Genossenschaften auf dem Weg in die Zukunft

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Tagungsband 92 Münstersche Schriften zur Kooperation

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Shaker VerlagAachen 2011

Münstersche Schriften zur Kooperation

Band 92

Theresia Theurl,Raiffeisenverband Südtirol (Hrsg.)

Genossenschaften auf dem Weg in die Zukunft

Wissenschaftliches Symposium, Bozen 12. November 2010

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Vorwort der Herausgeberin

Genossenschaften sind die älteste Form der Zusammenarbeit von Unter-nehmen oder von Menschen und sie weisen eine sehr lange Tradition auf, die sogar viele Jahrhunderte zurückreicht, wenn auch die diversen Vorläu-fer mit berücksichtigt werden. Zur Zeit der ersten Gründungen handelte es sich um eine institutionelle Innovation, die es vielen Menschen ermöglich-te, sich eine wirtschaftliche Existenz zu schaffen und folgenreiche Abhän-gigkeiten zu vermeiden. Dies hat sich bis heute nicht verändert. Denn ge-nossenschaftliche Kooperationen haben sich im Wettbewerb unterschiedli-cher Unternehmens-, Rechts- und Kooperationsformen bewährt. Ihre Be-sonderheiten sind wichtig geblieben und haben ein unverwechselbares Pro-fil geschaffen, das sich nicht nur durch das verwirklichte Geschäftsmodell mit einer besonderen Eigentümerkontrolle auszeichnet, sondern auch durch solche Werte wie Nachhaltigkeit, Stabilität, Verlässlichkeit und Nähe. Es sind gerade diese Werte, die in Kombination mit einer lokalen Verwurze-lung der Unternehmen im Zusammenhang mit der globalen Finanzmarkt- und Schuldenkrise wieder in den Vordergrund gerückt sind. Menschen wollen in Angelegenheiten, die ihnen wichtig sind, nicht anonymen und entfernten Akteuren und Organisationen ausgeliefert sein.

Es ist ein wesentliches Element des genossenschaftlichen Geschäftsmo-dells, dass die Zusammenarbeit wirtschaftliche Größe dort ermöglicht, wo sie erforderlich ist. Dass im Vordergrund der Aktivitäten von Genossen-schaften der MemberValue steht, die Schaffung von Werten für die Mit-glieder, und nicht isolierte Renditeinteressen, macht sie vor den aktuellen Rahmenbedingungen sehr wichtig. Auf welch unterschiedliche Weise dies in vielen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereichen in Vergangenheit und Gegenwart geschieht demonstriert dieser Band. Es kann also davon ausge-gangen werden, dass „Genossenschaften auf dem Weg in die Zukunft“ sind. Dies war der Titel eines Wissenschaftlichen Symposiums, das anläss-lich des 50 Jahre-Jubiläums des Raiffeisenverbandes Südtirol am 12. No-vember 2010 in Bozen veranstaltet wurde. Die Vorträge und Podiumsdis-kussionen dieser Veranstaltung werden hiermit einer interessierten Öffent-lichkeit vorgestellt.

Münster, im Januar 2011 Prof. Dr. Theresia Theurl

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Vorwort

„Die guten alten Zeiten, wo der Nachbar dem Nachbarn aufs Wort, ohne Schuldschein, aus der Not half, sind vorüber. Misstrauen ist an Stelle des Vertrauens getreten; ein Bruder hilft kaum noch dem andern; in Geldange-legenheiten hört alle Gemütlichkeit auf“.

Diese Worte scheinen höchst aktuell, doch sie sind nicht aus unseren Ta-gen. Mit diesen Sätzen beginnt Friedrich Wilhelm RAIFFEISEN das erste Kapitel seines Standardwerkes über „Die Darlehnskassen-Vereine“ im Jah-re 1866. Während Raiffeisen damit die Gründung weiterer Vereine anregen wollte – was ihm, wie wir wissen, auch gelungen ist – möchte der Raiffei-senverband Südtirol seinen Beitrag zur weiteren Verbreitung der zeitlosen Idee des deutschen Sozialreformers leisten und den interessierten Lesern das ideelle Vermächtnis dieses großen Mannes näher bringen.

Dieses war für den Raiffeisenverband Südtirol Anlass, einerseits die neunte Auflage des Handbuches von Friedrich Wilhelm RAIFFEISEN über die „Dar-lehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Not der ländlichen Bevölke-rung“ in einer Faksimile-Ausgabe der ersten Auflage aus dem Jahre 1866 auf den Weg zu bringen und andererseits anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des Raiffeisenverbandes Südtirol das wissenschaftliche Symposium „Ge-nossenschaften auf dem Weg in die Zukunft“ zu organisieren und damit zu verdeutlichen, dass die Ideen Friedrich Wilhelm RAIFFEISENs heute mehr denn je ihre Aktualität besitzen und sie auch in Zukunft unter Beweis stel-len werden.

Das Genossenschaftswesen in Europa lebt und trägt die Kraft der Erneue-rung in sich. Das genossenschaftliche Geschäftsmodell ist eine bewährte Form wirtschaftlicher Tätigkeit und ist in einer Zeit, in der das Bewusstsein für soziale Verantwortung wächst, mehr als zeitgemäß.

Genossenschaften sind ihren Mitgliedern verpflichtet, sie wirken vorwie-gend in regionalen und dezentralen Wirtschaftskreisläufen und stehen für ein nachhaltiges Wachstum. Sie sind wichtige Motoren im ländlichen Raum, schaffen und erhalten Wohlstand und leisten einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung.

Der vorliegende Band bringt durch die länderübergreifenden Beiträge zum Ausdruck, wie vielschichtig sich das genossenschaftliche Spektrum dar-

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Vorwort X

stellt. Die in diesem Band enthaltenen Beiträge sollten damit Anstoß für weiterführende Analysen in Forschung und Praxis geben.

Der Dank gilt an erster Stelle allen Autoren dieses Bandes. Ebenso möchte ich Frau Prof. Dr. Theresia THEURL, Geschäftsführende Direktorin des In-stituts für Genossenschaftswesen der Universität Münster, danken, die die wissenschaftliche Leitung des Symposiums und die Herausgeberschaft des vorliegenden Bandes in ihre bewährten Hände übernommen hat. Mein Dank gilt auch der Europäischen Akademie für die Gastfreundschaft und die Zusammenarbeit im Rahmen des Symposiums. Schließlich ist es mir ein Anliegen, ein Wort des Dankes auch an alle Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter des Raiffeisenverbandes zu richten, die neben ihrer regulären Ar-beit über Monate hinweg auch an der Vorbereitung und Durchführung des Symposiums beteiligt waren.

Bozen, im Januar 2011 Dr. Paul GasserGeneraldirektor Raiffeisenverband Südtirol

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort Univ.-Prof. Dr. Theresia Theurl…....………………………. VII

Vorwort Dr. Paul Gasser………………..…....………………………. IX

Inhaltsverzeichnis...…………………………………………………... XI

DR. HEINER NICOLUSSI-LECK Einleitung…………………………………………………………….. 1

DR. PAUL ARMBRUSTER Das genossenschaftliche Geschäftsmodell: Inhalte, Stärken und seine Vorteile im Wettbewerb...……………………………………….…… 5

PROF. DR. HELMUT ALEXANDER Genossenschaften in Tirol: Historische Wurzeln und Traditionen...… 15

PROF. AVV. EMANUELE CUSA Die Regelung der Genossenschaften in der Autonomen Region Trentino-Südtirol: Ein Beispiel für Italien..……………………….…. 29

LUIGI MARINO Die Zukunft der Genossenschaften zwischen örtlicher Tradition und Eurokratie………………....…………………………….……………. 39

PODIUMSDISKUSSION Zukunft der Genossenschaftsbanken, Genossenschaftsbanken der Zukunft……..………………………………………………………… 51

UNIV.-PROF. DR. THERESIA THEURL Genossenschaftliche Kooperationen: Trends und Zukunftsfelder….... 71

PODIUMSDISKUSSION Erfolg durch Verantwortung, Verantwortung durch Erfolg……….…. 91

Autorenverzeichns…………………………………………………… 119

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Dr. Heiner Nicolussi-Leck

Verbandsobmann Raiffeisenverband Südtirol

Einleitung

Der Raiffeisenverband Südtirol feierte im Jahr 2010 sein 50-jähriges Be-stehen. Die Wurzeln des Genossenschaftswesens und der Raiffeisenorgani-sation haben aber eine weitaus größere Tradition. Diese reichen in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Die erste Sennereigenossen-schaft wurde 1878 im Pustertal gegründet. Anschließend verbreitete sich die „revolutionäre“ Idee des deutschen Sozialreformers Friedrich Wilhelm RAIFFEISEN bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Tirol äußerst rasch. 1910 bestanden in Südtirol und im Trentino bereits insgesamt 867 Genossenschaften. 282 davon waren nach dem Raiffeisen-Prinzip ge-führte Spar- und Darlehenskassen. Damit entfielen auf 10.000 Einwohner 12,7 Genossenschaften – ein Rekordwert im Kaiserreich Österreich-Un-garn.

Nach dem ersten Weltkrieg wurden Südtirol und das Trentino durch die Siegermächte dem Königreich Italien zugesprochen. Die Italianisie-rungspolitik von Diktator MUSSOLINI, die Weltwirtschaftskrise, die Ab-wanderung vieler Fachkräfte als Folge der Option nach 1939 und der Zwei-te Weltkrieg trieben in der Folge viele Genossenschaften in den Ruin: Von den 135 Raiffeisenkassen blieben nach dem Zweiten Weltkrieg hier in Süd-tirol nur 55 übrig.

Der Wiederaufbau der Südtiroler Raiffeisenorganisation begann 1946 mit der Gründung des Hauptverbandes Landwirtschaftlicher Genossenschaften sowie des Verbandes der Raiffeisenkassen. Aus der Fusion dieser Verbän-de ging 1960 der Raiffeisenverband Südtirol hervor, der von Anfang an auch als gesetzlich anerkanntes Schutz- und Revisionsorgan der Autono-men Region Trentino-Südtirol fungierte. Dadurch erhielten die Genossen-schaften einen wichtigen Bezugspunkt, der durch den Aufbau verschiede-ner Dienstleistungen die Basis für eine gedeihliche wirtschaftliche Ent-wicklung der Mitgliedsgenossenschaften bildete.

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Auf den geistigen Fundamenten und Werten von Raiffeisen aufbauend, wie jener der Solidarität und Subsidiarität, ist es dem Verband in den letzten fünf Jahrzehnten auf diese Weise gelungen, Tradition und Innovation sinn-stiftend zu verbinden. Heute besteht der Raiffeisenverband aus über 370 Genossenschaften und 117.000 Einzelmitgliedern.

Genossenschaften haben in Südtirol einen wesentlichen Anteil am wirt-schaftlichen Wohlstand des Landes. Kann dieser Erfolg auch in Zukunft erhalten werden? Mit dem vorliegenden Band, der die Beiträge eines wis-senschaftlichen Symposiums am 12. November 2010 in Bozen enthält, stel-len wir die Frage nach Perspektiven in der Zukunft und tun dies unter ei-nem internationalen Blickwinkel. Ziel des Symposiums und damit dieses Bandes soll es sein, Geschichte und Gegenwart des genossenschaftlichen Unternehmermodells zu beleuchten und den Handlungsspielraum von Ge-nossenschaften aufzuzeigen.

Eine Reihe namhafter Persönlichkeiten, die in der Forschung, Lehre und im genossenschaftlichen Bereich tätig sind, haben zum Symposium und mit ihren Beiträgen zu diesem Band beigetragen.

Zu Beginn des Bandes soll dargestellt werden, warum Genossenschaften in der Vergangenheit und auch heute noch so erfolgreich sind. Dr. Paul ARM-BRUSTER, Generalsekretär der Internationalen Raiffeisen-Union, untersucht die Erfolgsfaktoren von Genossenschaften und macht deutlich, dass Ko-operation heute mehr denn je ein wichtiges Thema für Unternehmen ist und damit Genossenschaften auch in Zukunft eine wertbringende Organisati-onsform für Unternehmen sind.

Ein Blick zurück auf die Ursprünge von Kooperation und Genossenschaf-ten wagt dann Prof. Dr. Helmut ALEXANDER, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaften und Europä-ische Ethnologie der Universität Innsbruck, der wie Wurzeln des Genos-senschaftswesens in Tirol untersucht und dabei insbesondere die vielfälti-gen kooperativen Vorläuferorganisationen beschreibt. Anschließend wird von Prof. Dr. Emanuele CUSA, Professor für Handelsrecht der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Universität Trient die Gegenwart des Genos-senschaftswesens in Südtirol betrachtet. Er vergleicht die Besonderheiten des Genossenschaftsrechts in der Region Trentino-Südtirol mit anderen ita-lienischen Regionen, wobei ein besonderer Fokus auf die Genossenschafts-aufsicht und die horizontalen Subsidiaritäten gelegt wird. Mit den aktuellen wirtschaftlichen aber auch politischen Fragen des Genossenschaftswesens in Südtirol, Italien und die Beduetung und Probleme der Europäischen

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Einleitung 3

Union beschäftigt sich Luigi MARINO, Präsident der Confederazione Coo-perative Italiane. Er macht deutlich, dass die Genossenschaften für die ita-lienische aber auch für die europäische Wirtschaft von herausragender Be-deutung sind, dass es jedoch dieser Bedeutung zum Trotze durch einheitli-che europäische Regelungen, die sich meist an den Organisationsform der Aktiengesellschaft orientieren, beständig wirtschaftliche Entfaltungsprob-leme für die Genossenschaften gibt und die dadurch auch den Wettbewerb mit den Unternehmen anderer Rechtsform verzerren.

In einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion moderiert von Dr. Josef BERNHART, Europäische Akademie Bozen erörterten Alessandro AZZI, Prä-sidenten der Federazione Italiana delle Banche di Credito Cooperativo - Casse Rurali ed Artigiane, besser bekannt unter den Namen Federcasse, Dr. h.c. Stephan GÖTZL, Präsident des Bayrischen Genossenschaftsverbandes, Dr. Hilmar GERNET, Direktor „Politik & Gesellschaft“ der Raiffeisen Schweiz und Dr. Hannes SCHMID, Sprecher des Vorstandes der Raiffeisen-Landesbank Tirol die Zukunft der Genossenschaftsbanken und damit auch die Ausgestaltung der Genossenschaftsbank der Zukunft.

Frau Prof. Dr. Theresia THEURL hat nicht nur die wissenschaftliche Leitung des Symposiums übernommen, sondern stellt in einem eigenen Beitrag auch Trends und Zukunftsfelder für genossenschaftliche Kooperationen vor. Sie macht darin deutlich, dass die viele aktuelle Trends einen Vorteil für Genossenschaften darstellen, die lokale Verankerung und die Realisie-rung von Größenvorteilen in einer Organisation erlauben. Voraussetzung ist, dass die Genossenschaften eine konsequente Vorstellung darüber besit-zen, wie sie einen MemberValue erwirtschaften. Doch es kommen in die-sem Band nicht nur hochkarätige Vertreter aus dem Genossenschaftswesen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Italiens zu Wort kommen, sondern auch Pioniergeister, die durch ihren Einsatz unter Beweis stellen, dass ein genossenschaftlich geführtes Unternehmen den Vergleich mit an-deren nicht zu scheuen braucht. Fünf Vertreter erfolgreicher Genossen-schaften in neuen Branchen zeigten in einer Podiumsdiskussion, dass sie diese Ideen bereits verwirklicht haben. Mario DUSCHEK, Geschäftsführer des Maschinenring-Service Kärnten, Alexander GROWE, Vorstand Aktives Reisebüro Netzwerk aus Gottmadingen am Bodensee, Dr. Manfred KLEMM, Vorstandsvorsitzender des Regionalen Gesundheitsnetzes Lever-kusen, Hermann SCHMIDT, Bürgermeister der schwäbischen Gemeinde Amerdingen und gleichzeitig Vorstandvorsitzender des dortigen genossen-schaftlichen Dorfladens Dr. Georg WUNDERER, Präsident des Raiffeisen Energieverbandes mit Sitz in Bozen diskutierten aus ihren persönlichen Er-fahrungen, wie in neuen zukunftsorientierten Branchen die Genossenschaft

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genutzt werden kann, um die Menschen und Unternehmen, die sie gründen, wirtschaftlich erfolgreicher zu machen.

Das wissenschaftliche Symposium „Genossenschaften auf dem Weg in die Zukunft“ anlässlich des 50-jährigen Gründungsjubiläums des Raiffeisen-verbandes Südtirol hat zahlreiche Vertreter aus Kirche, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aus dem In- und Ausland in Bozen zusammengebracht. Frau Prof. Dr. Theresia THEURL gilt der Dank für die Übernahme der der wissenschaftlichen Leitung dieser Tagung und Herrn Dr. Josef BERNHART von der Europäischen Akademie in Bozen, in deren Räumen das Symposi-um stattfand sei für die Übernahme der Tagungsmoderation gedankt. Die Tagung hat allen Teilnehmer neue Anregungen gegeben und neue Diskus-sionen angestoßen, die nun weiter wissenschaftliche aufgearbeitet werden können. Mit diesem Band werden diese wertvollen Beiträge einer breiteren Öffentlichkeit verfügbar gemacht und es ist zu erwarten, dass dieses die Diskussion dieser Themen weiter anregen wird.

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Dr. Paul Armbruster

Das genossenschaftliche Geschäftsmodell: Inhalte, Stärken und seine Vorteile im Wettbewerb

1 Genossenschaften – ein (ge-)wichtiger Wirtschaftsfaktor

Anlässlich einer Tagung zur ländlichen Entwicklung im November 2010 in Berlin haben das deutsche Entwicklungsministeriums, das deutsche Land-wirtschaftsministerium und der deutsche Bauernverbandspräsident auf die große Bedeutung Friedrich Wilhelm RAIFFEISENs verwiesen und verdeut-licht, wie wichtig RAIFFEISEN und die anderen Genossenschaftspioniere vor 150 Jahren waren und weiterhin für die wirtschaftliche und gesellschaftli-che Entwicklung sind. Gegenwärtig stellt sich die Frage, wie die Genossen-schaftsidee heutzutage weltweit stärker gefördert werden kann. 800 Mio. Menschen auf der Welt, viele davon sind Bauern, leben in großer Armut. deren Bekämpfung sich die internationale Gemeinschaft zum Ziel gesetzt hat. Die Ideen Friedrich Wilhelm RAIFFEISENs bieten hierzu einen Ansatz. RAIFFEISEN hat gesagt: „Das, was dem Einzelnen nicht möglich ist, kann aber durch vereinte Kräfte erreicht werden“. RAIFFEISEN und seine Mitstrei-ter haben dieses erfolgreich umgesetzt. Ein Mitarbeiter der Weltbank hat kürzlich eine Stärken-Schwächen-Analyse zu Genossenschaften in Ent-wicklungsländern vorgelegt, in der das Raiffeisenmodell und das, was durch unternehmerisch orientierte Genossenschaften erreicht wurde, sehr positiv herausgestellt, aber auch auf mögliche Schwächen des Modells hin-gewiesen wurde. Dieses ist umso bemerkenswerter, als die Weltbank über Jahre hinweg Genossenschaften sehr kritisch betrachtet hat.

Lange war man der Auffassung, dass man mit Hilfe der genossenschaftli-chen Organisationsform alle Probleme in Entwicklungsländern bzw. in Schwellenländern lösen könnte, was vor dem Hintergrund des System-streits, der bis 1990 existierte, sehr problematisch war, da aus den osteuro-päischen kommunistischen Länder und aus dem Westen sehr unterschiedli-che Ideen von Genossenschaften transportiert wurden. Es wurde sehr viel Geld eingesetzt, aber vielfach blieb der erhoffte Erfolg aus. hat. Das lag jedoch nicht an der Organisationsform „Genossenschaft“ per se, sondern zumeist an der unreflektierten Übertragung dieser Idee. Lokale Gegeben-heiten und Besonderheiten, der institutionelle Rahmen und der wirtschaftli-

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che Entwicklungsstand sind von Land zu Land unterschiedlich und es be-darf einer sorgsamen Prüfung dieser Rahmenbedingungen, um Genossen-schaften zum Erfolg zu führen. Es liegt in der Natur der Genossenschaft, dass sie von unten nach oben wächst. Eine Oktroyierung der genossen-schaftlichen Idee von oben nach unten ist damit eigentlich selbst schon nicht genossenschaftlich. So ist Südtirol sicher anders als der Westerwald, wo RAIFFEISENs Wirken begann; es hat seine eigene Kultur und Geschich-te. Folglich wurde die Idee der Genossenschaft in Südtirol übernommen, aber angepasst an die lokalen Verhältnisse, so dass sie in diesem spezifi-schen Umfeld arbeitsfähig wurde. Die Anpassung der Idee und deren ent-sprechende Weiterentwicklung macht den Erfolg der Genossenschaften hier in Südtirol aus. Dass ein eigener Weg definiert wurde, ohne die von RAIFFEISEN aufgestellten Prinzipien, außer acht zu lassen, macht die Ge-nossenschaftsidee in Südtirol aus. So wie in Südtirol kann die Idee der Ge-nossenschaft auf der ganzen Welt erfolgreich sein. Es gibt weltweit viele erfolgreiche RAIFFEISEN-basierte Genossenschaften. Darauf können wir alle stolz sein und es bestärkt uns darin, die genossenschaftliche Idee weiter nach außen zu tragen.

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2012 zum Year of Cooperatives, zum Jahr der Genossenschaften, ausgerufen, was eine einmalige Gelegen-heit bietet, noch einmal die Bedeutung und die Rolle der Genossenschaften deutlich zu machen. Denn Genossenschaften zählen zu den nachhaltigsten Formen der wirtschaftlichen Kooperation. Sie leben ihre Prinzipien nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Die Welt hat sich verändert und ist globalisierter geworden. Immer mehr Menschen stehen miteinander in Kontakt und tauschen ihre Waren und Ideen aus. Gleichzeitig ist die Welt-wirtschaft durch wachsende Unternehmenskonzentration und zunehmende wirtschaftlich Potenz einzelner Unternehmen und Staaten wie Russland, Indien, China und Brasilien gekennzeichnet. Die gesellschaftlichen Bedin-gungen ändern sich durch diese Veränderungen der wirtschaftlichen Rah-menbedingungen.

Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: von der Ressourcenausstattung, vom Know-how in dem Land, von der Infrastruktur, von der Existenz eines leistungsfähigen Finanzsek-tors. Spätestens seit Beginn der Finanzmarktkrise vor zwei Jahren ist deut-lich geworden, wie wichtig ein leistungsfähiger Finanzsektor ist und wie sehr ein nicht oder fehl-funktionierender Finanzmarkt auch die Realwirt-schaft in Mitleidenschaft ziehen kann. In dieser Finanzmarktkrise waren es wiederum die Genossenschaften, die am stabilsten waren und diese Krise besser als andere Unternehmen durchstanden haben, weil sie aufgrund ihrer

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lokalen Verwurzelung nachhaltig und langfristig orientiert wirtschaften. Jedes Land braucht effiziente Märkte und eine starke internationale Wett-bewerbsfähigkeit. Das Hauptziel jeder Regierung muss die Schaffung und die Absicherung eines möglichst hohen Lebensstandards für alle Bevölke-rungsschichten sein. Gerade im Globalisierungsprozess und im damit ein-hergehenden Abbau von Markteintrittsbarrieren nimmt deshalb die Bedeu-tung der regionalen Wirtschaft als Grundlage für die wirtschaftliche Ent-wicklung zu. Das makroökonomische Umfeld, die Qualität und die Durch-setzungsfähigkeit öffentlicher Institutionen, die Vernetzung von Branchen und Sektoren, der Marktzugang, die Banken, starke Unternehmen und hier insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind hierfür von grundlegender Bedeutung. Die Unternehmen müssen darauf eingerich-tet sein, dass sich die Welt weiter ändert. Die starke Wettbewerbsposition der einzelnen Banken und Unternehmen ist zentrales Element für die Si-cherung und Steigerung von Beschäftigung und Einkommen.

2 Kooperation als Erfolgsfaktor

Wenn die Wirtschaft heute also einerseits immer stärker globalisiert ist, andererseits aber auch die lokale Wirtschaft in den einzelnen Ländern so große Bedeutung hat, stellt sich die Frage, wie diese beiden Entwicklungen miteinander vereinbart werden können. Die Antwort ist eine einfache, näm-lich eine genossenschaftliche und lautet: Kooperation. Kooperation war zu Zeiten RAIFFEISENs ein Erfolgsfaktor und ist es heute mehr denn je. In zahl-losen neueren Veröffentlichungen wird ein solcher „Trend zur Kooperati-on“ diagnostiziert, weil es u.a. eine allgemeine Verschärfung des Wettbe-werbs gibt, eine Tendenz zur Internationalisierung, eine zunehmende Komplexität der Leistungsprozesse und neue Medien, Kommunikations-technologien und andere technologische Innovationen.

Kooperation ist nicht auf Europa begrenzt: In allen Kulturen und zu allen Zeiten haben Menschen zusammengearbeitet. Aber RAIFFEISEN war es, der mit der Idee der organisierten Selbsthilfe die dauerhafte unternehmerisch ausgerichtete Kooperation in Genossenschaften begründet hat. Häufig wird auch darauf verwiesen, dass die Genossenschaften eigentlich in Rochdale (England) entstanden sind, wo 1844 28 Weber die Rochdale Society of E-quitable Pioneers gründeten. Dies verkennt jedoch, dass es sich hier eigent-lich um Konsumgenossenschaften handelte. RAIFFEISEN hingegen hat in Zusammenarbeit mit SCHULZE-DELITZSCH und von diesem auch mitinspi-riert die unternehmerische Genossenschaft definiert. Genau dieser Fakt der unternehmerischen Genossenschaft ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Genossenschaft: Der Irrtum in vielen Ländern in der Ver-

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gangenheit bestand darin, dass der Staat die Genossenschaften instrumenta-lisierte, um soziale Ziele zu erreichen. Genossenschaften jedoch sind Un-ternehmen mit unternehmerischen Zielen. Sie haben keine sozialen Ziele. Aber durch ihren Geschäftserfolg und ihre Aktivität induzieren sie soziale Effekte bei ihren Mitgliedern sowie auch im Umfeld der jeweiligen Genos-senschaft. Das macht die Genossenschaft aus. Wenn eine Genossenschaft wirtschaftlich im Dienste der Mitglieder arbeitet, verbessert sich deren ö-konomische und demzufolge auch ihre soziale Situation. Aber nicht nur die Situation der Mitglieder, sondern auch der Kommune und Region, was man hier in Südtirol sehr deutlich sieht.

Kooperation braucht aber auch einen verlässlichen und verbindlichen Rahmen. Auch hier erweist sich die Rechtsform der Genossenschaft als flexibel und anpassungsfähig. In den meisten Volkswirtschaften sind Ge-nossenschaften wichtige Bestandteile und Träger der Wirtschaft, aber auch der Gesellschaft. In allen modernen Industriestaaten und in vielen aufstre-benden Ökonomien spielen Genossenschaften eine wichtige Rolle. Aber es gibt auch neue Entwicklungen, die weiter zur Steigerung der Bedeutung der Kooperation und damit von Genossenschaften beitragen können. Eine weltweite tätige Beratungsgesellschaft fasst dieses in folgende Worte:

„Die veränderten Marktbedingungen haben weltweit zu einer verstärkten Kooperationsbereitschaft geführt und Kooperation zu einer strategischen Option für nachhaltiges Liefer-, Service- und Wertschöpfungsmanagement werden lassen“.

Offenbar gewinnt das Thema der Kooperation in unterschiedlichsten Di-mensionen an Bedeutung. Dieses sind horizontale Kooperationen auf einer nichtwettbewerbsrelevanten Ebene ebenso wie vertikale Kooperation, also die Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungs- und Lieferkette. Bei Letzterem ist insbesondere die Kooperation mit kleineren Lieferanten, wie Vertragsanbau in der Landwirtschaft zur Sicherung der Rohstoffbasis, zu nennen.

In der internationalen Entwicklungszusammenarbeit hat man in der Zwi-schenzeit so genannte Multi-Stakeholder-Ansätze entwickelt, die nicht nur Produzenten, Vermarkter u.a., sondern auch Regierungen und Interessen-gruppen (so genannte Nichtregierungsorganisationen) mit einbeziehen. Diese Ansätze gehen über ökonomische Ansätze weit hinaus, da sie nicht allein auf Kostendegression, Skalen- und Synergieeffekte, Qualitätssiche-rung, Know-how bzw. die Einbindung der öffentlichen Hand abzielen, sondern auch die Glaubwürdigkeit gegenüber der Öffentlichkeit und die Corporate Social Responsibility berücksichtigen.

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Corporate Social Responsibility hat in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen und es wurden zahllose Konzepte und Leitfäden hierzu entwickelt. Dieses verwundert insofern, da dieses bei den Genossen-schaften seit jeher eine Selbstverständlichkeit ist. Unternehmerisches Han-deln findet bei den Genossenschaften ihren Ausgang bei den Bedürfnissen und dem Standort der Mitglieder. Der Einzelne und das einzelne Unter-nehmen haben immer eine relativ schwache Position am Markt. Deshalb müssen sie kooperieren, um Größenvorteile, sog. Economies of Scale, zu erzielen und um den eigenen Anteil an der Wertschöpfungskette zu erhö-hen. Die Genossenschaft stellt genau diese Marktverbindung bei der Be-schaffung bei der Bearbeitung oder auch bei der Vermarktung her. Spar- und Kreditgenossenschaften und genossenschaftliche Banken schaffen den Zugang zu Finanzdienstleistungen. Ziel ist dabei stets die Stärkung der Wirtschaft der Mitglieder und der lokalen Wirtschaft. Damit wohnt Genos-senschaft per se der Gedanke der Corporate Social Responsibility inne und muss nicht neu erfunden werden.

Wenn die große Kaffeekette Starbucks oder andere große Konzerne (Chi-quita aber auch europäische Konzerne der Lebensmittelindustrie) von Ko-operation bzw. Liefer- und Wertschöpfungskettenkooperationen sprechen, verfolgen sie ihre individuellen unternehmerischen Ziele und sehen die Produzenten als Rohstofflieferanten, deren Mengen man sich aus markt-strategischen Gründen sichern will. Hier wird „Wertschöpfungskette“ an-ders definiert als in den Genossenschaften, und sie wird strategisch genutzt. Der eine Partner sichert sich seine Wertschöpfung und kalkuliert retrograd. Der Treiber solcher „Kooperationen“ ist die langfristige Sicherung von Ressourcen. Es ist also eine einseitige, interessengeleitete Kooperation, die vielleicht eine win-win-Situation ergeben kann, aber im Grunde gibt es weiterhin innerhalb dieser „Kooperationen“ sehr unterschiedliche Interes-sen, die auch aus der sehr asymmetrischen Machtverteilung in diesen „Ko-operationen“ resultiert.

Dem kann das genossenschaftliche Modell entgegen gestellt werden. Das Modell, das für die Mitglieder da ist und bei dem die Genossenschaft ihren Förderungsauftrag für die Mitglieder erfüllt. Genossenschaften sind die marktverbindenden Unternehmen ihrer Mitglieder, die deren Wirtschaft durch entsprechende Leistungen fördern. Die Herstellung der Marktverbin-dung und der Marktgegenmacht (Countervailing Power) sind die entschei-denden Schritte. Erst dadurch ergeben sich:

Economies of Scale,

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Economies of Scope, durch Erweiterung der Kernkompetenzen,

Senkung der Transaktionskosten,

Economies of Skills, wie zusätzliches Know-how und vor allem:

eine eigenständige Marktposition der Genossenschaftsmitglieder und der Genossenschaft gegenüber der Marktgegenseite oder den Wett-bewerbern, also letztlich die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit.

Kooperation bedeutet also, sich auf das Wesentliche, nämlich seine Kern-kompetenz, zu konzentrieren und mit den Kooperationspartnern Kosten und Risiken zu teilen. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen, die eine Ge-nossenschaft bietet, ist sie die ideale Organisationsform, um das selbststän-dige Unternehmertum in der Landwirtschaft, im Handel und im Gewerbe zu erhalten. Die Mitglieder sind Teilhaber der Genossenschaft und bestim-men selbst über die Geschäftspolitik ihres gemeinsamen Unternehmens. Sie verlieren ihre unternehmerische Eigenständigkeit nicht und sind Kunde und Eigentümer zugleich. Das ist bei den neuen Formen der „Kooperation“, die oben beschrieben wurden, nicht mehr der Fall.

Es ist deshalb wichtig, dass die Genossenschaften weiterhin innerhalb der Wertschöpfungskette miteinander interagieren und die Interessen gemein-sam nach außen vertreten. Als genossenschaftlicher Verbund wird die Ver-bindung mehrerer Genossenschaften, wie es auch hier in Südtirol ersicht-lich ist, ein ganz wichtiges strategisches Element. Spezifische Aufgaben wurden von den Primär- auf die Sekundärgenossenschaften übertragen. Schon allein deshalb kann man heute nicht die einzelnen Genossenschaften betrachten, sondern muss immer das gesamte System im Blick haben.

3 Die Erfolgsfaktoren der Genossenschaft

Die Genossenschaften haben unterschiedlichste Erfolgsfaktoren. Es ist von besonderer Ironie, dass Friedrich Wilhelm RAIFFEISEN und Karl MARX im selben Jahr geboren wurden. Und als Anfang der 90er Jahre in Russland ein erstes Interesse an den deutschen Raiffeisengenossenschaften entstand, wurde das dort zum Anlass genommen, um den Deutschen spaßhaft entge-genzuhalten „Mit RAIFFEISEN seid Ihr reich geworden und MARX habt ihr exportiert.“ Dieser Ausspruch hat einen wahren Kern. Der von RAIFFEISEN und SCHULZE-DELITZSCH schon vor über 130 Jahren postulierte Förderauf-trag, die Verpflichtung der Genossenschaft gegenüber den Mitgliedern, war der entscheidende Schritt, aus dem auch die unternehmerische Definition der Genossenschaften abgeleitet wurde. Es gibt bis heute keine gute Über-

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setzung für „Förderauftrag“. Es ist nicht möglich, diesen Begriff geeignet mit seiner ganzen Bedeutung ins Englische, Spanische oder Französische zu übersetzen, obwohl er doch eigentlich der Kern der genossenschaftli-chen Idee ist. Die Genossenschaft als Unternehmen, als Organbetrieb ist für die Mitglieder da.

Die Erfolgsfaktoren für die Entwicklung von Genossenschaften sind viel-fältig. Fünf wesentliche Faktoren sollen nachfolgend kurz angesprochen werden: die Gebarungsprüfung, der Rechtsrahmen der Genossenschaften, die Corporate Identity, die genossenschaftliche Governance und nicht zu-letzt die Mehrstufigkeit.

Die genossenschaftliche Prüfung ist ein wichtiges Element der ge-nossenschaftlichen Entwicklung, ohne die viele Genossenschaften wahrscheinlich Krisenzeiten nicht hätten überstehen können. Be-trachtet man das Beispiel Südtirol, so sind viele Genossenschaften von Dorfbewohnern mit Unterstützung von Lehrern, Pfarrern und ähnlichen Berufen gegründet worden. Sie waren häufig die Initiato-ren und wenn sie die Gemeinschaft verließen, traten Probleme auf, da dann plötzlich gut ausgebildete Kräfte fehlten, was zu Fehlern und Fehlentscheidungen führte. Deshalb ist die Prüfung so wichtig, wie sich auch heute noch in vielen Entwicklungsländern zeigt. Die Mit-glieder können oftmals ihre eigene Genossenschaft nicht kontrollie-ren, weil sie keine Buchhaltungskenntnisse haben oder gar nicht le-sen und schreiben können. Hinzu kommt, dass Genossenschaften an-fällig für Gerüchte sind. Wenn die Führungspersonen dann jedoch belegen können, dass ihre Genossenschaft unabhängig geprüft wur-de, dann hat dieses auch ein sehr viel größeres Vertrauen in die Ge-nossenschaft zur Folge und das genossenschaftliche System kann sich stabilisieren. Die Prüfung und das ausgebildete Personal sind wichtige Ressourcen für die Genossenschaft.

Der Rechtsrahmen für Genossenschaft ist für deren Stabilität und ih-re Autonomie wesentlich. In Europa – zumindest in Westeuropa – existieren sehr gute Genossenschaftsgesetze. In anderen Ländern, existieren solche rechtlichen Rahmenbedingungen nicht in diesem Maße und damit bietet sich dem Staat auch die Möglichkeit, in die Geschäfte der Genossenschaft einzugreifen, um eigene Ziele durch-zusetzen, die den Zielen der Mitglieder unter Umständen zuwiderlau-fen. Damit wird die Genossenschaft jedoch an einem ihrer zentralen Funktionsprinzipien, dem Bottom-up-Prinzip, angegriffen, was ihre ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit beeinträchtigt.

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Viele Unternehmen suchen nach einer Corporate Identity, auch um ihre Corporate Social Responsibility besser nach außen tragen kön-nen. Die Genossenschaften haben die beste Corporate Identity. Die Raiffeisenidee ist die Identität der Genossenschaft, die ständig wei-terentwickelt wird. Es sollte froh stimmen, dass das Raiffeisen-Giebelkreuz hier in Südtirol so in den Vordergrund gestellt wird und damit überall erkennbar ist, dass RAIFFEISEN ein ganz wichtiger Teil der Wirtschaft und der Gesellschaft ist.

Die Governance-Strukturen sind ein zentraler Erfolgsfaktor von Ge-nossenschaften. Das zentrale Principal-Agent-Problem, wo der Prin-zipal die Aktionen des von ihm beauftragten Agenten nicht richtig beobachten und einschätzen kann, ist bei Genossenschaften dadurch abgeschwächt, dass die Mitglieder ihre Genossenschaften und ihr Management selbst kontrollieren. Die internen Strukturen in der Ge-nossenschaft sind überlappend.

Auf RAIFFEISEN geht das Prinzip der Mehrstufigkeit zurück, das die Genossenschaften in Verbünden mit Primärgenossenschaften, Zen-tralgenossenschaften, Bundeszentralen u.ä. organisiert. Im Jahr 1872 schrieb RAIFFEISEN: „Die Organisation ist das einzige Mittel, die Darlehns-Vereine für die ganze Zukunft zu erhalten, durch sie sind die einzelnen Vereine nicht mehr alleinstehend, nicht mehr den Zu-fälligkeiten und Wechselfällen der Zeit unterworfen“. Dies hat RAIF-

FEISEN – wohlgemerkt kurz nachdem 1871 das Deutsche Reich ent-standen ist – gesagt. Er hat damit Konzepte erdacht, die wir heute erst richtig wissenschaftlich durchdringen können. So beobachtet man heute auch in Entwicklungsländern die Entstehung mehrstufiger genossenschaftlicher Systeme und Verbünde, die nach dem Subsidia-ritätsprinzip aufgebaut sind. Stand-Alone-Einzellösungen bei Genos-senschaften funktionieren in keinem Land der Welt.

4 Genossenschaften heute

Es ist deshalb nicht überraschend, dass man heute die Neugründung von Genossenschaften beobachtet, weil der Bedarf für die Kooperation von Menschen und Unternehmen vorhanden ist. Es gibt Neugründungen in Deutschland, wo sich große Unternehmen in der Softwareentwicklung zu-sammengeschlossen haben. Dabei entwickeln Mitarbeiter Software für die-se Unternehmen, die alle für sich individuell arbeiten, aber das gemeinsame Bedürfnis nach dieser Software haben. Unternehmen, die nicht kooperie-ren, lassen Chancen ungenutzt und haben einen Wettbewerbsnachteil. Und

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Das genossenschaftliche Geschäftsmodell: Inhalte, Stärken und seine Vorteile 13

Länder, die diese Chancen verpassen, verlieren nachhaltig an Wettbewerbs-fähigkeit.

Brasilien ist ein ganz gutes Beispiel dafür, was Genossenschaften schaffen könnte. Der ehemalige brasilianische Präsident LULA ist ein großer Förde-rer von Genossenschaften geworden. Die Idee der Genossenschaft kam durch italienische und deutsche Einwanderer nach Brasilien, so dass sich dort zwei Systeme herausgebildet haben, die aber schon seit geraumer Zeit wieder vereinigt sind (RAIFFEISEN und LUZATI). Die Brasilianer sind sehr stolz auf ihr genossenschaftliches System. Zusammen mit den Brasilien baut der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband in Mosambik Genossenschaften auf. Ebenso gute Beispiele der Entwicklung von Genos-senschaften finden sich in Paraguay und in Südkorea. In Südkorea lebten nach der Teilung die Menschen in großer Not und noch 1960 war es ärmer als die meisten afrikanischen Länder. Heute gehört es zu den reichsten und modernsten Volkswirtschaften der Welt.

