»Generation Ackermann – Im Unternehmen geht es nur noch um den persönlichen Profit?«

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Universität Luzern Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät HS12 Vorlesung: Grundfragen der Organisationstheorie Dr. Thomas Drepper Essay »Generation Ackermann – Im Unternehmen geht es nur noch um den persönlichen Profit?« Theoretische Auseinandersetzung mit den Grundgedanken des Artikels Antonia Frind Kanzleistrasse 155 8004 Zürich [email protected]

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Der Artikel setzt sich mit einer »neuen Arbeitswelt« auseinander, in der das reziproke Verhältnis zwischen Organisation und Individuum aufgebrochen wird. Denn längst geht es nicht mehr nur um die rationalen Interessen des Unternehmens, sondern auch darum, was der Arbeitnehmer vom Unternehmen erwarten kann. Anhand sozialwissenschaftlicher Konzepte werden Aspekte wie Interessen und Macht diskutiert.

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Universität Luzern Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät

HS12 Vorlesung: Grundfragen der Organisationstheorie

Dr. Thomas Drepper

Essay

»Generation Ackermann – Im Unternehmen geht es nur noch um den persönlichen Profit?« Theoretische Auseinandersetzung mit den Grundgedanken des Artikels

Antonia Frind Kanzleistrasse 155

8004 Zürich [email protected]

Page 2: »Generation Ackermann – Im Unternehmen geht es nur noch um den persönlichen Profit?«

Inhalt

1. Einleitung ...................................................................................................................................... 1!2. »Darwinismus von Unternehmen«: der Population Ecology-Ansatz ..................................................... 2!

– Variation ................................................................................................................................... 3!– Selektion .................................................................................................................................. 3!– Reproduktion ........................................................................................................................... 4!

3. Welche Interessen verfolgen Unternehmen? Macht und Herrschaft Korporativer Akteure ...................... 4!4. »Opportunismus von Mitarbeitern«: Interessen und Macht ................................................................. 6!5. Darwiportunismus ......................................................................................................................... 7!6. Anhang ....................................................................................................................................... 9!7. Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 11!

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1. Einleitung

Der Artikel, welcher die Grundlage dieser essayistischen Auseinandersetzung bildet, erschien in

der September-Ausgabe des deutschen Wirtschaftsmagazins »Brandeins«, Schwerpunktthema: Interessen, Ausgabe 09/12.1

Bei diesem Artikel handelt es sich um ein zweiseitig abgedrucktes Interview, dass der

Hamburger Journalist Mischa Täubner, mit dem Organisationsforscher Christian Scholz führte. Christian Scholz ist Professor für Organisation, Personal- und Medienmanagement an der

Universität des Saarlandes in Saarbrücken.2 Scholz publiziert unter anderem als Autor für den FAZ.NET Blog »Per Anhalter durch die Arbeitswelt« Fach- und Ratgeberartikel.3

Das Brandeins-Interview ist mit dem Titel »Generation Ackermann« überschrieben; der Untertitel führt präziser in die Thematik ein:

»Im Unternehmen geht es zuweilen nur noch um den persönlichen Profit? Mag sein, sagt der Organisationsforscher Christian Scholz, das gibt nur keiner zu. Und das verdirbt das Klima erst richtig.«

Als Einstieg in das Gespräch wählt der Autor einen Kommentar des ehemaligen Personalchefs der Deutschen Telekom, Thomas Sattelberger, der sich auf den Managernachwuchs bezieht.

Diesem wirft Sattelberger einerseits »fehlende Loyalität und Treue gegenüber dem Arbeitgeber«, andererseits alleiniges streben nach »Eigenoptimierung, nach Geld und Status«

vor. Der Interviewpartner Prof. Dr. Christian Scholz wird aufgefordert zu diesem Kommentar

Stellung zu nehmen: »Teilen Sie diese Einschätzung?« In der Zusammenfassung des Interviews lassen sich die folgenden Thesen anhand der

Aussagen von Scholz ableiten:

1. Loyalität und Treue gegenüber dem Arbeitgeber/ dem Unternehmen haben an Wichtigkeit verloren, dagegen ist die Anpassungsfähigkeit an gegebene Umwelt-bedingungen unabdinglich geworden. Diese Kenntnis wurde durch das Beobachten der heutigen Arbeitswelt gewonnen.

2. »Die Generation Z, die jetzt in das Berufsleben eintritt, besteht aus Individualisten, mit dem Ziel der persönlichen Einkommens- und Lebenslustmaximierung.«

3. Das von Scholz ausgearbeitete Konzept vom »Darwiportunismus« 4 ist heute allgegenwärtig beobachtbar, dennoch lässt sich eine Gleichgewichtssituation zwischen den Ansprüchen der Organisation (Leistungs- und Effizienzsteigerung, Umsatz, Wachstum) und Arbeitnehmern (Einkommens- und Lebenslustmaximierung) herstellen.

