Gleichzeitig werden der Tourismus und die nachhaltige Entwicklung klar als Teil der Zertifizierungskriterien genannt. (S. 17)

2. „Europäische Netzwerke tragen wesentlich zur länderübergreifenden Kooperation

zwischen verschiedenen Kunst- und Kulturbereichen bei. Ein aktuelles Phänomen ist, dass sie eine flexible und dynamische Arbeitsweise repräsentieren, die Fachleute mit ähnlichen Anliegen in ganz Europa zusammenbringt.78

77 www.heritagecanada.org. 78 Staines, 2003.

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3. „Da es kein rechtliches System zur Erstellung eines „Europäischen Statuts“ für Nichtregierungs-Organisationen gibt und daher die meisten rechtlichen Statuten in einem europäischen Land sein müssen, sind Netzwerke (daher) schon im Nachteil, wenn sie eine ausgewogene länderübergreifende rechtliche Basis ihrer Arbeit schaffen möchten. (S.38)

4. Gemäß den Analysen der Kulturerbe-Routen, die im Rahmen dieser Studie

durchgeführt wurden, gibt es nur sehr wenige gemeinsame Innovationsprojekte über Ländergrenzen hinweg. Kulturerbe-Routen haben nur wenige regelmäßige gemeinsame Veranstaltungen oder Aktivitäten, die ihre Arbeit verbinden und eine Grundlage für ein internationales Netzwerk bilden. (S.41)

5. „Es muss angemerkt werden, dass Kulturerbe-Routen keine

Unternehmensorganisationen sind, die gewöhnlich als Innovationsknotenpunkte betrachtet werden. Die Kulturerbe-Routen sind eher ein Mittel zur Erhaltung und Darstellung der verschiedenen europäischen kulturellen Identitäten. (S.48)

6. „Unsere Fallstudie hat herausgefunden, dass sogar auf lokaler Ebene in der Regel

keine spezifischen Daten über die Aktivitäten der Kulturerbe-Route gesammelt wurden und somit wenig Bewusstsein für den Wert des wirtschaftlichen Beitrags für die lokalen Wirtschaften, insbesondere für das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der KMU, bestand. Unsere Untersuchungen haben auch ergeben, dass ein Mangel an Ressourcen und technischen Fachkenntnissen sowie verschiedene im Netzwerk vorherrschende Ansätze zur Datenerhebung ein Problem sind. (S.63)

7. „Obwohl die Nachfrage nach Produkten im Bereich Kulturerbe-Routen immer noch

sehr gering ist, sind die Tourismusangebote entlang der Strecken vielfältig. (S. 117) 8. „Zusammenfassend und aufgrund dieser Analyse folgt eine Liste der wichtigsten

Probleme der Kulturerbe-Routen, die bewältigt werden müssen:

Es gibt nur eine schwache länderübergreifende Verbindung der Kulturerbe-Routen-Netzwerke;

Es fehlt an Koordination auf europäischer Ebene bei den Entwicklungs- und Förderstrategien der Kulturerbe-Routen;

Sie verfügen über ein schwaches Markenimage und schwache Marketingstrategien;

Standards für qualitativ hochwertigen und nachhaltigen Tourismus werden kaum entwickelt/umgesetzt;

Die Routen verfügen über sehr begrenzte menschliche und finanzielle Ressourcen;

Es fehlen Fachkenntnisse im Management der Netzwerke;

Bewährte Praktiken werden nur sehr wenig ausgetauscht; und es fehlen Netzwerkmanagement- und Leistungsbewertungsinstrumente. (S. 117)

Das Routen-/Europäische Routenkonzept scheint daher, obwohl es ein häufig genutztes Mittel ist, ernste Probleme zu haben. Dies ist nicht verwunderlich. Die meisten Touristen suchen einen Urlaubsort oder eine Region, die als Urlaubsort agiert. Es gibt kaum Hinweise

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dafür, dass sich dies ändern wird. Nur einige wenige Routen erlangen Kultstatus. Gibt es eine Alternative? Die wahrscheinlichste Alternative ist das Konzept der Kulturerbe-Region, das in Kanada entwickelt wurde und weiter oben in diesem Abschnitt beschrieben wird. Hier wird ein dezentraler Urlaubsort entwickelt, Ortstreue und -bindung geschaffen. Es ist leicht verständlich für Besucher und wurde auf Mikroebene in Blaenavon in Wales (Anhang G, G1) und auf Makroebene sehr erfolgreich von Ruhr Tourismus in Deutschland (siehe 5.1) kopiert. Die Kulturerbe-Region ist keine kostengünstige Entwicklung; sie erfordert fachkundiges und langfristiges Marketing und lokale Partnerschaftsarbeit. Das Konzept fördert nicht automatisch die Bildung europäischer Netzwerke. Doch dies könnte geschehen, sowohl durch Marketingsynergien zwischen miteinander verbundenen Kulturerbe-Regionen und durch organisierten Austausch von Fachwissen.

6.5. Besucherzentren Das Konzept der Besucherzentren wurde vor 50 Jahren von der unter anderem für die Verwaltung der inländischen Nationalparks zuständigen US-amerikanischen Bundesbehörde National Parks Service ins Leben gerufen, und man hat sich dieser Methode in Europa häufig sowohl im Zusammenhang mit dem Industrieerbe-Tourismus als auch dem Landtourismus bedient. Das Besucherzentrum kann und sollte als Mehrzweck-Verfügungsgebäude dazu dienen, die Besucher zu informieren, ihren Strom in geeigneter Weise zu lenken, ein auf die Bedürfnisse des Fremdenverkehrs zugeschnittenes Produktsortiment vorzuhalten, lokale Speisen anzubieten und dabei auf eine gesamte Region ebenso wie auf einen bestimmten Standort ausgerichtet sein. Falls möglich, sollte zudem eine gemeinschaftliche Nutzung möglich sein. Besucherzentren stellen konkrete Kapitalinvestitionen dar, für die in vielen Fällen öffentliche Gelder, Zuschüsse und Fördermittel gewonnen werden können. Sie können Geschäftsstellen beinhalten, damit das Verwaltungspersonal stets über die Bedürfnisse der Besucher informiert ist und die Besucher sich eine Vorstellung von der Arbeit des Verwaltungspersonals machen können. Allerdings können Besucherzentren auch gewisse Nachteile in sich bergen. Es besteht die Gefahr, dass jedem einzelnen Standort ein zweckbestimmtes, eigenes neues Zentrum als unverzichtbar erscheint, obwohl es an dem Standort beziehungsweise in der Region stattdessen oft möglich wäre, örtliche Geschäfte, Cafés oder Bars einer Nebennutzung als Besucherzentrum zuzuführen. Besucherzentren sind kostspielig, und zwar sowohl was ihren Bau als auch ihren Betrieb anbelangt. Oft sind sie ungünstig gelegen (nicht selten aufgrund der zwingenden Vorgabe, Gebäude ohne aktuelle Verwendung bzw. billiges oder im Besitz der öffentlichen Hand befindliches Land zu nutzen). Was ihre bauliche Gestaltung anbelangt, kann ein Mangel an Flexibilität ein Hindernis für die Mehrzwecknutzung darstellen. Nur wenige Architekten sind mit Interpretations- und Besucherzentren vertraut, was zu Fehlentwürfen führt. Stümperhafte Besucherinformationen sind keine Seltenheit, und es müssen hohe Summen aufgewendet werden, um die Angaben auf dem neuesten Stand zu halten. Die Kapitalkosten und das Top-Down-Konzept des Zentrums können auf die örtliche Gemeinschaft eine abschreckende Wirkung ausüben. Aktuell stellt sich bei der Entwicklung von Besucherzentren auch die Frage nach der Notwendigkeit, diese weniger als autonome Einheiten anzusehen, sondern sie vielmehr in das Konzept der Kulturerbe-Regionen einzubinden; dazu gehört, die Menschen vor Ort in

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ehrenamtlicher Tätigkeit und/oder als Franchisenehmer für Geschäfte in den Zentren einzubeziehen, sowie die Notwendigkeit, „Aktionsausstellungen“, Vorführungen, Veranstaltungen, „lebendige Geschichte“, Festivals, usw. anzubieten, welche mit den Zentren im Zusammenhang stehen. Das Instrument der Besucherzentren findet üblicherweise im Landtourismus Anwendung, kann aber unter bestimmten Umständen auch zur Förderung des Industrieerbe-Tourismus eingesetzt werden.

6.6. Die Rolle der Museen Obwohl Museen nicht als Bestandteil der Tourismusindustrie vorgesehen waren, sind im Hinblick auf ihre politische und finanzielle Sicherheit jedoch neue Gestaltungsformen möglich, wenn eine Zusammenarbeit mit dem Tourismus gelingt. Dies gilt insbesondere in der heutigen Situation, die durch einen Rückgang der öffentlichen Mittel für Museen gekennzeichnet ist. Das grundlegende Problem besteht darin, dass viele Museen ein Dasein als „Verwahranstalt“ fristen, sie werden von ausgebildeten Kuratoren geleitet und die Gegenstände für alle Zeit sicher aufbewahrt. Ihre interpretatorische und erzieherische Rolle als ein Verbindungsglied zwischen der Vergangenheit und der Zukunft wird von einigen Direktoren immer noch als zweitrangig angesehen. Nur wenige Kuratoren verfügen über die notwendigen Kenntnisse, um sich mit Marketingfragen auseinanderzusetzen oder in Partnerschaften im Einklang mit den Interessen des Tourismus zu arbeiten. Dabei würden beide Seiten dieser möglichen Gleichung von einer Neubewertung ihrer Beziehung zueinander profitieren (siehe Chhabra, 2009) und könnten an der Entwicklung einer Interpretation des Kulturerbes als ein wichtiges Tourismusprodukt mitwirken. Sie könnten in das Konzept der Besucherzentren einbezogen werden, wobei jedoch sorgfältig darauf geachtet werden muss, dass ihre Qualitäten in konservatorischer und kuratorischer Hinsicht nicht verloren gehen.

6.7. Das Management saisonabhängiger Besucherzahlen Der Tourismus in Europa hat sich traditionell als eine stark saisonabhängige Erscheinung mit einem ausgeprägten Höhepunkt zwischen Juni und Oktober dargestellt. In den letzten Jahren hat sich das Problem der Saisonabhängigkeit allerdings aus den verschiedensten Gründen relativiert und wird heute gegenüber früher als viel weniger heikel wahrgenommen. In diesem Abschnitt werden die Gründe hierfür erklärt und die verfügbaren Managementinstrumente erörtert, um den Saisonbewegungen zu begegnen. Sowohl der Industrieerbe- als auch der Landtourismus haben von der wachsenden Anzahl aktiver älterer Menschen profitiert, die bei ihren Reisen nicht an die Schulferien gebunden sind. Ebenso verfügen viele dieser aktiven älteren Personen über ausreichend hohe Einkommen, um sich mehrere Male im Jahr einen Urlaub zu erlauben. Zudem schreckt man aus verschiedenen Gründen nicht mehr wie früher vor Reisen im Winter zurück – manche erachten diese mittlerweile sogar als schick. Auf der Angebotsseite steht eine Reihe von Managementinstrumenten zur Verfügung. Bei beiden Arten des Tourismus ist eine Diversifizierung festzustellen, und es haben sich Zwischen- und Nebensaison-Aktivitäten herausgebildet, um den Problemen der Saisonabhängigkeit zu begegnen. Das Beamish Industrial Museum (5.1.4) und die Arbeit

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der Gesellschaft Ruhr Tourismus (5.1.5) stellen Lehrbuchbeispiele dafür dar, wie Veranstaltungen und Aktivitäten in der Nebensaison inszeniert werden können, um die touristische Nachfrage nach dem industriellen Kulturerbe anzukurbeln. Der Aufwärtstrend im Bereich der Städtereisen hat ebenfalls dazu beigetragen, das Problem der Saisonbedingtheit abzumildern: Oft erreicht der Städtetourismus in der Nebensaison seinen Höhepunkt. Im Bereich des Landtourismus kann dem Problem des feuchten/kalten Wetters nicht in so vielfältiger Weise begegnet werden, wie dies bei den zu dem industriellen Erbe zählenden Attraktionen, die vielfach in Innenräumen angesiedelt sind, der Fall ist. Trotzdem hat sich auch dort gezeigt, dass die Organisation von Veranstaltungen und neuen Aktivitäten so konzipiert werden kann, um saisonale Schwankungen weniger spürbar werden zu lassen. Bessere Kleidung für nasses und kaltes Wetter mit Textilien aus atmungsaktiven Stoffen mit einer wirksamen Isolierung und Qualitätsmerkmalen hat in hohem Maße hierzu beigetragen: Kleidung für Freiluftaktivitäten ist zu einem Modeartikel geworden. Von Bedeutung ist hierbei auch das Bestreben, sich mithilfe von Wandertouren zu allen Jahreszeiten, Skilanglauf und Radausflügen fit zu halten; ebenso wie eine Reihe von Nischenaktivitäten wie Eisklettern, Orientierungsläufe und das Beobachten von Wintervögeln. Auch ist bei beiden Arten des Tourismus jetzt der Einsatz von Methoden zur saisonalen Preisanpassung zu beobachten, die Angebote für die Nebensaison beinhalten. Beamish setzt seit Kurzem erfolgreich auf eine variable Preisgestaltung. Zusammengefasst sind durch Marktwissen, geschicktes Marketing, Produktinnovationen und Tourismusmanagement vor dem Hintergrund der sich wandelnden Markterfordernisse die durch die Saisonabhängigkeit verursachten Probleme verringert worden.

6.8. Festivals Seit den siebziger Jahren haben sich Festivals in den Bereichen Tourismus und Kunst zu einem gemeinsamen Instrument entwickelt. Sie sind das Spiegelbild einer zunehmend mobilen und im Überfluss lebenden Bevölkerung, die auf der Suche nach neuen und zeitgemäßen Begegnungen mit kulturellen Erfahrungen ist, gleichzeitig sind sie auch Ausdruck einer immer überzeugenderen und wirksameren Fülle von Marketingkanälen. Organisationen sowohl im Bereich des Industrieerbe- als auch des Landtourismus bedienen sich ihrer, um ihre Aktivitäten bekannt zu machen, neue Produktfelder zu zelebrieren oder einzuführen und vielfach, um in der Neben- und Zwischensaison Publikum anzuziehen. Als Finanzierungsquelle dient häufig kurzfristiges Sponsoring. Festivals können tatsächlich sehr erfolgreich sein, aber auch einen sehr hohen Mitteleinsatz der Angebotsseite erfordern und sich als zeitlich begrenzte Instrumente ohne langfristige Ergebnisse entpuppen. Capriella & Rotherham (2011) ziehen einige interessante Schlüsse aus italienischen Fallbeispielen. Sie gehören zu einer wachsenden Forschungs- und Ausbildungsgruppe mit dem Titel „Events“.