Weltweit kann man heute eine „Supermarktisierung“ beobachten, d.h. die Märkte werden von Konzernen wie Metro, Walmart u.a. erobert. Die klei-nen landwirtschaftlichen Produzenten haben dann keine Chance mehr, mit diesen großen Unternehmen als einzelne Landwirte zu handeln, so dass sie kooperieren müssen, um eine hinreichende Gegenmacht zu bilden.

Genossenschaften waren in der Vergangenheit und werden auch zukünftig erfolgreiche Geschäftsmodelle sein, die die Idee der sozialen Markwirt-schaft und des verantwortlichen Wirtschaftens voranbringen. Dieses sind Beiträge, die nicht immer hinreichend von der Politik gewürdigt worden sind, die es aber zu würdigen gilt. Umso mehr sollte das Jahr 2012, das in-ternationale Jahr der Genossenschaften, genutzt werden, um diese erfolg-reiche Idee weiter zu verbreiten.

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Genossenschaftswesen in Tirol: Historische Wurzeln und Traditionen

1 Der Beginn des modernen Genossenschaftswesens in Südtirol

Der Beginn des modernen Genossenschaftswesens in Tirol lässt sich relativ einfach feststellen und mit einigen Eckdaten markieren: Das „Gesetz vom 9. April 1873 über Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften“,1 die Er-richtung des Landeskulturrats/Consiglio provinciale d´agricoltura mit sei-nen beiden Sektionen in Innsbruck und Trient am 24. September 18812 und die Gründungsdaten der ersten Genossenschaften 1870 (erste genossen-schaftlich organisierte, jedoch nach dem Vereinsgesetz von 1867 gegründe-te Sennerei in Mals; 1878 erste, nach dem Genossenschaftsgesetz von 1873 gegründete Sennerei in Niederdorf).3 Wenig später entstanden auch die ers-ten Kreditanstalten Tirols auf Genossenschaftsbasis, wie die „Banca Mutua Popolare di Rovereto“ (1883) die „Banca cooperativa di Trento“ (1885) und die „Gewerbliche Spar- und Vorschußkasse zu Meran“ (1886), die auf den Grundsätzen Hermann SCHULTZE-DELITZSCHs (1808-1883) beruhten4 wie auch die nach den Prinzipien Friedrich Wilhelm RAIFFEISENs (1818-1888) organisierten Spar- und Darlehenskassen, von denen 1888 die ersten nördlich des Alpenhauptkamms in Ötz, Inzing und Kirchberg5 und 1889

1 RGBl. 70/1873. 2 Vgl. dazu: SCHOBER (1984), S. 290/291; LEONARDI (1993), S. 96-98 sowie MEIXNER

(1993). Mit Beschluss des Tiroler Landtags vom 18. Juli 1882 wurde der Landeskulturrat beauftragt, die Initiative zur Bildung von Spar- und Vorschußkassen zu ergreifen, womit „von seiten der Landesgesetzgebung der Grundstein zur Errichtung von Raiffeisengenossen-schaften gelegt“ wurde (ebd., S. 127).

3 PICHLER/WALTER (2007), S. 29; vgl. dazu auch: LEIDLMAIR (1958), S. 212 sowie LEONAR-

DI (1993), S. 104. 4 LEONARDI (1993), S. 100. 5 Vgl. dazu: FISCHER (1969) mit umfangreichen Ausführungen „zur Frage des Erstgeburts-

rechtes im Raiffeisensektor Tirols“, S. 37-46.

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auch in Südtirol, in Welschellen (Rina), einem kleinen Bergdorf im Gader-tal, sowie in Schluderns und Brixen gegründet wurden.6

Nach den gesetzlichen Bestimmungen des Jahres 1873 sind unter Genos-senschaften solche „Vereine von nicht geschlossener Mitgliederzahl“ zu verstehen, „welche die Förderung des Erwerbes oder der Wirthschaft ihrer Mitglieder mittelst gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes oder mittelst Creditgewährung bezwecken (Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaf-ten)“. Dazu zählten etwa „Vorschuß- und Creditvereine, Rohstoff- und Magazinvereine, Productivgenossenschaften, Consumvereine und Woh-nungsgenossenschaften und dgl.“ die „entweder mit unbeschränkter oder mit beschränkter Haftung ihrer Mitglieder errichtet werden“ konnten.7

In diesen wenigen Zeilen der beiden ersten Paragraphen des Genossen-schaftsgesetzes von 1873 stechen zwei Prinzipien hervor, welche den Zu-sammenschluss von einzelnen Individuen zur Bildung einer Genossen-schaft prägnant charakterisieren: eine gemeinschaftliche Aufgabenbewälti-gung und das gemeinsame füreinander Einstehen. Die Bereitschaft zur Selbsthilfe auf der Basis von Kooperation („gemeinschaftlicher Geschäfts-betrieb“) und eine auf Solidarität beruhende Selbst- und Mitverantwortung („Haftung der Mitglieder“) sind also grundlegende Voraussetzungen, die ein Einzelner in die genossenschaftliche Vereinigung einbringen muss, um ihren Erfolg zu gewährleisten. Ein solches Engagement wird durch ein Verständnis gestärkt bzw. von einer Haltung getragen, die die einzelnen Genossenschaftsmitglieder auf gleicher Augenhöhe sieht. Denn ein Lexi-konartikel aus dem Jahre 1735 sagt uns nämlich: „Genossen sind die, so einander gleich sind am Stand und am Herkommen. Genossen ist so viel als seines gleichen, oder Geselle“ und weiter: „Genossenschafft ist so viel, als Gleichheit am Stande, oder der Geburt.“8

An diesen Definitionen wird erkennbar, dass mit den Begriffen „Genosse“ und „Genossenschaft“ ein Gleichheitsgrundsatz verbunden ist, lange bevor deren normative Prägung im Kontext einer rechtsverbindlichen Formulie-rung zur Bildung eines Vereins festgeschrieben wurde. Und auch der „Ver-

6 Vgl. dazu: PALLA (1989), S. 63 u. 69. Im Trentino entstanden die ersten Raiffeisen-Genossenschaften 1890 („Società cooperativa rurale di smercio e consumo di S. Croce nel Bleggio“) und 1892 („Cassa rurale di risparmio e prestito di Quadra“, ebenfalls in Bleggio); vgl. dazu: LEONARDI (1993), S. 103.

7 RGBl. 70/1873, §§ 1 u. 2. 8 Johann Heinrich ZEDLER, Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften

und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbes-sert worden, Bd. 10: G – Gi, Leipzig u. Halle 1735, Sp. 887.

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ein“ (in früheren Zeiten auch als „das“ Verein bezeichnet), bzw. das, was darunter zu verstehen ist, war bereits vor dessen Einzug in die Gesetzestex-te des 19. Jahrhunderts bekannt. Das Grimm´sche Wörterbuch bezeichnet damit eine „verbindung zur einheit“ bzw. „das durch vereinigung verbun-dene“,9 auch eine „gemeinschaft freier männer“ oder eine „societas“, also eine Genossenschaft oder Gesellschaft.10 Und damit sind wir begrifflich wieder ganz nahe am Text des Genossenschaftsgesetzes von 1873 wie auch in der Vorstellungswelt früherer Zeiten, als unter „Gesellschafft […] eine würckliche Vereinbarung der Kräffte vieler zu Erlangung eines gemein-schafftlichen Zweckes [verstanden wurde]. Also machet das blosse bey einander seyn noch keine Gesellschafft, […] ja es ist solches bey einander seyn zum Wesen einer Gesellschafft nicht einmahl nothwendig […]. Alle Gesellschafft erfordert eine Gemeinschafft oder Übereinstimmung derer Gemüther, durch welche einer von des andern Gedancken und Ansichten Nachricht haben könne. Denn wie wolten sonst die Menschen ihre Kräffte zu Erlangung eines gemeinschafftlichen Zweckes vernünfftig vereinbaren können, wenn keiner von denen Gedancken und Absichten des andern Nachricht haben kan?“11

2 Frühe Vorläufer genossenschaftlicher Zusammenarbeit

In diesen kurzen Ausführungen ist wohl deutlich geworden, dass es auch in früheren Zeiten und lange vor einer Vereins- und Genossenschaftsgesetz-gebung dem modernen Begriffsverständnis sehr ähnliche Vorstellungen von Vereinen, Vereinigungen, Gesellschaften oder Genossenschaften gab. Und ebenso klar erkennbar ist auch, dass als deren konstitutive Elemente der Konsens und die Kooperation innerhalb der Interessensgruppe galten und die unter den genannten Bezeichnungen erfolgten Zusammenschlüsse nicht ohne Zweck und Nutzen für ihre Mitglieder geschaffen wurden. Und selbstverständlich funktionierten solche Gesellschaften auch früher nur, wenn der einzelne Genosse gewisse Verpflichtungen erfüllte und bestimm-te Gebote befolgte.

Dafür sollen nun einige Beispiele angeführt werden, die zeigen können, dass die leitenden und tragenden Prinzipien des modernen Genossen-schaftswesens in der Tiroler Bevölkerung und ihrer Geschichte tief verwur-

9 Jacob und Wilhelm GRIMM, Deutsches Wörterbuch [1854 ff], 33 Bde., München 1984 [Nachdruck], Bd. 25, Sp. 272.

10 Jacob und Wilhelm GRIMM, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 237 u. 1177. 11 Ebd., Sp. 1260/1261.

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zelt sind, bereits über Jahrhunderte hinweg praktiziert wurden und somit im 19. Jahrhundert auf eine lange Tradition zurück blicken konnten.

Freilich finden sich unterschiedlichste historische Formen gemeinschaftli-cher Tätigkeiten auch in anderen Regionen, wozu etwa im bäuerlichen bzw. dörflichen Leben die Regelung der Nutzung von gemeinschaftlichem Gütern (Allmende, Almen, Wälder, Seen, Flüsse etc.) zu zählen sind. Mit solchen kollektiven Nutzungsformen korrespondierte in Tirol zum Teil auch ein gemeinschaftlich praktizierter Schadensausgleich. Darunter ist die „Sitte“ zu verstehen, „sich das Vieh auf den Alpenweiden wechselweise zu assekuriren“.12

Falls in einem steilen Gelände solcher Almgebiet ein Tier zu Tode stürzte, pflegte man in manchen deutschtirolischen Gemeinden, „das gefallene Rindstück an die Eigenthümer des übrigen Viehes nach Pfunden zu verthei-len, die hiefür einen mäßigen, immer schon bestimmten Preis dem Herrn des getödteten Thieres vergüteten“. Und in den italienischen Gemeinden war es üblich, „daß der Schade im gemäßigten Betrage geschätzt, und von den Besitzern des gesunden Viehes dem, den das Unglück traf, im Baren vergütet wird“. – Ein wechselseitiges Versicherungssystem, das auf einer solidarischen Haftung für entstandene Schäden beruhte!

Die Nutzung gemeinschaftlicher Güter erfolgte in Tirol meist durch soge-nannte Interessentschaften,13 worunter geregelte Zusammenschlüsse einzel-ner, meist Gemeindemitglieder, zur Erfüllung gemeinsamer Zwecke zu verstehen sind, die sich kaum von ähnlichen Personenvereinigungen ande-renorts unterschieden. Aber es gab und gibt in Tirol und speziell in Südtirol jedoch auch einige davon, die eher spezifisch für diesen Raum und auch rechtlich begründet bzw. geregelt waren/sind. Darüber hinaus soll natürlich auch an „genossenschaftliche“ Wurzeln erinnert werden, die außerhalb des Agrarsektors zu finden sind.

2.1 Waalsysteme und Waalinteressenschaften14

Typisch für manche Gegenden in Südtirol sind die sogenannten Waale, ein Bewässerungssystem, dessen Anlagen über Generationen errichtet und ausgebaut worden waren und dessen Betreuung und Erhaltung gemein-schaftlich erfolgt(e). Waale finden sich in der Meraner und Bozner Gegend,

12 STAFFLER (1839), S. 162 (daraus auch die folgenden Zitate). 13 Zu den Interessentschaften in Tirol, vgl. WOPFNER (1995), S. 371-373. 14 Zum folgenden siehe: TUMLER (21971), S. 51-56; MENARA (72005), S. 10-33; BODINI

(2002), p. 11-40.

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vor allem aber im Vinschgau, einer „Insel von Trockenheit“,15 einem der trockensten Gebiete der Alpensüdseite.16 Hier wird der Großteil der land-wirtschaftlich genutzten Fläche durch Waalsysteme und Bewässerungsan-lagen künstlich bewässert,17 deren erste urkundliche Erwähnungen in die Zeit bis um 1200 zurück reichen, doch ist mit Sicherheit anzunehmen, dass sie bereits lange vorher in Gebrauch waren. Die Bezeichnung „Waal“ dürf-te sich von „aquale“ (Wasserleitung) aus der romanischen Sprache herlei-ten.

Die Anstrengungen für die Errichtung weitläufiger Bewässerungsanlagen waren enorm und die Kosten dafür außerordentlich hoch. So erwarb etwa im Jahre 1619 die Kartause „Allerengelberg“ im Schnalstal einen Hof in Marling, der jedoch, wie die gesamte Gemeinde, an Wassermangel litt. Deswegen planten die Kartäuser in späteren Jahren die Errichtung eines Bewässerungskanals von der Töll zum klostereigenen Hof und weiter nach Marling. Die Ortsbewohner zeigten anfänglich jedoch kein Interesse an ei-ner Beteiligung an diesem Projekt, konnten schließlich aber von dessen Nützlichkeit überzeugt werden und trugen schließlich ihren Teil zu den Baulasten bei.18

Solche Mühen und Aufwendungen zeigen recht deutlich, wie notwendig die Bodenbewässerung in manchen Gegenden war und ist, aber auch die Sinnhaftigkeit, dafür gemeinschaftliche Lösungen zu schaffen. Die Vertei-lung knapper Güter, zu denen das Wasser im Vinschgau gehört, wird seit alters her durch rechtliche Vereinbarungen und Kodifikationen akribisch genau geregelt,19 die ein möglichst hohes Maß an Zufriedenheit bei den Nutznießern gewährleisten sollten, aber immer auch Ursache für gerichtli-che Auseinandersetzungen waren.20

Auch in Völs am Schlern war bei Trockenheit das Wasser Mangelware, weshalb hier von den Ortsbewohnern bereits vor Jahrhunderten ebenfalls gemeinschaftlich eine außerhalb des Siedlungskerns liegende, ertragreiche Quelle gefasst und eine Wasserleitung ins Dorf errichtet wurde. Ein im Pfarrarchiv von Völs aufbewahrter Wasserbrief mit der Aufschrift „Ver-

15 TUMLER (1971), S. 49. 16 Vgl. dazu: JUG (1969), S. 5-7. 17 Vgl. dazu: FISCHER (1974), S. 28-32 sowie GURSCHLER (1994), S. 6. 18 Vgl. dazu: SANTER (2005), S. 49 sowie MÜHLBERGER (1995), S. 82- 84. 19 Vgl. dazu etwa für Schlanders, FISCHER (2010), S. 264. 20 Vgl. dazu: STAFFLER (1839), S. 189/190.

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schreibung und Ordnung des Brunnenwassers zu Under und Obervells“ aus dem Jahre 1517 bezeugt, dass am Schlern damals bereits eine Wasserge-nossenschaft bestand.21

Eine sehr alte und heute noch bestehende Gemeinschaft ist der „Fischerei-verein Seeinteressentschaft Wolfsgrubner See“, der aus der Vereinigung der „Seemüller am Ritten“, hervorgegangen ist. Diese haben sich einstmals zusammengeschlossen, um die Nutzung des Wolfsgrubner Sees (v.a. Fi-schereirechte), bzw. vor allem dessen Abfluß, den Eschenbach, zu regeln. An diesem Bach befanden sich zahlreiche wasserbetriebene Mühlen, Sägen und Schmieden, weshalb es notwendig war, verbindlich festzulegen, wer, wann und in welchem Ausmaß jeder Seemüller das Wasser aus dem Wolfsgrubner See nutzen durfte. Die getroffenen und im Laufe der Zeit immer wieder adaptierten Regelungen finden sich in dem sogenannten Seemüllerbuch aus dem Jahre 1632 niedergeschrieben, in dem auch ein Vertragsbrief enthalten ist, die Namen aller Mitglieder genannt und die Protokolle der gemeinschaftlichen Zusammenkünfte aus über 200 Jahren nachzulesen sind.22

Solche Vereinigungen und ihre Aufgaben unterstanden in früheren Zeiten obrigkeitlicher, d.h. grundherrlicher Aufsicht, die auch die Einhaltung der Rechtsnormen gewährleistete. Es handelte sich hierbei also um öffentlich rechtliche Einrichtungen, wohingegen moderne neuere Genossenschaften privatrechtlichen Charakter besitzen.

In anderen Formen von Gemeinschaftsbildungen gab es ebenfalls eine herr-schaftliche Oberaufsicht, die meist jedoch nur zum Tragen kam, wenn die eher autonom agierenden Vereinigungen nicht in der Lage waren, Streitig-keiten intern zu schlichten oder ihre Handlungen öffentliche Angelegenhei-ten, also Aufgaben des Souveräns betrafen, die nicht in die Konfliktlö-sungskompetenz der selbst verwalteten Gemeinschaften fielen. Gemeint sind damit vor allem die handwerklichen Zusammenschlüsse, die als Zünf-te bekannt sind, aber auch mit zahlreichen anderen Begriffen benannt wur-den.

2.2 Zünfte und Bruderschaften – Standesehre, Solidarität und Fürsorge

Mit der Herausbildung der Städte im Hochmittelalter entwickelte auch das Handwerk eigenständige Organisationsformen, womit es auf politischer

21 Vgl. dazu: BAUMGARTNER (1988), S. 664 sowie PICHLER/WALTER (2007), S. 14. 22 Vgl. dazu: MÜLLER (o.J.), S. 25-38.

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und gesellschaftlicher Ebene, vor allem aber auf wirtschaftlichem Gebiet mächtige Positionen erwarb. Die Vereinigung von Handwerksmeistern zu Zünften erfolgte seit Mitte des 12., in den größeren Städten und Märkten Tirols etwa ab Mitte des 13. Jahrhunderts und zwar entweder durch Zu-sammenschluss einzelner Meister des gleichen Handwerks oder innerhalb verwandter Berufe.

In Zunftordnungen oder Zunftverfassungen ließen sich diese Verbände ihre Rechte und besonders ihre Privilegien obrigkeitlich absichern und mehr-fach von den jeweiligen Landesherren erneuern oder bestätigen. Sie garan-tierten den Zünften eine Vormachtstellung im Handwerk und gewährleiste-ten ihnen das Recht, die Ausbildung vom Lehrling bis zum Meister, die Produktionsweisen im Handwerk und die Zulassung zur Gewerbeausübung weitgehend autonom zu reglementieren. Ihre Monopolstellung auf hand-werklichem Gebiet sicherte ihnen die Absatzmärkte, schützte vor Konkur-renz und dominierte somit die handwerkliche Wirtschaftsweise bis in die Zeit der Industrialisierung.

In Österreich tritt das Wort „Zunft“ in den Quellen erst um 1500 auf; zuvor finden sich die Begriffe „Bruderschaft“, vor allem in Tirol und Kärnten, „Zeche“ in Wien, Nieder- und Oberösterreich oder „Einung“ ebenfalls in Wien sowie in der Steiermark. In Innsbruck wie auch in anderen Tiroler Städten „waren vor allem die Begriffe `Bruderschaft´, `Zunft´, `Handwerk´ und `Innung´ gebräuchlich“.23

Karl Theodor HOENIGER bezeichnete die Bozner Innung der Wirte und des Binderhandwerks als „vornehmste und stärkste der Innungen,“ und stellte fest, dass „ihre Bruderschaft […] seit 1495 bezeugt“ ist.24 Ihr dürfte nach Franz HUTER die Bozner Schneiderzunft an Alter nicht nachstehen, führt aber mit Verweis auf Acta Tirolensia IV, nr. 483 als noch ältere Vereini-gung das „officium carnificum“ (Amt oder Zunft der Fleischhauer) in Bo-zen an, das bereits 1242 genannt wird.25

Trotz begrifflicher Vielfalt bei den Bezeichnungen für handwerkliche Zu-sammenschlüsse, werden meist jedoch die Ausdrücke „Zunft“ und „Bru-derschaft“ als gleichbedeutend nebeneinandergestellt. In der Gegend um Köln und Trier hießen beispielsweise die frühen Zünfte konkret „Bruder-

23 HOPFGARTNER (1979), S. 8. 24 HUTER (1977), S. 157, Anm. 1. 25 Ebd.

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schaften“, erst ab dem 14. Jahrhundert wurde dort stattdessen der in Bozen ebenfalls gebräuchliche Ausdruck „Amt“ geläufig.26

Ein Beleg, dass die Gleichsetzung von Zunft und Bruderschaft auch im Raum Tirol üblich war, beweisen die Aufzeichnungen der Schneiderzunft in Matrei am Brenner: „Am 17. Oktober 1613 hat sich Hans MADER der Zunft einschreiben lassen. Bei seinem Tod soll die Bruderschaft mit Beglait der Bruderschafts-Kerzen sein Cörppl zu geweihten Erdreich bringen hel-fen.“27 Und die Ordnung des Kürschner- und Metzgerhandwerkes der Stadt Kitzbühel von ca. 1628 forderte von ihren Angehörigen ebenfalls, dass sie „ain Zunft, Bruederschafft und Handwerch“ sein sollen.28 – In Südtirol dürften Zünfte und Bruderschaften nicht anders begriffen worden sein.

Die wichtigste Aufgabe einer Bruderschaft, die im GRIMM´schen Wörter-buch auch als „religiöse Genossenschaft“29 bezeichnet wird, war die Sorge um das Leben nach dem Tod. Da seit dem Spätmittelalter die Angst vor dem Fegefeuer eine große Rolle spielte, war ein ordentliches Begräbnis dementsprechend bedeutend – es sollte dazu beitragen, den Verstorbenen vor dem Fegefeuer zu bewahren. Alle Bruderschaftsmitglieder mussten daran teilnehmen, außer in mitgliederstarken oder regional gestreuten Zünf-ten, die sich meist mit einer Abordnung begnügten. Zu ihren Verpflichtun-gen gehörten das Abholen der Leiche vom Wohnhaus, die Teilnahme an der Beerdigungszeremonie und das Tragen des Sarges auf den Friedhof. Ob der Brauch eines Totenmahles (Leichenschmaus) abgehalten wurde, war je nach Region verschieden. Für solche Beerdigungen standen kostbare Uten-silien der Zunft zu Verfügung: Sargtücher, Sargschilder, die paarweise mit Gurten angebracht wurden und kunstreiche Totenkronen.30

Eine weitere Aufgabe solcher Bruderschaften war die Fürsorge gegenüber ihren Mitgliedern, die wegen Krankheit oder Invalidität arbeitsunfähig wa-ren, wie auch gegenüber den Witwen und Waisen von Meistern. Die Soli-darität im Zunfthandwerk zeigte sich auf der Meisterebene jedoch nicht alleine im Hinblick auf die Wahrnehmung caritativer oder sozialer Pflich-ten, sondern im gesamten Handwerk vor allem auch bezüglich der Standes- und Berufsehre. Im genossenschaftlichen Verständnis waren und sind die Mitglieder einer Gemeinschaft gleichberechtigt und gleichwertig, weshalb

26 KLUGE (2007), S. 23. 27 EGG (1930), S. 147 ff., zit. nach: HOCHENEGG (1984), S. 18. 28 GRASS/HOLZMANN (1982), S. 335; zit. nach: HOCHENEGG (1984), S. 18. 29 Jacob und Wilhelm GRIMM, Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, Sp. 1279. 30 KLUGE (2007), S. 314.

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die Handwerkerehre ein wesentlicher Bestandteil im Standesdenken und -ethos der Zunftangehörigen war und vor allem von den Gesellen voller Stolz vertreten und nahezu kompromisslos verteidigt wurde. Es verband sowohl einzelne Handwerker wie auch verschiedene Handwerkszweige nicht nur miteinander, sondern setzte sich auch über berufliche und lokale Grenzen hinweg, festigte die Gruppenidentität und stärkte das Gemein-schaftsgefühl ihrer Mitglieder. Korpsgeist und solidarisches Verhalten ka-men somit besonders in „Arbeitskämpfen“ gegenüber Arbeitgeber und Ob-rigkeit zum Ausdruck, richteten sich aber genauso auch gegen andere Gruppen, zumal seitens der Gesellen Ehrverletzungen und „Beleidigungen von einzelnen als Entehrung der Gesellschaft“31 betrachtet und entspre-chend sanktioniert wurden (Arbeitsniederlegung, Streik, Verrufung, Satis-faktionsforderung etc.). Hier kam das genossenschaftliche Prinzip „Einer für alle – alle für einen“ zum Tragen.

Zünfte hatten jedoch nicht nur Pflichten gegenüber ihren Mitgliedern wahr-zunehmen, sondern bis weit in die Neuzeit auch öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet die Reorganisation des Feuerlöschwesens in Bruneck, die in der Bau- und Brandwehrordnung aus dem Jahre 1838 ihren Niederschlag fand: 32

„Reorganisation des Feuerlöschwesens:

Feuerkommissär Karl NEUHAUSER führt Aufsicht über die Spritze Nr. 1 und sorgt dafür, dass sie während ihrer Anwendung stets mit Wasser gefüllt ist. Zwei Schmiede sind die Standrohrlenker, zwei Maurer die Standrohrführer. Die Manschaft zum `Drucke´ haben zu stellen die Zünfte der Schuhmacher, der Schneider, der Kirschner, der Buchdrucker, der Fasser und Posamentie-rer.

Spritze 3: Feuerkommissär Karl STRELE, Standrohr: ein Büchsenmacher, ein Uhrmacher; Schlauchführer: städtischer Arbeiter, Maurermeister; Man-schaft: Zünfte der Rädermacher, Tischler, Sattler, Weber und Wachszieher.

Spritze 4: Aufsicht wie ad 1 u 3 Herr Johann v. ZIEGLAUER; Standrohr: Kupferschmied, Schmied, Goldarbeiter; Schlauchführer: Maurermeister, Spängler; Mannschaft: Zünfte der Färber, Bäcker, Müller, Hutmacher, Wir-te, Metzger und Strutzer.

31 STADELMANN/FISCHER (1955), S. 70. 32 Stadtarchiv Bruneck, Protokolle des Gemeindeausschusses der Stadt Bruneck; Protokoll

vom 13.4.1855 [Hervorhebungen durch den Autor – H.A.].

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Nr. 5: Aufsicht und Leitung: Johann UNTERWEGER; Standrohrlenker: Dre-her, Schmied, Schlosser; Schlauchführer: Schmied, Schlosser; Mannschaft zum Drucke: Zünfte der Sailer, Rotgärber, Weißgäber, Sagschneider, Lohn-kutscher, Fassbinder „und der in der Stadt sich aufhaltenden Taglöhner“.

Eine besondere Gruppe, in der Solidarität und gemeinschaftliche Arbeiten groß geschrieben wurde, waren die Bergknappen, die in Tirol und beson-ders auch in Südtirol an vielen Orten und in großer Zahl beschäftigt waren. Auch sie schlossen sich sehr früh zu Bruderschaften zusammen, die neben der gemeinsamen Wahrnehmung religiöser Pflichten und der kollektiven öffentlichen Repräsentanz vor allem die „Funktion eines Versicherungsver-eins“33 erfüllten. Finanzielle Zuwendungen aus einer gemeinsamen Kasse, in die regelmäßig „Mitgliedsbeiträge“ abgeführt wurden, und tatkräftige Hilfe bei Krankheit oder Invalidität sowie vielseitige Unterstützung für die Hinterbliebenen im Falle des Todes eines Bruderschaftsmitglieds waren sichtbarer Ausdruck sozialer Verantwortung und solidarischen Verhaltens bei den Bergleuten. Das sogenannte Bruderhaus im Nordtirolischen Schwaz – nichts anderes als ein Spital für die Knappen – ist ebenfalls das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Leistung, das – ganz im Sinne genos-senschaftlicher Prinzipien – den Mitgliedern des Berufsstandes aus der „Montanindustrie“ zu Gute kam.

2.3 Straßenkonkurrenzen

In früheren Zeiten war die Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen nur in seltenen Fällen und geringem Ausmaß Aufgabe der Obrigkeit, d.h. des Landesfürsten oder späterhin der staatlichen Einrichtungen. So mussten meist die Kommunen für den Ausbau und den Zustand der örtlichen Wege selbst sorgen und auch die Herstellung und Erhaltung des regionalen Stra-ßennetzes war von den sogenannten Konkurrenzen der Gemeinden sowie einzelner Interessenten zu leisten. Dazu wurden die Gemeindemitglieder zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet und sie mussten mit anderen Kon-kurrenten und Interessenten auch für einen Teil der Kosten des Straßenbaus aufkommen.34 Mit wachsender Mobilität und der Ausweitung des Ver-kehrsaufkommens seit Mitte des 19. Jahrhunderts unterstützten Staat und Land zwar den Bau von Konkurrenzstraßen mit beträchtlichen finanziellen Mitteln und stellten darüber hinaus für die ersten Jahre auch Erhaltungsbei-träge für die Straßen bereit. Dies war auch umso mehr angebracht, „als es in Tirol nur Konkurrenz- und keine Landesstraßen gab“.35 Die Hauptlast für

33 TASSER (1994), S. 190. 34 ROHN (1912), S. 8. 35 SCHOBER (1984), 312.

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den Wegebau trugen aber im wahrsten Sinnen des Wortes die Gemeinde-mitglieder auf ihren Schultern; sie leisteten kollektive körperliche Arbeit, vor allem in ärmeren, finanzschwachen Ortschaften, wo einzelne Personen oder Unternehmen mit notwendigen Straßenbau- und Wegeerhaltungsmaß-nahmen nicht beauftragt werden konnten.

Im „privaten“ Raum bzw. in Bereichen von nicht-öffentlichem Interesse besorgten sogenannte Wegeinteressentschaften den Bau und die Erhaltung Wirtschaftswegen, etwa zur Holz- oder Heubringung.

3 Zusammenfassende Schlussfolgerungen

Als die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen und gesetzliche Be-stimmungen zur Bildung von Genossenschaften formuliert wurden, waren in weiten Teilen Tirols den hier lebenden Menschen die Prinzipien gemein-schaftlichen Handelns und die Vorteile korporativer Anstrengungen nicht fremd. Sie leisteten über Jahrhunderte hinweg nicht nur selbstverständliche Nachbarschaftshilfe, sondern setzten auf vielerlei Ebenen auch gemeinsa-me Projekte zum Nutzen für alle daran Beteiligten oder für eine, wie immer auch zusammengesetzte Gemeinschaft erfolgreich um.

Im Laufe des 19. Jahrhundert geriet jedoch aus vielerlei Gründen das so-zioökonomische Umfeld Tirols in eine marktwirtschaftliche Schieflage und drohte vor allem den Bauernstand in einen existenziellen Abgrund zu sto-ßen. Die über Generationen hinweg praktizierten und ein halbwegs erträg-liches Auskommen gewährleistenden Wirtschaftsweisen konnten sich in einer wachsenden kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft nicht behaupten. Die Zeiten der Subsistenzwirtschaft waren vorbei, die Gesetzmäßigkeiten des Marktes schlugen unbarmherzig zu und trafen die Bauern an ihrer schwächsten Stelle: an der unzureichenden finanziellen Ausstattung ihrer Höfe. Geldmittel für notwendige Investitionen waren in den seltensten Fäl-len vorhanden. Aber es gab Produktionsfaktoren, d.h. Grund und Boden auf klimatisch begünstigten Lagen für die Erzeugung verschiedener, auf über-regionalen Märkten nachgefragter und absetzbarer Waren und Güter sowie – modern ausgedrückt – reichlich Humankapital, das durchaus eine vielver-sprechende Ausgangslage bot und für eine erfolgversprechende, wirtschaft-liche tragfähige Zukunft verwertet werden konnte. Den Schlüssel dazu lie-ferten das Genossenschaftswesen und im Besonderen das Genossenschafts-konzept Raiffeisens, für dessen erfolgreiche Umsetzung in Tirol bereits kollektive Erfahrungen und individuelle Dispositionen vorhanden waren. Darüber hinaus besaß aber auch die unter der Tiroler Bevölkerung tief ver-

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ankerte katholische Weltanschauung mit ihren ethischen Prinzipien eine besondere Bedeutung für dessen Gelingen. Denn ein auf katholischer Mo-ral und Ethik beruhendes Lebensmodell, „in dem solidarische Konzepte grundlegende Bedeutung hatten“,36 bot zweifellos eine solide Grundlage, auf der das moderne Genossenschaftswesen in Tirol bauen und ein nach-haltiger wirtschaftlicher Erfolg begründet werden konnte. – Es könnte so-gar die Vermutung gewagt werden, dass die im christlichen Glauben ver-wurzelten Prinzipien der Mitverantwortung, Fürsorge und Solidarität in ihren genossenschaftlichen Varianten Ende des 19. Jahrhunderts „katholi-sche“ Antworten auf die „soziale Frage“, wie auch auf die protestantische Ethik und den „Geist“ des Kapitalismus waren.

4 Literaturverzeichnis

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Prof. Avv. Emanuele Cusa

Die Regelung der Genossenschaften in der Autonomen Region Trentino-Südtirol: Ein Beispiel für Italien?

1 Einleitung

Der Sinn dieser Ausführungen ist es herauszufinden, ob die Aufsicht über die Genossenschaften in der Autonomen Region Trentino-Südtirol besser geregelt ist als im Rest Italiens.

Der Großteil meiner Beobachtungen und Anmerkungen bezieht sich dem-nach auf die mit 1. Januar 2009 in Kraft getretene neue Regelung der Regi-on [Regionalgesetz Nr. 5 vom 9. Juli 2008, (Regelung der Aufsicht über die genossenschaftlichen Körperschaften), und des Dekrets des Präsidenten der Region Nr. 11/L vom 16. Dezember 2008 (Genehmigung zur Durchfüh-rung des Regionalgesetzes Nr. 5 vom 9. Juli 2008)] und deren Vergleich mit den staatlichen Bestimmungen [vornehmlich Legislativdekret Nr. 220 vom 2. August 2002 (Normen für die Erneuerung der Aufsicht über die ge-nossenschaftlichen Körperschaften)].

Die Abhandlung gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil soll das Ver-hältnis zwischen Öffentlicher Verwaltung und der organisierten genossen-schaftlichen Bewegung im Bereich Aufsicht besprochen werden; im zwei-ten Teil hingegen sollen die Ziele der Aufsicht über die Genossenschaften analysiert werden.

An den Beginn sollen noch zwei Überlegungen für die Leser gestellt wer-den.

Die erste Überlegung betrifft die Geschichte der Aufsicht über die in der heutigen Region Trentino-Südtirol tätigen Genossenschaften und gibt gleichzeitig einen Einblick in die Genossenschaftsidee nach F.W. Raiffei-sen, die heute noch ein fixer Bezugspunkt für alle Genossenschaften des Raiffeisenverbandes ist.

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Prof. Avv. Emanuele Cusa 30

Im Jahr 1877 wurde der Anwaltschaftsverband ländlicher Genossenschaf-ten nach F.W. Raiffeisens Vorbild aus der Taufe gehoben. Der Verband verpflichtete die Mitglieder dazu, sich jährlichen Kontrollen zu unterzie-hen, wobei der Hauptzweck darin lag, den Genossenschaften angemessene Unterstützung und Beratung zu bieten. Handelte es sich dabei anfangs um eine freiwillig eingegangene vertragliche Verpflichtung für Genossenschaf-ten, die Verbänden angehörten, welche obige Pflicht vorsahen, so wurde die periodische Revision im Habsburgerreich mit Gesetz Nr. 133 vom 10. Juni 1903 zur Pflicht für alle Genossenschaftskörperschaften. Dieses Ge-setz bildete im Wesentlichen die Basis für sämtliche Revisionen, die bis 1926 an Genossenschaften im Trentino und in Südtirol vorgenommen wur-den. Vierundvierzige Jahre nach der Auflösung des Habsburgerreiches und nach dem Fall des Faschismus verpflichtete der italienische Staat mit dem Legislativdekret des provisorischen Staatsoberhauptes Nr. 1577 vom 14. Dezember 1947 nahezu alle Genossenschaften zur regelmäßigen Kontrolle (Provvedimenti per la cooperazione, besser bekannt als Gesetz Basevi). Die Autonome Region Trentino-Südtirol regelte die Genossenschaftsauf-sicht erstmals mit zwei Gesetzen der 1950er Jahre [Regionalgesetz Nr. 7 vom 29. Januar 1954 (Überwachung der Genossenschaften) und Regional-gesetz Nr. 3 vom 11. Februar 1955 (Überwachung der Kreditgenossen-schaften)]. Dabei stützte man sich auf die früheren habsburgischen Gesetze. Das derzeitig geltende Regionalgesetz Nr. 5/2008 ersetzt die obigen regio-nalen Bestimmungen und berücksichtigt die Reform der staatlichen Rege-lungen durch das Legislativdekret 220/2002.

Die zweite Überlegung soll indessen hervorheben, dass die Region Trenti-no-Südtirol im Unterschied zu anderen Regionen mit Normalstatut bzw. ei-nigen Regionen mit Sonderstatut im Bereich Genossenschaftsaufsicht die alleinige gesetzliche Zuständigkeit hat. Zusammen mit den Autonomen Provinzen Bozen und Trient und den ihnen übertragenen Kompetenzen ist die Region Trentino-Südtirol damit unter Beachtung der Verfassung, der gemeinschaftlichen Bestimmungen und der internationalen Verpflichtun-gen (s. Art. 117, Par. 1, Verfassung) dazu berechtigt, die Überwachung der unter ihre Gesetzgebung fallenden Genossenschaften (gemäß Art. 1, Par. 1, Regionalgesetz 5/2008 Körperschaften, die ihren Rechtssitz im Gebiet der Region Trentino-Südtirol haben) zu regeln.

2 Horizontale Subsidiarität in der Genossenschaftsaufsicht

Analysiert man das Regionalgesetz 5/2008 im Lichte des Prinzips der so genannten horizontalen Subsidiarität, wird meines Erachtens ein wesentli-

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Die Regelung der Genossenschaften in der Autonomen Region Trentino-Südtirol 31

cher Aspekt des Gesetzes klar. Ein Beweis dafür findet sich in Art. 7, Par. 1, RG 5/2008, in dem man sich auf Art. 118, Par. 4, der Verfassung beruft, um das Verhältnis zwischen den anerkannten Verbänden zur Genossen-schaftsvertretung (z.B. Raiffeisenverband) einerseits und der öffentlichen Körperschaften (Provinz) andererseits zu umreißen. Letztere müssen im Rahmen der Umsetzung des RG 5/2008 ihre Verwaltungsfunktion ausüben. Die Verankerung in der Verfassung bedeutet, dass der Verband in Zusam-menarbeit mit der Öffentlichen Verwaltung eine Tätigkeit im allgemeinen Interesse ausübt. Tatsächlich ist die Genossenschaftsaufsicht eine Tätigkeit im allgemeinen Interesse, da sie für die Republik sicherstellt, dass die Ge-nossenschaften ihre verfassungsrechtlich festgehaltene soziale Funktion ausüben. Man könnte demnach behaupten, dass auch die hier besprochenen Genossenschaften eine, wenn auch großteils indirekte, soziale Funktion ha-ben.

Nun müssen sowohl Genossenschaften als auch die Verbände unterstützt werden: Als privatrechtliche Körperschaften können sie die Prinzipien un-serer Grundcharta in der Wirtschaft umsetzen.

Diese Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sek-tor muss auch im Rest Italiens gefördert werden, denn der für die Aufsicht zuständige Teil des Staates befindet sich – anders als die Region Trentino-Südtirol – in einer Krise. Darum ist es dringend notwendig, den nationalen Verbänden ihre Vertretungsfunktion zuzuerkennen.

Die Zusammenarbeit soll natürlich auch betreffend die Regelung der Ge-nossenschaften stattfinden, wie es auch bei der hier besprochenen Rechts-setzung auf transparente Art und Weise geschehen ist. Das Verfahren be-gann mit einem Beschluss der Regionalregierung vom 14. Dezember 2005, durch den eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen wurde, in der Gesetzgeber (Region), Verwaltung (Provinzen) und alle anerkannten Vertretungsver-bände der Region vertreten waren. Auf nationaler Ebene war eine derartige Teilnahme nicht immer gewährleistet – tatsächlich wurden wichtige Re-formen der Genossenschaftsregelung ohne die Teilnahme der Genossen-schaftsorganisationen beschlossen.

2.1 Einige Beispiele aus der regionalen Regelung

Aus der Prüfung des Regionalgesetzes 5/2008 können drei Anwendungen des Subsidiaritätsprinzips bei der Regelung der Beziehung zwischen den Provinzen und den anerkannten Vertretungsverbänden herausgelesen wer-den.