1 Der vollständige Artikel ist im Anhang dieser Arbeit nachzulesen und zudem online unter folgender URL-Adresse verfügbar: http://www.brandeins.de/magazin/interessen/generation-ackermann.html 2 Portfolio auf der Website des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre der Universität des Saarlandes: http://orga.uni-sb.de/personen/scholz 3 Alle Beiträge sind unter folgender URL-Adresse online verfügbar: http://faz-community.faz.net /blogs/personal-blog/default.aspx 4 http://www.darwiportunismus.de

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4. Voraussetzung für dieses Gleichgewicht ist Transparenz, das heißt die beidseitige Offenlegung der »wahren Interessen«. Nur so kann eine »faire Unternehmenskultur« unter den Bedingungen des Darwiportunismus entstehen bzw. erhalten werden, welche Interessens- und Anspruchsbefriedigung seitens der Unternehmen und Arbeitnehmer ermöglicht.

Geschildert wird eine »neue Arbeitswelt«, in der das reziproke Verhältnis zwischen Organisation und Individuum aufgebrochen wird und Mitgliedschaftserwartungen sowohl von Unternehmen,

als auch (opportunistischen) Arbeitnehmern gestellt werden. Es geht nicht mehr nur um die rationalen Interessen des Unternehmens, sondern längst auch darum, was der Arbeitnehmer als

Opportunist vom Unternehmen erwarten kann. Für beide, so wird über den Bezug auf die Evolutionstheorie nach Darwin deutlich, geht es dabei vor allem um die Existenz (struggle for

existance).

Ziel dieser kurzen Auseinandersetzung ist es, die folgenden Aspekte der Textgrundlage, unter Bezugnahme auf die im Seminar »Organisation und Individuum – Theoretische und empirische

Bezüge« und in der Vorlesung zu »Grundfragen der Organisationstheorie« erarbeiteten Kenntnisse anzudenken und zum Anlass für eine theoretische Rekapitulation zu nehmen:

Interessen- und Anspruchsbefriedigung, Machtverhältnisse und evolutionstheoretische Ansätze.5

2. »Darwinismus von Unternehmen«: der Population Ecology-Ansatz »[D]ie jungen Leute [zeigen] große Anpassungsfähigkeit an die Umgebung, die sie vorfinden. Denn sie sehen ja, was ihnen vorgelebt wird«, »Unternehmen, die aufgrund des starken

Wettbewerbsdrucks ständig selektieren und nur die stärksten Mitarbeiter behalten« – solche Aussagen des Interviews beziehen sich auf die synthetische Evolutionstheorie. Auch der

Darwiportunismus (Scholz 2003) – der Name ist Programm – weist darauf hin. Die Begriffe

werden dabei wie folgt zugeordnet: der Darwinismus bezieht sich mehrheitlich auf Organisationen (Mesoebene), wohingegen Opportunismus eine individuelle Einstellung ist

(Mikroebene). Weil auch diese etwas »Gewordenes« scheint (durch Beobachtung gewonnen, mit Ausprägung in der »Generation Z«), ist Opportunismus, zumindest in diesem

Zusammenhang, ebenfalls durch Evolution bedingt. Tatsächlich finden sich evolutionstheoretische Ansätze in einer Reihe empirisch sozial-

wissenschaflicher Arbeiten wieder. Die Erklärungsansätze unterscheiden sich jedoch in den folgenden Punkten:6

• Jeweils andere Einheiten der Evolution werden untersucht • Die Evolution von Organisationen wird in Zusammenhang mit der Evolution von

Gesellschaften analysiert

5 Seminar und Vorlesung wurden von Dr. Thomas Drepper im Herbstsemester 2012 an der Universität Luzern gehalten. 6 Die Unterscheidung und die folgenden Ausführungen des Population Ecology-Ansatzes beziehen sich auf die Erörterung nach: KIESER, Alfred/ WOYWODE, Michael: Evolutionstheoretische Ansätze, in: Kieser, Alfred (Hrsg.): Organisationstheorien, 6. Auflage, Stuttgart/Köln/Berlin: Kohlhammer, 2006, S. 309-352.

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• Die Mechanismen Variation, Selektion und Reproduktion werden in verschiedenen Ansätzen unterschiedlich konzipiert

So versucht der »Population Ecology-Ansatz« nach Hannan und Freeman (1984) die

grundlegenden Mechanismen der Evolution auf Organisationen zu übertragen. Einschränkend geben die Autoren unter dem Aspekt der »Trägheit von Organisationen« an, dass

Organisationen aus drei Gründen nur bedingt fähig sind, sich zielgerichtet (rational) an Umweltbedingungen anzupassen:

1. Innerhalb der Organisation agieren verschiedene Interessensgruppen, die

unterschiedliche Ziele verfolgen und mithilfe politischer Manöver Anpassungen verhindern

2. Organisationsgestalter haben nur unvollständige Informationen über Zweck-Mittel-Beziehungen

3. Die Trägheit von Organisationen verhindert zeitgerechte Anpassung an rasant wechselnde Umweltbedingungen

Aus der begrenzten Wandlungsfähigkeit einzelner Organisationen folgern die Autoren die Betrachtung auf der Ebene von Populationen anzusiedeln, wobei sich alle einer Population

angehörigen Organisationen durch eine gemeinsame Grundstruktur auszeichnen – zum Beispiel eng definierte Branchen und Wirtschaftszweige. In Analogie zur biologischen Evolution weist

auch die organisatorische die drei wesentlichen Mechanismen auf: Variation, Selektion und Reproduktion.