6.9. Lokale Entwicklungsgruppen Lokale Entwicklungsgruppen spielen bei der Arbeit in vielen Bereichen des Industrieerbe- und Landtourismus eine zentrale Rolle. Sie bilden Lobbygruppen, Unterstützungsgruppen, Aktionsgruppen und schaffen Mechanismen für die Beantragung und Inanspruchnahme von Finanzmitteln. Ihre Arbeit ist normalerweise ehrenamtlicher Natur, insbesondere für bestimmte Projektarbeiten kann jedoch entgeltlich tätiges Personal beschäftigt werden. Das Verständnis der Psychologie, Beweggründe, Stärken und Schwächen von Gruppen ist von entscheidender Bedeutung für ihren Erfolg, ebenso wie das Wissen um ihren oft kurzlebigen

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Charakter, was jedoch nicht zwingend ihre Bedeutung schmälert.79. Die Widrigkeiten im Zusammenhang mit der Schaffung und Aufrechterhaltung lokaler Gruppen werden von Koutsouris (2009) auf Basis von Erfahrungen in Griechenland behandelt; trotz der skizzierten Probleme können lokale Gruppen sehr effektiv sein. Das Konzept lokaler Gruppen ist zu dem formaleren und schlagkräftigeren Paradigma der LEADER-Gruppe und der Lokalen Aktionsgruppen (LAG) weiterentwickelt worden (siehe Abschnitt 6.9).

6.10. LEADER LEADER steht für „Liaison Entre Actions de Développement de l'Économie Rurale”, was soviel heißt wie „Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft” 80 . Seit 1991 haben sich das Konzept der Leader-Gruppe der EU und die angegliederten Lokalen Aktionsgruppen zu einem wichtigen Finanzierungsmechanismus für die Entwicklung des ländlichen Raums, einschließlich des ländlichen Fremdenverkehrs und in einigen Fällen des Industrieerbe-Tourismus in ländlichen Gebieten herausgebildet. Obwohl die Leader-Gruppen mittlerweile in nationale Programme einbezogen worden sind, werden sie noch mindestens bis 2013 und in einigen Gegenden noch länger bestehen. Auf ihren Beitrag in diesem Bereich und die Projektmethoden, der bürgernahe Ansatz, die Einführung von Neuerungen, die integrierten bereichsübergreifenden Maßnahmen, die Zusammenarbeit und Mitbeteiligung, die gebietsbezogenen Ansätze und die grenzüberschreitende Vernetzung, welche durch sie geprägt wurden, sei hier besonders hingewiesen. Die Leader-Gruppen haben große Erfolge vorzuweisen, und obwohl sich keine von ihnen auf den Tourismus konzentriert hat, verfügen sie über ein bewährtes Managementsystem für partnerschaftliche Initiativen in den EU-Ländern. Innerhalb der letzten 20 Jahre war ihr Einfluss so groß, dass weite Teile der Agrotourismus- und Landtourismusentwicklung in der EU an ländliche Entwicklungsziele statt an Tourismusziele geknüpft worden sind.

79 Clarke (1999) liefert eine nützliche Einführung. 80 Siehe: http://www.leader-programme.org.uk/what-is-leader.

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7. PROBLEMBEWERTUNG: INNOVATIVE LÖSUNGEN

7.1. Probleme und Möglichkeiten In dieser Studie werden zwei Tourismussektoren beschrieben, die Nischenmärkte darstellen, und es wurde aufgezeigt, dass diese grundsätzlich gut aufgestellt sind, um die Bedürfnisse und Sehnsüchte unserer modernen und im Wandel befindlichen Gesellschaft zu erfüllen. Für die lokale Wirtschaft sind sie von großem Nutzen. Der Industrieerbe-Tourismus bringt schätzungsweise jährlich weit über 9 Mrd. EUR ein; beim Landtourismus geht man von mindestens 150 Mrd. EUR pro Jahr aus. Durch den weitverbreiteten Einsatz von Ehrenamtlichen lässt sich die Anzahl der durch den Industrieerbe-Tourismus geschaffenen Stellen nur schwer feststellen; auf das Konto des Landtourismus gehen laut Schätzungen ungefähr 900 000 Stellen. Beide Sektoren bringen der örtlichen Bevölkerung in vielfältiger Weise zusätzlichen ökologischen und soziokulturellen Nutzen, zuzüglich weiterer gesellschaftlicher Vorteile auf nationaler Ebene, sowie europa- und in einigen Fällen weltweit. Bei beiden Sektoren ist ein sehr hohes zukünftiges Wachstumspotenzial zu verzeichnen. Europa ist im Bereich des Landtourismus stets führend gewesen und stellt hier den weltweit größten Anbieter dar: Für beruflich motivierte Studienbesuche aus Ländern der ganzen Welt ist es ein beliebtes Ziel. Das gleiche gilt für den Bereich des Industrieerbe-Tourismus: In deutlich führender Stellung tritt Europa auch hier als der größte Anbieter auf und verzeichnet mittlerweile ein zunehmendes Interesse aus anderen Kontinenten an beruflich motivierten Studienbesuchen. In Abschnitt 6 wurden nur einige der Entwicklungsinstrumente aufgeführt, welche in beiden Sektoren eingesetzt, getestet, bewertet und verbessert werden können. Insbesondere der ländliche Tourismus birgt eine Fülle innovativer Entwicklungs- und Marketingideen und hat eine Auswahl von Beispielen für bewährte Verfahren vorzuweisen. Beim Industrieerbe-Tourismus sprießen die innovativen Ideen derzeit nicht ganz so munter, hier konnten jedoch viele Impulse aus dem Bereich des Landtourismus herangezogen werden, und eine Auswahl von Beispielen für bewährte Verfahren ist ebenfalls vorhanden. Beide Arten des Fremdenverkehrs weisen ein hohes Potenzial hinsichtlich der Förderung emissionsarmer Freizeitaktivitäten und eines CO2-verträglichen beziehungsweise nachhaltigeren Tourismus auf. Sie können beide einen nützlichen Beitrag zu der EU-Politik leisten, die darauf abzielt, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 % zu verringern (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2007). Bei den Kurzstreckenurlauben im Inland und innerhalb Europas gäbe es einen großen Handlungsbedarf. Auf vielen inländischen Märkten ist das Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft, etwa bei den zunehmend aktiven über 65-Jährigen, und dies gilt ebenso für die „traditionellen“ Exportmärkte in Nordamerika, Australasien und Japan sowie die neuen Märkte in Asien und den BRIC-Ländern. Die hier skizzierte Erfolgsgeschichte beinhaltetet allerdings auch eine Reihe dringender Probleme komplexer Natur, die gelöst werden müssen, bevor es möglich ist, das vorstehend beschriebene Potenzial zu entwickeln und nachhaltig zu gestalten. Die Ursachen dieser Probleme sind in vorliegender Studie beschrieben worden. Kurz gefasst ergibt sich folgendes Bild:

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Beide Sektoren zeigen sich äußerst stark zersplittert und weisen eine geringe Zahl wirksamer Netzwerke oder Partnerschaftsabkommen auf, um Größenvorteile in der Marktforschung und im Marketing, in der Ausbildung und bei der Einführung von Neuerungen geltend zu machen. Beide leiden unter schwachen Governance-Systemen, und ein Hoffnungsschimmer geht hier nur von einigen Verwaltungsgremien von Schutzgebieten aus. Die Governance beeinflusst die Frage der Beratung und Hilfe auf vielfältige Weise. Nationale Organisationen zur Förderung des Landtourismus hatten in der Vergangenheit mehr Gewicht und halfen dabei, ein gewisses Maß an Beratung und Unterstützung zu leisten. Wie vorliegende Studie gezeigt hat, kämpfen viele dieser Organisationen jedoch derzeit mit Problemen, die auf den Wettbewerb durch das Online-Marketing und fehlendes Sachwissen beziehungsweise finanzielle Mittel zurückzuführen sind. Gesamteuropäische Organisationen in beiden Sektoren sehen sich mit äußerst schwerwiegenden finanziellen Problemen sowie einem zunehmenden Mangel sowohl an Mitteln als auch an Zielen konfrontiert.

Beiden Sektoren ist gemein, dass sie einen gewissermaßen unprofessionellen Ansatz in Tourismusfragen an den Tag gelegt haben – dies gilt insbesondere für den Industrieerbe-Tourismus.

Beide müssen mit starkem Wettbewerb durch wieder im Aufschwung begriffene, professionell geleitete Ferienorte, durch den Städtetourismus und durch die Fernreisekonkurrenz von Billiganbietern und Veranstaltern exotischer Reisen auf globaler Ebene fertig werden.

Es sind mehrere Gefahren zu berücksichtigen, die auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind. Im Bereich des Landtourismus sind viele KMU im Besitz von Pionieren aus den Wachstumsjahren der achtziger und neunziger Jahre, die sich in absehbarer Zeit in den Ruhestand verabschieden und ihre Unternehmen verlassen werden. Zu den Eigenarten des Landtourismus gehört oft, dass nur wenige KMU ihre Unternehmen weiterverkaufen. Was das industrielle Erbe anbelangt, sehen sich viele Attraktionen mit steigenden Unterhaltskosten konfrontiert, da ihr Industriekulturerbe seine ursprüngliche Lebenserwartung bereits überschritten hat: Hier ist der erfolgreichste Zweig des Industriekulturerbes, nämlich der Eisenbahntourismus, aufgrund der zwingend erforderlichen Brücken, Tunnel, Erdarbeiten und des komplexen Maschinenparks besonders gefährdet. Zufriedenstellende finanzielle Ergebnisse sind hier überlebenswichtig.

Es ist aufgezeigt worden, dass beide Sektoren hochgradig von der Unterstützung des öffentlichen Sektors abhängig sind, für den Landtourismus gilt dies im Infrastruktur- und häufig im Landschaftsschutzbereich, für das Industriekulturerbe in Bezug auf die direkte Eigentümerschaft und die Pflege des Kulturerbes selbst. Die Unterstützung durch den öffentlichen Sektor wird allem Anschein nach durch einen Anstieg der konkurrierenden Ansprüche im Bereich Gesundheits-, Erziehungs- und altersbedingter Leistungen abnehmen.

Beide Sektoren müssen auf neue Technologien in den Bereichen Marketing, Kulturinterpretation und Geschäftsführung reagieren, haben hierbei jedoch mit Schwierigkeiten zu kämpfen.

Für viele kleine KMU ist der Zugang zu Forschung und Entwicklung nicht einfach – und doch ist dies für ihr zukünftiges Überleben von entscheidender Bedeutung.

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Auf der anderen Seite findet sich ein hohes, ungenutztes Potenzial, mit dessen Hilfe die vorgenannten Probleme bewältigt werden könnten. Es wurden für beide Sektoren Beispiele sehr erfolgreicher Unternehmen und Organisationen erläutert, die in krassem Widerspruch zu der hohen Anzahl weniger erfolgreicher Projekte stehen. In dieser Studie sind viele innovative Ideen und Methoden erörtert worden, derer man sich bedienen könnte. Zahllose akademische Forscher könnten bei der Ausbildung und Beratung helfen – allerdings fehlen hier die entsprechende Organisation beziehungsweise die Anreize. Mit der Entwicklung des Potenzials sind auch viele unentdeckte Vorteile für die Gesellschaft insgesamt verbunden – eine Ausweitung der Vermittlung übertragbarer Kompetenzen für Unternehmen, Angestellte und Ehrenamtliche und (bezogen auf den Landtourismus) ein gesundheitsbezogenes Angebot mit zwanglosen körperlichen Aktivitäten in der freien Natur wie etwa Wandern, Klettern, Radfahren usw. Dieser Abschnitt der Studie rechtfertigt Eingriffe, um Abhilfe im Fall von Marktversagen zu schaffen, falls mit negativen Auswirkungen auf die Unternehmen, Jobs, Einkommen, Gemeinschaften und Infrastrukturinvestitionen zu rechnen ist. Indirekt gesehen würden auch wichtige Industriekulturgüter für zukünftige Generationen verloren gehen: Tourismus wertet das Kulturerbe auf. Außerdem würde ein Niedergang dieser Sektoren die Schritte in Richtung eines emissionsarmen Tourismus erschweren. Maßnahmen auf europäischer Ebene sind besonders geeignet, Lösungen für diese Probleme zu finden, da bewährte Verfahren, Forscher und Fachleute aus der gesamten EU herangezogen werden können, um die Herausforderungen zu meistern, mit denen die einzelnen Länder auf sich alleine gestellt überfordert wären. Die Veröffentlichung des sehr umfassenden, praktischen und positiven Berichts des Europäischen Parlaments Europa – wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus (A7-0265/11) im Jahr 2011 hat den Weg für eine neue Ära des Wandels bereitet. Der nächste Abschnitt in der Studie skizziert die Handlungsoptionen, um den entsprechenden Forderungen und Vorschlägen für den Industriekultur- und Landtourismus zu entsprechen.

7.2. Empfehlungen Der Zweck der Empfehlungen ist die Bereitstellung von Informationen, um Orientierung für zukünftige Investitionsstrategien im Bereich des Industrieerbe- und Landtourismus zu geben, Mittel zur Lenkung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen KMU zu entwickeln, wirksame Governance-Systeme zu schaffen, um Partnerschaften und Vernetzungen zu unterstützen und Wege zu finden, um die soziale, wirtschaftliche und ökologische Leistung der betroffenen Sektoren auszubauen. In der Vergangenheit hat die EU hohe Geldsummen zur Verfügung gestellt, um Investitionsvorhaben im Zusammenhang mit dem Tourismus zu unterstützen. Die hier ausgesprochenen Empfehlungen beziehen sich auf wesentlich geringere Summen, um das Fachwissen, die Kenntnisse und die Änderung der Betriebsverfahren zu verfeinern. Weiterhin wird eine Auswahl von Durchführungsmechanismen zur Unterstützung dieser Änderungen vorgeschlagen. Die betreffenden Mechanismen sollten mindestens zwei gesamteuropäische Organisationen sowie nationale Organisationen beinhalten. Die Empfehlungen sind modularer und schrittweiser Natur. Während idealerweise zunächst das virtuelle Forschungs- und Entwicklungszentrum (7.2.1) geschaffen werden sollte, um sich der weiteren sechs Empfehlungen anzunehmen und diese zu bewerten, könnten die einzelnen Empfehlungen je nach Verfügbarkeit von Mitteln und Zeit unabhängig und schrittweise umgesetzt werden.