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Prof. Avv. Emanuele Cusa 32

Erstens arbeiten öffentliche und private Körperschaften zusammen an der Auslegung der regionalen Regelung. Im Sinne von Art. 6, Par. 3, RG 5/2008, darf die aus sechs Vertretern der Öffentlichen Verwaltung und mindestens fünf Vertretern der Genossenschaften bestehende Regional-kommission für die genossenschaftlichen Körperschaften Stellung zu Inter-pretationsfragen bezüglich des Reglements nehmen. Diese Gutachten sind, falls sie von der Regionalregierung angenommen werden, für die Verwal-tungsstrukturen und die Revisionsbehörden [darunter die anerkannten Ver-tretungsverbände] bindend. Auf staatlicher Ebene sieht die Lage anders aus: Die Gutachten werden von der Zentralkommission für die Genossen-schaften getroffen, die sich seit ihrer Reformierung 2007 aus sieben Vertre-tern der Öffentlichen Verwaltung und nicht mehr als zwei Vertretern der Vertretungsverbände zusammensetzt.

Zweitens arbeiten öffentliche und private Körperschaften auch bei der Ver-hängung von Strafen für all jene Genossenschaften zusammen, die sich schwere Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen. Die Provinz kann laut Art. 34, Par. 1, Buchst. b), RG 5/2008, auf der Grundlage der Aufsichtsergebnisse folgende Sanktionsmaßnahme ergreifen: „[Die] Er-nennung einer oder mehrerer Personen, die vom Vertretungsverband dann vorgeschlagen werden, wenn die sanktionierte Genossenschaft ihm ange-hört, und die dem Verwaltungsorgan, dem Kontrollorgan oder dem Direk-tor dieser Körperschaft zur Seite gestellt werden“. Die regionale Regelung unterscheidet sich von der staatlichen weiters durch eine bessere Abstufung der Sanktionen und sieht auch eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von 10.000 bis 200.000 Euro für Genossenschaften vor. Damit sollte die prä-ventive Wirkung der regionalen Sanktionen weitaus besser sein als jene der staatlichen Sanktionen. Letztere, wie zum Beispiel jene, die das Ministeri-um für wirtschaftliche Entwicklung für Genossenschaftsbanken vorsieht, sind teilweise nicht anwendbar.

Drittens wird die Aufsicht der ihnen angehörigen Genossenschaften voll-ständig den Vertretungsverbänden überlassen, womit die Verbände in Be-zug auf Betreff und Zeiträume der Aufsicht der zuständigen Verwaltungs-struktur gleichgestellt werden. Aus den Bestimmungen der Art. 19 und 21, RG 5/2008, geht hervor, dass der Vertretungsverband sowohl die ordentli-che als auch die außerordentliche Aufsicht der ihm angegliederten Genos-senschaften vornimmt. Die staatlichen Vorschriften sehen auch für Ver-bänden angehörige Genossenschaften für die außerordentliche Revision („außerordentliche Inspektion“ genannt), eine – derzeit unzureichende – Anzahl an Ministeriumsfunktionären vor (Art. 8, Legislativdekret 220/2002).

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Die Regelung der Genossenschaften in der Autonomen Region Trentino-Südtirol 33

2.2 Wirksamere Kontrollen der Vertretungsverbände

Wenn die Vertretungsverbände auch nach den Bestimmungen des Regio-nalgesetzes 5/2008 im Vergleich zu ihren nationalen Pendants weit mehr Befugnisse haben, unterstehen sie jedoch strengeren öffentlichen Kontrol-len, wie aus drei innovativen Aspekten der gegenständlichen Regelung hervorgeht.

Erstens darf eine Genossenschaft nicht gleichzeitig mehreren Verbänden angehören. Dadurch werden widersprüchliche Gutachten unter Revisoren vermieden und die Auffindung der Verantwortlichen im Falle von Unter-lassungen durch die Genossenschaft oder den Vertretungsverband erleich-tert. Laut der staatlichen Gesetzgebung dürfen Genossenschaften hingegen mehreren Verbänden angehören, wodurch jedoch eine Reihe von Proble-men entsteht (wie aus dem Gutachten der Zentralkommission für die Ge-nossenschaften aus der Sitzung vom 19. April 2006 hervorgeht).

Zweitens können Vertretungsverbände jederzeit aufgrund von Maßnahmen der Landesregierung (Art. 10, Par. 1, RG 5/2008) einer Revision unterzo-gen werden. Der Revisor, der die jährliche Bilanz prüft, „muss auch ein Ur-teil über die Verwendung der öffentlichen Mittel abgeben, die für deren Tä-tigkeit zur Förderung der genossenschaftlichen Körperschaften und der Aufsicht über dieselben gewährt wurden“ [Art. 40, Par. 4, Buchst. a), RG 5/2008).

Drittens können gegen Vertretungsverbände im Falle von groben Unregel-mäßigkeiten Verwaltungsstrafen verhängt werden (Art. 10, Par. 3, RG 5/2008). Die staatliche Gesetzgebung hingegen sieht keinen regelmäßigen Informationsfluss zwischen den Verbänden und dem Ministerium für wirt-schaftliche Entwicklung vor. Weiters ist auf staatlicher Ebene lediglich ei-ne einzige Sanktion vorgesehen (der Widerruf der Anerkennung laut Art. 3, Par. 7, Legislativdekret 220/2002), die jedoch so schwer ist, dass sie bisher noch nie verhängt wurde.

Die hier behandelte regionale Regelung erlaubt bei sorgfältiger Anwen-dung durch die Öffentliche Verwaltung die genaue Kontrolle der Anerken-nung des Vertretungsverbands für die Wahrnehmung seiner institutionellen Funktion bzw. seiner Qualifizierung als Revisionsbehörde, um es mit den Worten des Regionalgesetzes 5/2008 auszudrücken. Besagte Überwachung steht zudem im Einklang mit der Tatsache, dass die vom Verband ernann-ten Revisoren bei der Ausübung ihrer Aufgaben als Beauftragte eines öf-fentlichen Dienstes gelten (Art. 25, Par. 4, RG 5/2008, entspricht Art. 7, Par. 7, Legislativdekr. 220/2002 der staatlichen Regelung).

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3 Gegenstand der Genossenschaftsaufsicht

Im zweiten Teil der Ausführungen soll der Gegenstand der Genossen-schaftsaufsicht analysiert werden, was einen geeigneten und guten Ansatz zur Bewertung der regionalen Bestimmungen darstellt.

Im Vorfeld möchte ich anmerken, dass RG 5/2008, ähnlich den vergleich-baren Gesetzen im deutschen Sprachraum, mehr oder weniger einheitliche Vorgehensweisen für alle Genossenschaftstypen vorsieht. Dies weist ein-deutig darauf hin, dass alle Genossenschaften, unabhängig von Tätigkeit oder Organisationsmodell, dieselben strukturellen und funktionalen Grund-elemente aufweisen sollten.

Die staatliche Gesetzgebung sieht unterschiedliche Verfahren vor, z.B. für Genossenschaften ordentlichen Rechts und Genossenschaftsbanken.

3.1 Doppelte Funktion: Beratung und Kontrolle

Das RG 5/2008 (Art. 2, Par. 2) sieht, wie auch das Legislativdekret 220/2002 (Art. 4, Par. 1), eine doppelte Funktion der Genossenschaftsauf-sicht vor: Beratung und Kontrolle.

Die erste der beiden Funktionen entsteht aus der Verpflichtung der Repu-blik Italien, Genossenschaften zu unterstützen. Diese Förderung besteht auch in der Beratung zum Wohle der Allgemeinheit durch Private (die Ver-tretungsverbände).

Wie aus Buchst. a) und b), Art. 27, Par. 1, RG 5/2008 klar hervorgeht (im Gegensatz zu den weniger eindeutigen Artikeln 4 und 9 des Legislativdek-rets 220/2002), haben die Beratung und die Inspektion durch den Revisor dasselbe Hauptziel, nämlich zu gewährleisten, dass die geprüfte Genossen-schaft weiterhin auf Gegenseitigkeit beruht, offen und demokratisch ist.

Bei der Durchführung der Kontrollen müssen die Revisoren auch die un-ternehmerische Komplexität der zu prüfenden Genossenschaft berücksich-tigen, Ist diese beispielweise mit anderen Unternehmen verbunden bzw. bildet gegebenenfalls einen horizontalen oder vertikalen Konzern, muss der Revisor „[feststellen], dass die Beteiligungen der genossenschaftlichen Körperschaft an anderen Unternehmen der Verfolgung der Ziele der Kör-perschaft dienen“ [Art. 27, Par. 2, Buchst. f), RG 5/2008].

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Die Regelung der Genossenschaften in der Autonomen Region Trentino-Südtirol 35

3.2 Genossenschaftsaufsicht und gesetzliche Rechnungsprüfung

Da die Genossenschaft ein Unternehmen ist, muss zu ihrem umfassenden Verständnis auch ihre Buchhaltung überprüft werden.

Genauer gesagt kann der Revisor anhand der Rechnungsprüfung nicht nur Verbesserungsvorschläge für die Verwaltungsorganisation einbringen [Art. 27, Par. 2, Buchst. a), RG 5/2008], sondern besagte Organisation auch kon-trollieren [Art. 27, Par. 2, Buchst. d), RG 5/2008] und „[feststellen], ob die Vermögens- und Finanzlage der genossenschaftlichen Körperschaft die Verfolgung ihrer Ziele gestattet“ [Art. 27, Par. 2, Buchst. g), RG 5/2008]. Die Rechnungsprüfung sollte sich demnach nicht, wie nach staatlichem Recht, lediglich darauf beschränken, anhand der Geschäftsbilanz und der Berichte des Verwaltungs- und des Aufsichtsrates und, wo vorgesehen, an-hand der Bilanzzertifizierung, die Vermögenslage festzustellen (s. Art. 4, Par. 2, Legislativdekret 220/2002). Falls nicht bereits vom prüfenden Ver-band eine Rechnungsprüfung vorgenommen wurde, muss der Genossen-schaftsprüfer der Region ein „Urteil über die wirtschaftliche und finanzielle Lage“ der betroffenen Genossenschaft abgeben [Art. 27, Par. 2, Buchst. e), RG 5/2008].

Dies ist von doppeltem Nutzen: Einerseits kann der Prüfer eine, wenn auch begrenzte, Rechnungsprüfung der Genossenschaft vornehmen, und ande-rerseits wird klar, dass der Vertretungsverband durch seine Prüfer sowohl Genossenschafts- als auch gesetzlicher Rechnungsprüfer ist.

Aus den Artikeln 7, Par. 3, RG 5/2008 („Der Vertretungsverband kann die gesetzliche Rechnungsprüfung laut dem V. Titel dieses Gesetzes durchfüh-ren“), und 39, Par. 1, RG 5/2008 („der Vertretungsverband [kann] den Auf-trag eines gesetzlichen Rechnungsprüfers der angeschlossenen genossen-schaftlichen Körperschaften übernehmen, wenn die entsprechende Tätig-keit im Gründungsakt des Verbandes vorgesehen ist“), geht klar hervor, dass der Vertretungsverband die Körperschaft ist, welche die gesetzliche Rechnungsprüfung übernimmt.

Eine Bemerkung soll zur Rechnungsprüfung durch den Genossenschafts-prüfer und die umfassendere Rechnungsprüfung durch den gesetzlichen Rechnungsprüfer, wobei beide Prüfer demselben Vertretungsverband ange-hören können, erfolgen: Der Genossenschaftsprüfer kontrolliert die Buch-haltung lediglich während des Zeitraums, in dem er die Genossenschafts-prüfung vornimmt (durchschnittlich nicht mehr als eine Woche alle zwei Jahre). Der gesetzliche Rechnungsprüfer hingegen nimmt seine Prüfung im Laufe jedes Geschäftsjahres vor, wie die neue staatliche Regelung für die

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gesetzliche Rechnungsprüfung vorsieht [Art. 14, Par. 1, Buchst. b), Legis-lativdekret Nr. 39 vom 27. Januar 2010 (Umsetzung der Richtlinie 2006/43/EG über die Abschlussprüfung von Jahresabschlüssen und konso-lidierten Abschlüssen)].

Die regionale Bestimmung, laut der ein Vertretungsverband auch als Rech-nungsprüfer für die ihm angeschlossenen Genossenschaften agieren darf, mag zwar für Italien unüblich sein, ist aber in Europa durchaus normal, wie die deutschen und österreichischen Reglements belegen.

Der regionale Gesetzgeber hat außerdem bei der Regelung der gesetzlichen Rechnungsprüfung seine Gesetzgebungsbefugnisse nicht überschritten. Obgleich die Art. 38-42, RG 5/2008, die gesetzliche Rechnungsprüfung behandeln (und nicht die Genossenschaftsaufsicht), betreffen sie laut Urteil Nr. 328 des Verfassungsgerichts vom 2. Dezember 2009 den Bereich „Auf-sicht über die Genossenschaften“, in dem die Autonome Region Trentino-Südtirol alleinige Gesetzgebungsbefugnis hat.

Die Stellung des Verfassungsgerichtes leuchtet ein, da die Genossen-schaftsaufsicht seit den Anfängen auch die Rechnungsprüfung für die zu kontrollierende Genossenschaft vorsieht. Je weiter die Genossenschaft hin-sichtlich ihrer Größe und/oder Komplexität wächst, desto weniger hat der Revisor die Möglichkeit, alleine eine wirksame Kontrolle durchzuführen. Dies wurde bereits auf nationaler Ebene erkannt: Mit Art. 15, Gesetz Nr. 59 vom 31. Januar 1992 (Neue Bestimmungen für das Genossenschaftswesen) und Art. 11, Art. 11, Legislativdekret 220/2002 – also lange vor Legislativ-dekret Nr. 6 vom 17. Januar 2003, mit dem die gesetzliche Rechnungsprü-fung für AGs verpflichtend wurde – erlegte der Staat allen Genossenschaf-ten ab einer bestimmten Größe oder mit einer komplexen finanziellen Struktur die verpflichtende Rechnungsprüfung auf. Der staatliche Gesetz-geber definiert diese Prüfung als Zusatzleistung zur Genossenschaftsauf-sicht (s. Art. 11, Par 2, Legislativdekret 220/2002). Ab den 1970er Jahren begann der italienische Staat die gesetzliche Rechnungsprüfung zu regeln, und erweiterte dabei nicht nur kontinuierlich deren Anwendungsbereich für italienische Unternehmen (beginnend bei börsennotierten Betriebe), son-dern schuf auch, besonders auf Drängen Europas hin, zunehmend detaillier-tere Bestimmungen.

Seit der Schaffung besagter Bestimmungen zur gesetzlichen Rechnungs-prüfung hat der Gesetzgeber dem Rechnungsprüfer einige Tätigkeiten über-tragen, die bis dahin ausschließlich dem Genossenschaftsprüfer vorbehalten waren.

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Die Regelung der Genossenschaften in der Autonomen Region Trentino-Südtirol 37

Gerade im Hinblick auf die erhöhte Effizienz der Aufsicht, welche eine en-ge Verbindung zwischen Genossenschaftsaufsicht und gesetzlicher Rech-nungsprüfung vorsieht, schreibt Art. 8, Par. 1, D.P.R. 11/L/2008, Folgendes vor: Für alle genossenschaftlichen Körperschaften, die einem anerkannten Vertretungsverband angehören, der auch die gesetzliche Rechnungsprüfung vornimmt, müssen von besagtem Verband sowohl die Genossenschaftsauf-sicht als auch die gesetzliche Rechnungsprüfung durchgeführt werden. Sollte die Genossenschaft aus freien Stücken beschließen, sich einem der-artigen Verband anzuschließen, wird die externe Aufsicht nach dem regio-nalen Genossenschaftsrecht von einem einzelnen, qualifizierten Subjekt vorgenommen (unabhängig von auf staatlicher Ebene vorgesehenen exter-nen Aufsichten aufgrund der ausgeübten Tätigkeit, wie z.B. bei Banken und Versicherungen). Die besondere Qualifizierung besteht in der Unter-stützung und Prüfung der Genossenschaften je nach dem ausschließlichen Gesellschaftszweck des Vertretungsverbandes [gemäß Art. 7 und 9, Par. 1, Buchst. b), RG 5/2008]. Weiters soll unterstrichen werden, dass durch das Vorhandensein eines einzigen Prüfers der Informationsfluss unter den Zu-ständigen für die Führungskontrolle (geregelt unter Art. 42, Par. 3, RG 5/2008) erleichtert wird und damit gewährleistet, dass die betreffenden Körperschaften ihre Tätigkeiten in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen funktionalen und strukturellen Besonderheiten ausführen.

4 Schlussfolgerungen

Am Beginn dieser Abhandlung habe ich mir die Frage gestellt, ob die Au-tonome Region Trentino-Südtirol die Aufsicht über genossenschaftliche Körperschaften besser geregelt hat als der italienische Staat.

Zum Abschluss hoffe ich nun, dass Sie nach Analyse und Vergleich der Gesetzgebungen mit mir darin übereinstimmen, dass die Bestimmungen der Region tatsächlich besser sind.

Sollte nun die staatliche Gesetzgebung zur Genossenschaftsaufsicht über-arbeitet werden, bieten die Bestimmungen der Autonomen Region Trenti-no-Südtirol eine gute Vergleichsbasis. Dies gilt besonders heute, nach der Reform unserer Grundcharta im Jahr 2001, mit der unter Bezug auf Art. 117 der Verfassung wichtige Gesetzgebungsbefugnisse an die Regionen übertragen wurden (darunter auch der Bereich der Aufsicht über genossen-schaftliche Körperschaften) und der Öffentlichen Verwaltung mit dem neu-en Art. 118 der Verfassung eine wirksamere Zusammenarbeit mit der Zi-vilgesellschaft bei der Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten – darunter auch die Aufsicht über Genossenschaften – aufgetragen wurde.

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Luigi Marino

Die Zukunft der Genossenschaften zwischen örtlicher Tradition und Eurokratie

1 Die Bedeutung von Genossenschaften und die Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen

Confcooperative entstand 1919 im Zuge des nach der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum Novarum immer stärker werdenden sozialen Engage-ments der Katholiken. 1919 vereinigten sich Branchenverbände, die zum Teil bereits zuvor entstanden waren, wie beispielsweise die landwirtschaft-lichen Kreditgenossenschaften. Es war ein langer Weg, den Confcooperati-ve zurücklegen musste, um zu einer in sämtlichen Regionen und Provinzen präsenten Einrichtung zu werden, die 9 Verbände auf sektoraler Ebene um-fasst und über 20.000 Genossenschaften vertritt, mehr als 3 Millionen Mit-glieder zählt und 530.000 Personen beschäftigt. Diese Genossenschaften erreichen miteinander einen Gesamtumsatz von 62 Milliarden Euro, zu de-nen 150 Milliarden Euro an Einlagen bei den Kreditgenossenschaften hin-zukommen.

Angesichts dieser Zahlen stellt Confcooperative heute die bedeutendste ge-nossenschaftliche Vereinigung in Italien dar. Die Vorrangstellung von Confcooperative innerhalb der genossenschaftlichen Bewegung lässt sich aber nicht nur durch Zahlen ausdrücken. Wir haben die Strategie und die Maßnahmen der italienischen Genossenschaften geleitet, als diese sich mit Bestrebungen nach einer Gleichstellung mit kapitalistisch organisierten Un-ternehmen oder mit Versuchen, die herkömmliche genossenschaftliche Ordnung zunichte zu machen, konfrontiert sah. Bei Gesetzen wie jenem über die mitarbeitenden Genossenschaftsmitglieder oder jenem über die Reform des Gesellschaftsrechts – mit den entsprechenden Auswirkungen auf die steuerrechtlichen Bestimmungen – ist es uns gelungen, ein realisti-sches Gleichgewicht zu erringen. Auf diese Weise konnten die Genossen-schaften weiterhin überleben und sich entwickeln.

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Luigi Marino 40

Sowohl die wirtschaftlichen Indikatoren (Umsatz, Vermögen, Rentabilität) als auch die sozialen Kennzahlen (Beschäftigung) belegen, dass sich die Bedeutung des italienischen Genossenschaftswesens in den ersten zehn Jahren dieses Jahrhunderts verdoppelt hat und etwa 7,7% des italienischen BIP ausmacht.

Confcooperative ist auch einer der einflussreichsten Genossenschaftsver-bände in Europa und weltweit. Confcooperative stellt den Vorsitzenden des Spitzenverbandes der europäischen Genossenschaften (Cooperatives Euro-pe) sowie den Vizepräsidenten des weltweit agierenden Internationalen Genossenschaftsbundes. Auch ist zu erwähnen, dass vier der insgesamt fünf sektoralen Organisationen in Europa einen italienischen Vorsitzenden haben.

Die Gründe, die Confcooperative zum führenden Vertreter der Genossen-schaften gemacht haben, liegen in seinen Wurzeln, in der Treue zum Terri-torium und zur lokalen Gemeinschaft, in der Betonung der faktischen Mu-tualität, in der konsequenten Genossenschaftsarbeit, insbesondere jedoch in der Bindung zur sozialen Doktrin der Kirche.

Wir haben uns dafür entschieden, uns mitten in die Realwirtschaft zu posi-tionieren. Confcooperative hütet die Unabhängigkeit und die Freiheit der Genossenschaften von Institutionen, Politik, Gewerkschaften, Konzernen und Lobbys. Confcooperative schützt die tatsächlichen Inhaber der Genos-senschaften: die Mitglieder, die Arbeitnehmer, die Abnehmer und die Verbraucher, die Mitglieder unserer Genossenschaften sind.

2 Die Entwicklung der Genossenschaften

Ich habe mich mit Freude bereit erklärt, mit Ihnen über die Zukunft der Genossenschaften im Spannungsfeld zwischen lokalen Traditionen und überstaatlichen Mächten nachzudenken, sowie über deren Entwicklung im Zuge des komplexen, langsamen und widersprüchlichen Aufbaus der Euro-päischen Union. Von hier aus, von der hohen Warte dessen, was Ihre Ge-nossenschaften erreicht haben, können wir mit größerer Klarheit und mit realistischem Auge auf die Zukunft blicken. Es ist, als befänden wir uns auf einem hohen Pass, auf einem der hohen Pässe in den Bergen, die Sie um-geben. Von hier aus erblickt man zwei verschiedene Landschaften: jene, aus der wir gekommen sind, und jene, wohin wir unterwegs sind.

Man überblickt gleichermaßen Gegenwart und Vergangenheit, ist aber zugleich in der Lage, weit in die Zukunft zu sehen. Die Vergangenheit und

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Die Zukunft der Genossenschaften zwischen örtlicher Tradition und Eurokratie

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die Gegenwart stellen das Werk dar, das Sie vollbracht haben, hier in Ihrem Territorium: die Erträge und die Beschäftigung, die Sie abgesichert haben, die Dienstleistungen, die Sie für unsere Gemeinschaften erbracht haben.

Wegen des höheren Konkurrenzdrucks, der sich aus der Globalisierung, der fortdauernden Wirtschaftskrise und der Kürzung der öffentlichen Ausgaben ergibt, wird den Genossenschaften jedoch abverlangt, auf zwei parallelen Gleisen zu fahren. Das erste Gleis ist der Respekt vor einer Genossen-schaftsarbeit wie der Ihrigen, die stark im Territorium verwurzelt, eng mit dem Leben der lokalen Gemeinschaft verbunden, zutiefst authentisch und reich an Identität ist. Das zweite Gleis ist die Anhebung der Konkurrenzfä-higkeit der Genossenschaften in Hinblick auf Eigenkapital, Unternehmens-größe und Integration, zunehmende Internationalisierung und eine solide Bildung und Qualifizierung sowohl des Vorstands als auch des Manage-ments.

Langsam aber unaufhaltsam nimmt die Größe der Genossenschaften zu. Die kleinsten, die weniger als 10 Angehörige zählen, machten vor zehn Jahren noch 79% aus, heute sind es 62%. Die exportierenden Genossen-schaften sind in diesen Jahren von wenigen Dutzend auf nahezu Tausend angestiegen. Die Zusammensetzung nach Geschlecht, Alter und Herkunft der Mitglieder, der Arbeitnehmer und der Vorstandsmitglieder (der Vor-stand der Genossenschaften beispielsweise ist im Durchschnitt jünger als bei Aktiengesellschaften) bringt die Modernisierung unserer Gesellschaft zum Ausdruck.

Die uns am effektivsten kennzeichnende Innovation besteht darin, dass die Genossenschaften das Globale zum Lokalen zurückführen. Sie lagern nicht aus, sondern öffnen ihr Territorium zur Welt, binden die Arbeit und die Unternehmen an die lokale Gemeinschaft und an die Familien. Lokale Wirtschaft bedeutet nicht, sich in einen „Klein-aber-fein-Glaubenssatz“ zu verbohren. Törichte Menschen denken, es liege in der Natur der lokalen Wirtschaft, nachrangig, marginal und „klein“ zu sein. Die lokale Wirtschaft ist vielmehr von wesentlicher Bedeutung für jede Gesellschaft, die ihre Ressourcen, ihr menschliches und soziales Kapital, ihr Know-how und ihre Fertigkeiten, die sich im Laufe der Zeit im Territorium gebildet haben, zur Geltung kommen lassen will. Die lokale Verwurzelung unserer Genossen-schaften ist ein Wert. Sie ist keine Bremse, wie manche denken. Sie ist eine Startrampe. Sie ist ein Knotenpunkt, von welchem Netzwerke ausgehen, kein Ort der Einsamkeit.

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3 Die Genossenschaften in der globalen Finanzmarktkrise

Die weltweite Krise hat die Genossenschaften und die Kooperation vor ei-ne schwierige Prüfung gestellt. Und sie haben diese bestanden. 2009 haben alle italienischen Unternehmen einen Umsatzrückgang von 7% gegenüber dem Vorjahr verbucht. Die italienischen Genossenschaften konnten den Rückgang insgesamt auf lediglich 1,1% begrenzen. Die von unserem Ver-band vertretenen Genossenschaften haben sich noch besser gehalten: Sie haben den Rückgang auf 0,7% beschränkt (also auf ein Zehntel des allge-meinen Rückgangs der italienischen Wirtschaft).

Im Allgemeinen ist die Beschäftigung im Jahr 2009 zurückgegangen. Bei den Genossenschaften hingegen ist sie um 2% gestiegen.

Der langfristige strukturelle Aufschwung (Entwicklung des Eigenkapitals, der Kapitalbildung, der finanziellen Unabhängigkeit) hat sich durch die Krise verlangsamt, ist aber nicht stehengeblieben. Die Ausleihungen der Genossenschaftsbanken haben zugenommen, als die anderen Banken auf-hörten, Kredite zu vergeben. Der Realwirtschaft treu geblieben zu sein und den Sirenen der virtuellen Finanzwelt widerstanden zu haben, hat sich als die richtige Wahl erwiesen.

Wir wissen, dass es unter dem Banner des Gesamterfolgs Genossenschafts-unternehmen mit herausragenden Leistungen gibt und andere, die sich ab-mühen und leiden, die sich fragen, ob es für sie eine Zukunft gibt, solche die von dieser langen Stagnation der Wirtschaft schwer getroffen sind. Doch wir hoffen, dass sich dauerhaft das Bewusstsein bilden wird, dass die Wirtschaft stärker und gesünder ist, wenn sie eine vitale Bindung zu den lokalen Gemeinschaften hat, wenn die Subsidiarität in der Lage ist, mitein-ander zu teilen und Verantwortung zu übernehmen.

In einigen Teilen der Welt wurde die Krise kaum oder gar nicht wahrge-nommen. Das Epizentrum der Krise liegt im Westen. Es gibt Anzeichen für einen Aufschwung, doch die Nachbeben der Krise werden noch lange an-dauern. Die Krise hat Väter und Mütter: Die Väter sind die Angehörigen einer Kategorie von Bank- und Finanzmanagern, die mit Kunstgriffen, Täuschungen und Unwahrheiten gearbeitet haben. Die Mütter sind die Staaten und die übernationalen Institutionen, die es unterlassen haben, Re-geln zu schaffen, adäquat zu beaufsichtigen und Strafen zu verhängen. Oh-ne Globalisierung der Regeln, der Aufsicht und der Strafen ist auch die Globalisierung der Wirtschaft nicht möglich.

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Man darf nicht vergessen, dass in den vergangenen Jahren, in denen sich auch erbarmungslose Gegner des Genossenschaftswesens für die soziale Verantwortung von Unternehmen und Banken in der Wirtschaft und in der Finanzwelt stark machten, „die soziale Unverantwortlichkeit“ um sich ge-griffen hat.

Ebenso wenig darf man vergessen, dass zu Beginn der Krise (im Jahr 2008) die öffentliche Meinung verlangte, dass unter dem Schirm der Wirtschaft auch Werte wie Lokalismus, Würde der Arbeit und der Familie, unterneh-merischer Pluralismus und Subsidiarität ihren Platz finden sollten, während heute die Finanzwelt bereits wieder jene Verhaltensweisen angenommen hat, die vor der Krise bestanden und ebendiese Krise verursacht hatten. Da-her muss der Anspruch, die Globalisierung zu „steuern“, bald konkrete, umsetzbare und ermutigende Antworten finden.

4 Aufgaben und Perspektiven der Europäischen Union

Die Trägheit, mit welcher die Aufstellung neuer Regeln und neuer Institu-tionen für die Steuerung der Weltwirtschaft vonstatten geht, gefällt uns nicht. Auch von dem in diesen Stunden stattfindendem Ereignis, dem aktu-ellen G20-Treffen, kommen keine neuen Lösungen. Außerdem besteht die Furcht – wie im Falle von Basel III – dass Regeln, die für große Banken erdacht wurden, für Genossenschaftsbanken und lokale Institute übermäßig belastend sein könnten.

Außerdem wird jedes Mal, wenn „Basel“ zusammen mit einer neuen römi-schen Ziffer genannt wird, die Gewährung von Krediten an Familien und Unternehmen erschwert.

Das Ende des Kalten Krieges und der unipolaren Ordnung, das sich Anfang der 90er Jahre abzeichnete, hatte in uns einige Hoffnungen erweckt. Der Unipolarismus hat nur wenige Jahre gewährt. Er wurde bereits beiseite ge-legt. Heute kommen wir nicht umhin, Brasilien, Russland, Indien und Chi-na – die sogenannten BRIC-Staaten – als vollgültige „Pole“ anzusehen: Es sind dies die neuen Motoren des Weltwirtschaftswachstums. Sie sind die aufsteigenden Mächte, an die wir uns in der Hoffnung auf einen Auf-schwung klammern und die im Vergleich zur melancholischen Parabel an-derer Mächte – mit dem problematischen Aufschwung in den Vereinigten Staaten und der langen Stagnation Japans – nahezu unbefangen erscheinen.

Vor zwanzig Jahren glaubten wir, der Zusammenbruch der „kommunisti-schen Bedrohung“ würde den Fokus auf die primären menschlichen Be-

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dürfnisse wie beispielsweise die Freiheit verschieben und so Investitionen von der Sicherheit abziehen. Wir glaubten, es hätte eine Wende gegeben und Jahrzehnte voller Ängste, Unsicherheiten und Kontaktunfähigkeit zwi-schen den Blöcken wären überwunden. Wir glaubten also, ein vereinigtes, demokratisches, von der (sowohl physischen als auch moralischen) Mauer befreites Europa würde sein gesamtes Potential entfalten können.

Ich spreche von einem Potential, das für Europa vor allem ein kulturelles und historisches Potential ist – Europa wurde oft als „zivile Macht“ be-zeichnet – und das es zum Drehpunkt einer Sicherheit machte, die immer weniger Waffen und immer mehr Ideen, politische Erfahrung und virtuose Verschmelzung benötigte. In diesem Sinne hatte die Erweiterung der Euro-päischen Union auf Länder, die zuvor in der sowjetischen Umlaufbahn kreisten, diese Hoffnungen bestätigt und bestärkt.

In der Epoche der Globalisierung ist die Vorstellung, dass die Regierbarkeit im Umkreis nationaler Staaten gesichert ist, nicht nur überholt. In vielen Fällen ist sie auch pathetisch und selbstverletzend. Die Vereinigten Staaten und die BRIC-Staaten sind sich natürlich selbst genug – sie sind groß ge-nug, um sich selbst zu genügen. Für nationale Staaten, vor allem in Europa, kann es nur eine kontinentale Regierbarkeit geben.

Ein Land wie Italien, das heute nicht einmal 1% der heutigen Weltbevölke-rung und 2020 einschließlich Einwanderer 0,7% derselben ausmachen wird, hängt trotz einiger Schwierigkeiten daran, unter den Ersten zu sein, wobei es keine Zukunft außerhalb Europas hat. Die wichtigste, neueste und anspruchvollste Anstrengung sollte daher darin bestehen, die EU zu über-zeugen, sie gleichsam zu „verpflichten“, zu einem Staat zu werden. Der Föderalismus, auf den wir mit aller Kraft hinarbeiten müssen, ist der Föde-ralismus der Vereinigten Staaten Europas.

Doch die Europäische Union hat uns enttäuscht, und zwar sowohl beim Umgang mit der Wirtschaftskrise als auch aufgrund der Unfähigkeit, die Inhalte einer europäischen Staatsangehörigkeit zu definieren. Das Einzige, was die Menschen über letztere wissen, ist, dass es eine zusätzliche Staats-angehörigkeit ist, eine zweitrangige gegenüber der nationalen Staatsange-hörigkeit. In einer mittlerweile nicht mehr bipolaren Welt verspürte Europa (während die aufsteigenden Mächte sich organisierten und wuchsen) den Stolz und das Bedürfnis, „mehr“ zu sein. Größer, was die Institutionen be-trifft, innovativer und technologischer und reicher an Nationalität. Das Ziel war, dieser Handvoll Akteure anzugehören, deren Stimme danach streben konnte, Gehör zu finden, die sogar Anführer einer multipolaren weltweiten

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Wirklichkeit sein konnte. Doch daraus wurde nichts. Die Wirklichkeit ist noch weit von diesen Zielen entfernt. Der Gehalt an Werten, Identität und Substanz der Europäischen Union erscheint wie eine Verdichtung „auf Sparflamme“. Wir haben oft auf etwas verzichtet, was in Europa Diskussi-onen und harte Auseinandersetzungen hätte auslösen können. Wir haben so darauf verzichtet, die Identität Europas zu gestalten und zu besitzen. Doch Identitäten sind wichtig. So wie für Sie die Identität, die Geschichte Ihres Territoriums wichtig ist, so ist es für alle, so muss es für unser Europa sein.

Wir sind nicht einmal in der Lage gewesen, die christlichen Wurzeln schriftlich festzuhalten, größtenteils haben wir das religiöse Element aus unserer Identität gelöscht und ein Großteil der wenigen, die es bewahrt ha-ben, hat es in die Privatsphäre verbannt.

Wenn wir uns dann von der Identität auf die Ebene operativer, wirtschaftli-cher und konkreter Entscheidungen begeben, ändert sich die Situation kaum. Der Fall Griechenland ist symptomatisch. Er darf (und kann) sich nicht noch einmal einstellen. Die Europäische Union hat die griechische Angelegenheit unter dem lähmenden Gewicht der nationalen Sorgen der einzelnen Staaten behandelt, wobei der bestürzten europäischen und welt-weiten Bevölkerung ein groteskes Schauspiel geboten wurde. Viel ist über den Euro gesagt worden, eine verwaiste Währung, eine Währung ohne Staat, aber mit einer Zentralbank.

In Zukunft kann es nur dann ein Wachstum für Europa geben, wenn die Europäische Union rechtzeitig und wirkungsvoll auf die weltweit aufflam-menden Herausforderungen reagieren wird. Bisher zahlen wir jedoch den Preis dafür, den Prozess der Erweiterung der Europäischen Union ohne Überzeugung vorangetrieben zu haben und dabei die Anpassung der Insti-tutionen vernachlässigt zu haben, die verspätet, zu wenig und schlecht vor-genommen wurde. Es ist uns nicht gelungen, eine europäische Verfassung zu schaffen und zu verabschieden.

Europa hat in diesen Jahren die Mitgliedstaaten aufgefordert, eine strengere Bilanzpolitik anzuwenden, schafft jedoch nicht die allgemeinen Bedingun-gen und Möglichkeiten für eine Expansion unserer Produkte auf dem inter-nationalen, weltweiten Markt. Diese Aufgabe obliegt nach wie vor den Na-tionalstaaten. Aufgrund der Auswirkungen der Krise kommt die Verringe-rung der öffentlichen Verschuldung bisher einer Sisyphusarbeit gleich. Mühsam wird Boden gewonnen, doch dann fällt man wieder zurück und muss von vorn beginnen. Niemand kann immer über seinen Möglichkeiten

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leben, auch wenn es den Staaten manchmal gelingt, dies länger und mühe-loser zu tun als einzelne Bürger.

Europa wird es nicht schaffen, „gemeinsam“ aus der Falle des langsamen Aufschwungs (durch den es ein buchstäblich „alter“ Kontinent wird) zu entkommen, wenn es keine angesehene und anerkannte Führung hat, die den Bürgern bekannt ist, die im Namen der europäischen Völker spricht. Stattdessen zahlen wir den Preis einer Illusion, die sich als trügerisch her-ausgestellt hat: dass allein die überregulierte Einheit des Marktes gemein-same Ziele, eine gemeinsame politische Kraft und sozialen und zivilen Zu-sammenhalt schaffen kann.

Um es mit den Worten des Wirtschaftsministers TREMONTI zu sagen: Die Zeit der Kolonialerträge Europas ist vorbei, durch die in der Vergangenheit Waren und Staatsanleihen relativ einfach platziert werden konnten. Ange-sichts der Globalisierung von Waren und Finanzen, angesichts der Globali-sierung, die nach Europa gekommen ist, hat sich die Priorität der Probleme umgekehrt. Es ist zum Beispiel unangemessen, von Export zu sprechen, wenn ein italienisches Produkt auf dem deutschen oder französischen Markt verkauft wird, denn es ist das selbe, als gebrauchten wir den Begriff „Export“, wenn ein Produkt der Industrie Venetiens in der Lombardei ver-kauft wird. Unsere Exporte müssen der Globalisierung Rechnung tragen, sie müssen in die Schwellenländer gehen.

5 Die Zukunft der Genossenschaften in Europa

Die Genossenschaften waren immer für den Markt, für einen Markt, dem sich unsere Genossenschaften zu jeder Zeit – oft mit exzellenten Ergebnis-sen – gestellt haben. Doch wir sagen „nein“ zu dem „Marktismus“, den die Globalisierung in die Tat umsetzt. Der Marktismus ermöglicht es neuen „starken Mächten“, die Welt auf den Kopf zu stellen, sie zu besitzen, sie aufzubrauchen. Das Ende der Geschichte, wie es Fukuyama 1989 geschil-dert hatte, mit der unvermeidlichen Durchsetzung demokratischer Wahlre-gierungen weltweit, ist nicht eingetreten.

Viele der aufsteigenden Mächte sind eindeutig wenig demokratisch. Im Marktismus besteht und konkurriert der kommunistische chinesische Kapi-talismus zusammen mit dem oligarchischen russischen Kapitalismus, dem anarchischen indischen, dem monopolistischen Kapitalismus der Länder, die über Rohstoffe verfügen, dem überaus protektionistischen Kapitalismus der USA, unserem überregulierten Kapitalismus der EU. Um den Markt zu regulieren, unvermeidlichen Missbräuchen vorzubeugen, Verzerrungen zu

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korrigieren, die Effizienz zu steigern, neue Werte in die Wirtschaft einzu-führen (oder wieder zu entdecken?), sind starke Institutionen und eine star-ke Politik erforderlich, die sich auf eine Definition verdichten lassen: die Vereinigten Staaten Europas.

Doch Europa hinkt mit der Politik hinterher, ist holprig in der Wirtschaft und dem Markt gegenüber taub. Das heutige Europa streckt sich nach einer Homogenisierung, die die Unterschiede zwischen verschiedenen Unter-nehmenstypen abwertet und abzuflachen versucht. Es überwiegt dieser ein-zige kapitalistische Gedanke, der eine Gefahr für das gesamte europäische Genossenschaftswesen darstellt. Dies sieht man an den letzten Umfragen in Brüssel über die Kompatibilität der nationalen Genossenschaftsordnungen mit der Gemeinschaftsregelung zum Wettbewerb. Diese Dossiers beschäf-tigen oder betreffen die italienischen Genossenschaften, die spanischen und französischen Agrargenossenschaften, die norwegischen Genossenschaften. Oft liegt der Konfliktherd nicht in der Genossenschaftsordnung. Es ist auch keine spezielle Frage des Steuerwesens der Genossenschaften. Es handelt sich um lokale Konflikte oder um in Konflikt stehende Handelsinteressen, die das gesamte Genossenschaftswesen indirekt treffen.