– Variation Variation bezieht sich vor allem auf diejenige innerhalb einer Population, die durch

Neugründungen bzw. Abspaltungen von Organisationen zustande kommen. »Eine erfolgreiche Organisationsform animiert Unternehmer, die offensichtlich gegebenen guten Chancen durch

Neugründungen zu nutzen.«7 Dabei bilden sich neue oder variierte Organisationsformen, die

sich im weiteren Verlauf beweisen müssen. Auslöser für Variationen können technischer Wandel, die Änderung institutioneller Rahmenbedingungen, die Entdeckung neuer Ressourcen/

Rohstoffe, ökonomische oder politische Schwankungen sein. – Selektion

Unter Selektion verstehen Hannan/ Freeman die Elimination ganzer Organisationen, für die ungünstige Umweltbedingungen verantwortlich sind. Die Umwelt beschreibt also die

Gesamtheit aller Faktoren, die der Population Beschränkungen auferlegt – ökonomische

Bedingungen, Konjunkturschwankungen, politische Verhältnisse, aber auch gesellschaftliche

Akzeptanz. Letztere, weil man nicht davon ausgehen darf, dass nur solche Unternehmen

dauerhaft beständig sind, die am effizientesten operieren. Kirchen, Verbände und Vereine,

NPO’s und NGO’s überleben vor allem deshalb, weil sie sozial erwünscht sind oder einen

gesellschaftlichen Auftrag erfüllen. 7 KIESER/ WOYWODE 2006, S. 314.

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– Reproduktion

Organisationsformen, die sich durchsetzen und beweisen konnten (werden häufiger imitiert, als andere, setzen Benchmarks, Wachstum, Konkurrenzfähigkeit etc.), müssen bewahrt und an

andere Organisationen weitergegeben werden können. Der Population Ecology-Ansatz benennt

zwei Bewahrungsstrategien, die bereits Weber als Kennzeichen von Bürokratie benannt hat: »gesellschaftliche Institutionalisierung und die Herausbildung bürokratischer Routinen«.8

Für diese Auseinandersetzung interessant, ist vor allem die Betrachtungsebene des Population Ecology-Ansatzes: Weil man sich einzig auf makrosoziologische Prozesse bezieht, wird die

Betrachtung der handelnden Akteure auf der Mikroebene nicht notwendig. Letztlich muss jedoch klar werden, dass selektierte Varianten vor allem auf Entscheidungen der handelnden

Individuen zurückzuführen sind, die auch Retentions- und Reproduktionsvorgänge verantworten, da Organisationen anders als Lebewesen keine DNA an die nachfolgende

Generation weitervererben.9

Ein alternatives evolutionstheoretisches Konzept haben Aldrich und McKelvey auf Basis sogenannter »Comps« (Competences) entwickelt. Da nicht Organisationen, sondern Comps –

Elemente organisationalen Wissens – die Grundlage der Evolution bilden, können solche, ähnlich genetischem Material, einfacher voneinander isoliert werden. Auch wird nach diesem

Denkansatz plausibel, wie Akteure, als Träger der Information, in den Evolutionsprozess von Organisationen eingebunden sind.10 Denn um als Unternehmen im Wettbewerb mit anderen

bestehen zu können, ist das Personal als Informationsträger entscheidend: »Die Mitarbeiter

erfolgreicher Unternehmen werden häufiger abgeworben und transferieren Comps in die abwerbenden Unternehmen; Mitarbeiter erfolgreicher Unternehmen werden häufiger

eingeladen, ihre spezifischen Problemlösungen auf Symposien oder Seminaren vorzustellen; erfolgreiche Unternehmen werden eher zu Objekten von Industriespionage [...] usw.«11

Auch die Aussagen im Interview fokussieren den handelnden Akteur. Dieser richtet – im Unterschied zu vorhergehenden Managergenerationen, so Scholz – seine Entscheidungen und

Handlungen stärker an den Eigeninteressen aus, die hier vor allem als Karriereoptionen beschrieben werden und nur wenig mit den Zielsetzungen und Vorgaben des Unternehmens

gemein haben. Beide Annahmen sind zunächst empirisch zu überprüfen.