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7.2.1. Ein virtuelles Forschungs- und Entwicklungszentrum Die wichtigste Empfehlung leitet sich von einer in KOM (2010) 352 endgültig und unter Ziffer 20 in der EU-Stellungnahme A7-0265/11 getroffenen Aussage mit der Forderung nach einer „virtuellen Tourismus-Beobachtungsstelle“ ab. Sie sieht die Schaffung eines virtuellen Netzwerkes als eine gemeinsame Plattform von Forschungsinstituten und sonstigen wesentlichen Akteuren vor, um eine Basis für Forschungs- und Beratungsaktivitäten bereitzustellen, die von allen Mitgliedstaaten genutzt werden kann. Obwohl vielleicht nur ein Netzwerk zur Unterstützung der beiden erörterten Tourismusbereiche für besondere Interessen erforderlich sein mag, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sinnvoller, aufgrund der Unterschiede in Bezug auf das Produkt und den Stil des Industrieerbe-Tourismus und Landtourismus hier auf eine zweigeteilte Struktur zu setzen. Dieser Vorschlag geht weit über die Verbreitung bewährter Verfahren hinaus. Das Ziel ist die Schaffung einer Organisation für die genaue Analyse und Prüfung der Leistungen und Methoden, ähnlich der Vorgehensweise von Organisationen, die mit der Prüfung der Leistung und des Preis-/Leistungsverhältnisses von Arzneimitteln betraut sind. Ein weiteres Ziel ist die Bereitstellung eines Mechanismus, um Forschung und Beratung anzubieten und Anreize für eine entsprechende Umsetzung zu liefern. Das Netzwerk würde eine einzigartige Verbindung zwischen Forschern und politischen Entscheidungsträgern auf staatlicher und EU-Ebene sowie Fachleuten schaffen, könnte mit einigen der in Abschnitt 5.4 aufgeführten gesamteuropäischen Organisationen sowie ggfs. weiteren Einrichtungen zusammenarbeiten und ein Innovations- und Forschungszentrum für Industrieerbe- und Landtourismus bilden. Gestützt auf die mehrjährige Erfahrung von ALTER-Net 81 (siehe auch Abschnitt 5.2.5) würde es virtuell mit nur jährlich stattfindenden persönlichen Treffen betrieben werden. Es wäre so ausgelegt, dass - wiederum nach dem Vorbild des ALTER-Net - nach einem Zeitraum von etwa 5 Jahren die eigene wirtschaftliche Unabhängigkeit angestrebt werden könnte. Zudem könnte es sich die Erfahrungen des langjährig tätigen Commonwealth Government of Australia’s Sustainable Tourism Cooperative Research Centre zunutze machen, das von 1997 bis 2010 Vorreiter bei der Forschung über nachhaltigen Tourismus war und möglicherweise in Kürze ein Comeback erleben wird82. Die ALTER-Net-Partnerschaft entstand aus einem „Exzellenznetz“ heraus im Zusammenhang mit dem 6. Rahmenprogramm der Europäischen Kommission. Sie führt eine langfristig angelegte, europaweite, interdisziplinäre Forschung über die biologische Vielfalt, Ökosysteme und Ökosystemdienste durch und greift dabei auf das in ihr vereinigte Fachwissen im Bereich der Ökologie, Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, des Informationsmanagements und Wissenstransfers zurück. Diese forschungsbezogenen, politischen und praktischen Anwendungsbereiche könnten sowohl auf den ländlichen als auch den Industrieerbe-Tourismus übertragen werden – durch eine Forschung über wirksame Governance-Modelle, die Schaffung von Marktforschungsprogrammen, welche auch von Nichtfachleuten eingesetzt werden können, unter Verwendung von Skype und Webinaren für die Beratungen der Gruppenmitglieder untereinander, und indem man der Interpretation des Kulturerbes Leben einhaucht, um die Verweildauer, den Konsum und den Genuss vor Ort zu steigern. Vier wichtige Funktionen sollten hierbei erfüllt werden:

Die Auswahl der wesentlichen Forschungsgebiete sollte im Rahmen von Gesprächen zwischen den Akteuren der Branche, Forschern und den EU-Tourismusexperten

81 Siehe: http://www.alter-net.info/. 82 Siehe: http://www.crctourism.com.au/wms/upload/resources/NewSTCRC%20WEB.pdf.

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erfolgen. Die Einbindung der Stakeholder ist von entscheidender Bedeutung, um die Probleme, welche bei dem SPRITE–Projekt83 zur Unterstützung und Förderung eines integrierten Tourismus in den rückständigen ländlichen Gebieten Europas aufgetreten und allem Anschein nach größtenteils akademischer Natur gewesen sind, zu vermeiden. Es muss Aufgabe des Zentrums sein, Verfahren für die Entwicklung von Innovationen zu erforschen und zu erproben, einschließlich der Inanspruchnahme ausgewählter nationaler Organisationen im Bereich des ländlichen / Agrotourismus und Industrieerbe-Tourismus.

Das Zentrum sollte Methoden hervorbringen, um die KMU bei der Überwachung ihrer eigenen Leistung und der Besucherzufriedenheit zu unterstützen.

Ferner sollten Anreize zur Organisation von Veranstaltungen für die berufliche Weiterentwicklung und zur Umsetzung von Innovationen erforscht werden.

Folgende Punkte könnten durch mögliche Forschungsbereiche abgedeckt werden:

Eine genaue Bestandsaufnahme in den Sektoren des Industrieerbe- und Landtourismus.

Die Durchführung grundlegender Marktforschung – entweder durch die Kombination vorhandener Materialien oder das Zusammentragen zusätzlicher Materialien oder mit Hilfe von beidem.

Die praktische Erprobung einer Auswahl von Fragebögen und Analysewerkzeugen, damit an den Standorten und in den Gemeinden und Regionen in eigener Regie Umfragen über qualitative Aspekte durchgeführt und Ergebnisse gewonnen werden können.

Die genaue und kritische Bewertung einer Auswahl von Marketingkonzepten für den Industrieerbe- und Landtourismus.

Die Untersuchung und Bewertung einer Auswahl von Ideen und Methoden zum Thema Produktentwicklung, beispielsweise unter Einbeziehung von Besucherzentren.

Die praktische Erprobung einer Auswahl marktbezogener Ideen und Produkte für die Interpretation des Kulturerbes.

Eine Erkundung des Marktes in dem wachsenden Alterssegment der über 65-Jährigen für beide Arten des Tourismus.

Eine Untersuchung der Governance-Systeme im Bereich des Industrieerbe-Tourismus und des Landtourismus sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene mit dem Ziel, gangbare ideale Wege in der regionalen Ordnungspolitik und der nationalen Ordnungspolitik für die Zukunft zu liefern. Dies ist unabdingbar und dient dazu, die Probleme, von denen viele, aber nicht alle nationalen Verbände aktuell betroffen sind, einzuschätzen.

Eine kritische Bewertung des Konzepts der Kulturerbe-Regionen im Vergleich zu dem Konzept der Kulturerbe-Routen.

Anstrengungen zur Einschätzung, wie die Ausbildung von fachlichem Können im Industriekultursektor entwickelt und falls möglich formalisiert werden könnte. Da die Museumseisenbahn-Gruppe auf diesem Gebiet die größten Fortschritte erzielt zu haben scheint, könnten die Europäische Föderation der Museums- und

83 http://ec.europa.eu/research/agriculture/projects/qlrt_1999_31211_en.htm.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Touristikbahnen FEDECRAIL und ihre Mitglieder mögliche Kooperationspartner darstellen, eventuell in Zusammenarbeit mit dem Europarat oder sonstigen Institutionen.

Eine Überarbeitung der Definition des Industrieerbe-Tourismus und des Landtourismus in allen europäischen Ländern, Initiativen, um unter Verwendung gemeinsamer Standards Daten zu beiden Themen zu sammeln.

Anstrengungen, um die rechtlichen Anforderungen an kleine Unternehmen in beiden Geschäftsbereichen zu harmonisieren und zu vereinfachen.

Die Startfinanzierung für die Ausarbeitung des Vorschlags könnte im Rahmen der vorbereitenden Maßnahmen erfolgen, und im Anschluss daran würde ein Antrag an den Nachfolger der Rahmeninitiative 7, Horizont 202084 gestellt werden.

7.2.2. Prototyp eines Projekts im Bereich der Industriekultur-Regionen Eine zweite Empfehlung bezieht sich auf die Beantragung von Finanzmitteln zur Entwicklung des Prototyps eines Projekts im Bereich der Industriekultur-Regionen, in dessen Rahmen innovative Ideen zu den Themen Governance, Marketing, Produktentwicklung, Interpretation des Kulturerbes und Touristenunterkünften umgesetzt werden sollen. Die Auswahl der Region könnte mithilfe einer, falls möglich europaweiten Ausschreibung getroffen werden. Als Finanzierungsquelle würde der Strukturfonds infrage kommen. Dies sollte als Demonstrationsvorhaben für bewährte Verfahren angesehen werden, welche die regelmäßige Weitergabe von Problemen, auf die man gestoßen ist, und auch von Erfolgen und Fehlschlägen beinhaltet. Die Bewertung könnte durch das virtuelle Zentrum vorgenommen werden.

7.2.3. Prototyp einer Landtourismusregion der zweiten Generation Die dritte Empfehlung beinhaltet die Beantragung von Finanzmitteln bei der Abteilung für ländliche Entwicklung des Landwirtschaftsfonds für den Prototyp einer Landtourismusregion der zweiten Generation als Demonstrationsvorhaben mit Ideen, die im Zusammenhang mit den im vorstehenden Abschnitt 7.2.2 genannten Ideen stehen. Die Bewertung könnte durch das virtuelle Zentrum vorgenommen werden.

7.2.4. Demonstrationsvorhaben im Zeichen des langsamen Tourismus Die vierte Empfehlung bezieht sich auf ein Demonstrationsvorhaben im Zeichen des langsamen Tourismus, das als Prüfstand für Verfahren zur Schaffung eines emissionsarmen Tourismus, für Regionalentwicklung und Verhaltensänderung dienen soll. Obwohl die Wahl hier wahrscheinlich auf eine ländliche Region fallen wird, sollte die weltweite Diskussion über den langsamen Städtetourismus nicht ins Hintertreffen geraten. Mögliche Standorte für ein ländliches Projekt sind unter anderem Österreich, welches starkes Interesse an dieser Art von Entwicklung gezeigt hat, Irland, Portugal oder Italien.

84 Im Vorfeld wurden von dem Hauptautor dieses Berichts und Vertretern ländlicher Tourismusorganisationen in

Korea und in der Volksrepublik China Gespräche über ein vergleichbares, möglicherweise an die 21 Länder umfassende Wirtschaftszusammenarbeit im Raum Asien-Pazifik APEC angeschlossenes virtuelles Zentrum geführt.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

7.2.5. Fortbildungsprogramm über Kulturerbe-Gerätschaften Das Konzept der Ausbildung junger Leute – und sonstiger Personen – in der Reparatur und/oder dem Nachbau von Materialien und Geräten, die zum Kulturerbe gehören, ist von mehreren Einrichtungen zur Pflege des industriellen Erbes in Österreich, Belgien, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und den Niederlanden erörtert worden. Diese Ausbildung würde es beispielsweise ermöglichen, traditionelle Gegenstände aus Eisen oder Holz in Museen und der Architektur von früher zu nutzen, beziehungsweise zu diesem Erbe gehörende Ausrüstungsteile aller Art zu konservieren oder zu ersetzen. Die erfolgreiche Umsetzung des Programms würde Beratungen untereinander und eine Zusammenarbeit zwischen den Stellen zur Pflege des Kulturerbes, Organisationen aus dem Bereich des Bildungswesens und den mit der Überwachung von Qualitätsstandards befassten Behörden erfordern. Mystic Seaport in den USA mit seinen Fortbildungskursen zur Pflege des maritimen Erbes kann hier als Beispiel dienen85. Tourismusausbildung ist wichtig, allerdings legen die Aussagen nationaler und gesamteuropäischer Organisationen nahe, dass es offenbar sehr schwierig ist, sich in diesem Bereich auf ein „genormtes europäisches“ System zu verständigen. Die in diesem Abschnitt ausgesprochenen Empfehlungen könnten jedoch zu erstklassigem Lehrmaterial für den europaweiten Einsatz in den bestehenden Bildungs- und Ausbildungsinstituten führen, und ALTER-Net hat Erfolge bei dem Erwerb von Kompetenzen im Rahmen von Sommerkursen, insbesondere im Management und im Aufbau von Personalkapazität, vorzuweisen.

7.2.6. Verbreitung innovativer Verfahren Ein Programm zur Verbreitung innovativer Verfahren – ähnlich einer Wanderausstellung mit Referenten –, in dessen Rahmen EU-Mitglieder über einen Zeitraum von 5 Jahren besucht werden, um Wandel und Entwicklung anzuregen, um den im Industrieerbe- und Landtourismus tätigen nationalen und gesamteuropäischen Stellen mehr Bedeutung zu verleihen. Das Programm würde durch eine Internetseite unterstützt, auf der Forschungsergebnisse (mit einem Link zu der Forschergruppe) und aktuelle Informationen zu den Demonstrationsvorhaben stehen.

7.2.7. Marketing für Asien und die BRIC-Länder Die besten Anbieter im Bereich des Industrieerbe-Tourismus und des Landtourismus in Europa können sich auf internationaler Ebene messen. Obwohl viele der in diesem Abschnitt enthaltenen Empfehlungen darauf abzielen, das Niveau derer, die nicht zu den Ersten zählen, anzuheben, empfiehlt es sich ebenfalls, die Klassenbesten bei der Entwicklung neuer Exportmärkte zu unterstützen. Dies wäre für die EU und die betroffenen Sektoren zum einen Teil eine nützliche Übung in Sachen Public Relations; zum anderen Teil könnte sich dies als wirtschaftlich nützlich erweisen. Denkbar wäre, dass eine Marketinginitiative für Asien und die BRIC-Länder mit der Europäischen Tourismuskommission kooperiert, um die mögliche Aufbereitung bestimmter Felder des Industriekultur- und Landtourismus für diese Märkte zu erforschen. Dies könnte beispielsweise in Verbindung mit dem wachsenden Interesse an der Pflege des industriellen

85 www.mysticseaport.org/.

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Erbes in Japan und mit den Landtourismusverbänden sowohl in Korea als auch in China erfolgen. Derartige Maßnahmen werden in dem Bericht des Europäischen Parlaments Europa – wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus (A7-0265/11) an mehreren Stellen angedeutet. Eine nützliche Informationsquelle hier könnten die Erfahrungen des New Zealand Tourist Board (NZTB) (NZTB, 1995, 1996 a-c) darstellen.

7.3. Probleme und Kosten Die Hauptempfehlung wirft eine Reihe nicht unbedeutender Probleme auf. Dazu gehört zwingend die Frage: Würde es eine Zusammenarbeit zwischen der Forschungseinrichtung und dem Europäischen Verband für Bauernhof- und Landtourismus EuroGites sowie der Europäischen Route der Industriekultur ERIH geben? Laut der spontanen Empfehlung sollten Letztere als wichtige Berater für die Gruppe fungieren und finanzielle Mittel erhalten, um diese Beratung leisten zu können, allerdings sollten sie nicht automatisch als Manager oder treibendes Element dieser Gruppe auftreten. Die zweite Frage befasst sich mit den Entscheidungen über das Arbeitsprogramm und die Prioritäten der Gruppe. Wem fällt die letztendliche Entscheidungsgewalt zu? Diese Frage lässt sich vermutlich am besten mit ALTER-Net und anlässlich eines runden Tisches mit den Hauptakteuren im Rahmen der vorgenannten Finanzierung durch vorbereitende Maßnahmen erörtern. Ein strittiger Bereich könnten eventuell auch die Nachhaltigkeitsindikatoren sein, daher sollten die Demonstrationsvorhaben Nachhaltigkeitsmaßnahmen zur Prüfung und Vorstellung von Verfahren beinhalten, statt in dieser Phase einen umstrittenen europaweiten Satz an Indikatoren zu entwickeln. Kosten Auf welche Summe könnten sich die Kosten für die vorgenannten Vorschläge belaufen? Es ist geplant, dass alle Empfehlungen relativ geringe Kosten verursachen und sich letztendlich selbst tragen werden. Einige der Empfehlungen könnten zu einer Neuausrichtung der gesamteuropäischen Entwicklungs- und der Unterstützungsgruppen sowie mancher nationaler Gruppen beitragen. Die vorgenannten Vorschläge sollten jeweils zu Kosten von weniger als 1 Mio. EUR pro Jahr führen, einige auch zu deutlich geringeren Summen. Verglichen mit den sehr hohen Summen, die für Investitionsvorhaben im Zusammenhang mit dem Tourismus aufgewendet werden, erscheint dies kostengünstig: Allein die vom EFRE für den Tourismus bereitgestellten finanziellen Mittel in dem Programm 2000-2006 beliefen sich auf 4,6 Mrd. EUR (Europäischer Rechnungshof, 2011). Eine gezielte Forschung zur Verbesserung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen Renditen aus dem Tourismus oder zur Stärkung seiner Wettbewerbsposition, deren Ergebnisse weiterverbreitet werden, sollte sich im Hinblick auf die von ihr verursachten Kosten sehr rasch bezahlt machen. *Die Beträge für die Empfehlungen 7.2.2, 3 und 4 sind nicht in dieser Richtsumme enthalten: Die Beträge würden nach Durchführung von Machbarkeitsstudien an bestimmten Standorten aufgebracht werden, die Kosten für Empfehlung 5 richten sich nach dem Umfang des Programms, den Kosten vor Ort und der Kostenaufteilung.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANHANG A: GEGENÜBERSTELLUNG DER MERKMALE DES STADT-/RESSORTTOURISMUS UND DES LANDTOURISMUS