Unsere wesentliche Sorge ist, dass Prinzipien aufs Spiel gesetzt werden könnten und Präzedenzfälle entstehen, die für alle Sektoren verhängnisvoll sein könnten. Die Genossenschaften stehen der Europäischen Union kom-plex und misstrauisch gegenüber, weil nicht die Politik, sondern die Tech-nokratie das Tempo vorgibt. Es ist ein Europa, das ehrgeizige Ziele pro-klamiert, zuerst mit der Lissabon-Agenda, dann mit der Strategie Europa 2020. Es beruft sich auf die Wissensgesellschaft. Es liebäugelt mit einer herausragenden Zukunft. Doch es trifft keine konsequenten Entscheidun-gen in Bezug auf Strukturen, Mächte, Ressourcen.

Und so sind die italienischen Genossenschaften (wie die spanischen, die französischen und die anderen) gezwungen, sich vor den instrumentalen Anschuldigungen von Konkurrenten zu verteidigen, die eine fundamenta-listische und liberistische Auffassung von Wettkampf haben. Es fällt schwer, den Unterschied zwischen einem kapitalistischen gewinnorientier-ten und einem mutualistischen Unternehmen zu verstehen. Die Ideologie des Marktes stellt keine politische Doktrin mehr dar, die Europa gerecht wird, sie ist kein Motor der Integration, wie man vor zwanzig Jahren ge-glaubt hat, sie ist kein Katalysator einer politischen Union der Völker Eu-ropas. Wir jedoch wollen dem Ziel der europäischen Union treu bleiben. Doch wir wollen eine Union, die der organisierten Zivilgesellschaft zu-

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nehmend Gehör schenkt, die auf Vielfalt und Pluralität Wert legt, und dies nicht nur im kulturellen, politischen und sozialen Bereich. Denn dieses Eu-ropa will die christliche Identität nicht verteidigen, es will, dass alle Religi-onen gleichwertig einen Platz finden. Wenn man jedoch vom Markt spricht, soll es nur eine Typologie von Unternehmen geben: das kapitalisti-sche gewinnorientierte Unternehmen.

In Übereinstimmung mit der anfangs gemachten Bemerkung haben wir un-sere Vorstellung der Genossenschaft dennoch bei der Europäischen Union vorgestellt, vertreten und beschützt. Für uns ist die moderne Genossen-schaft, jene, die ihren Platz in Europa hat, keine farblose und homologierte Genossenschaft. Vielmehr ist sie eine Genossenschaft, deren ursprüngliche Physiognomie schärfer umrissen und in kohärente Verhaltensweisen über-setzt werden muss. In ihrer jüngsten Geschichte hat die Europäische Union den Genossenschaften gegenüber zwei wichtige und enttäuschende Hand-lungen vollbracht. Im Februar 2004 hat sie eine Mitteilung – also ein pro-grammatisches Dokument – über die Förderung der Genossenschaften in Europa herausgegeben, es jedoch auf nicht zufrieden stellende Weise um-gesetzt. Dann hat sie (mit einer Verordnung im Jahr 2003) die Satzung der europäischen Genossenschaft erlassen. Es war eine wichtige politische Ent-scheidung, weil sie der Genossenschaft einen Platz in der Rechtsordnung der EU gegeben hat. Sie hatte jedoch kaum praktische Folgen. Auf dem Papier gibt es in ganz Europa nur 17 Genossenschaften, die nach dem eu-ropäischen Statut gegründet worden sind.

Bei Cooperatives Europe, also bei unserem europäischen Verband, erarbei-ten wir gerade Vorschläge für eine neue Genossenschaftspolitik in der Eu-ropäischen Union. Doch präzisere und wichtigere Hinweise für eine richti-ge Politik Europas erhalten wir aus den offenen Dossiers.

Nach einer angeregten und manchmal konflikthaften Auseinandersetzung, die sich hartnäckig mit den konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen der Bestimmungen beschäftigt hat, zeichnet sich bei der Europäischen Kom-mission eine Position ab, in der sich – wir müssen es hinzufügen – dank unserer Arbeit auch unsere Ideen wieder finden:

Nationale Genossenschaftsordnungen, durch die sich die Behandlung der Genossenschaften von jener der Kapitalgesellschaften unterschei-den wird, sind nur für wahre und authentische Genossenschaften an-nehmbar (das heißt, solche ohne staatliche Hilfen).

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Die Zukunft der Genossenschaften zwischen örtlicher Tradition und Eurokratie

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Genossenschaften, bei denen das Ausmaß der Mutualität (die von den Mitgliedern ausgeführten Tätigkeiten) sehr hoch ist, müssen also prä-miert werden.

Mit einer weitreichenden, bewussten und effektiven Teilnahme der Ge-nossenschaftsmitglieder am Leben und an der Führung der Genossen-schaft kann der Anspruch auf eine Prämie verdient werden.

Bis heute bestehen in den europäischen Verträgen keine bereits eingegan-genen Verpflichtungen, und zwar weder hinsichtlich der Harmonisierung noch im Hinblick auf eine einfache Annäherung der Genossenschaftsgeset-ze. Dennoch rufen die Wettbewerbsbestimmungen, die Steuervorschriften und die branchenspezifischen Bestimmungen (der Landwirtschaft, der Dienstleistungen, des Kreditwesens) konvergierende Tendenzen herbei. Al-so könnte es unser Interesse und unser Wille sein, den Institutionen der Gemeinschaft vorzuschlagen, für die Zukunft Richtlinien zu erlassen, die es unnötig machen, Tag für Tag Stück für Stück die nationalen Genossen-schaftsordnungen verteidigen zu müssen. Eine solche Situation, also eine Art Guerriglia in Verwaltung und Justiz, wäre das schlimmste Szenario. Doch wir starten von einem Festpunkt.

In der Vorstellung einer „tatsächlich mutualistischen und demokratischen Genossenschaft“ liegt eine mögliche Überschneidung der Vision der euro-päischen Institutionen und Apparate und unserer Genossenschaftstraditio-nen. Dieser Vorstellung einer authentischen Genossenschaft treu zu blei-ben, bedeutet für uns kein Opfer. Ganz im Gegenteil. Sowohl unsere als auch Ihre Statistiken besagen, dass es die Genossenschaften mit höherer Mutualität und Teilnahme sind, die die besseren wirtschaftlichen Ergebnis-se in Hinblick auf Kapitalisierung, Umsatz und Gewinn erzielen, die Rück-vergütungen anwenden und eine stabile und qualitätsvolle Beschäftigung haben.

6 Zusammenfassung: Genossenschaften als Vermögen der Europäischen Union

Zusammenfassend und abschließend möchte ich folgendes sagen: Die Mit-glieder der Genossenschaften weisen in ihrer Geschichte und in ihrer Kul-tur eine tiefgreifende Haftung an die grundlegenden Werte der vor 53 Jah-ren unterzeichneten römischen Verträge zur Europäischen Union auf. Heu-te schauen wir aber perplex und fassungslos auf das entstandene Europa. Wir haben der Europäischen Union und ihren Institutionen große Macht

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übertragen, doch wir haben kein angemessenes Niveau politischer Verant-wortlichkeit geschaffen. Die demokratischen Elemente haben wir hintange-setzt. Das Europäische Parlament ist schwächer als die Kommission, als die Zentralbank, als der Gerichtshof. Dies führt zu nichts.

Die Eurokraten sind stärker als die Gewählten. Die Europäische Union ist stark gegenüber den Schwachen und schwach gegenüber den Starken. Macht ohne Verantwortung ist immer eine Gefahr. Ich habe bereits über die Illusion gesprochen, dass die Einheit des europäischen Binnenmarktes allein schon eine gemeinsame politische Macht und weltweites Ansehen schaffen kann und die Nationalstaaten gleichzeitig fortbestehen. Die Union ist ein „riesiger Körper“, der zu langsam und manchmal unschlüssig rea-giert, wenn es Zeit für große Entscheidungen in der internationalen Politik, in der Handelspolitik oder in der Energiepolitik ist.

Es wird wieder Vertrauen einkehren, wenn wir sehen, dass wirklich eine EU der Völker aufgebaut wird, eine EU, die Vielfalt, Lokalismus, Religion, Kulturen und Traditionen unserer Völker hochschätzt. In diesem Zusam-menhang sind die Genossenschaften ein Vermögen der EU. Die Genossen-schaften haben Diktaturen, kapitalistische Räusche, Instrumentalisierungen durch Parteien und wiederholte und schwere Wirtschaftskrisen überlebt und sind dabei immer gewachsen, nie zurückgewichen.

Doch die Zukunft hängt heute mehr als je zuvor von uns ab, aber auch von dem Respekt für unsere Geschichte und für unsere Werte seitens eines Eu-ropas, das wir uns immer föderaler wünschen, mit demokratischeren und weltweit höher angesehenen Institutionen.

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Podiumsdiskussion

Zukunft der Genossenschaftsbanken, Genossenschaftsbanken der Zukunft

Teilnehmer:

Dr. ALESSANDRO AZZI (Präsident des italienischen Verbandes der Genos-senschaftsbanken)

Dr. HILMAR GERNET (Raiffeisen Schweiz Genossenschaft, Direktor Poli-tik & Gesellschaft)

Dr. h.c. STEPHAN GÖTZL (Vorstandsvorsitzender des Genossenschaftsver-bandes Bayern)

Dr. HANNES SCHMID (Sprecher des Vorstandes der Raiffeisen-Landesbank Tirol AG)

Moderation:

Dr. JOSEF BERNHART (Europäische Akademie Bozen)

BERNHART: Historisch und solide gewachsen, wirtschaftlich auch in Kri-senzeiten erfolgreich und versehen mit dem nötigen Vertrauen von Kunden und Bürgern, wie aktuelle Umfragen belegen. Man könnte meinen, um die Zukunft der Genossenschaften braucht man sich den Kopf nicht zu zerbre-chen. Doch so einfach ist es nicht. Die Herausforderung lautet „aktive Ges-taltung“ des Genossenschaftswesens.

Die Vollversammlung von Federcasse trug im Jahr 2009 den Titel „tempo di crisi - tempo di scelte“ („Krisenzeit – Zeit der Entscheidungen“). Damals haben Sie gesagt: Seit ihrer Entstehung sind die Genossenschaftsbanken vernetzt. Ein Netzwerk, das von unten her entstanden ist. Kann das Netz-werk von damals auch in Zukunft Erfolg gewährleisten?

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Podiumsdiskussion 52

AZZI: Um eine Antwort geben zu können, muss man den Verlauf in der Vergangenheit und die Ausrichtung unserer Gegenwart bzw. unseres Wachstums analysieren. Dabei sollte RAIFFEISEN der Ausgangspunkt sein: Er schrieb 1866 sein Meisterwerk „Die Darlehenskassen-Vereine“, in dem er bereits den Sinn und die Aufgabe der in einem Netzwerk verbundenen mutualistisch ausgerichteten Genossenschaften vorzeichnete. Das Thema „Netzwerk“ begleitet uns schon seit jeher. Wir feiern in diesem Jahr das fünfzigste Jubiläum des Raiffeisenverbandes Südtirol. In seinem Beitrag hat Präsident MARINO erwähnt, dass auch das neunzigste Jubiläum des Ge-nossenschaftsverbands Confcooperative auf dieses Jahr fällt, während wir im letzten Jahr das einhundertste Jubiläum des nationalen Verbandes der Genossenschaftsbanken und Raiffeisenkassen, Federazione Nazionale delle Banche di Credito Operativo Casse Rurali e Raiffeisen, begangen haben. Der Verlauf in der Vergangenheit war geprägt von Banken, die stets auf die Wahrung der Traditionen bedacht waren, stolz lokale Unternehmen vertra-ten und die Wirtschaft der lokalen Gemeinschaften führten. Gleichzeitig arbeiteten sie nach den Prinzipien der Solidarität und der Selbsthilfe, die unter den Genossenschaftsmitgliedern, aber auch den Genossenschaften des jeweiligen Einzugsgebietes bestehen muss. Es ist damit geradezu of-fensichtlich, dass im Zeitalter der Globalisierung und des Wettbewerbs, wodurch alles komplexer wird, all jene, die im kleineren Rahmen und nach den Prinzipien der Kooperation arbeiten, durch Netzwerke gestärkt werden können. Dies gilt offensichtlich für alle Genossenschaften und hat insbe-sondere für Genossenschaften, die in fortgeschritteneren Bereichen wie je-nem des Kreditwesens arbeiten, eine noch größere Bedeutung. Das Kredit-wesen ist stark gekennzeichnet von den Auswirkungen des jeweiligen Um-feldes und von der Konkurrenz mit im Laufe der Zeit immer größer und aggressiver gewordener Gruppen. Die Kreditgenossenschaften haben daher in den letzten Jahren ihre Stärken, nämlich die Identitätswerte, ausgebaut. Von daher rührt das Bewusstsein, dass der Unterschied nicht lediglich in der Kommunikation liegt: „Meine Bank ist anders“ entspricht mehr oder weniger den Slogans der italienischen Genossenschaftsbanken – der Unter-schied liegt jedoch in den Beweggründen und im Identitätsverständnis. Wie wir beobachten konnten, hat die Krise die Präsenz und das Engagement der Kreditgenossenschaften weiter aufgewertet – eben weil sie sich nicht ver-einheitlichen lassen. Dieser Faktor der Individualität ist von außerordentli-cher Bedeutung. Wir haben uns immer gegen ein vereinheitlichendes Ban-kensystem gewehrt und werden dies auch weiterhin tun. Wir mögen die Vorstellung nicht, dass Banken immer größer und damit immer weniger mit ihrem Einzugsgebiet vertraut sein sollen, ganz zu schweigen von den Prinzipien, dass eine Bank eine AG sein sollte und kurzfristige Ergebnisse,

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Zukunft der Genossenschaftsbanken, Genossenschaftsbanken der Zukunft 53

Dividendenmaximierung und die Interessen der Aktionäre zum Ziel haben sollte. Wir glauben, dass es eine gute Zukunft für Banken gibt, deren Zweck der Inhalt von Artikel 2 des Statuts der Genossenschaftsbanken ist, nämlich das Engagement für die moralische, kulturelle und wirtschaftliche Aufwertung ihres Einzugsgebietes sowie der dort ansässigen Personen.

Dass die Genossenschaftsbanken in Italien dem nachkommen, zeigen mehr als 1.100.000 Mitglieder und beinahe 6 Mio. Kunden. Die Raiffeisenkassen und anderen Genossenschaftsbanken verfügen über 4.300 Schalter in ganz Italien. Rund 13% aller Bankschalter in Italien gehören Genossenschafts-banken.

BERNHART: Schauen wir auf die Schweiz, die schon in ihrem offiziellen Namen sozusagen den Genossenschaftsbegriff mitführt: die Schweizerische Eid-Genossenschaft. Dr. GERNET, Sie haben einen sehr interessanten Wer-degang und verschiedene Branchen durchlaufen, vom Tourismus über die Wissenschaft, die Beratung, die Politik und den Journalismus. Heute sind Sie Direktor der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft und leiten einen inte-ressanten Bereich, nämlich „Politik und Gesellschaft“. Sie versuchen, die Genossenschaften neu zu positionieren. Was ist aus Ihrer Sicht und vor Ih-rem breiten Erfahrungshintergrund der Mehrwert des genossenschaftlichen Ansatzes?

GERNET: Der Mehrwert der Genossenschaft liegt nicht in den Produkten. Wir müssen gleich gute Produkte anbieten, unabhängig vom Bereich, in dem wir tätig sind: im Produktionsbereich, im Dienstleistungsbereich. Da unterscheiden wir uns nicht. Es gibt nicht den „good will“, so dass jemand sagt: „Weil das von einer Genossenschaft oder einer Raiffeisenbank kommt, bin ich auch zufrieden, wenn die Leistung etwas reduziert ist oder der Service nicht so toll ist.“ Das interessiert keinen. Wir stehen voll im Wettbewerb, so dass auch wir dem Slogan ausgesetzt sind, den alle benut-zen: „Der Kunde ist König.“ Das ist eine banale Weisheit, die für jedes Ge-schäft und Geschäftsfeld gilt. Wo wir in der Schweiz aber versuchen, ein neues Bewusstsein zu schaffen, ist im Bereich der Weiterentwicklung die-ses Slogans: Der Kunde ist nicht nur König, sondern Demokrat. Dass heißt, der Kunde muss teilhaben können an den strategischen Entscheidungen ei-nes Unternehmens, eben einer Genossenschaft. Dieses ist letztlich der ent-scheidende Mehrwert beziehungsweise der Zusatzwert, den wir glauben vermitteln zu können. Man kann wirklich sagen, dass wir eine Art Renais-sance der Genossenschaft erleben. Dieser Wunsch nach Teilhabe ist tat-sächlich ein neues Phänomen, und Genossenschaften fällt es offenbar leich-ter, diese Partizipation auch zu kommunizieren als es beispielsweise im

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Podiumsdiskussion 54

klassischen Politikbereich bei den Parteien der Fall ist. Diese behaupten, dass man in den Parteien partizipieren und die Gesellschaft verändern kann. Ein Mitgliederzuwachs ist bei den Parteien aber nicht feststellbar, im Ge-genteil und ganz im Gegensatz zu den Genossenschaften.

BERNHART: Etwas provokant nachgefragt: Für einen Schweizer klingt das selbstverständlich, denn die Schweizer stimmen ja über fast alles ab. Aber wie erklären Sie das Ihren Kollegen z. B. in Deutschland oder in Italien? Italien grenzt an die Schweiz und es existieren einige Parallelen. Welche Elemente Ihres Ansatzes gelten auch allgemein über die Grenzen hinaus?

GERNET: Die Chance besteht gerade darin, dass eine Genossenschaft rela-tiv kleinräumig regional ihre Aufgaben erfüllt, und in diesem regionalen, überschaubaren Bereich kann man durchaus abstimmen und partizipieren, Entscheidungen treffen. Das ist unabhängig von Landesgrenzen.

BERNHART: Herr Dr. GÖTZL, ich möchte Sie mit einem sehr bekannten Zi-tat eines vielleicht noch bekannteren Politikers konfrontieren. Es handelt sich um den deutschen Bundesfinanzminister WOLFGANG SCHÄUBLE, der gesagt hat: „Die Genossenschaften haben immer schon mehr verdient als die Deutsche Bank“. Als ehemaliger Staatssekretär haben Sie auch Erfah-rungen in der Politik gesammelt und einen unmittelbaren Zugang zur Poli-tik. Sie kennen das politische Umfeld und die Eigenheit der Politik, dass gut gemeinte und gut verkaufte Reformkonzepte nur schwer umsetzbar sind. Können Sie uns hierzu noch ein Beispiel aus der aktuellen Entwick-lung nennen? Sie haben auch die durchaus kritischen Anmerkungen im Beitrag von Präsident MARINO vernommen. Wie können sich die Genos-senschaften heute in diesem politischen Umfeld bewegen und noch erfolg-reicher werden, um nicht zu stagnieren?

GÖTZL: Herr SCHÄUBLE hat sogar noch etwas ganz anderes gesagt, der Satz ist zur Hälfte abgeschnitten. Er hat auf eine sehr provokante These ei-nes Vorstandes der Deutschen Bank reagiert, weil dieser Banker ein biss-chen verächtlich auf mich als Genossenschaftsvertreter geguckt hat, und gesagt: „Sie können Zeiträume von zehn oder zwanzig Jahren nehmen und sie anfangen lassen, wann Sie wollen. Die Genossenschaften haben immer mehr Geld verdient als die Deutsche Bank, weil sie ihr Geschäft besser ver-stehen.“ Dieses Zitat gefällt mir noch viel besser. Es ist aber auch in der Tat so. Man sieht, dass man nach wie vor sein Geld verdienen kann, wenn man eine konservative, risikobewusste Bankpolitik führt, die nicht volatil ist, wie das bei Aktiengesellschaften der Fall ist, sondern auf Partizipation und stetige Entwicklung ausgelegt ist. Wir hatten im vergangenen Jahr in

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Bayern das beste Ergebnis in der Geschichte der Volks- und Raiffeisen-banken in Bayern, und dieses Jahr wird sogar noch etwas besser werden. Man kann also durch Nachhaltigkeit Geschäft machen. Durch unsere Regi-onalität kann jede Bank selbst bestimmen, wie groß ihre Region ist, aber in der Region soll sie dann arbeiten. Dies ist eine unserer Selbstbeschränkun-gen, die aber dann auch zur Folge hat, dass man in dieser Region auch „le-benslänglich“ arbeitet. Sie müssen versuchen, das Beste aus diesem und für diesen lokalen Markt herauszuholen und können nicht, wie das andere, z.B. Großbanken, tun, ins Ausland gehen, wenn es im Binnenmarkt schwer wird. Nehmen Sie als ein Beispiel, was der selbsternannte Klassenprimus in Deutschland gemacht hat. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Deutsche Bank bzw. Bank24 die Privatkunden loswerden und nur noch In-vestment-Banking machen wollte. Es wäre einmal interessant zu wissen, wie viele Milliarden das gekostet hat. Jetzt kommt sie wieder zurück und imitiert übrigens genau unsere Strategie. Sie kauft die Postbank und ist da-mit in allen Gemeinden gut verdrahtet. Der wichtige Unterschied jedoch ist, dass sie die Postbank ganz sicher nur gekauft hat, weil sie auf die Pas-siv-Seite will. Sie will das Geld nehmen und es dann irgendwo anders in der Welt für ihre Politik einsetzen. Und genau das machen Genossenschaf-ten eben nicht. Genossenschaften bleiben in der Region, und unsere Aufga-be ist es, das Geld, das wir in der Region einnehmen, auch an Krediten in die Realwirtschaft in dieser Region wieder zurückzugeben. Das Geld, das wir nicht brauchen, geben wir an unsere Zentralbanken, die die Liquidität auch besser anlegen können. Das ist hochmodern. Deshalb gilt: Wenn wir die Politik in Europa und sonst wo nicht hätten, vor der Konkurrenz bräuchten wir auch in der Zukunft keine Angst zu haben.

BERNHART: Ein sehr pointierter Satz jetzt zum Schluss. Sie haben in einem Gespräch einmal ein interessantes Beispiel angeführt, die DATEV – ein Dienstleister für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, die größte deutsche Genossenschaft, hat einen Marktanteil von sage und schreibe 95%. Welche Schlüsse lassen sich aus derartigen Erfolgsmodellen aus einer zwar anderen aber verwandten Branche für die Genossenschaftsbanken ziehen?

GÖTZL: Wenn es gelingt, Kunden zu Miteigentümern zu machen, wenn es gelingt, über den Markt gute Produkte anzubieten, die nicht unbedingt günstig sein müssen, dann hat man die Chance, mehr und mehr Menschen für die Idee und die Produkte zu gewinnen, und an das Unternehmen, die Bank, zu binden. Das ist es, was von der DATEV auch auf unsere Genos-senschaftsbanken übertragen werden könnte. Es gab auch bei uns vor viel-leicht zehn Jahren eine Zeit, als man gesagt hat, dass die Mitglieder teures Eigenkapital sind. Aber selbst wenn dem so wäre, so wissen wir auch, dass

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wir mit den Mitgliedern in einem ganz positiven Sinne deutlich mehr Ge-schäft machen als mit den anderen Kunden, weil sie das Vertrauen in uns haben. Wir gehen auf sie zu und sie verstehen uns. Also lasst uns mehr un-serer Kunden zu Mitgliedern machen.

BERNHART: Also teures aber wertvolles Eigenkapital.

GÖTZL: Ich glaube noch nicht mal, dass es teuer ist. Es ist gut angelegtes Geld.

BERNHART: Dr. SCHMID, Sie sind der Sprecher des Vorstandes der Raiffei-sen-Landesbank Tirol AG und in besonderer Weise „kooperationserfah-ren“. Sie waren beispielsweise als Projektleiter für die Fusion der Raiffei-sen Landesbank Niederösterreich-Wien mit der Raiffeisenbank Wien ver-antwortlich und haben dieses Projekt geleitet. Deshalb auch eine pointierte Frage: Eine genossenschaftliche Organisation lebt bereits in ihrem Wesen Autonomie und Kooperation. Aber trotzdem ist es nicht immer leicht, den Anforderungen sowohl nach Autonomie als auch nach Kooperation in un-serer Zeit zu entsprechen. Warum?

SCHMID: Autonomie ist der große Kraftspender innerhalb der Selbstver-waltung und Selbstentscheidung bei Genossenschaften. Auch in diesem Bereich sind Autonomie und Kooperation natürlich per se schon ein Span-nungsfeld. Raiffeisen lebt von diesen Spannungsfeldern, sei es das Ehren-amt im Bereich der genossenschaftlichen Eigentümervertretung, sei es aber auch der hauptberufliche Geschäftsleiter, der hier auch ein natürliches Spannungsfeld hat. Es gibt in der gesamten Genossenschaftsorganisation immer wieder Spannungsfelder. Das markanteste ist für mich Autonomie versus Kooperation, in dem wir viele Entscheidungen zu treffen haben. In-teressanterweise ist die Genossenschaft eigentlich dadurch entstanden, dass sie ein Kooperationsthema hat: Gemeinsam wirtschaften, gemeinsam haf-ten und gemeinsam erfolgreich sein, und damit ein Unternehmen sein. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir heute über die Zukunft der Genossen-schaften und haben ein neues Spannungsfeld. Ist die Autonomie per se ein Abschottungskriterium oder bedarf es eines Netzwerkes der Leistungsbe-ziehungen? Meine Vorredner haben schon betont, dass Unterschiede im Kunden- und Mitgliederverhalten über die Produkte nicht gegeben sein werden. Es wird andere Werte und Inhalte geben müssen, die diese Bezie-hungen in die Höhe heben. Für mich ist die Autonomie ganz klar unter an-derem in der lokalen Kundenverantwortung definiert, d.h. die Kundenbe-ziehung zu intensivieren. Das ist das Erfolgsrezept schlechthin. Hierauf sollten alle Kräfte konzentriert werden. Allerdings ist nicht zu vergessen,

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dass neben der Kundenverantwortung auch die klassische Bilanzverantwor-tung und die Personalverantwortung Teil der Autonomie sind, d.h. welche Mitarbeiter und Geschäftsleiter in der Genossenschaft angestellt sind. Hin-zu kommt natürlich auch die Organisationsverantwortung: Was will ich und was muss ich organisatorisch machen, um meinen eigenen (lokalen) Markt zu bedienen. Die Schlüsselfunktion des Managements ist es jedoch zu entscheiden, wie weit neben die Kernfunktionen noch zusätzliche Per-fektion im Sinne der Mitglieder und im Sinne des Geschäftszweckes hinzu-tritt. Dabei ist es aus der Komplexität des derzeitigen Geschäfts- und Ban-kenbereichs heraus unumgänglich, aus der Kooperation ein wesentliches Managementelement der Genossenschaftsbank zu machen. In den genos-senschaftlichen Grundsätzen stecken bereits zwei Prinzipien für das Mana-gement von Genossenschaften: Solidarität, die nicht nur aus der Haftungs-problematik resultiert, sondern auch in der Nutzung der Systeme, der Mar-ke und dieses Wertesystems. Durch diese Elemente der Solidarität wird die Autonomie natürlich eingeschränkt, aber mit Gewinn für die einzelnen. Das zweite Prinzip ist die Subsidiarität. Wir sind ja deshalb so erfolgreich ge-worden, weil jeder genau das gemacht hat, was er gut kann. Die Primär-banken können das Geschäft mit dem Kunden am besten, weil sie die loka-len Bedürfnisse am besten kennen und damit die Entwicklungen vor Ort dementsprechend forcieren können. Die Verbundunternehmen müssen dazu die entsprechenden Ergänzungen anbieten. In dieser Beziehung der Primär-banken zu den Verbundunternehmen muss eine hinreichende Transparenz, müssen die Preise fair gestellt und die Nachhaltigkeit dieser Leistungsbe-ziehungen gewährleistet sein. Das sind die Erfolgskriterien, die der Renais-sance der Genossenschaften zu Grunde liegen, die Herr GERNET erwähnt hat. Wir sind seit über hundert Jahren mit diesen Prinzipien sehr gut unter-wegs gewesen und können dementsprechend auch auf eine sehr nachhaltige Entwicklung zurückblicken. Die beste Form der Kooperation besteht natür-lich darin, auch die Mitbestimmung demokratisch zu regeln, indem wir versuchen, das Angebot der Gruppe auch strategisch gemeinsam zu erar-beiten.

BERNHART: Sie haben in einem Gespräch gesagt, dass Sie aus diesem Spannungsfeld von Autonomie und Kooperation persönlich auch sehr viel Kraft schöpfen in Ihrer Führungsfunktion, mehr als in jedem anderen Kon-zern. Wo liegen aber wirklich die Schwierigkeiten? Es ist schön, dass die Idee der Spannungsfelder einen so harmonischen Eindruck hervorruft, aber wo liegen die essenziellen Knackpunkte? Sie haben ja schon sehr konkrete Projekte koordiniert.

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SCHMID: Sie haben am Anfang gefragt, warum man nach dreißig Jahren in der Raiffeisen-Bankengruppe immer noch ein glühender Verfechter des Genossenschaftssystems ist. Das liegt auch daran, welche Kraft es spendet, um auch die Divergenzen und Gemeinsamkeiten in dieser Personenge-meinschaft zu erleben. Ich glaube, wir haben in der Krise auch bewiesen, dass wir nicht krisenanfällig sind. Das liegt zum einen an den Geschäfts-modellen der örtlichen Verankerung mit einem überschaubaren Geschäft und auch dem Wissen darüber, was der Kunde tatsächlich macht und braucht und nicht über das 27. Derivat eines Produktes, das man nicht mehr kennt. Wir wissen, was vor Ort passiert. Aber es liegt vor allem auch daran, dass wir in dieser demokratischen Unternehmungsform keine spektakulären Einzelgänge zulassen. Das heißt, die Risikobereitschaft wird aus meiner Sicht über die Demokratie etwas nivelliert. Dieses ist systemimmanent und hat sich in der Krise sehr bewährt. Wir sind krisenresistent geworden. Es gibt jedoch noch eine weitere spannende Beobachtung in dieser Krisensitu-ation. In dieser Krise wird auch Führung verlangt, und die Personenge-meinschaft in Form der Genossenschaft hat die Kräfte und die Möglichkei-ten, der Führung den notwendigen Raum zu geben, um Entscheidungen schnell treffen zu können. Damit steigt auch die Effizienz in der gesamten Genossenschaft, wenn es Führungspersönlichkeiten gibt, die wissen, wo es langgeht. Es ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor, dass wir wenig Risiko auf uns nehmen, aber im Extremfall auch schnell reagieren können.

BERNHART: Das ist sozusagen der nachhaltige Erfolg und lässt über so manche Schwierigkeit hinwegsehen.

SCHMID: Wir machen immer den Fehler, dass wir unsere Stärken viel zu wenig selbstbewusst auch miteinander kommunizieren. Niemand war für die Krise dankbar. Aber die Krise hat uns erlaubt, dass einem viele Stärken wieder bewusst werden, die andere nicht haben. Wenn viele uns jetzt ver-suchen zu kopieren, wenn die Erfolgsrezepte von allen genauso wieder neu belebt werden, dann sollte uns das stärken. Unseren USP, nämlich die Nähe zum Kunden vor Ort, unsere Entscheidung vor Ort, unsere Wertschöp-fungskette, die durch den Verbund gestärkt wird, sollten wir auch als sol-chen akzeptieren und nicht als selbstverständlich hinnehmen.

GÖTZL: Ich möchte nur ergänzen, dass das angesprochene Spannungsfeld außerordentlich produktiv und gut ist. Wenn Sie heute in einer großen Ak-tiengesellschaft wie Fiat oder der Deutschen Bank im Vorstand eine Ent-scheidung treffen, dann müssen Sie nur sechs, sieben, vielleicht zehn Leute überzeugen, und dann wird diese Entscheidung ausgeführt. Bis das dann aber bei dem einzelnen Abteilungsleiter angekommen ist, und der über-

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zeugt wird, das Gewünschte auch zu tun, dauert es auch noch einmal eine lange Zeit. Bei den Genossenschaften ist es eher umgekehrt. Bei uns dauert im Normalfall der Weg bis zu einer Entscheidung etwas länger. Sie müssen eben überzeugen und können nicht nur anordnen. Aber wenn die Entschei-dung gefallen ist, dann folgt ab dem Tag der Entscheidung auch die sofor-tige Umsetzung. Deswegen kann man noch einmal auf Herrn SCHÄUBLE verweisen, der sagt: „Ihr wart über zehn oder zwanzig Jahre erfolgreicher als die Deutsche Bank.“ Dieses Selbstbewusstsein müssen wir haben. Diese Spannung intern auch positiv zu gestalten ist eine Managementaufgabe, und die ist hoch spannend.

GERNET: Ich möchte noch einen zusätzlichen Aspekt mit anfügen. Sie ha-ben erwähnt, dass wir nicht dankbar sein müssen, dass wir die Krise hatten. Die wollte wirklich niemand. Aber als die Krise da war, waren wir bereit. Ich möchte das anhand eines Beispiels illustrieren. In Zürich hat Raiffeisen wirklich kurz vor der Krise eine neue Geschäftsstelle eröffnet. Bis dahin waren wir in der Stadt Zürich nicht vertreten. Auf dem Höhepunkt der Kri-se wusste man von der UBS und der CS, den beiden großen Instituten mit unzähligen Geschäftsstellen in Zürich, nicht, ob sie überleben würden. In diesen Tagen, als der Konkurs zumindest irgendwo am Horizont erschienen war, sind Tausende von Menschen zur UBS gegangen und haben das Geld von ihren Sparbüchern und -konten abgehoben und es in der Mappe über die Limmat zu uns herübergetragen. Wir waren in unseren Räumlichkeiten kaum in der Lage, diese Leute und ihr Geld aufzunehmen. Wir waren dann aber innerhalb kürzester Zeit bereit, genau das zu tun. Warum haben die Menschen so gehandelt? Weil sie der Raiffeisen Bank vertrauten. Sie wuss-ten, dass sie bei uns keinen Rappen mehr Zins bekommen, aber sie wussten auch, dass sie bei einer Bank sind, die jetzt seit 111 Jahren im Geschäft ist und nie Bocksprünge gemacht hat. Das ist das wesentlichste Unterschei-dungsmerkmal und wirklich das Fundament des Raiffeisen- und des genos-senschaftlichen Erfolgs.

BERNHART: Letztlich heißt das wieder im Sinne von RAIFFEISEN – keinen Silberling geschenkt, aber Vertrauen gegeben in die eigene Kraft und in die eigene lokale Realität, aus der heraus diese Idee auch entstanden ist. Ich nutze jetzt aber die Gelegenheit, um dem Publikum das Wort zu geben.

HERMANN AICHNER (Geschäftsführer Raiffeisenkasse Niederdorf): Das Zitat von Herrn GÖTZL „Wenn wir die Politik nicht hätten, vor der Konkur-renz bräuchten wir auch in der Zukunft keine Angst zu haben“ hat mir sehr gut gefallen. Wir als Raffeisenkassen in Italien sind die einzigen, die ihre Bilanzen nach den International-Accounting-Standards-Regeln abfassen

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müssen. Es ist schon die Bürokratie, nicht nur bei der Bilanzierung, die uns kleinen Banken zu schaffen macht. Die anderen Raffeisenkassen in Europa haben dieses Problem der IAS-Bilanzierung nicht. Sie können normal bi-lanzieren, wie wir es auch vor fünf bis sechs Jahren noch gemacht haben. Ist diesbezüglich eine Veränderung zu erwarten oder wird dieses System bleiben?

AZZI: Es gibt einige Grundwerte, auf die wir als Angehörige des Genos-senschaftswesens, genauer gesagt: des Genossenschaftsbankenwesens, be-sonders stolz sind: Die Beteiligung, die wir auch als wirtschaftliche Demo-kratie verstehen, das Vertrauensmanagement, die Kundenbeziehungen, Subsidiarität, Transparenz, Nachhaltigkeit und langfristiges Engagement. Trotzdem müssen wir einsehen, dass wir unter schwierigen Bedingungen arbeiten – vielleicht, weil sich der Sektor der Genossenschaftsbanken in Italien über das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts stark entwickelt hat. Was Luigi MARINO in seinem Beitrag zum Genossenschaftswesen gesagt hat, könnte auch gut auf die Genossenschaftsbanken zutreffen. In diesem letzten Jahr des ersten Jahrzehnts analysieren wir nun unsere Arbeit, da un-sere Situation im Vergleich zur Vergangenheit komplexer und vielleicht auch schwieriger geworden ist. Dies zum einen im Hinblick auf das wirt-schaftliche Umfeld, da die von den USA kommende Krise die europäische und italienische Wirtschaft schwer getroffen hat. Die verbleibenden Ban-ken haben nicht die Möglichkeit, Finanzierungsmängel auszubessern, die direkte Führung und klassische Intermediation nicht bieten können, bzw. hängen eng mit der lokalen Wirtschaft zusammen und leiden wie diese selbst. Eben dieser letzte Punkt trifft besonders auf das italienische Genos-senschaftsbankenwesen zu: Niedrige Zinsen, Rücklagen für die Ver-schlechterung der Zahlungsfähigkeit, und weitere Probleme, die eigentlich jenen der Kleinunternehmen entsprechen. Wenn man so will, sind wir ge-wissermaßen Kleinunternehmen im Bankensektor. Um welche Art Proble-me handelt es sich nun? Um Governance-Probleme. Ich fürchte, dass die Raiffeisenkassen und anderen Genossenschaftsbanken von einer Welle des Engagements und der Gegenwart von Personen überrollt werden, die nicht von der Führung einer lokalen Genossenschaftsbank überzeugt und daher nicht vollständig integriert sind und deshalb Gedankengut einbringen, das nicht unserer Kultur entspricht. Wir müssen deshalb Grenzen setzen, um gute Governance zu gewährleisten, d.h. es gilt Interessenkonflikte, große Konzentrationen von Darlehen und undurchsichtiges Verhalten zu vermei-den. Zu diesen Problemen kommt noch jenes unseres Rufes dazu. Das Land und die Massenmedien sehen uns als einst unbekanntes Element, das plötz-lich dank der Krise Bekanntheit erlangt hat. Wir leiden aber mehr als je zu-

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vor unter der Gefahr, dass das schlechte Verhalten einer Bank, die sich laut Gesetz und rechtlich bedingt Genossenschaftsbank nennt, den Ruf aller Genossenschaftsbanken gefährdet. Der andere Aspekt ist die schlechte Füh-rung einiger Banken im Genossenschaftsbereich, die – vielleicht von der Krise gefördert – im Wissen um das Vorhandensein eines gesetzlich ver-pflichtenden Garantiefonds der Anleger nach dem Prinzip des Moral Ha-zard gehandelt haben. Hinzu kommt noch das Problem der Überregulie-rung. 80% der Normen für die Banken kommen mittlerweile nicht mehr aus den europäischen Hauptstädten, sondern aus Europa. Dabei haben die Länder jedoch einen gewissen Spielraum in der Umsetzung. Leider müssen wir feststellen, dass der italienische Gesetzgeber und die italienische Zent-ralbank Banca d’Italia nicht sonderlich auf die besonderen Eigenschaften der kleinen Banken, die zum Großteil Genossenschaftsbanken sind, geach-tet haben. Beide haben daher eine Reihe von Pflichten und bürokratischen wie organisatorischen Auflagen verfügt, die für kleine Banken im Ver-gleich zu anderen Banken zur Verschlechterung der Kreditwürdigkeit und der Reduzierung von Margen und Zinsen führen und eine große und nicht zu bewältigende Belastung darstellen. Was wir im Hinblick auf diese Prob-leme bisher unternommen haben, war wahrscheinlich nicht genug. Es ist sicher schwierig für kleine Banken, sich auf europäischer Ebene oder in Rom Gehör zu verschaffen. Die Frage der IAS-Bilanzierung ist nicht nur auf die italienischen Banken bezogen, da die Bestimmungen für alle Ban-ken gelten. Allerdings sind Banken unserer Größe in anderen europäischen Ländern von den Bestimmungen ausgenommen, die in Italien jedoch ver-pflichtend sind. Ich glaube kaum, dass dies rückgängig gemacht werden kann. Die Probleme dabei sind jedoch sehr viel größer und vielschichtiger. Wir möchten uns Gehör verschaffen. Einige Verpflichtungen gegenüber der Regierung sollen zeigen, dass wir zur Stelle sind, wenn unser Land uns braucht. Gerade aber aufgrund unserer bestätigten Verfügbarkeit und Be-reitschaft verdienen und verlangen wir eine besondere Behandlung, die auf die praktische Anwendung einer gemeinschaftlichen Regelung, nämlich des Prinzips der Verhältnismäßigkeit, abzielen sollte.

BERNHART: Nun sind wir wieder bei der „Eurokratie“ angelangt. Dies ist ein Schlüsselpunkt, wie wir bereits im Beitrag von Luigi MARINO erfahren haben. Der ehemalige bayrische Ministerpräsident STOIBER ist in Brüssel „Entbürokratisierungsbeauftragter“. Man spricht in der Politik schon lange von Entbürokratisierung und letzthin auch vom Abbau der Bürokratiekos-ten. Das sogenannte Standardkostenmodell wird eingeführt, das die Büro-kratiekosten der Unternehmen gegenüber der Verwaltung messen soll. Welche Chance geben Sie diesen Programmen?