3. Welche Interessen verfolgen Unternehmen? Macht und Herrschaft Korporativer Akteure Die Errungenschaft der modernen Gesellschaft ist die formale Organisation. Weil Individuen

gelernt haben, dass Interessen durch Ressourcenbündelung (Macht und Kapital) einfacher und

8 KIESER/ WOYWODE 2006, Seite 316. Auch Scholz’ Ansatz macht deutlich, dass nicht nur Unternehmen als Ganze dem Darwinismus unterliegen, sondern auch Unternehmen intern betroffen sind, Darwinismus als Handlungsmuster zur Leistungssteigerung von Mitarbeitenden sogar bewusst einsetzen. Vgl. dazu: SCHOLZ, Christian: Spieler ohne Stammplatzgarantie. Darwiportunismus in der neuen Arbeitswelt. Weinheim, 2003, S. 41-51. 9 Weitere Kritikpunkte am Population Ecology-Ansatz führen Kieser und Woywode auf. Vgl. dazu: KIESER/ WOYWODE 2006, S. 337-343. 10 Ebd., S. 313ff. 11 Ebd. S. 316.

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konsequenter durchgesetzt werden können, konnte sich die Organisationsgesellschaft

etablieren. James Coleman hat dafür den Begriff des Korporativen Akteurs geprägt und vor allem Arbeitsorganisationen im Blick. 12 Im Unterschied zu Interessensverbänden ist eine

»substantielle Interessensübereinstimmung« zwischen den initiierenden Individuen, den

Organisationsgründern, und den übrigen Organisationsmitgliedern, die Angestellten, nicht zwingend notwendig:

»Der Arbeitnehmer hat normalerweise kein unmittelbares Interesse am Organisationsziel, identifiziert sich also selten persönlich mit den unter seiner Mitwirkung hergestellten Produkten. Auch interessiert er sich nur insoweit für den wirtschaftlichen Gewinn seiner Organisation, wie davon die Höhe seines Arbeits-einkommens und die Sicherheit seines Arbeitsplatzes abhängen.«13

Eine solche Mitgliedschaft basiert im Grunde auf dem Tauschgeschäft: das Unternehmen, welches im Wettbewerb mit anderen bestehen will, muss genügend Anreize schaffen und

möglichst qualifiziertes Personal für sich zu interessieren, welches auf Grundlage des Vertrags bestimmte Beiträge zu leisten hat. Dieses Anreiz-Beitrags-System scheint zunächst auch ohne

die Identifikation mit dem Unternehmen, Loyalität und Treue auszukommen. In welchem

Ausmaß dieses sich Nicht-Identifizieren-Können mit dem Produkt, dem Unternehmen, dessen Zielen und Arbeitsprozessen zu Entfremdung und Machtlosigkeit bei den Arbeitnehmern führen

kann, haben die Auswirkungen des Taylorismus und die darauf folgende Sensibilisierung für die »Ressource Mensch«, wie der Human-Relations-Ansatz ab 1920 betont, deutlich gezeigt –

sicherlich nicht ohne Konsequenzen für die Effektivitäts- und Effizienzleistung der Unternehmen.

In der Ressourcenzusammenlegung liegt aber nicht nur das Potential Interessen zielgerichteter verfolgen zu können, gleichzeitig besteht darin auch das von Coleman beschriebene Dilemma

der Organisation: Indem das Individuum Ressourcen in einen Korporativen Akteur einbringt,

weil man sich davon gewisse Vorteile verspricht, hat man nicht mehr die volle Kontrolle über diese. Coleman behauptet damit nicht, dass hinter den Interessen des Korporativen Akteurs

nicht auch die Interessen von Individuen stecken – schließlich wurde dieser zu einem bestimmten Zweck gegründet – doch der Verlust über Ressourcen und deren Einsatz führt

langfristig zu Dominanz und Verselbstständigung korporativer Macht einerseits, zu Machtverlust der individuellen Akteure, die dadurch weniger Freiraum für eigene Interessen haben und über

»wichtige gesellschaftliche Transaktionen«, die nun von Korporativen Akteuren ausgeführt

werden, keine oder nur wenig Kontrolle besitzen andererseits. Coleman spricht in diesem Zusammenhang von Machtasymmetrie.14

Die Interessen individueller und Korporativer Akteure müssen jedoch nicht konträr sein: Interessen, die sowohl natürliche Personen und korporative Akteure verfolgen, verlaufen parallel

in Bezug auf den Zweck, zu dem der korporative Akteur geschaffen wurde. Interessenskonflike

12 Vgl. dazu: COLEMAN, James S.: Macht und Gesellschaftsstruktur. Tübingen, 1979, S. 21-40. 13 SCHIMANK, Uwe: Organisationsgesellschaft, in: Kneer, Georg/ Nassehi, Armin/ Schroer, Markus (Hrsg.): Klassische Gesellschaftsbegriffe der Soziologie. München, 2001, S. 285. 14 Siehe dazu: COLEMAN 1979, S. 25-30.

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ergeben sich vor allem durch die Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten der addierten Ressourcen.

Da mit den individuellen Ressourcen meist auch bestimmte Rechte daran abgetreten werden, das heißt Besitz- und Verfügungsrechte ausdifferenziert und verschiedenen »Organen«

vertraglich zugeordnet werden, gewinnt das Unternehmen an (Verfügungs-)Macht. Der

Machtzuwachs führt darüber hinaus zu neuen Interessen, die darauf zielen den Handlungsfreiraum der Korporation möglichst auszuweiten und abzusichern.