Tabelle 6: Gegenüberstellung der Merkmale des Stadt-/Resorttourismus und des Landtourismus

Stadt-/Resorttourismus Landtourismus

Wenig Freifläche Viel Freifläche

Siedlungsgröße über 10 000 Siedlungsgröße bis 10 000

Dicht besiedelt Dünn besiedelt

Bebaute Umwelt Natürliche Umwelt

Viele Aktivitäten in Innenräumen Viele Aktivitäten im Freien

Infrastruktur - ausgebaut Infrastruktur - schwach

Reichhaltiges Unterhaltungs-/Einkaufsangebot Vorherrschend individuelle Aktivitäten

Große Einrichtungen Einrichtungen kleiner und mittlerer Größe

Unternehmen in nationaler/internationaler Hand

Unternehmen in lokaler Hand

Häufig vollständige Ausrichtung auf Tourismus Häufig teilweise Ausrichtung auf Tourismus

Keine Beteiligung vonseiten der Land- und Forstwirtschaft

Teilweise Einbeziehung von Land- und Forstwirtschaft

Tourismus aus eigenem Interesse Tourismus dient anderen Interessen

Beschäftigte leben teilweise weiter weg Beschäftigte leben oft direkt am Arbeitsort

Kaum Einfluss saisonaler Faktoren Häufig Einfluss saisonaler Faktoren

Hohes Gästeaufkommen Geringes Gästeaufkommen

Anonymes Verhältnis zum Gast Persönliches Verhältnis zum Gast

Professionelle Verwaltung Nichtfachmännische Verwaltung

Weltoffene Atmosphäre Lokalkolorit

Viele moderne Bauten Viele ältere Bauten

Entwicklungs-/Wachstumsethik Ethik der Erhaltung/Grenzen des Wachstums

Allgemeine Anziehungskraft Spezielle Anziehungskraft

Breite Vermarktung Nischenmarketing Quelle: Lane (1994).

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANHANG B: ARTEN DES TOURISMUS: LÄNDLICH UND STÄDTISCH

Der Landtourismus lässt sich nicht ausschließlich über die Tourismusart definieren: Nutzungsintensität, Standort, Art der Verwaltung, Einbindung in die Gemeinde und deren Akzeptanz sowie weitere Faktoren spielen bei der Definition eine wichtige Rolle. Viele Tourismusarten lassen sich sowohl an städtischen als auch an ländlichen Standorten entwickeln. Zudem können Touristen Aktivitäten auf dem Lande und in der Stadt am selben Tag ausführen. Es folgt ein Versuch einer Klassifikation: Ihre Anwendung sollte mit Bedacht und unvoreingenommen erfolgen. Touristische Aktivitäten mit vorwiegend ländlichem Charakter

1. Wandern

2. Klettern/Felsklettern

3. Abenteuerurlaub/Wildnisurlaub

4. Kanufahren

5. Rafting

6. Skilanglauf

7. Schneeschuhwandern

8. Pistenskilauf von geringer Intensität

9. Naturbeobachtungen im Freien, einschließlich Vogelbeobachtung, Fotografie usw.

10. Ökotourismus/Safaris

11. Jagd

12. Fluss-, See- und Kanalangeln

13. Radfahren/Fahrradtouren

14. Mountainbiken

15. Reiten

16. Landschaftsbetrachtung

17. Erkundung des ländlichen Erbes

18. Rundgänge durch Dörfer und Kleinstädte

19. Entspannungsurlaub in explizit ländlicher Umgebung

20. Kleinere Kongresse/Konferenzen

21. Ländliche Feste

23. Sportarten in natürlicher Landschaft, z. B. Orientierungslauf

24. Ferien auf dem Bauernhof

25. Ferien auf dem Bauernhof als Ausgangspunkt für Ausflüge in die ländliche Umgebung

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Touristische Aktivitäten, die ihren Ausgangspunkt sowohl auf dem Land als auch in der Stadt bzw. einem Ferienort (Resort) haben können

1. Schwimmen

2. Strandurlaub geringer/mittlerer Intensität

3. Pistenskilauf mittlerer Intensität

4. Sportarten, die eine künstliche Infrastruktur naturnahen Charakters erfordern – z. B. Golf

5. Kulinarischer Urlaub

6. Urlaub zwecks Genuss von speziellen Lebensmitteln, z. B. Weingüter

7. Urlaub zur Erkundung des allgemeinen (Kultur-)Erbes

8. Urlaub mit Arbeit im Naturschutz

9. Bildungsurlaub

10. Kulturfestivals

11. Urlaub zur Ausübung eines Handwerks

12. Camping

13. Besichtigung von Sehenswürdigkeiten

14. Konferenzen/Kongresse kleinerer/mittlerer Größe

15. Segeln/Schiffsreisen

16. Hochseeangeln

17. Casinospiele/Glücksspiele

18. Geschäftstourismus Touristische Aktivitäten, die vorwiegend im Umfeld von Städten und Ferienorten (Resorts) ausgeübt werden

1. Großstadtbesichtigungen

2. Shopping

3. Strandurlaub von hoher Intensität

4. Pistenskilauf von hoher Intensität

5. Besichtigung des städtebaulichen Erbes / Kultururlaub

6. Kur- und Wellnesseinrichtungen

7. Industrietourismus

8. Zoologische Gärten

9. Größere Konferenzen/Kongresse

10. Unterhaltungsurlaub/Casinospiele

11. Cluburlaub

12. Sportarten, die eine künstliche Infrastruktur erfordern, z. B. Veranstaltungen in nationalen/internationalen Sportstätten

13. Geschäftstourismus Source: Lane (1994).

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANHANG C: TOURISMUSPARTNERSCHAFTEN: VORTEILE, PROBLEME UND AUSBLICKE

Tabelle 7: Potenzielle Vorteile von Zusammenarbeit und Partnerschaften bei der

Tourismusplanung Es können zahlreiche Akteure beteiligt sein, die alle von den verschiedenen Problemen der Tourismusentwicklung betroffen sind und die Veränderungen und Verbesserungen auf den Weg bringen können.

Die einzelnen Betroffenen verfügen über Entscheidungs- und Kontrollkompetenzen in unterschiedlicher Ausprägung, was im demokratischen Sinne von Vorteil ist.

Durch die Einbeziehung unterschiedlicher Interessenträger kann die soziale Akzeptanz von politischen Maßnahmen verbessert und somit deren Umsetzung und Durchsetzung erleichtert werden.

Durch konstruktivere und weniger polarisierende Ansätze wird eine bessere Zusammenarbeit ermöglicht.

Die von den Problemen unmittelbar betroffenen Parteien können ihre Kenntnisse, Haltungen und sonstige Kapazitäten in den politischen Entscheidungsfindungsprozess einbringen.

Aus der Zusammenarbeit können schöpferische Synergien erwachsen, die möglicherweise zu verstärkter Innovation und Effektivität führen.

Im Rahmen von Partnerschaften lassen sich die Arbeitsweise, Fähigkeiten und das Potenzial der anderen Partner gegenseitig vermitteln, zudem profitieren Partnerschaften von der Herausbildung von Gruppeninteraktionen und Verhandlungskompetenz.

Alle am politischen Entscheidungsprozess Beteiligten engagieren sich stärker bei der Umsetzung der Maßnahmen in die Praxis.

Die Koordinierung der Maßnahmen und damit verbundener Aktionen der verschiedenen Interessenträger könnte sich verbessern.

Verschiedene wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Probleme, die Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung von Ressourcen haben, könnten stärker berücksichtigt werden.

Die Bedeutung nicht-wirtschaftlicher Fragen und Interessen würde stärker anerkannt, wenn diese in den Kooperationsrahmen eingebunden würden, was die touristische Angebotspalette erweitern könnte.

Die Ressourcen der Beteiligten könnten gebündelt werden, wodurch sie sich effektiver nutzen ließen.

Durch Einbeziehung verschiedener Interessenträger in die Entscheidungsfindung wären die daraus resultierenden politischen Maßnahmen flexibler, ferner würden damit lokale Gegebenheiten und wandelnde Bedingungen stärker berücksichtigt.

Nicht-touristische Aktivitäten könnten gefördert werden, was zu einer Ausweitung der wirtschaftlichen, Beschäftigungs- und gesellschaftlichen Basis einer bestimmten Gemeinde oder Region führen würde.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Tabelle 8: Potenzielle Probleme von Zusammenarbeit und Partnerschaften bei der Tourismusplanung

An manchen Orten und in Bezug auf einige Fragen ist es noch kaum üblich, dass Interessenträger in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden.

So existieren Partnerschaften lediglich als schöner Schein, um der Bewältigung echter Probleme mit allen Interessenträgern aus dem Weg zu gehen

Eine gesunde Konfliktbeilegung ist dadurch nur schwer möglich.

Für die Bemühungen um Zusammenarbeit stehen möglicherweise keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung, was zusätzliche Arbeitsstunden, Führungs- und Verwaltungsressourcen angeht.

Die Beteiligten sind möglicherweise nicht gewillt, zurückzustecken oder mit unbekannten Partnern oder vormaligen Kontrahenten zusammenzuarbeiten.

Interessenträger mit weniger Einfluss können aus dem Prozess der Zusammenarbeit ausgeschlossen werden oder sie können den Prozess weniger beeinflussen.

Befugnisse innerhalb von Kooperationsvereinbarungen könnten auf Gruppen oder Personen mit größerem politischen Geschick übergehen.

Manche zentrale Beteiligte könnten ihr Interesse verlieren oder sich passiv gegenüber anderen verhalten, weil sie sich manchmal auf andere verlassen, dass diese die Vorteile der Partnerschaft für sie erarbeiten.

Manche Partner könnten Druck auf andere ausüben, indem sie drohen, die Partnerschaft zu verlassen, um ihre eigene Sache voranzubringen.

Die Beteiligung der demokratisch gewählten Regierung an der Zusammenarbeit und Konsensbildung kann ihre Fähigkeit beeinträchtigen, das „öffentliche Interesse“ zu schützen.

Die Rechenschaftspflicht der einzelnen Interessengruppen kann sich verwischen, da durch die größere institutionelle Komplexität der Zusammenarbeit unklarer wird, wer wem gegenüber und wofür Rechenschaft abzulegen hat.

Durch die Zusammenarbeit könnte die Ungewissheit über die Zukunft zunehmen, da die von unterschiedlichen Interessenträgern erarbeiteten Maßnahmen schwerer vorauszusehen sind als Maßnahmen einer zentralen Behörde.

Innovationen könnten durch berechtigte Interessen und bewährte Verfahren der verschiedenen beteiligten Interessenträger blockiert werden.

Das Erfordernis, zu einem Konsens zu gelangen, und die Notwendigkeit, neue Ideen vor ihrer Einführung bekannt zu geben, könnten sich als Hemmschuh für die unternehmerische Entwicklung erweisen.

Es kann sich als kostspielig und zeitaufwändig erweisen, mehrere Interessenträger in die politische Entscheidungsfindung einzubinden.

Die Komplexität dieser Aufgabe erschwert es, alle gleichermaßen stark einzubinden.

Es kann zu Aufsplitterungen in der Entscheidungsfindung und zu verminderter Kontrolle über die Umsetzung kommen.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Die Macht einiger Partnerschaften könnte zu groß sein, was zur Bildung von Kartellen führen könnte.

Bei manchen Kooperationsabkommen besteht die Gefahr, dass ihr Nutzen abhandenkommt und ihre bürokratischen Strukturen grundlos deren Fortbestand sichern wollen.

Was trägt zu einem besseren Gelingen von strategischen Partnerschaften bei? Wie können Partner sich aus einem Gewinner/Verlierer-Modell lösen und eine Win/Win-Beziehung eingehen? Es sind zahlreiche Ansätze mit einer guten Erfolgsbilanz bekannt. Dazu gehören:

Verständnis der Vielzahl von Partnerschaftsansätzen und Notwendigkeit, den richtigen Partnerschaftstyp für die jeweilige Situation zu wählen – was auf der Hand liegt, aber häufig nicht beherzigt wird. Steve Sellin (2000) stellt eine nützliche Übersicht über Tourismustypologien vor, die er anhand mehrerer Aspekte klassifiziert – geografischer Umfang, Rechtsgrundlage, Ort der Kontrolle, Vielfalt und Größe sowie zeitlicher Rahmen.

Die Bedeutung der Teilhabe – die Fähigkeit aller Partner zu begreifen, dass sie an Entscheidungen und am Prozess ihrer Findung beteiligt sind.

Die Notwendigkeit zu verstehen, dass strategische Partnerschaften sowohl lernende Systeme als auch Veränderungsmechanismen sind und dass das Lernen selbst eine wertvolle Aktivität darstellt, die sich auszahlen kann. Eng damit verbunden ist das Verständnis von Kapazitätsbildung – die Fähigkeit lokaler Unternehmen und Gemeinden zu Wachstum und Mitwirkung, die Fähigkeit von Reiseveranstaltern und anderen Außenstehenden zu Verständnis und Unterstützung, sowie auch die Anforderung an Umweltgruppen und kulturelle Gruppen, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit der Welt des Tourismus zu entwickeln, ohne ihre wesentliche Substanz zu kompromittieren.

Die Notwendigkeit, die richtige Intensität für die Partnerschaftsvereinbarung festzulegen und zwischen „zentralisierten“ und „vernetzten“ Partnerschaften zu unterscheiden.

Die Bedeutung von Ressourcen und die Fähigkeit zu konkreten Maßnahmen als Ergebnis der Zusammenarbeit – von politischen Maßnahmen bis hin zu Aktionen vor Ort. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg.

Zu den wichtigsten Funktionen des Vermittlers zählen die Fähigkeit, die Beziehung voranzutreiben, Hilfe und Ideen von außen anzufordern, sofern erforderlich, destruktive Konflikte in konstruktive umzuwandeln, den Schwachen eine Stimme zu geben und ebenso die Starken das Zuhören zu lehren.

Die Notwendigkeit, Fortschritte einschätzen zu können, flexibel und optimistisch zu sein und sich dennoch dessen bewusst zu sein, dass Partnerschaften eine bestimmte Lebensdauer haben und nicht für immer existieren müssen.

Quelle: Bramwell & Lane (2000 und 2004).