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GÖTZL: Unser vorletzter Bundespräsident hat zum Thema Entbürokratisie-rung meines Erachtens die einzig mögliche Formel gefunden. Er hat gesagt: „Nehmen Sie alle Gesetze und Verordnungen, nummerieren Sie sie durch, teilen Sie sie durch 13 und alles, was nicht ohne Rest teilbar ist, wird ge-strichen. Wenn sich innerhalb von drei Wochen niemand meldet, dass er etwas vermisst, dann lassen wir dieses Gesetz weg.“ Um es praktisch aus-zudrücken: Jeder, der sagt, er ist für Entbürokratisierung, den wähle ich nicht mehr. Das findet schlicht nicht statt, genau das Gegenteil findet statt. Allein in Deutschland sind die zusätzlichen bankenspezifischen Kosten im Milliardenbereich. Im Verbraucherschutz kommen immer mehr Kosten der Regulierung auf uns zu, die die Bürger und Kunden gar nicht mehr haben wollen. Wir versuchen gerade, der Politik mühsam klarzumachen, dass beim Kauf oder Verkauf von zehn Aktien, es lächerlich ist, jeweils endlose Seiten Material mit dem Kunden durchzugehen und irgendwelche Bestim-mungen auszufüllen, wie von unserer Bankenaufsicht gefordert. Der Kunde will uns zum Teil sein Einkommen und seine Vermögenslage gar nicht of-fenbaren, weil er gar nicht zu Unrecht auch annimmt, dass auch das Fi-nanzamt nachschaut, das dann ganz andere Dinge mit solchen Informatio-nen vorhat. Es ist also ein äußerst schwieriges Unterfangen, aber wir müs-sen gegenüber der Politik betonen, und da finden wir schon zunehmend Gehör, dass es große Unterschiede zwischen Filialbanken, wie wir es sind, und anderen Banken, und hier insbesondere den Direktbanken, gibt. Wäh-rend Genossenschaftsbanken sehr beratungsintensiv und mitarbeiterstark vor Ort agieren, wickeln am anderen Ende der Skala die Direktbanken alles über Computer ab. Bei den Bürokratieregelungen, sei es von Europa wie auch von den Nationalstaaten oder der Bankenaufsicht kommend, muss stets darauf geachtet werden, dass bei all dem Wohlgemeinten auch Gutes getan wird. Es ist zu befürchten, dass unter den neuen Regulierungen die Beratungsintensität leidet, schlichtweg weil wir uns das nicht mehr leisten können. Die Kunden schätzen – gerade in der Krise – unsere Beratung. Ich glaube, das ist in allen vier hier oben vertretenen Ländern deutlich zum Ausdruck gekommen. Die Kunden wollen das, weil unsere Mitarbeiter in der Beratung nicht alle drei bis vier Jahre woanders hinversetzt werden oder hunderte von Kilometern weit weg sitzen, sondern vor Ort jederzeit ansprechbar sind. Wenn jemand schlecht beraten wird, dann hört der Mit-arbeiter das abends spätestens am Stammtisch. Man muss diesen Sachver-halt der Politik klar vor Augen führen. Alles, was sie an Regelungen veran-lasst, ist eine neue Form der Industriepolitik – auch für die Bankenbranche. Sie muss sich sehr wohl überlegen, welches Ziel sie vor Augen hat und welche Konsequenzen diese Regulierungen haben. Ich weiß, dass in Brüs-sel ein paar Menschen sitzen, die mit diesen Regulierungen wirklich vorha-

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ben, die Industriepolitik im Finanzbereich neu zu schreiben. Die Einlagen-sicherung ist dabei nur ein Thema. Und das dürfen wir nicht zulassen.

GERNET: In der Schweiz haben wir überhaupt kein Interesse an irgendwel-chen Ausnahmeregelungen als Genossenschaftsbank, weder bei der Ban-kenaufsicht noch in der Bankengesetzgebung. Wir möchten eigentlich ge-nau gleich gemessen werden wie alle anderen Banken, die im Inlandge-schäft tätig sind. Wir haben keinen Bedarf an einer Sonderregelung oder -behandlung. Womit wir allerdings ein Problem haben bzw. wo wir befürch-ten, dass massive Eingriffe auf uns zukommen, ist der Bereich der Regulie-rungen, die das „Too big to fail“-Problem adressieren. In der Schweiz gibt es zwei Großbanken, Credit Suisse und UBS, und Raiffeisen ist die Num-mer drei. Wir sind die einzige Bank, die keine Staatsgarantie hat. Wir be-fürchten aber, dass mit diesen neuen Regelungen und dieser de-facto-Staatsgarantie, die für die beiden großen Banken existiert, in ein paar Jah-ren alle Regelungen zu Organisation, Corporate Governance, Eigenmittel und so weiter, die jetzt für Credit Suisse und UBS spezifisch angeordnet worden sind, nach „unten“ übertragen werden und damit bald auch für die Genossenschaftsbanken, also die kleineren Banken gelten werden. Das stellt schon ein Problem für uns dar. Zudem entspricht eine solche Ent-wicklung den allgemeinen Erfahrungen mit der Bürokratie: Sie lässt sich nicht verkleinern, sondern wuchert. Diese Gefahr sehen wir natürlich auch. Aber in der ordentlichen Bankenaufsicht und in der Bankgesetzgebung be-anspruchen wir keine Sonderregelung.

BERNHART: Eine weitere Publikumsfrage.

ANTON KOSTA (Geschäftsführer Raiffeisenkasse Bruneck): Zwei Punkte halte ich für wichtig. Zum einen ist es der Unsinn der Bilanzierungsregeln nach IAS. Die Raiffeisenbanken in Italien haben ungefähr 20 Mrd. € Ei-genkapital, und von diesen 20 Mrd. € kommen etwa 5 Mio. € von den Mit-gliedern, weil jedes Mitglied normalerweise einen Mitgliedsanteil von 5,16 € hält. Zum anderen stellt sich hier die grundsätzliche Frage der Träger-schaft der Genossenschaften: Wer sind die Eigentümer der Genossen-schaft? Vorausgeschickt: Bei uns hält jedes Mitglied normalerweise einen Geschäftsanteil von 5,16 €, in einer anderen Bank mögen es vielleicht 10 € sein. Das ist also eher symbolisch. Zusätzlich haben wir in Italien eine Prä-valenzklausel, d.h. wir müssen von den risikogewichteten Aktiva, speziell vom Kreditgeschäft, normalerweise mindestens die Hälfte davon mit den Mitgliedern machen. Die Mitgliedschaft kommt also vorwiegend aus dem Risikogeschäft. Der Prävalenzklausel folgend bedeutet eine mitgliederori-entierte Berechnung, dass jene Mitglieder, die uns das größte Risiko brin-

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gen, für die Bank selber mit 5,16 € haften. Damit haben wir eine absolut verdrehte Welt: Diejenigen, die uns das Risiko bringen, bestimmen die Po-litik der Bank. Wer vertraut eigentlich der Bank? In der Krise hat man ge-sehen, dass das gerade die Einleger sind. Mein Vorschlag ist deshalb, dass wir alles unternehmen müssen, damit diejenigen in den Genossenschafts-banken die Verantwortung übernehmen und das Sagen haben, die auch das Vertrauen bringen und die Verantwortung übernehmen. Mit der aktuellen Regelung haben wir die Verantwortlichkeit auf den Kopf gestellt, seitdem wir die unbeschränkte Haftung nicht mehr haben. Daraus folgt meine Fra-ge: Sie sagen, dass die Mitglieder die Träger der Genossenschaft sind, weil sie ihnen auch entsprechend Geld gegeben haben und Geschäftsanteile ge-zeichnet haben. Aber hier bei uns haben wir dieses Prinzip eigentlich völlig auf den Kopf gestellt. Wir haben sechs Millionen Kunden in Italien, davon eine Million Mitglieder. Das sind ca. 20%, um Herrn AZZI zu zitieren. Von dieser einen Million kommen sicher bis zu 800.000 aus dem Kreditbereich. Um einen Vergleich mit der Milchwirtschaft zu machen: Bei uns bestim-men nicht die Bauern, die die Milch anliefern, sondern im Raiffeisensektor bestimmen die Abnehmer, also jene großen Konzerne, die die Milch von der Milchgenossenschaft abholen.

BERNHART: Und sozusagen dann auch noch das Geld schuldig bleiben.

KOSTA: Das kann auch noch passieren.

GÖTZL: Ich möchte darstellen, wie es bei uns in Deutschland ist. Wir ha-ben andere Einlagensummen, die je nach Satzung von Bank zu Bank unter-schiedlich ist. Im Schnitt sind es ein paar hundert Euro bis zu 500 €, die ich pro Mitglied- oder Eigentümerschein erwerben kann. Es gibt Banken, die bis zu fünf dieser 500 €-Geschäftsanteile zulassen. Ich halte das für grund-sätzlich in Ordnung. Bei der eigentlichen Haftung bin ich ganz bei Ihnen. Wenn nur ein Geschäftsanteil von 5 € besteht, dann ist das eine ganz ande-re Dimension als wenn Geschäftsanteile von 2000 € oder 2500 € vorliegen. Es wäre durchaus sinnvoll, dieses auch noch einmal wissenschaftlich zu untersuchen und empirisch erforschen zu lassen. Einer der Gründe für die schweren Auswirkungen der Finanzkrise auf die großen Banken war die zu geringe Eigenkapitalausstattung, so dass der einzelne Eigentümer mit dem Hebel in den Bilanzen der Banken nicht wirklich gehaftet hat, sondern die Allgemeinheit. Als Zweites will ich anmerken, dass in Deutschland keiner-lei Verpflichtung für die Genossenschaftsbanken existiert, bestimmte Ge-schäfte nur mit Mitgliedern zu machen. Aber daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass Kunden, die nicht Miteigentümer sind, Mitglieder in den Auf-sichtsgremien sein könnten, das könnte ich nicht mittragen. Denn es macht

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uns aus und es ist unser Unique Selling Proposition, dass unsere Kunden eben Mitglieder, d.h. Miteigentümer, werden können und dann mitbestim-men können, was mit der Bank passiert.

BERNHART: Wie machen es die Schweizer? Die sind uns ja immer ein biss-chen voraus.

GERNET: Wir sind diesbezüglich nicht voraus, wir machen es einfach schon sehr lange so. Der Anteil, den man bei uns zeichnen muss, liegt bei 200 Franken. Zusätzlich gibt es eine sogenannte Nachschusspflicht, die bei 8000 Franken liegt. Das ist also ein beachtlicher Betrag, den wir übrigens nicht mehr als Eigenkapital anrechnen dürfen. In Europa ist diese Anrech-nung momentan in der Diskussion, bei uns ist bereits beschlossen, dass es nicht mehr angerechnet werden darf. Im Jahr 2011 ist die Anrechnung des Nachschusspflicht-Kapitals als Eigenmittel letztmalig möglich, wobei noch 16% angerechnet werden können, aber ab 2012 ist die Anrechnung defini-tiv nicht mehr erlaubt. Das stört uns aber nicht sehr, da wir vorgesorgt ha-ben. Die Aufsichtsgremien dürfen nur von Mitgliedern bestückt sein, also von Genossenschaftern. Unsere lokalen, regionalen Verwaltungsräte sind nur von Mitgliedern besetzt. Wir haben insgesamt rund 340 regionale Ver-waltungsräte, 1,6 Mio. Mitglieder, 3,3 Mio. Kunden, wobei die Schweiz etwa 7,5 Mio. Einwohner hat. Wir sind also sehr, sehr gut vernetzt: 40-45% der Bevölkerung sind auch Kunden bei uns.

GÖTZL: Ich möchte das aus meiner Sicht ergänzen. Wir wissen ganz genau, dass die Geschäftspolitik vom Management zu verantworten ist. Wir haben zwar einen Gründungsauftrag, die Förderung der Mitglieder, und auch eine Beschränkung durch das Regionalitätsprinzip, so dass wir hier dementspre-chend nicht frei sind. Das ist auch unsere Chance gewesen, uns nicht zu verspekulieren und nicht, wie die WestLB, überschüssige Mittel dort und in Produkten zu veranlagen, bei denen man nicht mehr weiß, wie die recht-lichen Grundbestandteile strukturiert sind. Geschäftspolitik macht nicht in quartalsmäßigen Aufsichtsrats- oder Vorstandsitzungen ein ehrenamtliches Mitglied, sondern dazu gibt es eine Strategie, die auch eine dementspre-chende Nachhaltigkeit und Kontinuität gibt. Hier sind wir durch die genos-senschaftlichen Prinzipien sehr gut und stabil abgesichert. Ich stimme aber auch zu, dass wir das Miteigentum der Mitglieder auf eine ganz bewusste Art neu definieren müssen. Hier ist ein Reformbedarf sicherlich gegeben. Ich glaube auch, dass in den eigentümervertretenden Gremien nur Mitglie-der sein sollten.

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AZZI: Ich hoffe, die Frage von Herrn KOSTA ausreichend verstanden zu ha-ben. Aufgrund des repräsentativen Charakters der jeweiligen Situationen aller hier anwesenden Kollegen aus verschiedenen europäischen Ländern möchte ich die Situation der italienischen Genossenschaftsbanken – und damit der Raiffeisenkassen, die einen wesentlichen Teil der Kreditgenos-senschaften unseres Landes stellen – darlegen. Wir verwalten derzeit ein Gesamtvermögen von ca. 19 Mrd. Euro. Das Gesellschaftskapital wird di-rekt von den Mitgliedern bereitgestellt und beläuft sich nach meiner Schät-zung – mir stehen leider gerade keine genauen Daten zur Verfügung – auf ca. 1% dieser Gesamtsumme. Ich arbeite seit einiger Zeit in diesem Bereich und kann mich demnach gut an eine Tagung in San Remo nach der Einfüh-rung des Einheitstextes für Banken im Oktober 1993 erinnern: Auch KON-

RAD PALLA (ehem. Direktor, Raiffeisenverband Südtirol) beteiligte sich damals an den hitzigen Debatten über die unbegrenzte Haftung, die mit den neuen Normen eingeschränkt wurde. Die Einschränkung ergab sich, weil auch diese Bestimmungen alle Banken betrafen. Ich muss jedoch anmer-ken, dass ich, abgesehen vom Verständnis für die Werte, die derartigen Eingriffen zugrunde lagen, der Meinung bin, man müsse die unbegrenzte Haftung anstreben. Der Wachstumsschub, den die italienischen Genossen-schaftsbanken seitdem erlebt haben – wir stehen derzeit bei 130 Mrd. Euro an Ausleihungen – konnte nicht durch die persönliche Haftung der Mitglie-der getragen werden. Dies hätte mit Sicherheit das Wachstum gebremst und uns war am Wachstum viel gelegen, nicht aus Größenwahn, sondern um besser auf die Bedürfnisse der KMU unseres Landes eingehen zu kön-nen. Heute stellen wir einen wesentlichen Teil des Angebots für Kleinun-ternehmen. 18-20% der Ausleihungen an italienische Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten werden von den Genossenschaftsbanken bestritten. Wir sind also, im Einklang mit unserer Mission, die Hauptakteu-re in diesem Bereich. Die Bestimmungen sehen vor, dass Genossenschafts-banken nach dem Prinzip der vorwiegenden Mitgliedsförderung arbeiten. Dies bedeutet, dass mindestens 50,1% unserer Kredite (denn nach diesem Kriterium werden wir bewertet) an Mitglieder ausgegeben oder in Wertpa-piere mit Null-Risiko-Einschätzung investiert werden sollen. Wenn dies auch nicht ganz korrekt ist, können wir die Wertpapiere abziehen und kommen damit auf Kredite über ca. die Hälfte von 130 Mrd. Euro an Mit-glieder – ein ansehnlicher Betrag. Wie wird all dies abgesichert? Die Absi-cherung sollte in der Verantwortung der einzelnen Genossenschaftsbanken liegen und obliegt tatsächlich denselben durch das von den Mitgliedern ge-zeichnete Kapital und das eigene Vermögen. Wir wissen allerdings, dass das von den Mitgliedern gezeichnete Kapitel gering ist und die unbegrenzte Haftung nicht mehr existiert. Beim Vermögen handelt es sich um jene Be-

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träge, die wir dank entsprechender Möglichkeiten angesammelt haben. Sie gehören nicht den Mitgliedern, sondern der Bank und damit jener Gemein-schaft, deren Verwalter und Nutznießer die Mitglieder sind. Dieser Punkt verdient einige Beachtung. Es stellt sich damit sofort die Frage der solidari-schen Haftung. Es reicht nicht aus, die eigene Kasse gut zu führen, wenn man gleichzeitig per Gesetz dazu verpflichtet ist, einen Garantiefonds zur Einlagensicherung einzurichten. Dabei handelt es sich um den Garantie-fonds der Genossenschaftsbanken, denn wir ziehen es vor, unsere Probleme intern zu lösen, als dies anderen Banken über den gemeinsamen Einlagen-sicherungsfonds zu überlassen. Wie viele Krisen der Genossenschaftsban-ken wären andernfalls gelöst worden, indem die betroffene Genossen-schaftsbank von einer großen Bank verschlungen worden wäre? Stattdessen haben wir in den letzten zehn Jahren sämtliche Probleme intern gelöst und die betroffenen Banken fast immer saniert und nach einer Krise der Öffent-lichkeit zurückgegeben. Hier drängt sich das Thema des Sicherungsfonds, der solidarischen Garantie des Systems, auf. Ich will nicht weiter auf den verpflichtenden Einlagensicherungsfonds, den Sicherungsfonds für Obliga-tionen, eingehen. In Italien sind ca. 50 Mrd. Euro in von Genossenschafts-banken ausgegebenen Obligationen im Umlauf. Sie werden großteils durch den Sicherungsfonds für Obligationen oder den institutionellen Sicherungs-fonds, der sicher auch im Raiffeisenverband Südtirol besprochen wurde und wird, gesichert. Ich denke, dass der Sinn des nächsten Sicherungsfonds jene umfassende Sicherung ist, die auch die Krisenprävention enthält und die bisher europaweit lediglich die deutschen Genossenschaftsbanken um-zusetzen imstande waren. So soll eine Eingriffsmöglichkeit gewährleistet werden, um zu verhindern, dass wir als Leiter effizient geführter Banken im Falle der Krise einer anderen Bank auf unsere Rücklagen zurückgreifen müssen. Wenn es verpflichtende Bestimmungen gibt, die es im allgemeinen Interesse des Systems notwendig machen, auch die Einleger der letzten Genossenschaftsbank zu sichern, da dies als Voraussetzung für die Tätig-keit einer Bank gesetzlich vorgesehen ist, so gehören Formen der präventi-ven Sicherung, Überprüfungen und Kontrollen unterstützt – auch in jenen Regionen, die keine langfristig ausgelegte Regelung wie jene der Region Trentino-Südtirol haben.

BERNHART: Ein weiteres Statement oder Frage des Generaldirektors.

PAUL GASSER (Generaldirektor Raiffeisenverband Südtirol): Ich möchte mich mit der Frage von Direktor KOSTA noch einmal an den Präsidenten AZZI wenden. Was er sagen wollte, wurde meiner Meinung nach noch nicht beantwortet. Sie selbst haben gesagt, dass das Kriterium zur Berechnung der Prävalenz darin besteht, dass mindestens 51% der Kredite an Mitglieder

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Podiumsdiskussion 68

vergeben werden müssen. Es wäre hingegen richtig, auch die Einlagen in diese Berechnung mit einzubeziehen. Tatsächlich haften Mitglieder, die einen Kredit aufnehmen, lediglich mit ihrem eingezahlten Anteil. Der Ein-leger hingegen ist nicht Teil der Berechnung und haftet mit seiner gesamten Einlage, die er der Genossenschaftsbank überlassen muss. Ich denke, das war der Gedanke hinter der Aussage und ich fände einige wissenschaftliche Überlegungen hierzu angebracht.

Azzi: Im meiner weit gefassten Antwort habe ich diesbezüglich einiges an-gesprochen. Überlegungen zum vorgebrachten Punkt wären wünschens-wert, ich habe in letzter Zeit keine derartigen Vorschläge gehört. Meine Sorge ist, dass wir auf diese Weise das Thema der Haftung nicht effizient angehen können und lediglich ein zusätzliches Element haben, das eine weitere Deckung oder Reglementierung notwendig macht. Ich möchte jetzt nicht mehr dazu sagen, da ich mich mit der Frage eingehender beschäftigen und die Antwort dazu prüfen will. Grundsätzlich würde ich jedoch zur Vor-sicht raten. Führen wir nicht weitere Kriterien ein, die eventuell bereits existierende aufheben und weitere Änderungen nach sich ziehen.

BERNHART: Eine letzte Frage des ehemaligen Direktors PALLA.

KONRAD PALLA (ehem. Generaldirektor Raiffeisenverband Südtirol): Ich meine, dass Herr KOSTA Folgendes gemeint hat. Die Verwaltung einer Raiffeisenkasse sollte nicht jenen anvertraut werden, die das größte Risiko in die Bank bringen, sondern jenen, die das größte Risiko in der Bank tra-gen. Das würde bedeuten, dass die Verwalter nicht jener Kategorie angehö-ren sollten, die die Bank für ihre Kredite benutzen, sondern jener Katego-rie, die die Einlagen in die Bank bringen. Ich glaube, wir haben diesbezüg-lich keine Untersuchungen parat. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es Raiffeisenbanken zur Genüge gibt, wo die fünf, sieben oder neun Ver-walter überhaupt nicht der Kategorie der Kreditnehmer angehören. Insofern bringen sie wohl ihre Einlagen – ich gehe einmal davon aus, dass sie solche bei den Banken haben – und gehören der Kategorie der Einlagenbringer an, und demzufolge tragen sie eigentlich die maßgebliche Verantwortung für das Risiko in der Bank. Ich erinnere daran, dass es seinerzeit vor etwa 20 Jahren für die Sparkassen in Italien eine Bestimmung gab, nach der die Verwalter einer Sparkasse überhaupt keine Kredite bei ihrer Bank aufneh-men durften. Das hat dieses Risiko dann ausgeschlossen, jener Kategorie anzugehören, die das größte Risiko in die Bank bringen.

BERNHART: Abschließend bleibt, ein kurzes Resümee dieser Diskussion zu ziehen. Obwohl aus vier Ländern stammend, sind die Auffassungen der

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Zukunft der Genossenschaftsbanken, Genossenschaftsbanken der Zukunft 69

vier Diskussionsteilnehmer zum Geschäftsmodell der Genossenschaft doch sehr ähnlich. Es gilt die Lokalität und die für andere (Groß-) Banken nicht zu kopierenden guten Kundenbeziehungen zu stärken. Sie sind ein wesent-liches Asset des genossenschaftlichen Geschäftsmodells. Diese Lokalität war es auch, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Genossen-schaftsbanken von der Finanzkrise wenig betroffen waren, da sie das ihnen anvertraute Geld wieder in den Regionen angelegt haben. Gefahren beste-hen für dieses erfolgreiche Geschäftsmodell insbesondere in den neuen Re-gulierungen, die häufig auf Großbanken abzielen und für kleine Genossen-schaftsbanken nicht nur unnötig sind, sondern zudem auch erheblichen Bü-rokratieaufwand bedeuten. Ich danke allen Diskutanten und Teilnehmern für die rege und spannende Diskussion.

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Prof. Dr. Theresia Theurl

Genossenschaftliche Kooperationen: Trends und Zukunftsfelder

„50 Jahre Raiffeisenverband Südtirol“ lädt dazu ein, sich daran zu erinnern, dass genossenschaftliche Kooperationen – wie Genossenschaften nach dem Modell von Friedrich Wilhelm RAIFFEISEN – die historisch ältesten Koope-rationsformen überhaupt sind. Obwohl ihre Wurzeln weit in die Vergan-genheit reichen und sie eine lange Tradition aufweisen, ist ihre Bedeutung auch heute noch hoch und manche Branchen und Regionen zeichnen sich durch einen hohen Anteil der genossenschaftlichen Wertschöpfung aus. In den vergangenen Jahren der globalen Finanzmarktkrise hat sich gezeigt, dass die Besonderheiten genossenschaftlicher Verbünde und Unternehmen keinesfalls in Vergessenheit geraten sind. Eine zunehmende Anzahl von Neugründungen deutet vielmehr darauf hin, dass dieses Geschäftsmodell, in das auch eine besondere Wertorientierung eingegangen ist, nach wie vor wettbewerbsfähig ist. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass das wissenschaftliche Jubiläumssymposium zukunftsorientiert ausgerichtet ist. Es setzt sich nämlich mit „Genossenschaften auf dem Weg in die Zukunft“ auseinander. Genossenschaftliche Kooperationen sind weltweit bekannt, wenngleich ihre Ausgestaltung regionale und nationale Besonderheiten aufweisen kann, die jedoch hinter den gemeinsamen konstituierenden Merkmalen zurückbleiben.

In den weiteren Ausführungen steht diese gemeinsame Klammer im Vor-dergrund: Wodurch unterscheidet sich die genossenschaftliche Governance von den organisatorischen und wertemäßigen Strukturen anderer Rechts-, Organisations- und Kooperationsformen? Welche Vorzüge können festge-stellt werden, wenn nach den Antworten auf die aktuellen Herausforderun-gen für Menschen und Unternehmen gefragt wird? Welche Anpassungen wählen diese im Hinblick auf die heutigen Rahmenbedingungen in Wirt-schaft und Gesellschaft?1 Diese drei Fragenkomplexe werden in diesem Beitrag in sechs Elemente strukturiert, indem zuerst nach den Herausforde-

1 Vgl. für ausführlichere Analysen der Entwicklung von genossenschaftlichen Kooperationen

und ihrer Besonderheiten THEURL (2001) sowie THEURL (2010a).

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rungen gefragt wird (1), auf die die zeitlose genossenschaftliche Antwort präsentiert wird (2). Anschließend werden die genossenschaftlichen Be-sonderheiten herausgearbeitet (3) und aufgezeigt, dass sie sich von anderen Organisationsformen unterscheiden (4). Dann werden die aktuellen genos-senschaftlichen Trends dargestellt (5), bevor ein zukunftsorientiertes Fazit gezogen wird (6).

1 Herausforderungen: Wandel und der Wunsch nach Sicherheit

Die globale Finanzmarktkrise, die auch mit einer realwirtschaftlichen Re-zession verbunden war, und deren Ende heute noch nicht endgültig festge-stellt werden kann, war und ist für die Unternehmen ebenso wie für die Menschen mit größeren Herausforderungen verbunden. Dabei sind zwei Typen von Herausforderungen zu unterscheiden. Neben vorübergehenden Veränderungen sind im Nachgang der Krise dauerhafte Veränderungen zu erwarten, die einerseits ein „Lernen aus der Krise“ zum Ausdruck bringen können, andererseits aber auch die Fortsetzung längst begonnener starker Trends wie z.B. die demografische und die technologische Entwicklung sowie eine zunehmende Internationalisierung bedeuten.2

Dieses Umfeld hat in Wissenschaft und Praxis zu einer breiten Diskussion über Geschäftsmodelle und strategische Orientierungen von Unternehmen, aber auch über Werte geführt, die in Wirtschaft und Gesellschaft sowie in der Politik eine Rolle spielen sollen. Für Unternehmen und Menschen geht es darum, ihre Zukunft aktiv zu gestalten. Die aktuellen Herausforderungen erfordern es, wieder eine Balance für Leben und Wirtschaften zu finden. Diese ist vor und während der Finanzmarktkrise in zahlreichen Organisati-onen verloren gegangen, wie an vielen Verhaltensweisen sowie einzel- und gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen gezeigt werden kann. Ein solches Gleichgewicht ist zwischen der gebotenen Flexibilität und der erforderli-chen Stabilität herzustellen. Nur wenn dies gelingt, können die Existenzfä-higkeit von Unternehmen und deren wirtschaftlicher Erfolg sichergestellt werden, kann aber auch die Akzeptanz von Wirtschafts- und Lebensformen erreicht werden.

Diverse Befragungen bringen zum Ausdruck, dass Menschen ihre Erwar-tungen und Wünsche an Unternehmen nach der Krise in eine bestimmte Richtung artikulieren. So erwarten sie von den Unternehmensführern nicht

2 Vgl. THEURL/SCHWEINSBERG (2004) für eine ausführliche Analyse der Auswirkungen der

großen Trends auf die Herausbildung einer „kooperativen Ökonomie“ sowie KOCK (2008) für die Auslotung der Konsequenzen auf die Wettbewerbsfähigkeit von genossenschaftli-chen Kooperationen.

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nur fachliche Kompetenz, sondern auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Sie wollen Sicherheit und Stabilität und legen Wert auf Lang-fristigkeit und Nachhaltigkeit. Sie wollen vertrauen können und fordern Verlässlichkeit von Personen und den getroffenen Entscheidungen. Nähe, Übersichtlichkeit und Transparenz werden wichtiger. Schließlich wollen Menschen mehr Kontrolle über Lebensbereiche, die ihnen sehr wichtig sind, z.B. Wohnen, Finanzen, Gesundheitsdienstleistungen, eine gesicherte Nahversorgung mit „gesunden“ Lebensmitteln sowie Energie. Dies bringt die Suche nach Stabilität und Sicherheit zum Ausdruck. Menschen beurtei-len Unternehmen, aber auch die Politik, anhand deren Bereitschaft und Fä-higkeit, diesen Präferenzen gerecht zu werden.

Abbildung 1: Voraussetzungen für Wettbewerbsfähigkeit

Befragungen von Unternehmern und Managern ergeben hingegen derzeit weltweit, dass ein ausgeprägter Wandel von Rahmenbedingungen verspürt wird. Dabei wird hervorgehoben, dass die Umwelt erstens dynamischer wird, was mit der Zunahme von Risiken sowie mit tieferen und schnelleren Zyklen der wirtschaftlichen Entwicklung verbunden ist. Zweitens steigt die Unsicherheit und drittens die Komplexität. Die Rahmenbedingungen wer-den facettenreicher und vernetzter. Viertens wird der Wandel als ein anhal-tender wahrgenommen, es haben sich also strukturelle und keine vorüber-gehenden Veränderungen herausgebildet, die – so alle Prognosen – sich

Wettbewerbsfähigkeit von Organisationen

Optimierung derWertschöpfungskette

Wirtschaftliche Größe

Komplementäres

Individualisierte Lösungen

Dauerbeziehungen

Klare Identität

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fortsetzen werden.3 Flexibilität und Anpassungsfähigkeit werden also zu Erfolgskriterien von Organisationen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage nach der Wettbewerbs-fähigkeit von Unternehmen und anderen Organisationen. Es kann relativ genau identifiziert werden, welche Merkmale zu erfüllen sind, um zu-kunftsfähig zu bleiben: So geht es erstens um die Optimierung der Wert-schöpfungsketten, womit Kosteneffekte verbunden sind. Dies erfordert die Nutzung wirtschaftlicher Größe dort, wo Stückkosten gesenkt werden kön-nen. Zudem ist es naheliegend, im Produktionsprozess komplementäre Ressourcen und Wissen kostenorientiert zu kombinieren. Zweitens ist es notwendig, den Nachfragern individualisierte Lösungen anzubieten, also Bündel von Produktelementen und Leistungen, die auf die jeweiligen Prä-ferenzen zugeschnitten sind. Dabei ist zu beachten, dass sich die Präferenz-vielfalt von Nachfragern deutlich vergrößert hat. Drittens hat sich zuneh-mend herausgestellt, dass in Dauerbeziehungen höhere und regelmäßigere Umsätze erwirtschaftet sowie höhere Deckungsbeiträge erzielt werden können. Dies relativiert die Erträglichkeit kurzfristiger Geschäftsbeziehun-gen und schneller Wechsel der Transaktionspartner, weil dadurch meist Informationen sowie die Ertragsteile bereits getätigter spezifischer Investi-tionen verloren gehen. Schließlich hat eine klare Identität von Unterneh-men und Organisationen wieder Bedeutung gewonnen. Kunden, Mitarbei-ter und eine breitere Öffentlichkeit wollen wissen, wofür ein Unternehmen steht und wofür nicht. Es wird sich zeigen, dass aus diesen Anforderungen an wettbewerbsfähige Unternehmen auch organisatorische Schlussfolge-rungen abgeleitet werden können, die Hinweise auf die Bedeutung von ge-nossenschaftlichen Geschäftsmodellen beinhalten. Vorerst ist festzuhalten, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und anderen Organi-sationen in einem Umfeld herausstellt, dass dadurch gekennzeichnet ist, dass sich vieles verändert, und daher Anpassungen notwendig werden, vie-len Menschen jedoch Stabilität zunehmend wichtiger wird. Wettbewerbs-fähigen Organisationen muss es also gelingen, gleichzeitig die notwendige Flexibilität ihrer Strukturen und die gewünschte Stabilität für ihre Kunden sicherzustellen.

2 Genossenschaftliche Antwort: Lokale Verankerung und Wirtschaftlichkeit

Eine Analyse dieser genannten Anforderungen ergibt sehr schnell, dass sie widersprüchlich sind, also von einer einzelnen Organisation kaum zu errei-chen sind. Nicht überraschend hat sich in den vergangenen Jahren daher

3 Vgl. dazu z. B. IBM Global CEO Study 2010.

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eine große Anzahl von Unternehmensnetzwerken und anderen Gruppen und Verbünden von Unternehmen herausgebildet.4 Mit diesen Organisati-onsformen soll es gelingen, gleichzeitig einerseits lokale Verankerung und andererseits Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Genossenschaftliche Verbünde sind Netzwerke von Unternehmen oder von Menschen, die sich durch eine besondere Governance auszeichnen, also spezielle Entscheidungs- und Ko-ordinationsstrukturen aufweisen, die zu einem Ausgleich der betroffenen Interessen sowie zu einer effektiven Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Unternehmen und den gebildeten Gremien führen. Als Pioniere der „Ko-operativen Ökonomie“5 ermöglichen es genossenschaftliche Kooperationen in besonderer Weise, eine Balance zwischen stabilitätsfördernder Veranke-rung und Wirtschaftlichkeit6 herzustellen, die ein einzelnes Unternehmen nicht erreichen könnte, etwa weil es dafür zu klein oder zu spezialisiert ist.

Durch die Zusammenarbeit mehrerer Menschen oder Unternehmen kann die Verankerung in der Bevölkerung und in der Gesellschaft sowie am wirtschaftlichen Standort hergestellt werden. Auf diese Weise können loka-le und regionale Informationen genutzt und Risiken besser eingeschätzt werden. Es kann unternehmerische Verantwortung vor Ort gelebt werden. Direkte Bindungen und Kommunikationsmöglichkeiten zu Wirtschafts-partnern können hergestellt werden. So gelingt es, individualisierte Prob-lemlösungen und Leistungen zu entwickeln. Auf der anderen Seite ist es möglich, Wirtschaftlichkeit zu erzielen, indem Größen- und Kompetenz-vorteile genutzt werden können. Daneben können vielfältige und differen-zierte Angebote entwickelt werden. Wichtig ist, dass ein „Voneinander ler-nen“ erleichtert wird und dass auf diese Weise Innovationen gefördert wer-den. So können Risiken gesenkt werden und für einzelne Aufgaben können Spezialisten gewonnen werden, was kleineren wirtschaftlichen Einheiten nicht möglich wäre. Zusammenfassend stellt die genossenschaftliche Zu-sammenarbeit ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell dar, das sehr gut in unsere Zeit passt und auch in dieser wettbewerbsfähig ist. Als genossen-schaftliches Motto könnte man formulieren: „Bist Du nicht stark und bist Du nicht groß, musst Du besonders schlau sein.“ Anders formuliert: Unter Betrachtung der aktuellen Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesell-schaft würden Genossenschaften wohl heute erfunden werden, wenn es sie

4 Vgl. für eine differenzierte Analyse unterschiedlicher Formen von Unternehmensnetzwerken

und –kooperationen THEURL (2010b). 5 Vgl. zur Entstehung und zum Inhalt der „Kooperativen Ökonomie“ THEURL/SCHWEINS-

BERG (2004). 6 Dabei ermöglicht die Wirtschaftlichkeit sowohl die Nutzung von Größen-, Kompetenz- und

Verbundvorteilen in statischer Hinsicht als auch die Innovations- und Anpassungsfähigkeit in dynamischer Hinsicht.

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nicht bereits gäbe. Wie heute die Allianzen, Netzwerke und Partnerschaf-ten, würden sie zu Recht als organisatorische Innovationen gefeiert wer-den.7

Viele Menschen kennen keine genossenschaftlichen Unternehmen und Netzwerke8 und glauben, dass sie verstaubt sind und aus einem anderen Jahrhundert stammen. Sie ordnen sie in unwichtige Nischen ein, halten sie für nicht zeitgemäß, für etwas Alternatives. Zudem gehen sie fälschlicher-weise davon aus, dass Genossenschaften unwirtschaftlich wären, keine Gewinne machen könnten und dürften. Doch Genossenschaften haben Merkmale, die sie heute wettbewerbsfähig machen: Sie stabilisieren Unter-nehmen und Unternehmensgruppen und sie können Menschen Sicherheit geben. Sie ermöglichen dem Vorstand eine Langfriststrategie und schützen ihn davor, kurzfristigen Interessen nachzugeben, weil sie nicht hektisch auf kurzfristige Marktentwicklungen reagieren müssen. Auf diese Weise wer-den Nachhaltigkeit und Kontinuität ebenso möglich wie die Kombination von Tradition und Fortschritt sowie von lokaler Verankerung und Wirt-schaftlichkeit, wie bereits ausgeführt wurde. Diese Vorteile setzen jedoch die Beachtung von Voraussetzungen voraus. Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer, ist nicht mit einer Garantie für wirtschaftlichen Erfolg verbunden. Vor diesem Hintergrund gilt es, einige genossenschaftliche Be-sonderheiten auszuloten.

3 Genossenschaftliche Besonderheiten: MemberValue-Strategie

Genossenschaftliche Kooperationen unterscheiden sich durch ihr Ge-schäftsmodell, die Werte, die sie verkörpern, sowie durch ihre strategische Orientierung von anderen Kooperationen und Unternehmen. Das Ge-schäftsmodell kann als Netzwerk mit einer arbeitsteilig organisierten Struk-tur zur Nutzung von Größen-, Verbund- und Kompetenzvorteilen beschrie-ben werden. Verkörperte Werte mit ihren Wirkungen, die bereits angespro-chen wurden, sind die lokale Verankerung, die Idee der Selbsthilfe, die Be-reitschaft zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, eine nachhalti-ge Grundorientierung, das Fehlen einer isolierten Gewinnmaximierungsori-entierung sowie eine spezielle Eigentümerkontrolle.

Die strategische Orientierung wird in Form einer MemberValue-Strategie umgesetzt, die dem gesetzlich abgesicherten Zweck der genossenschaftli-

7 Vgl. dazu auch THEURL (2008). 8 Vgl. für eine aktuelle und bundesweite Befragung der Menschen in Deutschland über ihr

Wissen und ihre Einschätzung von Genossenschaften in THEURL/WENDLER (2011).

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chen Kooperation, nämlich der Förderung der wirtschaftlichen (und ande-ren) Zielsetzungen der Kooperationspartner durch ein gemeinsames Unter-nehmen entspricht. So wurde in der Vergangenheit auch vom Förderauftrag genossenschaftlicher Unternehmen gesprochen. Freilich ist diese Diktion heute nur mehr schwer kommunizierbar. Übersetzt in zeitgemäße strategi-sche Konzepte der Unternehmensführung geht es um die Schaffung von Werten für die Eigentümer des gemeinsamen Unternehmens, seinen Leis-tungsbeziehern. Diese sind die Kooperationspartner, die Mitglieder. Der genossenschaftliche Eigentümerwert kann daher als MemberValue be-zeichnet werden9 und ist Ausdruck einer wertorientierten Unternehmens-führung: Unternehmerische Entscheidungen und Aktivitäten werden daran ausgerichtet, welche Werte für die Mitglieder geschaffen werden. Dabei ist zu klären, über welche Kanäle solche Werte entstehen.