In diesem Beispiel geht es vor allem um wirtschaftlich effiziente Unternehmen (Deutsche Bank, IBM), deren Interessen vorwiegend in der Steigerung der Effizienz- und Effektivitätsleistung

liegen dürften. Das Dilemma liegt jedoch weniger in der Anspruchsbefriedigung der, in der Organisationshierarchie, obersten Gremien (Verwaltungsrat, Inhaber etc.), sondern in der

Verselbstständigung der Interessen der Mitarbeiter, hier »High-Potentials«. In einem System, welches sich selbst über »formalisierte Mitgliedschaftserwartungen [konstituiert], denen sich

diejenigen individuellen Akteure, die ihr angehören, zunächst per Beitrittsentscheidung und

sodann durch dauerhafte Konformität fügen«15, sind opportune Entscheidungsträger per se kontraproduktiv, zumal die »wahren Interessen«, welche hinter den Entscheidungen stehen,

nicht offensichtlich sind. So auch Schulz:

»Immer ist die Rede davon, was das Unternehmen angeblich braucht. [...] ›Für die Zukunftssicherung des Unternehmens müssen wir das Marktwachstum in China beschleunigen.‹ Die Übersetzung in den Untertiteln aber müsste lauten: ›Mir fehlt noch eine Karrierestation in Peking. Deswegen möchte ich die Abteilung dorthin verlagern.‹ Hinter der Scheinrationalität befinden sich immer persönliche Beweggründe. Will man die aufdecken, müsste man wie in einem Krimi fragen: Cui bono? Wem nützt es?« »Welche Folgen hat diese Scheinrationalität? Sie verhindert den offenen Austausch über Interessen – und damit eine faire Unternehmenskultur unter den Bedingungen des Darwiportunismus. Darüber hinaus bekommt sie oft eine Eigendynamik, die dem Unternehmen schadet. Man denke nur an den Ausdruck ›Headcount herunterfahren‹ [...].«

4. »Opportunismus von Mitarbeitern«: Interessen und Macht Anpassung wird durch Beobachtung ausgelöst – nicht wie im biologischen Darwinismus durch

sprunghafte Mutation. Ähnlich Unternehmen, die sich am Markt orientieren, orientieren sich die Arbeitnehmer an der Arbeitswelt, die sie vorfinden: »Denn sie [die jungen Leute, AF] sehen ja,

was ihnen vorgelebt wird, was Topmanager verdienen und dass es nicht die treuen Teamplayer

sind, die nach oben kommen. Sie sehen auch, dass die Unternehmen Mitarbeiter, die sie nicht mehr brauchen, knallhart aussortieren.« Aber ist der Opportunismus der (künftigen) Aufsteiger

tatsächlich die Antwort auf Generationen von enttäuschten Mitarbeitern, die lange Jahre und stets loyal ihrem Arbeitgeber gegenüberstanden? Robert Presthus will in seiner »Typologie der

Anpassung« regelkonforme Zwangscharaktere gefunden haben, darunter den »Aufsteiger«, der »außengeleitet und opportunistisch Karriere zu machen versucht und von einer starken

15 Vgl. LUHMANN 1964, S. 29-49. Zitiert nach SCHIMANK 2001, S. 282.

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Statusangst befallen ist [...]«.16 Die Behauptung, Anpassung durch Beobachtung zu erreichen,

sei hier einmal dahin gestellt. Interessanter scheint vielmehr der Prozess der Überwindung der formalisierten Mitgliedschaftserwartungen, welche Organisationen stellen. »Die Regel ist nach

wie vor, dass eine Seite am längeren Hebel sitzt und ihre Macht ausspielt.«, so Scholz. Wenn

hoch qualifizierte Mitarbeiter vor allem an der Steigerung der individuellen Lebenschancen interessiert sind, müssen innerhalb der Organisationsstrukturen Freiräume geschaffen werden,

die dann machtvoll zu nutzen sind, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Die Frage lautet zunächst: Was beinhaltet Macht?17

Die Soziologen Michel Crozier und Erhard Friedberg definieren Macht als Tauschbeziehung zwischen mindestens zwei Akteuren, die permanent ausgehandelt wird und Abhängigkeiten

schafft. Die Grundlage, auf der Machtverhältnisse basieren, bilden verfügbare Ressourcen, deren Einsatz vorhersehbare und weniger vorhersehbare Folgen haben und die den

Machtbeeinflussten zu bestimmten Handlungen zwingen und dessen Handlungsspielraum

einengen. Crozier/ Friedberg sprechen in diesem Zusammenhang von Ungewissheitszonen: »Die Macht eines Individuums oder einer Gruppe, kurz eines sozialen Akteurs, ist so eine

Funktion der Größe der Ungewissheitszone, die er durch sein Verhalten seinen Gegenspielern gegenüber kontrollieren kann.«18 Entscheidend dabei ist, dass die Ungewissheitsquellen und

-zonen eine gewisse Relevanz für die beteiligten Akteure besitzen: Welche Ressourcen sind für wen zugänglich? Welche Faktoren begünstigen die Relevanz?