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANHANG D: VÍAS VERDES: LISTE „GRÜNER WEGE“ Tabelle 9: Vías Verdes: Liste „Grüner Wege“

Bezeichnung Länge Ort

Grüner Weg der Eisenbahn Vasco-Navarro 84,4 km Alava - Navarra

Grüner Weg der Sierra de Alcaraz 74,0 km Albacete

Grüner Weg Xixarra II 15,0 km Alicante

Grüner Weg Alcoy 10,0 km Alicante

Grüner Weg Maigno 22,0 km Alicante

Grüner Weg Torrevieja 6,7 km Alicante

Grüner Weg Lucainena 5,0 km Almeria

Grüner Weg Senda del Oso 36,0 km Asturias

Grüner Weg Pas 34,0 km Kantabrien

Grüner Weg Ojos Negors I 67,7 km Castellón - Valencia

Grüner Weg Sierra 36,0 km Cádiz - Sevilla

Grüner Weg von Subbéttica 56,0 km Córdoba

Grüner Weg Campiña I 28,0 km Córdoba

Grüner Weg Carrilet I 54,0 km Girona

Grüner Weg Carrilet II 39,0 km Girona

Grüner Weg Ferró I Carbó 15,0 km Girona

Grüner Weg Plazaola-Leitzará 41,0 km Guipuzcoa-Navarro

Grüner Weg Arditurri 11,0 km Guipúzcoa

Grüner Weg Mutiloa-Ormaitztegi 4,5 km Guipúzcoa

Grüner Weg Urola 22,5 km Guipúzcoa

Grüner Weg „Olivenöl“ 55,0 km Jaén

Grüner Weg Cidacos 34,0 km La Rioja

Grüner Weg Prejano 5,0 km La Rioja

Grüner Weg Rio Oja 25,0 km La Rioja

Grüner Weg Tajuña 49,0 km Madrid

Grüner Weg der 40-Tage-Eisenbahn 14,0 km Madrid

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Bezeichnung Länge Ort

Nordwestlicher Grüner Weg 48,0 km Murcia

Grüner Weg Plazaola 40,0 km Navarra-Guipuzcoa

Grüner Weg Bidasoa 39,0 km Navarra-Guipuzcoa

Grüner Weg Sierra Norte de Sevilla 15,0 km Sevilla

Grüner Weg Terra Alta 23,0 km Tarragona

Grüner Weg Ojos Negros II 92,0 km Terual

Grüner Weg Val de Zafan 33,6 km Terual

Grüner Weg Jara 52,0 km Tóledo

Grüner Weg Safor 7,0 km Valencia

Grüner Weg Xurra 15,0 km Valencia

Grüner Weg Arrazola 5,0 km Vizcaya

Grüner Weg Atxuri 3,8 km Vizcaya

Grüne Wege Paseo Itsaslur 2,2 km Vizcaya

Grüne Wege von Montes de Hierro 42,5 km Vizcaya Quelle: http://www.viasverdes.com/GreenWays/Itineraries.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANHANG E: FEDECRAIL – ÜBERSICHT DER NATIONALEN MITGLIEDER

Tabelle 10: FEDECRAIL – Mitgliedschaften einzelstaatlicher Dachorganisationen

Land A1- Mitglieder

B2- Mitglieder

C3- Mitglieder

Mitglieder insgesamt

Österreich 11 20 7 38

Belgien 4 1 6 11

Bulgarien 0 1 0 1

Tschechische Republik 0 1 0 1

Dänemark 1 14 1 16

Estland 0 0 1 1

Finnland 0 5 8 13

Frankreich 6 10 67 83

Deutschland 19 46 29 94

Griechenland 2 0 0 2

Ungarn 0 2 0 2

Italien 7 6 0 13

Lettland 0 0 1 1

Luxemburg 0 0 1 1

Niederlande 8 12 8 28

Norwegen 2 1 5 8

Polen 1 0 5 6

Slowakei 0 1 0 1

Rumänien 0 1 0 1

Russland 0 3 0 3

Serbien 0 1 0 1

Spanien 0 2 0 2

Schweden 4 22 28 54

Schweiz 0 2 1 3

Ukraine 0 1 0 1

Vereinigtes Königreich 82 46 114 242

Irland 2 7 4 13

Gesamt 149 205 286 640 1 Kategorie A: Organisationen im Besitz von Schienenfahrzeugen, aber ohne Infrastruktur zu deren Betrieb 2 Kategorie B: Organisationen als Betreiber von Museen und einer Eisenbahn innerhalb des Museumsgeländes. 3 Kategorie C: Organisationen als Betreiber von Museen und einer öffentlichen Eisenbahnlinie außerhalb des

Museumsgeländes.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANHANG F: HAUPTGRÜNDE FÜR URLAUB – KULTUR/RELIGION

Land %

Österreich 26

Belgien 22

Bulgarien 5

Zypern 6

Tschechische Republik 15

Dänemark 18

Estland 18

Finnland 18

Frankreich 11

Deutschland 21

Griechenland 5

Ungarn 9

Irland 8

Italien 16

Lettland 13

Litauen 10

Luxemburg 16

Malta 16

Niederlande 22

Polen 8

Portugal 15

Rumänien 6

Slowakei 10

Slowenien 5

Spanien 17

Schweden 13

Vereinigtes Königreich 7 Quelle: TNS Political & Social (2012).

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANLAGE G: WEITERE FALLSTUDIEN G1. Weltkulturerbestätte Blaenavon: Eine Fallstudie zur Erneuerung durch

Industrieerbe-Tourismus Gemeinsam mit Studie G2 trägt diese Studie zum Verständnis der in Abschnitt 5.6 aufgeführten Schwierigkeiten bei der Nutzung des kulturellen Erbes als Instrument zur Erneuerung bei. Das südwalisische Städtchen Blaenavon (Einwohnerzahl 6000) zählt zu den am besten erhaltenen Beispielen eines gesamten Stadtbilds, einer Landschaft und zugehöriger Artefakte, die im Zuge der industriellen Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Einst war es weltführend in Sachen Technologie und industrielle Innovation. Hier wurden Eisen und Kohle abgebaut und Stahl hergestellt; radikal neue Verfahren wurden hier erdacht und angewandt. Bis zum Jahre 1980 kam die gesamte industrielle Tätigkeit nach und nach zum Erliegen. Blaenavon ist 50 km nordöstlich von Cardiff an der Stirnseite eines Tals gelegen, wo es stürmisch und regnerisch ist und wolkenverhangene Winter keine Seltenheit sind. Seit 1980 ist man im Ort bestrebt, sich den Industrieerbe-Tourismus als Instrument zur Wiederbelebung und Erneuerung zunutze zu machen. Die Industrielandschaft von Blaenavon wurde im November 2000 zum Weltkulturerbe ernannt. Insgesamt zählen zum Standort:

Die Eisenhütte Blaenavon Iron Works, errichtet 1789, damals weltweit eine der größten ihrer Art. Es gibt Ruinenreste von Hochöfen, Brennöfen, Gießereien, einen Ausgleichsturm und mehrere gut erhaltene Arbeiterhäuser. Der Obelisk für Sidney Gilchrist Thomas erinnert an seine zentrale Rolle bei der Entwicklung der modernen Stahlherstellung. Die Eisenhütte wird von der Walisischen Agentur für das Nationale Erbe (CADW) betreut und steht Besuchern von April bis Oktober offen.

„The Big Pit“: eine 90 Meter tiefe Kohlegrube, die als Besucherbergwerk mit geführten Touren unter Tage betrieben wird. Sie verfügt über ein modernes Zentrum zur Pflege des Erbes, eine virtuelle Multimediagalerie, eine Schmiede, einen Laden und eine Kantine. Als Teil des Walisischen Nationalmuseums ist sie das ganze Jahr geöffnet.

Die 1980 stillgelegte Eisenbahnstrecke Pontypool-Blaenavon, die inzwischen ausschließlich von Freiwilligen an Sommerwochenenden betrieben wird. Eigner ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eine gemeinnützige Einrichtung.

Die Stadt Blaenavon mit der imposanten Workmen's Hall und dem Workmen’s Institute, Kirchen, Kapellen und einigen Einzelhandelsgeschäften sowie einem kürzlich eröffneten Café.

Das 2008 eröffnete Weltkulturerbe-Zentrum, in dem man einen Überblick über die hiesige Stätte und deren Geschichte und Gemeinschaft erhält.

Das Alexander-Cordell-Museum, das die Geschichte des Schriftstellers erzählt, der in seinen Bestsellern das Leben im südlichen Wales des 19. Jahrhunderts beschrieb.

Die Anlegestellen und Gewässer des Monmouthshire- und Brecon-Kanals. Mehrere ehemalige Straßenbahnlinien und geneigte Ebenen aus der industriellen

Vergangenheit.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Verschiedene frühere Industrieanlagen auf der Hochmoorebene oberhalb von Blaenavon, zu denen man über mehrere beschilderte öffentliche Fußwege gelangt.

Mit dem Niedergang des Schwerindustriezeitalters ging die Einwohnerzahl Blaenavons von 12 000 im Jahre 1921 auf 6000 im Jahre 2001 zurück. Im Jahre 1997 wurde aus 12 Einrichtungen des öffentlichen Sektors die Blaenavon-Partnerschaft mit dem Ziel gegründet, die Stadt durch den Industrieerbe-Tourismus wiederzubeleben. Der Status „Weltkulturerbe“ wurde 2000 zuerkannt. Die Partnerschaft hat massiv in die Gebäude der Stadt und in Landschaftspflegemaßnahmen investiert. Aus dem Heritage Lottery Fund86 flossen ca. 7 Mio. GBP in die Wiederbelebungsmaßnahmen für Blaenavon, die weiterhin andauern87. Die Partnerschaft koordiniert die Arbeit der 12 Agenturen, organisiert Veranstaltungen und kulturelle Aktivitäten, engagiert sich in der Gemeinde und tauscht sich mit ihr aus. Entstanden sind ein Marketingplan und ein Interpretationsplan, Parkplätze wurden angelegt, rund um die Stadt gibt es jetzt braune Wegweiser für Touristen. Außerdem wurde der Wanderweg „Iron Mountain“ konzipiert und ausgeschildert. Es sei jedoch auf eine Reihe von Problemen verwiesen, die bei der Nutzung des Tourismus als Wiederbelebungsinstrument für das industrielle Erbe entstehen, wovon einige speziell auf Blaenavon zutreffen, die meisten jedoch auch für andere Industriestädte gelten:

Der Begriff eines kleinen Industrieerbe-Reiseziels stellt im Grunde genommen ein Gedankenkonstrukt dar. Es funktioniert nicht nach denselben Marktkriterien wie typische Touristenziele – ein warmes Klima, Baden im Meer, Nachtleben, schicke kulturelle Ereignisse, spektakuläre Landschaft usw.

In Blaenavon gibt es so gut wie keine Übernachtungsmöglichkeiten, das gastronomische Angebot ist dünn gesät, besonders abends.

Nur wenige der früheren Arbeiterwohnhäuser sind groß genug, um Gäste aufzunehmen.

Kaum einer der ehemaligen Industriearbeiter verfügt über die Mittel oder unternehmerische Fähigkeiten und Erfahrung, um touristische Betriebe aufzubauen.

In Blaenavon fließen nur wenige Investitionen des Privatsektors in den Tourismus.

Die einzelnen Kulturerbestätten sind ziemlich weit voneinander entfernt.

Die Kohlegrube „Big Pit“ ist eine Hauptattraktion – kostenlos, interessant, mit guten Parkmöglichkeiten sowie gastronomischen Einrichtungen und Einkaufsmöglichkeiten. Besucher halten sich dort durchschnittlich etwa zweieinhalb Stunden auf. Sie befindet sich etwa 1 km außerhalb der Stadt. Nur 3 % der Besucher von „Big Pit“ besichtigen die Stadt Blaenavon oder einen anderen Standort dieses Weltindustrieerbes.

In die Eisenhütte kommen relativ wenige Besucher (12 000 pro Jahr gegenüber 150 000 in „Big Pit“). Der Eintritt ist hoch und der Interpretationsplan ist ziemlich

86 Siehe: www.hlf.org.uk. 87 Einzelheiten der Bemühungen zur Revitalisierung sind nachzulesen unter: http://www.visitblaenavon.co.uk/en/WorldHeritageSite/WorldHeritageSite/Regeneration.aspx.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

langweilig. Hingegen sind „Big Pit“ und die Eisenbahn viel „aufregender“. Im Winter ist sie geschlossen.

Die Besucher haben keine rechte Vorstellung davon, was eine Welterbestätte ist – 36 % der Besucher von „Big Pit“ wussten nicht, dass sie gerade eine solche aufgesucht hatten. 88 % konnten nicht sagen, ob sie überhaupt schon einmal in einer waren. Siehe 5.1.2.

Die Stätte ist erst nach der Stadtgrenze ausgeschildert. Das ist sowohl auf Kostengründe als auch auf eine ablehnende Haltung des Straßenamts zurückzuführen.

G2. Die Bergarbeiterstädte Belmezuand Peñarroya-Pueblo Nuevo,

Andalusien, Spanien: eine Studie zu risikoscheuer Trägheit Diese Fallstudie bezieht sich auf Forschungsergebnisse der Universität Córdoba zu zwei benachbarten Städten, die sich zur Nutzung ihrer Bergbauvergangenheit als Ressource des industriellen Erbes entschlossen haben. Beide Städte haben ein mittelalterliches Erbe vorzuweisen, zu dem im 19. Jahrhundert ein Kohlebergbauerbe hinzukam. Nach Schließung der Minen sank die Einwohnerzahl von Belmez von 9200 im Jahre 1960 auf 3700 im Jahre 2007. Peñarroya-Pueblo Nuevo ist mit 11 000 Einwohnern größer, aber auch hier hatten 1950 noch 28 000 Menschen gelebt. Beide Städte befinden sich ca. 80 km nordöstlich der Stadt Córdoba, einem wichtigen touristischen Zentrum des regionalen Erbes. Von der Industriearchäologie des Kohlebergbaus ist noch viel erhalten, so z. B. einige besonders schöne hohe Ziegelschornsteine und mehrere Fördermaschinenhäuser. In jeder Stadt gibt es ein Bergbaumuseum. Eine ganze Reihe sehr interessanter früherer Industriegebäude wartet auf Restaurierung und neue Nutzungsmöglichkeiten. Aufgrund eines starken lokalen öffentlichen und privaten Interesses wurde 1995 die Gruppe für ländliche Entwicklung des oberen Guadiato-Tals ins Leben gerufen. Sie setzte sich für die Förderung der Schaffung von Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort ein, um die Zahl der Besucher in dieser Region zu erhöhen, die sich für das Erbe sowie für Jagd- und Sportaktivitäten interessieren. Sie strebt die Restaurierung einer lokalen Eisenbahnlinie an, die als Besucherleitsystem dienen könnte. Die Region befindet sich gemeinsam mit benachbarten Standorten auf der Vorschlagsliste zur Verleihung des UNESCO-Welterbestatus. Der Studie zufolge besteht in der lokalen Bevölkerung und vonseiten der Touristen eine starke potenzielle Unterstützung für das Projektteam. Es war bislang jedoch unmöglich, für das Programm finanzielle Unterstützung oder wirksame politische Hilfe zu erhalten. Man sagt, dass das Konzept des Industrieerbe-Tourismus in Andalusien nicht auf Verständnis stößt, und sowohl die Entfernung zu größeren heimischen Märkten, die zu geringe Zahl von Ferienorten mit internationalem Publikum in der Nähe als auch immanente Risiken lassen das Projekt als undurchführbar erscheinen. Zudem gibt es Konkurrenz in Minas de Rio Tinto in der Nähe von Huelva, die mit einer 22 km langen Dampfeisenbahn und mit Corta Atalaya aufwarten, dem einst größten Tagebau Europas, auch als „Mars auf Erden“ bekannt. Eine Regenerierung durch Industrieerbe-Tourismus ist nicht einfach: ohne Finanzierung, fachlichen Rat und eine starke regionale Tourismusorganisation wohl unmöglich.