Erstens und im Kern bilden sich Werte für die Mitglieder aus den Leis-tungsbeziehungen mit der Genossenschaft heraus, die einen gesicherten Bezug, wettbewerbsfähige Konditionen und festgelegte Qualitätsstandards enthalten. Dies ist der unmittelbare MemberValue (UMV). Zweitens ent-stehen Werte für die Mitglieder aus ihrer Eigentümer- und Unternehmer-funktion (z.B. Dividenden, Mitwirkungs- und Organisationsrechte). Es handelt sich um den mittelbaren MemberValue (MMV). Drittens entstehen Werte aus Investitionen, die zukünftige Kooperationsrenten sicherstellen sollen (z.B. Rücklagen für Modernisierungsinvestitionen, Markterschlie-ßungen, Aufbau von Sozialkapital, Qualitätsverbesserungen von Human-kapital, Partnerschaftsprogramme, etc.). Dies ist der nachhaltige Member-Value (NMV), der auch den Optionsnutzen aus der genossenschaftlichen Zusammenarbeit zum Ausdruck bringt. Die drei Wertkomponenten ergeben insgesamt den genossenschaftlichen Eigentümerwert, also den genossen-schaftlichen ShareholderValue. Die Verwendung seiner Komponenten ist in statischer und dynamischer Hinsicht interdependent. Es kann also von den Mitgliedern nicht mehr in Anspruch genommen werden als gemeinsam erwirtschaftet wurde. Werden die Wertkomponenten mit jenen bei börsen-notierten Aktiengesellschaften verglichen, steht bei diesen der mittelbare Wert (Dividende, Rendite) im Vordergrund, während der unmittelbare und der nachhaltige Wert deutlich nachrangig rangieren. Die grundlegend un-terschiedliche Bedeutung bringt die Leistungsbeziehung in der Genossen-schaft und die Kapitalbeziehung in der Aktiengesellschaft zum Ausdruck.

Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich, dass die Entwicklung einer kla-ren MemberValue-Strategie zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren genos- 9 Vgl. zur Entstehung des Begriffs und zu seiner Abgrenzung zum ShareholderValue sowie

zur Entwicklung von MemberValue-Strategien THEURL (2005).

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senschaftlicher Kooperationen zählt. Am Beginn einer solchen Strategie muss die Konkretisierung des MemberValues stehen. Diese muss von den Kooperationszielen der Partner ausgehen, erfordert also immer eine primä-re Befragung sowie eine Aggregation der Präferenzen hinsichtlich der drei MemberValue-Komponenten.10 Darauf aufbauend ist die Umsetzung, also die eigentliche Wertschöpfung in der Kooperation zu organisieren, die vor allem die Leistungsbeziehungen zum Inhalt hat. Ein weiteres wesentliches Element einer MemberValue-Strategie besteht in der Kommunikation der geschaffenen Werte. Auf diese Weise kann Transparenz geschaffen und die Akzeptanz erhöht werden, da nur so die Kontrolle durch die Eigentümer auf effiziente Weise ermöglicht wird. Der gesamte Prozess ist durch eine Erfolgskontrolle zu begleiten, die es in jeder Phase ermöglicht, Anpassun-gen der MemberValue-Strategie vorzunehmen, wenn die wirtschaftlichen Ergebnisse hinter den Möglichkeiten zurückbleiben.

Abbildung 2: MemberValue-Komponenten

Zusammenfassend kann die MemberValue-Orientierung als die markante Besonderheit genossenschaftlicher Kooperationen eingeschätzt werden. Sie entspricht einer ShareholderValue-Strategie, unterliegt jedoch nicht deren Gefahren der Kurzfristigkeit und Kurzsichtigkeit. Dies gelingt, weil Genos-senschaftsanteile nicht auf dem Finanzmarkt gehandelt werden. So werden

10 Vgl. für die konkrete Vorgehensweise bei der Entwicklung einer MemberValue-Strategie

von Wohnungsgenossenschaften BÖTTIGER (2009).

MMV

MittelbarerMember

Value

NMV

NachhaltigerMember

Value

UMV

Unmitte lbarerMemberValue

MEMBERVALUE

Eigentum Leistung Investition

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Überreaktionen, verzerrte Bewertungen, Informationsasymmetrien und eine kurzfristige Orientierung auf dem Markt für Eigenkapital nicht in die un-ternehmerischen Entscheidungen übertragen. Allerdings steht der Finanz-markt auch nicht für die Beschaffung von Eigenkapital zur Verfügung.

Diese Zusammenhänge bedeuten nicht, dass sich Genossenschaften struk-turell einer Disziplinierung durch Marktkräfte entziehen können. Immer dann, wenn die Gewinne nicht ausreichen und die Mitglieder nicht in der Lage oder nicht willens sind, ausreichend Eigenkapital aufzubringen, stellt sich die Finanzierungsfrage. Selbstverständlich bewerten auch potenzielle Fremdkapitalgeber, etwa die Banken, die Unternehmensperformance, wor-in ein entsprechender Disziplinierungsmechanismus besteht. Zusätzlich er-folgt eine Disziplinierung über den Wettbewerb mit ShareholderValue-orientierten Unternehmen auf den Beschaffungs-, Absatz- und Arbeits-märkten. Insgesamt sollte sich gezeigt haben, dass genossenschaftliche Ko-operationen nicht für jeden Zweck und nicht für alle Rahmenbedingungen gleichermaßen geeignet sind, dass sie hingegen in manchen Konstellatio-nen anderen Kooperationsformen deutlich überlegen sind. Den Eigentü-mern entstehen auf vielfältige Weise Werte durch die Zusammenarbeit.

4 Genossenschaftliche Aktualität: Eine zeitgemäße Zusammenarbeit

4.1 Einzelwirtschaftliches Kooperationskalkül

Unter Berücksichtigung der aktuellen Rahmenbedingungen für die unter-nehmerische Tätigkeit können Genossenschaften also als zeitgemässe Form der Zusammenarbeit eingeschätzt werden. Sie ermöglichen gemeinsamen Erfolg im einzelwirtschaftlichen Interesse. Dabei ist immer wieder darauf hinzuweisen, dass eine genossenschaftliche Zusammenarbeit nicht aus Alt-ruismus erfolgt. Sie erfolgt auch nicht, um den ökonomischen Gesetzen zu entgehen, und sie erfolgt nicht, um gewinnlos zu bleiben. Die eigentliche Kooperationsidee besteht darin, durch die Zusammenarbeit mehr zu errei-chen als alleine möglich wäre, eine Kooperationsrente oder ein Kooperati-onsplus zu schaffen. Die genossenschaftliche Kooperation wird immer dann interessant, wenn einzelwirtschaftliche Ziele zusammen besser er-reicht werden können als alleine. Sie basiert auf einem klaren strategischen Kalkül dann, wenn Nettovorteile vorliegen. Auf diese Weise kann manch-mal eine selbständige wirtschaftliche Existenz sicher gestellt werden, die sonst nicht möglich wäre. Ebenso kann es darum gehen, für eine Region oder einen Standort oder für eine Gruppe von Menschen, Aktivitäten zu erhalten oder zu organisieren, die es ermöglichen, Einkommen zu erzielen oder die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen.

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Genossenschaften ermöglichen zukunftsorientierte Weichenstellungen aus eigener Kraft, selbst dann, wenn Konfliktfelder vorhanden sind. Solche Konfliktfelder sind für Unternehmensnetzwerke typisch und bringen zum Ausdruck, dass es neben den gemeinsamen auch widersprüchliche Interes-sen und Ziele gibt. Dies erfordert es immer wieder, sich auf die gemeinsa-men Ziele zu besinnen und auf die Tatsache, dass sie alleine nicht erreich-bar wären. Darin besteht die genossenschaftliche Kooperationslogik. Und die Begründung dafür? Unternehmen oder Menschen sind bereit, Verant-wortung für ihre eigenen Angelegenheiten zu übernehmen, und sie sind be-reit, Verantwortung für ihre gemeinsamen Angelegenheiten zu überneh-men. Dabei berücksichtigen sie, dass ihre wirtschaftlichen Ergebnisse nicht zuletzt von der Qualität ihrer Zusammenarbeit abhängen. Vor diesem Hin-tergrund akzeptieren erfolgreiche Genossenschaften, dass eine Kooperation Langfristigkeit, Infrastrukturen, Investitionen, eine klare Arbeitsteilung sowie ein gutes Management benötigt.11 Zusammengefasst kann also klar argumentiert werden, dass Genossenschaften in unsere Zeit passen.

Abbildung 3: Elemente genossenschaftlicher Kooperation

Genossenschaften ermöglichen zusätzlich gesellschaftliche Verantwortung, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sind. Denn auf diese Weise entstehen

11 Vgl. zu den notwendigen institutionellen Infrastrukturen für Genossenschaften, wie z.B.

verbindliche Spielregeln, THEURL (2005).

Genossenschaftliche Zusammenarbeit …

erfolgt nicht aus Altruismus

erfolgt nicht, um denökonomischen Gesetzenzu entgehen

erfolgt nicht, um gewinnlos zu bleiben

weil eine „Kooperations-rente“, ein Kooperations-plus, entsteht

wenn einzelwirtschaftliche Ziele besser erreicht werden können als alleine

wenn eine selbständige wirt-schaftliche Existenz so sichergestellt werden kann

als klares strategisches Kalkül

beim Vorliegen von Nettovorteilen

sondern

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positive Nebeneffekte. Eine wirtschaftlich erfolgreiche Genossenschaft vergibt Aufträge an andere Unternehmen, bezahlt Steuern und investiert in Infrastrukturen. Sie schafft Arbeits- und Ausbildungsplätze. So kann sie soziale Verantwortung für den Standort übernehmen und ihr wirtschaftli-ches und gesellschaftliches Umfeld stabilisieren. Genossenschaften bieten sich somit an, nachhaltige Partnerschaften mit der Wirtschaft, der Politik, der Gesellschaft und der Region einzugehen. Dabei ist wichtig zu erken-nen, dass die gesellschaftliche Komponente genossenschaftlicher Aktivitä-ten kein primäres Element einer MemberValue-Strategie ist. Sie ergibt sich vielmehr auf einer zweiten Ebene aus der erfolgreichen Wertschaffung für die Eigentümer der Genossenschaft. Genossenschaften sind keine Instru-mente der Regional- oder Entwicklungspolitik, allerdings können sich selbstverständlich auch Genossenschaften in Projekten einer „Corporate Responsibility“ engagieren wie jedes andere Unternehmen auch.

4.2 Genossenschaftliche Governance

Die Mitglieder in ihrer Gesamtheit haben für die Organisation der Leistun-gen und des Unternehmens Sorge zu tragen, zu entscheiden und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Erfolgte dies in der genossenschaftlichen Entstehungsphase tatsächlich durch die Mitglieder selbst in nebenamtlicher Funktion, so ist heute häufig ein professionelles Management für die opera-tiven Aktivitäten am Werk. Doch strategische Weichenstellungen, z.B. Fu-sionen, sind in den Mitglieder- oder Vertreterversammlungen zur Entschei-dung vorzulegen. Die Mitglieder sind also Eigentümer, Kapitalgeber und Kunden in Personalunion und teilen sich die Kooperationsrente über ihre Anteile am MemberValue. Leistungs- und Kapitalbeziehungen überlagern sich in einer Clublösung, in der ein konsistentes Anreizset für die Koopera-tionspartner entsteht. So wird ein wirksames System gegenseitiger Kontrol-le implementiert. Das Unternehmensmanagement wird von den Mitgliedern beauftragt, die Mitglieder bzw. deren Leistungen zu kontrollieren, und die Mitglieder kontrollieren das Management bzw. seine Leistung. Im eigenen Interesse erwarten die Mitglieder eine sorgfältige Überwachung und Ein-schränkungen ihrer Handlungsoptionen. Eine spezifische Form der Wirt-schaftsprüfung, die die Besonderheiten des genossenschaftlichen Koopera-tionsmodells zu berücksichtigen hat, unterstützt dies. Dass aktuell genos-senschaftlichen Kooperationen ein zunehmendes Interesse entgegenge-bracht wird, hängt nicht zuletzt von der Existenz solcher Kontrollmecha-nismen ab.

Es ist jedoch zu beachten, dass kollektives Eigentum und kollektive Ent-scheidungsfindung auch im Falle der genossenschaftlichen Kooperation zu den grundsätzlichen Problemen der Verdünnung von Eigentumsrechten

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führen, also der Möglichkeit, Verantwortung abzuschieben. Diese Effekte treten neben jene, die durch den Charakter des Nutzungseigentums auftre-ten. Dies zeigt sich bei Genossenschaften mit zunehmender Größe und He-terogenität der Mitglieder, da in der Entscheidungsfindung im Normalfall jedes Mitglied eine Stimme besitzt. Dies ist einerseits anreizorientierte Stärke12, andererseits aber strukturelle Schwäche des genossenschaftlichen Kooperationsmodells, wenn effiziente Entscheidungen in kompetitiven Märkten durch eine langwierige Entscheidungsfindung verzögert oder ver-hindert werden. Solche Entscheidungsprozesse können zusätzlich die Ei-gentümerkontrolle des Managements erschweren. Eine effiziente Vorberei-tung und Moderation des Entscheidungsfindungsprozesses durch die ge-nossenschaftlichen Funktionsträger und Gremien zählen daher zu den Er-folgsfaktoren.

Es sind die Mitglieder als Eigentümer, die die Genossenschaften neben den erzielten Gewinnen mit Eigenkapital versorgen. Es wurde bereits ausge-führt, dass Genossenschaftsanteile nicht auf Finanzmärkten handelbar sind. Obwohl dies einerseits die Eigenkapitalversorgung erschweren kann, kann es anderseits feindliche Übernahmen von Genossenschaften oder den Ver-kauf des Unternehmens verhindern, was vor dem Hintergrund der häufig beklagten Aktivitäten von Finanzinvestoren als wichtig einzuschätzen ist und aktuell besondere Bedeutung erlangt.

Generell leiden Kooperationen unter der Unsicherheit über das Verhalten der Partner, da Abhängigkeiten ein Merkmal von Kooperationen sind. Eine wichtige Aufgabe des Kooperationsmanagements besteht daher darin, Me-chanismen mit inhärenten Anreizen zu entwickeln, sich im Sinne der Ko-operationsziele zu verhalten. Mit der Zunahme der Flexibilitätsanforderun-gen, die eine dynamische Umwelt mit sich bringt, wird es schwieriger, sol-che Mechanismen und kooperationsspezifisches Sozialkapital13 aufzubau-en. Genossenschaften sind über die bereits skizzierte Anreizkonsistenz so-wie über komplexe, gesetzlich vorgeschriebene Gremienstrukturen, die die Einflüsse der Kooperationspartner sichern sollen, inhärent. Auf diese Wei-se kann es gelingen, Systemvertrauen aufzubauen, das nur in einer dauer-haften Beziehung entstehen kann. Es besteht also nicht die Notwendigkeit, jede einzelne Transaktion isoliert zu betrachten. Ein Aufeinandertreffen der einzelnen Kooperationspartner erfolgt in unterschiedlichen Facetten der

12 Diese demokratische Entscheidungsfindung hat zur Konsequenz, dass der Einfluss der Mit-

glieder unabhängig von Kapitalanteilen ist, jedes Mitglied also grundsätzlich die gleichen Einflussmöglichkeiten besitzt.

13 Vgl. zur Notwendigkeit und zu den Möglichkeiten, in Kooperationen Sozialkapital aufzu-bauen, RIEMER (2005).

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Zusammenarbeit und immer wieder. A la longue müssen sich Leistung und Gegenleistung in der Genossenschaft aber ausgleichen, müssen Rechte und Pflichten als gerecht eingeschätzt werden und darf es keine strukturellen Verlierer geben.

Im Idealfall sind damit zwei positive Effekte verbunden. Erstens können kostspielige Schutzmaßnahmen durch die Schaffung zusätzlicher Abhän-gigkeiten und die Vereinbarung detaillierter Verträge unterbleiben. So wird die Komplexität der Governance reduziert. In dieser Hinsicht weisen ge-nossenschaftliche Kooperationen eine Technologie der Selbstbindung auf, die sowohl die Informationskosten der Partnerwahl als auch die Transakti-onskosten in der Leistungsbeziehung reduziert. Zweitens können sich in-terne und externe Erwartungen über das Verhalten von genossenschaftli-chen Akteuren ohne Bezug auf konkrete Akteure herausbilden. Überspitzt formuliert: Man weiß, worauf man sich einlässt, wenn man Transaktionen mit genossenschaftlichen Unternehmen durchführt. In einem Umfeld, in dem viele Unternehmen ihre klare Identität verloren haben14 und in dem nicht bekannt ist, wofür sie stehen, kann dies zu einem wichtigen Abgren-zungsmerkmal werden, das die Wettbewerbsfähigkeit von Genossenschaf-ten stärkt.

5 Genossenschaftliche Trends: Professionalisierung und Gründungen

Werden die aktuellen Entwicklungen in der genossenschaftlichen Ökono-mie analysiert, ist zu differenzieren: Welche Weichenstellungen werden erstens in genossenschaftlichen Kooperationen getroffen, die bereits seit Längerem tätig sind und sich als wettbewerbsfähig herausgestellt haben und wie stellt sich zweitens die Situation bei der Gründung neuer Genos-senschaften dar? Bestehende Genossenschaften sind überwiegend in sehr kompetitiven Märkten tätig. Als Reaktion auf einen zunehmenden Wettbe-werbsdruck zeigen sich zwei Entwicklungen, die eng miteinander zusam-menhängen. Zu beobachten ist, dass bei den bestehenden Genossenschaften in vielen Fällen eine Klärung der strategischen Orientierung und eine gene-relle Professionalisierung des Managements mit einer Optimierung der Ko-operationsstrukturen einhergehen. Die genossenschaftlichen Gründungsak-tivitäten haben zuletzt deutlich zugenommen. Aufmerksamkeit verdienen die ansteigenden Zahlen vor allem dann, wenn berücksichtigt wird, in wel-chen Wirtschaftsbereichen Neugründungen von Genossenschaften erfol-gen.

14 Vgl. zum Verlust und zum Aufbau genossenschaftlicher Identität BONUS (1994).

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5.1 Strategieentwicklungsprozesse

Viele ehemals kleine Genossenschaften haben sich im Laufe der Jahrzehnte zu größeren Gruppen mit einer gewachsenen Anzahl von Mitgliedern und einer komplexer Arbeitsteilung zwischen diesen entwickelt. Manche Ge-nossenschaften sind in einem pfadabhängigen Prozess gewachsen. Dies führte häufig dazu, dass die Besonderheiten der genossenschaftlichen Go-vernance in den Hintergrund getreten sind. In manchen Fällen ist es so, dass diese heute nicht mehr den idealtypischen Anforderungen entspricht, häufig weil heterogene Interessen notwendige Anpassungen verhinderten oder weil die kooperationsökonomische Logik von Netzwerken mit ihren Verhaltensrestriktionen den Handelnden zu wenig bewusst war oder weil letztere nicht mehr akzeptiert wurden. Vor diesem Hintergrund können dann auch nicht alle Erfolgspotenziale genossenschaftlicher Netzwerke tat-sächlich umgesetzt werden. Mit der Intensivierung des Wettbewerbs wur-den daher auch Performancedefizite stärker sichtbar, die manchmal, freilich verkürzt, auf das gewählte Kooperationsmodell zurückgeführt wurden.

Bei vielen Genossenschaften hat dies dazu geführt, dass Strategieentwick-lungsprozesse begonnen wurden. Drei Typen von Lebenszyklen von genos-senschaftlichen Kooperationen haben sich im Zuge der Expansion und der Ausdifferenzierung in diesem Prozess herausgebildet. Waren Genossen-schaften in der Lage, ihre Mitglieder zufrieden zu stellen, gab es wenig An-lass zur Veränderung. Strategie und Strukturen stellten sich als stabil her-aus. Der Strategieprozess bestand dann darin, kontinuierlich zu prüfen, ob auch sich verändernde Anforderungen mit der genossenschaftlichen Go-vernance bewerkstelligt werden können oder alternativ behutsame Anpas-sungen vorzunehmen sind.

Doch dies war nicht immer gegeben. Oftmals lagen größere Anpassungs-schritte nahe, was dazu geführt hat, der Strategie mehr Bedeutung zuzu-messen. So hat die Formulierung von Strategien für gewachsene genossen-schaftliche Netzwerke tendenziell dazu geführt, dass die zentralen Unter-nehmen gestärkt wurden, was nicht selten zu einer formellen oder zumin-dest zu einer faktischen Transformation des gesamten Kooperationsmodells geführt hat. In Konsequenz wurden manche Kooperationen in eine integra-tive Lösung übergeführt und die genossenschaftliche Rechtsform dann meist zugunsten der Aktiengesellschaft verlassen.

Als ein dritter Lebenszyklustyp hat sich hingegen die bewusste Verfolgung einer Netzwerkstrategie herausgebildet. In diesem Prozess befinden sich derzeit viele genossenschaftliche Verbünde. Erst wenige haben ihn abge-schlossen, manche haben die ersten Schritte bewältigt und viele stehen

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noch am Beginn. In einem Prozess der Strategieentwicklung wird erstens die strategische Orientierung für das Netzwerk festgelegt, etwa in Form einer MemberValue-Strategie. Zweitens kommt es zu einer Diskussion und Anpassung von bestehenden oder einer erstmaligen Verabschiedung von Spielregeln des Zusammenwirkens. Solche sind Voraussetzung für einen Investitionsschutz und sie enthalten Anreize für Investitionen in die Genos-senschaften. Sie müssen transparent, verbindlich und sanktionsbewehrt sein. Dabei muss, der inhärenten Logik eines genossenschaftlichen Netz-werkes entsprechend, gelten: „So viel Dezentralität wie möglich und so viele gemeinsame Strukturen wie nötig“. Eine große Vielfalt an praktizier-ten Ausgestaltungen der Leistungsbeziehung innerhalb von und zwischen genossenschaftlichen Netzwerken hat sich inzwischen herausgebildet.

In einem solchen Strategieentwicklungsprozess, wie er derzeit in vielen genossenschaftlichen Netzwerken stattfindet, sollte immer wieder bewusst gemacht werden, dass die Strategien der einzelnen Unternehmen nicht los-gelöst von der Netzwerkstrategie formuliert werden können und dass das Verhalten der einzelnen Unternehmen Auswirkungen auf das Netzwerk hat. Dies korrespondiert mit einem als gerecht empfundenen Verhältnis zwi-schen Leistungen und Beiträgen für die einzelnen Kooperationspartner. Es handelt sich um einen sehr komplexen Strategieschritt, den viele genossen-schaftliche Netzwerke erst allmählich in Angriff nehmen, der jedoch über die Zukunftsfähigkeit größerer genossenschaftlicher Verbünde entscheiden wird.

5.2 Strukturelle Optimierung

Auch Akte der strukturellen Optimierung finden vor allem in größeren ge-nossenschaftlichen Netzwerken statt. Dabei sind sie nicht in allen Fällen tatsächlich in einen Strategieentwicklungsprozess eingebunden. Manchmal folgen sie zwecks kurzfristiger Problemlösung, denn gerade in jenen Bran-chen, die einen hohen genossenschaftlichen Organisationsgrad aufweisen, wie das Bankwesen, die Landwirtschaft sowie der Einzelhandel, ist der Wettbewerbsdruck auf die einzelnen genossenschaftlichen Unternehmen äußerst ausgeprägt. Dies führt zu den typischen Reaktionen, die in Fusio-nen, Meta-Kooperationen, Outsourcingaktivitäten und der Gründung oder Akquisition zusätzlicher Gesellschaften bestehen.

Im Zuge der organisatorischen Optimierung ist es herausfordernd, wettbe-werbsfähige Netzwerke zu schaffen und dennoch den einzelnen Unterneh-men die Möglichkeit ihrer eigenständigen Positionierung und unternehme-rischen Gestaltung zu eröffnen, der Besonderheit genossenschaftlicher Ko-operationen. Dabei gilt es noch mehr als bisher, Größen- und Synergievor-

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teile entlang der Wertschöpfungskette zu identifizieren und zu nutzen, ohne dabei Eigenständigkeit aufzugeben, also eine Alternative zu konzernartigen Gebilden umzusetzen. Häufig zu beobachten ist zusätzlich eine generelle Professionalisierung aller Aktivitäten. Dies gilt sowohl für die Leistungser-stellung, als auch für Managementaufgaben und die Entscheidungsfindung. So bestehen zusammenfassend die aktuellen Bestrebungen in den genos-senschaftlichen Sektoren vieler Volkswirtschaften in einer Optimierung von genossenschaftlichen Netzwerkstrukturen. Zielsetzung ist die Verbes-serung der Wettbewerbsfähigkeit bereits bestehender Genossenschaften in den traditionellen genossenschaftlichen Branchen.

5.3 Neugründungen

Es ist naheliegend, nicht nur nach den strategischen Weichenstelllungen und der strukturellen Optimierung von bereits bestehenden Genossenschaf-ten zu fragen, die meist in größeren Verbünden zusammenarbeiten, sondern zusätzlich nach aktuellen Gründungen von neuen Genossenschaften. Dies-bezüglich stellten sich interessante Entwicklungen heraus. Bereits während der Finanzmarktkrise zeigten sich in vielen Volkswirtschaften nicht nur ein zunehmendes Interesse am genossenschaftlichen Geschäftsmodell, sondern auch eine Zunahme von Neugründungen. Dies war seit vielen Jahren nicht mehr der Fall. So wurden etwa in Deutschland im Jahr 2000 fünfzig neue Genossenschaften gegründet, 2008 waren es 178 und 2009 wurden 241 Neugründungen gezählt. Eine Analyse der Gründungskontexte ergibt, dass solche Neugründungen in bestimmten Konstellationen erfolgen. Eine Klammer besteht darin, dass es sich um Branchen handelt, die expandieren und die zukunftsorientiert sind.15 In den traditionellen Genossenschafts-branchen finden hingegen kaum Gründungen statt, was bei einem hohen genossenschaftlichen Organisationsgrad nicht überraschen sollte. Es kommt also zu einer stärkeren Ausdifferenzierung der genossenschaftlichen Ökonomie.

Genossenschaften werden heute erstens gegründet, um neue Märkte und Wertschöpfungsketten zu organisieren und zu strukturieren. Dies gilt vor allem in Bereichen, aus denen sich der Staat, oft die Kommunen, zurück-zieht und die neu zu organisieren sind (z. B. Infrastruktur, Entsorgung, Post- und Kurierdienste, Sport- und Freizeiteinrichtungen), sowie für völlig neue Problemlösungen (etwa die Organisation und Verwaltung von Inter-net-Adressen durch Provider).

15 Vgl. dazu THEURL/SCHWEINSBERG (2004).

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Zweitens geht es um die Organisation und Abwicklung von Projekten, die wirtschaftliche Größe und den Zugang zu komplementären Kernkompeten-zen erfordern, wobei die unternehmerische Selbständigkeit sowie Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten keinesfalls zur Disposition gestellt werden sol-len. Beispiele dafür sind Handwerker- oder Beratergenossenschaften sowie Ärztegenossenschaften. Drittens bewerkstelligen Genossenschaften die Auslagerung und gemeinsame Organisation von Dienstleistungen und Pro-dukten im Sinne eines kooperativen Outsourcings. Dabei kann es um den Einkauf oder die Vermarktung von Produkten, den Aufbau einer Marke, die Organisation von Beratungs- und Ausbildungsdienstleistungen, die In-teressenvertretung in der Politik, aber auch die Entwicklung und Erstellung von IT-Dienstleistungen gehen. So sind zahlreiche IT-Genossenschaften entstanden. Viertens werden Genossenschaften gegründet, um die Produk-tion von Vertrauensgütern und wissensbasierten Leistungen zu organisie-ren. In diesen Bereich sind Genossenschaften einzuordnen, die Gesund-heits- und Pflegedienstleistungen sowie Aus- und Weiterbildungsangebote organisieren. Auch die genossenschaftliche Institutionalisierung integrierter Versorgungsnetzwerke ist zu nennen.16 Fünftens hat sich herausgestellt, dass genossenschaftliche Kooperationen vereinbart werden, um Unabhän-gigkeit von dominanten Anbietern zu erzielen, um mehr Transparenz über Konditionen und Wertschöpfungsprozesse zu erhalten sowie um Kontroll-möglichkeiten zu gewinnen. Als Beispiele dafür können viele der neu ge-gründeten Genossenschaften zur Energieerzeugung und –versorgung ange-führt werden, z. B. Bioenergie- oder Photovoltaikgenossenschaften. Sechs-tens sind Gründungen zu nennen, die das völlige Fehlen eines lokalen An-gebots kompensieren sollen, z. B. in der Nahversorgung (genossenschaft-lich organisierte Dorfläden) oder indem mittelständische Unternehmen oder Teile davon von Mitarbeitern erworben oder weitergeführt werden.

In den aktuellen Neugründungen zeigt sich die Besonderheit der Governan-ce genossenschaftlicher Kooperationen besonders deutlich. Auf einem völ-lig anderen Entwicklungsstand kann heute noch und wieder nachvollzogen werden, dass sie vor mehr als fünfzehn Dekaden als „Kinder der Not“ ge-feiert wurden, die eine wirtschaftliche Existenz oder wirtschaftliche Selb-ständigkeit ermöglichten. Ebenso zeigt sich, dass mit den Neugründungen sowohl die gemeinsame Organisation benötigter Leistungen erfolgt als auch die gemeinsame Produktion. Im ersten Fall wird durch die Kooperati-on die Wertschöpfungskette verlängert, während dies im zweiten Fall nicht geschieht. Für die zweite Variante wurde in der Vergangenheit die Be-

16 Vgl. zur Institutionalisierung und zu den Erfolgsfaktoren von integrierten Versorgungsnetz-

werken FRANZ (2008).

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zeichnung „Produktivgenossenschaft“ verwendet. In der Diktion der Insti-tutionen- und Organisationstheorie können sie heute als virtuelle Unter-nehmen oder virtuelle Netzwerke eingeschätzt werden,17 also höchst mo-derne Organisationsformen.

Zusammenfassend zeigt sich also, dass das genossenschaftliche Kooperati-onsmodell von privaten Unternehmen und Haushalten dort als wettbe-werbsfähig eingeschätzt wird, wo markante strukturelle Veränderungen stattfinden, wo sich neue Herausforderungen zeigen. Die globale Finanz-marktkrise hat die Erinnerung an ihre Leistungs-, Zukunfts- und Wettbe-werbsfähigkeit deutlich gestärkt. Sie sind Ergebnis einer zunehmenden Hinterfragung der üblichen unternehmerischen Geschäftsmodelle und Stra-tegien sowie einer Suche nach Organisationsformen, die Werte verkörpern, die den Menschen heute wieder wichtiger geworden sind. Doch es muss klar sein, dass es im Kern um wirtschaftliche Kalküle geht und „Genossen-schaftsromantik“ keinesfalls angebracht ist.

6 Fazit: Zukunft aktiv gestalten

Genossenschaftliche Kooperationen haben eine lange Tradition. Es handelt sich dabei um die älteste Kooperationsform der Wirtschaftsgeschichte. Heute werden von Unternehmen und anderen Organisationen zahlreiche Allianzen, Netzwerke und Partnerschaften gegründet, die als sehr zeitge-mäß eingeschätzt und als organisatorische Innovationen gefeiert werden. Doch sie „kopieren“ wesentliche Elemente des genossenschaftlichen Ge-schäftsmodells, das zusätzlich einige Besonderheiten in ihren Governan-cestrukturen enthält. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass genossenschaft-liche Unternehmen und ihre Mitglieder heute durchaus selbstbewusst ihre Organisationsform umsetzen, leben und kommunizieren sollten. Dabei geht es aber auch darum, sich kontinuierlich und vorausschauend an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen und die wirtschaftlichen Erfolgsbedin-gungen im Auge zu behalten. Im Vordergrund sollte also eine Strategie stehen, die auf Langfristigkeit, wirtschaftlichen Erfolg, auf Anpassungsfä-higkeit und ein bewährtes Geschäftsmodell setzt. Dabei sollte aber nichts dem Zufall überlassen, sondern die Zukunft gestaltet werden. Für diese immerwährende Aufgabe ist dem Raiffeisenverband Südtirol und allen Menschen und Unternehmen, die ihn tragen, Glück und Erfolg zu wün-schen.

17 Vgl. für die Hintergründe virtueller Organisationsformen und die Möglichkeiten ihrer ge-

nossenschaftlichen Organisation SCHWEINSBERG (2006) und TANTZEN (2006).

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7 Literatur

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Page 100: Genossenschaften auf dem Weg in die Zukunft

Podiumsdiskussion

Erfolg durch Verantwortung, Verantwortung durch Erfolg

Teilnehmer:

MARIO DUSCHEK (Prokurist, Maschinenring-Service Kärnten eGen)

ALEXANDER GROWE (Vorstand, Aktives Reisebüro Netzwerk eG)

Dr. MANFRED KLEMM (Vorstandsvorsitzender, Regionales Gesundheits-netz Leverkusen eG und Gesundheitsverbund West eG)

HERMANN SCHMIDT (Bürgermeister, Gemeinde Amerdingen und Vor-standsvorsitzender Dorfladen Amerdingen eG)

Dr. GEORG WUNDERER (Präsident, Raiffeisen Energieverband Südtirol und Obmann, Energie-Werk-Prad Genossenschaft)

Moderation:

Univ.-Prof. Dr. THERESIA THEURL (Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen der Universität Münster)

THEURL: Im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen einige Besonderheiten des genossenschaftlichen Geschäftsmodells. Vor allem geht es auch darum, aufzuzeigen, wie vielfältig die Bereiche sind, in denen Genossenschaften sich bewähren. Dabei stehen nicht die Verdienste der Vergangenheit im Vordergrund, sondern die Bewältigung der Aufgaben von heute. Besonders interessant sind Antworten auf die Fragen, weshalb Genossenschaften heu-te gegründet werden und unter welchen Voraussetzungen sie wirtschaftlich erfolgreich sind, welche gesellschaftlichen Wirkungen damit verbunden sind und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die Verantwor-tungsbereitschaft von Menschen hat. Wie hängen die Bereitschaft zur Ver-antwortung und der wirtschaftliche Erfolg von Genossenschaften miteinan-

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Podiumsdiskussion 92

der zusammen? Diese Fragen werden von fünf Vorständen diskutiert, die jeweils für eine oder sogar für mehrere sehr erfolgreiche Genossenschaften sprechen können. Dies ist die gemeinsame Klammer für fünf Genossen-schaften, die sich bereits viele oder erst einige Jahre am Markt bewährt ha-ben oder die erst kürzlich gegründet wurden. Die fünf Herren werden die von ihnen vertretenen Genossenschaften gleich näher vorstellen und ich will dies mit ihnen tun. Herr Hermann SCHMIDT ist Bürgermeister und Vor-standsvorsitzender des Dorfladen Amerdingen, einer Genossenschaft. Er wird uns gleich sagen, wo genau Amerdingen liegt. Herr Dr. Georg WUN-

DERER ist einerseits der Präsident des Raiffeisen Energieverbandes Südti-rol, er ist zusätzlich auch Obmann und Geschäftsleiter der Energie-Werk-Prad Genossenschaft. Er kann also für zwei Genossenschaften sprechen. Herr Dr. Manfred KLEMM ist Vorstandsvorsitzender des Regionalen Ge-sundheitsnetzes Leverkusen und zusätzlich des Gesundheitsverbundes West. Beide Organisationen, für die Herr KLEMM spricht, sind eingetragene Genossenschaften. Herr Mario DUSCHEK ist Prokurist der Maschinenring-Service Kärnten, auch dies ist eine eingetragene Genossenschaft. Herr Ale-xander GROWE ist Vorstand der Genossenschaft mit dem Namen „Aktives Reisebüro Netzwerk eG“ in Gottmadingen. Auch er wird uns bald darüber informieren, wo Gottmadingen liegt.

Uns alle interessiert nun, um welche Genossenschaften es sich handelt und was ausschlaggebend für die Entscheidung war, eine Genossenschaft zu gründen oder nach wie vor in einer Genossenschaft zusammenzuarbeiten. Herr Bürgermeister SCHMIDT, welche Aufgaben erfüllt die von Ihnen ver-tretene Genossenschaft und weshalb wurde sie gegründet?

SCHMIDT: Diese Fragen beantworte ich gerne und ich darf zuerst erklären, wo ich herkomme. Amerdingen liegt in Bayern, im Regierungsbezirk Schwaben und dort im Landkreis Donau-Ries. Ich komme also aus der Ge-gend, die durch den bekannten Meteoriteneinschlag entstanden ist. Wir sind eine relativ kleine Gemeinde, in der sich 1999 ein großes Problem heraus-gebildet hat. Zwar sind wir klein, doch wir haben eine relativ gute Infra-struktur. Wir haben eine Grundschule im Ort, einen Kindergarten, einen Allgemeinarzt, einen Zahnarzt, also ein funktionierendes Leben in der Ge-meinde. Dazu gehört aber natürlich auch ein Lebensmittelgeschäft, eine Nahversorgung vor Ort. Die Nahversorgung ist jedoch damals innerhalb kürzester Zeit weggebrochen. Drei kleinere Betriebe haben geschlossen. Einen konnten wir zwar noch ansiedeln, aber der ist innerhalb eines Jahres wieder verschwunden, weil es sich einfach nicht rentiert hat. In dieser Situ-ation hat die Gemeinde die Initiative ergriffen. Wir haben in Erwägung ge-zogen, einen Dorfladen zu gründen. Dabei war für uns die Betreiberform

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Erfolg durch Verantwortung, Verantwortung durch Erfolg

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natürlich ganz wichtig. Wir haben immer wieder gefragt und erklärt „Wie lösen wir das Problem, wie bringen wir den Menschen den Mut bei, dabei mitzumachen.“ Denn wir bewegen uns bei der Nahversorgung in einem Bereich, in dem – wie man immer wieder gehört hat – nichts zu verdienen ist. Wir haben eine Genossenschaft gegründet und wir haben es geschafft. In unserer Gemeinde und auch in der Umgebung haben wir Informationen über das Genossenschaftsmodell verbreitet und sehr großen Zuspruch er-fahren. Innerhalb weniger Wochen haben wir Geschäftsanteile für über 60.000 € verkauft. Wir haben die Gründungsversammlung einberufen, die Genossenschaft ins Leben gerufen und der Laden wurde im Jahr 2001 in Betrieb genommen.

Warum haben wir die Genossenschaftsform gewählt? Die Antwort ist ganz einfach: Sie war bei uns aufgrund der Raiffeisenbank im Ort bekannt. Es war eine einfache, verständliche Geschäftsform und das „Warum eine Ge-nossenschaft“ war unseren Mitgliedern gut zu vermitteln. Wichtig war die Beschränkung der Haftung auf die Einlage, auch der Verzicht auf eine Nachschusspflicht. Also war ganz klar vorgegeben, womit der Einzelne haftet. Der Laden hat sich sehr positiv entwickelt. Wir haben mittlerweile neun Teilzeitkräfte und innerhalb der ersten zehn Jahre (im April werden es zehn Jahre) 70.000 € erwirtschaftet. Wir haben also heute die Summe an Rücklagen, die unsere Genossenschaftsmitglieder – sprich unsere Genossen – uns anvertraut haben. Darauf sind wir sehr stolz. Um die Region einzu-binden, werden 60 % des Umsatzes mit Produkten aus der Region gemacht. Ich glaube, das ist der Schlüssel unseres Erfolges.

THEURL: Diese interessante Gründungsgeschichte zeigt uns, dass Eigenini-tiative auch vor den heutigen Rahmenbedingungen Erfolg haben kann. Wir sehen hier auch sehr eindrucksvoll die regionale Verankerung und wir se-hen, dass Menschen Verantwortung für Angelegenheiten übernehmen, die ihnen wichtig sind. Darauf sollten wir in dieser Diskussion noch zurück-kommen. Dies bringt mich zu einer ersten Frage an Sie, Herr KLEMM: Wie kommen Ärzte dazu, eine Genossenschaft zu gründen, und was macht diese Genossenschaft?

KLEMM: Ich bin froh, dass Sie nicht gefragt haben, wo Leverkusen liegt, eine Frage, auf die ich vielleicht später noch zurückkommen werde. Wa-rum organisieren sich Ärzte in Genossenschaften? Das ist ja untypisch, weil Angelegenheiten wie Wertschöpfungsketten, Effizienz oder das ge-meinsame Geldverdienen keine Themen sind, die klassisch in den medizi-nischen Berufsstand gehören. Nun haben wir aber dramatische Reformen

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und Änderungen im Gesundheitswesen und dies eigentlich andauernd. Man stellt fest: Seitdem es Steuerreformen gibt, gibt es auch Gesundheitsrefor-men. Gemeinsam halten wir uns als Gesellschaft ein Gesundheitswesen mit einem sehr hohen Niveau zur Verfügung und dieses System verursacht auch ungeheure Kosten. In einer Situation, in der auf Dauer nicht mehr ge-nügend Mittel zur Verfügung stehen, um unserer Demografie folgen zu können, muss man auf neue Gedanken kommen und neue Lösungen su-chen. Nicht überraschend kommen jetzt auch größere Konzerne, die sich im Gesundheitssystem durchaus auskennen – also auch Bauträger, Banken, Handelsketten – auf die Idee, im Medizinbereich mitzuwirken. Diesen Or-ganisationen sind Parameter wie Wertschöpfungsketten und Effizienzstei-gerung geläufiger. Es steht zu befürchten, dass sich nicht nur der Kosten-apparat im Gesundheitssystem revolutioniert, sondern auch die medizini-sche Leistungserbringung. Spätestens dann beziehen sich alle Vergleiche zwischen Organisationen auf solche Parameter und, ausgedrückt in diesen, geht es dann darum, wettbewerbsfähig zu sein.