Croizer/ Friedberg charakterisieren die Machtbeziehung als instrumentell, da die Ressourcen

wirksam eingesetzt die Ziele verwirklichen. Sie ist darüber hinaus nicht transitiv, insofern, dass eine Person A, zwar Macht über Person B und Person B Macht über C hat, nicht aber Person A

auch über Person C. In einer wechselseitigen Machtbeziehung, bleibt das Verhältnis immer auch unausgewogen. Zwar bringen die Akteure jeweils Ressourcen ein, sie profitieren aber

nicht in gleichem Masse davon – um zurück auf das Beispiel hier zu kommen – im Wettbewerb, ob zwischen Unternehmen, Mitarbeitern oder Stellenbewerbern, gibt es zwangsläufig Gewinner

und Verlierer. Dennoch sind diese Attribute nicht festgeschrieben, bei wechselnden Umweltbedingungen können Ressourcen mal mehr, mal weniger relevant (auf dem

Arbeitsmarkt gefragt) sein. Für Organisationen entscheidende Machtquellen – und damit auch

Quellen der Ungewissheit – sind Sachwissen, Beziehungen zwischen der Organisation und ihrer Umwelt, die Kontrolle über Informations- und Kommunikationskanäle und allgemeine

organisatorische Regeln, die auch dazu dienen sollen, Ungewissheit zu reduzieren.

5. Darwiportunismus Für »High-Potentials« kommen solche Unsicherheitszonen gerade richtig, denn um

Unsicherheit zu reduzieren, rekrutieren Unternehmen Personal, das über bestimmte Patente, Produktionswissen und -techniken, Führungsqualitäten, Kommunikationsstrategien, Netzwerke 16 PRESTHUS 1962, zitiert nach: SCHIMANK 2001, S. 290. 17 Die folgenden Aussagen beziehen sich auf: CROZIER, Michel/ FRIEDBERG, Erhard: Die Zwänge kollektiven Handelns. Über Macht und Organisation. Frankfurt/ Main, 1993, S. 25-55. 18 Ebd. S. 43.

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oder ähnliches verfügt. Solche Qualitäten sind Ressourcen die eine Machtbeziehung bei

günstigen Umweltbedingungen dominieren können oder, um den evolutionstheoretischen Ansatz mit einzubeziehen, »Comps« sind, die sich bei Bewährung auch langfristig durchsetzen

werden und Erfolg (Umsatzsteigerung, Profitmaximierung, Markführer, Imitation etc.)

wahrscheinlich machen. Für Organisationen kann es während Rekrutierungs- oder Beförderungsprozessen also vor allem darum gehen, Unsicherheiten weitgehend

auszuschalten, zum Beispiel fehlendes Know How und Techniken beim Erschließen neuer Märkte um weiterhin wettbewerbsfähig und profitabel zu sein, wohingegen individuelle Akteure

vor allem an der Einkommens- und Lebenslustmaximierung interessiert sind und diese bei Vertragsverhandlungen einfordern. »Wenn hochgradig darwinistische Unternehmen auf

hochgradig opportunistische High-Potentials treffen und beide die Karten offen auch den Tisch legen, haben wir eine stabile Gleichgewichtssituation, in der nicht einmal Verträge vonnöten

sind. Beide wissen, auf welchen Interessen ihre Zusammenarbeit basiert, und können sich

darauf einstellen.« Ähnlich wie beim Population Ecology-Ansatz, gründet sich Scholz’ Verständnis eines

marktforcierten Darwinismus auf »kollektiven Systemlogiken«. Der Opportunismus hingegen, wie bereits angedeutet, basiert auf der »Umsetzung von Ziel-Mittel-Relationen, die zur

Optimierung des eigenen Nutzenkalküls instrumentalisiert werden. Deshalb fokussiert die Auseinandersetzung mit dem Opportunismus [...] auf das jeweilige Individuum, ist also ein

individuelles Handlungsmuster.« 19 Der Opportunist befindet sich in einer dominanten

Machtposition: je nach Konjunktur sind Mitarbeiter bestimmter Berufsgruppen Mangelware und das Überleben der Unternehmen hängt wesentlich von diesem Expertenwissen (Comps) ab.

Doch diese Unsicherheitszonen sind nur vermeintlich bewältigt, denn »für die opportunistischen Mitarbeiter [ist es, AF] kontraproduktiv, in Loyalität zu einem Unternehmen brav am Arbeitsplatz

zu verbleiben [...]. Nur durch ein permanentes Ausloten der Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt kann ein Opportunist seinen Marktwert bestimmen. Wenn [die, AF]

Verbleibensfrage zu einer Existenzfrage im Unternehmen hoch stilisier[t wird, AF], sind [der, AF] Einkommensfrage keine Grenzen mehr gesetzt«.20

Scholz macht den Opportunismus vor allem am Generationenunterschied fest – es sind die

Jungen, die permanent auf Bedürfnisbefriedigung aus sind – wobei auch er einschränkend ergänzt, dass es schließlich in jeder Generation, auch bei den »Altruisten«, immer schon um

Opportunismus und die eigenen Interessen ging, nur lagen diese hier mehr im sozialen Kontakt.21

Ob unterschiedliche Wertesysteme und Verhaltensmuster, wie sie hier unterstellt werden, Auswirkungen auf Unternehmensstrukturen haben respektive neue Unternehmensstrukturen

erforderlich machen, weil die unterschiedlichen Wert- und Arbeitshaltungen unvereinbar sind,

ist erst noch zu prüfen.