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G3. Landtourismus: der Gastgewerbesektor: Konzepte, Merkmale und Leistungsfähigkeit

Diese Studie erweitert die Studie zum Landtourismus unter 5.2.1 Bereitstellung von Unterkünften ohne Serviceangebot Campingplätze: In ihrer einfachsten Form sind Campingplätze eine Unterbringungsart, die wenig Kapital erfordert und wenig Beschäftigung, geringes Einkommen und eine niedrige jährliche Auslastungsquote aufweist. In den vergangenen Jahren ist das „Glamping“ aufgekommen – Glamour- oder Luxuscamping – mit aufgebauten Zelten, Jurten und anderen Zeltarten. Die Belegungszahlen ländlicher Campingplätze sind unterschiedlich, meist liegen sie zwischen 20 und 60 %, je nach Ausstattung und Lage. Aus ökologischer Sicht ist ein wichtiges Merkmal von Campingplätzen deren vorübergehender Charakter. Auch ist es möglich, die Bereitstellung von Campinggelegenheiten mit Landwirtschaft zu verknüpfen. Vor der Urlaubssaison lassen sich heu-/silierfähige Produkte anbauen, danach kann der Standort wieder als Weideland dienen. Standorte für Wohnwagen/Wohnmobile: Diese Dienstleistung war früher sehr einfach gehalten, nimmt jedoch mittlerweile an Umfang und Leistungsqualität immer mehr zu. Wohnwagenplätze lassen sich in Standorte für stationäre und mobile Wohnwagen unterscheiden. Auf Plätzen für stationäre Wohnwagen (Dauercamper) ist die Verweildauer meist höher. Freizeitfahrzeuge oder Reisemobile erweitern das Wohnmobilkonzept. Plätze für Wohnmobile werden häufig, jedoch nicht immer, mit Campingplätzen für Zelter angeboten. Die Auslastungsquote liegt mit 25-65 % in einem ähnlichen Bereich wie die von Campingplätzen. Große Wohnmobilstandplätze werden wegen ihrer Sichtbelästigung häufig als bedenklich empfunden. Camping-Scheunen/Steinzelte: Das Konzept der Camping-Scheunen oder Steinzelte ist noch verhältnismäßig neu. Es ist vor allem im Vereinigten Königreich und in einigen Alpenländern als Ergebnis von Veränderungen in der Landwirtschaft entstanden, wonach weniger Stein- oder Ziegelgebäude für Winterfutter und andere Zwecke gebraucht werden. Da sie meist zu leicht gebaut sind, um in dauerhaft nutzbaren Wohnraum umgewandelt werden zu können, lassen sich diese Gebäude mit geringem Aufwand und wenig baulichen Veränderungen zu einfachen Touristenherbergen umwandeln. Vor allem auf Gruppen junger Leute und Familien üben sie eine große Anziehungskraft aus. Die Gäste bringen ihre eigenen Schlafsäcke und Kochutensilien mit. Kaltes Wasser und Sanitäreinrichtungen stehen zur Verfügung. Das mit Camping-Scheunen erzielte Einkommen ist niedrig, dafür sind sie nicht kapital- und arbeitsintensiv. Die Auslastungsquote ist standortabhängig und liegt zwischen 30 % und 55 %. Steinzelten kommt eine wichtige kulturbewahrende Funktion zu. Traditionelle Gebäude werden als Elemente der Landschaft bewahrt: Ohne den Tourismus würden sie zerstört oder verfallen. Heu-/Strohscheunen/„Schlafen im Heu“: Eine interessante Variante der Camping-Scheune hat sich in Süddeutschland, Frankreich und der Schweiz herausgebildet. Gäste übernachten in Scheunen, die genutzt werden, und in denen Heu gelagert wird. Diese günstige Art zu übernachten ist „romantisch“, traditionsreich und natürlich. Das erzielte Einkommen ist niedrig und die Saison für Heuübernachtungen sehr kurz, doch auch die Investitionskosten sind niedrig. Es herrscht absolutes Rauchverbot, und Rauchdetektoren sind lebensnotwendig. Viele Bauernhöfe bieten auch Frühstück und Gemeinschaftswasch- und -toilettenräume an.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Unterkünfte für Selbstversorger – Neubauten: Selbstversorgerunterkünfte sind weltweit auf dem Vormarsch, und zwar aus mehreren Gründen. Sie bieten ihren Gästen ein Maximum an Privatsphäre bei gleichzeitig geringer Beeinträchtigung der Unterkunftsbesitzer. Größere Familien oder Gruppen können hier günstig Urlaub machen. Für ihre Besitzer bieten Unterkünfte mit Selbstversorgung eine Vermögensanlage ohne die Probleme, die längerfristige Mietverträge mit sich bringen können. In etablierten touristischen Gegenden auf dem Lande ist oftmals die Marktnachfrage groß genug, um eine neue Unterkunft für Selbstversorger zu errichten, häufig auf vorhandenem Gelände von Bauernhöfen. Deubzer (1992) gibt Gestaltungsanregungen. An einem guten Standort lassen sich Auslastungsquoten von 75-80 % erzielen. Unterkünfte für Selbstversorger - Umbauten: Die typische Unterkunft für Selbstversorger ist üblicherweise ein umgebautes Wohnhaus oder Hofgebäude. Für Umbauten sind Architekturkenntnisse und gestalterisches Geschick erforderlich, aber auch die Kenntnis der Anforderungen des Marktes: Deubzer (1992) bietet Beratung. Gelungene Umbauten an guten Standorten können hohe Einkünfte bringen; es lassen sich in weiten Teilen Europas Belegungsquoten bis zu 75-80 % erzielen. So wie die Steinbaracken dienen umgebaute Gebäude der Erhaltung des ländlichen Bauerbes. Spezialgebäude mit Selbstversorgung: Eine wichtige Marktnische bei der Selbstversorgung stellen besondere Objekte mit ungewöhnlichem Gebäudeschnitt dar: Beispiele sind frühere Bahnhöfe, Wind- oder Wassermühlen, Gefängnisse oder Schlösser. Wichtigster Akteur auf dem europäischen Markt ist der Landmark Trust, eine gemeinnützige Stiftung mit über 190 Objekten in Großbritannien, Frankreich und Italien88. Bei optimaler Vermarktung lassen sich hohe Belegungsquoten erzielen: in manchen Fällen mehr als 90 %. Teilzeitnutzung: Ursprünglich in Frankreich entwickelt, aber in den USA in den 1980er-Jahren weiterentwickelt. Sie breitet sich nun langsam in Europa aus. Meist wird dieses Konzept auf größere alte Objekte angewandt, die in mehrere Teile umgewandelt werden: ein Lagerhaus, ein Herrenhaus oder Militärbaracken. Die Einheiten werden für einen begrenzten Zeitraum veräußert (beispielsweise 30 Jahre). Die Eigentümer erwerben das Recht, das Objekt für eine bestimmte Woche oder mehrere Wochen jährlich zu nutzen. Von jedem Teilzeitnutzer wird eine jährliche Wartungsgebühr zur Objekterhaltung erhoben. Die Teilzeitnutzung kann für einige Arten großer Objekte und Anwesen im ländlichen Raum ein nützliches Konzept sein. Bereitstellung von Unterkünften mit Serviceangebot Unterkünfte mit Serviceangebot – Übernachtungsmöglichkeit, Mahlzeiten, persönliche Betreuung und Serviceleistungen – ist die am längsten etablierte Unterbringungsform im ländlichen Raum. Sie ist in den vergangenen Jahren wegen des Marktfokus auf dem servicefreien Sektor nur langsam gewachsen. Unterkünfte mit Serviceangebot bringen einen intensiven Kontakt zwischen Gästen und Gastgebern mit sich, was für manche familiengeführte Unternehmen und auch manche Gäste ein Problem sein kann. Gleichzeitig können sie jedoch den Horizont der Gastgeber erweitern, die Abgeschiedenheit des Landlebens mildern und viele Stunden interessanter Gespräche bringen. Die Gäste genießen den persönlichen Kontakt und Unterhaltungen mit Einheimischen. Persönlicher Kontakt wird regelmäßig als Hauptgrund dafür angegeben, warum viele Gäste sich für Urlaub auf dem Land entscheiden (English Tourist Board, 1987).

88 www.landmarktrust.co.uk.

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„Bed and Breakfast“ (Übernachtung mit Frühstück; „Zimmer frei“): In weiten Teilen des ländlichen Europas werden traditionell Übernachtungen mit Frühstück angeboten – Bed and Breakfast im englischsprachigen Raum, Chambre d’Hôte im französischsprachigen – eine kleine Möglichkeit, Reisenden auf dem Lande Gastfreundschaft anzubieten. Die Größe dieser Betriebe bewegt sich üblicherweise zwischen 2 und 10 Betten. Die Ausstattung der Zimmer mit Bad und WC wird immer mehr zum Standard. Der Schnitt des Hauses ist wichtig, um der Familie und ihren Gästen genügend Abstand und Privatsphäre zu ermöglichen. Von entscheidender Bedeutung kann die Einstellung der Familie zum andauernden Strom der Gäste sein. Für den Erfolg des Betriebs ebenso bedeutend ist das Geschick der Gastgeber – meist der Hausherrin – im Kochen, Inneneinrichten und Begrüßen von Gästen. Die Kapitalkosten sind gering. Das mit dem Angebot von Übernachtungen mit Frühstück erzielte Einkommen ist selten hoch: Es bewegt sich typischerweise bei gerade einmal 10-15 000 EUR im Jahr. Es verschafft den Gastgeberinnen jedoch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit, man kann damit Renovierungsarbeiten, ein Auto oder die Ausbildung der Kinder bezahlen usw. Diese Tätigkeit lässt sich ausüben, wenn die Kinder der Familie klein sind, und man ist nicht auf Verkehrsmittel vom Haus weg angewiesen. Die Belegung kann stark zwischen 25 % und 70 % schwanken: Einige Besitzer entscheiden sich ganz bewusst aus familiären und persönlichen Gründen dafür, ihren Betrieb nicht das ganze Jahr zu öffnen. Einige Häuser bieten optional Halbpension an: Diese Praxis ist im Rückgang begriffen. Bed and Breakfast auf dem Bauernhof: Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Bauernhof bilden eine Untergruppe im Sektor Übernachtungen mit Frühstück. Bauernhöfe können für bestimmte Kundengruppen attraktiv sein, die das bäuerliche Leben aus erster Hand erleben möchten. Anbieter von Übernachtungen auf Bauernhöfen müssen sich diese zusätzliche Marktnische zunutze machen, wo immer es geht. Deubzer (1992) gibt zahlreiche praktische Tipps. Hostels/Gruppenübernachtungen: Hostels bzw. Herbergen sind eine weitere traditionelle Möglichkeit zur Beherbergung von Gästen auf dem Lande. Die traditionelle Herberge gehörte üblicherweise einer nationalen Herbergsorganisation an, war besonders preisgünstig und spartanisch, und eher mit Gemeinschaftsschlafräumen als mit Einzel- bzw. Doppelzimmern ausgestattet. Die Verpflegung war einfach, es gab wenig Auswahl. Mittlerweile bewegt sich der Trend in Europa hin zu verbesserten Standards. Die Kosten bewegen sich inzwischen im unteren bis mittleren Bereich, und nicht alle Herbergen oder Hostels sind Mitglieder einer traditionellen nationalen Organisation: Es gibt zahlreiche neue „private“ Hostelvereinigungen. Hostels sind zwar keine großen Arbeitgeber oder größere Profitcenter, aber sie verfügen über konstante Besucherzahlen und bieten feste Arbeitsplätze, wenn sie ihre Unterbringungsmöglichkeiten und ihr Marketing verbessern. Die Auslastung liegt im Allgemeinen bei 50 bis 70 %. Pensionen: Die Pension („Guest House“ im englischsprachigen Raum) ist eine traditionelle Unterbringungsform in vielen Ländern. Es stellt einen Kompromiss zwischen der kleinen Größe und den beschränkten Möglichkeiten eines Bed and Breakfast und der Vollausstattung eines Hotels dar. Es bietet u. a. eine Gästelounge oder Halbpension an, diese Möglichkeiten stehen jedoch nur den eigenen Gästen offen. Es gibt auch keine öffentliche Bar. Pensionen verfügen meist über 10-30 Betten. Die Auslastungsquoten bewegen sich meist zwischen 45 und 60 %.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Hotels: Dem traditionellen Land- oder Provinzhotel kommt weltweit ein zentraler Platz im ländlichen Erbe zu. Mit seinen Bars, Speise- und Veranstaltungsräumen ist es häufig eine lokale Institution. Viele Landhotels erleben ein Revival, da sie sich auf ihren Status als Teil des Erbes berufen, Geschäftskonferenzen zunehmen und das Geschäft in der Nebensaison dank Wochenendtrips und -veranstaltungen zunimmt. Das Angebot bereichern neue Boutique-Hotels und andere Spezialitätenhotels. Diese haben sich beispielsweise auf Gastronomie, Bioprodukte, Wanderer, Vogelkundler usw. spezialisiert und bieten einschlägige Einrichtungen, Serviceleistungen und entsprechendes Marketing an. Die Auslastung von Landhotels bewegt sich im unteren Bereich bei 35-50 % und im oberen Bereich bei bis zu 80 %. Einige Landhotels stehen in Konkurrenz mit Hotelketten – insbesondere in Frankreich und an großen Fernstraßen. Nachhaltigkeit sollte ein Merkmal aller Aktivitäten des ländlichen Tourismus sein: Unterkünfte sind hiervon nicht ausgenommen. Alle Unterkunftsmöglichkeiten auf dem Lande sollten verstärkten Gebrauch von Recycling und umweltfreundlichen Bautechniken und Geschäftspraktiken machen. Die großen Hotelketten sind in diesem Bereich bereits weit voraus: vgl. beispielsweise Bohdanowicz, 2011. Das klassische Beispiel für ein umweltfreundliches Übernachtungsangebot im ländlichen Raum ist das Hotel Ucliva in Waltensburg im schweizerischen Graubünden. Dieses 1983 erbaute 70-Betten-Hotel wurde aus energieeffizienten, umweltfreundlichen Materialien errichtet, hat sich auf hausgemachte Speisen aus biologischer bzw. halbbiologischer lokaler Erzeugung spezialisiert, offeriert seinen Gästen eine Reihe von Aktivitäten, die die Umwelt nicht belasten, und bietet beispielhafte Beschäftigungsbedingungen unter Einbeziehung der lokalen Ebene89. G4. Lifestyle-Unternehmer: Studien zu Unterkünften auf dem Lande in

Spanien und Schweden In diesem Abschnitt wird die Abhandlung zu Lifestyle-Unternehmern in Abschnitt 5.2 zum Landtourismus mit einigen Beispielen konkretisiert. Flinn (1982) beschrieb in seiner Abhandlung zu den ländlichen Gebieten der USA das Aufkommen eines neuen Typs ländlicher Bewohner, die von der Großstadt aufs Land zogen, da sie das ländliche Leben bevorzugten. Er führt drei verschiedene Arten ländlicher Gesellschaft an:

1. Kleinstadtgesellschaft, eng vernetzt, von der Demokratie fest überzeugt, häufig jedoch nicht sehr naturverbunden.

2. Agrargesellschaft, auf der Grundlage bäuerlicher Familienbetriebe und dem Leben auf dem Bauernhof sowie im Einklang mit dem Lauf der Jahreszeiten.