Ob der Obstbauer sich mit seinen Kollegen zusammentut und Gemeinsa-mes schafft oder der Arzt Ähnliches tut, immer geht es darum, am Markt dem Kunden eine Leistung anzubieten, die man mit dem Argument der Ef-fizienzsteigerung auch wieder beim Kunden bewerben kann. Also die Her-ausforderungen und die Herangehensweisen sind ähnlich. Deshalb haben wir die Genossenschaft gegründet. In ihr wollen wir mit einem Großteil unserer Mediziner lernen, wie ethisch vertretbare Gewinnoptimierung und Effizienzsteigerung funktionieren, um nach wie vor eine vernünftige und verantwortungsvolle Medizin in der ambulanten Versorgung leisten zu können. Wir haben natürlich auch noch viel zu lernen. So treten wir in un-serer Genossenschaft – auch in Leverkusen, die dann nur eine kleine Par-zelle ist – an, um mit unseren Krankenversicherungsunternehmen neue Be-handlungswege zu diskutieren. Dabei sind wir bereit, auch über neue Wege der Effizienzsteigerung zu diskutieren, um komplette Module anbieten zu können, z. B. in Form von geänderten Wertschöpfungs- und Organisations-ketten, mit denen man häufig Geld verliert, wenn sie nicht gut organisiert sind.

Eine solche Strategie kann aber natürlich nur im Einklang mit mehreren und ähnlich ausgerichteten Genossenschaften in Angriff genommen wer-den. Denn würde man als einzelne Genossenschaft auf diese Weise vorge-hen, würde sich jede Krankenversicherung fragen: „Wo ist denn Leverku-sen?“ Also braucht man Konzepte, die für ein Bundesland oder sogar für größere Teile Deutschlands funktionieren. Notwendig sind auch Konzepte, die z. B. in Bayern als solches funktionieren. Denn nicht alle Konzepte sind

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vergleichbar. Ein Konzept für Bayern wird nicht zwangsläufig in Schles-wig-Holstein funktionieren. Daher sind zusätzlich Organisationsketten er-forderlich, die es ermöglichen, dass über die einzelnen Konzepte hinaus zusammen gearbeitet werden kann und dass man sich über die einzelnen Modelle austauschen kann, damit das Rad nicht überall neu erfunden wer-den muss. Sie sehen, dass dies ein dynamischer, hochkomplexer und für uns sehr ungewohnter Prozess ist. Daher hoffen wir, dass wir noch sehr viel von anderen Genossenschaften lernen können, gerade aus ihrer Historie, um nicht alle Fehler neu machen zu müssen.

THEURL: Auch dies sind sehr aufschlussreiche Informationen über die Ak-tivitäten von Genossenschaften. Ihren Ausführungen habe ich entnommen, dass die von Ihnen vertretenen Genossenschaften nicht nur neue Organisa-tionsformen der medizinischen Leistungserbringung entwickeln, sondern sie machen unter anderem auch Interessenvertretung für Ärzte. Sie bündeln deren Interessen, weil Sie dadurch gegenüber sehr starken Verhandlungs-partnern, wie z. B. den Versicherungen, selbst stärker werden.

KLEMM: Genau so ist es. Noch bevor wir die Worte „Wertschöpfung“ und „Effizienz“ überhaupt aussprechen konnten, war der Begriff, der im Vor-dergrund stand, nur die „Machtposition“. Obwohl der Arzt immer eine Ver-trauensperson war und das Arztwesen bereits in der Geschichte per saldo mit einem sehr hohen Ansehen ausgestattet war, hat sich daraus keine flä-chendeckende Machtposition ergeben. Es gibt keine Arztlobbyisten, d.h. unter denen, die auf der Entscheidungsebene politisch agieren und die heu-te Gesundheitssysteme revolutionieren, gibt es kaum eine Vertretung, die direkt aus der Basis stammt. Selbstverständlich gibt es eine Standesvertre-tung, doch auch diese arbeitet auf einem Level, das genügend weit von der Basis entfernt ist. Daher haben sich Ärzte überlegt, sich nochmal von der Basis her zu organisieren und in diesem Gefüge auch mitzureden, also das bestehende Machtvakuum in kleinen ersten Schritten zu füllen.

THEURL: Auch bei der Gründung von Genossenschaften durch Ärzte ging es also darum, Eigeninitiative zu entwickeln und Verantwortung zu über-nehmen. Herr WUNDERER, auch Sie sind sehr aktiv, was das Genossen-schaftswesen betrifft. Welche Aufgaben bilden den Kern der Genossen-schaften, die Sie vertreten?

WUNDERER: Ich vertrete zwei Genossenschaften, wie Sie dies auch bereits vorausgeschickt haben. Dies ist einmal eine ältere Genossenschaft, die Energie-Werk-Prad Genossenschaft, und einmal eine neuere Genossen-

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schaft, der Raiffeisen Energieverband. Letztere ist ein Verband, der es sich zur Aufgabe macht, die zahlreichen bestehenden Energiewerke, die wir in Südtirol haben, zu unterstützen. Wir haben sehr viele Energiewerke und zwar in unterschiedlichen Betriebs- und Rechtsformen. Viele sind Genos-senschaften, manche Gesellschaften m.b.H oder auch Familienbetriebe. Für diese kleinen in Südtirol tätigen Unternehmen – für diese lokalen Betriebe – will der Raiffeisen Energieverband eine Kooperationsplattform darstel-len, um die Probleme dieser vielen einzelnen Betriebe gemeinsam zu lösen. Was nun das Energiewerk Prad, also die ältere Genossenschaft, betrifft, so geht diese auf das Jahr 1925 zurück. In diesem Jahr wurde die Genossen-schaft gegründet, um Elektrizität, die es in meinem Dorf damals noch nicht gab, in die Gebäude zu bringen. Das Unternehmen wurde ursprünglich nicht als Genossenschaft gegründet, sondern war ein Betrieb von fünf Männern, die dieses kleine Wasserkraftwerk errichtet haben. Mein Großva-ter war übrigens auch dabei. Schon bald kam die Initiative in wirtschaftli-che Schwierigkeiten, denn das Kraftwerk war relativ teuer und hat so viel wie 300 Kühe gekostet. Man suchte eine Lösung, um das notwendige Ei-genkapital aufzubringen, und daher wurde eine Genossenschaft gegründet. Seitdem ist diese tätig, um das Dorf Prad mit möglichst eigenständig er-zeugter Energie zu versorgen.

THEURL: Sie haben uns zwei weitere interessante Merkmale von Genos-senschaften aufgezeigt, nämlich erstens die Möglichkeit gemeinsam das notwendige Kapital aufzubringen, in diesem Fall um die Energieversor-gung selbst und nach den eigenen Vorstellungen in die Hand zu nehmen. Zweitens aber geht es darum, die Interessen kleinerer Genossenschaften zu bündeln und die Kooperation auf einer übergeordneten Ebene zu ermögli-chen, also klein zu bleiben, jedoch Größe dort zu erreichen, wo es für die Eigentümer und Kunden wirtschaftlich vorteilhaft ist. Auch darauf werden wir etwas später noch zurückkommen. Herr DUSCHEK, Sie vertreten Ma-schinenringe. Dies sind Genossenschaften, die nicht nur in Österreich be-reits eine längere Tradition haben. Ich habe bei meinem Besuch in Kärnten den Eindruck gewonnen, dass es einige besondere Leistungen sind, die Sie gemeinsam für Ihre Mitglieder organisieren.

DUSCHEK: Ein herzliches Grüßgott auch aus Österreich und herzliche Gra-tulation zur Fünfzigjahrfeier. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich hin und wieder in die Mundart verfalle. Ich komme aus Kärnten und bin es ge-wohnt, in der Mundart zu sprechen. Ich fühle mich geehrt, dass ich heute zum Thema Raiffeisen mit Ihnen diskutieren darf. Frau Professor Dr. THEURL habe ich in Kärnten hören dürfen und war damals schon begeistert von der modernen Sichtweise von Genossenschaften und ich freue mich

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auf eine weitere Zusammenarbeit. Aber nun will ich zum Maschinenring kommen. Der Maschinenring ist ja eigentlich ein seit über vier Jahrzehnten bewährtes Vereins- und Verbandssystem. Eine Selbsthilfeorganisation, die vor nahezu 50 Jahren gegründet wurde. Im vergangenen Jahr haben wir in Bayern das 50-jährige Jubiläum gefeiert und die ersten österreichischen Maschinenringe feiern in diesem und im nächsten Jahr ihr 50-jähriges Be-stehen. In den Jahren 1995 und 1996 stellte sich die Frage, wie wir bäuerli-che Dienstleistungen am Markt, am Kunden, in der Wirtschaft und in Kör-perschaften öffentlichen Rechts unter rechtlich sauberen Rahmenbedingun-gen verkaufen können. Damals waren wir in ca. 140 Vereinen organisiert, die um die 70.000 Mitglieder aufwiesen und Dienstleistungen innerhalb der Landwirtschaft austauschten. Heute sind wir 93 Vereine mit 78.000 Mit-gliedern bei einer Mitgliederdichte von 55% in Österreich. Die Genossen-schaften wurden 1995 und 1996 gegründet, insgesamt acht an der Zahl, al-so in jedem Bundesland eine. Sie verkauften gewerbliche Dienstleistungen von bäuerlichen Unternehmen an die Wirtschaft. Ein Beispiel ist der Win-terdienst, bei dem wir heute mit ca. 16.000 Dienstleistern Marktführer sind. Lassen Sie mich aber auch den Sommerdienst und die Forstdienstleistun-gen noch erwähnen. Im Jahr 1999 haben wir die Maschinenring Personal-Leasing-Genossenschaft gegründet, sie ist heute das siebtgrößte Unterneh-men in dieser Sparte in Österreich, was die Anzahl der Mitarbeiter betrifft. Insgesamt gibt es 1.600 Leasingfirmen. Hinsichtlich der Bonität sind wir die Nummer eins.

Warum haben wir eine Genossenschaft gegründet? Diese Frage ist recht einfach zu beantworten. Das Ziel war es, die bestehenden Vereine und das bereits bewährte System der Organisation in die Unternehmen einzubinden. Dafür war die beste Rechtsform die Genossenschaft. Nur bei dieser Rechts-form steht die Gewinnoptimierung vor der Gewinnmaximierung. So konn-ten wir in den Jahren 1995 und 1996 sehr erfolgreich die Vereinsstrukturen als Mitglieder der Genossenschaften einbinden und somit auch die gewerb-lichen Dienstleistungen der Bauern. Der Statutenzweck, den wir langfristig verfolgen, ist die Förderung unserer Mitglieder und der Mitglieder der Ver-eine. Sie sollen ein Einkommen oder ein Nebeneinkommen erwirtschaften können, so dass schlussendlich bäuerliche Strukturen in unserem Bundes-land und in ganz Österreich aufrechterhalten werden können. Ich will noch einen letzten Satz ergänzen: Werden die bäuerlichen Landschaften betrach-tet, die wegen ihrer kleinen Betriebsgrößen teilweise von Schließungen be-droht sind, kann festgestellt werden, dass der Maschinenring einen wesent-

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lichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe durch Neben- und Zusatzeinkommen schafft.

THEURL: Beim genossenschaftlichen Modell der Maschinenringe zeigen sich sehr deutlich die Möglichkeiten der Existenzsicherung durch Genos-senschaften, hier der bäuerlichen Betriebe. Damit sind zusätzlich positive gesellschafts- und wirtschaftpolitische Effekte verbunden, die Standorte und Regionen betreffen. Zusätzlich zeigt sich, dass gute Organisations-strukturen und ein effektives Management erforderlich sind. Als nächstes stellt sich die Frage, wie ein Reisebürounternehmer dazu kommt, eine Ge-nossenschaft zu gründen, Herr GROWE. Sie haben uns einen kurzen Trailer mitgebracht, der meine Frage beantwortet und uns darüber informiert, dass Gottmadingen am Bodensee liegt. Das Reisebüro Netzwerk „Aktives Rei-sebüro” ist ein genossenschaftlicher Zusammenschluss von stationären in-habergeführten Reisebüros in Deutschland, ein Netzwerk von Reisespezia-listen zur Beratung und Buchung von Reisen. Woher kam die Idee, eine Genossenschaft zu gründen?

GROWE: Die Idee, dass sich Reisebüros in einer Genossenschaft organisie-ren, wurde aus einer wachsenden Not heraus geboren. Die Not oder Bedro-hung hieß Internet. Die Reisebüros haben in den letzten zehn Jahren gese-hen, dass die großen Veranstalter das Online-Buchungsverhalten fördern und viel in das Internet investieren. Kurz vor unserer Gründungsphase wurde von dem zweitgrößten deutschen Reisekonzern herausgegeben, dass in naher Zukunft möglichst zwei Drittel des Umsatzes über das Internet ge-neriert werden sollen. Da haben die Alarmglocken geklingelt und auf dem kurzen Dienstweg haben sich einige Reisebüros organisiert, die schon vor-her bundesweit über Foren Meinungen ausgetauscht haben. Da war jemand in Dortmund, der gesagt hat „Ich habe die passende Technik, wir können im Internet die Reisen zur Verfügung stellen. Aber was ich nicht habe, ist die Manpower oder das Kapital, diese Reisen tatsächlich einzupflegen. Wenn Ihr bereit seid, diese Arbeit zu machen, dann stelle ich meine Tech-nik zur Verfügung.“ Gemeinsam haben wir dann innerhalb von zwei Jahren ein Portal aufgebaut, eine Online-Datenbank mit 4.000 bis 6.000 Reisen, je nach Saisonzeit. Das entwickelt sich sehr gut. Wir waren zunächst 13 Gründungsmitglieder und haben nun eine stetig wachsende Mitglieder-zahl. Wir wollen nicht unbedingt schnell wachsen, sondern der MemberVa-lue für unsere Mitglieder steht absolut im Vordergrund. Bis jetzt funktio-niert das gut und die einzelnen Mitglieder haben auch wesentlich steigende Absatzverkäufe über das Internet. Das, was für die Reisebüros hier richtig war, kann auch für andere Bereiche im Einzelhandel vielleicht eine gute Anregung sein. Unser Beispiel zeigt, wie man sich gemeinsam wehren

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kann. Es zeigt, wie man aus der Bedrohung „Internet“ eine Chance machen kann und in Zukunft auch über dieses Medium einen wesentlichen Teil des Umsatzes generieren kann.

THEURL: Diese genossenschaftliche Kooperation demonstriert uns ein-drucksvoll, dass es um Selbsthilfe bei neuen Herausforderungen geht und nicht um den Ruf nach Abhilfe und Unterstützung durch den Staat. Sie zeigt uns auch, dass durch diese Form der Zusammenarbeit ein wirtschaft-liches Gegengewicht zu großen Konzernen geschaffen werden kann, dass die mittelständischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben lässt. War es einfach, Gleichgesinnte zu finden und warum wurde ausgerechnet eine Ge-nossenschaft gegründet? Welche Vorteile und welche Nachteile haben Sie gesehen? Sie hätten ja auch eine GmbH gründen können.

GROWE: Es war einfach, Gleichgesinnte zu finden. Die Gefahr und der Handlungsbedarf waren nämlich erkannt, zumindest bei einigen Kollegin-nen und Kollegen. Was hat uns zur Genossenschaft bewegt? Ziemlich schnell waren wir in der Diskussion bei dem Stichwort „EDEKA“. Vor über 100 Jahren hat eine gewisse Not die Obstbauern dazu gebracht, die EDEKA auf den Weg zu bringen und zu gründen. Wir haben dann die GmbH und die Aktiengesellschaft diskutiert. Wir kamen schnell drauf, dass die Rechtsform der Genossenschaft dann gut und geeignet ist, wenn wir in der Mitgliederzahl schnell wachsen oder schrumpfen möchten oder sich diese Entwicklung einfach so ergibt. Und der genossenschaftliche Grund-zweck der Förderung der Mitglieder hat uns sehr gut, eigentlich am besten von allen genossenschaftlichen Merkmalen, gefallen.

THEURL: Den Hintergrund für die Gründung einer Genossenschaft bildeten also konkrete Probleme und es war klar, dass sich diese nicht von selbst lösen würden. Herr KLEMM, wie ist es Ihnen denn gelungen, Ärzte zusam-menzubringen und sie dazu zu bewegen, sich genossenschaftlich zu enga-gieren? Gab es auch bei Ihnen konkrete Probleme, die diese nahelegten, oder mussten Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?

KLEMM: Der Weg ist wahrscheinlich immer etwas komplizierter als man sich das wünscht. Es war zuerst nicht einfach, Kollegen zu gewinnen, da der klassische, niedergelassene Arzt in Deutschland ein Einzelkämpfer und momentan auch schwerpunktmäßig in der Einzelpraxis organisiert ist. Bei einem sehr stark ausgeprägten Einzelkämpferdasein ein Gemeinwirken zu erreichen erfordert schon ein sehr hohes gemeinsames Ziel mit einer gro-ßen Schnittmenge an gleicher Betroffenheit. Bei uns ist genau das eingetre-

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ten, nämlich durch den neuen Wettbewerb am Markt, der durch das Antre-ten gegen Großkonzerne, die im Gesundheitssystem aktiv werden wollen, notwendig wurde. Das war ein Gedanke, der eint, und vor dieser Heraus-forderung hatten wir dann natürlich auch die Facetten möglicher Reaktio-nen durchdiskutiert. Die Genossenschaft war uns nicht so präsent. Ob der Verein als Rechtsform genügt, ob eine GmbH oder gar eine AG die Form der Wahl ist, kam dann aber sehr schnell in die Diskussion. Da galt es ers-tens die notariellen Kosten abzuwägen, die bei dem einen oder anderen System im Vordergrund stehen, und zweitens galt es den durchaus basis-demokratischen Ansatz und das „Einer für alle und alle für Einen“ zu wür-digen. Das waren die Momente und die Merkmale, die uns einten, weil man gemeinsam und dabei ohne Aufgabe der eigenen Selbstständigkeit ein ge-meinsames, fesselndes Ziel hat und bereit ist, dafür einzustehen. Im Mo-ment ergeben sich hin und wieder ein paar Schwierigkeiten, manche Ein-zelkämpfer auch immer wieder auf das gemeinsame Ziel einzunorden. Dies zeigt uns, dass wir noch dringend an der Kommunikation arbeiten müssen. Doch die aufgezeigten Aspekte waren die Merkmale, die Ziele und die Möglichkeiten, die uns einten.

THEURL: Dies deutet darauf hin, dass mit der Wahl der Rechtsform nicht alle Aufgaben bereits gelöst sind, sondern dass auch das genossenschaftli-che Geschäftsmodell dann konkret umgesetzt und gelebt werden muss. Herr SCHMIDT, war es bei Ihnen einfach, die Bürger ins Boot zu holen und gab es Faktoren, die dies erleichtert haben?

SCHMIDT: Diesen Punkt habe ich vorhin schon kurz angedeutet. Dass es bei uns einfacher war, die Bürger zum Mitmachen zu motivieren, hängt grundlegend damit zusammen, dass wir die Genossenschaft als Betreiber-form gewählt haben und das genossenschaftliche Modell aufgrund der Raiffeisenbank bei uns im Ort hohes Vertrauen genossen hat. Für uns war aber auch entscheidend, dass man klare Linien und Vorgaben und von vor-neherein eine große Transparenz hat. Das, was wir tun und was wir wollen, soll auch relativ leicht nach außen gezeigt und vermittelt werden können. Es war eine unserer wichtigsten Prämissen, dass die Menschen Einblick in das Geschäft, das wir tagtäglich machen, haben wollen und haben sollen.

THEURL: Es ist eine Besonderheit des genossenschaftlichen Geschäftsmo-dels, Transparenz für die Eigentümer und Kontrolle durch sie zu ermögli-chen. Gerade in der globalen Finanzmarktkrise hat sich wieder gezeigt, wie wichtig dies den Menschen ist. Lassen Sie uns zu einem breiten genossen-schaftlichen Anwendungsfeld zurückkommen, nämlich dem Energiesektor. In Deutschland gibt es zurzeit viele Neugründungen von Energiegenossen-

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schaften, gerade im Bereich der erneuerbaren Energien und nachhaltiger Versorgungsmodelle. Nun gibt es in Südtirol bereits eine sehr viel längere Tradition mit Energiegenossenschaften. Herr WUNDERER, Sie haben bereits über das genossenschaftliche Energiewerk Prad gesprochen, dessen Wur-zeln bis 1925 zurückreichen. Wie kann man diese lange Tradition erklären und gibt es auch in Südtirol derzeit Neugründungen im Bereich Energie?

WUNDERER: Ich glaube, dass die lange Tradition hier in Südtirol mit der räumlichen Situation zusammenhängt. Es war so, dass bei uns um die Jahr-hundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert der Nobeltourismus eingesetzt hat, und damit hat in Südtirol eigentlich die Elektrifizierung begonnen. Man hat für die Beleuchtung dieser Nobelhotels kleine Wasserwerke ge-baut. Die bäuerlichen Dörfer ohne Nobelhotels hatten damals noch nicht die Voraussetzungen dazu. Unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg ist dann auch in den Dörfern der Wille entstanden, die Elektrifizierung voranzu-bringen. Während des Krieges aber mussten viele Projekte wieder zurück-gestellt werden. Hier in Südtirol hat nach dem Krieg eine tragische Wende stattgefunden. Losgerissen von Österreich und einverleibt in einen neuen Staat sind dann eigentlich aus der Not heraus in den Dörfern ziemliche ei-nige landwirtschaftliche Genossenschaften entstanden, aber auch um den Dörfern das Licht zu bringen. Viele dieser Genossenschaften gibt es heute noch. Einige sind leider, auch das muss man sagen, zur Zeit der Nationali-sierung des italienischen Stromsektors ab 1962 wieder aufgelöst worden und verschwunden. Aber in letzter Zeit wir wieder eine Neuentwicklung, genauso wie Sie sie für Deutschland berichtet haben. Es handelt sich um eine regelrechte Rekomunalisierung der Energieversorgung, die bei uns auch wiederum in den Dörfern stattfindet. Vor allem die neuen technischen Möglichkeiten, die es nun neben der Wasserkraft gibt, nämlich die Nutzung von Biomasse und Biogas für die Energiegewinnung, lässt in den Dörfern sehr viele Energiegenossenschaften entstehen. Es sind in letzter Zeit nicht weniger als 50 neue Genossenschaften in den Dörfern entstanden, die hauptsächlich Fernwärmewerke und Biogasanlagen betreiben. Auch sind einige neue Elektrizitätsgenossenschaften gegründet worden.

THEURL: Dies ist eine beeindruckende Entwicklung. Energiegenossen-schaften ermöglichen die dezentrale Stromerzeugung und -versorgung. Halten Sie es für wichtig, dass man Strom lokal und in den Dörfern organi-sieren und so ein gewisses Gegengewicht zu den großen Anbietern aufbau-en kann?

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WUNDERER: Ich bin der Überzeugung, dass die Genossenschaften für die Energieversorgung überhaupt eine relativ gute und vor allem wirtschaftli-che Grundlage darstellen. Warum? Wenn Sie sich die heutige Energiever-sorgung ansehen, dann haben wir in Europa meist eine große Zentralität, d.h. sehr große Betriebe, die die Versorgung durchziehen, und die den Menschen nur als Konsumenten sehen, der eben das akzeptieren muss, was ihm vorgegeben wird. Wo nun aber aufgrund der inzwischen verfügbaren Technologien und anderer Entwicklungen Möglichkeiten bestehen, lokale und erneuerbare Energiequellen zu nutzen, kann man dies auch selber or-ganisieren und zwar sehr gut in Form von Genossenschaften. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Genossenschaft die Voraussetzung dafür schafft, sich selbst an dem System zu beteiligen. Man ist mit dabei, kann mitsprechen, sich mit der Energieversorgung identifizieren. Man kann mitwirken, vor allem auch auf nachhaltige Systeme setzen. Hier wird ei-nem allgemeinen Bedürfnis entsprochen, was mit einer Genossenschaft ausgezeichnet umgesetzt werden kann. Die Energie dient dann nicht so sehr dem Kapital, sondern den Menschen.

Frage aus dem Publikum: Sie haben ausgeführt, dass es viele Neugrün-dungen im Energiebereich gab. Es ist interessant zu wissen, ob es dafür öf-fentliche Förderungen gegeben hat und ob Energiegenossenschaften auch dann gegründet worden wären, wenn es keine Förderungen gegeben hätte.

WUNDERER: Es muss schon gesagt werden, dass die öffentlichen Förde-rungen vor allem bei den neuen Biomassewerken in Südtirol eine wesentli-che Grundlage für das Entstehen dieser genossenschaftlich geführten Fernwärmewerke gewesen sind. Denn diese neu entstandenen thermischen Kraftwerke sind relativ kostenintensive Anlagen. Daher waren die Förde-rungen für die Gründung derartiger Genossenschaften und Betriebe ein wichtiger Faktor. Ohne Förderung wäre es für Unternehmen, die erneuerba-re Energien nutzen, sicher oft sehr schwer gegenüber Unternehmen, die Fossilenergie verwenden – also Erdgas, Erdöl und Kohle – konkurrenzfä-hig zu sein. Es ist eine Tatsache, dass die Fossilenergie meist günstiger ist als die erneuerbaren Energiequellen. Die Frage erscheint daher, zumindest in einer etwas kurzfristigen Sichtweise, berechtigt, ob dann die Förderung der Erneuerbaren überhaupt gerechtfertigt ist. Dazu sage ich entschieden ja, denn bei der Verwendung von Fossilenergie werden bis heute kaum Folge-kosten eingerechnet, die bei der Verwendung der erneuerbaren Energien überhaupt nicht bzw. in einem weitaus geringeren Ausmaß auftreten. Fol-gekosten fallen aufgrund der Treibhausgase an, die bei der Verbrennung fossiler Energiequellen entstehen und hauptverantwortlich für den Klima-wandel angesehen werden. Außerdem gefährden die Abgasemissionen un-

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sere Gesundheit. Zu den Folgekosten existieren Berechnungen von Wis-senschaftlern: Pro Tonne Kohlendioxid müssen wir mit 70 € Folgekosten rechnen. Derzeit werden jährlich rund 30 Mrd. Tonnen CO2 in die Atmo-sphäre gejagt. Somit hinterlässt uns die heutige Nutzung der fossilen Ener-gieträger gewaltige Kosten für morgen und in diesem Zusammenhang er-scheint mir die Förderung der Erneuerbaren nicht als vertretbar sondern sogar als erforderlich, um so schnell als möglich eine Wende der Energie-versorgung herbeizuführen.

THEURL: Angelegenheiten, die für Menschen wichtig sind, können also gemäß ihren Präferenzen und Vorstellungen sowie Werten organisiert wer-den. Dies bildet den Kern der genossenschaftlichen Idee. Die Kunden sind in die wichtigen Entscheidungen einbezogen und werden davon unmittel-bar betroffen. Auch dies führt dazu, dass sie Verantwortung für wichtige Lebensbereiche übernehmen. Doch gute Entscheidungen zu treffen und vorzubereiten, erfordert es auch, dass die Genossenschaften gut geführt werden. Herr DUSCHEK, Sie haben bereits aufgezeigt, dass sich die Ma-schinenringe in Österreich sehr gut entwickelt haben und kontinuierlich gewachsen sind. Dies betrifft die Dienstleistungen und die Mitgliederzahl. Es betrifft aber auch überregionale Strukturen, die Sie aufgebaut haben. Auch im Ausland informieren und beraten Sie, wie man entsprechende ge-nossenschaftlich organisierte Ringe aufbaut, und Sie unterstützen Organisa-tionen mit Ihrem Know-how. Es ist eine verbreitete Befürchtung, für die auch Beispiele existieren, dass es sehr herausfordernd ist, Genossenschaf-ten erfolgreich zu führen, wenn sie größer werden, vor allem dann, wenn sie sehr schnell wachsen. Sehen Sie Gefahren und Grenzen des Wachstums einer Genossenschaft und zwar ganz konkret am Beispiel der Maschinen-ringe?

DUSCHEK: Nein, solche Gefahren sehen wir nicht grundsätzlich. Die Ma-schinenringe haben bereits eine gewisse Größe erreicht. Wir waren über zehn Jahre mit einem sehr raschen Wachstum beschäftigt und sind nun in einer Phase der Konsolidierung gelandet, in der sich neuerlich die Stärke einer Genossenschaft sehr deutlich zeigt. Man hört manchmal, dass Genos-senschaften mühsam bei den Entscheidungen seien und bis es zu Ergebnis-sen kommt. Doch ich bin gerade im letzten Jahr wieder eines Besseren be-lehrt worden. Ich habe erfahren, dass gerade in Zeiten wie diesen nicht nur die Emotionen, sondern vor allem das Streben nach Erfolg sich in einer Genossenschaft wie der unseren sehr stark ausgeprägt hat. Lassen Sie mich das anhand von zwei Beispielen näher erklären: Wir haben mit unserer Per-sonal-Leasing- und Zeitarbeitsfirma, die in dieser Branche relativ rasch und

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als eine der ersten Veränderungen spürt, den durchschnittlichen Rückgang in Österreich, der um die 30% betragen hat, mit -9% deutlich besser abfan-gen können als unsere Wettbewerber. Dies zeigte sich neuerlich bei der Trendwende in diesem Jahr. Weil im Genossenschaftswesen die Menschen sehr eng zusammengestanden haben und wir jeden Tag am Erfolg gearbei-tet haben, weisen wir in diesem Jahr, in dem der Markt um die 3% wächst, ein 16%iges Wachstum auf.

Ich hoffe, dass ich mit diesen Zahlen, das Thema „Genossenschaften sind mühsam“ doch relativ rasch und gänzlich entkräften konnte. Ich will noch einen Blick auf den Kunden werfen und nehme nur eine Gruppe heraus: die Energieversorger. Auch sie haben Verpflichtungen, natürlich im Bereich der Energielieferung. Sie setzen auf Genossenschaften und insbesondere auf unsere Genossenschaft, weil sie eben gerade in Zeiten wie diesen die Wertschöpfung aus der Region und für die Region sowie die Sicherung der Qualität der Dienstleistung als einen sehr wichtigen Faktor erkannt haben. Somit werden wir als attraktiver und verlässlicher Partner in der Wirtschaft gesehen. Ich will noch etwas ergänzen, was ich im vergangenen Jahr in Kärnten gehört habe und eigentlich ganz zum Schluss sagen wollte: Genos-senschaft ist eine Leidenschaft. Deswegen bin ich heute auch gekommen. Wenn ich von Genossenschaften und vom 50 Jahre-Jubiläum höre, dann fühle ich mich als Teil der genossenschaftlichen Familie und hoffe, dass dies hier auch andere so empfinden. Ich gehe davon aus, dass Genossen-schaften auch in Zukunft Erfolg haben und dass sie Wachstum schaffen können. Daran arbeite ich bei unseren Genossenschaften und bei uns in Ös-terreich. Doch es ist notwendig, auch die mit Genossenschaften verbundene Ethik zu berücksichtigen. Abschließend möchte ich als zusammenfassende Antwort auf die ursprüngliche Frage festhalten, dass wir das schnelle Wachstum der ersten zehn Jahre bereits hinter uns haben und uns jetzt in einem gemäßigten Konsolidierungsprozess bewegen. Dieser wird uns vor-aussichtlich die nächsten zehn Jahre beschäftigen.

THEURL: Diese Einschätzungen sollten wir heute mitnehmen: Erstens sind Genossenschaften selbstverständlich in der Lage, wirtschaftlichen Erfolg hervorzubringen, zweitens hängt der Erfolg nicht von der Größe ab und drittens haben wir einen bemerkenswerten Satz gehört, nämlich „Genos-senschaft ist eine Leidenschaft“. Diese Aussage bildet eine gute Brücke zu Emotionen und zu Werten, nachdem wir vorher über wirtschaftliche Grö-ßen und Kalkulationen gesprochen haben. Herr SCHMIDT, Sie sind ja auch Politiker auf der kommunalen Ebene. Haben Sie den Eindruck, dass bei den

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Menschen – vielleicht auch im Zusammenhang mit der globalen Finanz-marktkrise – ein gewisses Umdenken stattgefunden hat? Ganz konkret: Sind Menschen heute eher bereit, Verantwortung für Angelegenheiten zu übernehmen, die ihnen wichtig sind? Sie haben uns mit dem Dorfladen und der Sicherung der Nahversorgung mit Lebensmitteln ein sehr gutes Beispiel vorgestellt. Dafür waren viele Menschen bereit, Verantwortung zu über-nehmen. Gehen Sie davon aus, dass sich ein allgemeiner Trend in diese Richtung herausbildet?

SCHMIDT: Ich habe bei uns den Eindruck, dass sich das eine oder andere bereits verändert hat und zwar nicht nur im Dorfladen, sondern auch in der politischen Gemeinde. Man denkt vielleicht über die klassischen Werte, die wir heute im Zusammenhang mit den Genossenschaften gehört haben, wie-der mehr nach: über Nachhaltigkeit und darüber, welche Ziele der Mensch hat oder wohin er eigentlich will, sowie ob es immer nur gut ist, die Rendi-te voranzutreiben. Ich bin ja auch gelernter Bankkaufmann und habe in meiner Ausbildung gelernt, dass es bei der Bewertung von Aktien darum geht, wie viel eine Aktiengesellschaft langfristig erwirtschaftet hat. Lang-fristiger wirtschaftlicher Erfolg hat sich auch in Kursanstiegen gezeigt. Heute ist es ja meist so, dass die Ankündigung von Personalentlassungen zu Aktienkursanstiegen führt, weil so vermeintlich Kosten gespart werden. Ich weiß nicht, ob der Trend gut war, aber er scheint sich umzukehren. Man rudert ein bisschen zurück und mir scheint, dass auch Offenheit wie-der mehr gefragt ist: Gottseidank. Vielleicht nimmt auch der ehrliche Um-gang miteinander zu, also wie wir uns untereinander darstellen und uns verständigen. Auch das Thema Sicherheit, und zwar nicht nur bei der Geld-anlage, spielt zunehmend eine größere Rolle. Dies gilt auch für die Bedeu-tung der Informationen, wo unsere Lebensmittel herkommen und wo sie produziert werden. Diesbezüglich hat sich unser Dorfladen hervorragend positioniert. Wie gesagt stammen 60% der Lebensmittel aus der Region und das wird honoriert.

THEURL: Ich habe den Eindruck, dass sich die Anzeichen mehren, dass je-ne Werte, für die Genossenschaften stehen, denen entsprechen, die auch für die Menschen wieder wichtiger werden. Daher will ich noch einmal an das anknüpfen, Herr DUSCHEK, was Sie vorher im Zusammenhang mit Genos-senschaften betont haben, nämlich Ethik, Verlässlichkeit und regionale Verankerung. Würden auch Sie es so sehen, dass die Bereitschaft der Men-schen zur Übernahme von Verantwortung zugenommen hat?

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DUSCHEK: Ich antworte mit einem klaren Ja. Wenn ich den Blick auf unse-re Mitglieder werfe – und dies sind immerhin 78.000 Mitglieder –, dann führen diese Dienstleistungen nicht nur aus, um ein Nebeneinkommen zu erwirtschaften, sondern sie fühlen sich in einem richtig verstandenen Ge-meinschaftssinn – also mit der gemeinsamen Übernahme von Aufgaben – wohler und übernehmen selbstverständlich auch Verantwortung gegenüber den Kunden, der Organisation, dem Verein und der Genossenschaft. Ich nehme als Beispiel wieder den bereits angesprochenen Energieversorger. Noch vor einigen Jahren haben wir nur Dienstleistungen ausgeführt, heute aber tragen unsere Mitglieder auch Verantwortung, indem wir gesamte Ab-schnitte in unsere Verantwortung übernommen haben, in denen das gesam-te Management – vom Beginn bis zum Ende – durchzuführen ist. Isolierte Dienstleister würden sich als Einzelne eine solch herausfordernde Aufgabe nicht zu übernehmen trauen. Gemeinsam die Aufgabe zu schultern und Verantwortung zu übernehmen bedeutet hingegen, dass wir eine sehr posi-tive Erfahrung mitnehmen konnten.

Ich will noch eine zweite Erfahrung einbringen, die damit zusammenhängt, dass die Mitglieder unserer Genossenschaften die 93 Vereine sind. Die Per-sonal- und Finanzverantwortung ist in ein Wechselspiel der Verantwortung in Genossenschaft und Vereinen eingebunden. Dieses führt zu einem ge-meinsamen Commitment und einem Verständnis für Verantwortung, das die Bereitschaft der Beteiligten zur Übernahme von Verantwortung außer-ordentlich ansteigen lässt. Oftmals ist es so, dass der Einzelne für sich al-leine zwar etwas vermag, sich aber nicht traut, die Verantwortung zu über-nehmen. In der genossenschaftlichen Gemeinsamkeit entsteht dann jedoch der Mut und die Bereitschaft, Verantwortung gemeinsam zu übernehmen.

THEURL: Genossenschaften können also auch dazu beitragen, Verantwor-tung zu teilen und auf diese Weise die Bereitschaft zur Verantwortung zu steigern. Wie sieht es mit dem Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Bereitschaft zur Verantwortung aus? Herr GROWE, in Ihrer Ge-nossenschaft hat sich der Erfolg schnell und sichtbar eingestellt. Es zeich-net sich ab, dass Ihr genossenschaftliches Geschäftsmodell weiteren Erfolg bringen wird. Steigert der Erfolg die Bereitschaft der Mitglieder zur Über-nahme von Verantwortung und erhöht die Verantwortungsbereitschaft ih-rerseits dann wieder den wirtschaftlichen Erfolg?

GROWE: Meiner Meinung nach bestehen diese Zusammenhänge. Wir hat-ten bis zum Schrumpfen der Reisebüros gut 20.000 Reisebüros in Deutsch-land. Aktuell sind es etwa 12.000. Man sieht, dass sich die Zahl schon fast halbiert hat. Gemäß Satzung besteht bei uns die Pflicht eines jeden Mit-

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glieds in jeder Woche eine gewisse Zeit zur Verfügung zu stellen und et-was für die Genossenschaft zu tun. Daraus sind dann Ideen entstanden, die uns zur Gründung von Spezialistenportalen gebracht haben. Diese ermögli-chen es, dass auch Umsatz über das Internet entsteht. So sucht der Kunde vielleicht bei Google und findet z. B. über die Landkarte des Netzwerks ein Büro, das nicht weit von ihm entfernt ist, das er aber vielleicht nie in Zu-sammenhang mit dem von ihm gesuchten Spezialgebiet gebracht hätte. Diese Möglichkeit gab es vorher nicht. In diesem Entwicklungsprozess ist die Verantwortung von uns allen gewachsen, mit diesem Inhalt gut und sorgfältig umzugehen. Daraus sind weitere Ideen und Projekte gewachsen. Als letztes Projekt wurde ein Katalog von 20 eigenen Reisen von Mit-gliedsbüros bundesweit umgesetzt. Der Katalog wurde mit einer Auflage von 10.000 Stück gedruckt und wir haben ihn seit etwa drei Wochen im Einsatz.

Neue Projekte und Projektideen reißen nicht ab. Bei jeder erfolgverspre-chenden Projektidee fragen wir in die Runde, wer bereit ist, damit verbun-dene Aufgaben zu übernehmen. Mit der Aufgabe wird die Verantwortung übernommen und es findet sich eigentlich immer jemand. Normalerweise heißt es dann „Ich weiß zwar nicht, ob ich das kann, aber ich probier's mal“. Zusammen schaffen wir es dann letztlich und bringen die Genossen-schaft damit wieder ein Stück weiter. Im ersten Geschäftsjahr konnten wir eine Eigenkapitalrendite von über 20% ausschütten. Dies war möglich, weil relativ wenig Arbeit outgesourced wird und viel Eigenleistung erfolgt. Die-ses Ergebnis hat den Mitgliedern gefallen und sie bestätigt und ermutigt, weiterhin aktiv zu sein und für die Genossenschaft zwar vorerst unentgelt-lich tätig zu sein, dafür aber nachhaltig zu wirken und langfristig darin den wirtschaftlichen Erfolg zu sehen.

THEURL: Auch diese Ausführungen deuten darauf hin, dass der Zusam-menhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und der Bereitschaft, Verant-wortung zu übernehmen, in beide Richtungen wirkt. Das klingt zwar zuerst abstrakt: Erfolg durch Verantwortung und Verantwortung durch Erfolg. Aber die genossenschaftliche Praxis zeigt, dass es mit Leben und konkreten Inhalten gefüllt werden kann. Zahlreiche Beispiele haben sich im Rahmen der heutigen Veranstaltung bereits angedeutet. So haben Sie, Herr WUNDE-

RER, argumentiert, dass Energiegenossenschaften langfristige, nachhaltige Strategien ermöglichen. Sie übernehmen auf diese Weise auch Verantwor-tung gegenüber der Umwelt und gegenüber den Menschen, die Aktivitäten der Energiegenossenschaften sollen den Menschen zugutekommen. Dies führt mich zur Frage, ob dafür eine Genossenschaft Voraussetzung ist?