19 SCHOLZ 2003, S. 78. 20 Ebd. S. 76f. 21 Vgl. ebd. S. 59.

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6. Anhang

58 BRAND EINS 09/12

brand eins: Herr Scholz, der ehemalige Personalchef der Deutschen Telekom, Thomas Sattelberger, hat sich kürzlich abfällig über den Managernachwuchs geäußert. Dem fehle jegliche Loyalität und Treue gegenüber dem Arbeitgeber, stattdessen strebten die jungen Leute nur nach Eigenoptimierung, nach Geld und Status. Teilen Sie diese Einschät-zung?Christian Scholz: Herr Sattelberger liegt zwar richtig mit der Beobach-tung, dass Loyalität und Treue an Bedeutung verloren haben. Die Gene-ration Z, die jetzt in das Berufsleben eintritt, besteht aus Individualisten mit dem Ziel der persönlichen Ein-kommens- und Lebenslustmaximie-rung. Das muss aber erstens nicht schlecht sein. Und zweitens zeigen die jungen Leute damit große Anpas-sungsfähigkeit an die Umgebung, die sie vorfinden. Denn sie sehen ja, was ihnen vorgelebt wird, was Topmana-ger verdienen und dass es nicht die treuen Teamplayer sind, die nach oben kommen. Sie sehen auch, dass die Unternehmen Mit-arbeiter, die sie nicht mehr brauchen, knallhart aussortieren. Al-truismus und Unternehmenswirklichkeit schließen sich aus. Das hat die Generation Z verinnerlicht.

Sie haben schon vor mehr als zehn Jahren den Begriff Darwi-portunismus für die immer stärker von Eigeninteressen geprägte Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern eingeführt.

Der Begriff setzt sich zusammen einerseits aus dem Darwi-nismus von Unternehmen, die aufgrund des externen Wett-bewerbsdrucks ständig selektieren und nur die stärksten Mit-arbeiter behalten; andererseits aus dem Opportunismus von Mitarbeitern, die jede Chance für sich nutzen – ohne Rücksicht auf das Unter nehmen, für das sie gerade arbeiten. Hat sich der Trend weiter verstärkt?Der Darwiportunismus ist heute allgegenwärtig. Das sehe ich aber gar nicht negativ. Die interessante Frage ist, wie wir mit ihm

Generation AckermannIm Unternehmen geht es nur noch um den persönlichen Profit?Mag sein, sagt der Organisationsforscher Christian Scholz, das gibt nur keiner zu.

Und das verdirbt das Klima erst richtig.

Interview: Mischa Täubner Illustration: Alexander Glandien

SCHWERPUNKT: INTERESSEN _INTERVIEW MIT CHRISTIAN SCHOLZ

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umgehen. Wenn hochgradig darwinistische Unternehmen auf hochgradig opportunistische High-Potentials treffen und beide die Karten offen auf den Tisch legen, haben wir eine stabile Gleichgewichtssituation, in der nicht einmal Verträge vonnöten sind. Beide wissen, auf welchen Interessen ihre Zusammenarbeit basiert, und können sich darauf einstellen.

Ein solches Gleichgewicht scheint aber bis heute die Ausnahme zu sein. Warum sonst werfen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenseitig immer wieder mangelnde Loyalität vor?Die Regel ist nach wie vor, dass eine Seite am längeren Hebel sitzt und ihre Macht ausspielt. Das führt zu großen Irritationen. Beispiel IBM: Medienberichten zufolge will der Konzern in Deutschland Stellen abbauen und die Arbeit künftig von freien Mitarbeitern erledigen lassen. Das wäre ein radikaler Bruch mit der alten Unternehmenskultur. Die Mitarbeiter wurden jahrelang auf IBM-Produkte und IBM-Werte getrimmt. Viele von ihnen

haben einen dualen Studiengang absolviert, den der Kon-zern genau zu diesem Zweck anbietet. IBM züchtet sich also erst eine Belegschaft heran, die sich stark mit dem Unternehmen identifiziert – und sagt dann plötzlich: Wenn ihr wollt, könnt ihr euch um Aufträge bewerben. Als Angestellte brauchen wir euch nicht mehr. Diesen Bruch sehe ich sehr skeptisch. Sollte der Plan umgesetzt werden, dürften die Mitarbeiter schwer enttäuscht sein, weil sie einen anderen sozialen Kontrakt mit dem Unter-nehmen hatten. Genau hier liegt das Problem: Es wurde mit verdeckten Karten gespielt. Der Kontrakt basierte an der Oberfläche auf Werten wie Vertrauen und Verlässlich-keit. Jetzt kommt der Darwinismus des Unternehmens zum Vorschein und trifft viele Mitarbeiter unvorbereitet.