3. Landbewohner („Ruralisten“), die außerhalb von Städten leben, aber keine Landwirtschaft betreiben: Einzelpersonen, die die freie Natur, weite Flächen und eine „natürliche Ordnung“ schätzen.

Flinn beschrieb diese Sorte Landbewohner in den 1990er-Jahren. Später wurden sie als Lifestyle-Unternehmer bezeichnet (vgl. Ateljevic & Doorne, 2000). Lifestyle-Unternehmer, deren Zahl beständig wächst, sind zu wichtigen Akteuren in der Entwicklung des Landtourismus geworden. Wichtig sind sie aus mehreren Gründen. Sie verstehen urbane Märkte; sie verfügen über neuartige Fertigkeiten; sie bringen neue Netzwerke; sie bringen zusätzliches Kapital mit; sie stehen für Zuversicht. 89 Vgl. www.ucliva.ch.

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Nachfolgend werden zwei Fälle beschrieben, in denen Lifestyle-Unternehmer neue Unternehmen entwickelt haben: Hotel Torre del Visco, Valderrobres, Provinz Teruel, Spanien Dieses Unternehmen befindet sich 12 km von Valderrobres (Einwohnerzahl 1980) entfernt in der Provinz Teruel in der nordspanischen Region Aragón. Valderrobres liegt etwa 250 km von Barcelona und 170 km von Saragossa entfernt. Der Standort ist 620 m über dem Meeresspiegel gelegen und bietet eine gute Aussicht auf Felder, Wälder und Gebirge. Teruel zählt zu den ärmsten Provinzen Spaniens und weist nur wenig Tourismus auf. Lifestyle-Unternehmer, in diesem Fall aus Madrid, ehemalige Verleger, erwarben einen halbverfallenen Bauernhof mit einem Herrenhaus aus dem 15. Jahrhundert und errichteten ein hochwertiges Boutique-Hotel und Restaurant. Es gibt 11 Zimmer und 3 Suiten; 28 Gäste können nach höchsten europäischen Landhausstandards in individuell eingerichteten Zimmern mit Bad und WC untergebracht werden, es gibt zahlreiche Lounges und Sitzecken, eine Bar und ein ausgezeichnetes gastronomisches Angebot. Es gibt offene Kamine und einen Flügel. Alle Mahlzeiten werden in den hauseigenen Küchen zubereitet, wo, soweit möglich, Erzeugnisse vom eigenen Hof und seinen Gärten verarbeitet werden. Der Ausbau erfolgte in den späten 1990ern; im Komplex sind neben den Eigentümern 10 Angestellte beschäftigt. Acht Beschäftigte arbeiten im Hotel, zwei auf dem Bauernhof. Das Unternehmen hat sich auf Mittelklasse-Firmenkunden spezialisiert und bietet insbesondere lange Wochenenden an. In den nahe gelegenen Bergen kann man wandern, es stehen Mountainbikes zur Verfügung, ferner werden geführte Wanderungen, Reit- und Jagdausflüge angeboten. Auf dem Hotelgelände wird für einen äußerst ruhigen und entspannenden Aufenthalt gesorgt. Dieses Hotel zeigt, dass motivierte und findige Lifestyle-Unternehmer einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung des Landtourismus leisten können, selbst in touristisch kaum erschlossenen, abgelegenen Gegenden. Zu den Schlüsselelementen für seinen Erfolg zählen:

Eigentümer mit Hochschulbildung, Sprachkenntnissen und Geschäftserfahrung – nicht jedoch in Tourismus oder Gastgewerbe.

Kenntnis des Qualitätsmarkts sowie Wissen über Marktnischen und Marketing.

Ein langfristiger Ansatz, der keines sofortigen finanziellen Erfolgs bedarf.

Beide Eigentümer waren Mitte vierzig, als sie ihren neuen beruflichen Weg beschritten.

Sie verfügten über Erfahrung mit dem beträchtlichen bürokratischen Aufwand rund um die Gründung von Kleinunternehmen in Spanien. Bei der Befragung gaben sie an, dass die staatliche Bürokratie ein Hemmnis darstellte und die Förderung in Höhe von 10 % der Kapitalkosten aus dem EU-LEADER-Projekt nur mit großer Verzögerung ausgezahlt wurde.

Beide Besitzer interessieren sich sehr für hochwertiges Design, gutes Essen und Wein und kennen sich damit aus.

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Das Hotel kooperiert mit einigen Reiseagenturen für den gehobenen Anspruch. Auf der Website des Hotels90 kann man rund um die Uhr online Buchungen vornehmen. Ein kleiner Bauernhof in Schweden bietet Touristen Übernachtungen und mehr Dieser Bauernhof befindet sich auf der Ostseeinsel Öland und ist mit der Stadt Kalmar durch eine 6 km lange Brücke verbunden. Der kleine Bauernhof umfasst 16 Hektar, ursprünglich wurden hier Ackerfrüchte angebaut und Schweine und Schafe gezüchtet. Ein Eigentümerwechsel 1988 brachte auch einen Wechsel zum Anbau speziellerer Kulturen – darunter Spargel, Knoblauch und Kräuter. Später kam eine Frühstückspension hinzu. Dieser Bauernhof ist ein klassischer kleiner Hof in einer wunderschönen, jedoch etwas abgelegenen Gegend: Es ist die Art von Betrieb, die mit dem Mansholt-Plan abgeschafft werden sollte. Ein neuer Besitzer aus der Stadt Malmö, mit akademischem Hintergrund, jedoch ohne landwirtschaftliche Kenntnisse, erwarb den Hof im Jahre 2008. Er hat einen gänzlich anderen – aber ebenso „lehrbuchhaften“ – Ansatz als das soeben beschriebene Beispiel der Spanier gewählt. Er erweiterte das Übernachtungsangebot, indem er drei neue Sommerhäuser errichtete und die ursprüngliche Kapazität auf insgesamt 60 Betten erhöhte. Die meisten Zimmer sind preiswert, sie sind mit Gemeinschaftswaschräumen ausgestattet. Der Bauernhof ist als Hostel eingestuft. Neben einem neuen Café/Restaurant wurde ein Hofladen eröffnet, um den Direktverkauf von Gemüse, Kräutern und Fleisch des kleinen auf dem Hof gehaltenen Bestands an Schweinen (12) und Schafen (20) zu ermöglichen. Das Fleisch wird vor Ort zu Wurst verarbeitet und aus dem heimischen Obst wird Marmelade gekocht. Die Erzeugung ist mittlerweile biologisch. Es werden Fahrräder vermietet, und zwei Pferde wurden angeschafft, um Reitausflüge anbieten zu können. Die Werbung erfolgt über Mundpropaganda, eine Website sowie über die Angebote von bookings.com und Svenska Turistföreningan – dem schwedischen Jugendherbergsverband. Es gibt keinerlei schriftliche Werbung. Den Gästen gefällt dieser einfache Tourismus, den sie mit 4,3 Punkten auf einer Bewertungsskala von 1 bis 5 bewerten. Der Bauernhof gehört keiner lokalen oder regionalen Tourismusvereinigung an, da sie nicht als effektiv oder professionell angesehen werden. Auf dem Hof ist eine Person fest beschäftigt, dazu kommen vier Beschäftigte für die sechs Monate im Jahr, in denen die Unterkunft geöffnet ist, plus ein oder zwei „Wwoofer“ (WWOOF – World Wide Opportunities on Organic Farms: living, learning, sharing organic life styles91; McIntosh & Bannermann, 2006). Der Gesamtumsatz bewegt sich mittlerweile bei etwa 250 000 EUR. Die geringe Ertragskraft stellt ein Problem dar. Teilweise ist dies auf die sehr kurze Saison für den Landtourismus in Schweden zurückzuführen, insbesondere an Standorten, an denen kein Schneetourismus möglich ist. Um die finanzielle Lage zu verbessern, erwägt der Besitzer, den landwirtschaftlichen Teil des Unternehmens zu verkaufen und den Ertrag in eine bessere Ausstattung der Unterkünfte sowie in Ökoenergie zu investieren, das

90 http://www.torredelvisco.com. 91 www.wwoof.org.

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Restaurant/Café als Einzelunternehmen zu etablieren und eine Öko-Kunstgalerie zu eröffnen, die sich auf Windskulpturen spezialisiert. Verwaltung und Buchführung werden als zeitintensive/unproduktive Aktivität angesehen – ein konkretes Problem ist die gesetzliche Anforderung in Schweden, vierwöchentlich die detaillierte Angaben über sämtliche Arbeitsstunden des Personals, die geleisteten Zahlungen usw. zu erfassen. Bankkredite sind kaum zu bekommen, da der ländliche Tourismus nicht als rentables Geschäft angesehen wird, und die Zinsen sind hoch. G5. Gastro-Tourismus: eine Fallstudie über zwei dänische Nationalparks Im Tourismus werden auch gastronomische Erlebnisse immer stärker nachgefragt, da die Besucher neue Erfahrungen mit frischen und authentischen Nahrungsmitteln machen möchten (Boniface, 2003). Vieles davon hat zur Entwicklung des Landtourismus im Allgemeinen und zur Diversifizierung der landwirtschaftlichen Betriebe im Besonderen beigetragen, wobei traditionelle Nahrungsmittel besonders bevorzugt werden (Sims, 2009). In Wales ergab eine Besucherbefragung im Nationalpark Brecon Beacons, dass 81 % der Gäste lokale Nahrungsmittelerzeugnisse probieren wollten 92 . Hofläden, Bauernhöfe zum Selberernten, Hof- und Dorfrestaurants sowie der Direktverkauf von Nahrungsmitteln auf Höfen haben alle davon profitiert. Das Kaufen und Verzehren von Lebensmittelspezialitäten ist Teil eines modernen Lifestyles (Germov & Williams, 2009); Nahrung stellt einen zentralen Bestandteil der Freizeitaktivitäten und gesellschaftlichen Ereignisse für die gebildete Mittelschicht dar. Sims (2009) stellte fest, dass vielen lokalen Lebensmittelerzeugnissen Kultstatus zukommt: Sie stieß auch auf Verbindungen zur Slow-Food-Bewegung. Reisen aufs Land sind häufig durch die Suche nach ländlichen Lebensmitteln motiviert, wobei das Vergnügen im Erwerb, im Erleben des Umfelds und der Tradition sowie der mit den Erzeugnissen verknüpften Herstellungsgeschichten erzeugt wird. Beispiele sind Kleinbrauereien, Salzwerke, Käsereien, Speiseeishersteller, Süßwarenhersteller, Marmeladenfabriken und Bäckereien, in denen die Besucher vor dem Kauf die Nahrungsmittel sehen, riechen, schmecken und fühlen sowie mehr über sie erfahren können (Tellström et al. 2006). Hjalager & Johansen (im Druck) untersuchten die Vorhaben von Bauern in den dänischen Nationalparks Skjern Ådal und Mols Bjerge in insgesamt 126 auswertbaren Interviews; 81 % waren an der Diversifizierung ihrer Agrarproduktion interessiert, 74 % glaubten, dass die Besucher sich Veranstaltungen im direkten Zusammenhang mit Nahrungsmitteln wünschten, 88 % waren der Ansicht, dass die Nahrungsmittelerzeugung besser vermittelt werden sollte, während 46 % für mehr ländliche Cafés und Restaurants plädierten. Etwa 60 % erwogen Entwicklungen in Richtung Gastro-Tourismus, waren an Schulungs- und Informationsmöglichkeiten interessiert und würden in Partnerschaften arbeiten, um solche Unternehmen aufzubauen. Knowd (2006) gibt eine nützliche Übersicht darüber, wie eine Gastrotourismus-Partnerschaft funktioniert.

92 www.peakdistrict.gov.uk.

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G6. Zwei Beispiele zu nationalem Land-/Agrotourismus von neuen EU-Mitgliedern

Der lettische Landtourismusverband: eine nationale Fallstudie93.  

Der Lettische Landtourismusverband wurde zwischen 1991 und 1993 als Reaktion auf die tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Veränderungen zu jener Zeit in Ost- und Mitteleuropa gegründet. Er versammelte einige Gleichgesinnte mit Erfahrungen in ländlichem Tourismus, die sie mit Unterstützung von nach Kanada und die USA ausgewanderten Landsleuten gesammelt hatten. Unterstützt wurden sie von Unto Palminkoski von Lomarengas (Finnlands Landtourismus-Organisation), Paul Richardson von Icelandic Country Holidays und Klaus Ehrlich von EuroGites. Es ist eine NRO mit einer Handelssparte und finanziert sich größtenteils aus den Beiträgen seiner 300 Mitglieder und seinen inzwischen weitreichenden Handelsaktivitäten. Die Organisation beschränkt sich nicht auf den Agrotourismus, sondern deckt die ganze Bandbreite touristischer Aktivitäten auf dem Lande ab. Zu ihrem Angebot zählen:

Zusammenstellung individueller Pakete für Gruppen- und Einzelreisende. Reservierung von Übernachtungen und zugehörigen Dienstleistungen: Hotels,

Pensionen, Landgüter, Selbstverpflegung oder Bauernhöfe. Buchung von Fremdenführern und Reiseleitern. Vermietung von Autos, Bussen, Fahrrädern und Booten. Gepäcktransfer zwischen den Unterkünften. Veröffentlichungen, professionelle Landkarten und Wegbeschreibungen. Beförderung von Gruppen.

Ferner bietet die Organisation Projektarbeit und Beratungen an, wodurch ein Jahresumsatz in Höhe von 400 000 EUR erzielt wird. Es gibt 9 Vollzeit- und 3 Teilzeitstellen. Die Beratungstätigkeit des Verbands und die Art und Weise, wie er die Ergebnisse allen Besuchern seiner Website zur Verfügung stellt, sind sehr positiv zu würdigen. In Zusammenarbeit mit ECEAT und der EUROPARC Consulting GmbH am EU Life+-Project POLPROP-NATURA (LIFE07 ENV/LV/000981) im Nationalpark Slītere wurden zahlreiche wertvolle Materialien erarbeitet, die sich nicht nur in Lettland, sondern weltweit nutzen lassen94. Zusätzlich zu den vorstehend genannten Aktivitäten bietet der Verband neben seiner Website 95 zahlreiche Werbeaktivitäten, Schulungen, Beratung, Qualitätskontrollen und Veröffentlichungen an. Es bestehen regelmäßige und positive Kontakte zu Wissenschaftlern, lettischen Ministerien und Regierungsagenturen, zu anderen nationalen Landtourismusorganisationen in Europa sowie zu EuroGites. Für die Zukunft wurden zwei Probleme genannt:

1. Sie sind auf mehr Touristen angewiesen – Lettland ist relativ abgelegen und hat nur einen kleinen inländischen Markt.

2. Sie leiden unter Billiganbietern im Internet, die potenzielle Mitglieder abschöpfen. Der Verband vertritt vehement einen ganzheitlichen Ansatz zur ländlichen Entwicklung und setzt sich für bessere Qualität und Nachhaltigkeit ein: Der Preiswettbewerb kommt von Internetagenturen, die nicht diese langfristigen Ansätze verfolgen.