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Könnte dies nicht jedes andere Unternehmen, unabhängig von seiner Rechts- und Organisationsform, auch leisten?

WUNDERER: Ich glaube schon, dass die Genossenschaft diesbezüglich be-sondere Vorzüge hat. Natürlich ist ein Unternehmen wie eine Kapitalge-sellschaft in erster Linie daran interessiert, bei der Energie Gewinn zu ma-chen. Dies ist auch sicherlich die erste und wesentliche Ausrichtung, wenn derartige Gesellschaften und Einzelunternehmer ein Energieunternehmen gründen. Bei der Genossenschaft steht diese Orientierung hingegen nicht unmittelbar im Vordergrund, sondern zunächst eine Orientierung am all-gemeinen Bedürfnis, die Energieversorgung einer Gemeinschaft sicherzu-stellen. Denn die Situation im Energiebereich wird zunehmend schwieriger. Es ist unsicherer geworden, wie wir in Zukunft unsere Energieversorgung sicherstellen können. Dies steht zunächst einmal im Zusammenhang mit der Klimaproblematik. Das derzeitige Energieversorgungssystem gefährdet unser Klima. Weiters zeichnen sich bei manchen fossilen Energiequellen hinsichtlich Verfügbarkeit gewisse Grenzen ab. Deswegen ist das allge-meine Bedürfnis sehr stark, eine andere – eine nachhaltigere – Energiever-sorgung zu schaffen. Dabei bietet sich die Genossenschaft als eine vorteil-hafte betriebliche Organisationsform an, um neue Energieversorgungssys-teme lokal und gemeinschaftlich umzusetzen. Erstaunlicherweise haben sich den letzten Jahren auch die Technologien für die Verwendung erneu-erbarerer Energien rasant entwickelt. In diesem Bereich bestehen große Chancen. Wir beobachten ja derzeit, wie stark sich der Sektor der erneuer-baren Energien weltweit entwickelt. Wir wissen, wie viele Arbeitsplätze damit in Deutschland geschaffen werden. Lokale Energiegenossenschaften bilden eine ausgezeichnete Grundlage, um lokale Wertschöpfung, Nachhal-tigkeit und Bürgerbeteiligung zu fördern. Genossenschaften sind ganz be-sonders geeignet für eine neue Kultur sozialverträglicher und nachhaltiger Energieversorgung, wo Menschen in Zusammenarbeit Verantwortung für-einander übernehmen und damit einen wichtigen Beitrag leisten können, um die wirtschaftlichen und sozialen lokaler Gemeinschaften zu stabilisie-ren.

THEURL: Die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung durch Ener-giegenossenschaften hat Herr WUNDERER eindrucksvoll geschildert: Ver-antwortung gegenüber Menschen und Umwelt, nicht nur aktuell, sondern auch im Hinblick auf zukünftige Generationen. Es kann überzeugen, dass Genossenschaft bei der Energieversorgung im Vergleich mit Unternehmen anderer Rechtsformen Vorzüge aufweisen. Doch wie stellt sich dies bei der Zusammenarbeit von Ärzten in Genossenschaften dar, Herr KLEMM? Funk-tioniert die Zusammenarbeit gut, dann stellen sich meist wirtschaftliche

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Erfolge ein, daneben auch Stabilität. Viele Untersuchungen zeigen, dass Menschen Stabilität wichtig ist. Würden Sie das auch so einschätzen? Ge-lingt es durch diese Zusammenhänge, in der Genossenschaft Vertrauen aufzubauen und dadurch eventuell auch neue Mitglieder anzuziehen? Auch Außenstehende können dadurch Vertrauen in eine Genossenschaft aufbau-en. Sind diese Zusammenhänge aus Ihrer Sicht plausibel?

KLEMM: Diese Zusammenhänge sind mit Sicherheit plausibel. Ich denke, dass jeder, der hier anwesend ist und mit Genossenschaften zu tun hat, das sofort bestätigen wird. Das fällt allerdings dem Arzt durchaus schwerer, weil ihm die direkte Berührung fehlt. In den ersten Tagen der Gründungen – und wir sind ja erst seit etwa zehn Jahren aktiv – wurden regional über 100 Genossenschaften und darüber eine ganze Reihe von bundeslandakti-ven Dachorganisationen und darüber noch ein Bundesverband gegründet. Dies war notwendig, um einen Strukturwandel überhaupt erst in Gang zu bringen. Diese Organisationsstrukturen sind für das einzelne Mitglied je-doch sehr weit entfernt. Es ist nicht überraschend, dass dieses dann fragt: „Was macht Ihr da überhaupt?“ Erst jetzt kommen wir allmählich dazu, auf der Grundlage dieser Erststrukturen basisnah greif- und sichtbare Struktu-ren aufzubauen. Dies sind Konzepte für den einzelnen Arzt, z.B. Notfallor-ganisationen. Solche Organisationen und Leistungen gab es auch davor schon, doch nun sind sie in die Genossenschaftsstruktur eingebettet. Die Palliativversorgung oder Pflegeeinheiten sind weitere Beispiele. Vorher handelte es sich um separate medizinische Leistungserbringer, die im Ein-klang und Wettstreit miteinander agierten. Nun werden sie in Netzwerke zusammengefasst, in denen effizienter gearbeitet werden kann.

Wir kommen also jetzt langsam in eine Phase, in der wir erkennbar machen können, dass auch für das Mitglied an der Basis ein Wertgewinn – eine Wertschöpfung – entsteht und dass es als aktives Teil an diesem Puzzle zu seinem eigenen Vorteil teilnimmt. Es kommt dann genau zu der Entwick-lung und Erkenntnis, nach denen sie fragten. Jetzt erkennt man, warum das gemacht wurde. Zuerst mussten eben die Straßen gebaut werden, über die man fahren wollte. Das war ein schwieriger Prozess. Dies ist auch vor der aktuellen Politik, vor allem der Gesundheitspolitik in Deutschland, zu se-hen, an der der niedergelassene Arzt keine Freude hat. Indem wir diese be-rücksichtigen, geben wir momentan weitreichende Weichenstellungen vor. Wir sagen dem Arzt sinngemäß: „Hör mal, du bist gerade vor dem Ab-sprung vom Hochhaus, und da kommt etwas auf Dich zu.“ Woraufhin der Arzt natürlich der Meinung ist: „Nein, mir geht es doch perfekt.“ Erst kurz vor dem Erdgeschoss wird ihm dann bewusst, dass wir nicht unrecht haben.

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Das heißt, es ist eine gewisse Strecke zu überwinden, auf der man ein Mit-glied auch mitnehmen muss, auch in die neuen Strukturen. Und erst dann zeigt sich, ob man gemeinsam etwas aufgebaut hat, mit dem es gelingt, die großen Herausforderungen zu bewältigen. Wir sehen uns als die Green-horns und können noch auf keine große Erfahrung verweisen, da wir noch im Aufbau sind.

THEURL: Aus Ihren Ausführungen geht etwas hervor, das sich in der Ge-schichte der Genossenschaften immer wieder gezeigt hat, nämlich dass ge-nossenschaftliche Kooperationen dann besonders leistungsfähig und geeig-net sind, wenn es um die Bewältigung von strukturellen Veränderungen und großen Herausforderungen geht. Gemeinsam Neues zu schaffen oder zusammen einen Reformprozess in Angriff zu nehmen, erfordert geeignete und akzeptierte Organisationen, damit keine strukturellen Verlierer ge-schaffen werden. Ihre Beschreibung hat aber auch gezeigt, dass ein ent-sprechendes Problembewusstsein vorhanden sein muss, damit ein aktiv gestalteter Veränderungsprozess von den Betroffenen mitgetragen wird. Dies erfordert wiederum ein gutes Management, das sich erstens auch der Notwendigkeit einer begleitenden und stetigen Kommunikation bewusst ist und das zweitens die geschaffenen Strukturen kontinuierlich auf ihre Effi-zienz hin überprüft.

Dieser letzte Aspekt zeigt eine Verbindungslinie zur Argumentation von Ihnen, Herr WUNDERER, auf. Sie haben vorher betont, dass viele Energie-genossenschaften kleine Einheiten sind, vor allem auch die neu gegründe-ten. Da Sie auch das Präsidium eines Energieverbandes innehaben, will ich an Sie die Frage stellen, ob es notwendig ist, kleinen Genossenschaften Un-terstützung zu geben und für diese gemeinsam zusätzlich Dienstleistungen zu erbringen? Auf diese Weise wird auf einer zweiten und übergeordneten Ebene noch einmal das Genossenschaftsmodell verwirklicht, weil manche Genossenschaften für einige Dienstleistungen und Aufgaben zu klein sind. Kann mit einer solchen organisatorischen Weichenstellung für die Mitglie-der noch mehr erreicht werden?

WUNDERER: Dies ist absolut der Fall. Ich bin der Meinung und das zeigt auch die Erfahrung, dass solche Strukturen absolut notwendig sind. Erstens ist es ja so, dass sich die Energiewirtschaft ungemein schnell entwickelt. Es gibt ja laufend Veränderungen, Neuigkeiten, neue Technologien. Diese In-formationen müssen einfach auch aufbereitet und weitergegeben werden und das schafft einer allein nicht. Was die Information betrifft, hat natürlich ein Verband eine sehr wichtige Funktion. Die rasante technische Entwick-lung zwingt auch zur ständigen Weiterbildung und dabei kann ein Verband

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Erfolg durch Verantwortung, Verantwortung durch Erfolg

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einen wichtigen Beitrag leisten. Zusätzlich verändert sich auch die gesetzli-che Lage laufend, gerade hier in Italien gibt es ständig Neuigkeiten und Normen. Die kleinen Energiebetriebe sind mit dieser Flut an Normen über-fordert und gerade in der Auslegung der Normen spielt der Verband auch eine sehr wichtige Rolle. Die neuen Informationstechnologien ermöglichen jetzt eine bessere Zusammenarbeit und erleichtern diese. Beispielsweise ist es heute unnötig, dass jeder einzelne Betrieb seine Stromrechnungen macht. Das kann man sehr gut gemeinsam organisieren. In diesem Sinne sind wir als Verband tätig und ich glaube, dass das sehr wichtig ist. Diese Genossenschaften zweiten Grades sind absolut erforderlich und wichtig.

THEURL: Die Notwendigkeit dafür haben Sie sehr überzeugend begründet und dies führt mich direkt zu Herrn KLEMM. Auch Sie haben bereits ange-sprochen, dass die Ärztegenossenschaften eine zweite Ebene aufgebaut und sich überregional organisiert haben. Dies ist aber auch damit verbunden, dass zusätzliche Strukturen entstehen. Sie haben vorher betont, dass Ärzte es nicht gewohnt sind, sich in wirtschaftlich orientierten Gremien zu orga-nisieren. Wie gelingt es Ihnen vor diesem Hintergrund, aktive Mitglieder zu finden? In zahlreichen Genossenschaften ist es so, dass von vielen Mit-gliedern ein hoher Anteil sich passiv verhält. Oft ist es auch so, dass genos-senschaftliche Mitglieder sehr genau über ihre Rechte Bescheid wissen, die Informationslage sich jedoch deutlich diffuser darstellt, sobald es um die Pflichten geht. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, dass es ausschließ-lich um Rechte gehen würde, die durch die Genossenschaft sicherzustellen seien. Ist es für Ärztegenossenschaften schwierig, aktive Mitglieder zu fin-den, die sich engagieren, vor allem dann, wenn dieses Aufgaben in weiter entfernten und übergeordneten genossenschaftlichen Organisationen bedeu-tet? Welches sind aus Ihrer Sicht die Anreize für ein genossenschaftliches Engagement von Ärzten?

KLEMM: Zuerst will ich kurz auf die Grundstruktur eingehen, denn Sie fragten ja vorher, wie groß eine Genossenschaft werden kann und soll. Als wir uns diese Frage im Hinblick auf die Ausprägung der medizinischen Leistung stellten, die bei uns im Mittelpunkt steht, haben wir festgestellt, dass die Basisgenossenschaft eigentlich eine sehr kleine Einheit ist. Das ist in einer Region, das kann aber auch in einem Dorf oder Umfeld sein, in dem man sich kennt und im Einklang mit den wenigen lokalen Kranken-häusern, mit den lokalen Pflegediensten etc. arbeitet. Das ist eine abge-schottete und überschaubare Gemeinschaft und sie sollte möglichst schon als Genossenschaft organisiert sein, um das Gemeinsame herauszustellen und um die gemeinsame Verantwortung auch lebbar zu machen. Diese

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Podiumsdiskussion 112

kleine Einheit wird es aber nicht schaffen, die Wirtschaftskraft wirklich auszuloten und auszunutzen. Sie wird nicht in der Lage sein, mit einer grö-ßeren und überregionalen Krankenkasse auch nur ansatzweise ein Gespräch zu führen, geschweige denn einen Vertrag abzuschließen oder neue Struk-turen aufzubauen. In den Führungsgremien dieser lokalen Institutionen sind dann jedoch wiederum die Menschen, die diesen notwendigen Überbau durchaus verstehen, in diesem auch arbeiten wollen und nicht durch das Basisgeschäft, durch die Arbeit mit den Patienten, abgelenkt sind.

Die meisten Ärzte haben ja ihr Tagesgeschäft, ihre alltäglichen Aufgaben und wenig Zeit für andere Aktivitäten. Deswegen werden in den Überbau-strukturen, z. B. in den Genossenschaften, die für ein Bundesland aktiv sind, die Konditionen für die auf der Ebene darunter zusammengeschlosse-nen Mitglieder etwa wie in einer Einkaufsgenossenschaft organisiert. Zum Beispiel können gemeinsam Impfstoffe besorgt werden oder es kann mit einer größeren überregionalen Krankenkasse über Wertschöpfungsketten und deren Organisation gesprochen werden. Man kann darüber sprechen, wie man unnötige Einweisungen in stationäre Einheiten reduzieren kann – wohlgemerkt, es geht um unnötige Einweisungen. Hier beginnt dann die Wirtschaftskraft zu wirken, die genutzt werden und dann in die Basisge-nossenschaften geliefert werden kann. Auf der Bundesebene eröffnet die komplexe genossenschaftliche Gesamtstruktur weniger ein wirtschaftli-ches, sondern eher ein politisches Sprachrohr, um für die wirtschaftliche Ebene den politischen und lobbyistischen Hintergrund zu bauen. Dies ist wichtig, weil im Gesundheitswesen viele Angelegenheiten politisch gelenkt sind. Ab der Metaebene ist es deutlich einfacher, weil sich auf dieser auch Kaufleute, Wirtschaftsexperten, Politologen etc. treffen. An der Basis hin-gegen ist es sehr herausfordernd. Da ist es regional notwendig, Engagement zu wecken und auch im Hinblick auf die Patienten an den entsprechenden ethischen Ansatz zu erinnern. Es ist harte Basisarbeit, Mitglieder zu finden. Von etwa 140.000 ambulant tätigen Ärzten in Deutschland sind heute etwa 12.000 Ärzte in Genossenschaften vereint.

THEURL: Genossenschaftliche Strukturen zeichnen sich in der Praxis häu-fig durch eine hohe Komplexität aus, indem auf unterschiedlichen Ebenen zahlreiche Unternehmen und andere Organisationen arbeitsteilig zusam-menarbeiten und ihre jeweils speziellen Aufgaben erfüllen. Dies ist wie-derum ein Hinweis auf die Notwendigkeit klarer gemeinsamer Ziele und der Vereinbarung von konkreten Rechten und Pflichten. Mehrstufige ge-nossenschaftliche Systeme wurden uns in dieser Diskussion für Energiege-nossenschaften, für die Maschinenringe sowie für Ärztegenossenschaften vorgestellt. Auch in vielen traditionell genossenschaftlich organisierten

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Erfolg durch Verantwortung, Verantwortung durch Erfolg

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Branchen kennen wir solche Organisationsstrukturen. Ich erinnere an Bankgenossenschaften, Wohnungsgenossenschaften sowie landwirtschaft-liche Genossenschaften, um nur einige Beispiele zu nennen. Herr GROWE, mit Ihrer Genossenschaft, die Reise- und Freizeitdienstleistungen organi-siert und anbietet haben Sie ein neues und spezielles Aktivitätsfeld für die genossenschaftliche Organisation erschlossen. Haben Sie den Eindruck, dass Sie durch diese Innovation in der genossenschaftlichen Wirtschaft Nachteile haben, etwa weil weniger Informationen über genossenschaftli-che Besonderheiten verfügbar sind oder weil Ihre Kunden mit diesem Ge-schäftsmodell zu wenig vertraut sind oder weil andere Ursachen zu einer geringeren Unterstützung führen?

GROWE: Ich denke nicht, dass wir dadurch Nachteile haben. Weil es im Reisebürobereich keine Genossenschaft gibt, ist es für größere Veranstalter eher überraschend, wenn wir mit ihnen immer wieder und immer weiter in Verhandlungen treten. Wenn z. B. REWE Touristik feststellt, dass fast 30 Reisebüros zusammengeschlossen sind, haben wir klare Vorteile. Wenn Sie hingegen in der Vergangenheit als einzelnes Reisebüro einer großen Gesellschaft entgegen getreten sind, dann ist das schwierig gewesen. Ähn-lich wie bei den Ärzten können sie alleine nicht viel bewegen. Aber wenn wir als Genossenschaft auftreten, entsteht derzeit noch ein Verblüffungsef-fekt. Die genossenschaftliche Organisation ist neu in der Touristikbranche, die Reaktion ist aber positiv. Dies gilt natürlich nicht unbedingt für die Verhandlungspartner, denen wir damit ja etwas abringen wollen. So ist mir gerade heute während dieser Veranstaltung ein Beispiel eingefallen. In der sehr tourismusaktiven Region Südtirol gibt es viele Übernachtungen, die wir natürlich auch im Reisebüro vermitteln. Würde es eine Hotelgenossen-schaft geben, könnten wir beispielsweise auf Genossenschaftsebene mit-einander in Kontakt treten und direkt vermitteln. Ich weiß nämlich, dass auch für die Hoteliers der Druck von den großen Veranstaltern sehr groß ist und manchmal an die Schmerzgrenze oder darüber hinaus geht. Vielleicht ergeben sich da in Zukunft ganz neue Wege, auch mit neuen Genossen-schaften in Bereichen zusammenzuarbeiten, in denen es in der Touristik jetzt noch keine entsprechenden Kooperationen gibt. Dafür könnten wir einfach als Beispiel vorangehen. Das ist eine Chance, die wir bereits ge-nutzt haben und im Moment sehen wir, dass unsere Überlegungen richtig waren und wir sie mit positiven Ergebnissen umsetzen können. Vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklungen sind wir sehr gespannt, was noch auf uns zukommen wird.

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THEURL: Eine unserer Untersuchungen hat gezeigt, dass es die wachsenden und zukunftsorientierten Sektoren sind, in denen zunehmend neue Genos-senschaften gegründet werden. Gesundheit, Energie, aber auch die Touris-tik- und Freizeitwirtschaft gehören ohne Zweifel zu diesen. Manchmal wird davon gesprochen, dass Menschen zu wenig über Genossenschaften wis-sen, wir es also mit einem großflächigen Informations- und Kommunikati-onsproblem zu tun haben. Herr SCHMIDT, sind Sie der Meinung, dass die Menschen genügend über Genossenschaften wissen oder müsste man noch mehr und besser informieren?

SCHMIDT: Ich denke, dass die Genossenschaften schon bekannt sind. Wie wir heute Vormittag gehört haben, hat sogar Minister SCHÄUBLE gesagt, dass die Genossenschaftsbanken erfolgreicher sind als die Deutsche Bank. Auf eine solche Einschätzung können wir im Genossenschaftswesen stolz sein. Ich denke allerdings auch, dass wir das ein bisschen breiter in die Öf-fentlichkeit tragen sollten, denn wenn man so erfolgreich ist, dann kann man über den Erfolg auch reden. Das müssen wir meiner Ansicht nach im Bankenwesen noch mehr tun. Für den Bereich, den ich hier vertrete – den Lebensmittelbereich – sind wir natürlich noch nicht so weit und müssen daher auch die Kommunikation erst aufbauen. Wir wollen nämlich Struktu-ren grundlegend und nachhaltig verändern und das ist ein langwieriger Pro-zess. Meiner Meinung nach sind Genossenschaften aber gut bekannt und sie bewähren sich gut am Markt.

THEURL: Wir haben in den vergangenen Diskussionsrunden von den Dis-kutanten auf dem Podium viele und interessante Informationen und Ein-schätzungen zu unterschiedlichsten genossenschaftlichen Facetten erhalten. Vielen Dank dafür. Lassen Sie uns nun zu einer Schlussrunde kommen. Obwohl es eine kurze Runde sein soll, will ich an alle fünf Diskutanten gleich drei Fragen stellen, die Sie bitte auch kurz beantworten sollten. Ers-tens: Worin sehen Sie derzeit die größte Herausforderung für Ihre Genos-senschaft, was also gilt es zu bewältigen? Zweitens: Kann man Ihre genos-senschaftlichen Erfahrungen auf andere Genossenschaften, auf andere Branchen oder auf das Ausland übertragen? Drittens sollten Sie mit einem einzigen Wort die Genossenschaft charakterisieren oder beschreiben, wel-ches ist aus Ihrer Sicht das am besten geeignete Wort?

DUSCHEK: Die größte Herausforderung ist heute die Stabilisierung des Un-ternehmens nach der Wachstumsphase der ersten 10 bis 12 Jahre. Wir wol-len den erfolgreichen Weg, den wir eingeschlagen haben, konsolidiert wei-ter gehen. Wir sind ja nicht nur national, sondern über Ungarn, die Slowa-kei, Deutschland und Slowenien auch international aktiv und versuchen auf

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diese Weise gute Partnerschaften zu pflegen. Derzeit arbeiten wir daran, die Genossenschaften zu bündeln, aus der Bündelung jedoch keinen Unter-ordnungskonzern zu bilden, wie es im Bereich der Holding-Modelle üblich ist. Die nächste Hürde besteht darin, gemeinsam mit den Revisions- und Raiffeisenverbänden ein Konstrukt für Gleichordnungskonzerne zu finden und die Idee der Genossenschaft in unserem System Maschinenring weiter-zuleben und noch zu intensivieren. Zur Frage der Übertragbarkeit möchte ich den Rat geben: Wenn Sie rasch gehen wollen, gehen Sie alleine. Wenn Sie jedoch weit gehen wollen, dann sollten Sie gemeinsam gehen. Und als letztes ein genossenschaftliches Wort: Gemeinsamkeit.

KLEMM: Die größte Herausforderung für uns im Gesundheitssystem ist eben, dass es einerseits ein komplexes und zum anderen ein sehr dynami-sches Konstrukt ist. Da der Gesundheitsmarkt in Deutschland zusätzlich sehr groß ist, ist er auch von genügend anderen Interessen besetzt. Darin besteht unsere Hauptherausforderung, nämlich dass die Player, die quasi an der Basis arbeiten, gegen einen sehr großen Apparat anzukämpfen haben. Um stärker auftreten zu können, wurden die Genossenschaften gegründet und ihre möglichen Aufgaben sind noch lange nicht ausgeschöpft. Einen Rat, den man weitergeben kann, möchte ich mir nicht anmaßen, denn dafür sind wir noch deutlich zu jung. Wir sind die Greenhorns hier auf dem Po-dium und wir sind froh, dass wir gerade laufen können. Wir sind eigentlich eher dankbar, von Ihnen Ratschlag und Empfehlungen zu bekommen, auch für und aus den Strukturen der zweiten und dritten Ebene. Trotzdem sind wir natürlich immer wieder gerne bereit, über unsere Fehler zu sprechen, wenn dies jemandem helfen und daraus gelernt werden kann. Auch eine Zusammenfassung zu unserer Situation will ich beisteuern. Es ist jedoch nicht ein Wort, sondern ein Bild: Die ethische Verbundenheit mit den Men-schen an der Basis können wir gerade durch die Genossenschaft aufrecht-erhalten und intensivieren. Dies wollen wir für die Zukunft sicherstellen. Medizin darf nicht unter den Gesichtspunkten des Shareholder Values or-ganisiert werden.

WUNDERER: Es ist sinnvoll, lokale Energieprobleme der Zukunft gemein-sam und auf einer gemeinsamen Basis zu lösen. Dies sollte auf der Grund-lage der Ressourcen geschehen, die man in einem Dorf hat. Diese Ressour-cen zum Tragen zu bringen, und vor allem im Interesse der dörflichen Ge-meinschaft auf einer sozialverträglichen Basis, ist die eigentliche Heraus-forderung. Noch konkreter besteht sie darin, diese Systeme nachhaltig zu machen und damit einer Region oder einem Dorf einen Mehrwert zu ver-leihen. Dafür bildet die Genossenschaftsform eine ausgezeichnete Grund-

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Podiumsdiskussion 116

lage und sie kann zur Lösung der energetischen Herausforderungen in den Dörfern und Regionen angewendet werden. Darin besteht auch ihre Über-tragbarkeit. Ein Wort, das Genossenschaften sehr gut charakterisieren kann, ist für mich die „Sozialverträglichkeit“.

SCHMIDT: Als Herausforderung für uns sehe ich den harten Preiskampf, der gleichzeitig auch eine Chance ist, sich von den anderen abzuheben. Denn uns geht es wie den Banken. Wenn ein Anleger für eine bestimmte Laufzeit einen Betrag anlegen will, sind die Konditionen und Banken abso-lut vergleichbar. Wir können uns nur abheben, indem wir unsere Werte hervorheben, genau so wie es die Südtiroler auch tun. Auch in unserem Dorfladen heben wir unsere Werte hervor. Diese bestehen in Kundennähe, Freundlichkeit, Frische und Service. Dazu gehört auch, dass wir unsere al-ten Leute aus der Region zum 14-tägigen Einkauf zum Dorfladen fahren, die kostenlose Zustellung für ältere Leute und noch viele Angebote mehr. Ich denke, damit heben wir uns ab und darin besteht unsere Chance, lang-fristig bestehen zu können. Unsere Erfahrungen sind zweifelsohne auf an-dere Regionen oder Orte übertragbar. Mein zusammenfassendes Wort für Genossenschaften wird zu einer längeren Feststellung: Für die Genossen-schaften ist es eine große Chance, sich in der Öffentlichkeit besser darzu-stellen, wenn wir hier sehen, wie breit die Möglichkeiten für Genossen-schaften sind, sich wirtschaftlich erfolgreich zu präsentieren.

GROWE: Wir sind noch eine sehr junge Genossenschaft und daher ist alles noch im überschaubaren Bereich. Aus der Sicht des Vorstands ist es im Moment die größte Herausforderung, mit dem Wachstum so klarzukom-men, dass trotzdem alles wie bisher laufen kann, obwohl wir eine wachsen-de Mitgliederzahl haben. Damit ist verbunden, dass die Kommunikation bei uns in Zukunft schwieriger sein wird. Im Moment ist es auch so, dass von den Mitgliedern, die auf Probe dabei sind und prüfen, ob sie eventuell per-manentes Mitglied werden möchten, etwa zwei Drittel wieder abspringen, weil sie sehen, dass die Zusammenarbeit doch mit Arbeit verbunden ist. Es sind eben nicht nur Rechte, sondern zunächst einmal Pflichten. Wenn aber die Pflichten nicht erfüllt werden, ergibt sich systembedingt so lange auch kein Nutzen. Dies führt bei manchen Probanden dann zum Erstaunen. Dar-in sehe ich derzeit die größte Herausforderung und sie spiegelt sich in unse-rem Slogan, den wir schon seit unserer Gründungsversammlung haben, nämlich die bekannte Empfehlung „Frag nicht, was die Gemeinschaft für Dich tun kann, sondern was Du für die Gemeinschaft tun kannst“. Die Übertragbarkeit der genossenschaftlichen Idee sehe ich auch für andere Un-ternehmen und Aufgaben der Touristik, etwa für Hotels. Darauf hatte ich bereits hingewiesen. Als zusammenfassendes Wort will ich vor dem Hin-

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tergrund, dass man inzwischen fast so etwas wie eine Familie geworden ist, „Vertrauen“ wählen.

THEURL: Fünf Vorstände erfolgreicher Genossenschaften haben auf dem Podium diskutiert. Sie haben uns darüber informiert, weshalb sie Genos-senschaften gegründet haben, worin sie ihre Stärken sehen und welche Herausforderungen sie aktuell zu bewältigen haben. Wir haben gesehen, dass das genossenschaftliche Geschäftsmodell viele Besonderheiten auf-weist, wie zum Beispiel die Art des Zusammenwirkens, die Notwendigkeit zur Übernahme von Verantwortung und die Orientierung an Langfristigkeit und Nachhaltigkeit. In allen Fällen ist herausgekommen, dass es um Men-schen oder Unternehmen geht, die zusammenwirken, um gemeinsam mehr zu erreichen als alleine, manchmal um ein Gegengewicht zu großen Wett-bewerberbern oder Kunden zu bilden, manchmal um die Nahversorgung mit Lebensmitteln und Energie sicherzustellen, manchmal um ein Funda-ment für die Erzielung von Einkommen aufzubauen, manchmal um ge-meinsam Reformprozesse einzuleiten. Viele andere Ursachen und Faktoren sprechen für Genossenschaften. Sie können wirtschaftlichen Erfolg und Selbständigkeit selbst dann ermöglichen, wenn die einzelnen Personen oder Unternehmen dies nicht vermögen. Doch auch von Genossenschaften muss wirtschaftlicher Erfolg erarbeitet werden und positive gesellschaftliche Wirkungen stellen sich nicht von alleine ein. Dies setzt neben Eigeninitiati-ve und den Aufbau geeigneter Strukturen auch die Bereitschaft voraus, Verantwortung für die eigenen Angelegenheiten zu übernehmen. Dies ist seit jeher die Grundidee der Genossenschaft, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat, wie diese Diskussion gezeigt hat. Mir hat sie Freude ge-macht und ich hoffe auch Ihnen. Herzlichen Dank für die engagierte Dis-kussion auf dem Podium und ebenso für das Zuhören.

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Autorenverzeichnis

PROF. DR. HELMUT ALEXANDER

ao. Univ.-Prof. Dr.phil. an der Universität Innsbruck

Geboren in Elsenfeld (Bayern) 1957, Studium der Bayerischen und Fränki-schen Landesgeschichte, Neueren Geschichte, Politischen Wissenschaft und Philosophie an den Universitäten Erlangen und Innsbruck; Promotion 1987; seit 1994 Assistent, seit 2001 ao. Universitätsprofessor für Wirt-schafts- und Sozialgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck; zahlreiche Publikatio-nen zur Tiroler Geschichte, u. a. zur Tiroler Industrie und zur wirtschaftli-chen Entwicklung Südtirols im 19. und 20. Jahrhundert.

DR. PAUL ARMBRUSTER

Generalsekretär der Internationalen Raiffeisen-Union

Zunächst Ausbildung zum Bankkaufmann, von 1971 bis 1974 Entwick-lungshelfer in Bolivien und Ecuador; anschließend Studium, Promotion und wissenschaftliche Laufbahn an den Universitäten Mannheim und Hei-delberg; daneben gutachterliche Begleitung von zahlreichen Entwicklungs-hilfeprojekten; seit 1988 Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen des DGRV - Deutscher Genossenschafts und Raiffeisenverband e. V.; von 2002 bis 2006 Board Member im ICAEurope, Brüssel; seit März 2002 Ge-neralsekretär der Internationalen Raiffeisen-Union (IRU), eines weltweiten Zusammenschlusses nationaler Genossenschaftsorganisationen, deren Ak-tivitäten auf den Prinzipien von Friedrich Wilhelm Raiffeisen basieren.

DR. ALESSANDRO AZZI

Präsident des italienischen Verbandes der Genossenschaftsbanken Feder-casse

1950 in Montichiari (Brescia) geboren; 1973 Universitätsabschluss in Rechtswissenschaften an der Universität Parma; Rechtsanwalt; seit 1985 Präsident der Kreditgenossenschaftsbank „Colli Morenici del Garda“ in

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Autorenverzeichnis 120

Montichiari (BS); seit 1991 Präsident des lombardischen Verbandes der Kreditgenossenschaftsbanken und Präsident des italienischen Verbandes der genossenschaftlichen Kreditinstitute Federcasse; Rat und Vorstands-mitglied des italienischen Genossenschaftsverbandes; von 2008 bis 2010 Vizepräsident der italienischen Bankenvereinigung; seit 1992 Verwaltungs-ratsmitglied und Ausschussmitglied der italienischen Bankenvereinigung. Weiters bekleidet AZZI auch das Amt des Rates an der Universität Cattoli-ca.

DR. JOSEF BERNHART

Abschluss des Studiums der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkten Verwaltungsmanagement sowie Unternehmensführung an der Leopold Franzens Universität Innsbruck und Sponsion zum Mag.rer.soc.oec. Pro-motion zum Dr.rer.soc.oec. an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftli-chen Fakultät der Universität Innsbruck (Dissertationsthema „Qualitätsori-entierte Konzepte zur Verwaltungsmodernisierung“). Ab Oktober 1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verwaltungsmanagement bzw. am Zentrum/Arbeitsbereich für Verwaltungsmanagement des Institu-tes für Unternehmensführung, Tourismus und Dienstleistungswirtschaft der Universität Innsbruck. Seit Oktober 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter, ab März 2000 Koordinator (stellv. Leiter) und seit August 2001 Senior Re-searcher am Institut für Public Management der EURAC.

PROF. AVV. EMANUELE CUSA

Assoziierter Professor an der Universität Trient

1990 Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Pavia mit Auszeichnung, 1996 Erwerb des Forschungsdoktorats in Han-delsrecht an der Bocconi-Universität in Mailand, seit 2001 assoziierter Pro-fessor für Handelsrecht an der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Universität Trient, wo er Handelsrecht und Recht auf dem Gegenseitig-keitsprinzip beruhender Gesellschaften und Non-Profit-Organisationen lehrt. Seine Forschungstätigkeit konzentriert sich auf die rechtlichen Grundlagen von Gesellschaften, Genossenschaften, Banken, Non-Profit-Organisationen, Controlling und Schiedsverfahren. Diese Bereiche bilden auch die Schwerpunkte seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt, Schiedsrichter und Berater.

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Autorenverzeichnis 121

MARIO DUSCHEK

Prokurist Maschinenring-Service Kärnten eGen

Steuerberater, seit 1996 Geschäftsleiter vom Maschinenring Kärnten, Pro-kurist vom Maschinenring Service Kärnten eGen, stellv. Vorstandsvorsit-zender Maschinenring-Leasing reg. Gen.m.b.H., Aufsichtsrat der Maschi-nenringe Ungarn und Slowakei sowie der Maschinenring Personaldienste GmbH (BRD), Gemeinderat in St. Veit an der Glan, Kammerrat der Land-arbeiterkammer Kärnten

DR. HILMAR GERNET

Direktor der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft

Promovierter Historiker, Mitglied in der Konzernleitung eines internationa-len Tourismusunternehmens, Leiter des Studienbereichs Wirtschaftskom-munikation an der Hochschule Luzern, PR-Berater, vormals Generalsekre-tär der Christlichdemokratischen Partei der Schweiz (Bern), Journalist, Korrespondent, Chefredaktor und Buchautor; derzeit Direktor der Raiffei-sen Schweiz Genossenschaft und seit drei Jahren Leiter des Bereichs „Poli-tik & Gesellschaft“.

DR. H.C. STEPHAN GÖTZL

Vorstandvorsitzender und Präsident Genossenschaftsverband Bayern e.V.

Kaufmännische Stammhauslehre und Studium an der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg, Staatssekretär für Umwelt und Gesundheit der Landesregierung Rheinland-Pfalz, Führungsfunktionen in zahlreichen Unternehmen und Verbänden; seit 2005 Vorstandsvorsitzender und Präsi-dent des Genossenschaftsverbandes Bayern, 2008 Verleihung der Ehren-doktorwürde der Universität Passau.

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Autorenverzeichnis 122

ALEXANDER GROWE

Vorstand und Gründungsmitglied Aktives Reisebüro Netzwerk eG

Ausgebildeter Reiseverkehrskaufmann, seit 1999 selbständiger Unterneh-mer, 2000 Gründer und Geschäftsführer der Growe- Reisen-Königsklasse GmbH, ab 2008 Vorstand Gewerbeverein Gottmadingen eV., seit 2009 Vorstand und Gründungsmitglied Aktives Reisebüro Netzwerk eG

DR. MANFRED KLEMM

Vorstandsvorsitzender des Regionalen Gesundheitsnetzes Leverkusen eG und des Gesundheitsverbundes West eG

Geboren 1962, Studium der Genetik im Fachbereich Biologie an der Uni-versität zu Köln und promoviert am Max-Planck-Institut für Züchtungsfor-schung in Köln; von 1994 bis 1999 in leitender Position für Vertrieb, Mar-keting und Geschäftsführer eines führenden amerikanischen Diagnostik-Unternehmens; von 1999 bis 2004 Geschäftsführer eines Unternehmens im Bereich der Biotechnologie; seit 2006 Geschäftsführung des Regionalen Gesundheitsnetzes Leverkusen eG und heute dessen Vorstandsvorsitzender sowie Mitinitiator und Geschäftsführender Vorstand des GV-West eG., der Ärztegenossenschaft für das Rheinland.

LUIGI MARINO

Präsident des italienischen Genossenschaftsverbandes Confcooperative

1947 in Castel Maggiore (Bologna) geboren; seit 1983 Präsident des Lan-desverbandes der Genossenschaften von Bologna; seit 1988 Vizepräsident des italienischen Genossenschaftsverbandes; von 1989 bis 1991 Verwal-tungsratsmitglied der Banca del Monte di Bologna e Ravenna; seit 1991 Präsident des italienischen Genossenschaftsverbandes; von 1992 bis 1997 Vizepräsident der CARIMONTE, welche die Gruppe ROLO – CREDITO ITALIANO gegründet hat; seit 1997 Ratsmitglied und seit 2005 Vizepräsi-dent der LOCAT Leasing AG; Ratsmitglied des Nationalen Rates für Wirt-schaft im V., VII., VIII. und IX. Rat (gegenwärtig Vorstandsmitglied).

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Autorenverzeichnis 123

DR. HANNES SCHMID

Sprecher des Vorstandes der Raiffeisen-Landesbank Tirol AG

Geboren 1953 in Lustenau, Studium mit Promotion an der Wirtschaftsuni-versität Wien; von 1984 bis 1990 Leiter verschiedener Abteilungen der Raiffeisen Landesbank Niederösterreich; ab 1991 Mitglied des erweiterten Vorstandes der RLB NÖ-Wien; von 1997 bis 1999 Projektleiter der Fusion der RLB NÖ-Wien und Raiffeisenbank Wien; ab 2001 für die strategische Neuausrichtung der Raiffeisen-Bankengruppen Niederösterreich, Wien, Burgenland, Steiermark und Vorarlberg verantwortlich; seit 2005 Sprecher der Tirol AG und der Raiffeisen-Bankengruppe Tirol.

HERMANN SCHMIDT

Bürgermeister, Vorstandsvorsitzender Dorfladen Amerdingen eG

Einzelhandelskaufmann; von 1978 bis 2002 Bankkaufmann bei der Raiffei-sen-Volksbank Donauwörth eG; seit 1996 Bürgermeister der Gemeinde Amerdingen im Landkreis Donau-Ries, Regierungsbezirk Schwaben; seit 2001 Vorstandsvorsitzender des Dorfladen Amerdingen eG.

UNIV.-PROF. DR. THERESIA THEURL

Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster

Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck ab 1979 Diplomvolkswirtin; nach der Promotion 1987 durchläuft sie die universitäre Laufbahn von der wissenschaftlichen Assistentin, zur Univer-sitätsdozentin und Außerordentlichen Universitätsprofessorin am Institut für Wirtschaftstheorie und -politik der Universität Innsbruck; seit 2000 Pro-fessorin für Volkswirtschaftslehre und gleichzeitig geschäftsführende Di-rektorin des Instituts für Genossenschaftswesen im Centrum für Ange-wandte Wirtschaftsforschung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Mitglied in zahlreichen universitären und außeruniversitären Ex-pertengremien.

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Autorenverzeichnis 124

DR. GEORG WUNDERER

Präsident des Raiffeisen Energieverbandes Südtirol

1979 Doktor der Wirtschaftsgeographie an der Universität Innsbruck; ab 1980 Mittelschullehrer und Verwaltungsrat der Energie-Werk-Prad Genos-senschaft; seit 1983 Obmann und Geschäftsleiter; ab 1999 Bau des Fern-wärmewerkes mit einem erneuerbaren Energiemix (Hackgut, Biogas, Pflanzenöl, Strom); seit 2003 Leiter der Miteigentumsgemeinschaft von zwei Windkraftanlagen; seit 2006 Obmann des Raiffeisen Energieverban-des in Südtirol

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