Die Offenlegung der wahren Interessen wird von der Öf-fentlichkeit nicht gerade goutiert. Josef Ackermann etwa hat als Vorstandschef der Deutschen Bank nie ein Hehl daraus gemacht, dass er dem angestrebten Renditeziel von !" Pro-zent alles unterordnet. Als deshalb Mitarbeiter entlassen wurden, war die Empörung groß.Die Deutsche Bank unter Ackermann ist in der Tat ein Beispiel für einen transparenten sozialen Vertrag. Alle wussten: Es geht nicht um Arbeitsplatzsicherheit, nicht

um die Versorgung der Industrie mit Kapital, nicht um Deutsch-land. Nein, es geht um die !" Prozent. Das war Ackermanns Ziel,

und das wollte er erreichen. Das ist nichts Ungewöhnliches. In jedem Unternehmen verfolgen die Menschen ihre ureigenen

Interessen. Im Normalfall kommen sie aber nicht zur Sprache. Sie sind ein Tabu. Die wahren Interessen wer-

den durch pseudobetriebswirtschaftliche Worthülsen, die Rationalität suggerieren sollen, verschleiert.

Das erschwert die Zusammenarbeit.

Welche Phrasen sind das zum Beispiel?Immer ist die Rede davon, was das Unternehmen angeblich braucht. Mehr Flexibilität beispielsweise. Die macht sich immer gut und wird nicht hinterfragt. Genauso wenig wie Wettbewerbs-fähigkeit. Unter dem Deckmantel der Wettbewerbsfähigkeit darf man alles machen. Man muss sich Unternehmen wie einen fremd-sprachigen Film mit Untertiteln vorstellen. Es wird etwas gesagt, das rational klingt und gesellschaftlich akzeptiert ist, beispiels-weise: „Für die Zukunftssicherung des Unternehmens müssen wir das Marktwachstum in China beschleunigen.“ Die Übersetzung in den Untertiteln aber müsste lauten: „Mir fehlt noch eine Karriere-station in Peking. Deswegen möchte ich die Abteilung dorthin verlagern.“ Hinter der Scheinrationalität befinden sich immer per-sönliche Beweggründe. Will man die aufdecken, müsste man wie in einem Krimi fragen: Cui bono? Wem nützt es?

Welche Folgen hat diese Scheinrationalität?Sie verhindert den offenen Austausch über Interessen – und da-mit eine faire Unternehmenskultur unter den Bedingungen des Darwiportunismus. Darüber hinaus bekommt sie oft eine Eigen-dynamik, die dem Unternehmen schadet. Man denke nur an den Ausdruck „Headcount herunterfahren“. Das ist eine der pseudo-betriebswirtschaftlichen Worthülsen. Der Begriff steht in unserer Scheinwelt für mehr Flexibilität und höhere Profitabilität. Mana-gern werden Boni in Aussicht gestellt, wenn sie den Headcount herunterfahren. Die Folge ist, dass sie möglichst viele Mitarbeiter entlassen – ganz egal, ob dies zulasten der Wertschöpfung geht oder die entstandenen Lücken anschließend durch viel teureren Ersatz, etwa externe Berater, geschlossen werden müssen.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich irgendwann eine neue Ehrlich-keit in den Unternehmen durchsetzt?Ja, die habe ich. Weil Unternehmen gar nichts anderes übrig bleibt, als mit ihren Mitarbeitern offen über Interessen zu spre-chen. Als ich das erste Mal vom Darwiportunismus als neuen Trend gesprochen habe, kam mir ein Sturm der Entrüstung ent-gegen. Leitartikler, Personalchefs, Gewerkschafter, sie alle woll-ten sich mit dem Phänomen am liebsten gar nicht auseinander-setzen, nach dem Motto: In einer solchen Welt möchten wir nicht leben. Heute ist das anders. Immer mehr Firmen erkundi-gen sich, wie man mit der neuen, auf Eigennutz bedachten Mit-arbeitergeneration umgeht. Wie man in einen Diskurs über den Ausgleich von Interessen eintritt. Die Firmen haben erkannt, dass das notwendig ist, wenn sie weiterhin Mitarbeiter wollen, die engagiert und bereit sind, ihr Wissen dem Arbeitgeber zur Verfü-gung zu stellen. –

Christian Scholz,

Jahrgang #$"!, ist Professor für Organisation, Personal- und Medienmanage-ment an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.

SCHWERPUNKT: INTERESSEN

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7. Literaturverzeichnis »Generation Ackermann – Interview mit Christian Scholz«, in: Wirtschaftsmagazin Brandeins,

Ausgabe 09/12, S. 58f.

COLEMAN, James S.: Macht und Gesellschaftsstruktur. Tübingen: Mohr, 1979.

CROZIER, Michel/ FRIEDBERG, Erhard: Die Zwänge kollektiven Handelns. Über Macht und Organisation. Frankfurt/ Main, 1993.

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