93 Asnate Ziemele, Vorstand der Organisation, trug zur Entwicklung dieser Studie bei. 94 http://www.celotajs.lv/cont/prof/proj/PolProp/PolProp_results_en.html. 95 http://www.celotajs.lv.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

96 Der Verband der Urlaubsbauernhöfe in Slowenien Dieser Verband wurde 1997 gegründet. Ihm gehören 398 Urlaubsbauernhöfe in ganz Slowenien mit ca. 2200 Betten und 11000 Sitzplätzen für Restaurantgäste an. Er wurde nach dem Konkurs der führenden Reiseagentur für Urlaubsbauernhöfe, Vas, gegründet. Vertreter von Bauernhöfen ersuchten die Landwirtschaftliche Beratungsstelle Sloweniens um Unterstützung und gründeten mit kompetenter Hilfe des österreichischen Verbands „Urlaub am Bauernhof“ ihren eigenen Verband. Seit 1997 sind die Belegungszahlen um 50 % gestiegen. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen: Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen, darunter die Website www.farmtourism.si.

Die Vernetzung von Urlaubsbauernhöfen.

Interessenvertretung der Mitglieder und aller Urlaubsbauernhöfe in Slowenien.

Versorgung der Mitglieder mit Informationen und neuesten Erkenntnissen.

Organisation von Schulungen.

Unterstützung bei qualitativen Verbesserungen, die derzeit anhand einer „4-Äpfel“-Skala bewertet werden, welche an die österreichische „4-Blumen“-Skala für Urlaubsbauernhöfe angelehnt ist.

Projekte zu den Themen Qualitätsentwicklung, Werbekooperation, Sprachkenntnisse usw.

Der Verband finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen sowie aus Projektmitteln vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt. Der Grundbeitrag für Mitglieder beträgt 50 EUR pro Jahr und 100 EUR für diejenigen, die auf den beiden mehrsprachigen Webportalen vertreten sind 97 : Es ist eine gemeinnützige Organisation. Das Gesamteinkommen im Jahre 2011 betrug 77 040 EUR. Nur Bauernhöfe dürfen Mitglieder sein. Der Verband beschäftigt sieben von der Landwirtschaftsberatungsstelle bezahlte Fachberater. Er verfügt über gute Kontakte zu Hochschulforschern und arbeitet eng mit der slowenischen Tourismusbehörde, dem Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Nahrungsmittel, dem Wirtschaftsministerium und den regionalen Land- und Forstwirtschaftsinstituten zusammen. Die slowenische Tourismusbehörde bietet besonders viel Unterstützung und trägt 50 % der Herstellungskosten der Werbekataloge. Weitere Verbindungen bestehen zu Land-/Agrotourismusvereinigungen in Österreich, Italien, im Vereinigten Königreich, in Lettland sowie zu EuroGites. Der Verband hat mit konkurrierenden Billigvermarktern im Internet zu kämpfen. Künftige Hoffnungen werden u. a. auf eine bessere Marktforschung zu den Erwartungen der Verbraucher, mehr Werbeaktivitäten, darunter Studienreisen für Journalisten, mehr Presseveröffentlichungen und neue Kanäle zur Gewinnung von Kunden gesetzt. Hierfür würden jeweils zusätzliche Mittel gebraucht. Ein wichtiges Ziel stellt die Erhöhung der Auslastungsquoten von derzeit 75 Tagen im Jahr auf 90 Tage dar. Der inländische Markt in Slowenien ist genau wie in Lettland nicht sehr groß; 55 % der Gäste kommen aus Slowenien, 15 % aus Deutschland, 12 % aus Italien und 10 % aus Kroatien.

96 Diese Fallstudie wurde unterstützt von Vesna Čuček, dem Leiter der landwirtschaftlichen Beratungsstelle des

Land- und Forstwirtschaftlichen Instituts in Celje (Slowenien). 97 www.farmtourism.si, www.slovenia.info/touristfarms.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

ANHANG H: EINIGE HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN Ist der Tourismus für spezielle Interessengruppen in Europa etwas Besonderes? In vielerlei Hinsicht ja; in Europa ist nicht nur der weltweit größte internationale Tourismusmarkt zu Hause (zum Teil wegen seiner zahlreichen Ländergrenzen), sondern hier gibt es auch das weltgrößte Angebot an Landtourismus und Industrieerbe-Tourismus. Diese führende Rolle ist größtenteils auf die Geografie Europas, seine Landschaftsgeschichte und die frühe industrielle Entwicklung zurückzuführen. Die komplexen geografischen und geologischen Gegebenheiten bieten eine äußerst vielgestaltige Basis für viele verschiedene Landschaften auf einer relativ kleinen Landmasse. Seine politische Aufteilung und die historischen Umstände haben in einigen Landstrichen die Entstehung sehr vieler kleiner Bauernhöfe begünstigt und zur Entwicklung des ländlichen Tourismus beigetragen. Kleine Bauernhöfe entscheiden sich aus wirtschaftlichen Gründen eher als große, wirtschaftlich rentablere Höfe für eine touristische Ausrichtung. Die frühe Industrialisierung Europas hat zur Entstehung zahlreicher Standorte des industriellen Erbes geführt. Im 18. Jahrhundert setzte ein intensiver Kanalbau ein, insbesondere im Vereinigten Königreich. Das Eisenbahnnetz, das zu großen Teilen im 19. Jahrhundert angelegt wurde, zählt zu den dichtesten der Welt. Von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Kohlebergbau und die Eisen-, Stahl und Textilproduktion weitverbreitet: Ein großer Teil dieser Infrastruktur wird nun nicht mehr gebraucht, stellt jedoch ein wertvolles Erbe dar, auch für den Tourismus. Für nicht aus Europa stammende Besucher wird nur wenig unternommen, um sie für Reisen nach Europa zu gewinnen und ihnen den Landtourismus oder den Industrieerbe-Tourismus nahezubringen. Regionale Agenturen kommen oft nicht auf die Idee, sich auch auf nicht-europäische Märkte zu begeben; nationale Agenturen konzentrieren sich eher auf gut bekannte Wahrzeichen mit Kultstatus. Wie sieht es mit der Nachhaltigkeit des Industrieerbe-Tourismus und des Landtourismus aus? Es wird häufig behauptet, dass beide Formen zum nachhaltigen Tourismus zählen. Man kann dafür plädieren, dass beide sowohl industrielle als auch landwirtschaftliche Güter wiederaufleben lassen und sie für touristische Zwecke benutzen, somit nachhaltige Arbeitsplätze und lokale Gemeinschaften schaffen und erhalten. Nachhaltiger Tourismus ist jedoch ein viel schwierigeres Unterfangen. Viel hängt von den Details und den Langzeitauswirkungen ab. Zu den Details zählen die Art der Anreise zu den Zielorten und die zurückgelegten Strecken. Weitere Fragen betreffen die lokale Eigenverantwortung und insbesondere, wie viele Ausgaben für den Tourismus zu mitunter weit entfernten Lieferanten abfließen, besonders für den Erwerb von Nahrungsmitteln, Getränken und Souvenirs. Von allergrößter Bedeutung sind die Gefahren langfristiger nachteiliger Veränderungen an der natürlichen Umgebung oder an bestimmten Ökosystemen, am Charakter der Zielorte und deren vorhandener Umgebung sowie durch mögliche Verluste des lokalen Kulturerbes durch den Einfluss des Tourismus.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

Barbieri (im Druck) beobachtete in den USA 873 Landwirtschaftsbetrieben mit diversifizierter unternehmerischer Ausrichtung und gelangte zu der Feststellung, dass Betriebe mit einem landwirtschaftlich-touristischen Ansatz mehr zu Nachhaltigkeit beitrugen als ihre Konkurrenten, da sie einen hohen Umweltnutzen und vielfältige soziokulturelle und wirtschaftliche Vorteile für die Betriebe, Haushalte und die Gesellschaft brachten. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Agrotourismus im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Betrieben erfolgreicher bei der Erzielung höherer Erträge, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Erhaltung des natürlichen und kulturellen Erbes ist. So befanden sich 52,4 % der Betriebe mit agrotouristischer Ausrichtung seit mindestens zwei Generationen in der Hand derselben Familie, und 73,3 % haben vor, den Betrieb an ihre Kinder zu vererben. Diese Zahlen liegen viel höher als für andere Arten landwirtschaftlicher Betriebe. Aus den Ergebnissen geht allerdings auch hervor, dass viele Agrotourismus-Betriebe zwar integrierten Pflanzenschutz praktizieren, sich aber auch stärker anderen umweltfreundlichen und Erhaltungsmaßnahmen zuwenden müssen. Lane (1994) schlägt den Einsatz nachhaltiger Tourismusstrategien auf lokaler/subregionaler Ebene vor, die mit allen Akteuren umfassend abgestimmt werden, um Risikobereiche zu ermitteln, Zonen- und andere Planungsmaßnahmen zusammenzustellen, darunter Größenbeschränkungen zur Minimierung des Risikos, sowie die Notwendigkeit, Grenzen hinsichtlich akzeptabler Veränderungen abzustecken. Dieses letztgenannte Konzept wurde von McCool (2001) eingeführt und wird zunehmend als sinnvoller eingeschätzt als das inzwischen veraltete Tragfähigkeitskonzept. Beeton & Benfield (2003) untersuchten das Konzept des Demarketings für anfällige Regionen und Ökosysteme, eine Technik, die in mehreren Schutzgebieten erfolgreich angewendet wurde. McGehee (im Druck) analysiert die Probleme im Zusammenhang mit der Anwendung einer nachhaltigen Tourismusstrategie für weite Gebiete der Blue Ridge Mountains in North Carolina, USA. Die Antwort auf die Frage lautet daher, dass der Industrieerbe-Tourismus und der Landtourismus sich zwar grundsätzlich nicht schädigend auf die Umwelt oder Gemeinschaften auswirken, dennoch Verwaltungssysteme geschaffen werden sollten, um sicherzustellen, dass Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden. Das Vorsorgeprinzip ist sehr wichtig: Das jeweilige Erbe ist unersetzbar (Fennell & Ebert, 2004). Sollten in die Entwicklung und Durchführung von Industrieerbe- und Landtourismus lokale Stellen einbezogen werden? Diese Frage ist zu bejahen – jedoch nicht uneingeschränkt. Tourismus ist eine höchst invasive Aktivität. Er lässt sich nicht auf einem Industrieareal verbergen. Er verändert die Orte, an denen die Einheimischen wohnen, ihre Einkäufe erledigen und ihren Freizeitbeschäftigungen nachgehen. Er kann den Charakter ihrer Gemeinschaften verändern. Es ist unabdingbar, dass die Einwohner vor Ort konsultiert und ihre Ansichten berücksichtigt werden – und dass Systeme zur Tourismusverwaltung eingesetzt werden, um jegliche aufkommende Probleme angehen zu können. Der Tourismus ist allerdings ein Geschäft, das von vielen missverstanden wird, und man sollte nicht leichtfertig unbegründeten Ängsten vonseiten vieler Leute nachgeben, die sich vor Veränderungen jeglicher Art fürchten.

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Industrieerbe-und Agro-/Landtourismus in Europa ____________________________________________________________________________________________

Befürwortend sei angemerkt, dass die lokale Beteiligung für das Gelingen der Arbeit mit dem Industrieerbe oftmals unabdingbar ist, da hierfür eine große Zahl von freiwillig Beschäftigten erforderlich ist. Und für den Landtourismus ist die Beteiligung von lokaler Seite wichtig, da für das Gastgewerbe, für die Gastronomie oder die Lieferung lokaler Nahrungsmittel und Getränke für den Tourismusbedarf die Gründung neuer Unternehmen unterstützt und gefördert werden muss. Werden der Industrieerbe- und der Landtourismus auch in Zukunft nachgefragt werden? Diese Frage wird häufig gestellt, insbesondere von der älteren Generation. In der modernen Welt lassen sich nur wenig verlässliche Garantien für die Zukunft abgeben. Von den beiden speziellen Tourismusformen ist die Zukunft für den Industrieerbe-Tourismus besonders schwer vorhersagbar. Dafür gibt es vier Gründe:

1. Ein großer Teil – nicht komplett – des Industrieerbe-Tourismus ist von Fördermitteln der öffentlichen Hand abhängig, wodurch dieser dem Risiko von Mittelkürzungen ausgesetzt wird.

2. Die Nachfrage nach Industrieerbe-Tourismus basiert größtenteils auf dem Nostalgiemarkt, der von Besuchen derer abhängig ist, die sich erinnern wollen oder ihren Kindern und Enkeln die Vergangenheit zeigen wollen. Diesen Generationen ist unweigerlich ein begrenztes Dasein beschieden.

3. Ein beträchtlicher Teil der Nachfrage nach Erbe-Tourismus verschiedener Art in der Nebensaison basiert auf Schülerbesuchen, was die Sehenswürdigkeiten stark abhängig von den Schullehrplänen macht.

4. Und schließlich ist ein großer Teil des vorhandenen industriellen Erbes teuer in der Wartung, nicht zuletzt deshalb, weil es nicht für eine unendliche Lebensdauer ausgelegt war.

Diese Punkte machen den Industrieerbe-Tourismus zwar nicht unhaltbar, sie machen es jedoch erforderlich, hochwertige sachbezogene und, sofern möglich, interaktive Interpretationssysteme zu entwickeln, um einen Mehrwert für das Erbe zu schaffen und echte Erlebnisse zu generieren. Verwaltungsgeschick und Marktkenntnisse sind hier dringend vonnöten. Paradoxerweise besteht einer der Faktoren, die dem Industrieerbe Nachhaltigkeit verleihen könnten, darin, dass weite Teile des Industrieerbe-Tourismus derzeit nur schwach entwickelt sind und durch eine informierte und fähige Verwaltung große Verbesserungen erzielt werden könnten. Besonders das Industrieerbe verfügt über äußerst reizvolle Möglichkeiten, da es großes Potenzial für tolle Erlebnisse bietet, wenn es richtig gedeutet wird. Dem Landtourismus scheint eine sichere Zukunft beschieden, allerdings nur, wenn er auf den wachsenden Wettbewerb des Städtetourismus, Kreuzfahrttourismus, von wiederbelebten Ferienorten sowie seitens vieler neuer Regionen, die derzeit für den Landtourismus erschlossen werden, reagiert. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Welt größtenteils ländlich ist, was zu starkem Wettbewerb zwischen den Regionen führen kann, insbesondere von neuen Marktteilnehmern.

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Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik ____________________________________________________________________________________________

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Für den Landtourismus sprechen mehrere Gründe:

Aufgrund des zunehmenden Interesses an körperlicher und geistiger Gesundheit sind Erholungsmöglichkeiten in der Natur wie Wandern, Skilanglauf, Klettern und Fahrradfahren potenziell auf dem Vormarsch, auch wenn Gesundheit selten als Verkaufsargument angeführt wird.

Gestützt wird der oben genannte Punkt durch die Angst vor einer fettleibigen Welt.

Die Medienbranche produziert jede Menge TV-Programme zum Thema Natur, die als Quasi-Werbemittel fungieren.

Der Landtourismus ist mit dem wachsenden Bereich des Gastro-Tourismus eng verknüpft.

Das Konzept des Landtourismus der zweiten Generation – vgl. Abschnitt 5.2.5 oben – birgt die Aussicht auf eine professionellere, wirksamere Verwaltung des Landtourismus.

Die fortlaufende Entwicklung von Taschencomputergeräten erleichtert die Navigation im Auto, auf dem Fahrrad oder zu Fuß durch Landschaften, insbesondere durch Wälder und Gebirge, enorm.

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